Daten
Kommune
Bochum
Dateiname
20170619 Gutachten OGS-Betreuung AUL.pdf
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468 kB
Erstellt
27.06.17, 00:47
Aktualisiert
24.01.18, 04:50
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Rechtsgutachten
für die Stadt Bochum
Zur Anwendbarkeit des Vergaberechts auf die
Vergabe der OGS-Betreuung in Bochum
A. Ausgangslage
Die Stadt Bochum bietet außerunterrichtliche Betreuungsangebote an
Grund- und Förderschulen an. Zu diesen gehören an den Grundschulen die
Offene Ganztagsschule (im Folgenden: OGS), die Verlässliche Grundschule
(im Folgenden: VS) ohne Ferienbetreuung und die Verlässliche Grundschule
mit Ferienbetreuung. Gleiches gilt für die Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung (bis
einschl. Klasse 6).
Insgesamt handelt es sich um 42 Grundschulen mit 49 Standorten sowie vier
Förderschulen mit fünf Standorten im Primarbereich. An diesen wird die OGS
sowie an den meisten dieser Schulen auch die VS aktuell durch 13 verschiedene Träger angeboten, und zwar die folgenden: AWO, Caritas, Evangelischer Kirchenkreis Bochum, Evangelische Stiftung Overdyck, Förderverein
Weilenbrinkschule, Förderverein Don-Bosco-Schule, Förderverein AstridLindgren-Schule, Förderverein Maischützenschule, Förderverein Brenscheder-Schule, Förderverein Kirchschule Höntrop, JuS, IFAK und Outlaw.
Diese Träger waren bereits mit anderen Betreuungsangeboten an den Schulen tätig und haben bei Überführung der Schulen in die OGS diese Betreuungsform übernommen. In den vergangenen Jahren erfolgten einige Trägerwechsel aufgrund eines entsprechenden Beschlusses der Schulkonferenz.
Zur Finanzierung der Durchführung der außerunterrichtlichen Angebote offener Ganztagsschulen im Primarbereich (inklusive Betreuungspauschale) erhält die Stadt Bochum jährlich Fördermittel des Landes, die die Geltung der
ANBest-G als Auflagen vorsehen. Diese enthalten in ihrer Nr. 3 Vorgaben für
die Vergabe öffentlicher Aufträge und verpflichten den Zuwendungsempfänger zur Anwendung des Vergaberechts.
Im Zuge dieser Förderung erhielt die Stadt Bochum für das Schuljahr
2016/2017 Fördermittel in Höhe von 4.378.570,00 EUR für Schülerinnen und
Schüler in Grundschulen, 763.143,00 EUR für Schülerinnen und Schüler mit
sonderpädagogischem Förderbedarf in Grundschulen bzw. aus Flüchtlingsfamilien oder in vergleichbaren Lebenslagen, 404.606,00 EUR für Schülerinnen und Schüler in Förderschulen im Primarbereich. Darüber hinaus erhielt
die Stadt Bochum eine Betreuungspauschale in Höhe von 269.500,00 EUR
für offene Ganztagsschulen und 32.500,00 EUR für offene Ganztagsförderschulen. Insgesamt erhielt die Stadt damit 5.848.319,00 EUR an Landesfördermitteln.
Die Finanzierung des Trägers der OGS-Betreuung erfolgt über die Bezahlung in Form von Pauschalen nach Maßgabe der Anzahl und Einstufung der
betreuten Kinder sowie über Elternbeiträge, deren individuelle Höhe von der
Einkommenshöhe der Eltern abhängt und satzungsmäßig bestimmt wird.
Die Stadt Bochum möchte die Verträge mit einer Laufzeit von mindestens
vier, vorzugsweise sechs Jahren abschließen.
B. Wesentliche Ergebnisse und Handlungsempfehlung
1) Die Erteilung eines Auftrags über die OGS-Betreuung erfordert die Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens. Dies folgt sowohl daraus,
dass die Stadt Bochum ohnehin öffentlicher Auftraggeber im Sinne des
§ 99 Nr. 1 GWB ist, als auch daraus, dass die Nebenbedingungen zum
Zuwendungsbescheid des Landes die Beachtung des Vergaberechts
zwingend vorsehen.
2) Ein Verzicht auf die Durchführung eines Vergabeverfahrens mit der Begründung, dass jeweils nur eine unwesentliche Änderung des bisherigen
Vertrags vorliege, da der Wert der Änderung 20 % des ursprünglichen
Auftragswertes nicht überschreite, kommt nicht in Betracht. Es scheitert
daran, dass die ursprünglichen Verträge bereits nicht vergaberechtskonform im Wettbewerb vergeben wurden.
3) § 5 Abs. 1 KiBiz befreit den öffentlichen Auftraggeber nicht von der Anwendung des Kartellvergaberechts.
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4) Es handelt sich um einen öffentlichen Auftrag. Der Träger erhält für die
OGS-Betreuung ein festgelegtes Entgelt und trägt selbst kein wirtschaftliches Risiko, so dass eine Dienstleistungskonzession ausscheidet.
5) Wir empfehlen die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb, da hier die Möglichkeit besteht, die Qualität der beabsichtigten Leistungserbringung genau zu prüfen und ggf. Nachbesserungen zu verlangen.
6) Der Runderlass des Ministeriums für Bildung und Entwicklung ist nicht geeignet, die Geltung des Vergaberechts für die OGS-Betreuung auszuschließen. Mit einem Ministerialerlass kann im Hinblick auf die wirtschaftliche Betätigung von Trägern der OGS-Betreuung, auch wenn diese gemeinwohlorientiert ausgerichtet sein sollen, keine dem einschlägigen Bundesrecht widersprechende Regelung getroffen werden. Insoweit ist das
Ministerium für Bildung und Entwicklung als Landesbehörde nicht zuständig. Darüber hinaus verfolgte das Ministerium auch nicht die Absicht, eine
solche Regelung zu erlassen. Es geht vielmehr selbst von der Geltung
des Vergaberechts aus.
C. Die aufgeworfenen Fragestellungen
Die Stadt Bochum bittet um ein Rechtsgutachten zur Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf den Abschluss von Verträgen über sozialrechtliche Aufträge und Dienstleistungen. Konkret geht es um die Verträge über die
OGS-Betreuung, die mit den verschiedenen Trägern abgeschlossen werden.
Daneben soll dieses Rechtsgutachten insbesondere die folgenden Fragen
beantworten:
1. Kann vor dem Hintergrund der bestehenden Vertragssituation mit den
Trägern des Offenen Ganztags und der beabsichtigten Modifikation dieser Verträge gemäß § 130 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auf die Durchführung eines Vergabeverfahrens
verzichtet werden?
2. Handelt es sich aufgrund der nach § 5 Abs. 1 Kinderbildungsgesetz
(KiBiz) normierten engen Verknüpfung mit der Jugendhilfe um einen
vergaberechtsfreien Vorgang?
3. Handelt es sich ggf. um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder um
die Vergabe einer Dienstleistungskonzession?
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...
4. Welches ggf. in Betracht kommende Vergabeverfahren stellt am ehesten
sicher, dass unter Berücksichtigung der sozialräumlichen Orientierung
die bisherigen Qualitätsstandards kontinuierlich fortgeführt werden können?
5. Wie kann sichergestellt werden, dass die Vorgaben des Runderlasses
des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23.10.2010 „Gebundene und offene Ganztagsschulen sowie außerunterrichtliche Ganztagsund Betreuungsangebote im Primarbereich und Sekundarstufe I“ eingehalten werden? Dieser schreibt unter Punkt 1.2 unter Verweis auf § 55
Schulgesetz vor, dass die Beteiligung gewinnorientierter Träger unzulässig ist.
D. Rechtliche Würdigung
Aufgrund der von der Stadt Bochum aufgeworfenen Fragen soll im Rahmen
der nachfolgenden rechtlichen Würdigung zunächst geprüft werden, ob das
Kartellvergaberecht überhaupt anwendbar ist (dazu nachfolgend Punkt I).
Anschließend folgt die Beantwortung der aufgelisteten Einzelfragen (dazu II).
I.
Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts
Damit der Stadt Bochum überhaupt eine Pflicht zur EU-weiten Vergabe der
OGS-Betreuung obliegen könnte, müsste das Kartellvergaberecht auf den
Abschluss dieser Verträge anwendbar sein.
Als Kartellvergaberecht wird das Recht bezeichnet, das im Vierten Teil des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), d.h. den §§ 97 ff.
GWB, geregelt ist. Es setzt die Richtlinien der Europäischen Union aus dem
sog. Richtlinienpaket des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.
Februar 2014 um. Dieses besteht u.a. aus der Richtlinie 2014/24/EU über die
öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG
und der Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe.
Nur wenn die in den §§ 97 ff. GWB geregelten Voraussetzungen erfüllt werden, ist das Kartellvergaberecht anwendbar. Das heißt, es muss ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 GWB einen öffentlichen Auftrag im
Sinne des § 103 GWB vergeben und die in verschiedenen Regelungen des
GWB vorgesehenen Ausnahmen (etwa der §§ 107 ff., 116 f. GWB) dürfen
nicht eingreifen. Wird kein Auftrag, sondern eine Konzession im Sinne des
§ 105 GWB vergeben, spricht man von einem Konzessionsgeber im Sinne
des § 101 GWB.
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Darüber hinaus muss der Nettowert des zu vergebenden Auftrags einen bestimmten Betrag erreichen oder überschreiten. Die jeweiligen Wertgrenzen
sind für Bau-, Dienst- und Lieferaufträge unterschiedlich. Sie werden von der
Europäischen Kommission durch eine regelmäßig alle zwei Jahre erfolgende
Anpassung der Vergaberichtlinien vorgegeben.
Zuletzt mit den delegierten Verordnungen (EU) Nr. 2015/2170 und 2015/2172 der
Kommission vom 24.11.2015 zur Änderung der Richtlinien 2014/24/EU und
2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die
Schwellenwerte für Auftrags- und Konzessionvergabeverfahren, Abl, L 307/5 ff.
Die Wertgrenzen betragen gegenwärtig für öffentliche Dienst- und Lieferaufträge 209.000,00 EUR und für Dienstleistungskonzessionen 5.225.000,00
EUR. Einen besonderen Schwellenwert gibt es gemäß § 130 GWB zudem
für soziale und besondere andere Dienstleistungen. Dieser beträgt
750.000,00 EUR.
1.
Stadt Bochum ist Öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 GWB
Gemäß § 99 Nr. 1 GWB sind Gebietskörperschaften und ihr Sondervermögen öffentliche Auftraggeber. Danach ist auch die Stadt Bochum öffentlicher
Auftraggeber.
2.
Öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 und 4 GWB
Weiterhin müsste die Beschaffung der Betreuungsleistungen als öffentlicher
Auftrag i.S.d. § 103 GWB zu qualifizieren sein. Das ist gemäß § 103 Abs. 1
GWB der Fall, wenn zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem
Unternehmen ein entgeltlicher Vertrag geschlossen werden soll, der die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Auslieferung von
Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand
hat.
Vorliegend erbringen die Träger Betreuungsleistungen für Kinder und somit
Dienstleistungen. Für deren Erbringung erhalten sie auch ein Entgelt. Dieses
setzt sich zusammen aus den pro Kind-Pauschalen, die von der Stadt Bochum gezahlt werden und den Elternbeiträgen, deren Höhe sich nach der
Elternbeitragssatzung Schulbetreuung der Stadt Bochum bemisst.
Satzung der Stadt Bochum über die Erhebung von Elternbeiträgen für die Inanspruchnahme außerunterrichtlicher Betreuungsangebote an Schulen im Stadtgebiet Bochum vom 27.02.2015
Demzufolge handelt es sich um eine feststehende Vergütung der Leistungen
des Auftragnehmers. Dieser muss die Vergütung nicht selbst von Dritten generieren und trägt insbesondere kein wirtschaftliches Risiko dahingehend,
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dass er trotz Leistungserbringung aus dieser keine angemessene Vergütung
erzielt. Somit liegt ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs.1 GWB und hier
konkret ein Dienstleistungsauftrag i.S.d. § 103 Abs. 4 GWB vor.
Ebenso für einen vergleichbaren Fall VK Arnsberg, Beschl. v. 18.07.2012, Az. VK
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3.
Auftragsgegenstand ist soziale Dienstleistung i.S.d. § 130 Abs. 1
GWB
Fraglich ist jedoch, ob es sich vorliegend um eine sog. soziale oder andere
besondere Dienstleistung i.S.d. § 130 Abs. 1 GWB handelt. Wann eine solche vorliegt, definiert Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU. Dieser benennt
u.a. die Gruppe der „Dienstleistungen des Gesundheits- und Sozialwesens
und zugehörige Dienstleistungen“. Die einzelne Leistung wird durch CPVCodes definiert. Hierbei handelt es sich um gemeinsames Vokabular der EU
für öffentliche Aufträge (CPV = Common Procurement Vocabulary) zur Beschreibung des Auftragsgegenstandes. Zu den in dieser Gruppe genannten
CPV-Codes gehören u.a. die Nummern von 85000000-9 bis 85323000-9. Innerhalb dieser Nummern gibt es die folgenden CPV-Codes:
„85300000-2: Dienstleistungen des Sozialwesens und zugehörige
Dienstleistungen
85310000-5: Dienstleistungen des Sozialwesens
85311300-5: Kinder- und Jugendfürsorgeleistungen
85312000-9: Dienstleistungen der Sozialfürsorge, ohne Unterbringung
85312100-0: Betreuung in Tagesstätten
85312110-3: Betreuungsleistungen in Kinderkrippen
85312120-6: Betreuungsleistungen für behinderte Kinder und Jugendliche in Tagesheimen“
Die OGS-Betreuung kann, wenn nicht unmittelbar unter 85312100-0 „Betreuung in Tagesstätten“ oder 85311300-5 „Kinder- und Jugendfürsorgeleistungen“, dann jedenfalls unter den CPV-Code 85310000-5 „Dienstleistungen
des Sozialwesens“ subsumiert werden. Somit handelt es sich um eine soziale Dienstleistung i.S.d. § 130 Abs. 1 GWB.
Nach allem stellt die OGS-Betreuung einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag gemäß § 103 Abs. 1 und 4 GWB dar, der die Erbringung sozialer Dienstleistungen i.S.d. § 130 Abs. 1 GWB zum Gegenstand hat.
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4.
EU-Schwellenwert von 750.000 EUR wird überschritten
Für die Feststellung der Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts der §§ 97
ff. GWB müsste außerdem der maßgebliche EU-Schwellenwert überschritten
werden. Hierfür ist gemäß § 3 Abs. 1 Vergabeverordnung (VgV) der geschätzte Netto-Auftragswert der vorgesehenen Leistung über den gesamten
Leistungszeitraum einschließlich etwaiger Optionen und Verlängerungen
maßgeblich.
Vorliegend wird sich schon die Vergütung auf Basis der pauschalen Fördermittel auf über 5,8 Mio. EUR pro Jahr belaufen. Beabsichtigt ist eine Laufzeit
von vier oder sechs Jahren. Der aktuell geschätzte Gesamtauftragswert beträgt daher mindestens 23.200.000,00 EUR.
Für eine soziale Dienstleistung wie die OGS-Betreuung ergibt sich der
Schwellenwert aus § 106 GWB i.V.m. Art. 1d) der Richtlinie 2014/24/EU. Er
beträgt 750.000 EUR und wird vorliegend weit überschritten.
5.
Zwischenergebnis
Auf die Vergabe der OGS-Betreuung ist das Kartellvergaberecht der §§ 97
ff. GWB und der VgV anzuwenden. Der Auftrag ist europaweit zu vergeben.
6.
Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts aufgrund der Förderbestimmungen
Unabhängig davon, dass die Stadt Bochum als öffentlicher Auftraggeber
i.S.d. § ´99 Nr. 1 GWB grundsätzlich das Kartellvergaberecht beachten muss,
kann sich die Pflicht zu dessen Beachtung vorliegend aus den Förderbestimmungen des Landes ergeben, die der Förderung der Durchführung der außerunterrichtlichen Angebote offener Ganztagsschulen im Primarbereich (inklusive Betreuungspauschale) regelmäßig zugrunde liegen,
Diese sehen die Geltung der ANBest-G als Auflage vor und enthalten in Nr. 3
folgende Regelung:
„3.
3.1
3.2
Vergabe von Aufträgen
Bei der Vergabe von Aufträgen zur Erfüllung des Zuwendungszwecks sind die nach dem Gemeindehaushaltsrecht anzuwendenden Vergabegrundsätze zu beachten.
Verpflichtungen der Zuwendungsempfängerin oder des Zuwendungsempfängers, aufgrund des § 98 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung
(VgV) die Abschnitte 2 ff. der VOB/A bzw. VOL/A oder die VOF
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anzuwenden oder andere Vergabebestimmungen einzuhalten,
bleiben unberührt.“
Daraus folgt, dass die Stadt Bochum durch die ANBest-G zum einen zur Beachtung des Gemeindehaushaltsrechts (GemHVO) verpflichtet wird. Zum
anderen muss sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die von der Förderung des Landes erfasst werden, nach Nr. 3.2 der ANBest-G die Geltung des
Kartellvergaberechts beachten. Zwar verweisen die ANBest-G ihrem Wortlaut nach auf die Fassung des GWB und die Regelungen des Kartellvergaberechts vor der großen Reform im Jahr 2016. Sie müssen jedoch als dynamischer Verweis auf die aktuell geltenden Fassungen verstanden werden.
Inhaltlich ändert sich für die Stadt Bochum fast nichts, abgesehen von der
Einstufung der Dienstleistungen als soziale Dienstleistungen und die (grundsätzlich zu ihren Gunsten wirkende) Erhöhung des hierfür maßgeblichen
Schwellenwerts für EU-weite Ausschreibungen.
Von besonderer Bedeutung ist die Regelung der Nr. 9.3.2 der ANBest-G.
Danach kann ein Widerruf der Förderung mit Wirkung für die Vergangenheit
in Betracht kommen, soweit der Zuwendungsempfänger Auflagen nicht erfüllt
und insbesondere die Vergabegrundsätze nicht beachtet. Hier ist die Rechtsprechung sehr streng und erlaubt bei Verstößen gegen das Vergaberecht,
etwa den rechtswidrigen Verzicht auf eine EU-weite Bekanntmachung, Wettbewerbsbeschränkungen durch unzulässige Beschränkungen des Teilnehmerkreises oder die Wahl einer unzulässigen Vergabeverfahrensart als
schwere Vergabeverstöße, die eine volle Rückforderung der erhaltenen Fördermittel rechtfertigen.
Vgl. hierzu RdErl. d. Finanzministeriums v. 18.12.2003 über die Rückforderung
von Zuwendungen wegen Nichtbeachtung der Vergabe- und Vertragsordnung
für Bauleistungen (VOB/A) und der Verdingungsordnung für Leistungen - ausgenommen Bauleistungen - (VOL/A), - I 1 - 0044 - 3/8 - ; zudem st. Rspr., vgl.
BVerwG, Beschl. v. 13.02.2013, Az. 3 B 58/12, NZBau 2013, 391 ff.; VG SchleswigHolstein, Urt. v. 06.04.2017, Az. 12 A 136/16, juris, Rn. 53 ff.; OVG NRW, Beschl.
v. 16.01.2017, Az. 12 A 833/16, juris, Rn. 37; VG Münster, Urt. v. 07.09.2016, Az. 9
K 3118/12, juris, Rn. 42 ff.
Da dieser rückwirkende Erstattungsanspruch zudem nach Nr. 9.4 ANBest-G
mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen ist, bergen gerade Verstöße gegen das Kartellvergaberecht ein ganz erhebliches
finanzielles Risiko, dass es seitens der Stadt Bochum zu vermeiden gilt.
7.
Ergebnis zu Punkt I
Nach allem ist die Stadt daher zur Beachtung des Kartellvergaberechts bei
der Vergabe der OGS-Betreuung verpflichtet. Verstöße hiergegen können
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zur Rückforderung der erhaltenen Fördermittel des Landes führen und bergen somit ein ganz erhebliches finanzielles Risiko für die Stadt Bochum.
II.
Zu den einzelnen Fragen
1. Keine unwesentliche Vertragsänderung i.S.d. § 130 Abs. 2 i.V.m.
§ 132 Abs. 3 GWB
Die Frage lautet:
„Kann vor dem Hintergrund der bestehenden Vertragssituation mit den
Trägern des Offenen Ganztags und der beabsichtigten Modifikation
dieser Verträge gemäß § 130 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auf die Durchführung eines Vergabeverfahrens verzichtet werden?“
§ 130 Abs. 2 GWB regelt folgendes:
„Abweichend von § 132 Abs. 3 ist die Änderung eines öffentlichen Auftrags über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne
des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU ohne Durchführung eines
neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn der Wert der Änderung nicht
mehr als 20 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes beträgt.“
Damit erleichtert § 130 Abs. 2 GWB öffentlichen Auftraggebern die Änderung
des Leistungsumfangs von sozialen Dienstleistungen. Die Regelung des
§ 132 Abs. 3 GWB erlaubt für sonstige Liefer- und Dienstleistungen lediglich
die Änderung eines öffentlichen Auftrags ohne Durchführung eines neuen
Vergabeverfahrens, wenn sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert und der Wert der Änderung
1. die jeweiligen Schwellenwerte nach § 106 nicht übersteigt und
2. bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nicht mehr als 10 Prozent
[...] des ursprünglichen Auftragswertes beträgt.
Bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen ist der Gesamtwert der Änderungen maßgeblich.
Für den Fall der Leistungen zur OGS-Betreuung bedeutet dies, dass ein über
diese Dienstleistungen geschlossener Vertrag ohne Durchführung eines
neuen Vergabeverfahrens geändert werden darf, wenn der Wert der Änderung, also das Entgelt für die zusätzlichen OGS-Betreuungsleistungen maximal 20 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes beträgt.
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...
Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Änderung ist jedoch immer,
dass der ursprüngliche Auftrag vergaberechtskonform im Wettbewerb erteilt
wurde. Die Möglichkeit der Änderung des Vertrags ohne erneutes Vergabeverfahren soll Auftraggebern hingegen nicht die Möglichkeit einräumen, unter
Verstoß gegen das Vergaberecht zustande gekommene Verträge weiter dem
Wettbewerb zu entziehen.
In einem solchen Fall ist der Auftraggeber vielmehr verpflichtet, vergaberechtskonforme Zustände herbeizuführen und den bisherigen Vertrag zu kündigen.
EuGH, Urt. v. 18.7.2007, Rs. C-503∕04; ausführlich GA Trstenjak, Schlussanträge
v. 28.3.2007, Rs. 503∕04, Rn. 76 ff.; OLG Schleswig, Beschl. v. 04.11.2014, Az. 1
Verg 1∕14; Fülling, in: Müller-Wrede, Kommentar zum GWB, 1. Aufl. 2016, § 133
Rn. 9; Püstow∕Meiners, EuZW 2016, 325 (328)
Ein entsprechendes Kündigungsrecht räumt § 133 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GWB
dem Auftraggeber ein.
Nach den uns vorliegenden Informationen wurden alle Verträge mit den gegenwärtigen Trägern der OGS-Betreuung direkt und ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens geschlossen. Einzelheiten, etwa zu vorgesehenen
Änderungsklauseln oder Optionen sind uns nicht bekannt. Auch diese würden den vorherigen Vergabeverstoß jedoch nicht beheben. Im Ergebnis sehen wir daher keine Möglichkeit, auf die Regelungen zur Vornahme vergaberechtskonformer Vertragsänderungen gemäß §§ 130 Abs. 2, 132 Abs. 3
GWB zu Gunsten der Stadt Bochum zurück zu greifen.
2. § 5 Abs. 1 KiBiz führt nicht zu einer Befreiung vom Vergaberecht
Die Frage lautet wie folgt:
„Handelt es sich aufgrund der nach § 5 Abs. 1 Kinderbildungsgesetz
(KiBiz) normierten engen Verknüpfung mit der Jugendhilfe um einen
vergaberechtsfreien Vorgang?“
Der Wortlaut des § 5 Abs. 1 KiBiz, der „Angebote für Schulkinder“ regelt,
lautet:
„(1) Das Jugendamt kann die Verpflichtung nach § 24 SGB VIII, für
Kinder im schulpflichtigen Alter nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten, auch durch entsprechende Angebote in Schulen erfüllen. Dies gilt nach Ende des Kindergartenjahres auch für Kinder, die
im selben Kalenderjahr eingeschult werden. Hierbei soll es mit den
Trägern der freien Jugendhilfe zusammenwirken.“
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Eine Befreiung vom Vergaberecht kommt grundsätzlich nur dann in Betracht,
wenn eine der im GWB geregelten Bereichsausnahmen oder andere besondere Ausnahmeregelungen eingreifen. Dies ist für Leistungen der OGS-Betreuung nicht der Fall. Wie bereits dargelegt, zählt Anhang XIV zur Richtlinie
2014/24/EU soziale Dienstleistungen wie die der OGS-Betreuung zu den besonderen Dienstleistungen, die dem Vergaberecht unterfallen. Für sie gelten
lediglich Erleichterungen für die Durchführung eines Vergabeverfahrens. Zu
diesen gehört, neben den besprochenen höheren Grenzen für Vertragsänderungen, gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 GWB die freie Wahl der Art des Vergabeverfahrens.
Der Wortlaut des § 5 KiBiz sieht eine solche enge Beschränkung jedoch nicht
vor. Es ist ausdrücklich nur davon die Rede, dass das Jugendamt mit den
Trägern der freien Jugendhilfe zusammenwirken soll. Daraus folgen keine
ausschließlichen Rechte oder Pflichten des Jugendamtes. In diesem Fall
hätte der Gesetzgeber etwa anstelle des Verbes „soll“ ein „muss“ vorsehen
können. Aus der gegenwärtigen Formulierung lässt sich daher nicht schließen, dass das Jugendamt nicht auch mit anderen Trägern zusammenarbeiten darf.
Selbst wenn man die Regelung des § 5 Abs. 1 KiBiz aber so eng sehen
wollte, wäre noch immer ein Wettbewerb zwischen den verschiedenen Trägern der Jugendhilfe möglich. Gegen diese enge Sichtweise spricht allerdings, dass auch die Vergabekammer (VK) Rheinland bereits ausdrücklich
Zweifel daran zum Ausdruck gebracht hat, ob im Rahmen der Eignungsnachweise eine Beschränkung der Bewerber dadurch erfolgen könnte, dass die
Zulassung als Träger der freien Jugendhilfe als zwingender Eignungsnachweis gefordert werden könnte.
VK Rheinland, Beschl. v. 15.12.2016, Az. VK VOL 23/16, S. 19
Eine solche Beschränkung des Wettbewerbs wäre daher mit erheblichen Risiken verbunden, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass konkurrierende Bewerber, die nicht über diesen Nachweis verfügen, dagegen erfolgreich vorgehen würden. Dies würde zur Zurückversetzung des Vergabeverfahrens und somit einem erheblichen Zeitverlust für die Stadt führen.
Erst recht folgt hieraus jedoch, dass § 5 Abs. 1 KiBiz den öffentlichen Auftraggeber nicht von der Anwendung des Kartellvergaberechts befreit.
3. Keine Dienstleistungskonzession
Eine weitere Frage lautet:
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„Handelt es sich ggf. um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder
um die Vergabe einer Dienstleistungskonzession?“
Wie bereits unter Punkt I.2 dargelegt, handelt es sich um einen öffentlichen
Auftrag, da der jeweilige Auftragnehmer eine entgeltliche Leistung erbringt,
aber aufgrund der Vergütung in festen Pauschalen und anhand von Elternbeiträgen, deren Höhe nach Maßgabe der Elternbeitragssatzung Schulbetreuung der Stadt Bochum festgelegt wird, kein eigenes wirtschaftliches Risiko trägt.
4. Verfahrensart zur Wahrung der bisherigen Qualitätsstandards
Zu diesem Punkt wurde die folgende Frage gestellt:
„Welches ggf. in Betracht kommende Vergabeverfahren stellt am ehesten sicher, dass unter Berücksichtigung der sozialräumlichen Orientierung die bisherigen Qualitätsstandards kontinuierlich fortgeführt werden können?“
Für die Vergabe sozialer Dienstleistungen wie der OGS-Betreuung sieht
§ 130 Abs. 1 S. 2 GWB die freie Wahl der Verfahrensart durch den Auftraggeber vor. Das heißt, dass dieser frei zwischen dem offenen Verfahren, dem
nicht offenen Verfahren, dem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, dem wettbewerblichen Dialog und der Innovationspartnerschaft wählen kann. Für die vorliegenden Leistungen bieten sich die beiden zuletzt genannten Verfahrensarten allerdings nicht an.
Die drei anderen Verfahrensarten haben jeweils ihre eigenen Vor- und Nachteile. So ist das offene Verfahren das Verfahren, dass am schnellsten durchgeführt und abgeschlossen werden kann. Die Beschleunigung folgt hier insbesondere daraus, dass das Verfahren nur eine einzige Phase bis zur Angebotsabgabe umfasst, also in der Regel nach 35 Tagen die Angebote vorliegen müssen. Zudem kann die vollständige Eignungsprüfung zur Schonung
der Ressourcen des Auftraggebers auf die aussichtsreichsten Bieter beschränkt werden.
VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.06.2014, Az. 1 VK 24/14, juris, Rn. 104;
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.07.2012, Az. VII-Verg 13/12, juris, Rn. 13; VK
Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.05.2012, Az. VK 2 - 11/12, juris, Rn. 71
Als Nachteil des offenen Verfahrens wird es häufig empfunden, dass für den
Auftraggeber mehr Aufwand bei der Angebotsprüfung entstehen könne, weil
jedes interessierte Unternehmen auch ein Angebot abgeben könne. Dem
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Auftraggeber könne insoweit der vorgeschaltete Teilnahmewettbewerb fehlen, auf dessen Ebene er Bewerber bereits anhand ihrer Eignungsnachweise
ausschließen und somit die Bieterzahl reduzieren könne. Auch habe der Auftraggeber keine Möglichkeit, mit den Bietern über ihre Angebote zu verhandeln. Er kann also nicht die Qualität der Leistungserbringung zum Verhandlungsgegenstand machen und ggf. eine entsprechende Nachbesserung verlangen.
Als Vorteil des nicht offenen Verfahrens wird demzufolge teilweise der vorgeschaltete Teilnahmewettbewerb gewertet. Dieser führt jedoch zu einem
höheren Aufwand beim Auftraggeber, da er zunächst eine vollständige Eignungsprüfung aller Bewerber durchführen muss. Zudem müssen die Bewerber über das Ergebnis dieser Prüfung zunächst informiert werden, bevor die
ausgewählten Bieter zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden können. Darüber hinaus hat der Auftraggeber auch beim nicht offenen Verfahren
keine Möglichkeit, mit den Bietern über ihre Angebote und die Qualität ihrer
Leistungen zu verhandeln.
Die größten Vorteile dürfte vorliegend daher ein Verhandlungsverfahren mit
Teilnahmewettbewerb bieten. Zwar entsteht auch hier der zusätzliche faktische und zeitliche Aufwand aufgrund des vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs, also der ausführlichen Prüfung der Eignung aller Bewerber. Allerdings
gibt das Verfahren zum einen die Möglichkeit, bereits hier, etwa anhand der
Referenzen, eine bestimmte Qualität der üblicherweise von dem Bewerber
erbrachten Leistungen zu verlangen und zu überprüfen. Außerdem können
entsprechend hohe Anforderungen auch an die Qualifikation oder einschlägige Erfahrung bestimmter Mitarbeiter gestellt werden.
Darüber hinaus besteht im Zuge des eigentlichen Verhandlungsverfahrens
die Möglichkeit, die Einzelheiten der Qualität der beabsichtigten Leistungserbringung durch den Bieter zu verhandeln. Er kann etwa zur Vorstellung von
Konzepten verpflichtet und anschließend ggf. zu deren Nachbesserung verpflichtet werden.
Unter Abwägung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Verfahren würden wir zur Durchführung eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb raten, da es Einflussmöglichkeiten auf die Qualität der Leistungen
gibt, die die anderen Verfahrensarten nicht bieten.
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5. Zum Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom
23.12.2010
Der Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23.12.2010
zu gebundenen und offenen Ganztagsschulen sowie außerunterrichtlichen
Ganztags- und Betreuungsangeboten in Primarbereich und Sekundarstufe I
BASS 12 - 63 Nr. 2, ABl. NRW. 1/11, S. 38
enthält zu den abzuschließenden Kooperationsvereinbarungen folgende Regelung:
„6.8 Die Zusammenarbeit zwischen Schulträger, Schule und außerschulischem Träger beruht auf einer Kooperationsvereinbarung. Partner dieser Vereinbarung sind der Schulträger, die Schulleiterin oder der Schulleiter und der außerschulische Träger. Der Schulträger beteiligt den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Die Schulleiterin oder der Schulleiter berücksichtigt die Beschlüsse der Schulkonferenz. Die Vereinbarung hält insbesondere Rechte und Pflichte der Beteiligten fest und regelt die gegenseitigen Leistungen der Kooperationspartner sowie u.a. die Verfahren zur Erstellung und Umsetzung des
pädagogischen Konzepts, den Zeitrahmen, den Personaleinsatz, darunter u.a. die Verwendung von Lehrerstellenanteilen, Vertretungsund Aufsichtsregelungen, Regelungen für den Umgang bei Konflikten,
erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten des Personals außerschulischer
Träger sowie Regelungen zur Beteiligung der Eltern und der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler.“
Die Frage bezieht sich auf Nr. 1.3 des Runderlasses, der folgenden Wortlaut
aufweist:
„1.3
Eine zentrale Grundlage ist die Zusammenarbeit von Schule, Kinderund Jugendhilfe, gemeinwohlorientierten Institutionen und Organisationen aus Kultur und Sport, Wirtschaft und Handwerk sowie weiteren
außerschulischen Partnern. Sie soll fortgeführt und weiter intensiviert
werden. Die Beteiligung von gewinnorientierten Trägern und kommerziellen Nachhilfeinstituten ist unzulässig (§ 55 SchulG).“
§ 55 SchulG NRW lautet wie folgt:
(1) Der Vertrieb von Waren aller Art und andere wirtschaftliche Betätigungen sind mit Ausnahme des Vertriebs von Speisen und Getränken, die zum Verzehr in Pausen und Freistunden bestimmt sind, in
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der Schule unzulässig. Art und Umfang des Angebots sowie die Art
des Vertriebs von Speisen und Getränken werden unter Beteiligung
der Schulkonferenz im Einvernehmen mit dem Schulträger festgelegt.
Fraglich ist daher, ob daraus zu schließen ist, dass mit wirtschaftlich tätigen
Unternehmen keine Vereinbarungen über die OGS-Betreuung geschlossen
werden dürfen.
Die Gesetzesbegründung zu § 55 SchulG sieht keine Erläuterungen zum
Zweck dieser Regelung vor. Vielmehr verweist sie darauf, dass hiermit die
Regelung des § 47 Abs. 4 Allgemeine Schulordnung NRW (ASchO) übernommen wurde. Bei der „Allgemeinen Schulordnung“ handelt es sich um eine
Regelung aus dem Jahr 1978. § 47 findet sich im zehnten Abschnitt der ASchO, der unter dem Titel „Hausrecht, Haftung, Rechtsbehelfe“ die wesentlichen Regelungen zu diesen Themen regelt. § 47 ASchO selbst hat die amtliche Überschrift „Hausrecht, Warenverkauf, Sammlungen“. Aus der systematischen Stellung des $ 47 ASchO ergibst sich daher, dass es sich hierbei
um eine gesetzliche Ausgestaltung des Hausrechts des Schulträgers handelt. Sinn und Zweck der Regelung ist erkennbar die Sicherstellung der ungestörten Ausübung eines ungestörten Schulbetriebs.
Eine Auseinandersetzung mit Fragen dazu, inwieweit eine Betreuung von
Schülern außerhalb des Unterrichts in der Schule erfolgen könnte und ob
hierbei möglicherweise neben dem Schulträger selbst auch andere diese Betreuung übernehmen könnten, fand im Zusammenhang mit dieser Regelung
zum damaligen Zeitpunkt erkennbar nicht statt.
Systematisch ist die Neuregelung in § 55 SchulG nun in den „Weiteren Vorschriften zum Schulverhältnis“ verortet. Eine konkrete Überschrift für diesen
Abschnitt fehlt. § 55 steht zwischen erzieherischen Maßnahmen, Ordnungsmaßnahmen gegenüber Schülern, Regelungen zur Schulgesundheitspflege
und zum Verteilen schulfremder Druckschriften auf dem Gelände der Schule.
Auch bei diesen Regelungen liegt der Schwerpunkt daher erkennbar in der
Regelung von Sicherheit und Ordnung und einem ungestörten Schulbetrieb.
Zudem zeigt der bloße Verweis auf die frühere Regelung des § 47 Abs. 4
ASchO in der Begründung des Gesetzgebers zur aktuellen Regelung in § 55
SchulG, dass Erwägungen über eine Betreuung von Schülern außerhalb des
Unterrichts in der Schule auch im Jahr 2005 nicht Gegenstand des Gesetzgebungsprozesses waren.
Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber im Jahr 2005 sich zwar die Einführung der offenen Ganztagsschulen vergegenwärtigt hatte, aber lediglich darauf verwies, dass bereits mit dem Schulrechtsänderungsgesetz 2003 erste
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entwicklungsoffene Regelungen zur offenen Ganztagsschule getroffen worden seien und nunmehr nur die gesetzliche Beschränkung der offenen Ganztagsschule auf die Primarstufe aufgegeben worden sei. Alles Weitere wollte
der Gesetzgeber ausdrücklich nicht regeln, sondern erst einmal abwarten:
„Mit der Entwicklung der offenen Ganztagsgrundschule seit dem
Schuljahr 2003/2004 wird sich in der Praxis erweisen, ob weitere Regelungen notwendig sind, um diese Reform des schulischen Bildungssystems gesetzlich zu verankern.“
Im Ergebnis handelt es sich bei § 55 Abs. 1 SchulG daher um eine landesrechtliche Reglung, die das Land NRW auf Grundlage des Art. 70 GG erlassen durfte, da Schulen und Bildung in der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder liegen. Etwas anderes gilt hingegen für das Recht der
Wirtschaft, zu dessen Regelungen auch die vergaberechtlichen Regelungen
des vierten Teils des GWB gehören. Die Gesetzgebungskompetenz des
Bundes dafür beruht auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft), Art.
74 Abs. 1 Nr. 16 GG (Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung), Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (gerichtliches Verfahren) und dient im Sinne
des Art. 72 Abs. 2 GG der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit.
Soweit § 55 SchulG daher Auswirkungen auf die Wirtschaft hat, steht die
Regelung im Widerspruch zum aktuellen GWB und den damit umgesetzten
europarechtlichen Vorgaben der Richtlinien 2014/24/EU und 2014/23/EU.
§ 55 SchulG kann keine Ausnahme vom Geltungsbereich des Kartellvergaberechts begründen, da das Land NRW insoweit keine Gesetzgebungskompetenz hat. Infolgedessen muss die Regelung in ihrer Geltung zurücktreten,
soweit sie Auswirkungen auf die Wirtschaft hat und damit gegen aktuelles,
höherrangiges Recht verstößt.
Dies muss daher auch und erst Recht für die Regelung in Nr. 1.3 des Runderlasses gelten. Soweit sich dieser auf § 55 SchulG beruft, ist wegen der
völlig anderen Zielrichtung, die mit der Regelung der Nr. 1.3 verfolgt wird,
schon fraglich, ob dieser insoweit überhaupt auf § 55 Abs. 1 SchulG NRW
gestützt werden kann. Hinzu kommt jedenfalls, dass ein Landesministerialerlass nicht geeignet ist, geltendes Bundesrecht einzuschränken.
Hinzu kommt, dass die eigentliche Regelung zum Abschluss der Kooperationsvereinbarungen keine Aussage dazu vorsieht, ob bei ihrem Abschluss
Vergaberecht anzuwenden ist oder nicht. Im einschlägigen Internetauftritt
des Ministeriums für Bildung und Entwicklung, dem „Bildungsportal des Landes Nordrhein-Westfalen“ verweist das Ministerium auch selbst darauf, dass
das Vergaberecht eine der im Rahmen des „Ganztags“ zu beachtenden
Rechtmaterien darstellt.
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https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Ganztag/Recht-imGanztag/index.html
Auf der hierzu verlinkten Seite zu den geltenden Rechtsgrundlagen für den
OGS
http://www.ganztag-nrw.de/information/ganzrecht/
wird zudem ausdrücklich ausgeführt, dass die Vergabe der Trägerschaft des
OGS im Wege von förmlichen Vergabeverfahren erfolgen muss.
http://www.ganztag-nrw.de/information/ganzrecht/kooperation/
Nach allem wollte das Ministerium mit seinem Runderlass also auch nach
seiner ausdrücklich dargelegten Rechtsauffassung nicht das Vergaberecht
aushebeln. Dieses ist vielmehr vollumfänglich anzuwenden.
Essen, 19.06.2017
Dr. Stefan Mager
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Vergaberecht
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