Daten
Kommune
Ulm
Dateiname
Anlage 1 – Bericht der Kinder- und Jugendtheater Jury 2014.pdf
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Erstellt
12.10.15, 21:52
Aktualisiert
27.01.18, 09:46
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Bericht der Jury 2014
zum Entwicklungsstand der Ulmer Kinder- und Jugendtheaterszene
von Tobias Ballnus, Sybille Hirzel, Marco Süß
Innerhalb der letzten sechs Jahre hat sich angeregt durch die neue Förderstruktur und
deren inhaltliche Begleitung durch die Fachjury einiges getan im Ulmer Kinder- und
Jugendtheater. Das Alte Theater in der Wagnerstraße wird trotz seines
sanierungsbedürftigen Zustandes regelmäßig vom Theater an der Donau und vom
Akademietheater bespielt. Beiden ist es im Rahmen ihres künstlerischen Könnens und
ihrer jeweiligen Ansprüchen gelungen, das Niveau des Kinder- und Jugendtheaters in Ulm
zu heben. Der Versuch, sich mit zeitgemäßen Inhalten, Spielweisen und Theaterformen
auseinanderzusetzen, war im Laufe der Jahre oft erkennbar. Dabei ist es vor allem dem
Theater an der Donau auch gelungen, altes und neues Publikum zu finden und zu binden.
Das war nicht einfach, zumal die Öffentlichkeitsarbeit der Vorgänger genau das verhindern
wollte. Dem Theater an der Donau ist außerdem ein engagierter Gestaltungswille in Bezug
auf Spielstätte und Foyer zu bescheinigen. Auch davon profitierte die Gesamtsituation.
Ergänzend werden mit dem Kinder- und Jugendtheateretat der Stadt Ulm das Ulmer
Kaspertheater, die Kindertheaterwerkstatt - ein Raum für verschiedene lokale
Amateurtheater - und jährlich wechselnde Projekte gefördert. Zwei Gastspiele im Alten
Theater ergänzen das Angebot.
Dass sich im Vergleich mit der Situation vor 2006 einiges zum Positiven entwickelt hat,
gibt uns nunmehr die Möglichkeit, weitere Entwicklungen konzeptionell anzuvisieren. Ziel
dabei bleibt die Erfüllung der Kriterien an Qualität von Jungem Theater, wie sie 2006 vom
Kulturausschuss formuliert und 2012 nochmals überarbeitet wurden. Dabei denken wir vor
allem an ein starkes Auftreten in der Stadt, das bei Kindern und Jugendlichen Identität
stiftet und gleichzeitig überregionale Aufmerksamkeit erregt. Beides soll durch zeitgemäße
Ästhetiken, neue Formensprache, Mut zu Experimenten, laborartiges Arbeiten, soziale
Analysen und durch überdurchschnittliches künstlerisches Können, Talent und
leidenschaftlichen Anspruch, indiziert werden. Das Junge Publikum in Ulm soll nicht nur für
Theater gewonnen werden, sondern auch entwickelt werden ganz im Sinne des
Fachbegriffes audience developement. Mit ihm wird eine gemeinsame Entwicklung von
Theaterkunst und Publikum beschrieben. Beide richten sich nicht auf erreichten Erfolgen
und befriedigten Erwartungen ein, sondern fordern sich gegenseitig mit ihren Ideen und
ihren Ansprüchen heraus. So gelingt es, Horizonte zu erweitern, ohne abzuheben und
einander aus den Augen zu verlieren. Diese Aufgabe ist in Ulm zentral, da es durch das
wechselnde Kinder- und Jugendtheaterangebot in den letzten Jahrzehnten auf beiden
Seiten keine Kontinuität gibt. Wenn diese Aufgabe ernst genommen wird, braucht es dafür
einen langen Atem bei allen Beteiligten.
Aus heutiger Sicht erscheint klar, dass dieser hohe Anspruch nicht auf die Schnelle
erreicht werden konnte.
Das Theater an der Donau gewinnt momentan sein Publikum vor allem mit bekannten
Titeln, wiedererkennbaren Ästhetiken und einer etwas einseitigen und dadurch auch
einseitig erfolgreichen Setzung auf Komödie und Groteske. Andere Ansätze sind im
Gespräch und im Denken zwar bekannt, können aber nicht umgesetzt werden.
Das Akademietheater ist immer wieder zu beachtenswerten Ansätzen gekommen, zeigt
sich aber mit deren Fortführung vor allem organisatorisch überfordert. Das beginnt mit der
seit Jahren unklaren Verquickung von Schule und Theater, setzt sich fort in internen
Personalquerelen, die ausgerechnet den Experten für Junges Theater in die Verzweiflung
zu treiben scheinen, und endete mit der kürzlich offenbar gewordenen finanziellen
Schieflage. Die Bespielung des Alten Theaters scheint eher lustlos, der Erfolg damit bleibt
im Vergleich zum Theater an der Donau unter den Möglichkeiten. Bei dem auch vom
Theater immer wieder beklagten Umfang der Mittel bleibt fraglich, warum es noch eine
zweite Spielstätte auf dem Kuhberg etablieren will.
Das Erste Ulmer Kasperletheater hat zu einer eigenen, bewusst von der Tradition jenes
Kinderpuppentheaters, dessen Protagonist schon im Namen geführt wird, inspirierten
Identität gefunden. Sie wurde über die Jahre erfolgreich in Ulm etabliert und ein treues
Publikum. Bestechend ist die Liebe zur Sache und zum Kinderpublikum, mit der die beiden
Akteurinnen aufgestellt sind. Diese liebevolle Art lässt auch ein bisschen großzügig
darüber hinwegsehen, dass die formal-ästhetischen Kriterien unserer Theaterförderung
hier außer Acht gelassen sind. Wie schon im Bericht von 2006 formuliert, kann dieses
traditionelle Theater trotz dieser substantiellen Einschränkung eine interessante Farbe und
Ergänzung in der lokalen Kindertheaterlandschaft sein. Es sorgt für Vielfalt. Zu bedenken
ist dabei auch, dass gerade dieses klassische Angebot ein eher unbedarftes Publikum
erreicht und an Theater heranführt.
Im Gespräch ließen die Akteurinnen neben dem Bewusstsein, dass diese vermeintliche
Klassik ein zu pflegender Marktwert ist, auch das Interesse an ästhetischer
Weiterentwicklung erkennen. Hinweise der Jury, innovative Experimente zur Förderung
aus Landesmitteln bei den momentan dort ausgeschriebenen Fonds zu beantragen,
wurden dankbar angenommen.
Die Fortführung der bisherigen Förderpraxis ist daher zu empfehlen.
Als Kindertheaterwerkstatt arbeiten in der Donaubastion sogenannte
Kindertheatergruppen. Sie bieten gut gemeintes Amateurtheater, das in seinem sehr
begrenzten Rahmen seine Erwartungen erfüllt. Es kommt uns daher eher unangemessen
und unverhältnismäßig vor, an die Aufführungen professionelle Maßstäbe zu setzen. Tut
man es trotzdem und folgt damit dem verschiedentlich offenbarten Anspruch der Gruppen
an sich selbst, ist zu konstatieren, dass hier handwerklich keine Basis einer Entwicklung
zu einem Profistatus vorliegt. Inszenatorisch, dramaturgisch, spiel- und
bewegungstechnisch, ebenso in der Ausstattung von Bühnenbild und Kostümen wird
Theater hier engagiert nachgeahmt. Zur wirklichen Ausführung fehlt die Befähigung.
Bereits in der Antragstellung wird deutlich, dass keine künstlerisch-ästhetische
Auseinandersetzung mit Lebensrealitäten und Fantasie-Räumen heutiger Kinder intendiert
ist. Zum Gesprächstermin mit der Jury sind die Akteurinnen und Akteure nicht erschienen.
Wie gesagt, haben die Aufführungen betrachtet unter der Prämisse von Amateurtheater
ihren Charme und ihre Berechtigung. Diesen wollen wir nicht in Abrede stellen.
Professionell ist hier aber der Anspruch, mit dem Angebot auch noch Geld verdienen zu
wollen. Dabei mögen die Veranstaltungen zur Gestaltung von Kindergeburtstagen, Feiern
und Festen geeignet sein und werden dazu auch auf der Homepage angeboten. Dies zu
beurteilen steht hier nicht zur Debatte. Die Notwendigkeit aber einer Finanzierung aus
öffentlichen Mitteln ergibt sich nicht. Die Fortführung der bisherigen Förderpraxis ist daher
nicht zu empfehlen. Amateurtheater ist eine gute soziale Einrichtung. Vielleicht können die
Mieten der Donaubastion aus den Mitteln des Jugendamtes gefördert werden.
Fazit aus der Beobachtung der gegenwärtigen Situation:
Den in den Kriterien gesetzten Erwartungen können die Akteure vor Ort nicht entsprechen.
Trotz der vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten ist es ihnen aus eigener Kraft und in
Verwendung der vorhandenen Ressourcen nicht ausreichend gelungen, tragfähige
Konzeptionen und motivierende Visionen für die Zukunft zu entwickeln. Die eingereichten
Anträge und die Gespräche mit der Jury darüber ergaben, dass wir hier an Grenzen
gekommen sind, die zu überwinden wir den Akteure nur noch sehr eingeschränkt
zutrauen.
Denken wir zurück an die Fusionierungspläne des Akademietheaters und des Theater an
der Donau von 2010, die kaum vorgelegt schon während des Diskussionsprozesses an
Kompetenzstreitigkeiten der künstlerischen Leiter scheiterten und von ihnen selbst so
überraschend vom Tisch genommen wurden, wie sie kurz zuvor darauf erschienen waren,
wird deutlich, dass auch die Akteure dieser beiden Ensemble mit der hier skizzierten
Aufgabe überfordert sind.
Die Veränderungen seit 2007 führen uns aber auch einen Schritt weiter, wenn wir aus der
Evaluation der Erfahrungen Konsequenzen ziehen. Neue Türen lassen sich ebenso
erkennen wie die Möglichkeiten, sie zu öffnen. Im Folgenden gilt es, die Förderpraxis so
weiter zu entwickeln, dass sie den gesetzten Kriterien vollends gerecht wird.
Wir empfehlen, innerhalb der verbleibenden beiden Jahre - also bis 2016 - eine Struktur
für Kinder- und Jugendtheater in Ulm zu entwickeln, die tragfähiger als die bisherige ist.
Eckpunkte dafür sind weiterhin die beschlossenen Förderrichtlinien von 2007 und 2012,
die Erfahrungen des Kulturamtes und der Jury seit 2007 und einmal mehr überregionale
Vergleiche. Anzuvisieren wäre ein arbeitsfähiges Ensemble, dass sich auf Grundlage einer
soliden städtischen Förderung weitgehend selbständig einen Etat aus weiteren
Fördertöpfen aufbauen kann. Notwendig dafür ist ein klarer Auftrag der Stadt an eine oder
ein Kollektiv von künstlerischen Persönlichkeiten, die willens und fähig sind, diesen Auftrag
zu erfüllen sowie ein gestaltbarer Raum an einem für junges Publikum attraktiven Ort der
Stadtlandschaft.
Tobias Ballnus, Sybille Hirzel, Marco Süß
01.06.2014