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Beschlussvorlage (Abschlussbericht Moratorium)

Daten

Kommune
Hürtgenwald
Größe
2,6 MB
Erstellt
29.06.17, 12:01
Aktualisiert
29.06.17, 12:01

Inhalt der Datei

Abschlussbericht „Moratorium Hürtgenwald“ Frank Möller Gesellschaft für interdisziplinäre Praxis e. V., Köln gip.moeller@netcologne.de Köln / Hürtgenwald, Juni 2017 2 0. Vorbemerkung Die wesentlichen Aufgaben im Rahmen des „Moratoriums Hürtgenwald“ bestanden aus folgenden Elementen: 1. Organisation des Lenkungskreises 2. Bestandsaufnahme der Erinnerungslandschaft 3. Kontakte zu zivilgesellschaftlichen Akteuren 4. Planung, Organisation und Durchführung von Vortragsveranstaltungen 5. Planung, Organisation und Durchführung von Workshops 6. Sonstige Interventionen und weitere das Moratorium begleitende Aktivitäten 7. Präsentation der Ergebnisse in der Region 8. Entwicklung eines Handlungskonzepts Ich werde diesen Einzelpunkten im Folgenden nachgehen. Am Ende steht noch: 9. Eine persönliche Einschätzung des Moratoriums-Prozesses und des weiteren Verlaufs. Einleitend noch zwei Anmerkungen. Beim Moratorium Hürtgenwald (künftig: Moratorium) handelte es sich um ein Pilotprojekt, das in dieser Weise erstmalig in der Bundesrepublik durchgeführt wurde. Diese Tatsache macht verständlich, dass das Moratorium in Teilen dem Prinzip des Learning by Doing folgte. Auswirkungen hatte das beispielsweise bei Auswahl und Abfolge von Vortragsveranstaltungen und Workshops. Im Zuge meiner Arbeit als Koordinator des Moratoriumsprozesses sind zahlreiche Papiere entstanden: Protokolle, Arbeitspapiere, Dossiers, Referate, Fotodokumentationen etc. Möchte man den Ablauf des Moratoriums im Detail nachvollziehen, dann ist es sinnvoll, diese Papiere zur Kenntnis zu nehmen. Mir erleichtert ihre Existenz auch die Abfassung dieses Abschlussberichts, weil ich an denjenigen Stellen, an denen ich mühsam aus ihnen zitieren müsste, nun einfach auf sie verweisen kann. Im folgenden Text werden sie folgendermaßen angezeigt: „Dokument 1“, „Dokument 2“ etc. Da ich nicht davon ausgehe, dass jede/r alle Dokumente noch einmal im Detail lesen wird, habe ich die wichtigsten gelb unterlegt, also z. B. „Dokument 6.01“. Zu den einzelnen Elementen des Moratoriums: 1. Organisation des Lenkungskreises Organe des Moratoriums waren ein Lenkungskreis und ein Koordinator. Der Lenkungskreis hatte sich als Ergebnis der Fachtagung „Hürtgenwald – Perspektiven der Erinnerung“ vom September 2014 gebildet. Die Mitglieder dieses Kreises engagieren sich ehrenamtlich oder im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeiten in Sachen Hürtgenwald. Ihm gehören an: Axel Buch (Bürgermeister Gemeinde Hürtgenwald) und Wolfgang Spelthahn (Landrat Kreis Düren) bzw. dessen Vertretung, Peter Bülter (Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.), Dr. Karola Fings (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln), Dr. Klaus Dieter Kleefeld (Landschaftsverband Rheinland, Stab Digitales Kulturerbe), Frank Möller (Gesellschaft für inter- 3 disziplinäre Praxis e. V.), Wolfgang Wegener (Landschaftsverband Rheinland, Amt für Bodendenkmalpflege) Dr. Hans Wupper-Tewes (Landeszentrale für politische Bildung NRW). Dazu stießen während des laufenden Prozesses mit Gabriele Harzheim, Albert Moritz und Stefan Wunsch noch Vertreter der benachbarten ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang. In der Endphase ergänzte Dr. Martin Bredenbeck (Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e. V.) diesen Kreis. Als Koordinator fungierte ich, Frank Möller. Ich informierte den Lenkungskreis regelmäßig, lud zu Sitzungen ein, verfasste Arbeitspapiere und Sitzungsprotokolle. Im Verlauf des Moratoriums traf sich der Lenkungskreis acht Mal. Ein weiteres Treffen fand im Februar 2017 statt. Der Verlauf der Diskussionen und Beschlüsse findet sich im Anhang in den Dokumenten 1.1 bis 1.9. Ein weiteres Treffen des Lenkungskreises fand am 13. April 2017 statt, also nach Ablauf des Moratoriums. Es wurde nicht protokolliert, weil es lediglich der Abstimmung über die Abschlussempfehlungen an Kreis und Gemeinde diente. 2. Bestandsaufnahme der Erinnerungslandschaft Eine vollständige Bestandsaufnahme der Erinnerungslandschaft Hürtgenwald nach wissenschaftlichen Kriterien durchzuführen, wäre in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen und war auch nicht vorgesehen. Dazu bedürfte es eines eigenen Forschungsprojekts, dessen Projektierung unter Punkt 8 erneut angesprochen wird. Vorgenommen wurde eine Auswertung derjenigen Quellen, die Erinnerungsobjekte der Region verzeichnen, außerdem wurden eigene Recherchen vor Ort angestellt. Bei den Quellen handelt es sich im Wesentlichen um folgende Publikationen: a) Robert Hellwig, Gedenken und Mahnen. Mahnmale im Hürtgenwald, Hürtgenwald 2007; b) Wiebke Hoppe / Wolfgang Wegener, Archäologische Kriegsrelikte im Rheinland, Essen 2014; außerdem um einschlägige Websites von Heimat- und Geschichtsvereinen wie z. B. http://www.heimatbundschmidt.de/assets/gedenkkreuze.pdf. Als Ergebnis der Auswertung entstand ein Diskussionspapier für den Lenkungskreis. In diesem Papier wurden Gedenkkreuze, Tafeln und andere Erinnerungsobjekte vorgestellt, deren „Botschaften“ als problematisch anzusehen sind. Das Papier findet sich im Anhang als Dokument 2. Ausgehend von diesem Diskussionspapier wurden zehn Punkte formuliert, die der Gemeinde Hürtgenwald und dem Kreis Düren künftig als Richtschnur für die Beurteilung von Anträgen dienen können, welche die Aufstellung weiterer Memorabilien im öffentlichen Raum zum Ziel haben. Die Zehn-Punkte-Liste findet sich im Anhang als Dokument 3. Sie hinreichend zu diskutieren, bestand im Rahmen des Moratoriums keine Möglichkeit mehr. 3. Kontakte zu zivilgesellschaftlichen Akteuren Ein Kernpunkt des Moratoriums war die Aufnahme von Kontakten zu zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich Themen des Zweiten Weltkriegs und der Übergangsphase in die Bundesrepublik widmen. Damit verbanden sich im Kern drei Ziele a) einen Überblick über die regionalen Aktivitäten zu gewinnen; b) diese zu bewerten und dabei Stärken und Schwächen zu benennen; c) Akteure zu stärken, die auf der Grundlage eines zeitgemäßen Geschichtsverständnisses arbeiten. 4 Die Kontaktaufnahme geschah vorwiegend durch direkte Ansprache mit Bitte um einen ersten Termin. Von der Möglichkeit, über die Website der Gemeinde Hürtgenwald mit dem Koordinator in Kontakt zu treten (Text der Website siehe Dokument 4) wurde lediglich von Einzelpersonen Gebrauch gemacht. Der formale Ablauf der Kontaktaufnahme gestaltete sich folgendermaßen: In einem ersten Schritt wurden diejenigen Initiativen und Einzelpersonen angeschrieben, die im Lenkungskreis namhaft gemacht worden waren bzw. deren Kontakt sich per Internet oder später durch weitere Hinweise erschließen ließ. Kontakt wurde mit folgenden zivilgesellschaftlichen Akteuren hergestellt: a) GrenzGeschichteDG an der AHS (Eupen / Belgien), Dr. Herbert Ruland b) Franziskus-Gymnasium Vossenack, Helmut Wanka / Clemens Amendt c) Geschichtsverein Hürtgenwald e. V. d) Förderverein Windhunde mahnen zum Frieden e. V. e) Kirchenvorstand Nideggen-Schmidt f) Regio Oratio, Konrad und Benedikt Schöller g) Heimatbund Schmidt h) Stadt- und Kreisarchiv Düren, Dr. Horst Wallraff / Dr. Helmut Krebs i) Franz-Josef Brandenburg (Nideggen) j) Dürener Geschichtswerkstatt e. V. k) Landeskommando der Bundeswehr NRW*) l) Rureifel-Tourismus e. V., Gotthard Kirch*) m) Nationalparkverwaltung des Nationalparks Eifel*) n) Arbeitsgemeinschaft der Heimat- und Geschichtsvereine im Monschauer Land o) Geschichtsverein des Kreises Euskirchen e. V. p) Konejung Stiftung: Kultur q) Pfarrer und Kirchenvorstand Vossenack r) Reservistenkameradschaft Hürtgenwald Bei den mit *) versehenen Akteuren handelt es sich nicht um zivilgesellschaftliche Gruppen. Da sie aber mit diesen eng kooperieren, wurden sie in diesen Kreis mit einbezogen. Zu den unter a bis k gelisteten Initiativen, Institutionen und Einzelpersonen bestanden während des Moratoriums regelmäßige Kontakte. Die Kontakte zu l und m fanden nur einmalig statt. Im Fall von m lag das daran, dass die Verwaltung selbst noch in der Konsolidierungsphase war. Mit n gab es zwei Treffen, anschließend zerfiel die Arbeitsgemeinschaft. Zu o bis r fanden Bemühungen um Kontakte statt, die aber im Fall o und p auf wenig Entgegenkommen stießen, weil sich die Initiativen aufgrund schlechter Erfahrungen mit den Akteuren des Hürtgenwaldes nicht weiter engagieren wollten. Im Fall q und r wurden Gesprächsangebote ausgeschlagen bzw. blieben unbeantwortet. Nicht aufgenommen in die Auflistung bzw. in die zu kontaktierenden Vereine wurden Heimat- und Geschichtsvereine der Nordeifel, die sich überhaupt nicht mit der NS-, Kriegs- und Nachkriegszeit beschäftigen. 5 Zum Verlauf der Kontakte an vier Beispielen Nach einer Phase der ersten Kontaktaufnahme, die sich über ein gutes halbes Jahr erstreckte, entstand ein präziseres Bild der zivilgesellschaftlichen Vereinsszenerie. Während sich einige Vereine auf die eine oder andere Art durchaus mit dem Kriegsgeschehen beschäftigen, begreifen andere Geschichte als einen Fundus, in dem man nach Belieben stöbern kann. In ihm liegen Römer, Kelten und Franken neben Zeitgenossen und Ereignissen des 18. oder 19. Jahrhunderts. Darin finden sich Münzen, Urkunden und Wegekreuze. Ganz unten liegen vielleicht auch ein paar Nazis. Aber die meist gut verborgen, weil deren Angehörige aktuell noch zu den Nachbarn zählen können. Das ist in ländlichen Gemeinschaften, wo man sich täglich begegnen kann, ein evidenteres Problem als in der Großstadt. Heimat- und Geschichtsarbeit besteht dort – um im Bild zu bleiben – häufig darin, in den Fundus zu greifen, einen Gegenstand herauszunehmen, der einem zusagt, einen Aufsatz zu schreiben, ein Kreuz oder einen Stein aufzustellen oder Geschichte in „historischen Kostümen“ in der Weise nachzustellen, wie man sie versteht. Gleichzeitig bleiben Themen unbearbeitet, die für Verstörung im ländlichen Umfeld sorgen würden, wie beispielsweise Antisemitismus, Verfolgung, Denunziation und Arisierung während der NS-Zeit. Die Verbreitung regionaler Heimat- und Geschichtsvereine sollte also nicht zu der falschen Annahme führen, historische Aufarbeitung der jüngeren Geschichte sei überall ein großes Thema. Das ist nicht der Fall. Das Wissen um die Regionalgeschichte zwischen den 1920er und 1950er-Jahren weist vielmehr gravierende Lücken auf und ist von Mythen und Legenden durchsetzt. Die Arbeit der Heimat- und Geschichtsvereine ist auch nicht vergleichbar mit der Grabe-wodu-stehst-Bewegung die ab den 1970er-Jahren in zahlreichen Großstädten und anderen Landesteilen der alten Bundesrepublik Furore gemacht und zur Ausbildung zahlreicher „Geschichtswerkstätten“ geführt hatte. Damals war diese von Skandinavien ausgehende Bewegung eng verknüpft gewesen mit emanzipatorischen Bestrebungen, die später unter dem Oberbegriff „Neue soziale Bewegungen“ erfasst wurden. Seinerzeit entwickelte und organisierte sich – meist jenseits der Hochschulen – das Interesse an Sozialgeschichte, Frauengeschichte, Arbeitergeschichte, Geschichte von Minderheiten, denen man zunächst in der unmittelbaren eigenen Umgebung nachspürte, Archive durchforstete, private Aufzeichnungen und Erinnerungen studierte und Zeitzeugeninterviews durchführte. All das geschah in den meisten Fällen auf der Grundlage eines zumindest rudimentär vorhandenen theoretischen Rüstzeugs, das schrittweise ausgebaut wurde. Viele, die in dieser „Neuen Geschichtsbewegung“ mitwirkten, kamen aus einem studentischen Milieu. Ihr Antrieb war Neugierde und das Bewusstsein, dass traditionelle Institutionen wie Hochschulen oder Stadtmuseen bis dato nicht allzu viel zur Erkundung einer „Geschichte von unten“ beizutragen hatten. Die meisten Heimat- und Geschichtsvereine von heute sind völlig anders strukturiert. Viele derjenigen, die sich dort engagieren, haben bereits die Pensionsgrenze überschritten. Oft handelt es sich bei ihren Mitgliedern um pensionierte Lehrer, ehemalige politische Funktionsträger oder andere Honoratioren, die über ihre Vereine den unhinterfragten Status von „Spezialisten“ besitzen – den sie mitunter auch bissig verteidigen. Jüngerer Nachwuchs ist in den Vereinen deswegen rar. Außerdem verfügt dieser in der Regel nicht über das freie Zeitkontingent, das Pensionären zur Verfügung steht. Wenn aber eine Alterskohorte qua Verein einseitig die lokale Geschichtsarbeit dominiert, ist das sehr wohl problematisch für alle. Denn dadurch wird nicht nur das Methoden- und Themenspektrum verengt. Ereignisse des Zweiten Weltkriegs werden auch häufig mit einem lokalen „Tunnelblick“ erfasst, der relevante Geschichtsdebatten der letzten Jahrzehnte oder die Makrogeschichte des Nationalsozialismus weitgehend ausblendet. Dass unter diesen Voraussetzungen Mythen und Legenden vom Kriegsgeschehen bis in die Gegenwart konserviert und verteidigt werden, liegt auf der Hand. Diese Grundstruktur zu erkennen, gehört zu den Voraussetzungen, um verstehen zu können, wieso die mit dem Moratorium verbundene Arbeit bei manchen zivilgesellschaftlichen Akteu- 6 ren der Nordeifel auf geringes Interesse, bei wiederum anderen auf ablehnendes Taktieren und bei wenigen auf ruppige Ablehnung stieß. Viele andere wiederum begrüßten die Initiative. „Endlich passiert hier mal was“ oder „Wurde auch Zeit, dass der Wehrmacht-Verehrung mal was entgegengesetzt wird“ – so lauteten einige der aufmunternden Kommentare zu meiner Arbeit. Im Folgenden möchte ich die Formen von Ablehnung und von zustimmenden Verhaltensweisen näher konkretisieren. Ich werde das an vier Beispielen ausführen. Die handelnden Personen gebe ich dabei anonymisiert wieder. Beispiel 1 steht für Totalopposition, Beispiel 2 für verschiedene Formen reflektierten Taktierens, um den Status Quo zu sichern, Beispiel 3 steht für bedenkliches Isolationsverhalten mit politischen Auswirkungen, Beispiel 4 steht stellvertretend für gelungene Formen der Kooperation. Beispiel 1: Rustikale Abwehr Für das erste Beispiel greife ich auf eigene protokollarische Aufzeichnungen zurück, die kurz nach der Veranstaltung von mir angefertigt wurden. Ich habe das nach allen Erstkontakten so gemacht. Ich wähle diese Form, weil sich darüber am sinnfälligsten auch etwas von der Atmosphäre vermitteln lässt, die dann herrscht, wenn relevante Teile der Zuhörerschaft auf Totalopposition schalten. Deutlich wird in den Aufzeichnungen auch, welche Themen Anlass zu mitunter heftigen emotionalen Reaktionen geben. Das Beispiel behandelt den Besuch bei einer Gruppierung, die unter dem Namen „Arbeitsgemeinschaft der Heimat- und Geschichtsvereine im Monschauer Land“ firmierte (s. oben unter „n“), und den Versuch darstellte, so etwas wie eine regionale Dachorganisation zur Behandlung übergeordneter Fragestellungen zu entwickeln. Der Besuch fand am 14.12.2015 in Simmerath statt. Die inzwischen eingeschlafene „Arbeitsgemeinschaft“ ist nicht zu verwechseln mit dem Geschichtsverein des Monschauer Landes. Einige Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft“, die am Abend meines Besuchs zugegen waren, sind auch als „Gästeführer“ im Hürtgenwald bzw. in Vogelsang tätig. Zunächst das leicht gekürzte Protokoll, anschließend eine knappe Einschätzung zu den Reaktionen der ausschließlich männlichen Teilnehmer der Runde. Nachdem ich mich kurz vorgestellt hatte, eröffnete ich den Vortrag mit einer Übersicht von sechs Schwerpunkten, an Hand derer ich das Moratorium erläutern wollte. Ich zitiere jetzt aus meinem Besuchsprotokoll: „Obwohl ich gerade erst zwei Sätze gesagt hatte, die lediglich darauf zielten, wie ich bei dem anstehenden Kurzvortrag vorgehen wollte, fiel mein Nebenmann [nennen wir ihn X] bereits mit hochrotem Kopf über mich her. Wie ich eigentlich dazu komme, Kreuze im Wald entfernen zu wollen. Ich war verwundert und versuchte klar zu machen, dass ich das weder beabsichtigt noch irgendetwas dazu gesagt hätte. Mir gehe es zunächst mal lediglich darum, Interesse für die sechs Fragestellungen zu wecken, die auf der ersten Tafel zu lesen seien. Jetzt griff ein anderer ein [nennen wir ihn Y]: ‚Konkreter, konkreter, konkreter, konkreter…’ brach es stakkatoartig aus ihm heraus. Meine Verwunderung wuchs. Was war denn plötzlich in den bis dahin ruhigen Mann gefahren, der mich eben noch so selbstverständlich geduzt hatte, als würden wir uns aus dem Sandkasten kennen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass ich diese Antreiberei ziemlich unsinnig fände. Natürlich würde es konkreter, ich hätte bislang gerade mal zwei Sätze zum Aufbau meines Vortrags sagen können. Danach brach ich die weiteren Punkte der Einleitung ab und ging zum ‚Konkreten’ über, um überhaupt ein paar Worte ungestört sagen zu können. Ich hatte vorgehabt, an einem Beispiel zu zeigen, wie sich Begriffe für ein und dasselbe Ereignis im Laufe der Jahre verändern können, weil sich auch die Gesellschaft mit ihren Konventionen, Werten und ihrem Geschichtsverständnis ständig verändert. Ich hatte das deutlich machen wollen am Begriff der ‚Befreiung’ und dazu ein Bild vorgeführt, das den US-amerikanischen Generalkonsul zeigt, wie er 2015 in Nideggen-Schmidt eine Gedenktafel der Pfarrgemeinde enthüllt. Ich hatte jetzt kurz den Bogen schlagen wollen von Begriffen wie ‚Katastrophe’ (Friedrich Meinecke) oder ‚Zusammenbruch’, die bis in die 1960er Jahre Konjunktur hatten, bis hin zur vielgepriesenen Rede Richard von Weizsä- 7 ckers aus dem Jahr 1985, in der erstmals staatsoffiziell von ‚Befreiung vom Nationalsozialismus’ die Rede war. Wieder grätschte mein Nebenmann X mit hochrotem Kopf dazwischen. In Schmidt sei niemand befreit worden. Als das Dorf zerstört worden sei, sei überhaupt kein Zivilist mehr zugegen gewesen. Daraus hätte sich ein Gespräch entwickeln können, das sich darum hätte drehen können, wer die Befreiung aus welchen Gründen als Befreiung erleben konnte, für wen sich das Kriegsende zunächst mal als Katastrophe darstellte – und wie man heute begrifflich mit diesen unterschiedlichen Formen des Erlebens umgehen kann. Doch ich wurde erneut unterbrochen, dieses Mal wieder durch Y und seinen Nebenmann [nennen wir ihn Z], der mir ebenfalls unbekannt war. Z versuchte mir recht abschätzig – und wiederum im Wechsel mit Y – deutlich zu machen, dass Richard von Weizsäckers Meinung eben nur eine unter vielen sei. Er könne die Meinung ja ruhig haben, andere hätten eben andere. Was damit gemeint war, wurde mir nicht klar, weil eine eigene Position auch nicht vorgetragen wurde. Mein Hinweis, von Weizsäcker habe damals als oberster Staatsrepräsentant gesprochen und nicht als Privatmann, außerdem habe er nur ein Verständnis zum Ausdruck gebracht, das in weiten Teilen der Gesellschaft längst Konsens gewesen sei, sorgte kurzfristig für etwas Ruhe. Die war aber dann auch rasch wieder vorbei, weil mein Nebenmann X nun einwarf: Und überhaupt, es gehe ja wohl nicht, dass auf der Tafel nur Amerikaner genannt würden. ‚Unsere’ Soldaten, die im Hürtgenwald gekämpft hätten, würden auf der Tafel fehlen. Ich bin für einen Moment sprachlos. ‚Sie meinen also, dass die Wehrmacht Deutschland befreit hat?’, frage ich recht konsterniert. Das meinte er wohl nicht, denn er wendete sich nun beleidigt ab. Ich gehe jetzt nicht auf die weiteren Details ein. Fakt ist: Ich kann sagen, was ich will und zeigen was ich will – alles ist bloß Ansporn für Totalopposition, aus der aber auch kein klares inhaltliches Gegenbild deutlich wird. An einer Stelle, als mir die Attacken zu rüpelhaft werden, drohe ich mit Abbruch des Vortrags, das schafft für einen kurzen Augenblick Ruhe und sorgt für Irritation. Würde der Referent wirklich gehen? Von den neun Anwesenden inszenieren mein Nebenmann X sowie Y und Z mit verteilten Rollen die fortgesetzten Attacken, fünf weitere Anwesende schweigen meist mit verkniffenen Lippen, nur einer, der den Altersdurchschnitt von 70+ etwas senkt, wendet an einer Stelle ein, was der Herr Möller sage sei doch gar nicht falsch, zumindest nachdenkenswert. Da könne man doch ernsthaft drüber reden. Eine Abbildung sorgt dann doch noch für Sprachlosigkeit. Ich hatte im Mai 2015 ein Foto an der Mestrenger Mühle gemacht, an der eine dezente Tafel darauf hinweist, dass deren Besitzer beim Besuch der Mühle im April 1945 durch eine Mine zu Tode kam. Nun stand eine große Tafel darunter, die das Tagesgericht anpries – ausgerechnet Gulaschsuppe. Da kann einem nun viel durch den Kopf gehen. Meine Zuhörer stockten. Einem der ‚Stummen’ entrang sich dann das Wort ‚Pietätlos’ mit einem Unterton aus Ekel und Verachtung. Das könne man sicher so werten, stimmte ich zu. Interessant sei doch aber, warum es zu dieser ‚Pietätlosigkeit’ komme, warum niemandem aufgefallen sei, dass man die beiden Schilder nicht zusammenbringen dürfe und was das wiederum über die heutige Wahrnehmung dieser und vielleicht auch anderer Gedenktafeln aussage. Das Interesse, darüber zu sprechen, war aber gering. Eine Zuhörerschaft, die auf Krawall oder verstocktes Schweigen gebürstet ist, mag die ungeschützte Rede nicht, in deren Verlauf man sich eine eigene Position erst erarbeitet. Auf drei weitere Punkte des Vortrags möchte ich noch eingehen, weil sie signifikant sind. Als ich auf Gedenkrituale und auch auf die Kommentierung von Kriegsgräberstätten zu sprechen kam, wollte ich explizit zustimmungsfähige Beispiele aus der Region zeigen. Ich führte in dem Zusammenhang die ‚Aktion Friedenstaube’ des katholischen Franziskus-Gymnasiums Vossenack auf der benachbarten Kriegsgräberstätte Vossenack mit Luftbild an. Doch auch daran durfte nichts Gutes bleiben. Man könne da ja sehr geteilter Meinung sein, ob es richtig sei, dass bei einer solchen Aktion über die Grabfläche getrampelt würde. Könnte man, merkte ich an; das würde allerdings auch am Totensonntag geschehen, wenn Angehörige Kerzen an den flachen Namenssteinen abstellten. Ob man das denn dann besser sein lassen solle? Verstocktes Schweigen. Am Beispiel von sechs im Juni 2015 aufgestellten neuen Informationstafeln auf der Kriegsgräberstätte Vossenack möchte ich deutlich machen, was man beim genauen Hinschauen dort alles entdecken und lernen kann. Z zischelt nun Y zu, so dass ich es hören soll: ‚Vieles, was darauf steht, ist falsch.’ Rückfrage Y: ‚Du warst schon da?’. Vielsagendes Nicken und verächtliches Abwinken nach dem Motto ‚Kannst du dir sparen’. Jetzt platzt mir langsam der Kragen. Jetzt bitte ich darum, endlich konkreter zu werden. Was sei falsch? Großkotziges Abwinken. Ich hake nach: Zumindest eine falsche Angabe müsse doch zu nennen sein. Wieder nichts. Z könne mir die Fehler gerne auch schriftlich nennen, ich würde sogar darum bitten. Wieder nichts. Offensichtlich geht es nur darum, Dinge schlecht zu machen, an deren Erstellung man selbst nicht beteiligt war, egal, von wem sie stammen. Der Kollate- 8 ralschaden, einen ehrenamtlich arbeitenden Geschichtskurs eines katholischen Gymnasiums, der maßgeblich an dem Zustandekommen der Tafeln beteiligt war, damit zu brüskieren, wird billigend in Kauf genommen. Letzter Punkt. Am Ende wollte ich noch einmal eine klare Abgrenzung gegenüber rechtsradikalen Tendenzen in der Erinnerungslandschaft ziehen, zeige ein T-Shirt mit dem NS-Adler und dem Aufdruck ‚Vizemeister ’45’ und frage, ob das vielleicht eine passende Formel für die Niederschlagung des Nationalsozialismus durch die Alliierten sei. Ablehnendes Gemurmel. Nein, so was geht nicht. Z wirft jetzt ein: ‚Was hat das denn mit uns zu tun?’ Ich lasse ein weiteres Bild folgen: ein Babystrampler mit der Aufschrift ‚Mein Stahlhelm ist schon gepresst’, versehen mit der Kontur eines Wehrmachthelms. Jetzt zunehmend aggressiver: ‚Was hat das mit uns zu tun?’. Ich lasse noch ein Bild folgen: Wehrmachtpanzer zielt auf Eiffelturm. Die Schrift dazu: ‚Durch Frankreich nur auf Ketten’. ‚Das hat mit uns überhaupt nichts zu tun!’. Inzwischen schreit der Nebenmann von Y. Ich zeige jetzt ein Bild, das deutlich macht, wo man diesen rechtsaffinen Kram bestellen kann: bei einer Firma namens ‚Alfashirt’ (https://alfashirt.de/). ‚Sag ich ja: Hat mit uns überhaupt nichts zu tun!’ Ich mache mir langsam Sorgen um Z, der zu kollabieren droht, und zeige das letzte Bild meines Vortrags: ein Werbebanner der Reservistenkameradschaft Hürtgenwald, aufgenommen beim Internationalen Hürtgenwaldmarsch der Bundeswehr im Oktober 2015. Darauf auch der Schriftzug ‚Supported by Alfashirt’ mit dem entsprechenden Logo. Für einige Sekunden könnte man jetzt eine Nadel fallen hören.“ Ende des Protokolls. Die Situation des Abends lässt etwas von dem Druck erahnen, unter dem Menschen handeln, die ihre Grundüberzeugungen in Frage gestellt sehen. Wer in ländlichen Gemeinschaften an einseitige, jahrzehntelang kultivierte Opfererzählungen rührt, wer tradierte Geschichtsbilder und -mythen zur Disposition stellt, Gedenkrituale hinterfragen will und auf fließende Übergänge zwischen vertrauten Gruppierungen und rechtsaffinen Kreisen aufmerksam macht, der erhöht diesen Druck und provoziert mitunter heftige Abwehr. In der Anonymität sozialer Netzwerke findet diese Haltung dann ihre konsequente Erweiterung. Mich wunderte es daher auch kaum, auf einer Facebook-Seite von Wehrmacht-Fans ein Bild von mir zu finden, das aus einem Beitrag in der Aachener Zeitung illegal abgekupfert war. Darunter wurde vor meinen Aktivitäten Rahmen des Moratoriums gewarnt. Die Kommentierungen, die darauf folgten, entstammten unmittelbar dem Wortschatz der Lingua Tertii Imperii (Victor Klemperer): „Vaterlandsverräter“, „Ratte“, „Untermensch“, „Verräter am Deutschen Volk“ etc. (https://www.facebook.com/Wehrmacht-373228182809740/) Man muss wohl mit derlei Hetze rechnen, wenn man erinnerungspolitische „Kampfzonen“ betritt und sich dabei wohl oder übel exponiert. Es blieben indes Einzelfälle. Beispiel 2: Reflektiertes Taktieren Zum zweiten Beispiel (siehe oben „c“): Es gibt zwei „Hauptbaustellen“, denen im Rahmen des Moratoriums besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Eine davon ist das Museum „Hürtgenwald 1944 und im Frieden“, das sich in Vossenack befindet. Seit Jahren ist diese Militariasammlung wegen ihrer affirmativen Kriegsdarstellung Gegenstand öffentlicher Kritik. Im Jahr 2010 fand sogar eine Begutachtung der Einrichtung durch Vertreterinnen und Vertreter der Hochschulen Aachen und Köln statt. Deren Urteil in Stichworten: Es fehle eine Leitidee sowie ein „Roter Faden“ als unabdingbare Voraussetzung für die Sinnhaftigkeit der Ausstellung; die einzelnen Ausstellungsobjekte dienten keinem Konzept, sondern seien bloß auf Grund ihres Vorhandenseins ausgestellt; eine eigene Abteilung, die dem lokalen Veteranenverband der „Windhunde“ (116. Panzerdivision) gewidmet ist, folge unkritisch und heroisierend dem Mythos der ‚sauberen Wehrmacht’ und schreibe fundiert widerlegte Legenden weiter fort. Das Gutachten: Karola Fings / Peter M. Quadflieg u. a.: Das Museum „Hürtgenwald 1944 und im Frieden“ in Hürtgenwald-Vossenack. Eine Bestandsaufnahme. - Köln u. Aachen, Juni 2010, S. 2, abrufbar unter: http://www.wisotech.rwth-aachen.de/wp-content/2007/04/fings_quadflieg_museum_hurtgenwald_bestandsaufnahme.pdf. Nach der Vorlage des Gutachtens brachen die Museumsbetreiber, die eine Untergruppe des Geschichtsvereins Hürtgenwald bilden, den Kontakt zu der ehrenamtlich arbeitenden Wissen- 9 schaftlergruppe ab. Diesem Prinzip ist die Betreibergruppe bis heute treu geblieben – zum Schaden der Gemeinde Hürtgenwald und ihrer Bürgerinnen und Bürger, die mehrheitlich mit der Militariasammlung in der gegenwärtigen Form nichts anzufangen wissen. Um ein passendes Bild zu gebrauchen: Die Museumsgruppe verhält sich wie der Herr einer mittelalterlichen Burg. Kommen Fremde von außen, die etwas anzubieten haben, lässt man sie über die Zugbrücke bestenfalls bis hinter den äußeren Festungsring ein, spricht dort vielleicht sogar mit ihnen. Dann lässt man sie stehen, bis sie von selbst gehen und zieht die Zugbrücke wieder hoch. Auf das Moratorium gewendet bedeutete das: Man ließ den Dialog anfänglich zu. Es gab ein Erstgespräch mit einer kleinen Kernmannschaft von fünf Vereinsmitgliedern in einer Gaststätte, bei dem auch der Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald anwesend war. Es war ein freundlicher Austausch. Es kam sogar noch ein Begehungstermin des Museums mit einem der Mitglieder des Vereins zustande. Die Begehung dauerte drei Stunden. Anschließend hörte ich mir noch zwei Stunden lang alleine die Texte des Audioguides an. Der Vorstand des Vereins hatte es zuvor abgelehnt, mir die Tondateien für die Durchsicht zur Verfügung zu stellen. Der Audioguide war noch relativ neu und einige Mitglieder der Museumsmannschaft waren an meinem Urteil interessiert. Ich schrieb es auf und reichte es weiter (siehe Dokument 5). Eine Antwort darauf erfolgte nicht. Die genannte Begehung sollte den Sinn haben, Voraussetzungen für ein Treffen mit der gesamten Museumsmannschaft zu schaffen, die aus mehr als einem Dutzend Aktiven bestehen soll. Bei einem solchen Treffen im Museum wäre ein vertiefendes Gespräch über einzelne Inszenierungen, über verschiedene Sichtweisen, über kurz- und langfristige Verbesserungsmöglichkeiten etc. möglich gewesen. Aber genau dies war ein Schritt zu weit. Die Zugbrücke ging wiederum hoch, sprich: Bemühungen um ein solches Treffen ließ man erneut ins Leere laufen. Ein weiteres Beispiel für dieses Verhaltensmuster: Vier Mitglieder der Museumsgruppe nahmen im Rahmen des Moratoriums an einer Exkursion in das Militärhistorische Museum der Bundeswehr nach Dresden teil. Daran sollte sich – auf Einladung des Bürgermeisters – eine Nachbesprechung anschließen. In der Dresdener Ausstellung hatten ausführliche Gespräche mit dem Historiker und Sachgebietsleiter des Bildarchivs Jens Wehner sowie dem Historiker und Museumspädagogen Erik Zimmermann stattgefunden. Beide hatten hervorgehoben, dass Militärmuseen, die früher vor allem als Ausstellungshallen für Waffentechnik und für die glanzvolle Repräsentation nationaler Streitkräfte fungiert hatten, heute ganz anderen Standards folgen, indem sie die Themen „Krieg“ und „Militär“ mit ihren jeweiligen Verästelungen in die Politik-, Sozial-, und Mentalitätsgeschichte darstellen. Das Museum verzichtet dabei vollständig auf „naturalistische“ Inszenierungen des Kriegsgeschehens. Deshalb finden sich hier auch so gut wie keine „Soldatenpuppen“ in nachempfundener Kriegslandschaft. Die beiden Wissenschaftler hatten auch deutlich gemacht, dass die museale Darstellung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs unvollständig bleibt, wenn sie ohne Lagergeschichte und ohne den verbrecherischen Kontext des NS-Regimes erzählt wird. Sie hatten weiter ausgeführt, dass sich Lokal- und Regionalgeschichte nur angemessen verstehen, darstellen und ausstellen lässt, wenn fundiertes wissenschaftliches Hintergrundwissen in den Rekonstruktionsprozess einfließt. Auf Nachfrage des Bürgermeisters der Gemeinde Hürtgenwald wiesen sie zudem darauf hin, dass das Dresdener Museum nach seinem Umbau und seiner Neuausrichtung im Jahr 2011 ganz neue Besuchergruppen erreicht habe, für die militärgeschichtliche Themen bislang eher weniger interessant waren. Sie anzusprechen sollte daher Ziel militärhistorischer Museen sein, sofern Interesse an einer zeitgemäßen Darstellung und an höherem Besucherzuspruch besteht. Jens Wehner hatte am Ende des Besuchs angeboten, Kollegen aus dem Wissenschaftsbereich anzusprechen, die sich in einem erst noch zu gründenden Beirat des Hürtgenwald-Museums oder einem anderen begleitenden Gremium engagieren könnten. 10 Wenn Betreiber einer lokalen Militariasammlung mit Museumsanspruch solche Angebote bekommen und pädagogisch einfühlsam mit aktuellen Standards von Militärgeschichte und Ausstellungsgestaltung konfrontiert werden, sollte man davon ausgehen, dass anschließend erhöhter Gesprächbedarf darüber besteht, welche Konsequenzen aus dem Gesehenen und Gehörten zu ziehen sein könnten. Doch auch hier wurde die Zugbrücke gleich wieder hochgezogen. Der Einladung des Bürgermeisters zur Nachbesprechung der Reise mochte niemand folgen. Immerhin: Das Angebot der Dresdener Experten zu einem Gespräch über das Hürtgenwald Museum vor Ort wurde nach einigem Zögern akzeptiert. Ausgang offen. Die Liste lässt sich weiter fortsetzen. Ich bot an, den Historiker Thomas Thiemeyer (Tübingen), der als Erster einen systematischen Vergleich von Präsentationen der beiden Weltkriege in elf westeuropäischen Museen angestellt hat, zu einem Vortrag in den Veranstaltungsraum des Hürtgenwald-Museums zu laden (Siehe: Thomas Thiemeyer, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum. - Paderborn 2010). Das wurde anfangs wohlwollend aufgenommen. Als der Veranstaltungsabend aber konkretisiert werden sollte, lehnte der Vorstand die Einladung Thiemeyers in das Museum einstimmig ab. Diese Erfahrungen mit der Museumsgruppe des Geschichtsvereins Hürtgenwald hat jede und jeder machen können, der oder die sich darauf eingelassen hat, qua Kommunikation Änderungen der umstrittenen Einrichtung anzustoßen. Flankiert werden die geschilderten Abwehrmaßnahmen durch eine Reihe von Selbstrechtfertigungen, die dazu dienen, gleichzeitig für Sympathie und Verständnis in der Öffentlichkeit und gegenüber politischen Funktionsträgern zu werben und einen eigenen Opferstatus in der Auseinandersetzung zu begründen. Ich habe die Stationen der vergeblichen Bemühungen um einen konstruktiven Austausch sowie die Abwehrstrategien der Betreiber des Museums in einem eigenen Dossier festgehalten. Es wurde von mir dem Lenkungskreis und einigen Ratspolitikern von CDU, SPD und Grünen zur Verfügung gestellt. Siehe dazu Dokument 6.1. In einem weiteren Dossier bin ich ausführlich darauf eingegangen, was die Ursachen dafür sind, dass es im „Museum Hürtgenwald“ über die Jahre zu einem Problemstau gekommen ist, der mit einfachen Mitteln auch nicht mehr aufzulösen sein wird. Ich skizziere darin auch knapp, wie der Aufbau einer zeitgerechten militärgeschichtlichen Museumsdarstellung aussehen könnte. Auch dieses Dossier wurde dem Lenkungskreis und einigen Ratspolitikern von CDU, SPD und Grünen zur Verfügung gestellt. Siehe dazu Dokument 6.2. Beispiel 3: Bedenkliches Isolationsverhalten mit politischen Auswirkungen Drittes Beispiel (siehe oben „d“): Förderverein Windhunde mahnen zum Frieden e. V. Der Verein unterhält eine in Vossenack gelegene Anlage, die im Jahr 1966 von Angehörigen der 116. Panzerdivision der Wehrmacht errichtet wurde, die sich selbst die Bezeichnung „Windhund“-Division gegeben hat. Über die Geschichte der Veteranen, ihres Verbandes und ihren „Familienvater“, den Wehrmachtgeneral, Kanzlerberater und Rüstungslobbyisten Gerhard Graf von Schwerin, liegen inzwischen einige Untersuchungen vor, weshalb ich auf diesen historischen Teil nicht näher eingehe. Ich nenne nur kurz als Literatur: Peter M. Quadflieg, Gerhard Graf von Schwerin. Wehrmachtgeneral – Kanzlerberater – Lobbyist, Paderborn 2016; Christoph Rass / René Rohrkamp / Peter M. Quadflieg, Gerhard Graf von Schwerin und das Kriegsende in Aachen. Ereignis, Mythos, Analyse, Aachen 2007; René Rohrkamp / Peter Quadflieg / Christoph Rass, Ein „Kampfkommandant der Menschlichkeit“? Gerhard Graf von Schwerin im kommunikativen Gedächtnis Aachens, in: Geschichte im Westen. Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte 24, 2009, S. 99-134; Frank Möller, Erinnerungslandschaft Hürtgenwald. Kontroverse Kriegs- und Nachkriegsdeutungen 70 Jahre nach Ende der Kampfhandlungen in der Eifel, Bonn 2016. 11 Aktuell geht es um die Frage, wie die genannte Anlage heute als Denkmal im öffentlichen Raum zu historisieren bzw. zu erklären ist. Dazu soll eine Informationstafel im Eingangsbereich geschaffen werden. Außerdem geht es darum, welchen Sinn Gedenkfeiern auf dieser Anlage heute noch machen können und welche Inhalte dabei transportiert werden. Die „Tafelfrage“ hat eine Vorgeschichte, die an anderer Stelle ausführlich behandelt wurde. Siehe dazu: Fings, Karola / Möller, Frank: Der Tafelstreit im Hürtgenwald. Hintergrund, Lösungsvorschläge, Ergebnis. - In: Fings, Karola / Möller, Frank [Hrsg.]: Hürtgenwald – Perspektiven der Erinnerung, S. 203-225. Bis 2015 befanden sich auf der Anlage fünf Tafeln, die den Krieg als Abenteuer banalisierten und entpolitisierten und die Taten der „Windhunde“ heroisierten. Als sich auch beim Kreis Düren – dem das Grundstück gehört, auf dem die Anlage steht – die Einsicht durchgesetzt hatte, dass die Darstellungen, für deren grafische Gestaltung wiederum der Vorsitzende des Geschichtsvereins Hürtgenwald, Rainer Valder, verantwortlich zeichnete, nicht länger tragbar sei, wurden die Tafeln im Juni 2015 entfernt. Im Rahmen des Moratoriums wurde dem heutigen Betreiber der Anlage, dem Förderverein „Windhunde mahnen zum Frieden“, aufgegeben, einen zustimmungsfähigen Text zu entwerfen. Dabei sollte und konnte der Betreiber die Unterstützung des Koordinators des Moratoriums in Anspruch nehmen. Beschlossen wurde dies während eines gemeinsamen Termins, an dem u. a. der Landrat des Kreises Düren, der Bürgermeister der Gemeinde Hürtgenwald, die stellvertretende Direktorin des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, der Geschäftsführer der Deutschen Kriegsgräberfürsorge NRW, der Vorsitzende des „Windhund“-Vereins und der Koordinator des Moratoriums teilnahmen. Das Treffen fand am 10. Juni 2015 statt. Bis heute liegt kein tragfähiger Textentwurf vor. Dass das so ist, liegt aus meiner Sicht an einem grundsätzlichen Missverständnis. Im Hürtgenwald geht die Politik davon aus, erinnerungspolitische Konflikte der Zivilgesellschaft ließen sich im Dialog auflösen, man müsse nur immer wieder Angebote machen. Diese Beurteilung unterschätzt aber, dass es in diesen Konflikten auch um handfeste politische Interessen und um Machtfragen geht. Dass ein Verein, der sich selbst in der Nachfolge einer Wehrmachtdivision sieht, strukturell damit überfordert sein muss, eben diese Anlage – quasi gleichzeitig als Außenstehender – in einen historischen Geschichtskontext einzuordnen, liegt eigentlich auf der Hand. Eine zielführende Vorgehensweise würde darin bestehen, Spezialisten der „Windhund“-Geschichte – hier wäre zum Beispiel Peter M. Quadflieg zu nennen, der die Biografie Gerhard Graf von Schwerins verfasst hat – sowie regionale Fachhistoriker, die im Stadt- und Kreisarchiv Düren kompetent arbeiten, zusammenzuführen und um einen Vorschlag zur Kommentierung der Anlage auf wissenschaftlicher Grundlage zu bitten. Der zweite Konfliktpunkt betrifft die Gedenkfeiern, die der Förderverein jährlich immer am zweiten Sonntag im Oktober abhält. In diesem Jahr fanden sie zum fünfzigsten Mal an der „Windhund“-Anlage statt. Was den Initiatoren als bedeutende Veranstaltung gilt, um „die Erinnerung an eine unvorstellbare [sic!] Zeit wach [zu] halten und zum Frieden [zu] mahnen“ (so die Darstellung des Vereins auf der Website http://www.mahnmal-windhund-divisionvossenack.de/index.php/de/), werten viele außenstehende Beobachter als sinnentleerten militaristischen Mummenschanz, dessen Friedensbekenntnis eine allzu bequeme Leerformel ist. Problematisch an den Veranstaltungen des „Windhund“-Vereins ist die Tatsache, dass die dort gehaltenen Reden – insbesondere diejenigen des Bundeswehrangehörigen Mario Cremer – seit Jahren dem rechtspopulistischen Grundnarrativ von „Volk versus Elite“ folgen und diesem Muster entsprechend dazu genutzt werden, Ressentiments gegen die Politik, die Wissenschaft, die Historiker und die Presse zu schüren. Die Botschaften, die mit derlei Reden ausgesandt werden, finden dann zwangsläufig auch ein Publikum, das dazu passt. Es dürfte kein Zufall sein, dass ausgerechnet im Jubiläumsjahr der stellvertretende Vorsitzende der Reservistenkameradschaft Hürtgenwald, Claus Höppner, gemeinsam mit dem Marschgruppenführer der in Hessen beheimateten „Marschgruppe Hürtgenwald“, Otto Baumann, und ihren Reser- 12 visten auf dem „Windhund“-Gelände Aufstellung nahmen. Baumann zählt zum national-konservativen Spektrum der AfD um Björn Höcke. An der „Windhund“-Anlage wird sich bei gleich bleibendem Ritual auch weiterhin im Oktober jeden Jahres eine Parallelgesellschaft einfinden, die sich absehbar weiter radikalisiert. Angebote, die dem veranstaltenden Förderverein im Rahmen des Moratoriums gemacht wurden, gemeinsam und mit Unterstützung durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge über veränderte Formen des Erinnerns nachzudenken, wurden nicht aufgegriffen. Ich habe am Ende des Moratoriums die Entstehungsgeschichte des „Windhund“-Fördervereins, die mit seiner Ausstellung und seinen „Feiern“ verbundenen Probleme und die gescheiterten Bemühungen um eine die „Windhund“-Anlage historisierende Informationstafel in einem ausführlichen Dossier zusammengefasst. Es liegt als Dokument 7 vor. Beispiel 4: Gelungene Kooperation Bislang war von Konfliktfeldern die Rede, die im Rahmen des Moratoriums angegangen wurden. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zahlreiche Kontakte, Gespräche und gemeinsame Veranstaltungen gegeben hat, in denen auch positive Seiten der Erinnerungskultur der Nordeifel sichtbar wurden. Ein hervorzuhebendes Beispiel dafür bieten die Aktivitäten des Kirchenvorstands von Nideggen-Schmidt sowie diejenigen des dort ansässigen anerkannten Bildungsträgers für den außerschulischen Lernort Hürtgenwald „Regio Oratio“. Schon zu Beginn des Jahres 2015 hatten beide – wie oben bereits angesprochen – dafür gesorgt, dass eine Gedenktafel angefertigt und in der Kirche St. Hubertus angebracht wurde, auf der die Gemeinde Schmidt sich ausdrücklich für die Befreiung von der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus bedankt. „Regio Oratio“, bestehend aus Konrad und Benedikt Schöller, Vater und Sohn, befasste sich damals auch bereits mit dem Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener, die auf der nahe gelegenen Kriegsgräberstätte von Simmerath-Rurberg bestattet sind. In einer mit eigenen Mitteln finanzierten Ausstellung, machten sie deren Geschichte und Schicksale transparent. In einer Region, in der Vorstellungen, die Deutschen seien die eigentlichen Opfer des Krieges und ihres „Führers“ noch wilde Blüten treiben, war das durchaus ein Wagnis. Die Ausstellung wurde ebenfalls in der Kirche St. Hubertus gezeigt, die sich – anders als ihr Pendant in Vossenack – zu einem lebendigen Kulturzentrum entwickelt hat. Die Recherchen von „Regio Oratio“ flossen wiederum in Aktivitäten ein, auf dem „Russenfriedhof“ von Simmerath-Rurberg ein deutliches Statement für die Opfer der Nazideutschen zu setzen. Im Oktober 2015 wurden dort zehn Stelen mit den eingravierten Namen der bestatteten sowjetischen NS-Opfer gesetzt. Auf Anregung von Konrad Schöller geht auch die Initiative des Kirchenvorstands zurück, das Replikat einer Tafel anfertigen zu lassen, die sich einst auf dem Waldfriedhof „Buhlert“ befand. Sie sollte die Erinnerung an 65 Rotarmisten wach halten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und dort zu Tode geschunden worden waren. Mit der Auflösung des Waldfriedhofs und der Umbettung der sterblichen Überreste der gefangenen Soldaten auf die zentrale sowjetische Kriegsgräberstätte Rurberg war die Tafel im Jahr 1959 plötzlich spurlos verschwunden, auf einer Fotografie aber zum Glück präsent geblieben. Im Rahmen einer Gedenkfeier am 26. Juni 2016 in der gut gefüllten Pfarrkirche St. Hubertus wurde das Tafelreplikat enthüllt. Im Rahmen des Moratoriums wurde die Veranstaltung zu Ehren der ermordeten russischen Kriegsgefangenen in Nideggen-Schmidt begleitet (Dokument 8). Aus diesem Kontakt ergab sich wiederum die Möglichkeit, eine aktuelle Ausstellung nach Schmidt zu vermitteln, die bereits zuvor im Bundestag für Furore gesorgt hatte: „Operation Heimkehr“. Thematisiert 13 wird in der Schau die Erfahrung von Bundeswehrsoldaten während und vor allem nach ihrem Auslandseinsatz in Krisen- und Kriegsgebieten. 4. Planung, Organisation und Durchführung von Vortragsveranstaltungen Planung, Organisation und Durchführung von Veranstaltungen im ländlichen Raum, die von üblichen Mustern abweichen, sind regelmäßig mit erhöhtem Arbeitsaufwand verbunden. Das beginnt mit der Suche nach einem geeigneten Veranstaltungsort. Dieser muss a) „neutrales Gebiet“ sein, damit Besucherinnen und Besucher aus konkurrierenden Dorfgemeinschaften überhaupt dort zusammenkommen. Die nötige Infrastruktur muss b) mitgebracht werden, weil Absprachen – z. B. mit Hotels – durchaus nicht immer eingehalten werden. Tonanlage, Beamer, Leinwand, Laptop wurden von mir also – kostenfrei – mitgebracht und zur Verfügung gestellt. Referentinnen und Referenten aus dem Wissenschaftsbereich müssen c) in längeren Gesprächen davon überzeugt werden, wieso sie die verkehrstechnisch schwierige, zeitlich aufwändige und der Reputation kaum förderliche Reise in die „Diaspora“ überhaupt antreten sollen. Abholdienste zwischen Veranstaltungsort und nächstem größeren Bahnhof (Düren) sind d) zu organisieren. Hinzu kommt, e) dass für die Bewerbung der Veranstaltungen zunächst einmal ein brauchbarer Verteiler aufgebaut werden musste. Im Rahmen des Moratoriums wurde ein E-Mail-Verteiler mit über 300 Adressen zusammengestellt. Außerdem wurde ein Netz von Multiplikatoren geschaffen, über die die Weiterverteilung von Einladungskarten erfolgen konnte. Inhaltlich sollten die Veranstaltungen unmittelbar an regionale Themen und Interessen anknüpfen, diese aber gleichzeitig vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Forschungen behandelten. Der gute Zuspruch hat gezeigt, dass es Bedarf nach einem solchen Format gibt. Es erfüllt zwei Funktionen. Zum einen ist es notwendige Bildungsarbeit und konfrontiert regionalhistorisch Aktive mit inhaltlichen und methodischen Standards der Wissenschaft. Zum anderen sorgen diese Vorträge auch dafür, dass die Differenz zwischen diesen Standards und eher obskuren Positionen, die es in der Region nach wie vor gibt, deutlich wird. Außerdem können derlei Veranstaltungen auch dazu beitragen, Geschichtsinteressierte an Themen heranzuführen, die einem Engagement in den traditionellen Heimat- und Geschichtsvereinen aus guten Gründen ablehnend gegenüberstehen. Im Einzelnen fanden Vortragsveranstaltungen statt mit: • Jörg Echternkamp (Potsdam) zum Thema „Der Zweite Weltkrieg im Deutungskonflikt 1945-2015. Perspektiven der modernen Militärgeschichte“ am 4.3.2016 (knapp 100 Besucherinnen und Besucher); • Sabine Moller (Berlin) zum Thema „’Opa war kein Nazi!’ Familiengedächtnis, Zeitzeugenbefragung und NS-Vergangenheit“ am 1.7.2016 (ca. 50 Besucherinnen und Besucher); • Klaus Naumann (Köln/Hamburg) zum Thema „Von der Wehrmacht zur Bundeswehr. Stationen und Probleme eines schwierigen Übergangs“ am 28.10.2016 (ca. 40 Besucherinnen und Besucher); • Eröffnungsveranstaltung zu der Ausstellung „Operation Heimkehr. Bundeswehrsoldaten nach dem Auslandseinsatz“ mit Referaten der beiden Ausstellungsmacherinnen Sabine Würich und Ulrike Scheffer (Berlin) am 4.9.2016 (ca. 80 Besucherinnen und Besucher); Zu den vier Veranstaltungen siehe die Dokumente 9 bis 12. 14 Zu den Veranstaltungen wurden auch Nachbereitungen organisiert. Jörg Echternkamp bat ich um zusammenfassende Thesen (Dokument 13), Sabine Moller um Hinweise zur Vertiefung des Themas (Dokument 14), Klaus Naumann um eine Fassung seines Referats (Dokument 15), die Erste Stellvertretende Landrätin des Kreises Düren, Astrid Hohn, um ihre Worte zur Eröffnung der Ausstellung „Operation Heimkehr“ in Nideggen-Schmidt (Dokument 16). Diese der Vertiefung dienenden Texte wurden auf der Website der Gemeinde allgemein zugänglich gemacht. Außerdem versandte ich sie über den E-Mail-Verteiler. 5. Planung, Organisation und Durchführung von Workshops Die vorgesehenen Workshops kamen nur teilweise zustande. Das hat unterschiedliche Gründe. Der Lenkungskreis hatte auf seiner Sitzung am 9. Dezember 2015 beschlossen, dass die Workshops konkret auf Probleme vor Ort eingehen müssten, um erfolgreich sein zu können. Aus diesem Grund sollen sie auch erst […] aus dem weiteren laufenden Prozess des Moratoriums entwickelt werden.“ (Sitzungsprotokoll vom 9.12.2015) Damit war ihr Zustandekommen an den weiteren Entwicklungsprozess des Moratoriums sowie an die Kooperationsbereitschaft und an die Fantasie der Vertreter der Zivilgesellschaft gebunden. • Eine erste Veranstaltung, die Workshopcharakter hatte, konnte erfolgreich organisiert werden: eine Exkursion ins Militärhistorische Museum der Bundeswehr nach Dresden am 14./15. Juni 2016 (siehe dazu den von mir verfassten Bericht in Dokument 17). Wünschenswert wäre es gewesen, den Workshopcharakter noch durch eine nachfolgende Veranstaltung, die dem Austausch von Eindrücken und Konsequenzen hätte dienen können, zu verstärken. Die Einladung zu dieser Nachbesprechung ging von Bürgermeister Axel Buch aus. Einer der jüngeren Teilnehmer der Reise – der ehemalige Gymnasiast Martin Kreutz – hatte auch dafür gewonnen werden können, zusammen mit Bürgermeister Buch die Gesprächsleitung zu übernehmen. Aus dem Kreis der Reiseteilnehmer, zu denen insbesondere Mitarbeiter des Hürtgenwald-Museums zählten, war aber kaum jemand bereit, an dem Treffen teilzunehmen. Die Nachbereitung musste abgesagt werden. • Am 10. Dezember 2016 fand ein eintägiger Workshop im Rathaus Hürtgenwald in Kleinhau statt, zu dem gezielt Vertreter der Zivilgesellschaft, aber auch Rats- und Kulturausschussmitglieder und die Bürgermeister der umgebenden Gemeinden eingeladen worden waren. Moderiert wurde die Veranstaltung von Albert Moritz (IP Vogelsang), ich hielt das Hauptreferat (Dokument 18), Dr. Klaus-Dieter Kleefeld (LVR, Digitales Kulturerbe) erläuterte in einem Kurzvortrag Vorbilder und Möglichkeiten eines Landschaftsmuseums (Power Point-Fassung als Dokument 19). Die Veranstaltung machte vor allem deutlich, wie tief die Differenzen zwischen militariaorientierten Interessenvertretern (Geschichtsverein Hürtgenwald, Förderverein „Windhunde mahnen zum Frieden“, Reservistenkameradschaft Hürtgenwald) und anderen Akteuren der Region ist. Es wird kaum möglich sein, hier künftig zu einem Interessensausgleich zu kommen. Die Details zu der Veranstaltung finden sich in einem von Vogelsang IP erstellten Protokoll (Dokument 20). Die tiefen Differenzen zwischen zeithistorisch arbeitenden Akteuren der Zivilgesellschaft und Wissenschaftsakteuren auf der einen Seite und den militariaorientierten Vertretern der Zivilgesellschaft lassen sich aber allenfalls zwischen den Zeilen herauslesen. Das Bild das dadurch von der Veranstaltung gezeichnet wird, beschönigt aus meiner Sicht die tatsächlichen Gegebenheiten. 15 • Weiterer Workshopversuch (I): Im Zuge der Gespräche mit Mitgliedern des Fördervereins „Windhunde mahnen zum Frieden e. V.“ war die Idee zu einem Workshop aufgekommen, der zeitgemäße Formen des Gedenkens und der Erinnerung zum Thema hätte haben sollen. Ich hatte mich auf einer Veranstaltung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Düsseldorfer Landtag über die aktuelle Diskussion zu dieser Thematik innerhalb des Volksbundes kundig gemacht und anschließend den Landesgeschäftsführer Peter Bülter (Mitglied des Lenkungskreises) um Unterstützung gebeten, die auch zugesagt wurde. Ein solcher Workshop schien insbesondere vor dem Hintergrund sinnvoll, dass der Förderverein im Jahr 2016 das fünfzigjährige Bestehen seiner Anlage in Vossenack begehen würde. Obwohl das Angebot, gemeinsam einen Workshop zu dieser Thematik zu organisieren mehrfach an den Förderverein herangetragen wurde, erfolgte keine verbindliche Reaktion darauf. Man ließ die Anfrage ins Leere laufen. • Weiterer Workshopversuch (II): Als ein Charakteristikum derjenigen Teile der Zivilgesellschaft, die sich mit Geschichtsthemen beschäftigen, konnte deren Überalterung festgestellt werden. Im Lenkungskreis wurde erörtert, wie man versuchen könne, Vertreter der jüngeren Generation mit einer zeitgerechten Form der Geschichtsbefassung vertraut zu machen. Rasch war klar, dass dies nur auf indirektem Wege geschehen könnte, also vor allem darüber, Lehrerinnen und Lehrer für die Thematik „Erinnerungslandschaft“ zu interessieren. Hier bot sich die Kooperation mit der Akademie Vogelsang an, weil Vogelsang Erfahrung in der Bildungsarbeit mit Lehrern hat und über entsprechende Kontakte verfügt. Eine Vorbereitungsgruppe, bestehend aus Stefan Wunsch, Andrea Nepomuck, Benedikt Schöller und Frank Möller, traf sich dazu am 18. April 2016 (siehe dazu das Protokoll des Treffens als Dokument 21). Bedauerlicherweise fiel die vorgesehene Verschickung der Einladungen an die Lehrenden in die Phase der Eröffnung Vogelsangs und ging darin unter. Folge: Die Einladung (siehe dazu das Dokument 22) musste später erfolgen, womit sich der vorgesehene Workshoptermin vom 3. auf den 23. November verschob. Von meiner Seite aus lag für diesen Termin bereits eine Power-Point-Präsentation vor. Der Workshop kam aber nicht zustande, weil lediglich sechs Voranmeldungen eingingen, nach Aussagen von IP Vogelsang war das zu wenig für sinnvolle Gruppenarbeiten. Tröstlich ist, dass IP Vogelsang an dem ausgearbeiteten Format festhalten und den Workshop – so er finanzierbar ist – im Jahr 2017 erneut anbieten möchte. • Weiterer Workshopversuch (III): Der Hürtgenwald ist Anziehungspunkt für Personen, die unreflektiert mit Militaria des Zweiten Weltkriegs umgehen, die die Wehrmacht verehren und die dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen sind. Auch die Verquickung rechtsextremer Gesinnung mit geschäftlichen Interessen ist gegeben und zeigt sich beispielsweise in der Produktpalette der Firma „Alfashirt“. Vor dem Hintergrund erschien es dem Lenkungskreis sinnvoll, über die Geschichtspolitik der extremen Rechten Aufklärung zu betreiben. Dazu sollte weiterführenden Schulen ein Veranstaltungssegment zum Thema „Geschichtsbilder und Erinnerungspolitik der extremen Rechten“ angeboten werden. Es war klar, dass dieses Angebot durch die Gemeinde an die Schulen herangetragen werden sollte. Das NS-DOK in Köln hätte Kontakte zu Referentinnen und Referenten herstellen können, die zielgruppengerecht arbeiten. Ins Gespräch gebracht wurde das Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC), das vom NRW-Ministerium für Familie etc. unterstützt wird. Es offeriert Workshops, die in den Schulen durchgeführt werden, wie z. B. den „Projekttag zum couragierten Handeln gegen Diskriminierung, menschenverachtende Einstellungen und Neonazis“. Diese Workshopidee wurde von der Gemeinde aber nicht konsequent 16 verfolgt und blieb ohne praktisches Ergebnis. Die Idee wird in der abschließenden Empfehlungsliste für Gemeinde und Kreis wieder auftauchen. 6. Sonstige Interventionen und weitere das Moratorium begleitende Aktivitäten Die Erkenntnis, dass sich der Hürtgenwald mit Schwerpunkt Vossenack und Kleinhau sukzessive zum Tummelplatz von Wehrmachtverehrern, Waffen- und Uniformnarren entwickelt hat, ist ein Ergebnis des Moratoriums. Zumindest an zwei Punkten konnte dieser Entwicklung Einhalt geboten werden. Die Reservistenkameradschaft Hürtgenwald warb im Rahmen des vom Landeskommando der Bundeswehr ausgerichteten Internationalen Hürtgenwaldmarsches auf ihrem Werbebanner für die Firma „Alfashirt“. Der Marsch steht unter dem Motto „Versöhnung über den Gräbern“. „Alfashirt“ vertreibt T-Shirts und andere Textilien sowie Aufkleber, Wandtatoos, Tassen etc., die in rechtsextremen Kreisen beliebte Symbole der Wehrmacht abbilden und mit Sprüchen versehen sind wie: • • • • • • • • „Vizemeister 45“ (gemeint ist die Niederschlagung der NS-Diktatur und die Niederlage der Wehrmacht) „Durch Frankreich nur auf Ketten“ (Wehrmachtpanzer zielt auf Eiffelturm) „Frankreich ist wie gute Medizin, das muss man einnehmen!“ (Wehrmachtpanzer vor Frankreichumriss auf Tasse) „Am 8. Tag schuf Gott die Wehrmacht“ (T-Shirt) „Ruhm und Ehre den deutschen Frontsoldaten“ (T-Shirt) „Kameradschaft, Vaterland, Ehre, Wehrmacht“ (T-Shirt) „Mein Stahlhelm ist schon gepresst“ (Spruch mit Wehrmachthelm auf Babystrampler) Zu einer der Ikonen der Rechtsextremen, dem sogenannten „Fliegerass“ Hans-Ulrich Rudel, finden sich bei „Alfashirt“ allein 13 Produkte. Rudel war nach 1945 Gründer einer NS-Sammlungsbewegung in Argentinien, Militärberater und Waffenhändler für mehrere lateinamerikanische Militärdiktaturen (Augusto Pinochet in Chile, Alfredo Stroessner in Paraguay) und im Bundestagswahlkampf 1953 Spitzenkandidat der rechtsextremen Deutschen Reichspartei (Diese und andere vergleichbare Produkte mehr finden sich unter: https://alfashirt.de/). Dass ein solcher Anbieter kaum dazu taugt, dem Motto der Veranstaltung „Versöhnung über den Gräbern“ zu entsprechen, dass eine derartige Produktpalette eher einer Verhöhnung der internationalen Teilnehmer gleichkommt, ist der Reservistenkameradschaft Hürtgenwald offensichtlich nie in den Sinn gekommen. Zwei Kontaktanfragen im Rahmen des Moratoriums vom 16.10.2015 und 2.11.2015, bei der solche Ungereimtheiten hätten thematisiert werden können, ließ deren Vorstand ins Leere laufen. Anders der eigentliche Veranstalter, das Landeskommando NRW der Bundeswehr. Auf den Vorgang aufmerksam gemacht, wurde rasch reagiert. Die Firma „Alfashirt“ darf im Kontext des Hürtgenwaldmarsches öffentlich nicht mehr in Erscheinung. Das Logo auf dem Werbebanner musste überklebt werden. 17 Werbebanner der Reservistenkameradschaft 2015 (links) und 2016 (rechts). Produkte der Firma Alfashirt: „Ruhm und Ehre der Wehrmacht“, „In die UdSSR fahre ich nur auf Ketten“. Bleibt die Frage, wieso einem Auswärtigen erst eine solche prekäre „Partnerschaft“ als Skandalon auffallen muss. Wieso hatten sich Zivilgesellschaft und Politik, vor deren Haustür der Hürtgenwaldmarsch Jahr für Jahr in Vossenack startet, nicht längst dazu verhalten? Zum Thema gemacht werden konnte auch das „wilde Graben“ sogenannter Living-HistoryAkteure entlang des Kall-Trails, das seit vielen Jahren stattfindet und von der Gemeinde lange Zeit ignoriert bzw. „durchgewunken“ wurde. Im Rahmen des Moratoriums hatte ich bereits 2015 darauf hingewiesen und die Bodendenkmalpflege des Landes NRW sowie die Gemeinde davon in Kenntnis gesetzt. Das blieb jedoch ohne spürbare Folgen. Beim Internationalen Hürtgenwaldmarsch 2016 saßen die Living-History-Akteure, die vorwiegend aus den Niederlanden kommen, wieder in ihren gebuddelten Löchern entlang des Kall-Trails (Dokument 23). Der Lenkungskreis des Moratoriums hatte daraufhin den Ausschluss von Living-History-Akteuren vom Internationalen Hürtgenwaldmarsch empfohlen. Zum einen, weil dadurch ein Bodendenkmal zerstört wird; zum anderen, weil derlei den Krieg romantisierende und das Sterben banalisierende Spielereien in einem Gelände, wo gut 70 Jahre zuvor Menschen zu tausenden gestorben sind, sich auch aus ethischen Gründen nicht gehört. Erst jetzt kam es zu Konsequenzen. Auf einem Treffen am 19. Januar 2017, zu dem Bürgermeister Buch Vertreter der Reservistenkameradschaft Hürtgenwald, des LVR-Amts für Bodendenkmalpflege im Rheinland, des Landeskommandos der Bundeswehr und des Landesbetriebs Wald und Holz NRW eingeladen hatte, wurde entschieden, dass die Reservistenkameradschaft die Löcher entlang des Kall-Trails auf eigene Kosten wieder verfüllen muss und dass derartige Aktionen entlang des Trails künftig zu unterbleiben haben. Das ist zumindest ein Teilerfolg. Sollte die Beachtung der Auflagen für das Jahr 2017 durch die Gemeinde allerdings nicht kontrolliert werden, könnte sie – wie bereits im Jahr zuvor – 18 wirkungslos bleiben. Es reicht nicht aus, Beschlüsse zu fassen, über die sich widerspenstige Akteure dann nach Belieben hinwegsetzen können. Neben den beiden genannten Interventionen ist noch erwähnenswert, dass das Moratorium auch publizistisch begleitet wurde. • In der Anfangsphase brachte ich dazu mit Unterstützung des Arbeitskreises für historische Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa e. V. (ARKUM) die 80-seitige Publikation „Erinnerungslandschaft Hürtgenwald. Kontroverse Kriegs- und Nachkriegsdeutungen 70 Jahre nach Ende der Kriegshandlungen in der Eifel“ heraus. Die Broschüre hatte eine Auflage von 1.500 Exemplaren. Davon wurden in der Region ca. 1.000 Exemplare kostenfrei verteilt. Die Broschüre ist inzwischen vergriffen, kann im Netz aber abgerufen werden unter: https://www.kulturlandschaft.org/publikationen/sonderveroeffentlichungen/erinnerungslandschaft-huertgenwald • Gegen Ende des Moratoriums erschien als dritter Band der „Veröffentlichungen des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln“ das von Karola Fings und mir herausgegebene Buch „Hürtgenwald – Perspektiven der Erinnerung“ (Metropol Verlag: Berlin 2016). Von dem Band wurden Kreis und Gemeinde jeweils ein festes Kontingent durch die Finanzierung der Landeszentrale für politische Bildung NRW zur Verfügung gestellt. Das ermöglichte es z. B., das Buch kostenfrei unter den Teilnehmenden des Workshops vom 10. Dezember 2016 zu verteilen. • Im Februar 2016 fand – ausgerichtet von der Hochschule Geisenheim und unterstützt vom Umweltministerium Rheinland-Pfalz sowie von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) – in Mainz die Tagung „Naturschutz am ehemaligen Westwall. NSGroßanlagen im Diskurs“ statt. Ich war dort als Referent geladen. Mein Beitrag findet sich unter dem Titel „Schlachtfeld zwischen Bäumen. Die Erinnerungslandschaft Hürtgenwald auf dem Prüfstand“ in einem Ende 2016 erschienenen Tagungsband, der als Auftaktband der Reihe „Geisenheimer Beiträge zur Kulturlandschaft“ erschienen ist. Da er eine kritische aktuelle Einschätzung der Erinnerungslandschaft Hürtgenwald beinhaltet, wird er hier als Dokument 24 beigefügt. • Es gab außerdem eine Reihe von Presseartikeln, die das Moratorium und dessen Veranstaltungen begleiteten. Da sie lediglich von kurzfristiger Aktualität sind, verzichte ich hier auf deren Wiedergabe. Ein Teil davon ist auf der Website der Gemeinde unter dem Button des Moratoriums abrufbar. • Nicht unerwähnt bleiben sollte eine weitere Initiative, die zwar nicht unmittelbar als Aktivität des Moratoriums gelten kann, deren Ergebnis aber in denselben Zeitraum fällt und auch die Nordeifel betraf. In Kronenburg existierte während des Nationalsozialismus die „Hermann Göring Meisterschule für Malerei“. Das markante Ateliergebäude steht unter Denkmalschutz und wird heute vom Land NRW als Schule für Lehrerfortbildung genutzt. In all den Jahrzehnten seit Kriegsende hielten es weder Akteure der Zivilgesellschaft – darunter lokale Geschichtsvereine, Eifelverein etc. – noch lokale politische Funktionsträger für nötig, irgendwo in dem Ort auf dessen NSGeschichte hinzuweisen. Immerhin wurden in Kronenburg die Entwürfe für all die großformatigen Wandteppiche und Bilder geschaffen, die die Berliner Repräsentationsbauten der Nazis ebenso schmückten wie die Wewelsburg, die NS-Ordensburg Vogelsang etc. Auf meine Intervention beim Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW und in enger Kooperation mit dem Schulleiter Martin Schöddert wurde Ende 2016 nun endlich eine Informationstafel im Außenbereich der Schule angebracht; außerdem wurden für das Innere des Hauses sieben weitere Tafeln erstellt. Ich 19 lieferte die Texte, Bilder und koordinierte den Gesamtprozess, die Gestaltung besorgte die Hürtgenwalder Dipl.-Grafikdesignerin Eva Müller-Hallmanns. Die insgesamt acht Tafeln finden sich hier als Dokumente 25.1 - 25.8. 7. Präsentation der Ergebnisse in der Region Während des Moratoriums wurde der Kulturausschuss der Gemeinde Hürtgenwald zwei Mal über dessen Zwischenstand informiert. Das geschah jeweils in Form einer Power-Point-Präsentation mit anschließender Befragung durch die Ausschussmitglieder und durch ebenfalls anwesende zivilgesellschaftliche Akteure (Power Point-Version beider Vorträge als Dokument 26 und Dokument 27). Dem Transfer von Ergebnissen in die Region diente ebenfalls der am 10. Dezember 2016 durchgeführte Workshop (s. o.). Dem Ergebnistransfer dienten zudem die auf der Website der Gemeinde Hürtgenwald eingestellten Texte und Dokumente. Sie sind dort nach wie vor abrufbar. Außerdem fanden zahlreiche Einzelgespräche mit zeitgeschichtlich engagierten Protagonisten der Region statt. 8. Handlungsempfehlungen Das Moratorium endete mit einer Auflistung von Handlungsempfehlungen (Dokument 29), die in einem längeren Abstimmungsprozess von den Mitgliedern des Lenkungskreises erarbeitet wurden. Ausgenommen davon waren Bürgermeister Buch und Landrat Spelthahn als Adressaten eben jener Empfehlungen sowie Dr. Hans Wupper-Tewes als Vertreter der Landeszentrale für politische Bildung NRW, die die Hauptfinanzierung des Moratoriums gewährleistet hatte. 9. Persönliche Einschätzung des Moratoriums-Prozesses, seiner Ergebnisse und des weiteren Verlaufs Einen Teil meiner Einschätzung der regionalen Geschichtsakteure habe ich in dem Beitrag „Schlachtfeld zwischen Bäumen. Die Erinnerungslandschaft Hürtgenwald auf dem Prüfstand“ (Dokument 24) dargelegt. Stichworte dazu waren: • Überalterung der historisch engagierten zivilgesellschaftlichen Akteure, • „Closed Shop“-Charakter zahlreicher Heimat- und Geschichtsvereine, • Mangel an Interesse, lokale NS-Geschichte aufzuarbeiten, • Stilisierung der eigenen Bevölkerung zu den eigentlichen Opfern des Krieges und Mangel an Empathie gegenüber tatsächlichen Opfergruppen, • Vielfach unkritisches Verhältnis gegenüber der Wehrmacht bis zur Verehrung ehemaliger Wehrmachtangehöriger. 20 Natürlich bildet diese Kurzcharakteristik nicht das gesamte Spektrum zivilgesellschaftlichen Engagements im Bereich Zeitgeschichte ab. Ich habe in dem genannten Aufsatz auch auf bemerkenswerte Leistungen in der Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte hingewiesen (Erforschung der Geschichte sowjetischer Kriegsgefangener, Auseinandersetzung mit der Verfolgung von Juden in der Eifel etc.). Doch hierzu sei auch angemerkt: Derlei Forschungsinitiativen sind meist Leistungen Einzelner, die sich entweder mit den traditionellen Heimatund Geschichtsvereinen überworfen oder andere Organisationsformen für sich gefunden haben. Ich bleibe noch einen Augenblick bei den zivilgesellschaftlichen Akteuren: Überrascht hat mich der Mangel an Bereitschaft unter den Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen, zu einer Form institutionalisierten Austausches miteinander zu kommen. So hatte ich beispielsweise angeboten, eine knappe Darstellung der jeweiligen Arbeit und Geschichte der einzelnen Initiativen abzugeben. Der Arbeitsaufwand dafür wäre überschaubar gewesen. Ich wollte diese Darstellungen auf der Website der Gemeinde zugänglich machen. Dazu hatte ich einen einfachen Fragebogen erstellt (Dokument 28). Die Veröffentlichung hätte der Verständigung untereinander dienen und auch den Zweck haben können, neu Hinzugezogenen eine Orientierungsmöglichkeit zu bieten. Ein einziger von rund 30 ausgegebenen Fragebögen kam zurück. Das Interesse an Außendarstellung im Zusammenspiel mit anderen ist gering. Jeder werkelt mehr oder weniger für sich allein. Das Moratorium wurde von einem Lenkungskreis gesteuert. Ich selbst nahm die Funktion des Koordinators wahr. Für einen Prozess, der auf etwa 1 ½ Jahre angelegt und bei dem das Arbeitsvolumen des Koordinators auf 134 Arbeitstunden begrenzt war (faktisch wurden mehr als doppelt so viele Tage von mir – ehrenamtlich – investiert), ist das nicht mehr als eine „Basisausstattung“. Der Lenkungskreis war das Gremium, in dem Vorgehensweisen und Zwischenergebnisse diskutiert und Entscheidungen gefällt wurden. Die relativ kurze Laufzeit des Moratoriums brachte es mit sich, dass sich gegen deren Ende eine Art „Diskussionsstau“ innerhalb des Lenkungskreises bildete. Für eine Reihe von Vorlagen und Papiere, die erst in der letzten Phase des Moratoriums vorgelegt werden konnten, blieb nicht mehr hinreichend Zeit zur Diskussion. Das betrifft vor allem die zehn von mir formulierten „Anregungen für den künftigen Umgang mit Erinnerungsobjekten“ (Dokument 3) sowie das Arbeitspapier, das den zehn Punkten vorangegangen war (Dokument 2). Auch das weitere Vorgehen in Sachen „Hürtgenwald-Museum“ (Dokumente 6.1 und 6.2) und „Windhunde“ (Dokument 7) konnte nicht abschließend diskutiert werden. Das ist bedauerlich, weil es für das weitere Procedere sicher hilfreich gewesen wäre, ausdiskutierte und abgestimmte Ergebnissen in den politischen Prozess einspeisen und damit auch an die Öffentlichkeit gehen zu können. Am Einsatz aller Beteiligten hat das nicht gelegen. Eher an der Dimension des Problemstaus, der charakteristisch für die Geschichtslandschaft Nordeifel und insbesondere für Vossenack ist. Am Ende möchte ich auf vier Punkte aufmerksam machen, die mir essenziell für den weiteren Prozess zu sein scheinen. • Erkenntnisse, die im Zuge des Moratoriums gewonnen werden konnten, werden sich im Endeffekt nur dann auszahlen, wenn sie Eingang in den politischen Prozess in Gemeinde und Kreis finden. Vertreter aus Politik und Verwaltung hatten bei zwei Kulturausschusssitzungen und bei dem Workshop am 10. Dezember 2016 Gelegenheit, Einblick in die Thematik des Moratoriums zu erhalten. Wie auch immer der Moratoriums-Prozess weiter fortgeführt wird – die Zusammenarbeit mit politischen Akteuren auf Gemeinde- und Kreisebene sollte dabei ausgebaut und verstetigt werden. • Besorgniserregend ist die Ausbreitung einer das Kriegsgeschehen trivialisierenden und romantisierenden Form der Darstellung, insbesondere in und um Vossenack. Dazu tragen die Museumsgruppe des Geschichtsvereins Hürtgenwald 21 (Dokumente 6.1 und 6.2), der „Windhund“-Förderverein (Dokument 7), die Reservistenkameradschaft Hürtgenwald mit ihren Verbindungen in die Szene von Living-History-Akteure (Dokument 23) und auch der Motor Sport Club Kleinhau bei, indem er der „Interessengemeinschaft historischer Militärfahrzeuge“ Gelegenheit zur öffentlichen Präsentation von Kriegswaffen bietet. Ich hatte dies ausführlicher in meinem Vortrag für den Workshop am 10. Dezember 2016 dargestellt (Dokument 18). „Gefechtsähnliche Übungen“ (Aachener Zeitung, 31.10.2016) auf dem Gelände des Motor Sport Sport Club Kleinhau beim sogenannten Hellpi(e)t-Rumble. Die Ästhetik der Inszenierungen entspricht derjenigen im Hürtgenwald-Museum. Eine Region, die sich durch öffentliche Förderung bzw. Duldung über Jahre diesem militaristischen, kriegs- und waffenverherrlichenden Treiben geöffnet hat, darf sich nicht wundern, wenn sich Rechtsextreme, Rechtspopulisten und Verehrer von Kriegsgeräten aller Art auch außerhalb des organisierten Treibens davon angezogen fühlen. Diese Entwicklung wieder einzufangen sollte die Hauptaufgabe künftiger Geschichtspolitik sein. Will man die selbst mit herbeigeführte Situation ändern, dann ist das weniger die Frage der Organisation eines Kommunikationsprozesses, wie des Moratoriums oder weiterer Seminar- und Workshopangebote; dann geht es vielmehr darum, Grenzen zu formulieren, Rote Linien zu benennen, deren Einhalt zu überwachen und Grenzüberschreitungen zu sanktionieren. Entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, ist Sache von Politik und Verwaltung. So etwas lässt sich nicht an Kommunikatoren delegieren. Programme der politischen Bildungsarbeit können ein antimilitaristisch ausgerichtetes politisches Handeln vor Ort nicht ersetzen, sie können es bestenfalls unterstützen. 22 Ortsrand von Vossenack – die unkritische Militariaverehrung vor Ort stimuliert auch private Fans von Kriegsgerät und Militärfahrzeugen zum jederzeitigen Besuch. Wer möchte die eigentlich vor seiner Haustür haben? Foto vom 12.12.2016. Natürlich wäre in dieser Angelegenheit auch die lokale Zivilgesellschaft gefordert. „Kriegswaffenfreie Zone Hürtgenwald“ – wäre das nicht ein Slogan, unter dem sich all diejenigen zusammenfinden könnten, die sich nicht der Minderheit der unkritischen Verehrer von Militaria jeglicher Art zugehörig fühlen? Und wäre es nicht auch überfällig, dass die Politik der Region zu derlei Initiativen ermutigen würde? • Die militariafixierte Szene vor Ort tritt aus zwei Gründen selbstbewusst auf. Zum einen ist sie über viele Jahre durch die Politik der lokalen und regionalen CDU gefördert worden. Noch heute stehen mit Helmut Rösseler an der Spitze des „Windhund“Fördervereins und mit Rainer Valder an der Spitze des Geschichtsvereins Hürtgenwald zwei Vertreter christdemokratischer Politik. Und obwohl viele CDU-Mitglieder heute längst nicht mehr den unkritischen Bezug zur NS- und Militärgeschichte teilen, wirken alte Loyalitäten und die Verbundenheit zu militariafixierten Wählern weiter. Der zweite Grund lässt sich auf einen falsch verstandenen Bildungsansatz zurückführen. Akteure, die mit Zustimmung der Politik von außen hinzugezogen werden oder sich aus privatem Interesse auf eine Beschäftigung mit der regionalen Szene einlassen, begannen bis dato immer wieder beim Punkt Null: Man macht Kontakte, spricht mit vielen Akteuren (verklärend auch „Dialog auf Augenhöhe“ genannt), führt Projekte durch. Die regionalen Militaria-Akteure lassen diese Initiativen jedoch an sich abperlen und harren in ihren ideologischen Unterständen aus, bis sich die „Bedrohung“ von außen verflüchtigt hat. Danach macht man unverändert weiter. Unter diesen Bedingungen verlaufen Reformbemühungen in Form von Spiralen, die immer wieder am selben Punkt enden. Diese Spiralbewegung gilt es zu durchbrechen. Das Moratorium ist insofern von dieser Form des folgenlosen Dialogs abgewichen, als es am Ende Bremser, Reformverweigerer und Ewiggestrige deutlich benannt hat (Dokumente 6.1, 6.2., 7, 18). 23 Wer immer also nach Ende des Moratoriums die Beschäftigung mit der Geschichtspolitik der Region, mit den militariafixierten Akteuren und Umdeutern der NS-Geschichte aufnimmt, kann sich nicht mehr auf einen Status quo ante berufen. Das Wissen um die Vernetzung von „Windhund“-Förderverein – Geschichtsverein Hürtgenwald – Reservistenkameradschaft Hürtgenwald, das Wissen um deren Interessen und Durchsetzungsstrategien und um gemeinsam gepflegte Geschichtsbilder muss den Ausgangspunkt für diejenigen bilden, die nach Ablauf des Moratoriums den Staffelstab zu weiteren Reformen aufnehmen. Geschieht das nicht, ignoriert man die Vorgeschichten also, dann bleibt die künftige Beschäftigung mit der Erinnerungslandschaft ein wohlfeiler Selbstzweck. • Geschichtspolitik und touristisches Verwertungsinteresse gehen in der Nordeifel Hand in Hand. Das ist – gerade in einer strukturschwachen Region – nachvollziehbar und sinnvoll. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen aber auch, wie negativ sich diese Allianz entwickeln kann, wenn von vornherein auf eine kritische Distanz zum historischen Gegenstand und auf wissenschaftlich kompetente Begleitung der Vorhaben verzichtet wird. Welche Folgen dies zeitigt, habe ich am Beispiel des Museums Hürtgenwald und an der Gründungsgeschichte des Fördervereins der „Windhunde“ sowie an dessen Ausstellung, Tafeln und Aktivitäten nachgewiesen. Zur Vertiefung der Problematik empfehle ich auch noch einmal ausdrücklich die Lektüre des Beitrags von Florian Wöltering – „Tourismusregion Zweiter Weltkrieg“ – in dem von Karola Fings und mir herausgegebenen Sammelband. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben – positiv gewendet – auch gezeigt, dass unter spezifischen Bedingungen die Verbindung von Geschichtsdarstellung und touristischer Verwertung gelingen kann. Dann nämlich, wenn zeithistorisch versierte Partner nicht nur mit einbezogen werden, sondern den Prozess prägen. Die Erarbeitung der Historisch-Literarischen Wanderwege unter der fachlichen Leitung von Achim Konejung steht als Beispiel dafür. Demnächst soll das Projekt „Routes of Liberation goes NRW“ in eine praktische Phase übergehen. Es wird die Region mit prägen, ist aber sowohl durch seine Entstehungsgeschichte als auch durch die künftigen Aufgaben alles andere als unproblematisch. Das Ausstellungsprojekt, das an dessen Anfang stand, blieb allzu sehr dem Geist des Kalten Krieges verhaftet. Und darüber, wie eine Ausbildung von „History Guides“ im Kontext der „Routes of Liberation“-Aktivitäten auszusehen hätte und mit welcher Master-Erzählung sie ausgestattet werden müsste, gibt es keine genauen Vorstellungen. Vielleicht entwickeln die sich noch. Aus der bisherigen Erfahrung mit der Ausbildung von History Guides in der Region lässt sich aber bereits eines ableiten: Eine Kurzausbildung von wenigen Tagen ohne Evaluation der Ergebnisse und ohne regelmäßige Fortbildungen greift zu kurz. Und auch bei der Auswahl der Kandidaten kann es nicht darum gehen, jedem Interessierten am Schluss ein Unbedenklichkeitstestat zu erteilen. Manche Bewerber eignen sich allein aufgrund ihrer mentalen Dispositionen und ihrer unreflektierten Militariafaszination nicht dafür, die Aufgaben eines History Guides wahrzunehmen. Wenn man in diesen Fragen nur formale Lösungen findet – beispielsweise indem man die fachliche Seite finanziell nicht angemessen ausstattet und im Gesamtkonstrukt der Tourismusarbeit nicht entsprechend gegenüber deren kommerziell orientierter Leitung gewichtet – dann schafft man keine Chancen für die Region, sondern erhöht das Konfliktpotenzial vor Ort, fördert die geistige Remilitarisierung der Region und verstärkt die Tendenzen, die den Hürtgenwald auch weiterhin zum Anlaufpunkt „von Neonazis, Waffen- und Uniformnarren“ (Peter M. Quadflieg) werden lassen.