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Anlage 2 Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS).pdf

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Daten

Kommune
Köln
Dateiname
Anlage 2 Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS).pdf
Größe
792 kB
Erstellt
03.11.17, 03:27
Aktualisiert
24.01.18, 05:17

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Inhalt der Datei

37 374 Prof. Lechleuthner 02.09.2017 Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) Ein Beitrag zur Optimierung des Rettungsdienstes unter den Rahmenbedingungen weiterhin steigender Einsatzzahlen Alex Lechleuthner Kurzfassung: Seit Jahren steigen die Einsätze im Rettungsdienst an (4-10% jährlich), ohne dass ein Ende absehbar ist. Eine wesentliche Information dabei ist, dass es nicht die lebensbedrohlichen Einsätze sind, die ansteigen. Von den Einsatzkräften wird dies beklagt („immer mehr Bagatellen“) und bei den Trägern des Rettungsdienstes führt dies zu einer beständigen Anpassung durch den Zusatz von Rettungsmitteln, Fachpersonal und Baumaßnahmen. Die Diskussionen, wie damit umgegangen werden kann, haben bislang schon zu zahlreichen Vorschlägen geführt. In diesem Papier wird der Vorschlag eines „gestuften Versorgungssystem im Rettungsdienst“ (GVS) vorgestellt und soll einen Beitrag zur Weiterentwicklung liefern. Kernelemente sind im Bereich der Gefahrenabwehr die Herausnahme von „Akutfällen“ aus der hilfsfristgestützten Bedienung mit Einsatzmitteln der Notfallrettung (akute innere und äußere Gefahren) und die Einführung von zwei neuen, zusätzlichen Versorgungsstufen, dem Notfall-Krankentransport (für äußere Gefahren mit drohenden inneren Gefahren) und einem Arztbesetzten Fahrzeug (NEF, eigenes Fahrzeug, aber ggf. auch RTW mit ärztlicher Supervision) für Akutfälle mit drohenden inneren Gefahren, die Reaktions-Zeitfenstern zwischen 20 und 60 min ermöglichen. Das GVS eröffnet damit eine differenzierte Entsendungstaktik und erhöht damit die Anforderungen an die Leitstelle. Die Zuständigkeiten der anderen notfallmedizinischen Versorgungsbereiche, die Krankenhaus- und die vertragsärztliche Versorgung, werden durch das GVS nicht tangiert. (DOI: 10.13140/RG.2.2.26984.57609) Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 1 Inhaltsverzeichnis 1. Notfallmedizinische Versorgung in Deutschland .............................................................................. 4 2. Steigende Einsatzzahlen im Rettungsdienst – Ursachen................................................................ 6 3. Im öffentlichen Fokus - Hilfsfristen im Rettungsdienst ..................................................................... 8 3.1. Steigende Einsatzzahlen durch nicht-lebensbedrohliche Notfälle .................................................... 9 3.2. Zeit – was bedeutet sie für die Rettung ? .......................................................................................... 9 3.3. Eine im Prinzip gleichbleibende Zahl von zeitkritischen Notfällen und eine gleichzeitig stetig steigende Zahl von Rettungseinsätzen – wie passt das zusammen?...................................................... 11 4. Diskussion Lösungsansatz 1 – Erhöhung der Anzahl hilfsfristbasiert stationierter Rettungsmittel ........................................................................................................................................... 13 4.1. Erforderliche Neubauten ................................................................................................................. 13 4.2. Bestehender Fachkräftemangel ....................................................................................................... 14 4.3. Mitarbeiterbelastung ....................................................................................................................... 14 4.4. Nachteil – steigende Kosten denen kein medizinischer Nutzen gegenübersteht ........................... 15 4.5. Vorteil und Sicherheit des Lösungsvorschlags 1 .............................................................................. 16 4.6. Zusammenfassende Bewertung des Lösungsansatzes 1 ................................................................. 16 5. Diskussion Lösungsansatz 2 - Die Leitstelle differenziert die Anrufe nach Dringlichkeit ......... 17 5.1. Rettungsdienst mit RTW und Notarzt (NEF, RTH) ............................................................................ 18 5.2. Rettungsdienst mit qualifiziertem Krankentransport (KTW) ........................................................... 18 5.3. Vergabe an die II. Säule der Notfallversorgung – die niedergelassenen Ärzte ................................ 19 5.4. Der „Akutfall“ eine neue Patientengruppe ? ................................................................................... 21 5.5. Abgrenzung von Notfall- und Akutpatienten unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr – Vorschlag einer Klassifizierung................................................................................................................ 22 5.6. Wie könnte bei diesen Rahmenbedingungen eine bessere Verzahnung zwischen der 2. Säule (niedergelassene Ärzte) und der 3. Säule (Rettungsdienst) aussehen ? ................................................ 24 Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 2 5.7. Ist es schon jetzt möglich lebensbedrohliche Erkrankungen in der Leitstelle zu erkennen und beschleunigt zu bearbeiten ? .................................................................................................................. 25 5.8. Identifizierung, Triagierung und Priorisierung – Auswirkungen auf die Leitstelle........................... 27 5.9. Zusammenfassende Bewertung des Lösungsansatzes 2 ................................................................. 28 6. Umsetzungsvorschlag – ein gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) ............ 28 6.1. Gestuftes Versorgungsystem im Rettungsdienst (GVS) ................................................................... 29 6.2. Mehr Patienten für den Rettungsdienst ? ....................................................................................... 33 6.3. Gibt es Hindernisse bei der Umsetzung eines GVS ? ....................................................................... 33 7. Zusammenfassung und Ausblick ...................................................................................................... 35 8. Literaturverzeichnis ............................................................................................................................. 38 Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 3 1. Notfallmedizinische Versorgung in Deutschland Die notfallmedizinische Versorgung in Deutschland ruht auf drei Säulen, deren Entwicklung historisch gewachsen ist. Das 3-Säulen-System erklärt sich aus der Aufbauarbeit ab dem Nachkriegsdeutschland der 50iger. Zunächst wurde in Deutschland nach dem II. Weltkrieg das „zwei Säulenmodell“ der gesamtmedizinischen Versorgung gesetzlich (RVO) etabliert. Die erste Säule stellt die „stationäre Versorgung“ durch die Krankenhäuser dar, die zweite die „ambulante Versorgung“ durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Der Krankentransport bzw. die „Unfallrettung“ wurde damals (noch) nicht als medizinisches Versorgungssystem wahrgenommen, da außer einigen Basismaßnahmen nichts anderes als „Transport“ gemacht worden ist. Dies spiegelt sich im Refinanzierungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) bis heute wieder, in dem der Rettungsdienst nach wie vor unter „Fahrtkosten“ geführt wird. Der Rettungsdienst von heute hat sich zwischenzeitlich zu einem leistungsfähigen Versorgungssystem weiterentwickelt, in dem alle notfallmedizinischen und intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten verfügbar sind. Er ist in verschiedene Leistungssegmente ausdifferenziert, wie die flächendeckende und reaktionsschnelle Abdeckung mit Fahrzeugen des Regelrettungsdienstes (Notarzteinsatzfahrzeuge, Rettungswagen), dem Luftrettungsdienst mit Notarzt (Rettungs- und Intensivtransporthubschrauber), dem Spezialrettungsdienst mit Intensivtransport, Schwergewichtigen Transport, Inkubatortransport für Frühgeborene und dem Infektionstransport mit besonders ausgestatteten Fahrzeugen. Der Rettungsdienst trägt den Weiterentwicklungen der klinischen Versorgung Rechnung, indem er die Zentrenbildung (z.B. Schlaganfallstationen, Traumazentren, Herzkatheterlabore, Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 4 Spezialabteilungen, etc.) erfasst und die Notfallpatienten mit dem akuten Bedarf, der anhand eigenständiger Diagnostik festgestellt wird, an zeitkritischer Spezialversorgung unmittelbar dorthin transferiert werden. Früher kam der Patient erst in das nächste Krankenhaus, wo die erste Diagnostik gemacht werden konnte, um dann zu entscheiden, ob eine Weiterverlegung notwendig wird. Die dabei auftretenden Zeitverluste können heute vermieden werden. Möglich wurde dies mit der Professionalisierung des Rettungsdienstes, die einher ging mit einer Verbesserung der Ausbildungen. Beispielhaft sind hier zu nennen 1977 Rettungssanitäter, 1989 Rettungsassistent, 2014 Notfallsanitäter, ab 2002 spezielle Studienangebote für technisch-organisatorische Bereiche (z.B. Rettungsingenieur an der TH Köln), sowie im ärztlichen Bereich die Ausbildung „Arzt im Rettungsdienst“, sowie die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“. Hinzu kommen eine Vielzahl von Sonderausbildungen und -kursen für einzelne Segmente im Rettungsdienst, sowie eine konsequente und umfangreiche Weiterentwicklung der Konzepte sowohl für konkrete Notfallbilder (z.B. Algorithmen, SOP, SAA, etc.) als auch für Einsatzpläne bei Großschadens- und Sonderlagen (z.B. MANV, Ü-MANV, Terror, Amok, etc.). Die Rückfallebenen bei Großschadenslagen bilden dabei der Krankentransport und die Ressourcen des Katastrophenschutzes. Zentraler Baustein des Rettungsdienstes ist die Rettungsleitstelle mit ihrer zentralen Erreichbarkeit über die Notrufnummer 112, die den Zugang zum Rettungsdienst rund um die Uhr ermöglicht (= „niederschwelliges“ Zugangssystem). Diese Darstellung illustriert eindrucksvoll die heutigen Möglichkeiten des Rettungsdienstes bei akut lebensbedrohlichen Notfällen und Unfällen, für die der Rettungsdienst ausgelegt ist. Damit ist der Rettungsdienst zu einer eigenständigen und leistungsfähigen 3. Säule der notfallmedizinischen Versorgung in Deutschland aufgewachsen. Der Zusammenhang zwischen Notfallversorgung und klinischer Weiterbehandlung, wurde zuletzt im Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 5 sogenannten Eckpunktepapier 2016 zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Prähospitalphase und in der Klinik“ (Fischer et al. 2016) adressiert. 2. Steigende Einsatzzahlen im Rettungsdienst – Ursachen Die Anzahl der Notrufe, die zu einem Rettungseinsatz führen, steigen in den meisten Gebieten Deutschlands kontinuierlich an. In Köln sind es jährlich im Mittel +4,5 %, aus anderen Regionen werden teilweise auch 8 oder 10% berichtet (Lechleuthner und Wesolowski, 2015). Allerdings sind die Ursachen für die steigende Inanspruchnahme der Ressourcen im Notfallbereich bislang wenig untersucht. Häufig werden der demographische Wandel (Menschen werden immer älter) und das gestiegene Anspruchsdenken vermutet. Blickt man in die verfügbaren Fakten, stellt man rasch fest, dass die Datenlage dazu dürftig ist. Zwar sind sich die in der rettungsdienstlichen Praxis tätigen Kräfte überwiegend einig, dass hinter einem beträchtlichen Anteil der (steigenden) Anzahl von Notrufen keine lebensbedrohlichen Notfälle stecken, allerdings sind die bisher dazu verfügbaren, dokumentierten Daten nicht so belastbar, dass sich eine flächendeckende Quantifizierung dazu machen ließe. Das liegt zum einen darin, dass nur wenige (wenngleich derzeit stark wachsend) Rettungsdienste bislang über eine elektronische Datenerfassung verfügen. Zum anderen liegt es aber auch darin, dass sich die derzeitigen Dokumentationssysteme (sie orientieren sich überwiegend an den vorhandenen DIVI-Protokollsystemen) überwiegend auf Notfall- und Unfallsituationen beziehen. Das hat zur Folge, daß beispielsweise auch Bagatellerkrankungen unter dem Signum „Notfall“ dokumentiert werden und die Schwere der Erkrankung überwiegend nur mit einer „Schätzskala“ (7 NACA-Stufen), speziell in den interessierenden Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 6 Übergangsbereichen zwischen lebensbedrohlich und nicht lebensbedrohlich, relativ grob klassifiziert wird. Zwar gibt es zahlreiche Ansätze, die Genauigkeit der Aussagen in den Notfallprotokollen zu steigern, allerdings läßt sich daraus nicht ohne weiteres eine verlässliche Klassifizierung ableiten und deshalb auch der konkrete Versorgungsbedarf identifizieren. Damit ist es auch kaum möglich zu beschreiben, wie ein zur Versorgung geeignetes System aussehen kann. Auch für eine Optimierung des Zusammenspiels zwischen den an der Notfallversorgung beteiligten Systemen (Notfallaufnahme Krankenhaus, ambulante medizinische Versorgung und Rettungsdienst) liefern diese Dokumentationen in den Notfallprotokollen keinen nennenswerten Beitrag. Der Rettungsdienst weist gegenüber den anderen beiden Säulen jedoch eine Besonderheit auf, es gibt für ihn keine vergleichbare Alternative. Das führt dazu, daß alle Hilfeersuchen, bei denen die Patienten nicht, oder nicht schnell genug in den beiden anderen notfallmedizinischen Säulen (Arztpraxis oder Krankenhaus) versorgt werden können, letztlich auf den Rettungsdienst angewiesen sind. Damit erklärt sich auch, dass die steigende Nachfrage der Bevölkerung nach - aus der individuellen Sicht - dringlichen medizinischen Dienstleistungen ebenso zu einer steigenden Inanspruchnahme des Rettungsdienstes führt, wie bei den anderen Säulen der notfallmedizinischen Versorgung.1 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich die Fachleute einig sind, dass der Anstieg der Einsatzzahlen im Rettungsdienst im Wesentlichen durch nicht unmittelbar lebensbedrohliche Erkrankungen ansteigt. 1 http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/notaufnahmen-lange-wartezeiten-anspruchsvolle-patienten-a1116540.html Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 7 Die stärkere Inanspruchnahme des Rettungsdienstes führt dabei zu einer stärkeren Auslastung der vorhandenen Einsatzmittel und das hat Auswirkungen auf die Hilfsfristen im Rettungsdienst. 3. Im öffentlichen Fokus - Hilfsfristen im Rettungsdienst In den letzten Jahren rückten die Hilfsfristen im Rettungsdienst durch Medienberichte immer mehr in den Blickwinkel der Öffentlichkeit. Der Berichterstattung ist dabei häufig zu entnehmen, dass es den Rettungsdiensten immer seltener gelingt, Hilfsfristen von z.B. 8 oder 12 min einzuhalten. Die Schlussfolgerung, die sich daraus aufdrängt ist, dem Bürger wird immer später geholfen, möglicherweise können Verletzungen sich dabei verschlimmern, oder sogar Menschen sterben, die nicht rechtzeitig, z.B. nach einem plötzlichen Kreislaufstillstand, erreicht werden können. Aus diesem Grund ist eine intensivere Beschäftigung sowohl mit der „rettungsdienstlichen Hilfsfrist“ als auch mit dem Gesamtsystem „Rettungsdienst“ erforderlich, um den Zusammenhang zwischen Hilfsfristerreichungsgraden, den damit möglicherweise verbundenen Auswirkung auf die Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern, sowie die Ursachen für die Hilfsfristproblematik besser bewerten und auch lösen zu können. Der Begriff „Hilfsfrist“ bedeutet für den Rettungsdienst eine Planungsgröße, die ein Schutzziel für die Bevölkerung bildet, wie lange der einzelne Bürger warten muss, bis der Rettungsdienst ihn nach dem Notruf über die 112 erreicht. Hilfsfristen bilden die Grundlage für die Standortplanung von Rettungsmitteln und ihrer Anzahl. Für das Schutzziel wird die Hilfsfrist üblicherweise in Minuten und mit ihrem Erreichungsgrad (= Qualität) angegeben. Beispielweise 8 min in 90% aller Fälle. In einigen Bundesländern ist die Hilfsfrist in den Landes-Rettungsdienstgesetze enthalten, in anderen in Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 8 Landesplänen oder in kommunalen Rettungsdienstbedarfsplänen. Die Überwachung ihrer Einhaltung ist heute durch die elektronischen Hilfsmittel einfacher geworden. 3.1. Steigende Einsatzzahlen durch nicht-lebensbedrohliche Notfälle Die notfallmedizinische Fokussierung auf die echten schwerwiegenden und zeitkritischen Notfälle und Unfälle verstellt den Blick auf die andere, tatsächlich stark steigende Gruppe von Menschen, zu denen der Rettungsdienst eilt. Es sind die Patienten, die keine lebensbedrohliche Erkrankung aufweisen, sondern einfachere Erkrankungen bis hin zur Bagatellerkrankung oder völlig andere, nicht-medizinische Probleme, bei denen immer wieder auch andere Faktoren (z.B. Singlehaushalt, Hilflosigkeit, Armut, Sprachbarrieren, persönliche oder familiäre Krisen, etc.) Auslöser für einen Rettungseinsatz sind, weil es eben keine Alternative zu dem niederschwellig verfügbaren (Notruf 112) und zum rasch reagierenden Rettungsdienst gibt. Betrachtet man die Häufigkeit der echten zeitkritischen Notfälle, so wird von vielen Fachleuten berichtet, dass ihre Anzahl in den letzten Jahren nicht angestiegen ist, sondern in etwa gleichbleibt (Schwerstverletzte, Herzinfarkte), oder sogar sinkt (z.B. Wiederbelebungen) (Lechleuthner 2015). Lediglich bei den eventbezogenen Einsätzen (Intoxikationen, kleinere Verletzungen) gibt es zumindest in Ballungszentren einen Anstieg, wenngleich aufgrund der spezifischen Auswerteroutinen, die dafür erforderlich sind, genauere Zahlen schwierig beschaffbar sind. 3.2. Zeit – was bedeutet sie für die Rettung ? Wenn eine Person, z.B. durch einen akuten Herzinfarkt, einen plötzlichen Kreislaufstillstand erleidet, beginnt ab dem Zusammenbruch die Überlebens-Uhr zu ticken. Kommt die Hilfe in 5 min, überleben etwa noch die Hälfte dieser Menschen, kommt sie in 8 min, sind es weniger als 10% und kommt sie später, ist das folgenlose Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 9 Überleben die Ausnahme. Nach einer erfolgreichen Wiederbelebung im Rettungsdienst muss der Patient in einer geeigneten Klinik weiterbehandelt werden. Auch die Möglichkeiten und Erfahrung in dieser Weiterbehandlungskette hat Einfluss auf das Überleben (Scholz et al. 2017). Bis heute gilt, dass sich in großstädtischen Bereichen, bei bis zu 50% der vor Ort wiederbelebten Patienten ein Kreislauf wiederherstellen läßt, jedoch letztlich nur wenige Patienten dieses Ereignis definitiv überleben. Die aktuelle Auswertung des Deutschen Reanimationsregisters zeigt, dass in Deutschland derzeit das Überleben nach einer Reanimation seit Jahren bei rund 12 % verharrt (Gräsner et al. 2017). Erleidet eine Person einen Schlaganfall durch einen Blutpfropf, sollte sie so schnell wie möglich eine differenzierte Hirndarstellung (z.B. CT mit Kontrastmittel, MRT) erhalten, um das Problem zu erkennen und die geeigneten Maßnahmen dafür einzuleiten. Das sollte alles innerhalb von 4,5 h erfolgen.2 Beim akuten Herzinfarkt werden heute 120 min bis zur Wiedereröffnung des verschlossenen Gefäßes mittels Herzkatheter als Zeitfenster angegeben3, beim Schwerverletzten sollte nicht länger als 1 h vergehen, bis er bei der definitiven Versorgung in einem geeigneten Traumazentrum ankommt4. Das bedeutet, dass die Zeit zwischen dem notfallursächlichen Ereignis und der definitiven Hilfe bei etlichen Notfallarten eine kritische Rolle spielt und ihr damit eine hohe Bedeutung zukommt. 2 Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html 3 Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie: http://leitlinien.dgk.org/files/2014_Empfehlungen_zur_Organisation_von_Herzinfarktnetzwerken.pdf 4 Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie: http://www.dguonline.de/fileadmin/published_content/5.Qualitaet_und_Sicherheit/PDF/20_07_2012_Weissbuch_Schwerverletzt enversorgung_Auflage2.pdf Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 10 3.3. Eine im Prinzip gleichbleibende Zahl von zeitkritischen Notfällen und eine gleichzeitig stetig steigende Zahl von Rettungseinsätzen – wie passt das zusammen? Die erste Frage ist, was sind das für Einsätze, die zwar zahlenmäßig ansteigen, die aber keine zeitkritischen Notfälle sind ? Aufgrund der dafür schwachen Datenlage bleibt lediglich die Beschreibung einzelner, typischer Einsatzsituationen in Verbindung mit den dazu gehörigen Rahmenbedingungen, die nachvollziehbar machen, warum es in diesen Fällen zu einem Hilfeersuchen an den Rettungsdienst gekommen ist. Beispiele:  Ein 80ig jähriger Mann, der in einem Singlehaushalt wohnt, mit einer vorbestehenden chronischen Lungenerkrankung, bekommt eine saisonale Grippe, die aufgrund seiner Vorerkrankung für ihn bedrohlich wird, so dass er sich auch nicht mehr selbst versorgen kann.  Eine 30 jährige Büroangestellte, die aufgrund von Kreislaufproblemen im Büro sich plötzlich wegen Schwindel hinlegen muss. Die Kollegen machen sich sorgen und rufen den Rettungsdienst.  Eine 50ig jährige, die sich in der Küche in den Finger schneidet und der dann „schwarz vor Augen“ wurde.  Der Jugendliche, der in der Sporthalle den Fuß umknickt hat und der dann anschwillt und nur noch humpeln kann.  Der 70ig jährige, der schon zwei Herzinfarkte hatte und jetzt einen Druck auf der Brust verspürt, der schon wieder weg ist, als das Rettungsteam eintrifft.  Der 25 jährige Drogensüchtige, der eine Entzündung am Bein hat und ins Krankenhaus möchte, aber dem das Geld für ein Taxi fehlt, Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 11  die 80 jährige, die mehrmals täglich Blutdruck misst und plötzlich bei einem oberen Wert von 180 mmHg Panik bekommt. Dies alles sind Rettungseinsätze, die über die Notrufnummer 112 gemeldet werden und die letztlich zu einem Notfalleinsatz führen. Alle hier genannten Beispiele haben eine wesentliche Gemeinsamkeit. Sie müssen aus medizinischer Sicht nicht innerhalb von z.B. 8 min bedient werden, um eine bedrohliche Verschlimmerung zu verhindern, oder sogar das Leben der Betroffenen zu retten. Im Ergebnis wird jedoch das Rettungssystem dadurch in Anspruch genommen und die Auslastung der Einsatzmittel erhöht. Eine steigende Inanspruchnahme des Rettungsdienstes führt allerdings zu einer Verschlechterung der Eintreffzeit und damit zu abnehmenden Erreichungsgraden der Hilfsfrist beim Patienten. Dieser Verschlechterung der Eintreffzeiten kann man auf mindestens zwei Wegen entgegenwirken: Lösungsansatz 1: Die Anzahl der Rettungsmittel, die hilfsfristbasiert stationiert sind, wird erhöht. Lösungsansatz 2. Die Leitstelle, in der die Notrufnummer 112 aufläuft, differenziert die Anrufe nach Dringlichkeit. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 12 4. Diskussion Lösungsansatz 1 – Erhöhung der Anzahl hilfsfristbasiert stationierter Rettungsmittel Bei diesem Ansatz reicht es, die Gesamtzahl der Notfälle in die Rettungsdienstbedarfsplanung einfließen zu lassen und die zusätzliche Anzahl an Rettungsmitteln daraus risikoabhängig zu berechnen und zu stationieren. Auf den ersten Blick scheint diese Aufgabe relativ einfach zu lösen. Nach der Neuberechnung im Rettungsdienstbedarfsplan werden die zusätzlich erforderlichen Einsatzmittel (RTW, NEF) beschafft und dort stationiert, wo sie gebraucht werden und zur Verbesserung der Hilfsfrist beitragen. Allerdings stehen diesem einfachen Lösungsansatz zahlreiche Hindernisse entgegen. 4.1. Erforderliche Neubauten Die Anzahl der Notrufe in einem Gebiet korrespondiert mit der dortigen Besiedelungsdichte. Werden Rettungsfahrzeuge hilfsfristbasiert in einem dichtbesiedelten Gebiet stationiert, werden dafür Neubaumaßnahmen erforderlich. Zum einen sind Grundstücke für einen geeigneten, hilfsfristgerechten Standort selten und zum anderen sehr teuer. Hinzu kommen Auflagen bei der Baugenehmigung und ggf. Widerstände aus der Bevölkerung. So konnten drei neue Standorte im Rettungsdienstbedarfsplan Köln aus dem Jahr 2010 erst 2016 und 2017 umgesetzt werden. So lange haben Grundstückssuche, Bauanträge und die Umsetzung gedauert. Etwas einfacher ist die Aufstockung auf vorhandenen Wachen, wenn der Platz dort ausreicht. Aber auch dort sind Baumaßnahmen nicht von heute auf morgen möglich. Im Ergebnis bleibt damit die Schieflage, dem Nicht-Erreichen der Schutzziele über Jahre bestehen, ohne dass ihr wirksam abgeholfen werden kann. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 13 4.2. Bestehender Fachkräftemangel Ein umsetzungshemmender Faktor für die Aufstockung von Rettungsmitteln ist der bereits bestehende massive Fachkräftemangel im Bereich der qualifizierten Einsatzkräfte. Die Umstellung der Fachkräfte von Rettungsassistent (Ausbildungsdauer offiziell 2 Jahre, stand aber dem Rettungsdienst als voll einsetzbare 2. Kraft bereits nach weniger als 1 Jahr zur Verfügung). Der angehende Notfallsanitäter (Ausbildungsdauer offiziell 3 Jahre) steht dem Rettungsdienst voraussichtlich erst ab dem 2. oder 3. Jahr voll einsetzbar zur Verfügung. Hier entsteht eine Lücke. Des Weiteren bestehen noch teilweise Probleme bei den Ausbildungskapazitäten, da diese für das Berufsbild Notfallsanitäter aufgebaut werden müssen. Der Markt an verfügbaren Fachkräften ist bundesweit lehrgefegt. Es ist fraglich, ob sich bei einem weiteren Ausbau des Rettungsdienstes, die zusätzlich notwendigen Fachkräfte (Rettungsassistenten und Notfallsanitäter) über finden werden. 4.3. Mitarbeiterbelastung Neben den Wechselschicht-Dienstplänen in der Notfallrettung und der körperlichen Beanspruchung durch das Tragen von Patienten, gibt es weitere Belastungen für das Einsatzpersonal. Die Einsatzfahrten mit Sondersignalen, womit sich die Einsatzkräfte durch den Verkehr kämpfen, sind weitere Stressoren. Auch die Alarmierungen des Rettungsdienstes zu immer weniger dringlichen medizinischen Hilfeleistungsersuchen, führen bei dem eingesetzten Personal zu einer immer stärkeren psychischen Belastung. Überspitzt dargestellt sind die Ausbildung und die Ausrüstung auf lebensrettende Einsätze ausgelegt. Die konkrete Inanspruchnahme erfolgt jedoch zu einem hohen Prozentsatz für Bagatellen. Hier entsteht eine auseinandergehende Schere zwischen Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 14 Anspruch und Wirklichkeit. Die Einsatzkräfte reagieren dabei mit steigendem Unverständnis auf die zunehmenden Banaleinsätze, wie kleinere Schürfwunden, Befindlichkeitsprobleme, etc., die sie in der Regel bei den Anrufern als eine Unfähigkeit das eigene Leben zu organisieren interpretieren. An der Einsatzstelle finden sie dann Patienten vor, deren medizinische Probleme möglicherweise vielschichtig, aber eben nicht zeitkritisch sind. Dieses hohe Delta zwischen der eigenen Belastung und den vorgefundenen Problemen führt dazu, dass zunehmend die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit hinterfragt wird, was letztlich zu einer geringeren Arbeitszufriedenheit bis hin zu psychischen Problemen, Burn out oder zum Berufswechsel führen kann. Hohe Ausbildungsaufwendungen und ein kurzer und damit nicht nachhaltiger Verbleib im Beruf, können die Besetzung der Rettungsmittel mittel und langfristig gefährden. Hinzu kommt die deutlich erhöhte Unfallgefahr, die durch Sonderrechtsfahrten (Blaulicht und Martinshorn) entsteht und zwar sowohl für das Rettungsdienstpersonal selbst als auch für andere Verkehrsteilnehmer. 4.4. Nachteil – steigende Kosten denen kein medizinischer Nutzen gegenübersteht Auf der Basis der Beobachtungen und Berichte, dass der Anteil nicht-dringlicher medizinischer Hilfeersuchen den wesentlichen Anteil an den beständig ansteigenden Einsatzzahlen im Rettungsdienst ausmacht, ist festzustellen, dass den Investitionen in die hilfsfristbasiert-basierte Stationierung von Rettungsmitteln, die nur wegen der steigenden Einsatzzahlen notwendig werden, kein medizinischer Nutzen gegenüber steht und damit unwirtschaftlich ist. Damit das nicht falsch verstanden wird, eine Reaktion auf die Hilfeersuchen mit einem geeigneten und ausreichenden System ist notwendig, ein undifferenzierter Aufbau von hilfsfristgestützten Rettungsmitteln aufgrund steigender Einsätze ohne zeitkritische Notfallsituationen jedoch nicht. Gleichwohl gibt es nach wie vor Gebiete, in denen neue Rettungswachen eingerichtet werden müssen, damit die planerische Hilfsfrist in Notfällen auch erreicht werden kann. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 15 Weiter unstreitig ist die notwendige, kontinuierliche Verbesserung des bestehenden Systems hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit und seines Einsatzwertes. 4.5. Vorteil und Sicherheit des Lösungsvorschlags 1 Belässt man die Einsatzmittelkette (RTW, NEF) für alle Notrufe, entfällt die Notwendigkeit in der Leitstelle, eine intensivere Differenzierung vorzunehmen, weil damit eben nur die zwei bisherigen, verfügbaren Reaktionsmöglichkeiten vorhanden bleiben. Das derzeitige System beinhaltet eine hohe Sensitivität, durch die das Risiko für Fehlentscheidungen minimiert wird. Wird jeder Anruf mit der Entsendung eines hochgerüsteten Einsatzmittels und Sonderrechten beantwortet, bleibt eben das Risiko, dass eine „Unterschätzung“ vorgenommen worden ist, klein. Eine Umstellung auf ein differenzierteres Versorgungssystem mit verlängerten Einsatzzeiten (= nichthilfristbasiert) würde bedeuten, dass dafür erstens ein Konzept entwickelt werden muss und zweitens dass die Leistelle und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür geschult und abgesichert werden müssen. 4.6. Zusammenfassende Bewertung des Lösungsansatzes 1 Bei der unveränderten Strategie, alle Hilfeersuchen über die Notrufnummer 112 auch mit einem Rettungsmittel mit Einhaltung der Hilfsfrist zu bedienen, erfordert bei einer steigenden Anzahl der Hilfeersuchen eine Aufstockung der rettungsdienstlichen Einsatzmittel (RTW, NEF). Diesem Automatismus stehen zahlreiche Hindernisse entgegen. Unter Anerkennung der These, dass die zeitunkritischen Hilfeersuchen ansteigen, bedeutet der unkritische Ausbau der hilfsfristgestützten rettungsdienstlichen Ressourcen, dass ihnen unter der Prämisse „so schnell wie möglich“ kein medizinischer Nutzen entgegensteht. Hinzu kommt, dass schon jetzt an einigen Stellen der Ausbau der hilfsfristgestützten Rettungsmittel durch langwierige Baumaßnahmen und durch Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 16 Fachkräftemangel an seine Grenzen stößt. Hinzu kommt ein Anstieg der Unfallgefahren durch die steigenden Eingriffe in den Straßenverkehr mit Sonderrechtsfahrten, die nachweislich ein höheres Unfallrisiko für die Besatzungen und andere Verkehrsteilnehmer birgt. Bislang wenig adressiert wurden auch die Belastungen der Einsatzkräfte durch hohe Auslastung und Stressbelastungen der Einsatzfahrten, die zu medizinisch wenig-dringlichen Hilfeersuchen entsandt werden. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass ein weiterer Ausbau des ausschliesslich hilfsfristbasierten Notfallrettungssystems bei akutem Fachkräftemangel und baulichen Beschränkungen mit großer Wahrscheinlichkeit mit den steigenden Einsätzen nicht mehr wird mithalten können. Eine Verlängerung der Hilfsfristen mit späterem Eintreffen am Notfallpatienten wird die Folge sein. 5. Diskussion Lösungsansatz 2 - Die Leitstelle differenziert die Anrufe nach Dringlichkeit Der Lösungsansatz 2 basiert auf der These, dass der Anteil an nicht-dringlichen Anrufen bei der Notrufnummer 112 ansteigt und die lebensbedrohlichen Notfälle und Unfälle demgegenüber im Wesentlichen gleich bleiben. Damit stellt sich als weitere Frage, ob die Priorisierung (z.B. Fahrt mit oder ohne Sondersignal) mit dem vorhandenen Fahrzeugbestand (z.B. RTW und NEF) durchgeführt werden soll oder ein gestuftes Versorgungskonzept aufgebaut bzw. organisiert werden muss. Ein wesentliches Ziel wäre dabei, die weniger dringlichen Hilfeersuchen auf andere Einsatzmittel zu disponieren, so dass die Notfallrettungsdienst-Ressourcen (NEF, RTW, RTH) für die lebensbedrohlichen Notfälle und Unfälle auch zur Verfügung stehen. Das bedeutet, dass dafür Einsatzmittel mit einem anderen Einsatzwert definiert und aufgebaut werden müssen, so dass daraus ein gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst entsteht. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 17 Bei der Frage nach einem gestuften Versorgungssystem steht an erster Stelle, was für Systeme bereits vorhanden sind und wie sie genutzt werden können. 5.1. Rettungsdienst mit RTW und Notarzt (NEF, RTH) Die Entsendung eines Rettungswagens mit oder ohne Notarzt ist das derzeit praktizierte System. Die Stationierung zumindest der RTWs erfolgt dabei hilfsfristbasiert und ermöglicht damit die Gewährleistung eines Schutzziels, in der Regel 8-12 min für das ersteintreffende Rettungsfahrzeug. 5.2. Rettungsdienst mit qualifiziertem Krankentransport (KTW) Der Krankentransport ist in den meisten Bundesländern ein Teil des öffentlichen Rettungsdienstes und kann von der Leitstelle auch disponiert werden (organisatorischer Bestandteil des Rettungsdienstes!). Schon jetzt wird er vielerorts als Rückfallebene für die Notfallrettung genutzt, wenn alle RTWs im Einsatz sind. Konsequent genutzt als „Notfall-KTW“ wird er bereits für einfachere Notfälle sowohl in Berlin als auch in anderen Rettungsdienstbereichen. Insofern könnte ein Teil der Hilfeersuchen über die 112 auch durch KTWs bedient werden. KTWs benötigen weniger qualifiziertes Personal (in der Regel Rettungssanitäter und Rettungshelfer) als die Notfallrettung, allerdings müssten die Ausrüstung angepasst und ein konkretes Triagierungskonzept für die Leitstelle entwickelt werden. Im Ergebnis wird ein KTW jedoch die Patienten immer transportieren müssen, um sie einem Arzt vorzustellen. Bereits früher wurde zwischen „disponiblem Krankentransport“ und „dringlichem Krankentransport unterschieden. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 18 5.3. Vergabe an die II. Säule der Notfallversorgung – die niedergelassenen Ärzte Schon jetzt wird immer wieder gefordert, daß mehr nicht-dringlich erkrankte Patienten, die derzeit die Notaufnahmen von Krankenhäusern aufsuchen oder den Rettungsdienst in Anspruch nehmen, durch das System der niedergelassenen Ärzten, die den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung der (gesetzlich krankenversicherten) Bevölkerung inne haben (§ 75 SGB V), versorgt werden sollen. Um eine mögliche Verbesserung der Zusammenarbeit oder „Verzahnung“ von Rettungsdienst (3. Säule) und niedergelassenen Ärzten (2. Säule) auszuloten, müssen zunächst die Rahmenbedingungen des niedergelassenen Vertragsarztsystems näher beleuchtet werden. Die Organisation dieser II. Säule der notfallmedizinischen Versorgung besteht aus den dezentral lokalisierten Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, die tagsüber von den Patienten individuell ausgewählt und aufgesucht / angerufen werden müssen. Hier gibt es keine einheitliche „Leitstelle“ oder Telefonzentrale, die dem Anrufer den Kontakt erleichtert. Eine solche zentrale Anlaufstelle gibt es erst nach Praxisschluss, sowie an Samstagen, sowie Sonn- und Feiertagen. Die zentrale Rufnummer dieser Arztrufzentrale oder ist bundesweit die 116 117 (http://www.116117info.de/html/112.php). Außerhalb der regulären Praxiszeiten organisieren die Kassenärztlichen Vereinigungen, in denen die Vertragsärzte Mitglied sind, einen Notdienst. Dieser besteht aus Ärztinnen und Ärzten, die sich entweder in der eigenen Praxis oder (zunehmend) in zentralen Notdienstpraxen aufhalten und von Patienten aufgesucht werden können. Immer häufiger sind diese zentralen Notdienstpraxen an Krankenhäusern angesiedelt.5 Die Ärzte dort, oder auch ein zusätzlicher Hausbesuchsdienst, führen in der Notdienstzeit Hausbesuche bei 5 Auf die Funktion einer Portalpraxis (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/2015/khsg-bt-23-lesung.html) wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 19 Patienten durch. Erwähnenswert ist noch, dass es ergänzend zum allgemeinen Notdienst auch einen fachärztlichen Notdienst (z.B. Kinderärztlichen Notdienst) gibt. Tagsüber ist der niedergelassene Vertragsarzt verpflichtet, Hausbesuche durchzuführen. Hat der Patient einen niedergelassenen Arzt tagsüber ausgewählt und erreicht, bedeutet das allerdings nicht, dass dieser sofort die Praxis verlassen und einen Hausbesuch z.B. in 5 km Entfernung durchführen kann. Zum einen sind diese tagsüber meist hoch frequentiert und zum anderen haben sich die Vergütungsstrukturen in den niedergelassenen Praxen in den letzten 20 Jahren stark verändert. Die Vergütungsstruktur des niedergelassenen Arzt bedeutet, dass er im Prinzip eine Art Fließbandversorgung machen muss, um seine Aufwendungen für Praxis und Personal refinanzieren zu können. Diese Veränderungen sind langsam und schleichend von statten gegangen und haben im Ergebnis dazu geführt, dass während der Praxiszeiten Hausbesuche nur bei ganz bestimmten, in der Regel seltenen Ereignissen möglich sind. Patienten und ihre Angehörigen möchten bei akuten Symptomen allerdings nicht mehr stundenlang auf einen Hausbesuch warten, auch wenn die Wartezeit medizinischobjektiv möglich und vertretbar wäre. Eine Übergabe von Hilfeersuchen an niedergelassene Ärzte ist tagsüber problematisch (an wen ?, es gibt keine zentrale Koordinierungsstelle) und die Übergabe ausserhalb der Sprechstundenzeiten an den Notdienst über die Telefonnummer 116117 ist für die Leitstellen gelebte Praxis bei eindeutigen Bagatellerkrankungen. Bei sogenannten „Akutfällen“ (siehe unter 5.4.), ist das jedoch kaum vertretbar, da mit der organisatorischen Übergabe für den Rettungsdienst ungewiß bleibt, wann der Hilfeersuchende – der ja die Notrufnummer 112 gewählt hat – letztlich erreicht wird, vor allem auch, weil den niedergelassenen Ärzten die Instrumente der rettungsdienstlichen Gefahrenabwehr (Sonderrechtsfahrzeuge, Ausstattung, Personal, etc.) fehlen. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 20 5.4. Der „Akutfall“ eine neue Patientengruppe ? Es gibt eine stark wachsende Patientengruppe im Rettungsdienst (Lechleuthner 2015), die früher sehr viel kleiner war¸ die sogenannten „Akutfälle“. Diese Akutfälle, auch als „Notsituationen“ bezeichnet, wurden bereits in den 90iger Jahren sowohl von Ahnefeld (Ahnefeld et al.,1998) als auch von Sefrin (Sefrin 1994) beschrieben und gegenüber dem „Notfall“ (-patienten) abgegrenzt. Unter Akutfällen bzw. Notsituationen wurden damals alle Erkrankungen und Verletzungen „ohne primäre Vitalbedrohung“ zusammengefasst. Sie wurden als „lokalisierte pathologische Geschehen ohne vitale Bedrohung, allerdings mit der Gefahr zusätzlicher örtlicher oder allgemeiner Schädigung“ bezeichnet (Ahnefeld et al.1998). Beispielhaft wurden akut einsetzende Geschehen wie Gallenkoliken oder sich akut verschlimmernde chronische Erkrankungen wie die Hypoglykämie genannt. Ebenso wurden einfache Frakturen und Luxationen darunter subsumiert. Sowohl Ahnefeld et al. als auch Sefrin haben die Versorgungszuständigkeit für diese Gruppe allerdings dem vertragsärztlichen Versorgungsauftrag („Kassenärztlichen Notdienst“) zugeordnet, also ausserhalb des Rettungsdienstes. Diese Gruppe der „Akutfälle“ stellt sich in Verbindung mit den heutigen Rahmenbedingungen jedoch anders dar, sie wird immer mehr zu einem Massenphänomen. Eine Erklärung dafür kann sein, dass mit zunehmend längerem Lebensalter der Anteil an Menschen darin ansteigt, die bereits akute Erkrankungen (z.B. Schlaganfall, Herzinfarkt, AVK, etc.) überlebt haben, so dass Erkrankungssymptome mit einer akuten Komponente (z.B. Druckgefühl in der Brust, Pochen im Kopf, plötzlicher Blutdruckanstieg mit Missempfindung, etc.) dafür sprechen können, dass es sich hier wieder um eine bereits ein- oder mehrmals durchlebte und überlebte Notfallerkrankung handelt. Zu dieser Gruppe zählen ebenfalls Patienten mit parallel bestehenden, chronischen Erkrankungen (z.B. Diabetes, COPD, Herzinsuffizienz, etc.), die zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung von an sich gut Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 21 ambulant behandelbaren Erkrankungen, führen können. Ebenso können in diese neue Gruppe Senioren eingereiht werden, die erkrankt sind und dabei nur mit vorhandener Versorgung, auch zu Hause bleiben können. In dieser wachsenden Gruppe von „Akutfällen“ müssen die akuten Symptome jedoch oft aufwändig abgeklärt werden. Hier reicht es (heute) dann eben nicht mehr nur einen Hausbesuch zu machen, zu untersuchen und abzuhören, und etwas zu verschreiben, sondern hier kann auch ein (kurzer) Krankenhausaufenthalt zur Abklärung oder auch zur Versorgung (viele Gründe sind hier möglich, u.a. weil sie alleine wohnen) notwendig werden. Diese Akutfälle haben allerdings eines gemeinsam, sie können nicht mehrere Stunden oder halbe Tage warten, bis sie Hilfe erhalten. In der derzeitigen Versorgungslandschaft gibt es aber nur die Möglichkeit den Rettungsdienst (Reaktionszeit wenige Minuten) oder den niedergelassenen Arzt (Reaktionszeit mehrere Stunden, von Einzelfällen abgesehen) zu erhalten. Dazwischen gibt es eine Versorgungslücke, die bereits früher thematisiert wurde (Lechleuthner 2015). Diese Lücke in der Versorgung von Akutpatienten wird derzeit durch den Rettungsdienst gefüllt. Das macht auch Sinn, da nur die wenigsten dieser Akutfälle zu Hause vollständig nach dem aktuellen Stand der Technik abgeklärt werden können und einer weiteren Diagnostik und ggf. Versorgung bedürfen. 5.5. Abgrenzung von Notfall- und Akutpatienten unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr – Vorschlag einer Klassifizierung Die Einordnung der Verletzungen in die Akutfälle, wie sie Ahnefeld et al. (Ahnefeld 1998) vorgenommen haben, ist jedoch problematisch. Betrachtet man die beiden Gruppen (Notfall- und Akutpatienten) im Lichte der Gefahrenabwehr zeigt, ist Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 22 festzuhalten, dass bei Notfallpatienten die Lebensgefahr bei Erkrankungen von innen (Gefahr von innen) droht. Sie kann nur durch rettende notfallmedizinische Maßnahmen abgewendet werden, was schnellstmöglich geschehen muss. Verletzungen geht in der Regel ein Unfallgeschehen von aussen („Gefahr von aussen“) voraus. Diese äußeren Gefahren können unter Umständen auch nach dem ersten Verletzungsgeschehen für den konkreten Patienten oder auch für andere Personen fortbestehen, wenn man an Einklemmungen, Brände, aber auch an Anschlags- oder Terrorlagen denkt. Das bedeutet, dass zur Abwehr der äußeren Gefahren geeignete Abwehrmaßnahmen z.B. der Feuerwehr (Brandbekämpfung, technische Hilfeleistung, CBRN, etc.) oder der Polizei notwendig werden. Entstehen dabei lebensbedrohliche Verletzungen („Gefahr von innen“) kann die dadurch auftretende Lebensgefahr ebenfalls nur durch eine schnellstmögliche notfallmedizinische Versorgung vor Ort und ein schnellstmögliches Verbringen zur definitiven Versorgung abgewendet werden. Sowohl die Lebensgefahr durch Erkrankungen (Gefahr von innen) als auch durch Verletzungen (Gefahren von außen und innen) von außen haben eines gemeinsam, dass sie schnellstmöglich abgewendet werden müssen. Der Zeitfaktor spielt dabei neben den technischen und medizinischen Ressourcen, eine überragende Rolle. In einer modernen und wohlhabenden Gesellschaft ist es deshalb ein Sicherheitsfaktor, die Vorhaltung dieser „Rettungsressourcen“ planerisch so vorzubereiten, dass durch vorgegebene Eintreffzeiten ein definiertes Sicherheitsniveau entsteht. Erkrankungen mit akuten Symptomen, von denen keine akute Lebensbedrohung ausgeht, bei denen aber Abgrenzungsschwierigkeiten zu Notfällen bestehen, benötigen notfallmedizinisch nicht die schnellstmögliche Hilfe, sie sollten aber auch nicht stundenlang warten. Bei diesen „Akutfällen“ ist eine mögliche Verschlimmerung und damit eine Lebensgefahr - zumindest bei einem telefonisch übermittelten Meldebild nicht definitiv ausschliessbar. Ihre Versorgung sollte deshalb ebenso in den Bereich der Gefahrenabwehr einbezogen werden, wenngleich nicht mit der höchsten Dringlichkeit. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 23 Bleiben noch die einfachen Verletzungen, von denen keine Lebensgefahr ausgeht oder zu befürchten ist. Auch ihnen geht in der Regel ein Unfallgeschehen (Gefahr von außen) voraus. In Verbindung mit der Lokalisation (z.B. Öffentlichkeit, Strasse, Wald, See, etc.) und weiter damit verbundenen äußeren Einflüssen (Temperatur, Regen,. Schnee, Menschenmenge, etc.) müssen diese äußeren Gefahren ebenfalls abgewendet werden, da verletzungsbedingt Hilflosigkeit bestehen kann, auch wenn die notfallmedizinische Versorgung dabei weniger aufwändig und weniger dringlich ist als bei lebensgefährlichen Verletzungen. Insofern ist auch die Versorgung einfacher Verletzungen in Verbindung mit äußeren Gefahren durch Einsatzmittel der Gefahrenabwehr abzuwehren und damit eine Aufgabe des Rettungsdienstes. Für diese Patienten passt besser der Begriff der „Notsituation“, da er mehr die äußeren Gefahren beschreibt und weniger die möglichen Verletzung(en). 5.6. Wie könnte bei diesen Rahmenbedingungen eine bessere Verzahnung zwischen der 2. Säule (niedergelassene Ärzte) und der 3. Säule (Rettungsdienst) aussehen ? Angesichts der großen Gruppe der „Akutfälle“ und den bisher gewachsenen Praxisorganisations- und Finanzierungsstrukturen, sollte man sich keine Illusionen machen, dass hier eine grundsätzliche Neuorganisation des niedergelassenen Ärztesystems möglich sei. Den niedergelassenen Ärzten fehlen im Übrigen die Instrumente und Ressourcen der Gefahrenabwehr, die auch schon bei einfachen Verletzungen z.B. bei einem Unfall auf der Straße, notwendig sind. Einfacher und schnittstellenärmer ist es deshalb, die Versorgung der Patienten mit Akutsymptomen auch weiterhin beim Rettungsdienst zu belassen. Sie rufen ohnehin dort schon alle an. Der Rettungsdienst könnte allerdings die „Patienten mit Akutsymptomen ohne erkennbare Lebensbedrohung“ aus der hilfsfristbasierten Versorgung herausnehmen, Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 24 sie innerhalb eines bestimmten Zeitfensters (wichtig für die Bedarfsplanung!) erreichen und der geeigneten Versorgung zuführen (Krankenhaus, Arztpraxis). Die Versorgungsverpflichtung der niedergelassenen Ärzte für Patienten ohne Akutsymptome bliebe dabei unberührt. Vorteilhaft wäre jedoch dabei eine verbesserte Information und Abstimmung mit den Ärzten der hausärztlichen Versorgung, die bislang z.B. kein Notfallprotokoll vom Rettungsdienst erhalten. Hier könnten Modellversuche Aufschluss geben, was möglich ist. 5.7. Ist es schon jetzt möglich lebensbedrohliche Erkrankungen in der Leitstelle zu erkennen und beschleunigt zu bearbeiten ? Die Analyse der Einsatzzahlen in den Jahren 2014-2016 im Kölner Rettungsdienst zeigt, dass über alle Notfallarten das Schutzziel 8 min in 90% der Fälle, nicht erreicht werden konnte (Tabelle 1). Erreichungsgrade 2014 2015 2016 1. Fahrzeug am Ort: Rettungswagen (RTW) 80,7% 80,5% 78,1% 89,4% 89,0% 90,1% oder Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) Tabelle 1: Erreichungsgrade der Notfalleinsätze im Kölner Rettungsdienst für die Einsatzmittel Rettungswagen (Schutzziel 8 min in 90% der Einsätze) und Notarzteinsatzfahrzeug (Erreichungsgrad „12 min in 90% der Einsätze). Grundlage der Berechnung des Erreichungsgrades sind alle Einsatzfahrten. Betrachtet man jedoch die Untergruppe der Wiederbelebungsfälle (Reanimationen) trifft in Köln das erste Rettungsmittel im Durchschnitt bereits nach 5,5 Minuten ein, 8 min werden, in 91,2 % dieser Fälle erreicht. Das bedeutet, dass in diesen konkreten Fällen Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 25 akuter Lebensgefahr alles mobilisiert wird, um die Eintreffzeit möglichst gering zu halten.6 Die Auswertung dieser Untergruppe (Reanimationen) wurde möglich, weil der Rettungsdienst Köln am „Deutschen Reanimationsregister“7 teilnimmt, an das die teilnehmende Rettungsdienste ihre Wiederbelebungsfälle melden können. Aus den Vergleichsdaten wird ein Benchmarking möglich, was das Verbesserungspotential für die einzelnen Standorte aufzeigt. Gerade mit Einführung der „Telefonreanimation“ in den Rettungsleitstellen bemühen sich diese, reanimationspflichtige Patienten und Patienten zu identifizieren und Angehörige über Telefon zur Reanimation anzuleiten. Bei einem derart identifizierten Pateinten werden dann alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Patienten schnellstmöglich zu erreichen. Grundsätzlich scheint also schon jetzt eine Identifizierung und Priorisierung in der Leitstelle möglich zu sein. Insofern müssten deshalb auch weitere Differenzierungen der Notrufe (112) realisierbar sein. Das bedeutet, dass die dort tätigen Disponenten aus den Anrufen die zeitkritischen Notfälle erkennen und weniger zeitkritische oder zeitlich unkritische Anrufe davon abgrenzen können. Zeitkritische Notfälle müssen dann so priorisiert werden, dass möglichst schnell das geeignete Rettungsmittel dorthin entsandt wird, um Leben zu retten und schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Offen bleibt dabei jedoch noch die Frage, welche Versorgungsdienste bzw. -stufen mit welcher Qualifizierung die neu klassifizierten Hilfeersuchen bedienen. 6 Die derzeit möglichen und diskutierten ehrenamtlichen „Ersthelfersysteme“ wie „Mobile Retter“, „Helfer vor Ort, First responder, etc. sollen an dieser Stelle nicht thematisiert werden. 7 Deutsches Reanimationsregister: https://www.reanimationsregister.de/home.html Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 26 5.8. Identifizierung, Triagierung und Priorisierung – Auswirkungen auf die Leitstelle Die Hauptlast dieser Notruf-Differenzierung und -klassifizierung wird auf die Rettungsleitstellen zukommen. Die Disponenten müssen dann sehr viel genauer differenzieren. Zwar wurde genau das schon vor mehr als 20 Jahren gefordert (Rossi, 1994), jedoch wurde dies in der Praxis nur dort umgesetzt, wo auch die Gesamtvoraussetzungen dafür vorhanden waren. Dominierend ist bis heute in der Notfallrettung die Entsendung eines RTW (ggf. mit Notarzt). In einem differenzierten System mit mehreren Entsendemöglichkeiten und Versorgungszeitfenstern, muß dann tatsächlich triagiert und nach Zeitdringlichkeit priorisiert werden, um das bedarfsgerechte Versorgungsmittel beauftragen zu können. Dabei wird es mehr Fehlerquellen geben als bisher. Die Leistellenausbildung war bislang ein Stiefkind der rettungsdienstlichen Ausbildungen. Im Wesentlichen hielt man die einsatzbezogene Rettungsassistentenausbildung für die Tätigkeit als Disponent in einer Leistelle als ausreichend. Mit dem Wegfall der Rettungsassistentenausbildung und dem Ersatz durch die 3-jährige Notfallsanitäterausbildung ist hier erneut Bewegung entstanden, eine bessere Leitstellenausbildung zu entwickeln und eben nicht mehr nur auf einsatzbezogene Qualifizierungen zurückzugreifen. Gleichwohl wird neben der besseren Ausbildung auch ein intensiveres Qualitätssicherungssystem notwendig werden, um die Leistungsfähigkeit in dem neuen, anspruchsvolleren Aufgabenprofil des Leitstellendisponenten, zu gewährleisten. Beispiel für erfolgreiche QS-Systeme im Leitstellenbereich gibt es schon jetzt, wie z.B. das in Hessen seit langem etablierte System der Rückmeldezahl.8 8 W. Lenz, M. Luderer, G. Seitz, M. Lipp: Die Dispositionsqualität einer Rettungsleitstelle Qualitätsmanagement mit der “Rückmeldezahl”. Notfall- und Rettungsmedizin 3: 72-80 (2000). Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 27 5.9. Zusammenfassende Bewertung des Lösungsansatzes 2 Im Ergebnis scheint die Umsetzung des Lösungsansatzes 2 (Die Leitstelle, in der die Notrufnummer 112 aufläuft, differenziert die Anrufe nach Dringlichkeit) mehrere bestehende Probleme zu vermeiden, die im Lösungsansatz 1 erhalten blieben. Die Senkung der Einsätze, auf die hilfsfristgestützt reagiert werden muss, in dem die über die Notrufnummer 112 eingehenden Hilfeersuchen triagiert und priorisiert werden, nimmt den Druck vom Rettungsdienstträger, beständig zusätzlich RettungsmittelSysteme unter dem Primat der einzuhaltenden Hilfsfrist aufzubauen. Die Anzahl der Sonderrechtsfahrten wird dabei ebenso abnehmen, wie die damit verbundenen Gefahren für den Verkehr. Letztlich wird auch die beschriebene Belastung der Einsatzkräfte gesenkt werden können. Dafür können, insbesondere für erkennbare Bagatellverletzungen, geringwertiger ausgestattete und niedriger qualifizierte Systeme eingesetzt werden, was den Druck auf den Fachkräftearbeitsmarkt lindert. Allerdings muss ein gut strukturiertes und differenziertes Versorgungssystem im Rettungsdienst etabliert werden, das die Akutfälle fachgerecht versorgen kann. Zusätzlich muss die Leitstelle speziell auf diese anspruchsvollen Differenzierungsaufgaben vorbereitet und unterstützt werden. Hier können neu entwickelte technische Systeme ebenso unterstützen, wie strukturierte Abfragesysteme. Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Lösungsansatz 2 dem Lösungsansatz 1 überlegen und sollte weiterverfolgt werden. 6. Umsetzungsvorschlag – ein gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) Den Ausgangspunkt für die Umsetzung bildet die Leitstelle, die die Anrufflut neustrukturiert und der Neu-Klassifizierung gemäß dem Vorschlag in 5.5. auch eine Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 28 Priorisierung so zuordnet, daß sie die gewählten Ressourcen und das dafür erforderliche Zeitfenster den tatsächlichen medizinischen Bedürfnissen entspricht. Dazu gehört, dass Notfälle und Unfälle mit Lebensgefahr mit den hochqualifizierten und ausgerüsteten Einsatzmitteln hilfsfristbasiert bedient und Akutfälle und Notsituationen mit einer geringeren Dringlichkeit davon abgegrenzt werden. 6.1. Gestuftes Versorgungsystem im Rettungsdienst (GVS) Der Vorschlag eines gestuften Versorgungssystems im Rettungsdienst (GVS) basiert auf dem in 5. beschriebenen Lösungsansatz 2. Es stützt sich dabei auf die bereits vorhandenen Komponenten im Rettungsdienst, was eine lineare Organisation, eine einheitliche Bedarfsplanung und einheitliche Finanzierung ermöglicht. Das GVS wird der rettungsdienstlichen Gefahrenabwehr zugeordnet, da neben der Erkrankung bzw. Verletzung eine zusätzliche Gefahr (innere oder äußere) für den Patienten besteht. Das GVS kann dabei anhand der in 5.5. vorgestellten Klassifizierung in eine Systematik der Gefahrenabwehr gebracht und den einzelnen Stufen die erforderlichen Ressourcen der Gefahrenabwehr zugeordnet werden (Tabelle 2). Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 29 Tabelle 2: GVS in der Systematik der Gefahrenabwehr Bereiche Gefahren Gefahren Mögliche Ressourcen der von innen von außen Gefahren Gefahrenabwehr Zeitfenster von Innen Notfälle mit X NEF, RTW, RTH Lebensgefahr Unfälle mit Hilfsfrist 812 min X X Lebensgefahr NEF, RTW, Hilfsfrist 8- Feuerwehr, 12 min Polizei Notsituationen X (X) Notfall-KTW ohne Lebens- Zeitkorridor bis 20 min gefahr Akutfälle ohne X Lebensgefahr NEF Zeitkorridor RTW mit ärztlicher bis 60 min Supervision Ausgehend von dieser Klassifizierung kann daraus das Gestufte Versorgungssystem (GVS) im Rettungsdienst entwickelt werden (Tabelle 3). Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 30 Tabelle 3: Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) Stufe Medizinischer Zusätzliche Gefahr Sachverhalt 1 Dringlich- Bedarfsgerechte keit Notfallversorgung Maßnahmen Reaktionszeit zum Patienten Lebensgefährliche Gefahr von Innen Sehr Notfallrettung (= Abwehr der So schnell wie Erkrankung Lebensgefahr durch hoch NEF, RTH, RTW) Lebensgefahr, möglich Erkrankung / Lebensrettung, (Hilfsfristbasierte Verletzung Herstellung der Stationierung) (Bei Reanimations- Transportfähigkeit, situation ggf. Transport in eine Ersthelfersystem) geeignete Einrichtung 2 Erkrankung / Gefahr von Außen Sehr Notfallrettung + Beseitigung der So schnell wie Verletzung / durch Unfall, hoch Technische äußeren Gefahr, möglich Vergiftung Einklemmung, Rettung Medizinische (Hilfsfristbasierte Eingeschlossenheit, Feuerwehr Erstversorgung (ggf. Stationierung) CBRN, Wetter, wie 1), Transport zur Umgebung, Terror, ggf. auch Polizei Amok, etc. Weiterbehandlung oder in sichere Umgebung 3 Erkrankung / Gefahr von Außen Verletzung / durch Wetter, fehlende Umgebung, vor Ort Autonomie in der ohne gute Betreuung Hoch Notfallkranken- Erstversorgung, Zielkorridor bis 20 transport Transport zur min weiteren Öffentlichkeit Auch hier hilfreich, Untersuchung und notärztliche Abklärung Supervision 4 Schwere Mögliche Gefahr Erkrankung oder Erkrankung mit Mittel NEF (mit Ärztliche Zielkorridor bis 60 von Innen Notärzten ggf. Abklärung min Patient in spezielles erforderlich Risikofaktoren / geschützter Arztfahrzeug) zur Untersuchung, Komorbidität Umgebung Abklärung und Behandlung und (Bauwerk) und / oder Behandlung ggf. Abklärung, ggf. gute Betreuung vor Einweisung in eine Transport zur Ort geeignete weiteren Einrichtung Untersuchung und alternativ RTW mit Abklärung Notfallsanitäter ggf. mit ärztlicher Supervision Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 31 Diese Strukturierung berücksichtigt in abgestufter Weise die konkrete medizinische Dringlichkeit und die zusätzlichen Gefahren. Aus diesen Gründen ist das GVS rechtlich, organisatorisch und finanziell im Bereich des Rettungsdienstes angesiedelt. Die in den Stufen 3 und 4 vorgeschlagene „ärztliche Supervision“ bedeutet, dass die Einsatzkräfte vor Ort sich notärztlichen Rat („Telemedizin“) hinzuholen können. Die beiden anderen Säulen der notfallmedizinischen Versorgung (Säule 1: Stationär Krankenhaus, Säule 2: ambulant durch die Kassenärztlichen Vereinigung in Verbindung mit den Vertragsärzten) sind davon völlig unberührt. Damit bleiben die organisatorischen und finanziellen Zuständigkeiten und Strukturen vollständig erhalten und unverändert. Das GVS liefert demzufolge auch keinen Lösungsbeitrag für die Auseinandersetzungen zwischen der Säule 1 und Säule 2 um die Frage, wer und in welchem Umfang für die ambulante Versorgung der Patienten zuständig ist und wie die Finanzierung darin erfolgt. Das GVS enthält mit seiner neuen Stufung mit den gelb klassifizierten Systemen „Notfallkrankentransport innerhalb eines Zeitkorridors von 20 min“ und „Ärztliche Abklärung innerhalb eines Zeitkorridors von 60 min“ eine neue Differenzierung und sicher auch neue Diskussionen. Die vorgeschlagenen Zeitkorridore von 20 min bzw. 60 min werden aus den Erfahrungen mit der rettungsdienstlichen Bedarfsplanung abgeleitet. Dort haben sich Zeitkorridore als Planungsgrößen bewährt, um ein Versorgungssystem aufzubauen, zu unterhalten und anzupassen. Der gelb klassifizierte Versorgungsbereich wird dabei dem Gefahrenabwehrbereich zugeordnet, was sich aus den dabei vorhandenen „möglichen Gefahren“ von außen oder innen ergibt. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 32 Der wesentliche Schritt mit Einführung eines GVS ist, dass ein Schritt aus der „Falle“ eines ausschließlich hilfsfristbasierten Notfallrettungssystem mit seinen hier skizzierten vielfältigen Problemen heraus gewagt wird und ein möglicher Weg hin zu einer bedarfsgerechten und bedürfnisorientierten Versorgung einer Gesellschaft eingeschlagen werden kann, die sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verändert hat und sich auch noch weiter verändern wird. 6.2. Mehr Patienten für den Rettungsdienst ? Mit dieser Neustrukturierung entsteht die Frage, ob sich hier der Rettungsdienst eine neue Patientengruppe erschließt, die eigentlich durch ein anderes System (z.B. die ambulante Versorgung durch niedergelassene Ärzte) versorgt werden müsste ? Die Antwort darauf ist ein klares Nein. Die Patientengruppe der „Akutfälle“ wird hier nicht zusätzlich vom Rettungsdienst erschlossen, sondern sie wird bereits jetzt von ihm versorgt. Die Patienten bringen schon jetzt ihre Hilfeersuchen bei der Notrufnummer 112 an und werden schon jetzt mit den Mitteln des Rettungsdienstes versorgt. Eine Identifizierung dieser Patienten und ein Verweis auf ein „zuständiges“ oder anderes Versorgungssystem läuft derzeit praktisch ins Leere, weil es ein solches in der dafür erforderlichen Auslegung und Kapazität nicht gibt. 6.3. Gibt es Hindernisse bei der Umsetzung eines GVS ? Durchdenkt man die Umsetzung eines derartigen GVS, fallen einem – abgesehen von allgemeinen Bedenken und Befürchtungen – auch weitere Hindernisse bei bestimmten Vorgaben ein. Beispiel 1: Einfache Krankentransporte und Krankenfahrten (keine Notfälle) müssen vorab durch die Krankenkasse genehmigt werden (siehe § 9 Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 33 Krankentransportrichtlinie des GBA). Dies führt derzeit dazu, dass ein nicht unerheblicher Teil der üblicherweise mittels KTW zu einer Klinik oder einem Arzt zu transportierenden Patienten mit einer akuten Erkrankung in die Notfallrettung ausweichen. Beispiel 2: Transporte durch den Rettungsdienst (Notfallrettung) werden gemäß § 60 Abs. 2 Nr. 2 SGB V nur zu Krankenhäusern von den Kostenträgern bezahlt. Ein Transport z.B. in eine Arztpraxis gehört nicht dazu. Eine ebenso große Herausforderung sind die Fälle, in denen Notfall-Krankentransporte bei lebensbedrohlichen Notfällen oder Unfällen mit Schwerverletzten disponiert werden, und das dort Einsatzpersonal die Notfallrettungsdienst-Ressourcen nachbestellen und die Zeiten dazwischen überbrücken muss. Speziell diese Situationen haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass man von einem derart gestuften System zurückgeschreckt ist, um möglichst keine derartigen Lücken systemisch anzulegen. An dieser Stelle wird noch einmal die Rolle der Leitstelle deutlich, die diese Entscheidungen trifft. Insgesamt wird das GVS auch mehr Qualitätssicherung erfordern, um die Disposition und auch das Leistungsgeschehen des Rettungsdienstes zu optimieren und weiterentwickeln zu können. Ebenso herausfordernd wird die Frage sein, welches ärztliches Personal speziell für die Stufe 4 herangezogen werden kann. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 34 7. Zusammenfassung und Ausblick Mit den Vorschlägen für eine Neustrukturierung im Bereich des Rettungsdienstes mit einem „gestuften Versorgungssystem im Rettungsdienst“ (GVS) soll eine Diskussion angestoßen werden, den Rettungsdienst auf die sich ändernden Rahmenbedingungen in der Gesellschaft anzupassen. Wie immer bei „Reformvorschlägen“ wird es natürlich zahlreiche Diskussion, Befürchtungen und Widerstände geben. Der Beitrag bietet aber auch Chancen für eine vorteilhafte Weiterentwicklung, mit vielen Aspekten, die auch wissenschaftliche Untersuchungen anstoßen können.  Die Vorschläge ein GVS aufzubauen können im bestehenden System (3 SäulenSystem) mit Modellprojekten erprobt und untersucht werden.  Die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten und dem Rettungsdienst ist ausbaufähig. Speziell die Akutfälle der Stufe 4 können von einer Abstimmung mit den Ärzten der hausärztlichen Versorgung profitieren. Eine Neuorganisation im Rettungsdienst kann hier auch der Startpunkt sein, diese Zusammenarbeit weiter zu entwickeln.  Das GVS bietet den Anreiz ein neues Dokumentationssystem zu entwickeln, das nicht nur rein „notfallzentriert“ ist, sondern auch die Gruppe der Akutfälle näher beleuchten hilft (Vorerkrankungen, Lebenssituation, Autonomie, etc.) und damit neue Erkenntnisse zum Versorgungsbedarf liefern kann.  Stimmen die vorgeschlagenen Zeitfenster in der Stufe 3 und 4 (gelb), oder gibt es bessere dazu, die bedarfsgerechter sind.  Im organisierten Rettungsdienst können neue Möglichkeiten zur Abklärungen vor Ort erprobt werden, die bislang nur in einer Klinik möglich waren (point-of-care Diagnostik (Hahn et al. 2016), Ultraschall, Telemedizin, Infusionsbehandlung, etc.). Ein Ziel dabei kann sein, den Patienten vor Ort zu belassen, wieder zu besuchen, oder eine Versorgung zu organisieren. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 35  Speziell die Gruppe 4 gelb bietet die Möglichkeit zu untersuchen, welche Unterschiede für eine Erstabklärung es mit rein arztgestützten Systemen und alternativ mit Notfallsanitäter-Systemen mit telemedizinischer Unterstützung gibt. Das kann gerade für dünn besiedelte Gebiete interessant sein.  Die Ausrüstung der Versorgungsmittel kann neu überdacht werden (z.B. NotfallKTW für Gruppe 3, NEF für Gruppe 4, etc.).  Für den Notfall-KTW können auch niedriger qualifizierte Helfer (Rettungssanitäter, Rettungshelfer) eingesetzt werden und damit auch den nebenamtlichen (z.B. Studenten) und ehrenamtlichen Helfern zugänglich bleiben.  Die neuen Dispositionsanforderungen in den Leitstellen müssen untersucht, analysiert und verbessert werden. Daraus wird man auch den Schulungsaufwand und –bedarf für das Leitstellenpersonal entwickelt bzw. optimiert werden.  Die Ansätze für die Qualitätssicherung eines derartigen Systems sind umfassender und müssen auch in der Lage sein, Fehlentwicklungen zu erkennen. Selbstverständlich sind viele der hier gemachten Vorschläge für dieses GVS grundsätzlich nicht neu, sondern zumindest in Teilen schon vor vielen Jahren erdacht, diskutiert und an einigen Stellen bereits erprobt worden. Neu darin ist jedoch, dass die einzelnen Elemente in ein gestuftes Gesamtsystem eingebaut sind und dass dies in der 3. Säule der Versorgung, dem Rettungsdienst, stattfindet. Damit bleiben Zuständigkeit, Organisation und Finanzierung der anderen Säulen unberührt. Der dadurch entstehende, wesentliche Vorteil ist, dass eben nicht mehr alle Hilfeersuchen hilfsfristbezogen betrachtet werden und zeitkritisch bedient werden müssen. Dies sorgt für eine Entspannung bei allen hilfsfristbasierten Aktivitäten einschließlich dem Personalzusatz bei bestehendem Fachkräftemangel. Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 36 Da es natürlich zahlreiche Aspekte auch dagegen gibt, die hier jetzt (noch) nicht ausreichend thematisiert wurden, soll dieser Vorschlag eines GVS einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Rettungsdienstes liefern. Die Diskussion ist damit eröffnet. Prof. Dr.med. Dr.rer.nat. Alex Lechleuthner Technische Hochschule Köln Institut für Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr Campus Deutz Betzdorferstr. 2 D-50679 Köln Kontakt: alex.lechleuthner@th-koeln.de Lechleuthner A. – Gestuftes Versorgungssystem im Rettungsdienst (GVS) 37 8. Literaturverzeichnis Ahnefeld FW, Dick W, Knuth P, Schuster HP: Grundsatzpapier Rettungsdienst – Grundlagen zur Weiterentwicklung der Rettungsdienste und der notfallmedizinischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. 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