Daten
Kommune
Berlin Friedrichshain-Kreuzberg
Dateiname
Drucksache.pdf
Größe
21 kB
Erstellt
12.10.15, 01:25
Aktualisiert
27.01.18, 23:34
Stichworte
Inhalt der Datei
Drucksachen der Bezirksverordnetenversammlung
Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin
III. Wahlperiode
Ursprung: Mündliche Anfrage
Initiator: B'90/Die Grünen, Lenk, Dr. Wolfgang
Beratungsfolge
29.09.2010
Gremium
BVV
Sitzung
Drs. Nr.: DS/1918/III
Erledigungsart
022/III-BVV
schriftlich beantwortet
Mündliche Anfrage
Betr.: Integrations- und Sprachkurse an der VHS nach der neuen Verordnung des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
der Beantwortung Ihrer einzelnen Fragen schicke ich die folgenden grundsätzlichen Anmerkungen
voraus:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat für Integrationskurse nach dem Zuwanderungsgesetz eine Kontingentierung und nahezu eine Halbierung der Zulassen von zur Teilnahme berechtigten, aber nicht verpflichteten Personen angekündigt. Damit wird seitens des BAMF beabsichtigt, die explosionsartig angestiegenen Kosten besonders im Haushaltsjahr 2009 für die
Kursteilnahme sowie für die Fahrkostenrückerstattung in den Griff zu bekommen.
Diese Situation ist auf Fehlprognosen - unsachgemäße Einschätzung der tatsächlichen Bedarfe
und der damit anhängigen Fahrkosten - zurückzuführen. Das BMI hat deshalb für die Durchführung der Integrationskurse 2010 15 Millionen € zusätzlich zur Verfügung gestellt. Trotzdem schätzt
das BAMF für 2010 ein, dass ein Haushaltsloch von 15 Millionen € bestehen bleiben wird. Dementsprechend hat der Bundesinnenminister de Maiziere weitere Maßnahmen zur Kosteneinsparung eingeleitet (Trägerrundschreiben vom 15.07.2010).
Grundsätzlich versucht das BMI diese negative Haushaltssituation durch restriktive Neuregelung
der Zugangsbedingungen für berechtigte Personen zu lösen. Zusammengefasst geht es bei den
Neuregelungen um folgende Sachverhalte:
•
Nur diejenigen Personen, die zum Personenkreis nach § 5, Absatz 3 der Integrationskursverordnung gehören, werden künftig von den Regionalstellen zum Integrationskurs zugelassen.
Der Zulassungsbescheid wird jedoch erst nach 3 Monaten wirksam (Sperrfrist). Alle anderen - nicht in § 5 Abs. 3 genannten Teilnehmer/-innen - können frühestens im nächsten
Jahr zugelassen werden (Wartelisten).
•
Fahrkosten werden künftig erst ab einer Entfernung von 3 km gezahlt. In Berlin werden
keine Fahrkosten erstattet, da davon ausgegangen wird, dass die Trägerdichte Entfernungen von weniger als 3 km zulässt.
•
Eine Wiederholung des Alphabetisierungskurses ist nur auf Antrag möglich, wobei der Träger die ordnungsgemäße Teilnahme nachweisen und ein Votum der Lehrkraft beifügen
muss.
•
Die Zuschüsse des BAMF für die Lehrkräftequalifizierung werden gestrichen.
Insgesamt ergeben sich aus diesem restriktiven Vorgehens die nachfolgenden Auswirkungen:
•
Das BAMF schließt bereits die Haushaltskassen für die Abrechnung der Kursgelder Anfang
Oktober, so dass die Kursleiter/innen letztlich für Ihre geleitstete Arbeit bis Dezember im
laufenden Haushaltsjahr nicht mehr bezahlt werden können.
Um soziale Härtefälle zu vermeiden, muss der Bezirksamt deshalb auch bei einer schwierigen Haushaltsituation in Vorleistungen gehen.
•
Die 3-monatige Sperrfrist führt bei allen Trägern (vor allem Volkshochschulen) mit einem
ausgewiesenen Lernstufensystem und äußerer Kursdifferenzierung zu großen Schwierigkeiten bei der haushaltsjahrbezogenen Realisierung des Lernstufensystems. Darüber hinaus sind Volkshochschulen durch ihre langfristigen Programmveröffentlichungen in einer
vertragsrechtlich schwierigen Situation gegenüber den Teilnehmer/innen, da die Verschiebung der Starttermine nicht mit den veröffentlichten Startzeiten übereinstimmen.
•
Entscheidungen des BAMF werden regelmäßig ohne ausreichende Beteiligung der Trägereinrichtungen spontan getroffen. Das führt zu einem SOP & GO mit maximalem Energieeinsatz, überfordert die Trägerlogistik und erodiert die Programmstrukturen.
•
Für Programmumstellungen bleibt den Trägern kaum Zeit, da die BAMF-Vorgaben permanent ohne Übergangszeiten und teilweise sogar rückwirkend verfügt wurden.
•
Die BAMF-Verfügung, Lernwillige nach der Antragstellung mit 3-monatigen „Lernverbot“ zu
belegen (Sperrfrist), muss als Bestrafung der betroffenen Teilnehmer/innen bewertet werden. Diese Vorgabe ist nach Außen nicht vermittelbar.
•
Durch die neuen Bestimmungen erhöht sich der Verwaltungsaufwand, da bei diesem Verfahren zwei Einstufungen erforderlich sind. Bei Antragstellung muss festgestellt werden,
welche Ausgangsvoraussetzungen beim Teilnehmer vorliegen - nach einer Wartezeit von 4
Monaten müssen die Teilnehmer/innen zur Einstufung noch einmal getestet werden, um
das aktuelle Ausgangsniveau zu testen.
Ihre Anfrage beantworte ich im Einzelnen wie folgt:
1. Welche Veränderungen im Angebot von Integrationskursen an der VHS sind nach Einschätzung des Bezirksamts infolge der Verordnung des BAMF vom 26. Juli 2010 (sie besagt
u. a., - dass Ausländer, die vor 2005 einen Aufenthaltstitel in Deutschland erhalten haben,
nunmehr von diesen Kursen ausgeschlossen sind, bzw. sie selbst finanzieren müssen, und dass neu zugewanderte EU-Bürger keinen Anspruch auf diese Kurse haben) zu erwarten?
Sowohl inhaltlich als auch strukturell wird es an der Volkshochschule Friedrichhain-Kreuzberg
kurzfristig keine Veränderungen geben. Die Träger gehen davon aus, dass die Sperrklausel im
Haushaltsjahr 2011 wieder gelockert wird.
Es deuten sich auf Grund des restriktiven Vorgehens des BMI (Wartelisten) vor allem Schwierigkeiten in den zeitlichen Abläufen an, die sich in Form von Staus bei der Kursrealisierung zeigen
werden. Eine erhöhter Personal- und Verwaltungsaufwand zeichnet sich bereits jetzt ab. Aus den
gegenwärtigen Daten lässt sich hochrechnen, dass im Januar 2011 an der Volkshochschule ca.
100 Lernwillige aus den Wartelisten in Lehrgängen untergebracht werden müssen. Ein disharmonischer Ablauf des Lernsystems an der VHS wird deshalb erwartet.
2. Ist die VHS auf den mit dieser Neuregelung zu erwartenden steigenden Beratungsbedarf
bei MigrantInnen, die Kurse belegen wollen, mit den Finessen der Regelung aber möglicherweise nicht ausreichend vertraut sind, vorbereitet?
Die Neuordnung des Zuganges zu den Integrationskursen und die Einführung der restriktiven
Maßnahmen durch das BMI erfolgten für die Mitarbeiter/innen der Volkshochschule völlig überraschend. Trotz dieses Vorgehens des BMI sind die Mitarbeiter/innen (beratende Dozent/innen und
Verwaltungsmitarbeiter/innen) durch hausinterne Weiterbildungsmaßnahmen in Zusammenarbeit
mit der Sen BWF gut auch auf neue Anforderungen vorbereitet.
Probleme zeigten sich hinsichtlich der kompetenten Beratung der Lernwilligen in den Spitzenzeiten
bei Semesterbeginn auf Grund der zeitlich erhöhten Nachfrage in den organisatorischen Abläufen
im Aufnahmeverfahren bedingt durch den enorm gestiegenen Beratungsaufwand. Darüber hinaus
können Staus bei der Bearbeitung und Durchführung von Einstufungstests durch die geringe Personaldecke und Überlastungserscheinungen im Servicebereich nicht mehr verhindert werden.
Sollte es nicht gelingen, die ab Dezember offenen Stellen bzw. Stellenanteile zu besetzen, wird
sich die Situation im Servicebereich der VHS in Verbindung mit dem durch die Verordnung verursachten Verwaltungsaufwand dramatisch verschärfen.
3. Wie bewertet das Bezirksamt die Verordnung des BAMF?
Ich beurteile die Kürzungen der Mittel als unverantwortlich und schädlich. Die jetzige defizitäre
Situation im Haushalt hat das BAMF eigenverschuldet. In Zeiten ausreichender finanzieller Mittel
wurden Anreizsysteme geschaffen und von den Trägern auch genutzt, die zu einer vorhersehbaren enormen Steigerung der Nebenkosten (Fahrkosten) geführt haben.
Der sich daraus ergeben Konflikt zwischen Angebot, Nachfrage, Finanzierung und Haushaltsdefizit wird durch das BAMF nun zu Lasten der Migranten gelöst. In Hinblick auf die in unserer Stadt
laufenden Einbürgerungskampagne werden durch die Verordnung kontraproduktive Zeichen gesetzt. Integrationspolitisch sind diese restriktiven Zulassungsbeschränkungen ein fatales Signal,
da sie auf die Zuwanderer demotivierend wirken würden.
Zusatzfrage:
4. Wird das BA sich der öffentlichen Kritik deutlich vernehmbar anschließen, die etwa vom
Integrationsbeauftragten des Senats formuliert wurde?
Als zuständiger Bezirksstadtrat habe ich am 29.09.2010 eine Pressmitteilung verfasst, die auch an
die Bezirksverordneten verteilt wurde. In dieser Pressemitteilung habe ich die Kürzungen der Mittel
für Integrationskurse sehr deutlich als unverantwortlich kritisiert.
Sie wurde auch am 30.09.2010 auf der Homepage des Bezirksamtes veröffentlicht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jan Stöß