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Beschlussvorlage (SEK Erläuterungstext (Entwurf))

Daten

Kommune
Wesseling
Größe
4,1 MB
Datum
24.01.2017
Erstellt
17.01.17, 13:01
Aktualisiert
17.01.17, 13:01

Inhalt der Datei

Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Stand: Dezember 2016 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Verfasser Stadt Wesseling Dezernat III/Bereich 61 Stadtplanung Bearbeitung: Ursula Schneider Svetlana Braun Bereichsleiterin Stadtplanung, Stadt Wesseling Bereich Stadtplanung, Stadt Wesseling 2 Titelbild: Stadt Wesseling Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Inhaltsverzeichnis 1 Anlass und Ziele des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes 3 2 Rechtliche und fachtechnische Grundlagen 7 2.1 Leitsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung 7 2.2 Europäisches Recht 11 2.3 Deutsches Recht 13 2.3.1 Bundes-Immissionsschutzgesetz 13 2.3.2 12. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 15 2.3.3 Baugesetzbuch 15 2.3.4 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung und Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz 16 2.4 Arbeitshilfen und Handlungsempfehlungen 16 2.4.1 Leitfaden KAS-18 16 2.4.2 Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau 18 2.5 Stand der Fachdiskussion 21 3 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie 25 3.1 Fachgutachten und Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie 27 3.1.1 Ermittlung der angemessenen Abstände 27 3.1.2 Bewertung der Gutachtenergebnisse und Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie 31 3.2 Entwicklungsziele und Leitbild für die Stadtentwicklung Wesseling 33 3.3 Erarbeitung des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes Wesseling 37 3.3.1 Zuordnung von Nutzungen und Vorhaben zu Schutzbedürftigkeitsstufen 37 3.3.2 Gliederung der Flächen innerhalb der angemessenen Abstände in verschiedene Planungsbereiche und Zuordnung der Schutzbedürftigkeitsstufen 42 Umgang mit bestehenden schutzbedürftigen Nutzungen 52 3.4 1 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 4 Umsetzung des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie 54 4.1 Flächennutzungsplan Wesseling (vorbereitende Bauleitplanung) 54 4.2 Verbindliche Bauleitplanung (Bebauungspläne) 56 4.3 Baurechtliche Genehmigungsverfahren 59 4.4 Immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren 61 5 Weitere Vorgehensweise 63 6 Quellen 65 7 Anlagenverzeichnis 68 2 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 1 Anlass und Ziele des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes Die Stadtentwicklung Wesselings ist seit Ende des 19. Jahrhunderts eng mit der Entwicklung der chemischen und petrochemischen Industrie verbunden. Heute wird der Standort Wesseling durch die Unternehmen Evonik Degussa GmbH und Lyondell Basell Polyolefine GmbH im Norden sowie durch die Shell Deutschland Oil GmbH, Rheinland Raffinerie, im Süden geprägt. Die im Wesentlichen mit der Industrieansiedlung erfolgte Stadtentwicklung hat sich bis etwa 1970, auch auf Grund der räumlichen Einschränkung durch den Rhein im Osten, auf die zwischen den Industriebereichen liegenden Siedlungsflächen konzentriert. Über die Jahrzehnte hinweg ist eine Gemengelage entstanden, die durch ein dichtes Nebeneinander von Industrieanlagen, Wohngebieten und innerstädtischen Bereichen gekennzeichnet ist. Die Stadt wird in der Region deshalb nicht nur mit ihrer Rheinlage und dem neugestalteten Rheinufer wahrgenommen, sondern ebenso mit den weithin sichtbaren, nachts hell erleuchteten Industrieanlagen am Rhein. Die Stadt Wesseling ist zwischenzeitlich zu einem Mittelzentrum mit ca. 37.000 Einwohnern herangewachsen und entwickelt sich weiter zu einem nachgefragten Wohnstandort im Ballungsraum Köln-Bonn. Die Innenstadt Wesseling, mit allen für ein Mittelzentrum wichtigen Einrichtungen der Daseinsvorsorge hat sich historisch bedingt in Rheinnähe, zwischen den Industriebereichen, entwickelt. Auf Grund der ansässigen Unternehmen kommt dem Chemiestandort Wesseling, gemeinsam mit den Standorten im Kölner Süden und in Hürth, eine bedeutende Rolle in der europäischen und internationalen Chemieindustrie zu. Die Unternehmen bieten zahlreiche hochqualifizierte Arbeitsplätze für die Bewohner Wesselings und der Region. Die Industriestandorte nehmen etwa 20 % des Stadtgebietes ein und sind von großer Bedeutung für die Stadtentwicklung Wesselings. Diese historisch gewachsene Gemengelage von Industrieanlagen, Wohngebieten und Stadtzentrum ist ein wesentliches Merkmal der Stadt Wesseling. Für die Wesselinger Bevölkerung ist diese Situation bekannt und akzeptiert. Die Nähe zwischen Arbeitsplatz und Wohnort bietet für viele Einwohner Vorteile und spricht neben der Rheinlage und der guten Infrastruktur vor Ort für den Wohnstandort Wesseling. Das dichte Nebeneinander von Industrieanlagen, Wohngebieten und innerstädtischen Bereichen ist jedoch auch mit Nachteilen und Restriktionen verbunden. Die städtebauliche Entwicklung wird durch die Nähe der Industrieanlagen zum einen räumlich eng begrenzt, zum anderen sind bei Planungen und baulichen Entwicklungen im Umfeld der Industriestandorte vielfältige planungs- und immissionsschutzrechtliche Anforderungen zu berücksichtigen, die erheblichen Einfluss u. a. auf die Ansiedlung neuer Wohngebiete haben können. Zu nennen sind beispielweise der „Trennungsgrundsatz“ des § 50 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG), das Baugesetzbuch (BauGB) und die Baunutzungsverordnung (BauNVO) mit ihren maßgeblichen Gesetzesregelungen für die Stadtentwicklung und Bauleitplanung. Von besonderer Bedeutung für die spezifische Wesselinger Situation sind zudem europarechtliche Vorgaben und Richtlinien. 3 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Die prägenden Unternehmen der Chemie- und Raffinerieindustrie verarbeiten in ihren Betriebsbereichen in Wesseling verschiedene Gefahrstoffe, die unter die sogenannte „SevesoIII-Richtlinie“1 des Europäischen Parlaments und des Rates fallen. Nach Artikel 13 der Seveso-III-Richtlinie sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass das Ziel, schwere Unfälle zu verhüten und ihre Folgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu begrenzen, in ihren Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung Berücksichtigung findet. Langfristig ist dem Erfordernis Rechnung zu tragen, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betriebsbereichen einerseits und schutzbedürftigen Gebieten, wie z. B. Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten, Freizeitgebieten andererseits, ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt bleibt. Die Seveso-III-Richtlinie wurde in der Bundesrepublik Deutschland am 20.10.2016 ins nationale Recht umgesetzt. Die vorher geltende Seveso-II-Richtlinie2 ist mit Wirkung zum 01.06.2015 (Frist zur Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie) aufgehoben worden. Die Seveso-II-Richtlinie wurde im Jahr 1998 mit der Änderung des § 50 BImSchG in nationales Recht umgesetzt. Der § 50 Satz 1 BImSchG besagt, dass bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen und von schweren Unfällen im Sinne des Artikels 3 Nr. 5 Seveso-II-Richtlinie in Betriebsbereichen hervorgerufene Auswirkungen auf die in § 50 Satz 1 BImSchG benannten schutzbedürftigen Nutzungen und Gebiete soweit wie möglich vermieden werden (sogenannter „Trennungsgrundsatz“). Die Bauleitplanung ist das zentrale Planungsinstrument auf kommunaler Ebene. Die Stadt Wesseling als Trägerin der Planungshoheit hat sowohl bei der aktuell begonnenen Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes für das gesamte Stadtgebiet als auch bei der Aufstellung bzw. Änderung von Bebauungsplänen für einzelne Plangebiete dafür Sorge zu tragen, dass die europarechtlichen Seveso-Vorschriften und § 50 Satz 1 BImSchG sachgerecht berücksichtigt und umgesetzt werden. In den Fokus des fachlichen und öffentlichen Interesses ist die Seveso-Thematik seit der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Jahre 2011/2012 zur geplanten Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes in der Nachbarschaft eines Betriebsbereichs i. S. d. Seveso-Vorschriften3 gerückt. Wesentliche Inhalte dieser Rechtsprechung waren nicht nur Ausführungen zu notwendigen Prüfschritten der Seveso-Thematik und zur erforderlichen Abwägung in der Bauleitplanung, sondern insbesondere die Klarstellung, dass die Seveso-Fragestellung auch im Rahmen der Baugenehmigungsverfahren zu prüfen ist, wenn die Bauleitplanung diesen Aspekt nicht hinreichend bewältigt hat. Diese Rechtsprechung hat erhebliche Auswirkungen auf die tägliche Verwaltungsarbeit der Planungs- und Bauaufsichtsbehörden mit sich gebracht. Um die erforderlichen fachtechnischen Grundlagen für die Stadtplanungs- und Baugenehmigungspraxis zu erhalten, hat die Stadt Wesseling die TÜV Nord Systems GmbH (TÜV Nord) im Juni 2013 mit der Erarbeitung eines gesamtstädtischen Gutachtens zur Verträglichkeit von Störfall-Betriebsbereichen im Stadtgebiet Wesseling unter dem Gesichtspunkt des § 50 1 Richtlinie 2012/18/EU vom 04.07.2012 Richtlinie 96/82/EG vom 09.12.1996 3 EuGH, Urteil vom 15.09.201 und BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 2 4 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF BImSchG bzw. der Seveso-II-Richtlinie beauftragt. Das TÜV-Gutachten liegt der Stadt Wesseling seit März 2015 vor. Da zwischenzeitlich die Seveso-III-Richtlinie anzuwenden ist, wurde das TÜV-Gutachten anhand der neuen Rechtslage überprüft. Das Gutachten auf Basis der Seveso-III-Richtlinie liegt seit Dezember 2015 vor; hinsichtlich der Gutachtenergebnisse ergaben sich dabei keine Veränderungen. Ziel des Gutachtens war die vorausschauende Untersuchung möglicher Konfliktlagen sowie die fachtechnische Ermittlung, welche Abstände zu den Betriebsbereichen geeignet sind, um die von der EU angestrebte langfristige Umsetzung des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie innerhalb des Stadtgebietes zu gewährleisten. Der TÜV Nord hat im Stadtgebiet Wesseling sieben Betriebsbereiche i. S. d. § 3 Abs. 5 a BImSchG untersucht. Dabei wurden in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Köln und den Unternehmen die maßgeblichen Gefahrenpotenziale der Anlagen bestimmt und die ihnen zuzuweisenden angemessenen Abstände ermittelt. In Anbetracht der in zwei Betriebsbereichen zu Grunde zu legenden Stoffe hat das TÜV-Gutachten angemessene Abstände für diese Betriebsbereiche von 2.750 m bzw. 2.400 m ermittelt. Auf Grund der historisch gewachsenen Gemengelage zwischen der Stadt und Großindustrie überdecken diese sehr großen Abstände weite Teile des Stadtgebietes (ca. 70 %). Innerhalb der angemessenen Abstände befinden sich etliche Wohngebiete sowie der zentrale Innenstadtbereich mit zahlreichen Einkaufs-, Versorgungs- und Infrastruktureinrichtungen (u. a. Rathaus, Schulzentrum, Dreifaltigkeitskrankenhaus) mit mittelzentraler Funktion. Zudem befinden sich drei Haltepunkte der Stadtbahnlinie 16 sowie die Stadtbahntrasse selbst und die Bundesautobahn A555 innerhalb der im TÜV-Gutachten ermittelten angemessenen Abstände. Diese Bestandsnutzungen sind als schutzbedürftige Gebiete und Nutzungen im Sinne der Seveso-III-Richtlinie und des § 50 BImSchG zu bewerten. Anhand einer groben Schätzung kann davon ausgegangen werden, dass die derzeitige Einwohnerzahl innerhalb der angemessenen Abstände mit etwa 28.000 Einwohnern zu beziffern ist. Diese bestehende Gemengelage lässt sich auch mittel- bis langfristig nicht grundsätzlich auflösen, da weder die Verlagerung einer kompletten Innenstadt noch die der abstandsrelevanten großflächigen Betriebsbereiche realisierbar ist. Die Ergebnisse des gesamtstädtischen „Seveso-Gutachtens“ zeigen, dass sich die Stadt Wesseling in einer besonderen Situation befindet. Das enge, historisch gewachsene Nebeneinander von Industrieanlagen, Wohngebieten und Stadtzentrum in Verbindung mit der erheblichen Ausdehnung der angemessenen Abstände ist deutschlandweit gesehen eher ein Ausnahmefall. In Anbetracht dieser Rahmenbedingungen ist eine tragfähige Stadtentwicklungskonzeption notwendig, um sowohl den langfristigen Anforderungen des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie als auch dem Erfordernis zur Gewährleistung einer zukunftsfähigen Entwicklung der Stadt Wesseling als Mittelzentrum und attraktiver Wohnstandort in der Wachstumsregion KölnBonn Rechnung zu tragen. 5 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Wesentliche Entwicklungsziele der Stadt Wesseling bei der Umsetzung der Seveso-IIIRichtlinie sind (siehe auch Kapitel 3.2): Ø Städtebaulich sinnvolle und verträgliche Weiterentwicklung der vorhandenen städtischen Strukturen innerhalb der angemessenen Abstände unter Berücksichtigung der langfristigen Anforderungen der Seveso-III-Richtlinie und des § 50 BImSchG Ø Gewährleistung einer maßvollen Innenentwicklung und Nachverdichtung innerhalb der angemessenen Abstände, verträgliche Weiterentwicklung und Neuansiedlung von schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie Ø Sicherung der Zukunftsfähigkeit und angemessene Stärkung des zentralen Versorgungsbereichs Innenstadt, um die Attraktivität und Daseinsvorsorgefunktion des Mittelzentrums Wesseling nachhaltig zu gewährleisten und bedarfsgerecht zu optimieren Ø Sicherung der Industriestandorte durch Wahrung der derzeit vorhandenen Abstände und Vermeidung neuer Gemengelagen (Berücksichtigung der sogenannten „Nichtheranrückenslinie“) Die Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung, hat aufbauend auf den Ergebnissen des TÜVGutachtens und den vorgenannten Entwicklungszielen, eine gesamtstädtische Konzeption zum Umgang mit der Seveso-Thematik in der Stadtentwicklung, Bauleitplanung und Baugenehmigungspraxis erarbeitet. Das vorliegende städtebauliche Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-IIIRichtlinie (Entwurf) soll ausgewogene Handlungsspielräume für die künftige Stadtentwicklung innerhalb der angemessenen Abstände aufzeigen und abgestimmte Leitlinien für ein verträgliches Miteinander der innerstädtischen Siedlungsbereiche und der Betriebsbereiche unter Berücksichtigung des Artikels 13 der Seveso-III-Richtlinie und des „Trennungsgrundsatzes“ des § 50 BImSchG definieren. Das städtebauliche Entwicklungskonzept soll als Leitbild und Abwägungsgrundlage für die künftige Bauleitplanung und Vorhabengenehmigung innerhalb der angemessenen Abstände dienen. Durch den Beschuss als städtebauliches Entwicklungskonzept i. S. d. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB stellt es einen wesentlichen Beitrag zur planerischen Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB im Rahmen der Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes und der Erarbeitung von Bebauungsplänen der Stadt Wesseling dar. 6 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 2 Rechtliche und fachtechnische Grundlagen 2.1 Leitsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung In den Fokus des fachlichen und öffentlichen Interesses ist die Seveso-Thematik seit der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Jahre 2011/2012 zur geplanten Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes in der Nachbarschaft eines Betriebsbereichs i. S. d. Seveso-Vorschriften4 gerückt. Bis zu diesem Zeitpunkt spielten die europarechtlichen Seveso-Vorschriften („land-use-planning“) in der kommunalen Bauleitplanung kaum eine Rolle. Das in § 50 BImSchG verankerte Abstandsgebot war vorher bei baurechtlichen Genehmigungsverfahren von den Bauaufsichtsbehörden nicht zu berücksichtigen, da es nach Auffassung der Rechtsprechung lediglich auf Planungsentscheidungen (d. h. Bauleitplanung) anwendbar war. Maßgeblicher Auslöser für eine rechtliche Nachbetrachtung der Seveso-Thematik war der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 03.12.2009, den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg zur Klärung mehrerer Fragen anzurufen, die die Auslegung der Seveso-II-Richtlinie (96/82/EG) der EU im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens betrafen. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die sogenannte „Rechtssache Mücksch/Merck“, bei der die Erteilung eines Bauvorbescheids für die Errichtung eines großflächigen Gartencenters mit Freiverkaufsflächen in unmittelbarer Nachbarschaft eines Störfall-Betriebsbereiches i. S. d. Seveso-Vorschriften begehrt wurde. Im Folgenden werden die wesentlichen Leitsätze des EuGH und des BVerwG zusammengefasst dargestellt. Sie sind in der täglichen Praxis der Planungs- und Bauaufsichtsbehörden anzuwenden und liegen dem in Kapitel 3 enthaltenen städtebaulichen Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zu Grunde. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 15.09.2011 (C-53/10) Mit dem Urteil vom 15.09.2011 hat der EuGH klargestellt, dass sich die Seveso-II-Richtlinie nicht ausschließlich an die Träger der Bauleitplanung richtet. Die Baugenehmigungsbehörden sind ebenfalls verpflichtet, das Abstandsgebot der Seveso-II-Richtlinie im Rahmen ihrer grundsätzlich gebundenen Genehmigungsentscheidungen bei Vorhaben im Umfeld von Störfallbetrieben zu beachten. Das Abstandsgebot ist deshalb bei Einzelfallentscheidungen zur Zulässigkeit von Bauvorhaben gemäß §§ 30, 34, 35 BauGB zu berücksichtigen, die dem Anwendungsregime der Seveso-II-Richtlinie (heute Seveso-III-Richtlinie) unterliegen. Der EuGH hat ausgeführt, dass aus den europarechtlichen Seveso-Vorschriften kein absolutes „Verschlechterungsverbot“ abzuleiten ist. Der Artikel 12 Seveso-II-Richtlinie (heute Artikel 13 Seveso-III-Richtlinie) gebietet nicht, alle Vorhaben abzulehnen, die die angemessenen Abstände zu existierenden Störfallbetrieben unterschreiten. Die Genehmigungsbehörden können ein Vorhaben, das im Sinne der Seveso-Vorschriften grundsätzlich schutzbedürftig ist, trotz Unterschreitung des störfallspezifisch ermittelten angemessenen Abstandes im Einzelfall genehmigen, wenn hinreichend gewichtige sozioökonomische Belange für die Zulassung des Vorhabens sprechen5. 4 5 EuGH, Urteil vom 15.09.2011 und BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 EuGH, Urteil vom 15.09.2011 7 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 20.12.2012 (4 C 11.11.) Der EuGH hat die Entscheidung über den Fall „Mücksch/Merck“ an das BVerwG zurück verwiesen. Das BVerwG hat mit dem Urteil vom 20.12.2012 zum einen entschieden, dass die Erteilung der begehrten Bauvoranfrage für ein großflächiges Gartencenter nach § 34 BauGB zu verwehren ist, da das Vorhaben nicht mit den europarechtlichen Seveso-Vorschriften vereinbar ist. Zum anderen hat das BVerwG mit diesem Urteil wesentliche Leitsätze und Handlungsvorgaben gegeben, wie die Seveso-II-Richtlinie (heute Seveso-III-Richtlinie) in der kommunalen Planungs- und Genehmigungspraxis zu berücksichtigen ist. Von besonderer Bedeutung sind die Ausführungen des BVerwG zum notwendigen Prüfverfahren für Planungs- bzw. Genehmigungsentscheidungen (gestufte Prüfschritte) und die rechtssystematische Umsetzung der EuGH-Anforderungen in Bauleitplanungs- und Genehmigungsverfahren. Die BVerwG-Vorgaben beziehen sich auf Einzelfallentscheidungen der Bauleitplanung und Vorhabengenehmigungen, die schutzbedürftige Nutzungen i. S. d. Artikels 13 Seveso-IIIRichtlinie zum Gegenstand haben, welche innerhalb der gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände von Störfall-Betriebsbereichen liegen. Genehmigungsentscheidungen Das BVerwG hat klargestellt, dass das Abstandsgebot bei der Zulassung von Bauvorhaben gemäß §§ 30, 34, 35 BauGB im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes berücksichtigt werden kann und muss. Im Einzelfall können die Anforderungen des Abstandsgebotes über das „Einfügen“ des § 34 BauGB bei Vorhaben im unbeplanten Innenbereich, als „öffentlicher Belang“ des § 35 Abs. 3 BauGB bei Vorhaben im Außenbereich und über die Einzelfallbetrachtung des § 15 Abs. 1 BauNVO i. V. mit § 30 BauGB bei Vorhaben im Geltungsbereich von rechtsverbindlichen Bebauungsplänen berücksichtigt werden. Das Rücksichtnahmegebot bietet eine geeignete Grundlage für die vom BVerwG geforderte "nachvollziehende Abwägung“ der in die Einzelfallentscheidung einzustellenden Belange. Im Rahmen einer „nachvollziehenden Abwägung“ kommen für die Genehmigungsentscheidung allerdings nur individuelle Belange eines Antragstellers (d. h. wirtschaftliche bzw. private Belange wie das Interesse an einer adäquaten Nutzung eines Grundstückes) sowie individuelle Belange des Anlagenbetreibers in Betracht. Das BVerwG versteht unter der „nachvollziehenden Abwägung“ einen gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt. Welche Belange sich im Einzelfall durchsetzen, ist eine Frage ihres jeweiligen Gewichts und der Abwägung mit dem Vorhaben, zu dem es konkret in Beziehung zu setzen ist6. Demnach kann im Ergebnis der „nachvollziehenden Abwägung“ ein Unterschreiten des ermittelten angemessenen Abstands vertretbar sein, wenn hinreichend gewichtige individuelle Belange für die Zulassung des Vorhabens streiten. Nach Auffassung des BVerwG gilt ein „Regel-Ausnahmeverhältnis“, wonach die Zulassung eines schutzbedürftigen Vorhabens, das den angemessenen Abstand unterschreitet, eine Ausnahme darstellt. 6 Vgl. Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 11 8 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Planungsentscheidungen Das in Artikel 13 Seveso-III-Richtlinie verankerte Abstandsgebot ist nach wie vor vorrangig auf der Ebene der kommunalen Bauleitplanung zu beachten; d. h. bei der Neuaufstellung/ Änderung der Flächennutzungsplanung sowie der Aufstellung und Änderung von Bebauungsplänen. Bei Planungsentscheidungen sind gemäß § 1 Abs. 7 BauGB alle für die jeweilige Planung relevanten abwägungserheblichen öffentlichen und privaten Belange sachgerecht zu ermitteln und in die Abwägung einzustellen. Zweifelsfrei ist das Abstandsgebot bei jedem Bauleitplanverfahren, das die Neuansiedlung bzw. Nachverdichtung schutzbedürftiger Nutzungen i. S. d. Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie vorbereitet, als Belang von besonderem Gewicht zu berücksichtigen7. Entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist das Abstandsgebot jedoch als eine sogenannte „Abwägungsdirektive“ zu betrachten; d. h. eine planende Kommune kann diesen Belang im konkreten Planungsfall durchaus zurückstellen, wenn z. B. gewichtige sozioökonomische Belange für die Umsetzung einer Planung innerhalb des angemessenen Abstandes sprechen8. Der EuGH hat ein absolutes „Verschlechterungsverbot“ verworfen und den kommunalen Planungsträgern im Rahmen der planerischen Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) einen Wertungsspielraum zugestanden, so dass im jeweiligen Planungsfall unter Berücksichtigung von sozioökonomischen Belangen eine städtebauliche Entwicklung auch innerhalb der angemessenen Abstände weiterhin möglich sein kann. Diese Bewertung wird vom BVerwG mitgetragen und ist von entscheidender Bedeutung für die kommunalen Planungsträger, da die Rechtsprechung den Kommunen im Rahmen ihrer Planungs- und Gestaltungshoheit damit durchaus Spielräume für die Umsetzung ihrer städtebaulichen Ziele und Entwicklungskonzepte auch innerhalb der angemessenen Abstände zubilligt. Die störfallrechtlichen Belange sind in jedem konkreten Planungsfall ordnungsgemäß zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung der öffentlichen und privaten Belange gemäß § 1 Abs. 7 BauGB einzustellen. Dabei kommt ihnen jedoch nicht automatisch eine höhere Gewichtung oder gar „Ausschlusswirkung“ zu; sie sind mit der ihnen im jeweiligen Planungsfall zukommenden Bedeutung zu berücksichtigen. Neben diesen Belangen sind auch städtebauliche, ökologische, sozioökonomische (d. h. soziale, infrastrukturelle und wirtschaftliche), sonstige öffentliche Belange sowie private Belange, die für die jeweilige Bauleitplanung relevant sind, mit dem ihnen objektiv zukommenden Gewicht in die Abwägungsentscheidung einzustellen. Welche Belange sich im Einzelfall durchsetzen und welche zurückgestellt werden, ist auch hier eine Frage ihrer jeweiligen Gewichtung und Abwägung entsprechend § 1 Abs. 7 BauGB im Rahmen des konkreten Bauleitplanverfahrens. Bei der Planung und Abwägung ist zu gewährleisten, dass die Risiken einer geplanten Neuansiedlung schutzbedürftiger Gebiete und Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie innerhalb angemessener Abstände sachgerecht geprüft und gewürdigt werden. Wenn im Ergebnis überwiegende städtebauliche und/oder sozioökonomische Belange für die Realisierung ei7 8 Vgl. Uechtritz/Farsbotter Teil I, S. 1922 Vgl. EuGH, Urteil vom 15.09.2011 9 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF nes Planungskonzeptes sprechen, so ist dies nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bei bauleitplanerischen Entscheidungen im Einzelfall durchaus vertretbar. Abgestufte Vorgehensweise zur Berücksichtigung des störfallrechtlichen Abstandsgebotes bei Planungs- und Genehmigungsentscheidungen Aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist sowohl für Planungsentscheidungen (Bauleitplanverfahren, Planfeststellung) als auch für baurechtliche Genehmigungsentscheidungen die Notwendigkeit einer abgestuften zweistufigen Vorgehensweise abzuleiten9. Von grundlegender Bedeutung für die Zusammenstellung und Bewertung des notwendigen störfallrechtlichen Abwägungsmaterials ist die fachtechnische Ermittlung des „angemessenen Sicherheitsabstands“ i. S. d. Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie (vorher „angemessener Abstand“ i. S. d. Artikels 12 der Seveso-II-Richtlinie)10. Der Begriff des "angemessenen" Abstands im Sinne des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie ist ein zwar unbestimmter, aber anhand störfallspezifischer Faktoren technisch-fachlich bestimmbarer Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt. In einem ersten Prüfschritt ist der angemessene Abstand ausschließlich anhand störfallspezifischer, rein fachtechnischer Kriterien zu ermitteln. Das BVerwG benennt beispielhaft störfallspezifische Kriterien, die im jeweiligen Einzelfall der Planung bzw. Vorhabengenehmigung für die Ermittlung des angemessenen Abstands herangezogen werden können. Als störfallspezifische Faktoren im Sinne der BVerwG-Rechtsprechung kommen sowohl Eigenschaften des Störfallbetriebsbereichs (anlagenspezifische Faktoren) als auch Eigenschaften des Neuansiedlungsvorhabens (vorhabenspezifische Faktoren)11 in Betracht12. Hinsichtlich der beispielhaften Benennung anlagen- bzw. vorhabenspezifischer Faktoren wird auf Kapitel 2.4 verwiesen. Die Ermittlung des angemessenen Abstands erfordert im Regelfall die Heranziehung technisch-fachlichen Sachverstands, d. h. die Erstellung eines Fachgutachtens durch einen anerkannten Sachverständigen (§ 29a BImSchG). Wird der im ersten Prüfschritt ermittelte angemessene Abstand nicht eingehalten, so muss in einem zweiten Schritt entschieden werden, ob ein Unterschreiten des angemessenen Abstands im jeweiligen Einzelfall der Bauleitplanung bzw. Vorhabengenehmigung vertretbar ist. 9 Vgl. Uechtritz/Farsbotter Teil I, S. 1922 ff Mit der begrifflichen Veränderung in Artikel 13 zum „angemessenen Sicherheitsabstand“ sind keine inhaltlichen Änderungen verbunden. Im vorliegenden Entwurf des städtebaulichen Entwicklungskonzepts Wesseling wird, entsprechend der Terminologie des Leitfadens KAS-18 und des gesamtstädtischen TÜV-Gutachtens der Begriff „angemessener Abstand“ verwendet. 11 Die Bund/Länder- Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz hat eine abweichende Position dazu (vgl. Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, Fußnote 19). Die Hauptaussage ist, dass die Ermittlung des angemessenen Abstandes (nach KAS-18) stets von der Störfallanlage ausgeht. Eine davon abweichende, auf etwaige Schutzvorkehrungen am neu zu genehmigten Bauvorhaben bezogene Abstandsermittlung ist faktisch nicht möglich. Aus immissionsschutzrechtlicher Sicht ist eine Einbeziehung dieser Faktoren erst auf der Ebene der Abwägung sinnvoll. Die Aussage des Bundesverwaltungsgerichts ist in dieser Hinsicht nicht eindeutig. 12 Vgl. Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 6 10 10 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Erst in diesem zweiten Prüfschritt können nicht-störfallspezifische - die sogenannten sozioökonomischen Faktoren und/oder städtebauliche Belange - in die planerische Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB im jeweiligen Bauleitplanverfahren oder in die nachvollziehende Abwägung im jeweiligen Genehmigungsverfahren eingestellt werden. Grundsätzlich müssen für die Erteilung einer Baugenehmigung weitere Voraussetzungen erfüllt sein, um zu der Abwägung der sozioökonomischen Faktoren zu gelangen (Bestehen einer Gemengelage, negative Prüfung von Alternativstandorten usw.). Demnach haben sozioökonomische Faktoren und/oder städtebauliche Gründe bei der Ermittlung des angemessenen Abstands außer Betracht zu bleiben. Derartige Faktoren sind erst bei der Entscheidung zu berücksichtigen, ob eine schutzbedürftige Planung bzw. ein schutzbedürftiges Vorhaben trotz der Unterschreitung des fachtechnisch ermittelten angemessenen Abstands im Einzelfall vertretbar sein kann. Die Stadt Wesseling hat zum Zwecke der fachtechnischen Ermittlung der angemessenen Abstände die TÜV Nord Systems GmbH mit der Erarbeitung eines gesamtstädtischen Gutachtens zur Verträglichkeit von Störfall-Betriebsbereichen im Stadtgebiet Wesseling unter dem Gesichtspunkt des § 50 BImSchG und der Seveso-III-Richtlinie beauftragt. Das TÜVGutachten mit den ermittelten angemessenen Abständen für das Stadtgebiet Wesseling liegt seit Dezember 2015 vor. Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über aktuelle Rechts- und Fachgrundlagen für die kommunale Planungs- und Genehmigungspraxis. 2.2 Europäisches Recht Seveso-Richtlinie (82/501/EWG) Der Rat der Europäischen Gemeinschaft hat am 24.06.1982 die erste sogenannte „SevesoRichtlinie“13 erlassen. Anlass für diese Richtlinie war ein folgenschwerer Chemieunfall im Jahr 1976 in der italienischen Stadt Seveso, bei dem in einer chemischen Fabrik eine unbekannte Menge des hochgiftigen Stoffes Dioxin freigesetzt wurde. In Anbetracht ähnlicher Unfälle in Europa und weltweit wurde eine europäische Richtlinie erlassen, die sich mit der Vermeidung von Unfallereignissen in Industrieanlagen und der weitest gehenden Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen mit Gefahrstoffen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt beschäftigt. Die europarechtlichen Seveso-Vorschriften sind innerhalb bestimmter Fristen in nationales Recht umzusetzen; unterbleibt dies, sind sie als unmittelbar geltendes Recht in den EU-Mitgliedstaaten anzuwenden. Seveso-II-Richtlinie (96/82/EG) Im Jahr 1996 wurde die Seveso-II-Richtlinie14 erlassen. Die Änderungen umfassen im Vergleich zur 1. Fassung der Richtlinie zum einen die Aufnahme von Bestimmungen über die Überwachung der Flächennutzungsplanung im Falle der Genehmigung neuer Anlagen sowie der Planung von Ansiedlungen in der Nähe bestehender Anlagen. Zum anderen wurde die in der bisherigen Richtlinie enthaltene Liste mit Anlagen mit Gefahrenpotenzialen um weitere potenziell störfallrelevante Betriebe ergänzt. 13 14 Richtlinie 82/501/EWG Richtlinie 96/82/EG 11 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Die Seveso-II-Richtlinie wurde durch den Bundesgesetzgeber mit der sogenannten „StörfallVerordnung“ (12. Bundes-Immissionsschutzverordnung) vom April 2000 und der Änderung des BImSchG, insbesondere des § 50, im Jahr 1998 in deutsches Recht umgesetzt. Eine nochmalige Änderung des § 50 BImSchG erfolgte im Jahr 2005. Seveso-III-Richtlinie (2012/18/EU) Die Seveso-III-Richtlinie15 hat mit Wirkung vom 04.07.2012 die bis dahin geltende Seveso-IIRichtlinie ersetzt. Die Mitgliedstaaten waren aufgefordert, die Richtlinie bis zum 31.05.2015 in nationales Recht umzusetzen. Die Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie in nationales Recht wurde am 20.10.2016 vom deutschen Bundestag beschlossen. Mit der Seveso-III-Richtlinie wurden einige Änderungen beschlossen, um das Schutzniveau europaweit nochmals zu erhöhen sowie einige Bestimmungen zu präzisieren und zu aktualisieren. Insbesondere erfolgte mit der Seveso-III-Richtlinie eine Anpassung der im Anhang I genannten gefährlichen Stoffe an sonstige, bereits geltende europäische Richtlinien. Die Richtlinie 2012/18/EU enthält zudem weitere planungsrelevante Neuerungen. Neben dem für die Stadtentwicklung wichtigen Artikel 13 „Überwachung der Ansiedlung“ ist insbesondere der Artikel 15 zur Beteiligung der Öffentlichkeit bei raumbedeutsamen Planungen und Vorhaben i. S. d. Artikels 13 von Bedeutung. Artikel 13 Überwachung der Ansiedlung: „(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in ihren Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung oder anderen einschlägigen Politiken das Ziel, schwere Unfälle zu verhüten und ihre Folgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu begrenzen, Berücksichtigung findet. Dazu überwachen sie a) die Ansiedlung neuer Betriebe; b) Änderungen von Betrieben im Sinne des Artikels 11; c) neue Entwicklungen in der Nachbarschaft von Betrieben, einschließlich Verkehrswegen, öffentlich genutzten Örtlichkeiten und Wohngebieten, wenn diese Ansiedlungen oder Entwicklungen Ursache von schweren Unfällen sein oder das Risiko eines schweren Unfalls vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmern können. (2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung oder anderen einschlägigen Politiken sowie den Verfahren für die Durchführung dieser Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, a) dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten, Erholungsgebieten und - soweit möglich - Hauptverkehrswegen andererseits ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt bleibt; b) dass unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvolle bzw. besonders empfindliche Gebiete in der Nachbarschaft von Betrieben erforderlichenfalls durch angemessene Sicherheitsabstände oder durch andere relevante Maßnahmen geschützt werden; 15 Richtlinie 2012/18/EU 12 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF c) dass bei bestehenden Betrieben zusätzliche technische Maßnahmen nach Artikel 5 ergriffen werden, damit es zu keiner Zunahme der Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt kommt.“ 2.3 Deutsches Recht Die europäischen Seveso-Richtlinien sind durch die nationale Gesetzgebung umzusetzen. Die Seveso-II-Richtlinie wurde im Jahr 2000 mit der Änderung bzw. Ergänzung der nachfolgenden Gesetze in das deutsche Recht übertragen. Die Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie in nationales Recht wurde am 20.10.2016 vom deutschen Bundestag beschlossen16. Dadurch wird das Störfallrecht an aktuelle Entwicklungen angepasst und Anforderungen an Betriebe aufgestellt, von denen im Unglücksfall erhebliche Gefahren für die Bevölkerung ausgehen können. Deutschland hat damit die Richtlinie mit erheblicher Verspätung umgesetzt17. Das Gesetz (18/10057) umfasst Änderungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), im Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) und im UmweltRechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Mit diesem Artikelgesetz sollen im Schwerpunkt die Artikel 15 und 23 der Seveso-III-Richtlinie, insbesondere die neuen Regelungen zur Information und Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit und zu deren Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten umgesetzt werden. 2.3.1 Bundes-Immissionsschutzgesetz Mit dem sogenannten „Trennungsgrundsatz“ des § 50 BImSchG findet die europäische Seveso-II-Richtlinie im nationalen Recht ihre Anwendung. § 50 BImSchG - Planung (Trennungsgrundsatz): „(1) Bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen sind die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen und von schweren Unfällen im Sinne des Artikel 3 Nummer 5 der Richtlinie 96/82/EG in Betriebsbereichen hervorgerufene Auswirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete sowie auf sonstige schutzbedürftige Gebiete, insbesondere öffentlich genutzte Gebiete, wichtige Verkehrswege, Freizeitgebiete und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvolle oder besonders empfindliche Gebiete und öffentlich genutzte Gebäude, so weit wie möglich vermieden werden.“ Der Trennungsgrundsatz trägt der besonderen Bedeutung der vorsorgenden Flächenplanung und Flächenzuordnung innerhalb der Siedlungsstrukturen Rechnung. Diese Vorschrift verfolgt einen planerisch-flächenbezogenen, jedoch keinen anlagenbezogenen Ansatz und ist grundsätzlich bei raumbedeutsamen Planungen auf allen Ebenen, insbesondere jedoch bei der Bauleitplanung zu beachten. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung18 ist der Trennungsgrundsatz § 50 BImSchG als eine der Abwägung unterliegende Planungsdirektive für die Bauleitplanung zu verstehen. 16 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen 2016 18 BVerwG, Urteil vom 19.04.2012 17 13 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Mit dem neuen Gesetz zur Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie19 (Beschluss vom 20.10.2016) wurden insbesondere die Vorgaben der Seveso-III-Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten umgesetzt. Demnach ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung immer dann durchzuführen, wenn dem Erfordernis eines angemessenen Sicherheitsabstandes aus Artikel 13 Absatz 2 der Seveso-III-Richtlinie Rechnung getragen werden muss. Dies betrifft Änderungen neuer Betriebsbereiche, wesentliche Änderung von Betriebsbereichen oder neue Entwicklungen in der Nachbarschaft von Betriebsbereichen, durch die das Risiko eines schweren Unfalls vergrößert oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmert werden können. Im BImSchG werden im Wesentlichen folgende Änderungen vorgenommen: Ø Einführung einer Legaldefinition zum angemessenen Sicherheitsabstand zwischen störfallrelevantem Betrieb/Betriebsteil und sonstiger schutzbedürftiger Bebauung. Ø Soweit dieses (auch auf Basis der Rechtsprechung bestehende) Abstandsgebot nicht bereits im Rahmen der Bauleitplanung berücksichtigt ist, muss zumindest bei Unterschreitung des angemessenen Sicherheitsabstandes die Zulässigkeit des Vorhabens im Einzelfall geprüft werden: o Für die störfallrechtliche Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen wird eine Genehmigungspflicht eingeführt (§ 16a BImSchG), unabhängig davon, ob damit auch eine wesentliche Änderung einhergeht, die bisher nur eine Genehmigungspflicht nach § 16 BImSchG ausgelöst hat. o Für neue genehmigungsbedürftige Anlagen bleibt die Frage des angemessenen Sicherheitsabstandes Bestandteil des Genehmigungsverfahrens, soweit die Frage nicht bereits auf der Ebene der Bauleitplanung geklärt wurde. In Fällen, in denen die Errichtung störfallrelevanter Betriebe/Betriebsbereiche im Grunde einem vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 19 Abs. 1 BImSchG unterliegen würde, wird ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren gemäß § 19 Abs. 4 BImSchG ausgeschlossen, wenn der angemessene Sicherheitsabstand unterschritten wird. Der Anlagenbetreiber muss insoweit ein Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG durchlaufen mit der Beschränkung, dass nur die betroffene Öffentlichkeit beteiligt wird. Ø Soweit die Errichtung oder Änderung eines störfallrelevanten Betriebs/ Betriebsbereichs im Grunde nicht genehmigungsbedürftig wäre, wird gemäß § 23a BImSchG eine Anzeigepflicht eingeführt. Damit soll die Einhaltung eines angemessenen Sicherheitsabstandes behördlich festgestellt werden, sofern sie nicht bekannt ist. Die Öffentlichkeit erhält Zugang zu diesem Ergebnis. Ø Sollte der angemessene Sicherheitsabstand für dieses Vorhaben unterschritten werden, ist es für die Realisierung des Vorhabens erforderlich, dass ein (neu eingeführtes) störfallrechtliches Genehmigungsverfahren nach § 23b BImSchG durchgeführt wird. Hieran ist die Öffentlichkeit zu beteiligen. Ø Die Regelungen der §§ 23a und 23b finden keine Anwendung, wenn eine Betriebsplanzulassung nach Bundesberggesetz erforderlich ist. Hierzu soll das BBergG geändert werden, um die Anforderungen der Seveso-III-Richtlinie umzusetzen. Die Änderung des BBergG ist nicht Bestandteil des Regelungsvorhabens20. 19 20 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU, S. 34-35 14 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 2.3.2 12. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Die sogenannte „Störfall-Verordnung“ (12. BImSchV) dient der Vorbeugung von schweren Unfällen und der Begrenzung der Unfallfolgen für Mensch und Umwelt. Diese Vorschrift gilt für alle Betriebsbereiche, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Anhang I Spalte 4 dieser Verordnung genannten Mengenschwellen erreichen oder überschreiten. Die Betreiber der betroffenen Betriebsbereiche sind durch die Störfall-Verordnung verpflichtet, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um Störfälle von vornherein zu vermeiden, auftretende Störfalle sofort zu erkennen und entsprechend zu handeln sowie deren Auswirkungen auf den Menschen und die Umwelt so weit wie möglich zu minimieren. Mit dem neuen Gesetz zur Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie (Beschluss vom 20.10.2016) werden in der Störfall-Verordnung im Wesentlichen folgende Änderungen vorgenommen: Ø Klarstellung, dass die Gewährleistung des angemessenen Sicherheitsabstandes keine immissionsschutzrechtliche Betreiberpflicht darstellt sowie Einführung bzw. Erweiterung einer Ø Anzeigepflicht des Anlagenbetreibers zu Gegebenheiten in der unmittelbaren Umgebung eines neuen störfallrelevanten Betriebs/Betriebsbereichs zur Feststellung, ob sich Störfalle realisieren oder Domino-Effekte verstärken könnten, Ø Pflicht des Anlagenbetreibers eines störfallrelevanten Betriebs/Betriebsbereichs zur Information der Öffentlichkeit und der Nachbarschaft über seine Anlage, Ø Pflicht des Anlagenbetreibers eines störfallrelevanten Betriebs/Betriebsbereichs zur Erstellung und Sicherstellung eines Sicherheitsmanagementsystems, Ø Pflicht der zuständigen Verwaltung zur Erstellung von Überwachungsplänen und Überwachungsprogrammen der störfallrelevanten Betriebe/Betriebsbereiche21. 2.3.3 Baugesetzbuch Die Bauleitplanung ist das zentrale Planungsinstrument auf kommunaler Ebene. Insbesondere mit dem Flächennutzungsplan als vorbereitendem Bauleitplan für das gesamte Stadtgebiet erfolgt die grundsätzliche Steuerung der Stadtentwicklung und die verträgliche Zuordnung unterschiedlicher Flächennutzungen. Die Kommune als Trägerin der Planungshoheit hat sowohl bei der Flächennutzungsplanung als auch bei der Aufstellung bzw. Änderung von Bebauungsplänen für einzelne Plangebiete dafür Sorge zu tragen, dass die europarechtlichen Seveso-Vorschriften und der Trennungsgrundsatz (§ 50 BImSchG) sachgerecht berücksichtigt und umgesetzt werden. Wesentliche Aufgabe der Bauleitplanung ist einen Beitrag zur Sicherung einer menschenwürdigen Umwelt und zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu leisten. Die aus einer Planung resultierenden Nachteile oder Beeinträchtigungen durch schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren i. S. d. BImSchG sind entsprechend dem Gebot der Konfliktbewältigung im Rahmen der Bauleitplanung zu ermitteln und zu lösen. 21 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU, S. 35 15 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Neben der grundlegenden Zuordnung und Gliederung von Flächen nach der Art der baulichen Nutzung im Flächennutzungsplan oder Bebauungsplan können durch die Planung auftretende Immissionskonflikte mit der neu gefassten Festsetzungsmöglichkeit des § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB bewältigt werden. § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB: „die von der Bebauung freizuhaltenden Schutzflächen und ihre Nutzung, die Flächen für besondere Anlagen und Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie die zum Schutz vor solchen Einwirkungen oder zur Vermeidung oder Minderung solcher Einwirkungen zu treffenden baulichen und sonstigen technischen Vorkehrungen;“. 2.3.4 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung und UmweltRechtsbehelfsgesetz Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie (Beschluss vom 20.10.2016) wurden Änderungen im Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) und Umweltrechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) vorgenommen22. Für die „neuen Entwicklungen in der Nachbarschaft“ der Betriebsbereiche soll der Artikel 15 der Seveso-III-Richtlinie durch eine im Wesentlichen klarstellende Änderung des UVPG umgesetzt werden. Dies soll über die Änderung der Anlage 2 des UVPG und die Einführung des § 3d UVPG erfolgen. Für die betroffenen Vorhaben soll demnach eine Umweltverträglichkeitsprüfung und damit auch ein Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 9 UVPG durchgeführt werden. Somit ist bei einer Vorprüfung im Einzelfall bei benachbarten Schutzobjekten innerhalb der angemessenen Sicherheitsabstände, davon auszugehen, dass das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann. Soweit es sich um Vorhaben nach Landesrecht handelt, hat die Umsetzung im Landesgesetz (z. B. Landesbauordnungen) zu erfolgen. Um die im Artikel 23 der Seveso-III-Richtlinie geforderte Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung sicherzustellen, wird das UmwRG entsprechend ergänzt. Der Informationszugang mit Überprüfungsmöglichkeit ist bereits umfassend im Umweltinformationsgesetz (UIG) geregelt23. 2.4 Arbeitshilfen und Handlungsempfehlungen 2.4.1 Leitfaden KAS-18 Der Leitfaden KAS-1824 wurde von der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) im Jahr 2010 verabschiedet. Der Leitfaden dient als wesentliche Arbeitshilfe für die Planungs- und Immissionsschutzbehörden, die für die Berücksichtigung der Seveso-Vorschriften in Bauleitplanungs- und Ge22 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU 24 Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG 23 16 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF nehmigungsverfahren verantwortlich sind. Er stellt eine fachtechnische Empfehlung zum Umgang mit der Seveso-Thematik dar; mangels gesetzlicher Legitimation der Kommission hat er jedoch nicht die Qualität einer Rechtsnorm oder normkonkretisierenden Vorschrift. Da weder die europäische noch die deutsche Gesetzgebung bisher verbindliche Vorgaben zu Verfahren oder Methoden zur Umsetzung der materiellen Vorgaben des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie, auch nicht zur konkreten Ermittlung der angemessenen Abstände, erlassen hat, ist der Leitfaden KAS-18 in Deutschland die einzige Arbeitshilfe zu dieser Thematik. In Anbetracht dessen hat sich der Leitfaden KAS-18 in der beruflichen Praxis der Fachgutachter, Planungs- und Immissionsschutzbehörden als die maßgebende fachtechnische Vorgabe zur Ermittlung der angemessenen Abstände von Störfallanlagen (Betriebsbereichen i. S. d. § 3 Abs. 5a BImSchG) etabliert. Auch die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Deutschland greift aus diesem Grunde ebenfalls auf den Leitfaden KAS-18 zurück und hat diesen als fachtechnische Methodik zur Ermittlung angemessener Abstände akzeptiert. Wesentliche Inhalte des Leitfadens KAS-18 sind u. a. die Konkretisierung schutzbedürftiger Gebiete i. S. d. § 50 Satz 1 BImSchG, die Anwendung des Leitfadens bei verschiedenen Planungsfällen und insbesondere die Methodik zur Definition von Achtungsabständen und Ermittlung von angemessenen Abständen im Einzelfall. Die Abstandsempfehlungen nach KAS-18 für raumbedeutsame Planungen unterscheiden nach dem Planfall „Planung auf der grünen Wiese“ (Fall ohne Detailkenntnisse) und dem Planfall „Planung im Umfeld von Betriebsbereichen“ (Fall mit Detailkenntnissen). Nach KAS-18 werden die Anlagen in Abhängigkeit von den gehandhabten Gefahrstoffen in Abstandsklassen unterteilt. Der in der jeweiligen Abstandsklasse vorgesehene Abstand ist im Sinne eines „Achtungsabstands“ als Richtwert für den Planfall „Planung ohne Detailkenntnisse“ zu verstehen, der einen ausreichenden Schutz vor Gefahren für benachbarte schutzbedürftige Nutzungen sicherstellen soll. Die Richtwerte (Achtungsabstände) werden mit Hilfe von im Sinne einer Konvention verallgemeinerten Referenzszenarien unter standardisierten Rahmenbedingungen ermittelt25. Von großer Relevanz für die Stadt Wesseling ist der „Planfall mit Detailkenntnissen“, da sich die Bauleitplanung im Wesentlichen mit der Überplanung bestehender Siedlungsstrukturen und der Ausweisung von Baugebieten innerhalb gewachsener Strukturen befasst. Für den „Planfall mit Detailkenntnissen“ sind die genannten Standard-Rahmenbedingungen im jeweiligen Einzelfall anhand der tatsächlichen Situation vor Ort und der Gegebenheiten der Planung zu untersuchen. Diese Untersuchung wird im Regelfall durch ein Fachgutachten eines anerkannten Sachverständigen (§ 29a BImSchG) durchgeführt. Im Rahmen des Fachgutachtens werden die „angemessenen Abstände“ für den konkreten Planungsfall ermittelt. Die für ein konkretes Bauleitplanverfahren ermittelten angemessenen Abstände zwischen Betriebsbereichen und schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie bilden die fachliche Grundlage für die gebotene planerische Abwägung im Einzelfall. 25 TÜV-Gutachten (12/2015), S. 14 ff 17 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Die angemessenen Abstände sind ausschließlich anhand von störfallspezifischen Kriterien zu ermitteln und deshalb rein fachtechnischer Natur. Nach der Rechtsprechung des BVerwG sind beispielsweise folgende störfallspezifische (anlagenspezifische) Kriterien zu nennen:26 Ø Ø Ø Ø Ø Art, Menge und Eigenschaften der jeweiligen gefährlichen Stoffe Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls Folgen eines etwaigen Unfalls für menschliche Gesundheit und die Umwelt Sicherheitstechnische Ausrüstung der Anlage Störfallverhindernde Maßnahmen und technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen Der Ermittlung der angemessenen Abstände nach KAS-18 liegt jedoch kein real zu erwartendes Szenario zu Grunde. Es handelt sich bei den entsprechenden Szenarien weiterhin um sogenannte „ursachenunabhängige Dennoch-Störfälle“. Trotz Anpassung der Szenarien an die konkrete Situation des Einzelfalls fließen in die Modellierung (Ausbreitungsrechnung) eine große Anzahl von Konventionen und Vereinfachungen ein, so dass es sich um eine modellhaft ermittelte Größe handelt, die in der Regel nicht als Prognose eines real eintretenden Ereignisses angesehen werden darf27. Außerhalb des angemessenen Abstandes wird die Möglichkeit einer Gefährdung von Mensch und Umwelt durch einen benachbarten Betriebsbereich für derart gering erachtet, dass dieser Aspekt im Rahmen der Bauleitplanung und Baugenehmigungsverfahren keine Berücksichtigung finden muss. Die Orientierung am Leitfaden KAS-18 für die Ermittlung der angemessenen Abstände stellt eine erste Prüfstufe dar. Es handelt sich um eine Abstandsempfehlung, die lediglich die störfallspezifischen Faktoren auf Seiten der Anlage und nicht diejenigen der „Vorhabenseite“ betrachtet. Bei der Durchführung eines Bauleitplanverfahrens müssen sich weitere Beurteilungsschritte anschließen, um die störfallspezifischen Faktoren der „Vorhabenseite“ des konkreten Planungsfalles zu berücksichtigen und in die gebotene Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange gemäß § 1 Abs. 7 BauGB einstellen zu können. 2.4.2 Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau Da die Vielzahl offener Fragen bei der konkreten Rechtsanwendung der Seveso-Thematik zu erheblicher Verunsicherung in der Behördenpraxis führt, hat die Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz eine Arbeitshilfe zur Berücksichtigung des Artikels 12 SevesoII-Richtlinie (heute Artikel 13 Seveso-III-Richtlinie) im baurechtlichen Genehmigungsverfahren in der Umgebung von unter die Richtlinie fallenden Betrieben erarbeitet. Die Arbeitshilfe wurde am 11.03.2015 von der Fachkommission Städtebau beschlossen und soll die Genehmigungsbehörden bei der Beurteilung von Planungs- und Bauvorhaben innerhalb der nach KAS-18 ermittelten Abstände unterstützen. Sie stellt eine Zusammenfassung und praktische Umsetzungshilfe auf Basis der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Umgang mit den Seveso-Vorschriften dar. In Anbetracht ihrer großen Bedeutung für die behördliche Rechtsanwendung werden die wichtigsten Handlungsempfehlungen der Arbeitshilfe nachfolgend dargestellt. 26 27 Vgl. Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 7 Vgl. TÜV-Gutachten (12/2015), S. 18 ff 18 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Die Arbeitshilfe gibt Empfehlungen zur Anwendung der Seveso-Richtlinie in baurechtlichen Zulassungsverfahren im beplanten und unbeplanten Innenbereich sowie im Außenbereich (§§ 30, 34, 35 BauGB); sie gibt zudem Hinweise zur Frage des Planungsbedarfs, d. h. zur Erforderlichkeit der Aufstellung/Änderung eines Bebauungsplanes gemäß § 1 Abs. 3 BauGB. Weiterhin werden die Prüfschritte zur Beurteilung der Einzelfallzulassung von Planungen bzw. Vorhaben, die aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung abzuleiten sind, konkreter ausgeführt. Ergänzend zum Leitfaden KAS-18 enthält die Arbeitshilfe nicht nur störfallspezifische Faktoren auf Seiten der Störfallanlage (anlagenspezifische Faktoren), sondern auch störfallspezifische Faktoren auf Vorhabenseite (vorhabenspezifische Faktoren), die bei den jeweiligen Planungs- und Genehmigungsentscheidungen zu berücksichtigen sind. Als vorhabenspezifische Faktoren sind beispielsweise zu nennen28: Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Art und Intensität der beantragten schutzbedürftigen Nutzung Typische Nutzungssituation Zuordnung der Nutzungen in den beruflichen oder privaten Bereich Anzahl der zeitgleich anwesenden Personen und deren Aufenthaltsdauer Verhältnis ortskundiger Personen zu Ortsfremden Personendichte und Einzelgruppenstärke Individuelle Handlungs-/Einsichtsfähigkeit der Personen Besondere Schutzbedürftigkeit von Personengruppen Übersichtlichkeit von Gebäuden und Arealen einschließlich Qualität der Fluchtwege Erreichbarkeit des schutzbedürftigen Vorhabens für Notfallkräfte, Nähe zu Einrichtungen zur ersten Hilfe und Gefahrenabwehr Ø Vorhabenbedingte Veränderungen, etwa die Verschlimmerung von Unfallfolgen Ø Auswirkungsbegrenzende bzw. unfallfolgenbegrenzende Maßnahmen (z. B. bauliche Schutzmöglichkeiten/Eigensicherung) In Bezug auf die höchstrichterliche Rechtsprechung29 wird bestätigt, dass nicht von einem absoluten „Verschlechterungsverbot“ auszugehen ist, sondern dass den kommunalen Planungsträgern in Bauleitplanverfahren im Rahmen der jeweiligen Abwägungsentscheidung ein Wertungsspielraum hinsichtlich ihrer städtebaulichen Entwicklung innerhalb der ermittelten angemessenen Abstände zukommt. Die Schaffung einer neuen störfallrechtlichen Gemengelage durch die erstmalige Zulassung einer schutzbedürftigen Nutzung innerhalb des angemessenen Abstandes ist im Regelfall unzulässig, da ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, auch langfristig gewahrt bleiben muss30. Ein weiteres Heranrücken von schutzwürdigen Nutzungen in Richtung Störfallunternehmen soll verhindert werden (sogenannte „Nichtheranrückenslinie“). Grundsätzlich ist ein schutzbedürftiges Vorhaben i. S. d. Seveso-Vorschriften innerhalb des angemessenen Abstandes nur ausnahmsweise zulässig. Entsprechend der Rechtsprechung des BVerwG gilt ein „Regel-Ausnahmeverhältnis“, wonach die Zulassung eines schutzbedürftigen Vorhabens, das den angemessenen Abstand unterschreitet, eine Ausnahme im jeweiligen Einzelfall darstellt. Eine Unterschreitung des „störfalltechnisch“ ermittelten angemessenen Abstandes bedarf einer besonderen Rechtfertigung und ist nur dann möglich, 28 vgl. Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 7ff EuGH, Urteil vom 15.09.2011 und BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 30 BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 29 19 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige Belange (auf Vorhabenseite) für die Zulassung eines Vorhabens streiten31. In Betracht kommen insbesondere sozioökonomische Belange, die für die ausnahmsweise Realisierung eines Vorhabens sprechen. Dies soll im Rahmen einer sogenannten „nachvollziehenden Abwägung“ erfolgen. „Das BVerwG versteht unter der „nachvollziehenden Abwägung“ einen gerichtlich uneingeschränkt überprüfbaren Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt. Welche Belange sich im Einzelfall durchsetzen, ist eine Frage ihres jeweiligen Gewichts und der Abwägung mit dem Vorhaben, zu dem es konkret in Beziehung zu setzen ist. Das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot bietet eine geeignete Anknüpfung für die ‚nachvollziehende Abwägung`. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Wo im Einzelfall die Zumutbarkeitsschwelle für den Rücksichtnahmebegünstigten verläuft, ist aufgrund der Abwägung zwischen den schutzwürdigen Rechtspositionen des Rücksichtnahmebegünstigten und denjenigen des Rücksichtnahmeverpflichteten zu beurteilen“32. Weiterhin zeigt die Arbeitshilfe die aus der BVerwG-Rechtsprechung abzuleitenden Grenzen des Rücksichtnahmegebotes auf. Die Leistungsgrenzen des Rücksichtnahmegebots werden dann überschritten, wenn die nach Art. 12 Abs. 1 der Seveso-II-Richtlinie zu berücksichtigenden „sozioökonomischen Faktoren“ den Rahmen der im Rücksichtnahmegebot abgebildeten gegenseitigen Interessenbeziehung zwischen Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits verlassen. Dies liege insbesondere dann vor, wenn nicht individuelle, sondern städtebauliche Gründe für die Ansiedlung des Vorhabens sprechen bzw. städtebauliche Spannungen zu befürchten sind, die einer planerischen Bewältigung bedürfen33. Von großer Bedeutung für die Planungspraxis sind die Hinweise zum Umgang mit Bebauungsplänen, die das Abstandsgebot nicht oder nicht ausreichend berücksichtigen. Dies wird, wie in Wesseling, die Mehrzahl der rechtsverbindlichen Bebauungspläne der Kommunen betreffen. Zum einen handelt es sich um alte Bebauungspläne, die vor 1998 bekannt gemacht wurden (Umsetzung der Seveso-II-Richtlinie durch § 50 BImSchG), zum anderen um neuere Bebauungspläne, die die Seveso-Thematik nicht oder nicht sachgerecht bewältigt haben. Grundsätzlich bleibt die Rechtswirksamkeit der verbindlichen Bebauungspläne bestehen. Im Falle von baurechtlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Vorhabens im Geltungsbereich eines solchen Bebauungsplanes ist durch die Bauaufsichtsbehörde zu prüfen, ob eine Einzelfallentscheidung gemäß § 30 BauGB in Verbindung mit § 15 BauNVO in Frage kommt. Die Möglichkeiten der Korrektur über das Rücksichtnahmegebot nach § 15 BauNVO sind jedoch auf eine „Nachsteuerung“ bei „echten“ Einzelfällen beschränkt; d. h. bei der Antragstellung für Einzelvorhaben (wie z. B. Einfamilien-/Doppelhäuser, einem Mehrfamilienhaus mit geringer Wohnungszahl), die anhand ihrer geringen Größe als sogenannte „Bagatellfälle“ beurteilt werden können. Möglich wäre z. B., dass diese Bagatellfälle dem Anwen- 31 BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 11 33 Vgl. Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 14 32 20 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF dungsbereich der Seveso-III-Richtlinie gar nicht unterliegen oder dass im Rahmen der Abwägung von einer sehr geringen Risikoerhöhung durch das Einzelvorhaben auszugehen ist. Dagegen ist es rechtlich nicht möglich, als Bauaufsichtsbehörde aus dieser Vorschrift eine das gesamte Baugebiet betreffende - gewissermaßen strukturelle - Rücksichtlosigkeit herzuleiten34. Die Anwendung des § 15 BauNVO scheidet demnach regelmäßig aus, wenn es sich bei der Antragstellung um eine Vielzahl von Wohnbauten bzw. Wohneinheiten (z. B. Reihenhausgruppen, Geschosswohnungsbau) handelt, die zweifelsfrei nicht als „Einzelfall“ zu betrachten sind und eine „wohngebietsähnliche Größenordnung“ erreichen. Im Falle von Planvorhaben, die eine „wohngebietsähnliche Größenordnung“ umfassen und der zu Grunde liegende Bebauungsplan die Seveso-Thematik nicht berücksichtigt hat, besteht im Regelfall ein Planerfordernis gemäß § 1 Abs. 3 BauGB, um das entsprechende Planungsrecht mittels Aufstellung bzw. Änderung des Bebauungsplanes schaffen zu können. Die Leistungsgrenzen des Rücksichtnahmegebotes sind zudem überschritten, wenn städtebauliche Spannungen ausgelöst werden und eine rechtsfehlerfreie Konfliktbewältigung den Einsatz des Festsetzungsinstrumentariums der Bauleitplanung erfordert oder Vorhaben einen erhöhten Koordinierungsbedarf (z. B. Herstellung Erschließungsanlagen, Neuordnung Grundstücke) auslösen35. Je nach Sachlage und Antragsgegenstand ist eine Neuaufstellung des Bebauungsplanes oder eine Änderung für Teilbereiche geboten, um den Anforderungen an eine planerische Bewältigung und Abwägung der Seveso-Belange sachgerecht Rechnung zu tragen. Grundsätzlich ist bei der Bauleitplanung zu gewährleisten, dass die Risiken einer geplanten Ansiedlung schutzwürdiger Nutzungen innerhalb der angemessenen Abstände entsprechend ihrem objektiven Gewicht in die Abwägung aller privaten und öffentlichen Belange gemäß § 1 Abs. 7 BauGB eingestellt werden. 2.5 Stand der Fachdiskussion Die aktuelle Rechtsprechung und auch die Fachdiskussion lassen für die tägliche Praxis noch zahlreiche Fragen offen. Die Planungs- und Genehmigungsbehörden werden stets mit Detailfragen zur Anwendung des Abstandsgebotes konfrontiert, für die weder gesetzliche Regelungen noch Vorgaben aus der Rechtsprechung bestehen, so dass eine allgemeine Verunsicherung bei der rechtssicheren Umsetzung der Anforderungen der Seveso-IIIRichtlinie bei der Bauleitplanung und Vorhabengenehmigung besteht. Es besteht kein Zweifel, dass das Abstandsgebot des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie auf der Ebene der Bauleitplanung zu berücksichtigen ist. Die Beachtung des Abstandsgebotes im einzelnen Genehmigungsverfahren ist gewissermaßen nur ein Ersatz für die unterlassene Befassung mit dessen Anforderungen im Planverfahren36. 34 Stellungnahme zum Bauvorhaben Traunsteiner Straße/West-Devon-Straße, Seite 6, Rechtsanwalt Schmitz, Lenz und Johlen, 15.06.2015, Köln 35 BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 36 vgl. Uechtritz/Farsbotter Teil I, S. 1921 21 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Jedoch bestehen für zentrale Begriffe und Arbeitsschritte noch Unklarheiten, die die kommunalen Planungs- und Genehmigungsbehörden als Verantwortliche zu klären und abzuwägen haben. Ermittlung des angemessenen Abstandes Welcher Abstand „angemessen“ ist, ist weder im Unionsrecht noch im Bundesrecht geregelt. Derzeit enthalten weder die Seveso-III-Richtlinie noch das nationale Recht verbindliche gesetzliche Regelungen zur Methodik der Ermittlung oder Definition des angemessenen Abstandes im Einzelfall. Daher obliegt es den zuständigen Genehmigungsbehörden und Verwaltungsgerichten, die angemessenen Abstände im jeweiligen Einzelfall anhand aller relevanten störfallspezifischen Faktoren zu ermitteln. Wie dargestellt, hat sich der Leitfaden KAS-18 in der beruflichen Praxis der Fachgutachter, Behörden und Verwaltungsgerichte in Deutschland als die maßgebende fachtechnische Vorgabe zur Ermittlung der angemessenen Abstände von Störfallanlagen (Betriebsbereiche i. S. d. § 3 Abs. 5a BImSchG) etabliert. Andere Vorgehensweisen sind jedoch nicht ausgeschlossen, da der Leitfaden empfehlenden Charakter hat und keine Rechtsnorm darstellt. Definition schutzbedürftiger Nutzung Weiterhin ist offen und wird kontrovers diskutiert bzw. gehandhabt, welche Nutzungen und Vorhaben konkret und in welcher Größenordnung unter den Begriff der schutzbedürftigen Objekte des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie und des § 50 BImSchG fallen und welche nicht. Die Definitionen in Artikel 13/§ 50 BImSchG sind relativ allgemein gefasst. Der Leitfaden KAS-18 und die Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau enthalten weitere beispielhafte Konkretisierungen der schutzbedürftigen Nutzungen und Vorhaben i. S. d. sevesorechtlichen Vorschriften37. Diese Auflistungen sind als erste Anhaltspunkte für eine Einzelfallprüfung geeignet. Sie listen beispielhaft Nutzungsarten auf, benennen jedoch keine Kriterien, anhand derer die konkrete Einordnung als „schutzbedürftig“ erfolgen kann. Daher bleiben viele Unsicherheiten bei der Frage, welche Gebiete bzw. Vorhaben in welcher Größenordnung als Schutzobjekte i. S. d. Seveso-III-Richtlinie zu berücksichtigen sind und welche z. B. generell als sogenannte „Bagatellfälle“ nicht dem Regime der Seveso-Richtlinie unterliegen. Ungeklärt ist beispielsweise, ob einzelne Wohngebäude, die im Umfeld eines Störfallbetriebes errichtet werden sollen, dem Abstandsgebot der Richtlinie unterliegen und ab welcher Größenordnung ein Wohnbauvorhaben eine „wohngebietsähnliche Größe“ erreicht und ein Planerfordernis i. S. d. § 1 Abs. 3 BauGB zur Bauleitplanung auslöst. Da die vorgenannten Vorgaben keine eindeutigen und abschließenden Regelung zur Beurteilung der Schutzbedürftigkeit geben, die tägliche Behördenpraxis aber praktikable und nachvollziehbare Regelungen benötigt, haben einige „sevesobetroffene“ deutsche Städte unterschiedliche Vorgehensweisen entwickelt. Die jeweiligen Definitionen der Schutzbedürftigkeit i. S. d. Seveso-III-Richtlinie weisen eine sehr große Bandbreite beim Umgang mit dieser Thematik auf. Die Stadt Hamburg beispielsweise hat in ihrer Zusammenstellung der Bauprüfdienste 4/2013 schutzbedürftige Nutzungen wie folgt definiert bzw. abgegrenzt (Auswahl): 37 Leitfaden KAS-18, S. 5, 6 und Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 4, 5 22 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Ø Wohngebäude > 20 Wohnungseinheiten Ø Versammlungsstätten > 100 Besucher Ø Verkaufsstätten > 800 qm BGF usw.38 Diese Anhaltswerte stellen einen Versuch der Abgrenzung der Schutzbedürftigkeit dar, eine Begründung der Herleitung der festgelegten Größen liegt nicht vor. Die Stadt Berlin zieht den Anwendungsbereich der (damaligen) Seveso-II-Richtlinie dagegen sehr weit. In der 2012 erarbeiteten Entscheidungshilfe der Berliner Bauaufsicht für die Genehmigung von Vorhaben im Umfeld von Störfallbetrieben wird ausgeführt, dass keine Nutzung bzw. kein Vorhaben von vornherein als nicht schutzbedürftig ausgeschlossen werden kann. Entsprechend der Entscheidungshilfe werden in Berlin deshalb generell alle Vorhaben, auch Dachgeschossausbauten zu Wohnzwecken oder Büro- und Verwaltungsgebäude ohne Publikumsverkehr, in den Anwendungsbereich der Seveso-Richtlinie einbezogen und die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der Seveso-Thematik in jedem Einzelfall betrachtet39. Diese angeführten Verfahrensweisen unterscheiden sich sehr stark und sind als Orientierungshilfen für kleinere und mittlere Städte nicht ohne weiteres übertragbar. Die Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz hat 2015 die vorab erläuterte Arbeitshilfe für die Kommunen beschlossen. Demnach sollen einzelne Wohngebäude in der Regel nur dann erfasst werden, wenn sie einem Wohngebiet vergleichbare Dimensionen aufweisen. Ab wann diese „wohngebietsähnliche Größe“ erreicht wird, ist jedoch nicht verbindlich festgelegt, so dass auch diese Beurteilung derzeit den jeweiligen Planungs- und Baugenehmigungsbehörden überlassen bleibt. Dieser Tatbestand soll nach der diskutierten Neuregelung des § 70 Musterbauordnung (MBO) dann erfüllt sein, wenn ein oder mehrere Gebäude dem Wohnen dienende Nutzungseinheiten mit einer Größe von insgesamt mehr als 5.000 m² Bruttogeschossfläche geschaffen werden. Diese Regelung erscheint jedoch vergleichsweise „großzügig“ und ist zurzeit noch nicht rechtsicher anwendbar40. Des Weiteren ist unklar, welche sonstigen Nutzungsarten in welcher Größenordnung und Ausprägung den öffentlich genutzten Gebäuden gleichzustellen sind und welche Kriterien für eine Beurteilung der Schutzbedürftigkeit konkret heranzuziehen sind. Gleiches gilt für die als schutzbedürftig i. S. d. Seveso-III-Richtlinie eingestuften, unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvollen bzw. besonders empfindlichen Gebiete, für die derzeit keine Beurteilungskriterien vorliegen. Fazit Nach derzeitiger Sach- und Rechtslage stehen die kommunalen Planungs- und Genehmigungsbehörden in der Verantwortung, im Rahmen ihrer täglichen Verwaltungsaufgaben der Bauleitplanung und baurechtlichen Vorhabengenehmigung die Anforderungen des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie in ihren Einzelfallentscheidungen zu berücksichtigen und dementsprechend in die planerische bzw. nachvollziehende Abwägung einzustellen. 38 vgl. Stadt Hamburg, Bauprüfdienst 4/2013, Seite 4 Entscheidungshilfen der Berliner Bauaufsicht vom 03.07.2012 40 vgl. Uechtritz/Farsbotter Teil I, S. 1927 39 23 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF In Anbetracht dessen besteht nach Auffassung der Stadt Wesseling das Erfordernis, rechtssichere, klar nachvollziehbare und praktikable Leitlinien und Rahmenvorgaben für das Verwaltungshandeln der Planungs- und Genehmigungsbehörden zu erarbeiten. Die Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung, hat zu diesem Zweck eine gesamtstädtische Konzeption zum Umgang mit der Seveso-Thematik in der Stadtentwicklung, Bauleitplanung und Baugenehmigungspraxis erarbeitet, das im nachfolgenden Kapitel vorgestellt wird. 24 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 3 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-IIIRichtlinie Wie im Kapitel 2 beschrieben, sind die europarechtlichen Seveso-Vorschriften erst in den Jahren 2011/2012 in den Fokus des fachlichen und öffentlichen Interesses gerückt. Vorher spielten die Seveso-Richtlinien in der täglichen Planungs- und Genehmigungspraxis der Kommunen und auch bei übergeordneten Behörden kaum eine Rolle. Da eine vergleichsweise geringe Anzahl von Kommunen von der Seveso-Thematik betroffen ist und nur wenige in dem Maße wie die Stadt Wesseling, liegen für den planerischen Umgang mit diesen Fragestellungen in der Stadtentwicklung und Bauleitplanung kaum Erfahrungswerte vor. Recherche zu städtebaulichen Entwicklungskonzepten Die Städte Leverkusen und Rheinfelden (Baden) verfügen nach derzeitiger Kenntnis als einzige Kommunen in der Bundesrepublik über ein gesamtstädtisches Konzept zum Umgang mit der Seveso-Thematik in der Bauleitplanung und Vorhabengenehmigung. Die Stadt Leverkusen hat als „Vorreiterin“ in Deutschland ein gesamtstädtisches Konzept für die Stadtentwicklung unter Berücksichtigung des Artikel 12 Seveso-II-Richtlinie/§ 50 BImSchG erstellt. Der Rat der Stadt Leverkusen hat das Konzept am 14.09.2015 als städtebauliches Entwicklungskonzept i. S. d. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB beschlossen. Die Stadt Rheinfelden (Baden) stellt derzeit ebenfalls ein städtebauliches Entwicklungskonzept zur Seveso-III-Richtlinie sowie eine Arbeitshilfe für baurechtliche Genehmigungsverfahren in Abstimmung mit den Unternehmen und der für diese Anlagen zuständigen Genehmigungsbehörde auf. Der Ratsbeschluss über das städtebauliche Entwicklungskonzept der Stadt Rheinfelden (Baden) ist im Jahr 2017 vorgesehen. Die Konzepte der beiden Städte zur Berücksichtigung der Seveso-Thematik in der Bauleitplanung und Vorhabengenehmigung wurden analysiert und in die aktuellen Überlegungen für das städtebauliche Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie einbezogen. Der Grundgedanke bei beiden Entwicklungskonzepten besteht in der Gliederung der von der Seveso-III-Richtlinie betroffenen Flächen des Stadtgebietes (Flächen innerhalb der zuvor gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände) in unterschiedliche Planungszonen. Innerhalb dieser Planungszonen werden Regelungen der Zulässigkeit von bestimmten schutzbedürftigen Vorhaben getroffen, die sich zum einen an der Stufe der Schutzbedürftigkeit des Vorhabens und zum anderen an der Lage des Vorhabens in der jeweiligen Planungszone orientieren. In beiden Konzepten soll entsprechend der BVerwG-Rechtsprechung ein weiteres Heranrücken schutzwürdiger Nutzungen i. S. d. Artikels 12 Seveso-II-Richtlinie bzw. Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie an die Betriebsbereiche ausgeschlossen werden. Hinsichtlich konkreter Vorgehensweisen, Inhalte und Umsetzungsstrategien unterscheiden sich die beiden städtebaulichen Entwicklungskonzepte deutlich; an dieser Stelle wird auf die Entwicklungskonzepte der Städte Leverkusen41 und Rheinfelden (Baden)42 verwiesen. 41 Gesamtstädtisches Gutachten der Stadt Leverkusen, Erstellung eines Konzeptes für die Stadtentwicklung unter dem Aspekt des § 50 BImSchG und Artikel 12 der Seveso-II-Richtlinie (Seveso-II-Konzept), TÜV Rheinland Industrie Service GmbH, Stand 11.08.2015, Ratsbeschluss vom 14.09.2015, Köln 42 siehe Homepage der Stadtverwaltung Rheinfelden (Baden) 25 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Konzeptionelle Vorgehensweise der Stadt Wesseling Die Stadt Wesseling hat die TÜV Nord Systems GmbH (TÜV Nord) mit der Erarbeitung eines Fachgutachtens zur Ermittlung der angemessenen Abstände im gesamten Stadtgebiet Wesseling beauftragt. Das seit Dezember 2015 vorliegende Fachgutachten des TÜV Nord auf Basis der Seveso-III-Richtlinie enthält die Ermittlung der angemessenen Abstände für alle Betriebsbereiche i. S. d. § 3 Abs. 5 a BImSchG, so dass die erforderlichen Fachgrundlagen zur Zusammenstellung und Bewertung des störfallrechtlichen Abwägungsmaterials entsprechend der BVerwG-Rechtsprechung zur Berücksichtigung der Anforderungen des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie und des § 50 BImSchG in der kommunalen Planungs- und Genehmigungspraxis für das gesamte Stadtgebiet vorliegen. Als Grundlage für die tägliche Verwaltungspraxis und die Erarbeitung des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes zur Seveso-III-Richtlinie wurden die gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände in eine digitale Karte übertragen. Aufbauend darauf wurden folgende Arbeitsschritte durchgeführt: Ø Die Formulierung der wesentlichen Entwicklungsziele der Stadt Wesseling für die Gesamtstadt, die Innenstadt und die verschiedenen Siedlungsbereiche sowie die Erarbeitung eines räumlichen Leitbildes. Ø Die Zuordnung von Nutzungen bzw. Vorhaben zu Schutzbedürftigkeitsstufen. Ø Die Gliederung der Flächen innerhalb der angemessenen Abstände in verschiedene Planungsbereiche. Ø Die Zuordnung der Schutzbedürftigkeitsstufen zu den Planungsbereichen. Das städtebauliche Entwicklungskonzept umfasst den vorliegenden Textteil und eine Plankarte. Die Plankarte zeigt die räumliche Gliederung der Flächen innerhalb der angemessenen Abstände in Planungsbereiche sowie diejenigen Flächen auf, die außerhalb der angemessenen Abstände liegen und demzufolge nicht dem Anwendungsbereich der Seveso-IIIRichtlinie unterliegen. Das vorliegende städtebauliche Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-IIIRichtlinie (Entwurf) soll ausgewogene Handlungsspielräume für die künftige Stadtentwicklung innerhalb der angemessenen Abstände aufzeigen und abgestimmte Leitlinien für ein verträgliches Miteinander der innerstädtischen Siedlungsbereiche und der Betriebsbereiche unter Berücksichtigung des Artikels 13 der Seveso-III-Richtlinie und des „Trennungsgrundsatzes“ des § 50 BImSchG definieren. 26 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 3.1 Fachgutachten und Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie 3.1.1 Ermittlung der angemessenen Abstände43 Das im März 2015 fertiggestellte Fachgutachten des TÜV Nord wurde, da zwischenzeitlich die Seveso-III-Richtlinie anzuwenden ist, gutachterlich anhand der neuen Rechtslage überprüft. Das Gutachten auf Basis der Seveso-III-Richtlinie liegt der Stadt Wesseling seit Dezember 2015 vor. Im Zuge der Überprüfung erfolgte keine erneute Datenerhebung und Untersuchung der betrachteten Betriebsbereiche durch den TÜV Nord. Die technischen Ergebnisse für die einzelnen Betriebsbereiche entsprechen damit der zum Zeitpunkt der ursprünglich durchgeführten Erhebungen, Untersuchungen und Ortsbegehungen im Laufe des Jahres 2014 sowie der Anfang 2015 vorgefundenen Situation. Aus weiteren Tätigkeiten bzw. zwischenzeitlichen Genehmigungsverfahren der untersuchten Betriebsbereiche liegen keine Hinweise darauf vor, dass unterdessen „abstandsrelevante Änderungen“ durchgeführt wurden, d. h. solche, die relevant für die wesentlichen Gutachtenergebnisse sind. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Überprüfung der Gutachterergebnisse anhand der Vorgaben der Seveso-III-Richtlinie zu keiner Veränderung der ermittelten angemessenen Abstände geführt hat. Der TÜV Nord hat im Stadtgebiet Wesseling sieben Betriebsbereiche i. S. d. § 3 Abs. 5 a BImSchG untersucht; dabei wurden in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Köln und den Unternehmen die maßgeblichen Gefahrenpotenziale der Anlagen bestimmt und die ihnen zuzuweisenden angemessenen Abstände ermittelt. Ergebnisse des Gutachtens zur Verträglichkeit von Störfall-Betriebsbereichen im Stadtgebiet Wesseling (auf Grundlage der Seveso-III-Richtlinie), Dezember 2015 Im Einzelnen wurden folgende Betriebsbereiche i. S. d. § 3 Abs. 5 a BImSchG betrachtet: Im Norden des Stadtgebietes: BasellKratonTRVEvonik- CyPlus- Basell Polyolefine GmbH (LyondellBasell Industries, auch auf dem Gebiet der Stadt Köln) KRATON Polymers GmbH (auf dem Werksgelände der Basell Polyolefine GmbH) Thermische Rückstandsverwertung GmbH & Co. KG (auf dem Werksgelände der Basell Polyolefine GmbH) Evonik Degussa GmbH sowie Evonik Röhm GmbH (auf dem Betriebsgelände der Evonik Real Estate GmbH & Co.KG) CyPlus GmbH (auf dem Betriebsgelände der Evonik Real Estate GmbH & Co.KG) 43 Im TÜV-Gutachten (Dezember 2015) wird abweichend von dem in Artikel 13 der Seveso-IIIRichtlinie genannten Begriff „angemessener Sicherheitsabstand“ der Begriff „angemessener Abstand“ (entsprechend dem Leitfadens KAS-18) für den ermittelten Abstandswert verwendet. Die im TÜVGutachten verwendeten Begriffe werden in das städtebauliche Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling übernommen (siehe auch Fußnote Nr. 10). 27 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Im Südosten des Stadtgebietes: Shell- Shell Deutschland Oil GmbH Entsprechend vielfältig sind die insgesamt ermittelten, die angemessenen Abstände bestimmenden Gefahrenpotenziale der Betriebsbereiche. Bei den Betriebsbereichen Basell, Kraton und Shell sind allgemeine Brand- und Explosionsgefahren als wesentliche Gefahrenpotenziale zu benennen. Weitere Gefahrenpotenziale stellen die Gase Chlor und Ammoniak dar, die als ergänzende Hilfsstoffe zur Wasseraufbereitung oder als Kälteträger eingesetzt werden. Für die drei Betriebsbereiche auf dem Gelände der Evonik Real Estate GmbH & Co. KG bilden giftige und zugleich leicht flüchtige Zwischenprodukte der chemischen Industrie - namentlich Chlor, Chlorcyan und Acrolein - die maßgeblichen Gefahrenpotenziale. Abstandsprägend ist hierbei aufgrund der speziellen Stoffeigenschaften der Stoff Acrolein. Für die TRV kann ein konkretes, auf einen tatsächlich vorhandenen Stoff bezogenes Gefahrenpotenzial nicht ermittelt werden, da für diese Anlage behördliche Genehmigungen vorliegen, die hinsichtlich der Art und Menge der zugelassenen Stoffe rechtlich unbestimmt sind. Im Grundsatz ist die Anlage für die Entsorgung aller Abfälle gemäß Abfall-VerzeichnisVerordnung genehmigt44. Nach den Vorgaben der Kommission für Anlagensicherheit kann in einem derartigen Fall die rechtlich unbestimmte Stoffpalette nicht eingeschränkt werden, so dass von dem „Worst Case“ der Genehmigungslage auszugehen ist. Daher ist in diesem Fall nach der Arbeitshilfe KAS 32 zu verfahren, die die Festlegung eines Referenzstoffes fordert. Dementsprechend wurde Acrolein als Referenzstoff definiert. Der damit ermittelte Abstandswert stellt eine Art obere/maximale Abschätzung dar, da Acrolein und vergleichbar gefährliche Stoffe - wenn überhaupt - nur sehr selten in der TRV beseitigt werden. Dieser Umstand kann jedoch erst in einem zweiten Schritt im Rahmen der planerischen oder nachvollziehenden Abwägung über die Zulässigkeit von Vorhaben und Planungen innerhalb des fachtechnisch bestimmten angemessenen Abstands Berücksichtigung finden. Die Bestimmung der angemessenen Abstände erfolgte durchweg nach den Vorgaben des Leitfadens KAS-18 „Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG“ der Kommission für Anlagensicherheit (KAS-Arbeitsgruppe „Fortschreibung des Leitfadens SFK/TAA-GS-1“) vom November 2010. Im Falle der TRV wurde die Arbeitshilfe KAS-32 (Arbeitshilfe - szenarienspezifische Fragestellungen zum Leitfaden KAS-18 der Kommission für Anlagensicherheit [KAS] vom November 2014) zu Grunde gelegt. In der Betrachtung der störfallrelevanten Anlagen ergeben sich stoffbedingte Abstandswerte von weniger als 200 Metern bis deutlich über 2 Kilometern, die weite Teile des Wesselinger Stadtgebietes überdecken. Die gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände für die Betriebsbereiche im Norden des Stadtgebietes weisen eine erhebliche Größenordnung auf. Die ermittelten angemessenen Abstände betragen bei Evonik für den Referenzstoff Acrolein 2.750 m und bei der TRV, 44 Vgl. TÜV-Gutachten (Dezember 2015), S. 37 ff 28 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF ebenfalls für den Referenzstoff Acrolein, 2.400 m. Die gutachterlich ermittelten Abstände für den Referenzstoff Acrolein überschreiten in diesen Fällen den im Leitfaden KAS-18 für Acrolein mit 2.193 m definierten Achtungsabstand45. Für den Betriebsbereich der Shell im südöstlichen Stadtgebiet beträgt der angemessene Abstand circa 200- 300 m. In der Tabelle 1 werden die gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände für alle Betriebsbereiche und alle relevanten Stoffarten zusammengefasst. Tabelle 1: Quelle: Betriebsbereich Basell Kraton TRV Evonik Degussa Evonik Röhm CyPlus Shell Darstellung der angemessenen Abstände der Betriebsbereiche für die jeweiligen gefährlichen Stoffe (Zusammenfassung auf der Grundlage des Seveso-III-Gutachtens) Stadt Wesseling / TÜV-Gutachten (Dezember 2015) Druckwelle Explosion, leicht entzündliche Flüssigkeiten 200 m 200 m (200 m) Gefährliche Stoffe Chlorcyan Cyanwasserstoff Acrolein Ammoniak Chlor Schwefeldioxid Oleum/ Methanol 2.400 m 450 m - 350 m - - - - - (200 m) 2.750 m 500 m 1.250 m 1.150 m 500 m - - 200 m - 350 m - - 350 m 400 m 300 m (200 m) 200 m - 400 m 300 m - 200 m - 200 m 300 m Hinweis: (200 m) Achtungsabstand ohne Detailkenntnisse aus dem Leitfaden KAS-18 Abstände der sonstigen gefährlichen Stoffe, die innerhalb des vorgenannten Abstandes der Explosionsdruckwelle liegen (200 m), werden nicht gesondert aufgeführt. Dies betrifft u. a. den Betriebsbereich von Shell. Die Gefahrenpotentiale der Stoffe Ammoniak und Chlor tragen nur im nördlichen und südlichen Randbereich geringfügig zum angemessenen Abstand bei. Diese Stoffe werden in der Mitte der Betriebsbereiche gelagert bzw. verwendet, so dass die angemessenen Abstände jeweils innerhalb der betroffenen Betriebsbereiche liegen. Die im Rahmen des TÜV-Gutachtens ermittelten umhüllenden angemessenen Abstände sind in der Abbildung 1 dargestellt. Das durch diesen Abstandswert charakterisierte Areal ist jedoch kein Bereich, in dem in jedwedem Störungsfall tatsächliche konkrete Gefährdungen verursacht werden. Vielmehr ist der „angemessene Abstand“ eine modellhaft ermittelte Größe im Sinne einer Konvention, bei der das Versagen von nach dem Stand der Sicherheitstechnik vorzusehenden Sicherheitsmaßnahmen unterstellt wird. Innerhalb der damit bestimmten Fläche ist die besondere Nachbarschaftssituation von Betriebsbereichen i. S. d. § 3 Abs. 5 a BImSchG und schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie in der planerischen Abwägung bei der Bauleitplanung bzw. in der nachvollziehenden Abwägung bei der Entscheidung über Bauvorhaben zu berücksichtigen. Es handelt sich insoweit um Planungszonen, nicht jedoch um konkrete Gefahrenzonen. Außerhalb des angemessenen Abstands wird die Möglichkeit einer Gefährdung durch einen benachbarten Betriebsbereich für derart gering erachtet, dass sie im Rahmen von Planungen und Vorhaben keine Berücksichtigung finden muss. 45 Vgl. Leitfaden KAS-18, S. 20 29 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Abbildung 1: Quelle: Grobe Darstellung der Betriebsbereiche und der dazugehörigen, umhüllenden angemessenen Abstände TÜV-Gutachten (Dezember 2015) Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass dieses Gutachten ausschließlich den Aspekt „Abstände zwischen Betriebsbereichen nach Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten zwecks Vorsorge gegen die Folgen störungsbedingter Immissionen und Gefahren“ betrachtet. Normalbetriebliche Emissionen (beispielsweise Lärm oder Gerüche) können ebenso wie Emissionen anderer Betriebe oder sonstige, allgemeine Immissionsschutzbelange gegen Planungen bzw. Vorhaben sprechen. Dies wurde jedoch in diesem Gutachten nicht geprüft. Auch ist diese Untersuchung, entsprechend den Vorgaben des Leitfadens KAS-18, auf Auswirkungen auf das Schutzgut „Mensch“ beschränkt. Für andere Schutzgüter, z. B. Naturschutzgebiete, liegen derzeit keine belastbaren Beurteilungskriterien vor, anhand derer eventuelle Konflikte ermittelt und bewertet werden können. Die im Gutachten enthaltene Darstellung46 der zurzeit gegebenen Randbedingungen zur Beurteilung der Verträglichkeit von Planungen und Einzelvorhaben innerhalb dieser angemessenen Abstände nach Leitfaden KAS-18 stellt den Stand des Wissens und der Beurteilung zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung dar. 46 TÜV-Gutachten (Dezember 2015), Abschnitt 6 30 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Das gutachterlich untersuchte Thema unterliegt derzeit noch dynamischen, fachlich und rechtlich bedingten Entwicklungen und Veränderungen. Insoweit ist für die Zukunft wenigstens mit Detailänderungen z. B. in Folge von aktuellen Gerichtsentscheidungen zu rechnen, bis sich ein gefestigter Stand des Wissens und der Beurteilung ausgebildet hat. Es wird deshalb empfohlen, diese Entwicklungen weiterhin zu verfolgen und insbesondere die Ausführungen des Abschnitts 647 bei zukünftigen Planungen oder Vorhaben jeweils unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Veränderungen erneut zu würdigen. 3.1.2 Bewertung der Gutachtenergebnisse und Anwendungsbereich der Seveso-IIIRichtlinie Die Ergebnisse des TÜV-Gutachtens (Dezember 2015) zeigen die erhebliche Betroffenheit der Stadt Wesseling durch die Seveso-III-Thematik. Von hoher Relevanz für die künftige Stadtentwicklung von Wesseling sind die gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände für die im Norden des Stadtgebietes liegenden Betriebsbereiche Evonik und TRV. Auf Grund der industriell geprägten Stadtentwicklung Wesselings und der historisch gewachsenen Gemengelage zwischen Stadt und Großindustrie überdecken die sehr großen angemessenen Abstände von 2.750 m bzw. 2.400 m weite Teile des Stadtgebietes (ca. 70 %) und insbesondere die gesamte Innenstadt Wesselings. Innerhalb der angemessenen Abstände befinden sich etliche Wohngebiete sowie der zentrale Innenstadtbereich mit zahlreichen Einkaufs-, Versorgungs- und Infrastruktureinrichtungen (u. a. Rathaus, Schulzentrum, Dreifaltigkeitskrankenhaus) mit mittelzentraler Funktion. Zudem befinden sich drei Haltepunkte der Stadtbahnlinie 16 sowie die Stadtbahntrasse selbst und die Bundesautobahn 555 innerhalb der im TÜV-Gutachten ermittelten angemessenen Abstände. Bei einer genaueren Betrachtung zeigt sich, dass z. B. Wohngebiete (kleinteilige Strukturen und Geschosswohnungsbau) in Entfernungen ab etwa 500 m zu den Betriebsbereichen Evonik/TRV, öffentlich genutzte Gebäude wie z.B. das Schulzentrum Wesseling, Grundschulen, das Rathaus und das Dreifaltigkeitskrankenhaus in Entfernungen von 800 m- 1.500 m zu den Betriebsbereichen Evonik/TRV sowie die Fußgängerzone mit zahlreichen groß- und kleinflächigen Einkaufs-/Versorgungseinrichtungen in Entfernungen von 1.200 m- 1.500 m zum Betriebsbereich Evonik liegen. Die angeführten Bestandsnutzungen sind als schutzbedürftige Gebiete und Nutzungen im Sinne der Seveso-III-Richtlinie und des § 50 BImSchG zu bewerten. Anhand einer groben Schätzung kann davon ausgegangen werden, dass die derzeitige Einwohnerzahl innerhalb der angemessenen Abstände der Betriebsbereiche Evonik/TRV mit etwa 28.000 Einwohnern zu beziffern ist. Der Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie in Wesseling umfasst demzufolge die vorgenannten ca. 70 % des Stadtgebietes. In einem zwar eher unwahrscheinlichen, dennoch theoretisch möglichen Szenario könnten weite Teile des Stadtgebietes von einem sogenannten Dennoch-„Störfall“ betroffen sein. Der räumliche Anwendungsbereich wird in der nachfolgenden Abbildung 2 grob dargestellt. 47 TÜV-Gutachten (Dezember 2015) 31 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Die außerhalb der ermittelten angemessenen Abstände liegenden Flächen in den Ortsteilen Urfeld und Keldenich (südliche Teilbereiche) sind von der Seveso-Thematik nicht betroffen und unterliegen somit nicht dem Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie. Dies bedeutet, dass im Falle von Bauleitplanverfahren und baurechtlichen Genehmigungsentscheidungen auf diesen Flächen die Anforderungen des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie nicht in die planerische bzw. nachvollziehende Abwägung einzustellen sind. Abbildung 2: Quelle: Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie in Wesseling Stadt Wesseling/Darstellungsgrundlage: TÜV-Gutachten, Dezember 2015 Die sich aus Artikel 13 Seveso-III-Richtlinie und § 50 BImSchG ergebenden Anforderungen zur Berücksichtigung der Störfall-Thematik im jeweiligen Einzelfall der Bauleitplanung und Vorhabengenehmigung lösen bei der beschriebenen Betroffenheit einen enormen Handlungsbedarf und Arbeitsaufwand für die kommunalen Planungs- und Bauaufsichtsbehörden bei der Bearbeitung der zahlreichen Einzelfallentscheidungen aus. Eine Auflösung der gewachsenen Gemengelage als Ursache des Konflikts ist auch mittelbis langfristig nicht möglich, da weder die Verlagerung einer kompletten Innenstadt und der Wohnsiedlungsbereiche noch die der abstandsrelevanten großflächigen Betriebsbereiche realisierbar ist. 32 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Es bedarf daher einer rechtssicheren und praktikablen Konzeption zur Berücksichtigung der Seveso-Thematik in der Stadtentwicklung, Bauleitplanung und Baugenehmigungspraxis, die als Leitlinie und Abwägungsgrundlage für die „sevesorelevanten“ Einzelfallentscheidungen innerhalb der angemessenen Abstände herangezogen werden kann. 3.2 Entwicklungsziele und Leitbild für die Stadtentwicklung Wesseling Auf Grund der grundgesetzlich verankerten kommunalen Selbstverwaltungs- und Planungshoheit sind der Stadt Wesseling Handlungsspielräume zuzubilligen, um ihre wesentlichen Aufgaben der Gewährleistung einer zukunftsfähigen Stadt- und Innenstadtentwicklung, der Sicherung der mittelzentralen Daseinsvorsorge für die Wesselinger Bevölkerung und der Aufwertung Wesselings zu einem attraktiver Wohn-, Einkaufs- und Arbeitsstandort in der Region Köln-Bonn erfüllen zu können. Würden die angemessenen Abstände im Fall Wesselings in der Form interpretiert, dass eine Ansiedlung schutzbedürftiger Gebiete und Nutzungen i. S. d. Artikels 13 Seveso-IIIRichtlinie, die in hohem Maße innenstadtrelevant und/oder wohngebietsprägend sind, künftig nicht mehr innerhalb der angemessenen Abstände realisiert werden könnte, so würde dies einem vollständigen Stillstand der innerstädtischen Entwicklung Wesselings gleich kommen. Die Stadtentwicklung wäre damit auf den „Bestandsschutz“ reduziert, was sich erheblich und sehr nachteilig auf die künftige Erfüllung der Daseinsvorsorgepflicht und Attraktivität des Mittelzentrums auswirken würde. Eine solche Interpretation ist jedoch nicht im Sinne des Richtliniengebers. Wie erläutert, wurde in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des EuGH und BVerwG48 klargestellt, dass das sevesorechtliche Abstandsgebot kein generelles „Verschlechterungsverbot“ sprich „Entwicklungsverbot“ darstellt, sondern als sogenannte „Abwägungsdirektive“ zu betrachten ist. Den kommunalen Planungsträgern werden im Rahmen der planerischen Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) somit durchaus Wertungs- und Abwägungsspielräume zugestanden. Diese Bewertung ist von entscheidender Bedeutung für die kommunalen Planungsträger, da die Rechtsprechung der Stadt Wesseling im Rahmen ihrer Planungs- und Gestaltungshoheit damit Spielräume für die Umsetzung ihrer städtebaulichen Ziele und Entwicklungskonzepte auch innerhalb der angemessenen Abstände zubilligt. Für die zukünftige Stadtentwicklung Wesselings ist zum einen zu gewährleisten, dass die Risiken einer geplanten Neuansiedlung schutzwürdiger Gebiete und Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie innerhalb angemessener Abstände bei jeder Einzelfallentscheidung sachgerecht geprüft und in die Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB eingestellt werden. Zum anderen ist die Zielsetzung des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie zu beachten, dass vorrangig ein Heranrücken von schutzwürdigen Nutzungen an Störfallbetriebe zukünftig vermieden und die Schaffung neuer Gemengelagen verhindert werden soll; bisher eingehaltene Abstände sind langfristig zu wahren. Anhand der aus dem im Seveso-III-Gutachten gewonnenen Erkenntnisse und der gesamtstädtischen Zielsetzungen wurden für die zukünftige Stadtentwicklung Wesselings übergeordnete Entwicklungsziele formuliert und in ein räumliches Leitbild umgesetzt. 48 Vgl. EuGH, Urteil vom 15.09.201 und BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 33 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Wesentliche übergeordnete Entwicklungsziele der Stadt Wesseling sind: Ø Städtebaulich sinnvolle und verträgliche Weiterentwicklung der vorhandenen städtischen Strukturen innerhalb der angemessenen Abstände unter Berücksichtigung der langfristigen Anforderungen der Seveso-III-Richtlinie und des § 50 BImSchG Ø Gewährleistung einer maßvollen Innenentwicklung und Nachverdichtung innerhalb der angemessenen Abstände, verträgliche Weiterentwicklung und Neuansiedlung von schutzwürdigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie Ø Sicherung der Zukunftsfähigkeit und angemessene Stärkung des zentralen Versorgungsbereichs Innenstadt, um die Attraktivität und Daseinsvorsorgefunktion des Mittelzentrums Wesseling nachhaltig zu gewährleisten und bedarfsgerecht zu optimieren Ø Sicherung der Industriestandorte durch Wahrung der derzeit vorhandenen Abstände und Vermeidung neuer Gemengelagen (Berücksichtigung der sog. „Nichtheranrückenslinie“) Diese übergeordneten Entwicklungsziele der Stadt Wesseling stehen im Einklang mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung Nordrhein-Westfalen, die im aktuell aufgestellten Landesentwicklungsplan NRW als verbindliche Ziele und zu beachtende Grundsätze für die nachfolgenden Planungsebenen der Regional- und Bauleitplanung enthalten sind. Beispielhaft sind an dieser Stelle das Ziel der flächensparenden und bedarfsgerechten Siedlungsentwicklung sowie die Grundsätze zum Vorrang der Innenentwicklung, der Wiedernutzung von Brachflächen und zur Ausrichtung der Siedlungsentwicklung auf Haltestellen des schienengebundenen öffentlichen Personennahverkehrs zu nennen. Gleiches gilt für die in §§ 1, 1a BauGB enthaltenen Grundsätze und Belange der Bauleitplanung, die mit den übergeordneten Entwicklungszielen der Stadt Wesseling korrespondieren. Beispielhaft wird auch hier die nachhaltige und flächenschonende Stadtentwicklung, der Vorrang von Innenentwicklung und Brachflächenreaktivierung, die Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und der Umbau vorhandener Ortsteile sowie die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche angeführt. Die Stadt Wesseling setzt seit vielen Jahren den Schwerpunkt ihrer Stadtentwicklungsplanung auf die Nachverdichtung von Siedlungsbereichen und die Mobilisierung mindergenutzter Innenbereichsflächen. Wesentliche Flächenpotenziale zur Schaffung innerstädtischer Wohngebiete und zur Ansiedlung innenstadtrelevanter Einzelhandelsnutzungen, u. a. die Entwicklungsflächen „Westringquartier“ und „Wilhelm-Rieländer-Straße“, unbebaute Quartiersinnenbereiche und zahlreiche Baulücken, befinden sich in zentraler Innenstadtlage. Die Nachverdichtung und Bebauung dieser Flächen steht im Einklang mit den vorgenannten, im Rahmen der Bauleitplanung umzusetzenden Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und würde der Stadt Wesseling eine zukunftsfähige Stadtentwicklung ermöglichen. Anhand der Ergebnisse des TÜV-Gutachtens ist festzustellen, dass diese innerstädtisch bedeutsamen Entwicklungsflächen ausnahmslos innerhalb der gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände für die Betriebsbereiche der Unternehmen Evonik und TRV liegen. 34 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Die Vorgaben der Landesplanung und die Anforderungen der Seveso-III-Richtlinie führen demzufolge im Fall der Stadt Wesseling zu einem erheblichen Zielkonflikt, der durch eine langfristig orientierte Konzeption für die zukünftige Stadtentwicklung Wesselings innerhalb der ermittelten angemessenen Abstände gelöst werden muss. Insbesondere im Hinblick auf die aktuell eingeleitete Fortschreibung der Regionalplanung und die parallele Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes Wesseling besteht aus Sicht der Stadt Wesseling planerischer Handlungsbedarf, dem mit dem vorliegenden Städtebaulichen Entwicklungskonzept Rechnung getragen wird. Um eine geordnete städtebauliche Entwicklung einerseits und eine langfristige Reduzierung möglicher Gefahrenpotenziale andererseits innerhalb der angemessenen Abstände der Betriebsbereiche zu ermöglichen, hat die Stadt Wesseling ein räumliches Leitbild für die künftige Stadtentwicklung erarbeitet, das ein verträgliches Miteinander der innerstädtischen Siedlungsbereiche und der Betriebsbereiche unter Berücksichtigung der langfristigen Orientierung des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie ermöglichen soll (siehe Abbildung 3). Das Leitbild umfasst eine schematische Darstellung der räumlichen Entwicklung und dient der Visualisierung der übergeordneten Ziele der zukünftigen Stadtentwicklung. Abbildung 3: Quelle: Leitbild der Stadtentwicklung Wesseling vor dem Hintergrund der Seveso-III-Richtlinie Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung 35 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Betriebsbereiche im Norden: Die im Norden gelegenen Betriebsbereiche, insbesondere Evonik und TRV, sind durch sehr große angemessene Abstände gekennzeichnet. Daher wird seitens der Stadt Wesseling angestrebt, einen Schutzabstand zu den Betriebsbereichen zu etablieren. Zwischen den Betriebsbereichen einerseits und den Siedlungsbereichen anderseits wird ein Schutzabstand als durchgehendes Band mit einer Breite von ca. 500 m vorgesehen. Dieser Schutzabstand umfasst kein grundsätzliches Nutzungs- oder Bauverbot, sondern soll den nicht schutzwürdigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie vorbehalten werden. In diesem Bereich wird zukünftig die Entwicklung eines Gewerbebandes angestrebt. Da die nördlichen Betriebsbereiche deutlich größere angemessene Abstände als 500 m aufweisen, soll im Anschluss an den ca. 500 m umfassenden Schutzabstand ein weiterer Übergangsbereich mit einer Breite von ca. 200 m entstehen, der in Ausnahmefällen gemischten Nutzungen vorbehalten ist. Die in diesem Übergangsbereich künftig vorstellbaren Nutzungen sollen anhand bestimmter Kriterien der Schutzbedürftigkeit definiert bzw. eingeschränkt werden (vgl. Kapitel 3.3). Durch diese beiden Abschirmbereiche soll insgesamt ein Abstand von ca. 700 m zu den Betriebsbereichen entstehen, der künftig den nicht schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie bzw. Nutzungen mit einer geringen Schutzbedürftigkeit vorbehalten wird. Der 700 m- Abstand entspricht zwar bei Weitem nicht den gutachterlich ermittelten angemessenen Abständen, ermöglicht jedoch unter Berücksichtigung der gegebenen Bestandsstrukturen eine langfristige Entflechtung kleinräumiger Gemengelagen sowie eine abgestufte Entwicklung der Bereiche in unmittelbarer Nachbarschaft der Betriebsbereiche. Weite Teile der bestehenden Siedlungsstrukturen liegen – zum Teil deutlich - weiter als 700 m von den Betriebsbereichen entfernt, allerdings in den angemessenen Abständen. Für diese überwiegend bebauten/genutzten Siedlungsgebiete werden für die künftige Ansiedlung schutzbedürftiger Nutzungen bzw. Vorhaben i. S. d. der Seveso-III-Richtlinie mit einer geringen bis höheren Schutzbedürftigkeit angestrebt. Für die am weitesten von den Betriebsbereichen entfernten, jedoch noch innerhalb der angemessenen Abständen liegenden Siedlungsgebiete sowie die von der Seveso-III-Richtlinie nicht betroffenen Siedlungsgebiete der Stadt Wesseling werden für die künftige Ansiedlung schutzbedürftiger Nutzungen bzw. Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie mit einer geringen bis besonderen Schutzbedürftigkeit angestrebt. Diese Flächen werden als „für besonders schutzbedürftige Nutzungen geeignete Bereiche“ definiert. Betriebsbereiche im Südosten: Die beiden im Südosten des Stadtgebietes liegenden Betriebsbereiche weisen wesentlich geringere angemessene Abstände auf, als die Betriebsbereiche im nördlichen Stadtgebiet. Der gutachterlich ermittelte angemessene Abstand für die abstandsprägenden Stoffe, der sogenannte „umhüllende Abstand“, beträgt 200 m, ausgehend von der äußeren Begrenzung der Betriebsbereiche. Einige angemessene Abstände für bestimmte Stoffe (z. B. Ammoniak) liegen innerhalb des Betriebsbereiches und wirken sich daher nur in den Randbereichen auf den umhüllenden Abstand aus. Aufgrund dieser Erkenntnisse ist ein Schutzabstand als durchgehendes Band mit einer Breite von ca. 200 m um die beiden südlichen Betriebsbereiche vorgesehen. Dieser Schutzab- 36 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF stand umfasst ebenfalls kein grundsätzliches Nutzungs- oder Bauverbot, sondern soll den nicht schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie vorbehalten werden. In diesem Bereich wird zukünftig die Entwicklung eines Gewerbe- und Industriebandes (je nach Immissionsabstand zum Siedlungsgebiet) angestrebt. 3.3 Erarbeitung des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes Wesseling Das zuvor beschriebene Leitbild wird unter Berücksichtigung der Bestandssituationen vor Ort mit den nachfolgenden Arbeitsschritten planerisch und räumlich konkretisiert. Ergänzend zur textlichen Erläuterung wird das städtebauliche Entwicklungskonzept zur Seveso-III-Richtlinie in einer Plankarte und zwei Tabellen dargestellt. Ø Die Zuordnung von Nutzungen bzw. Vorhaben zu Schutzbedürftigkeitsstufen Ø Die Gliederung der Flächen innerhalb der angemessenen Abstände in verschiedene Planungsbereiche. Ø Die Zuordnung der Schutzbedürftigkeitsstufen zu den Planungsbereichen. Das städtebauliche Entwicklungskonzept beruht zum einen auf der fachgutachterlichen Einschätzung, dass in einem eventuellen Störfall die tatsächlich auftretenden Belastungen mit zunehmender Entfernung stetig abnehmen, so dass eine Gliederung von Planungsbereichen anhand ihrer Entfernung zu den Betriebsbereichen abgeleitet werden kann49. Zum anderen beruht es auf der Möglichkeit der Zuordnung von unterschiedlichen Schutzbedürftigkeitsstufen zu bestimmten typischen Nutzungen/Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie anhand von vorhabenspezifischen Faktoren. Diese vorhabenspezifischen Faktoren wurden gutachterlich entwickelt und in die Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau als mögliche Kriterien zur Beurteilung der spezifischen Schutzbedürftigkeit typischer Nutzungen/Vorhaben aufgenommen50. Auf Grund dieser Erwägungen werden den verschiedenen Planungsbereichen entsprechend ihrer Lage in den angemessenen Abständen unterschiedliche Schutzstufen zugeordnet und tabellarisch zusammengefasst. Um eine möglichst nachvollziehbare und für die Planungs- und Genehmigungsbehörden praktikable Vorgehensweise zu erhalten, wurden möglichst viele typische schutzbedürftige Nutzungen und Vorhaben definiert und den jeweiligen Schutzstufen und Planungsbereichen zugeordnet (vgl. Plankarte und Tabellen 2 und 3). Diese Vorgehensweise ersetzt nicht eine sachgerechte Prüfung und Abwägung im Rahmen der Einzelfallentscheidung. Sie stellt jedoch eine Orientierungshilfe und Leitlinie für die notwendigen Beurteilungen und Abwägungsentscheidungen der Planungs- und Genehmigungsbehörden der Stadt Wesseling dar. 3.3.1 Zuordnung von Nutzungen und Vorhaben zu Schutzbedürftigkeitsstufen Im ersten Schritt wurden die typischen Nutzungen bzw. Vorhaben entsprechend ihrer spezifischen Schutzbedürftigkeit analysiert und anhand der in Kapitel 2.4.2 genannten vorhabenspezifischen Faktoren der Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau eingestuft (vgl. Tabelle 2). Insgesamt wurden vier Schutzstufen aufsteigend nach ihrem Schutzstatus (von gering bis besonders schutzbedürftig) definiert. In Anlehnung an die Begrifflichkeiten des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie wurde eine Aufteilung innerhalb der Schutzstufen in Gruppen vorge49 50 Vgl. Uechtritz/Farsbotter Teil I, S. 1928 Vgl. TÜV-Gutachten (Dezember 2015), S. 92 ff und Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 7 37 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF nommen, wie „Vorhaben“, „Wohngebiete“, „öffentlich genutzte Gebäude und Gebiete“, „wichtige Verkehrswege“ und „Umwelt“. Stufe 1 - geringer Schutzstatus Wie im Kapitel 2.5 dargestellt, existiert in Deutschland keine rechtsverbindliche Definition von „schutzbedürftigen Nutzungen“. Es besteht somit keine verbindliche Vorgabe, welche Nutzungen tatsächlich unter den Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie fallen. Als Folge ist nicht auszuschließen, dass die nachfolgend als gering schutzbedürftig eigestuften Nutzungen auch solche Nutzungen umfassen, denen künftige Rechtsprechungen oder gesetzliche Regelungen eine Schutzbedürftigkeit i. S. d. Seveso-III-Richtlinie absprechen. Vollständigkeitshalber werden unter der Stufe 1 auch nicht schutzbedürftige Nutzungen genannt. Dies soll die Anwendung des Konzeptes für die sonstigen Behörden vereinfachen. Die Stufe 1 stellt die Nutzungsoptionen für bestehende, legal errichtete Gebäude und genehmigte Nutzungen/Vorhaben im Nahbereich der Betriebsbereiche klar. Eine weitere Entwicklung bestehender schutzbedürftiger Nutzungen soll künftig eingeschränkt, jedoch nicht komplett ausgeschlossen werden. Sanierungen, Instandhaltungen oder geringfügige Veränderungen des Bestands bleiben weiterhin möglich. Die Ansiedlung neuer schutzbedürftiger Nutzungen ist allerdings nicht vorgesehen. Gewerbliche Nutzungen mit geringem Publikumsverkehr (nur gelegentliche Besucher, z. B. Büro- und Konferenzräume für Geschäftspartner) werden ebenfalls der Stufe 1 zugeordnet. Diese Nutzungen werden nicht als schutzbedürftige Nutzung i. S. d. der Seveso-III-Richtlinie eingestuft, da es sich um dem jeweiligen Gewerbebetrieb zugehörige Nutzungen handelt, die somit, wie die gewerbliche Hauptnutzung selbst, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Des Weiteren werden in der Stufe 1 einige öffentlich genutzte Gebäude und Gebiete zusammengefasst, die zwar von der Seveso-III-Richtlinie erfasst werden, jedoch auf Grund ihrer atypischen Merkmale einen geringen Schutzstatus aufweisen. Hierzu zählen z. B. Autohäuser, Tankstellen, TÜV-Stellen sowie Parkplätze und Parkhäuser für gewerbliche Nutzungen. Ein Autohaus ist zwar als Einzelhandelsbetrieb einzustufen, jedoch typischerweise durch einen eher geringen Publikumsverkehr gekennzeichnet. Demzufolge werden Autohäuser dem gewerblichen Bereich zugeordnet und bleiben künftig auch im Nahbereich der Betriebsbereiche möglich. Bei den „Park and Ride“ (P+R) Parkplätzen ist wie bei den angeführten Tankstellen oder gewöhnlichen Parkplätzen und Parkhäusern von einer kurzen Aufenthaltsdauer von Menschen auszugehen, so dass diese Anlagen der Stufe 1 zugeordnet wurden und im Nahbereich der Betriebsbereiche weiterhin möglich sind. 38 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Tabelle 2: Quelle: Einstufung schutzbedürftiger Nutzungen und Vorhaben nach Schutzstatus Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung Stufe 1 geringer Schutzstatus Vorhaben - Umbauten im Bestand (Instandhaltung, Sanierung), keine weiteren Wohneinheiten - Betriebswohnungen (ausschließlich betriebsbezogene Nutzungen) Stufe 2 normaler Schutzstatus Stufe 3 hoher Schutzstatus - Baulückenschließung innerhalb bebauter Gebiete mit max. 6 Wohneinheiten. Bauvorhaben, die in einem engen sachlichen und räumlichen Zusammenhang stehen, sind gemeinsam zu betrachten. Wohngebiete - - Öffentlich genutzte Gebäude und Gebiete - Gewerbliche Nutzungen mit geringem Publikumsverkehr (nur gelegentliche Besucher, z. B. Büro- und Konferenzräume für Geschäftspartner) - Atypische Einzelhandelsbetriebe mit geringem Publikumsverkehr (z. B. Autohaus) - Tankstellen (inklusive Werkstätten und TÜVStellen) - Parkplätze und Parkhäuser für gewerbliche Nutzungen sowie P+R- Parkplätze - Kleinteilige öffentlich genutzte Gebäude und Einrichtungen, die der Versorgung des Gebietes dienen (z. B. Kiosk, Bäckerei, Frisör, Nachbarschaftsladen, Arztpraxen usw.) - Umbaumaßnahmen an bestehenden Nutzungen der Stufe 4 (z. B. Kindergärten, Grundschulen), die ausschließlich der Versorgung des Gebietes dienen, ohne dass der Schutzstatus dadurch erhöht wird - Wohngebietsbezogene Spielplätze/Freizeiteinrichtungen/Dorf- und Quartiersplätze (lokale bzw. ortsteilbezogene Bedeutung) - Freibereiche ohne bzw. mit geringer Freizeitbzw. Aufenthaltsfunktion (z. B. Friedhöfe) - Parkplätze/Parkhäuser/Großgaragen/Garagen - - - - Wichtige Verkehrswege Umwelt Stufe 4 besonderer Schutzstatus - Bundes- und Landesstraßen mit geringer Verkehrsfrequenz (< 10.000 Kfz/Tag) - Landwirtschaftliche Nutzflächen - Waldflächen - 39 Reine Wohngebiete (WR) Allgemeine Wohngebiete (WA) Mischgebiete (MI) Kerngebiete (MK) Besondere Wohngebiete (WD) Dorfgebiete (MD) Sonstige Baugebiete mit einem Anteil an Wohnen und anderen schutzbedürftigen Nutzungen (z. B. vorhabenbezogene Bebauungspläne) Sondergebiete sofern der Wohnanteil oder öffentliche Nutzungen überwiegen (z. B. großflächiger Einzelhandel, Campingplätze, Messen usw.) Öffentlich genutzte Gebäude (z. B. Verwaltung, Büro, Einzelhandel, kirchliche Einrichtungen, Moschee) Gebäude und Anlagen mit Publikumsverkehr (z. B. Ärztehäuser) und gewerbliche Nutzungen mit ins Gewicht fallender Anzahl von Kunden (z. B. Fabrikverkauf, Großhandel) Sport-, Spiel- und Freizeiteinrichtungen, Erholungsgebiete Öffentliche Grünanlagen mit hoher Aufenthaltsfunktion (z. B. Parkanlagen, Rheinufer) Hotels/sonstige Beherbergungseinrichtungen Festplatzveranstaltungen im Freien z. B. Stadtfeste, Weihnachtsmarkt (stadtweite Bedeutung) Nutzungen der Stufe 4, die der Versorgung des Stadtgebietes und der Stadtteile dienen (keine regionale/überregionale Bedeutung) z. B. Schulen/Grundschulen, Jugendzentren Autobahnen sowie weitere stark frequentierte Bundes- und Landesstraßen (>10.000 Kfz/Tag) Bahnstrecken mit Personenbeförderung Rheinradweg/ Erlebnisradweg Rheinschiene Schutzgebiete (Natur- und Landschaftsschutz, der Erholung dienende Gebiete) Biotopverbundflächen - Krankenhäuser - Weiterführende Schulen/Bildungseinrichtungen - Kindergärten und sonstige Einrichtungen für Kinderbetreuung - Alten- und Pflegeheime - Jugendzentren - Sammelunterkünfte für Asylsuchende - Freizeiteinrichtungen mit besonderem Schutzstatus (für Kinder, Jugendliche, Personen mit erhöhtem Betreuungsaufwand usw.) - Großveranstaltungen mit erheblichem Publikumsaufkommen und regionaler/überregionaler Bedeutung (z.B. Messen/Konzerte) 39 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Stufe 2 - normaler Schutzstatus Im Falle der schutzbedürftigen und sonstigen Nutzungen und Vorhaben der Stufe 2 handelt es sich überwiegend um einzelne Vorhaben, die sich innerhalb bestehender Siedlungsgebiete befinden. Im Gegensatz zur Stufe 1 wird innerhalb der Stufe 2 eine geringe Anzahl neuer Wohneinheiten (maximal 6 Wohneinheiten) erfasst. Als Vorhaben der Stufe 2 sind überwiegend Bauvorhaben zur Schließung vorhandener Baulücken einzustufen, deren Bebauung planungsrechtlich zulässig ist. Die definierte Größenordnung „maximal 6 Wohneinheiten“ wurde anhand einer Analyse der typischen Baulückenstrukturen der Wesselinger Siedlungsgebiete abgeleitet. Die ortsüblichen Baustrukturen in der Stadt sind, mit Ausnahme der Innenstadt, eher durch kleinteilige Bauformen geprägt. Dieser Ansatz wird durch eine Auswertung aktueller und in der Vergangenheit eingereichter Bauanträge gestützt, die die überwiegende Nachfragesituation im Wohnungsbau vor Ort widerspiegeln. Bei einer Baulückenschließung innerhalb eines durch Einfamilienhäuser geprägten Gebietes ist die Errichtung von max. 3 Einfamilienhäusern mit je 2 Wohneinheiten, max. 6 Einfamilienhäusern mit je einer Wohneinheit oder einem Wohnhaus mit max. 6 Wohnungen möglich. Eine darüber hinausgehende Neuschaffung bzw. Erhöhung der Wohnungsanzahl soll künftig nur in besonderen Ausnahmefällen möglich sein. Zur Vermeidung einer Umgehung dieser Höchstgrenze durch schrittweise „Einzelfallgenehmigungen“ sind Baulückenpotenziale, die in einem engen sachlichen und räumlichen Zusammenhang stehen, gemeinsam zu betrachten. Um den täglichen Bedarf und die Versorgung bestehender Siedlungsgebiete zu decken, werden kleinteilige, öffentlich genutzte Gebäude der Stufe 2 zugeordnet. Eine feste Größe für öffentlich genutzte Gebäude der Stufe 2 wird nicht definiert. Ausschlaggebend ist der Nachweis im Einzelfall, dass eine beantragte Nutzung tatsächlich nur der Versorgung des jeweiligen Gebietes dient und keinen weiter gefassten Einzugsradius aufweist. Damit wird sichergestellt, dass diese meist wohngebietsbezogenen Einrichtungen (z. B. Nachbarschaftsladen, Bäckerei) nur von demjenigen Personenkreis genutzt werden, der sich als Wohnbevölkerung ohnehin überwiegend in diesem Gebiet aufhält. Gleiches gilt für Umbaumaßnahmen an bestehenden, besonders schutzbedürftigen Nutzungen der Stufe 4 (wie z. B. Kindergärten, Grundschulen, Alteneinrichtungen), soweit mit dem Umbau keine Veränderung bzw. Erhöhung der Schutzbedürftigkeit einhergeht. Damit wird die Standortsicherung vorhandener wohngebietsbezogener Einrichtungen z. B. des Gemeinbedarfs gewährleistet, die von der jeweiligen Wohnbevölkerung in diesem Gebiet aufgesucht werden. Eine Erweiterung der Gruppenzahl bzw. Erhöhung der Platzzahlen wird von Stufe 2 jedoch nicht erfasst. Eine weitere Voraussetzung stellt der lokale, d. h wohngebiets- oder ortsteilbezogene Einzugsbereich dar. Dies bedeutet, dass eine geplante Veränderung von Vorhaben der Stufe 4 nicht dazu führen darf, dass eine Einrichtung künftig eine stadtweite oder gar regionale Bedeutung aufweist. Wohngebietsbezogene Spielplätze und Freizeiteinrichtungen sowie Dorf- und Quartiersplätze bzw. dortige Veranstaltungen, die eine lokale ortsteilbezogene Bedeutung haben, bleiben ebenfalls möglich. Die Gruppe der wichtigen Verkehrswege umfasst die Bundes- und Landesstraßen mit geringer Verkehrsfrequenz (<10.000 Kfz/Tag). Diese Verkehrswege weisen im Vergleich zu den Gemeinde- und Kreisstraßen ein erhöhtes Verkehrsaufkommen auf und werden daher der Stufe 2 zugeordnet. In der Gruppe „Freizeit/Umwelt“ werden landwirtschaftliche Nutz- und Waldflächen erfasst. Da bei diesen Nutzungen keine relevante Personendichte, Besucher- 40 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF frequenz oder Aufenthaltsdauer zu erwarten ist, wird die Schutzbedürftigkeit dieser Bereiche mit der Zuordnung zur Stufe 2 „normaler Schutzstatus“ angemessen berücksichtigt. Stufe 3 - hoher Schutzstatus Die Stufe 3 beinhaltet den überwiegenden Teil der schutzbedürftigen Nutzungen und Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie und fasst die vielfältigen differenziert aufgelisteten Nutzungen und Vorhaben mit hohem Schutzstatus in der größten Gruppe zusammen. Der hohe Schutzstatus der Stufe 3 wird u. a. allen Wohngebieten und Gebieten mit einem prägenden Anteil an Wohnen oder sonstigen schutzbedürftigen Nutzungen, dem überwiegenden Teil der öffentlich genutzten Gebäude und Gebiete sowie wichtigen Verkehrswegen und Schutzgebieten aus der Gruppe Freizeit/Umwelt zugeordnet. Ausgenommen davon sind lediglich Nutzungen/Vorhaben, die auf Grund ihrer typischen Merkmale der Stufe 4 mit besonderem Schutzstatus entsprechen. In Anbetracht der vorab erläuterten örtlichen Strukturen in Wesseling werden alle Vorhaben ab einer Anzahl von 7 Wohneinheiten als „wohngebietsähnliche Größenordnung“ eingestuft. Bauvorhaben, die eine Realisierung von 7 und mehr Wohneinheiten im Eigenheim- und/oder Geschosswohnungsbausektor umfassen, werden anhand ihrer Größenordnung und Schutzbedürftigkeit der Stufe 3 mit hohem Schutzstatus zugeordnet. Planungen bzw. Vorhaben mit dieser „wohngebietsähnlichen Größenordnung“ werden planungsrechtlich künftig nicht als reine Baulückenschließungen betrachtet. Die generell in Stufe 4 benannten besonders schutzbedürftigen Nutzungen und Vorhaben werden teilweise der Stufe 3 zugeordnet, wenn sie im Hinblick auf ihre Versorgungsfunktion und ihren Einzugsbereich eine lediglich stadtweite Bedeutung für Wesseling aufweisen. Dies betrifft z. B. Veranstaltungen im Freien wie z. B. Schulen/Grundschulen sowie Stadtfeste, den Weihnachtsmarkt und Karnevalsumzüge. Bei diesen Veranstaltungen mit lokaler oder stadtweiter Bedeutung wird erfahrungsgemäß davon ausgegangen, dass sie vorwiegend von Bürgern Wesselings, d. h. von Personen mit Ortskenntnissen, aufgesucht werden und die Anzahl ortsfremder Besucher (mit Informations- bzw. Unterstützungsbedarf) demgegenüber deutlich untergeordnet ist. Einrichtungen bzw. Veranstaltungen mit regionaler oder gar überregionaler Bedeutung werden von der Stufe 3 nicht erfasst. Des Weiteren umfasst die Stufe 3 alle wichtigen Verkehrswege (Autobahnen und stark frequentierte Bundes- und Landesstraßen), Bahnstrecken mit Personenbeförderung (z. B. Stadtbahnlinie 16), öffentliche Park- und Grünanlagen mit hoher Besucherfrequenz und Aufenthaltsfunktion sowie längerer Nutzungsdauer wie das Rheinufer und die regionalen/überregionalen Radwege entlang des Rheins (Rheinradweg und Erlebnisradweg Rheinschiene). Aus der Gruppe „Umwelt“ werden unter der Stufe 3 Schutzgebiete (Natur- und Landschaftsschutz) sowie Biotopverbundflächen zusammengefasst. Stufe 4 - besonderer Schutzstatus Mit einem besonderen Schutzstatus werden die Nutzungen und Vorhaben versehen, bei denen auf Grund der zu betreuenden Personengruppen (Kinder sowie ältere, kranke, körperlich bzw. geistig eingeschränkte Personen) von einem hohen Betreuungsaufwand und Unterstützungsbedarf bei einem eventuellen „Dennoch-Störfall“ auszugehen ist. Dies betrifft z. B. Krankenhäuser, Tageskliniken, weiterführende Schulen und Bildungseinrichtungen sowie Alten- und Pflegeheime. Der Stufe 4 werden auch Sammelunterkünfte für Asylsuchende zu- 41 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF geordnet, da bei dieser Personengruppe in Anbetracht eingeschränkter Sprachkenntnisse und geringer Ortskenntnisse ebenfalls von einem erhöhten Betreuungsaufwand auszugehen ist. Des Weiteren werden der Stufe 4 Großveranstaltungen mit regionaler oder überregionaler Bedeutung, wie z. B. Konzerte oder Messen, zugeordnet. Bei Großveranstaltungen ist grundsätzlich von einem hohen Publikumsaufkommen und speziell mit einem erheblichen Anteil nicht ortskundiger Besucher zu rechnen. Derartige Veranstaltungen werden auf Grund der hohen Personendichte und des hohen Betreuungs- bzw. Unterstützungsaufwands in einem eventuellen „Dennoch-Störfall“ der besondere Schutzstatus zugeordnet. 3.3.2 Gliederung der Flächen innerhalb der angemessenen Abstände in verschiedene Planungsbereiche und Zuordnung der Schutzbedürftigkeitsstufen Nach der Kategorisierung der Nutzungen bzw. Vorhaben wurde zunächst die aus der BVerwG-Rechtsprechung abzuleitende sog. „Nichtheranrückenslinie“ anhand der Bestandssituation vor Ort festgelegt und anschließend die Flächen innerhalb der angemessenen Abstände in vier Planungsbereiche (innerer und mittlerer Planungsbereich sowie äußere Planungsbereiche A und B) gegliedert. Die im TÜV-Gutachten im Stadtgebiet Wesseling ermittelten angemessenen Abstände wurden, da sie anhand rein fachtechnischer, störfallspezifischer Faktoren ermittelt wurden, als kreisförmige Flächen um die betreffenden Betriebsbereiche festgelegt. Im Hinblick auf das visualisierte städtische Leitbild (Abbildung 3) und das Erfordernis, daraus eine für die Planungs- und Genehmigungspraxis handhabbare räumliche Zuordnung abzuleiten, wurden vier verschiedene Planungsbereiche innerhalb der angemessenen Abstände definiert. Wie vorab dargestellt, beruht die räumliche Gliederung der angemessenen Abstände zum einen auf fachgutachterlichen Einschätzungen, dass in einem eventuellen Störfall die tatsächlich auftretenden Belastungen mit zunehmender Entfernung stetig abnehmen. Die Gliederung von Planungsbereichen anhand ihrer Entfernung zu den Betriebsbereichen kann deshalb als plausibles Kriterium herangezogen werden51. Zum anderen ist nach fachgutachterlicher Empfehlung bei der räumlichen Gliederung der angemessenen Abstände eine möglichst gleichmäßige Aufteilung in verschiedene Planungsbereiche und eine möglichst weitgehende Orientierung am Verlauf der fachtechnisch ermittelten Abstandslinien anzustreben. Grundsätzlich sollen extreme Unterschiede bei der räumlichen Bemessung (d. h. in der Breite) eines Planungsbereichs vermieden werden. Dies begründet sich damit, dass einem Planungsbereich generell die gleichen Nutzungseinschränkungen zugeordnet werden.52. Eine praxisbezogene Orientierung an örtlichen Gegebenheiten, wie z. B. Straßenzügen, Fluss- und Bachläufen, Flurstücksgrenzen oder kleinräumigen Quartiersgrenzen bei der Definition von Planungsbereichen ist jedoch städtebaulich sinnvoll und aus fachgutachterlicher Sicht legitim. Auf Grund der erheblichen Ausdehnung der gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände mit 2.750 m bzw. 2.400 m wurde eine Gliederung in vier Planungsbereiche vorge51 52 Vgl. Uechtritz/Farsbotter Teil I, S. 1928 Uechtritz/Farsbotter Teil II, S. 10f 42 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF nommen, die sich so weitgehend wie möglich an den vorgenannten Empfehlungen orientiert. Die Bemessungen der Planungsbereiche insbesondere im Nahbereich der Betriebsbereiche (innerer und mittlerer Planungsbereich) weisen im Mittel eine möglichst vergleichbare Spannbreite auf; gleichwohl wurde aus Praktikabilitätsgründen von einer „meterscharfen“ Betrachtung abgesehen. Die großräumige Abgrenzung des äußeren Planungsbereichs (Grenze äußerer Planungsbereich B) zu den außerhalb der angemessenen Abstände liegenden Flächen des Stadtgebietes Wesseling wurde kreisförmig entsprechend der fachtechnisch ermittelten Abgrenzung der angemessenen Abstände in die Plankarte übernommen. Abschließend wurden die definierten Schutzstufen (bzw. die zugeordneten Nutzungen/ Vorhaben) den festgelegten vier Planungsbereichen zugeordnet und damit eine differenzierte und abgestufte Strategie zur künftigen Beurteilung schutzbedürftiger Nutzungen/Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie formuliert. Räumliche Festlegung der „Nichtheranrückenslinie“: Auf Grund der historisch gewachsenen Gemengelage in Wesseling ist das direkte Umfeld der industriellen Betriebsbereiche durch ein Nebeneinander von schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie und nicht schutzbedürftigen Nutzungen, wie z. B. Gewerbegebiete geprägt. Um in einer derartigen Gemengelage den Anforderungen des BVerwG Rechnung zu tragen, wurde zunächst die sogenannte „Nichtheranrückenslinie“ räumlich festgelegt (vgl. Plankarte). Entsprechend der BVerwG-Rechtsprechung ist die Schaffung einer neuen störfallrechtlichen Gemengelage durch die erstmalige Zulassung einer schutzbedürftigen Nutzung innerhalb des angemessenen Abstandes im Regelfall unzulässig, da ein angemessener Abstand, der bisher eingehalten ist, auch langfristig gewahrt bleiben muss53. Ein weiteres Heranrücken von schutzbedürftigen Nutzungen in Richtung Störfallunternehmen soll damit verhindert und bisher vorhandene Abstände im Sinne der langfristigen Zielsetzung der Seveso-III-Richtlinie auch in Zukunft von schutzbedürftigen Nutzungen/Gebieten freigehalten werden (sog. „Nichtheranrückenslinie“). Die „Nichtheranrückenslinie“ wird räumlich durch die am nächsten zu den Betriebsbereichen liegenden, im Bestand vorhandenen schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Seveso-IIIRichtlinie definiert. Die Festlegung der „Nichtheranrückenslinie“ wurde im gesamten Stadtgebiet anhand einer GIS-basierten Bestandsaufnahme im Zuge der aktuellen Erarbeitung des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes durchgeführt und durch Ortsbesichtigungen im Sommer 2016 umfassend überprüft. Die zwischen der „Nichtheranrückenslinie“ und den Betriebsbereichen im Bestand vorhandenen nicht schutzbedürftigen Nutzungen fallen nicht in den Anwendungsbereich der SevesoIII-Richtlinie und sind damit sowohl im Bestand als auch im Falle geplanter Erweiterungen weiterhin ohne Einschränkungen zulässig. Diese Nutzungen entsprechen im Regelfall der „Stufe 1“ der Schutzbedürftigkeit (vgl. Tabelle 2). 53 BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 43 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Die Flächen zwischen den Betriebsbereichen und der definierten „Nichtheranrückenslinie“ kennzeichnen daher diejenigen Flächen, innerhalb derer gemäß den Anforderungen des BVerwG künftig nur in ganz besonderen Ausnahmefällen schutzbedürftigen Nutzungen/Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie zugelassen werden und demzufolge weder durch Bauleitplanung noch Vorhabengenehmigungen neue Gemengelagen entstehen dürfen. Mit der räumlichen Festlegung der „Nichtheranrückenslinie“ in Wesseling zeigt sich, dass im Norden des Stadtgebietes die angemessenen Abstände der Betriebsbereiche Evonik/TRV durch bestehende schutzbedürftige Nutzungen an einigen Stellen deutlich unterschritten sind. Die „Nichtheranrückenslinie“ befindet sich im Stadtteil Wesseling teilweise unmittelbar am Betriebsbereich Evonik (z. B. im Bereich Öffgasse/Josef-Zimmermann-Straße). Im südlichen Stadtgebiet hingegen werden die angemessenen Abstände lediglich an zwei Stellen durch die „Nichtheranrückenslinie“ unterschritten. Dies betrifft zum einen den Bereich Luziastraße/Albert-Einstein-Straße/Humboldstraße und zum anderen den östlichen Abschnitt der Erftstraße. Die Festlegung der „Nichtheranrückenslinie“ ist daher nicht an allen Stellen erfolgt. Sie wurde nur in den Teilbereichen räumlich definiert und in der Plankarte dargestellt, in denen schutzbedürftige Bestandsnutzungen die angemessenen Abstände entweder unterschreiten oder unmittelbar aneinander grenzen. Entsprechend der Rechtsprechung des BVerwG wird für die Flächen zwischen der definierten „Nichtheranrückenslinie“ und den Betriebsbereichen folgendes Ziel formuliert: Ziel: Ø Keine Zulassung neuer schutzbedürftiger Nutzungen/Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie in den Flächen zwischen der „Nichtheranrückenslinie“ und den Betriebsbereichen zur Wahrung der bisher vorhandenen Abstände Innerer Planungsbereich Räumliche Festlegung des inneren Planungsbereichs (vgl. Plankarte): Der innere Planungsbereich wird im Norden überwiegend durch die „Nichtheranrückenslinie“ definiert. An den Stellen, an denen bestehende schutzbedürftige Nutzungen innerhalb des angemessenen Abstandes (200 m „Druckwelle Explosion, leicht entzündliche Flüssigkeiten“) liegen, wurde die Abgrenzung des inneren Planungsbereichs durch den angemessenen Abstand „Explosionsgefahr“ (in der Regel 200 m Entfernung zu Betriebsbereichen) definiert, so dass damit mögliche Gefahrenpotenziale durch die Folgen eines Explosionsereignisses berücksichtigt werden. Die Breite des inneren Planungsbereichs ist im Norden des Stadtgebietes unterschiedlich. Im Ortsteil Berzdorf kann im nördlichen Teil ein relativ breiter Streifen als innerer Planungsbereich festgelegt werden, da bestehende schutzbedürftige Nutzungen hier nicht unmittelbar an die Betriebsbereiche angrenzen. In diesem Bereich (z. B. Brühler Straße, Langenackerstraße) wird der im räumlichen Leitbild definierte Schutzabstand von ca. 500 m eingehalten. Im südlichen Berzdorf und in Wesseling (Öffgasse/Josef-Zimmermann-Straße) verläuft die „Nichtheranrückenslinie“ hingegen zum Teil sehr nah an den Betriebsbereichen. 44 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Hier ist die Umsetzung des Leitbildes mit einem ca. 500 m breiten Schutzstreifen kurz- oder mittelfristig nicht möglich. Zur Umsetzung des Leitbildes wird an diesen Stellen eine Ergänzung des Schutzabstandes durch Festlegung eines mittleren Planungsbereichs kompensiert. Im Süden des Stadtgebietes wurde die „Nichtheranrückenslinie“ nur an den Stellen festgelegt, an denen die schutzbedürftigen Nutzungen entweder die angemessenen Abstände unterschreiten oder entlang der Abgrenzung der angemessenen Abstände liegen. In sonstigen Bereichen wurde der innere Planungsbereich weitgehend durch die Abgrenzung der angemessenen Abstände festgelegt. Die räumliche Festlegung wurde zudem anhand der bestehenden Straßen oder natürlichen Gegebenheiten (Topographie, Flüsse usw.) orientiert. Der innere Planungsbereich im Süden entspricht somit dem räumlichen Leitbild der Stadt mit der Herausbildung eines Schutzabstandes von ca. 200 m zu den Betriebsbereichen der Firma Shell. Innerhalb des inneren Planungsbereichs werden künftig Nutzungen der Stufe 1 bzw. nicht schutzbedürftige Nutzungen i. S. d. der Seveso-III-Richtlinie möglich sein. Für den inneren Planungsbereich wurden folgende kurz-, mittel- und langfristige Ziele definiert (vgl. Tabelle 3): Kurz- bis mittelfristige Ziele: Ø Keine weitere Entwicklung schutzbedürftiger Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie Ø Aufgabe der Nutzungen ab Stufe 2 Langfristige Ziele: Ø Aufgabe aller schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie Ø Ausbildung eines Schutzabstandes zu den Betriebsbereichen Ø Entwicklung der Potenzialflächen für gewerbliche Nutzungen (ohne schutzbedürftige Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie) 45 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Tabelle 3: Quelle: Innerer Planungsbereich Zulässigkeit der Nutzungen in unterschiedlichen Planungsbereichen, Entwicklungsziele für die Planungsbereiche Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung Zulässige Vorhaben/ Nutzungen Stufe 1 Kurz- bis mittelfristige Ziele Langfristige Ziele - Keine weitere Entwicklung der schutzbedürftigen Nutzungen - Aufgabe der Nutzungen ab Stufe 2 Mittlerer Planungsbereich Stufe 1 Stufe 2 - Keine neuen Nutzungen der Stufen 3 und 4 - Aufgabe aller schutzbedürftigen Nutzungen - Ausbildung eines Schutzabstandes zu den Betriebsbereichen - Entwicklung der Potentialflächen für gewerbliche Nutzungen (ohne schutzbedürftige Nutzungen) - Aufgabe der Nutzungen der Stufe 3 und 4 Äußerer Planungsbereich A Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 - Keine neuen Nutzungen der Stufe 4 - Aufgabe der Nutzungen der Stufe 4 Äußerer Planungsbereich B Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 - Ansiedlung besonders schutzbedürftiger Nutzungen nur innerhalb des äußeren Planungsbereichs B oder innerhalb der Flächen, die nicht in den Anwendungsbereich der SevesoIII-Richtlinie fallen Im Rahmen einer Bestandsaufnahme und Recherche wurden folgende schutzbedürftige Nutzungen innerhalb des inneren Planungsbereichs erfasst: Bestandsaufnahme südliches Stadtgebiet Im Süden des Stadtgebietes ist der innere Planungsbereich (bezogen auf den Betriebsbereich Shell) überwiegend durch nicht schutzbedürftige Nutzungen gekennzeichnet. Lediglich an einigen Stellen befinden sich Wohngebiete, und Einzelhandels- und Gastronomienutzungen. Des Weiteren befindet sich die Stadtbahnlinie 16 sowie die Autobahn 555 innerhalb des inneren Planungsbereichs. Ausgewählte Bestandsnutzungen sind in Abbildung 4 dargestellt. 46 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Abbildung 4: Quelle: Schutzbedürftige Nutzungen innerhalb des inneren Planungsbereichs im Süden des Stadtgebietes Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung Wohnen an Luziastraße/Humboldtstraße und Erftstraße Einzelhandel und Gastronomie an der Vorgebirgsstraße Bestandsaufnahme nördliches Stadtgebiet Das nördliche Stadtgebiet ist wesentlich stärker von den angemessenen Abständen der Betriebsbereiche betroffen. Innerhalb des inneren Planungsbereichs befinden sich einige schutzbedürftige Nutzungen, die zum Teil einen erheblichen Kundenverkehr aufweisen (wie z. B. Einzelhandelsbetriebe Brühler/Rodenkirchener Straße). Die Autobahn BAB 555 und die Stadtbahntrasse der Linie 16 zwischen Köln und Bonn liegen mit Teilabschnitten ebenfalls innerhalb des inneren Planungsbereichs und verlaufen teilweise unmittelbar entlang der Betriebsbereiche. Der Rheinsteg mit dem überregional bedeutsamen Radweg als Verbindung zwischen Köln und Bonn liegt ebenfalls innerhalb des inneren Planungsbereichs und grenzt zum Teil an die Betriebsbereiche an. Die Abbildung 5 zeigt einige schutzbedürftigen Nutzungen innerhalb des nördlichen inneren Planungsbereichs. 47 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Abbildung 5: Quelle: Schutzbedürftige Nutzungen innerhalb des inneren Planungsbereichs Im Norden des Stadtgebietes Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung Wohnen an der Peter-Henlein-Straße Wohnen an der Josef-ZimmermannStraße/Öffgasse Einzelhandel an der Brühler Straße/ Rodenkirchener Straße Moschee an der Hubertusstraße Haltestelle „Wesseling-Nord“ Hotel und 2 Spielhallen im Gewerbegebiet Berzdorf Innerhalb des Gewerbegebietes Berzdorf, das sich westlich der nördlichen Betriebsbereiche erstreckt und bereits einen Schutzabstand zu den Siedlungsgebieten bildet, haben sich in der Vergangenheit einige schutzbedürftige Nutzungen angesiedelt. An der Hans-Sachs- 48 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Straße befinden sich ein Hotel sowie zwei Spielhallen. Diese Nutzungen stellen öffentlich genutzte Gebäude dar und fallen somit als schutzbedürftige Nutzungen in den Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie. Der mit dem räumlichen Leitbild vorgesehene Schutzabstand von ca. 500 m im Norden der Stadt ist in größeren Teilbereichen vorhanden (Gewerbegebiet Berzdorf und Bereiche entlang der Stadtbahntrasse), teilweise fehlt er jedoch fast vollständig. Auf Grund bestehender Siedlungsstrukturen befindet sich die „Nichtheranrückenslinie“ im Ortsteil Wesseling (JosefZimmermann-Straße/Öffgasse) zum Teil unmittelbar an den Betriebsbereichen. Der angestrebte Schutzabstand kann jedoch durch Einbeziehung des anschließenden mittleren Planungsbereichs ausgebildet werden kann. Mittlerer Planungsbereich Räumliche Festlegung des mittleren Planungsbereichs (vgl. Plankarte) Der mittlere Planungsbereich schließt an den inneren Planungsbereich an. Es handelt sich bei den davon umfassten Flächen überwiegend um bebaute Siedlungsbereiche, die schutzbedürftige Nutzungen wie Wohngebiete, Kindergärten, Teile des Nahversorgungsbereichs Berzdorf, großflächigen Einzelhandel, eine Moschee, Kleingärten, die Haltestelle WesselingNord, Abschnitte der BAB 555 usw. beinhalten. Eine komplette Aufgabe dieser schutzbedürftigen Nutzungen im mittleren Planungsbereich ist anhand der Bestandsstrukturen nicht möglich; zudem werden wohnungsbezogene Einrichtungen wie Kindergärten oder Nachbarschaftsläden für die Sicherung der Daseinsvorsorge der vorhandenen Wohngebiete benötigt. Da die Entfernung zu den Betriebsbereichen lediglich über 200 m beträgt, wird die städtebauliche Entwicklung des mittleren Planungsbereichs künftig maßvoll eingeschränkt und differenziert betrachtet. Innerhalb des mittleren Planungsbereichs sind Nutzungen der Stufen 1 und 2 möglich, wenn es sich um Einzelbauvorhaben als Baulückenschließungen handelt. Im Falle von Wohnbauvorhaben wird eine maximale Anzahl von sechs Wohneinheiten innerhalb bebauter Gebiete als typische und maximale Größe einer Baulückenschließung definiert. Im Einzelfall sind Vorhaben bzw. kleinteilige schutzbedürftige Nutzungen wie öffentlich genutzte Gebäude und Einrichtungen zulässig (z. B. Bäckerei, Nachbarschaftsladen), wenn diese der Versorgung des Gebietes dienen und keinen weiter gefassten Einzugsradius aufweisen. Gleiches gilt z. B. für Spielplätze und Freizeiteinrichtungen und reine Umbauten von Kindergärten, die ausschließlich der Versorgung des Gebietes selbst dienen. Dies begründet sich damit, dass diese meist wohngebietsbezogenen Einrichtungen nur von demjenigen Personenkreis genutzt werden, der sich als Wohnbevölkerung ohnehin überwiegend in diesem Gebiet aufhält. Kurz- bis mittelfristiges Ziel (vgl. Tabelle 3) Ø Keine neuen Nutzungen der Stufen 3 und 4 Langfristiges Ziel Ø Aufgabe der Nutzungen ab Stufe 3 49 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Bestandsaufnahme Der mittlere Planungsbereich ist durch zahlreiche bestehende, schutzbedürftige Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie gekennzeichnet. Zum einen liegen innerhalb dieses Bereichs etliche Wohngebiete (kleinteilige Strukturen und Geschosswohnungsbau), zum anderen befinden sich hierin Teile des Nahversorgungsbereichs Berzdorf, drei Kindergärten sowie Abschnitte der Autobahn und des Rheinsteges. Die Abbildung 6 zeigt einige schutzbedürftige Nutzungen innerhalb des mittleren Planungsbereichs. Abbildung 6: Quelle: Ausgewählte schutzbedürftige Nutzungen innerhalb des mittleren Planungsbereichs Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung Kindergarten Kastanienweg Kindergärten an der Bachstraße Kindergarten Sternstraße und nördlicher Teil des Nahversorgungsbereichs Berzdorf Äußerer Planungsbereich A Räumliche Festlegung des äußeren Planungsbereichs A (vgl. Plankarte) Im Anschluss an den mittleren Planungsbereich werden die äußeren Planungsbereiche A und B vorgesehen. Innerhalb dieser äußeren Planungsbereiche, insbesondere innerhalb des Planungsbereichs B, werden lediglich geringe Einschränkungen für die Ansiedlung schutzbedürftiger Nutzungen i. S. d. der Seveso-III-Richtlinie vorgesehen. Der Unterschied zwischen den beiden Planungsbereichen besteht in der prioritären Ansiedlung besonders 50 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF schutzbedürftiger Nutzungen der Stufe 4 im äußeren Planungsbereich B sowie in der Differenzierung bei Veranstaltungen mit stadtweiter Bedeutung (im Planungsbereich A) bzw. mit regionaler/überregionaler Bedeutung (nur im Planungsbereich B). Der äußere Planungsbereich A liegt innerhalb der angemessenen Abstände der nördlichen Betriebsbereiche. Die Entfernungen zu diesen sind jedoch schon deutlich größer, so dass durch die dazwischenliegenden (inneren und mittleren) Planungsbereiche ein Abstand von mindestens 700 m sowie in weiten Teilen auch deutlich größere Abstände, vorliegen. Wie vorab erläutert, befinden sich innerhalb der gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände etliche Wohngebiete (kleinteilige Strukturen und Geschosswohnungsbau) sowie der zentrale Innenstadtbereich mit zahlreichen Einkaufs-, Versorgungs- und Infrastruktureinrichtungen (u. a. Rathaus, Schulzentrum, Dreifaltigkeitskrankenhaus) mit mittelzentraler Funktion. Innerhalb der Wohngebiete und im Innenstadtbereich haben ferner zahlreiche öffentliche und private Gemeinbedarfseinrichtungen wie z. B. Kindergärten, Grundschulen, Spielplätze, Seniorenbetreuungen, Alten- und Pflegeheime ihren Standort, die der wohnungsnahen Versorgung der umliegenden Siedlungsgebiete dienen. Für den äußeren Planungsbereich A werden im Ausnahmefall folgende Einschränkungen angestrebt, die in den nachfolgenden Zielen dargestellt sind. Kurz- bis mittelfristiges Ziel (vgl. Tabelle 3): Ø Keine neuen Nutzungen der Stufe 4 Langfristiges Ziel: Ø Aufgabe der Nutzungen der Stufe 4 Äußerer Planungsbereich B Räumliche Festlegung des äußeren Planungsbereichs B (vgl. Plankarte) Der äußere Planungsbereich B ist für die Ansiedlung aller schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. der Seveso-III-Richtlinie vorgesehen. Er bildet den äußeren Übergangsbereich zu den Flächen des südlichen und westlichen Stadtgebietes, die außerhalb der angemessenen Abstände der Betriebsbereiche liegen und somit nicht unter den Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie fallen. Für den äußeren Planungsbereich B werden im Ausnahmefall keine Einschränkungen für schutzbedürftige Nutzungen angestrebt. In Anbetracht der großen Entfernungen zu den Betriebsbereichen sind im Ausnahmefall auch Nutzungen der Stufe 4, denen ein besonderer Schutzstatus zugeordnet wird (Großveranstaltungen mit erheblichem Publikumsverkehr sowie regional/überregional bedeutsame Einrichtungen der sozialen Infrastruktur) möglich. Langfristiges Ziel Ø Ansiedlung besonders schutzbedürftiger Nutzungen im Ausnahmefall nur innerhalb des äußeren Planungsbereichs B oder innerhalb der Flächen, die nicht in den Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie fallen 51 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Bestandsaufnahme Innerhalb der äußeren Planungsbereiche A und B liegen, wie bereits beschrieben, weite Teile des Wesselinger Stadtgebietes mit zahlreichen schutzbedürftigen Gebieten und Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie. Hier befinden sich etliche Wohngebiete, öffentlich genutzte Gebäude (z. B. Schulen, Kindergärten, Verwaltungseinrichtungen), die zentrale Innenstadt mit zahlreichen Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleistungs- und Gastronomiebetrieben, das Krankenhaus sowie Alten- und Pflegeeinrichtungen, Jugend- und Freizeiteinrichtungen sowie die Rheinpromenade mit dem Rheinpark. Von einer räumlichen Darstellung der vorhandenen schutzbedürftigen Nutzungen wird auf Grund der Größenordnung der angemessenen Abstände und der großen Entfernung der äußeren Planungsbereiche zu den Betriebsbereichen an dieser Stelle abgesehen. 3.4 Umgang mit bestehenden schutzbedürftigen Nutzungen In Anbetracht der in Kapitel 3.3 dargestellten kurz-, mittel- und langfristigen Ziele für die verschiedenen Planungsbereiche ergeben sich differenzierte Handlungsansätze für den zukünftigen Umgang mit bestehenden schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie. Grundsätzlich genießen alle schutzbedürftigen (und nicht schutzbedürftigen), baurechtlich genehmigten Nutzungen und Vorhaben innerhalb der angemessenen Abstände den gesetzlichen Bestandsschutz und können entsprechend ihrer Genehmigungen ohne Einschränkungen betrieben bzw. genutzt werden. Zur Umsetzung der vorgenannten Ziele sind differenzierte Handlungsansätze für den künftigen Umgang mit bestehenden schutzbedürftigen Nutzungen und Vorhaben insbesondere in den inneren und mittleren Planungsbereichen abgeleitet worden. Innerer Planungsbereich Den als schutzbedürftig identifizierten Bestandsnutzungen innerhalb des inneren Planungsbereichs (Kapitel 3.3.2) werden künftig keine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten zugebilligt. Diese Nutzungen genießen Bestandsschutz und können im Rahmen dessen weiterhin ohne Einschränkungen betrieben werden. Eine darüber hinaus gehende bauliche oder nutzungsbezogene Entwicklung (z. B. Neubauten, Erweiterungen der Gebäude bzw. Wohnungsanzahl) soll dagegen nicht möglich sein. Durch die Einschränkung der generellen Zulässigkeit in diesem Planungsbereich auf Vorhaben der Schutzbedürftigkeitsstufe 1 werden die künftigen Handlungsmöglichkeiten auf die Realisierung nicht schutzbedürftiger Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie sowie auf Umbauten schutzbedürftiger Nutzungen im Bestand (z. B. Sanierung, Instandhaltung von Wohnbauten) reduziert. Für Eigentümer oder Betreiber stellen diese Regelungen eine Einschränkung ihrer bisherigen Möglichkeiten dar. Die maßvollen Einschränkungen bedeuten jedoch kein grundsätzliches Nutzungsverbot für Immobilien oder Grundstücke und sind deshalb nicht einem enteignungsgleichen Eingriff gleichzusetzen. Die bestehende Genehmigungslage und der Bestandsschutz bleiben unberührt. Es werden lediglich bisher nicht ausgeübte Nutzungsmöglichkeiten auf die Schutzbedürftigkeitsstufe 1 begrenzt. Sonstige Nutzungen, die von der Seveso-III-Richtlinie nicht erfasst werden, sind grundsätzlich zulässig. Dem Leitbild der Stadt Wesseling entsprechend können innerhalb des inneren Planungsbereichs insbesondere gewerbliche Nutzungen angesiedelt werden. 52 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Dieser Umgang mit Bestandsnutzungen dient der Umsetzung der langfristig orientierten Anforderungen der Seveso-III-Richtlinie und steht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung54 zur legitimen Einschränkung der Eigentumsnutzung im unmittelbaren Umfeld der Betriebsbereiche im Einklang. Mittlerer Planungsbereich Der mittlere Planungsbereich ist bereits durch eine größere Anzahl an vorhandenen schutzbedürftigen Nutzungen gekennzeichnet, die ebenfalls Bestandschutz genießen. Als Leitlinie für die zukünftige Änderung, Erweiterung oder Neuansiedlung schutzbedürftiger Nutzungen und Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie werden Nutzungsmöglichkeiten auf die Schutzbedürftigkeitsstufen 1 und 2 begrenzt. Sonstige Nutzungen, die von der Seveso-III-Richtlinie nicht erfasst werden, sind grundsätzlich zulässig. Dem Leitbild der Stadt Wesseling entsprechend können innerhalb des mittleren Planungsbereichs gewerbliche Nutzungen sowie kleinteilige, wohngebiets- oder ortsteilbezogene Einrichtungen der Daseinsvorsorge sowie Baulückenschließungen mit max. 6 Wohneinheiten angesiedelt werden. Auf Grund der typisierenden Betrachtung sind im Einzelfall Abweichungen möglich. Diese bedürfen im mittleren Planungsbereich jedoch einer besonderen Begründung. Hinsichtlich der maßvollen Einschränkung künftiger Nutzungsmöglichkeiten für Eigentümer/Betreiber schutzbedürftiger Nutzungen /Vorhaben wird auf die vorgenannte BVerwG-Rechtsprechung verwiesen. Äußere Planungsbereiche A und B Die äußeren Planungsbereiche A und B umfassen weite Teile des Wesselinger Stadtgebietes, u. a. den zentralen Innenstadtbereich, mit zahlreichen vorhandenen schutzbedürftigen Nutzungen jeglicher Größenordnung. In Anbetracht der größeren Entfernungen zu den Betriebsbereichen sind für die äußeren Planungsbereiche A und B trotz der Lage innerhalb der (sehr großen) angemessenen Abstände lediglich geringfügige Einschränkungen für die zukünftige Änderung, Erweiterung oder Neuansiedlung schutzbedürftiger Nutzungen und Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie zu erwarten. Die künftigen Nutzungsmöglichkeiten umfassen im äußeren Planungsbereich A die Schutzbedürftigkeitsstufen 1-3 und schließen lediglich Neuansiedlungen der besonders schutzbedürftigen Nutzungen (z. B. Alten- und Pflegeheime, Jugendzentren, Großveranstaltungen mit regionaler Bedeutung) aus. Die besonders schutzbedürftigen Nutzungen der Stufe 4 sind im äußeren Planungsbereiche B möglich, da dieser bereits sehr weit von den Betriebsbereichen entfernt ist und einen Übergang zu den Flächen darstellt, die nicht vom Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie erfasst sind. Für Eigentümer, Betreiber und Nutzer vorhandener schutzbedürftiger Nutzungen innerhalb dieser Planungsbereiche sind im Fall eines „Dennoch-Störfalls“ keine spürbaren Auswirkungen zu erwarten. 54 BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 53 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 4 Umsetzung des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie Das vorliegende städtebauliche Entwicklungskonzept soll als Leitbild und Abwägungsgrundlage für die künftige Bauleitplanung und Vorhabengenehmigung innerhalb der angemessenen Abstände dienen. Durch den Beschuss als städtebauliches Entwicklungskonzept i. S. d. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB stellt es einen wesentlichen Beitrag zur planerischen Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB im Rahmen der Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes und der Erarbeitung von Bebauungsplänen der Stadt Wesseling dar. Die Bauleitplanung ist das zentrale Instrument zur verträglichen Zuordnung und Abstimmung der künftigen Flächennutzung auf kommunaler Ebene. Die Stadt Wesseling als Trägerin der Planungshoheit hat sowohl bei der aktuell begonnenen Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes für das gesamte Stadtgebiet als auch bei der Aufstellung bzw. Änderung von Bebauungsplänen für einzelne Plangebiete dafür Sorge zu tragen, dass die europarechtlichen Seveso-Vorschriften und § 50 Satz 1 BImSchG sachgerecht berücksichtigt und umgesetzt werden. Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung gewährleisten und die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen mit der Verantwortung für die Zukunft in Einklang bringen (§ 1 Abs. 5 BauGB). Die in §§ 1, 1a BauGB enthaltenen Grundsätze und Ziele der Bauleitplanung sind auf der Ebene der vorbereitenden Bauleitplanung (Flächennutzungsplan) für die Gesamtstadt und auf der Ebene der verbindlichen Bauleitplanung (Bebauungspläne) für Teilgebiete inhaltlich zu konkretisieren und umzusetzen. 4.1 Flächennutzungsplan Wesseling (vorbereitende Bauleitplanung) Im Zuge der aktuell begonnenen Fortschreibung der Regionalplanung für den Regierungsbezirk Köln hat sich die Stadt Wesseling entschlossen, den seit 1976 wirksamen Flächennutzungsplan (in der Fassung der 56. Änderung 2016) neu aufzustellen. Die Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes Wesseling wurde mit dem Beschluss vom 30.06.2016 eingeleitet. Das Aufstellungsverfahren wird zeitlich parallel zur Regionalplanung durchgeführt, um die aktuellen und zukünftigen Ziele und Entwicklungsstrategien der Stadt Wesseling in die Fortschreibung des Regionalplanes einzubringen. Zentrale Aufgaben der Flächennutzungsplan-Neuaufstellung sind zum einen, die im wirksamen Flächennutzungsplan dargestellten und noch nicht bebauten Flächenpotenziale im Hinblick auf ihre Eignung bzw. Restriktionen zu überprüfen und ggf. bisherige Flächennutzungsdarstellungen zu verändern oder zu modifizieren. Zum anderen sind für den Planungshorizont der nächsten 20-25 Jahre Flächen innerhalb des Stadtgebietes zu identifizieren, die für eine Ausweisung als zusätzliche Wohnbau- und Gewerbeflächenpotenziale geeignet sind. Diese zusätzlichen Wohnbau- und Gewerbeflächen müssen mit den übergeordneten Zielen der Landesplanung sowie zahlreichen anderen fachlichen Belangen (z. B. Natur-, Landschafts-, Klimaschutz) vereinbar sein; zudem sollen sie geeignet sein, die in Kapitel 1 und 3.2 formulierten Leitbilder und Entwicklungsziele der Stadt Wesseling zur Berücksichtigung der Seveso-III-Richtlinie in der mittel- bis langfristig orientierten Flächennutzungsplanung umzusetzen. 54 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Bei der Überprüfung unbebauter Flächenpotenziale und der Ermittlung und Bewertung neuer Bauflächenpotenziale zur Ansiedlung schutzbedürftiger Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie sind nachfolgende Vorgaben zu berücksichtigen: Ø Es ist langfristig und so weitgehend wie möglich dem Erfordernis Rechnung zu tragen, zwischen Betriebsbereichen und schutzbedürftigen Nutzungen angemessene Abstände zu wahren, damit es zu keiner Zunahme des Sicherheitsrisikos bzw. der Gefährdung der Bevölkerung kommt. Ø Ein weiteres Heranrücken schutzbedürftiger Nutzungen an Betriebsbereiche ist zu vermeiden. Bestehende Abstände, die durch die „Nichtheranrückenslinie“ definiert werden, sind auch künftig einzuhalten. Ø Durch die Neuansiedlung schutzbedürftiger Gebiete und Nutzungen innerhalb der angemessenen Abstände soll keine relevante, ins Gewicht fallende Risikoerhöhung im Falle eines „Dennoch-Störfalls“ ausgelöst werden. Eine relevante Erhöhung der Anzahl/Größenordnung der schutzbedürftigen Nutzungen und/oder der betroffenen Personen im Vergleich zur Ausgangssituation ist zu vermeiden. Nach fachgutachterlicher Empfehlung sollte auf der Ebene der gesamtstädtischen Flächennutzungsplanung angestrebt werden, dass sich die Gesamtbilanz der schutzbedürftigen Gebiete und Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie innerhalb der angemessenen Abstände langfristig im Vergleich zur derzeitigen Ausgangssituation verbessern oder wenigstens nicht in relevantem Umfang verschlechtern soll55. Dieser Ansatz bedeutet für die Planungspraxis, dass Neuplanungen zusätzlicher schutzbedürftiger Gebiete und Nutzungen (Neuausweisung von Bauflächen, Innen- bzw. Nachverdichtungspotenziale) innerhalb der angemessenen Abstände entsprechende Veränderungen bei der planerischen Darstellung bisheriger schutzbedürftiger Bauflächen (z. B. Rücknahme von Bauflächen, Umplanung zu nicht schutzbedürftigen Flächennutzungen) gegenüber stehen müssten, um eine „möglichst ausgeglichene Gesamtbilanz“ heutiger und zukünftiger schutzbedürftiger Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie zu erreichen. Die im vorliegenden städtebaulichen Entwicklungskonzept entwickelte Gliederung der angemessenen Abstände in vier verschiedene Planungsbereiche einschließlich der Zuordnung von Schutzbedürftigkeitsstufen stellt eine nachvollziehbare und praxisorientierte Leitlinie für die Überprüfung vorhandener bzw. Ermittlung und Bewertung neuer Flächenpotenziale für schutzbedürftige Nutzungen innerhalb des Wesselinger Stadtgebietes dar. In einem ersten Schritt sollen die im wirksamen Flächennutzungsplan Wesseling dargestellten Bauflächenpotenziale für schutzbedürftige Nutzungen (z. B. Wohnbauflächen, gemischte Bauflächen) überprüft werden, die innerhalb der inneren und mittleren Planungsbereiche liegen (vgl. Plankarte) und derzeit noch nicht baulich genutzt sind. In diesen beiden Planungsbereichen sollen langfristig zusätzliche schutzbedürftige Nutzungen nicht mehr (innerer Planungsbereich) bzw. nur noch in geringer Größenordnung (mittlerer Planungsbereich) ermöglicht werden. Im Hinblick auf die Überprüfung der noch unbebauten FNP-Bauflächen ist deshalb zu prüfen, ob diese Potenziale künftig als Bauflächen für 55 Vgl. Uechtritz/Farsbotter Teil II, S. 10 55 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF anderweitige, nicht schutzbedürftige Nutzungen (z. B. Umwandlung in gewerbliche Bauflächen) geeigneter wären. In einem zweiten Schritt werden, entsprechend den Zielen des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes, für die künftige Neuausweisung bzw. Nachverdichtung von Bauflächen mit schutzbedürftigen Gebieten und Nutzungen diejenigen Flächenpotenziale in Betracht gezogen, die in den äußeren Planungsbereichen A und B liegen, die nicht in den Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie fallen. Die vorgenannten Planungsschritte erfolgen kontinuierlich im Rahmen der aktuell begonnenen Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes Wesseling. 4.2 Verbindliche Bauleitplanung (Bebauungspläne) Aufstellung von Bebauungsplänen Bei der Aufstellung von Bebauungsplänen, die die Ansiedlung bzw. Nachverdichtung schutzbedürftiger Gebiete und Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie zum Inhalt haben und innerhalb der gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände liegen, ist die Seveso-IIIThematik in jedem Planungsverfahren sachgerecht zu ermitteln und zu bewältigen. Im Rahmen der einzelnen Bebauungsplanverfahren sind grundsätzlich die in Kapitel 2.1 ausführlich beschriebenen Leitsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung des EuGH/BVerwG56 anzuwenden. Die in Kapitel 2.4.2 erläuterte Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz enthält Handlungsempfehlungen für die Verwaltungspraxis zur sachgerechten Berücksichtigung des sevesorechtlichen Abstandsgebotes bei der Bebauungsplan-Aufstellung, zu den notwendigen Prüfschritten sowie zu Inhalt und Bedeutung der „planerischen Abwägung“ gemäß § 1 Abs. 7 BauGB, die von der Stadtplanung und den politischen Beschlussgremien der Stadt Wesseling bei den jeweiligen Bebauungsplanverfahren zu beachten sind. Es wird an dieser Stelle auf die inhaltlichen Ausführungen der Kapitel 2.1 und 2.4.2 verwiesen. Änderung von rechtsverbindlichen Bebauungsplänen Wie erläutert, ist die europarechtliche Seveso-Thematik erst in den Jahren 2011/2012 in den Fokus der kommunalen und übergeordneten Planungsebenen gerückt. Demnach wurden auch in der Stadt Wesseling erst bei aktuellen Bebauungsplänen, die ab dem Jahr 2013 in Kraft getreten sind, die Anforderungen der Artikel 12 (13) Seveso-II-(III)Richtlinie im Rahmen der Planungs- und Abwägungsentscheidung sachgerecht und hinreichend berücksichtigt. Wie in anderen Kommunen, haben alle Bebauungspläne der Stadt Wesseling, die vor der Umsetzung der Seveso-Richtlinien in nationales Recht (Rechtskraft vor dem 27.10.1998) in Kraft getreten sind, die sevesorechtlichen Anforderungen nicht berücksichtigt. In den Bebauungsplänen, die zwischen 1998 und 2013 in Kraft getreten sind, wurden diese Anforderungen ebenfalls nicht in die Abwägung einbezogen. Viele neuere Bebauungspläne berücksichtigen die Seveso-Thematik nicht in ausreichendem Maße, da entweder neuere Entwicklun56 EuGH, Urteil vom 15.09.201 und BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 56 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF gen nach der Rechtskraft eingetreten sind oder die Problematik im Bebauungsplan noch nicht ausreichend bekannt war57. Entsprechend der Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau sind die rechtsverbindlichen Bebauungspläne, die die Seveso-Thematik nicht abhandeln, nicht automatisch unwirksam, sondern behalten weiterhin ihre Rechtskraft. Bei der baurechtlichen Genehmigung einzelner schutzbedürftiger Vorhaben auf Basis derartiger Bebauungspläne kann, entsprechend der BVerwG-Rechtsprechung, die Konfliktbewältigung im Einzelfall sachgerecht im Baugenehmigungsverfahren (nachvollziehende Abwägung) nachgeholt werden. Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob das Vorhaben nach § 15 BauNVO unzulässig sein kann, obwohl es den Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht widerspricht58. Hierzu wird auf die Ausführungen in Kapitel 2.1, 2.4.2 und das nachfolgende Kapitel 4.3 verwiesen. Einige der vorgenannten Bebauungspläne weisen größere, unbebaute Bereiche auf, deren zukünftige bauliche Entwicklung zwar anhand des weiterhin verbindlichen Bebauungsplanes grundsätzlich gegeben ist, die nunmehr aber einer Prüfung und Bewertung unter dem Gesichtspunkt der Berücksichtigung des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie bedürfen. In den überwiegenden Fällen ist davon auszugehen, dass es sich bei der künftigen wohnbaulichen Entwicklung dieser Flächen um Vorhaben mit „wohngebietsähnlicher Größenordnung“ handelt, die ein Planerfordernis gemäß § 1 Abs. 3 BauGB zur Änderung bzw. Neuaufstellung von Bebauungsplänen für die unbebauten Bereiche auslösen. Entsprechend den in Kapitel 2.1 enthaltenen Leitsätzen des BVerwG besteht bei der baulichen Entwicklung größerer Bauflächen im Regelfall ein Planerfordernis gemäß § 1 Abs. 3 BauGB. Zum einen, zur rechtsfehlerfreien Berücksichtigung der Seveso-III-Richtlinie, zum anderen, da größere Wohnbauvorhaben in der Regel einen erhöhten städtebaulichen Koordinierungsbedarf (z. B. Planung und Herstellung von Erschließungsanlagen, Neuordnung von Grundstücken) auslösen59. Die Abbildung 7 zeigt beispielhaft einige ältere Bebauungspläne innerhalb der angemessenen Abstände, bei denen planerischer Handlungsbedarf für eine künftige Mobilisierung und Bebauung derzeit ungenutzter Flächen für schutzbedürftige Nutzungen besteht. 57 vgl. Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 15 vgl. Arbeitshilfe Fachkommission Städtebau, S. 15 59 BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 58 57 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Abbildung 7: Quelle: Unbebaute Flächenpotenziale in Bebauungsplänen innerhalb der angemessenen Abstände Stadt Wesseling, Bereich Stadtplanung Bebauungsplan Nr. 1/69, 3. Änderung, Bereich Traunsteiner Straße (WA) Bebauungsplan Nr. 3/40 Bereich Lindenstraße (WA) Bebauungsplan 3/2 Bereich Asternweg (WR) Je nach Lage der prüfbedürftigen Bebauungspläne und Flächenpotenziale können sich anhand der Ziele des vorliegenden Städtebaulichen Entwicklungskonzeptes zwei verschiedene Fallgestaltungen ergeben: Ø Falls sich die noch unbebauten Bebauungsplan-Flächen innerhalb des inneren oder mittleren Planungsbereichs (vgl. Plankarte) befinden, in denen langfristig zusätzliche schutzbedürftige Nutzungen nicht mehr (innerer Planungsbereich) bzw. nur noch in geringer Größenordnung (mittlerer Planungsbereich) ermöglicht werden sollen, so ist zu prüfen, ob diese Potenziale künftig als Bauflächen für anderweitige, nicht schutzbedürftige Nutzungen (z. B. Umwandlung in gewerbliche Bauflächen, Freiraumnutzungen) geeigneter wären. In solchen Fällen wäre künftig der Inhalt der Bebauungsplanung entsprechend den langfristigen Zielen des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes zu modifizieren und 58 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF ein Bebauungsplanverfahren (Aufstellung/Änderung) für die betreffenden Plangebietsflächen durchzuführen. Ø Falls sich die noch unbebauten Bebauungsplan-Flächen innerhalb der äußeren Planungsbereiche A und B (vgl. Plankarte) befinden, in denen die Ansiedlung neuer bzw. Nachverdichtung zusätzlicher schutzbedürftiger Nutzungen entsprechend den Zielen des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes im Einzelfall weiterhin in Betracht kommen, so sind in solchen Fällen künftig Bebauungsplanverfahren (Aufstellung/Änderung) durchzuführen. Im Rahmen dieser Planverfahren sind die Anforderungen des Artikels 13 SevesoIII-Richtlinie sachgerecht zu ermitteln, zu bewerten und in die Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB einzustellen. Wenn im Ergebnis überwiegende städtebauliche und /oder sozioökonomische Belange für die Realisierung einer schutzbedürftigen Nutzung sprechen, so ist dies nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Einzelfall vertretbar. In der Genehmigungspraxis ist in allen Fällen zu prüfen, ob beantragte Vorhaben im Geltungsbereich verbindlicher Bebauungspläne (ohne Berücksichtigung der Seveso-Thematik) als Einzelfall gemäß § 15 BauNVO prüfbar sind oder ob es eine „wohngebietsähnliche Größe“ aufweist und demzufolge ein Planerfordernis zur Aufstellung/Änderung eines Bebauungsplanes besteht (§ 1 Abs. 3 BauGB). 4.3 Baurechtliche Genehmigungsverfahren Das vorliegende städtebauliche Entwicklungskonzept zur Seveso-III-Richtlinie bietet mit der vorgeschlagenen Gliederung der angemessenen Abstände in vier Planungsbereiche, der typisierenden Zuordnung von Nutzungen/Vorhaben zu Schutzbedürftigkeitsstufen und der darauf aufbauenden Zuordnung der Schutzbedürftigkeitsstufen zu den jeweiligen Planungsbereichen eine klar nachvollziehbare und praktikable Grundlage für die Bearbeitung der baurechtlichen Genehmigungsverfahren. Zur Beurteilung der einzelnen Vorhaben sind bei schutzbedürftigen Nutzungen i. S. d. Seveso-III-Richtlinie grundsätzlich die in Kapitel 2.1 ausführlich beschriebenen Leitsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung des EuGH/BVerwG60 anzuwenden. Die in Kapitel 2.4.2 erläuterte Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz enthält Handlungsempfehlungen für die Verwaltungspraxis zur sachgerechten Berücksichtigung des sevesorechtlichen Abstandsgebotes bei Einzelfallentscheidungen gemäß §§ 30, 34 und 35 BauGB (Rücksichtnahmegebot), zu den notwendigen Prüfschritten sowie zu Inhalt und Bedeutung der „nachvollziehenden Abwägung“ bei der Genehmigungsentscheidung, die von der Bauaufsicht der Stadt Wesseling bei der Bewertung des jeweiligen Einzelvorhabens zu beachten sind. Es wird an dieser Stelle auf die inhaltlichen Ausführungen der Kapitel 2.1 und 2.4.2 verwiesen. Ein schutzbedürftiges Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie, das den angemessenen Abstand unterschreitet, ist nur ausnahmsweise zulässig. Es bedarf besonderer Gründe bzw. Belange, die für ein Vorhaben sprechen, wenn es innerhalb des angemessenen Abstandes zugelassen werden soll. Mit wachsender Schutzbedürftigkeit eines Vorhabens nehmen die Anforderungen an die Begründung einer Abstandsunterschreitung zu. Positiv hervorzuheben ist, dass im Stadtgebiet Wesseling bereits verschiedene, organisatorische Maßnahmen der Stadt/Feuerwehr Wesseling und der Betreiber der Störfallanlagen 60 EuGH, Urteil vom 15.09.201 und BVerwG, Urteil vom 20.12.2012 59 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF existieren, die im Alarmierungsfall zum Einsatz kommen. Die Stadt bzw. die Feuerwehr Wesseling verfügt über ein modernes System von Hochleistungssirenen mit der Möglichkeit von Sprachdurchsagen im gesamten Stadtgebiet zur Alarmierung der Bevölkerung. Die Stadt bzw. die Feuerwehr informiert mit einer aktuellen Broschüre zum Verhalten im Gefahrenfall (Bedeutung der Signaltöne, Gefahrentelefon). Diese Broschüre ist an alle Haushalte im Stadtgebiet Wesseling verteilt worden. Sie liegt zudem im Rathaus aus, ist auf der Internetseite der Stadt Wesseling und der Feuerwehr direkt abrufbar und wird allen Baugenehmigungen der Stadt Wesseling beigefügt. Diese Schutzmaßnahmen wirken grundsätzlich für alle Planungen und Vorhaben innerhalb der gutachterlich ermittelten Abstände. Sie können deshalb nicht als Begründung für eventuelle Abweichungen im Einzelfall herangezogen werden. Zur umfassenden Berücksichtigung der Seveso-III-Belange im Rahmen der „nachvollziehenden“ Abwägung wurde eine verwaltungsinterne Prüftabelle erarbeitet, die die Bewertung der relevanten Prüfkriterien erleichtern und klar nachvollziehbar darstellen soll. Bei baurechtlichen Genehmigungsverfahren für schutzbedürftige Nutzungen und Vorhaben i. S. d. Seveso-III-Richtlinie innerhalb der angemessenen Abstände wird künftig diese Prüftabelle bearbeitet und bei der jeweiligen Genehmigungsentscheidung berücksichtigt. Diese Prüftabelle berücksichtigt keine sonstigen, für oder gegen ein Vorhaben sprechenden Aspekte aus anderen Rechts- und Themenbereichen. Die Methodik soll zunächst das Gewicht des in die Abwägung einzustellenden Belangs „Nähe zu einer gefährlichen Industrieanlage“ aufzeigen. Sie ist ein Hilfsmittel zur sachgerechten Bewertung des sevesorechtlichen Abstandsgebotes. Die Betriebsbereiche sollen bei der Ansiedlung schutzbedürftiger Vorhaben innerhalb der angemessenen Abstände beteiligt werden. Abweichungen im Einzelfall Das vorliegende Entwicklungskonzept ist für die Bewertung „typischer“ Einzelfälle gut geeignet. Bei atypischen Fallgestaltungen wäre es denkbar, die Zuordnung zu den Stufen der Schutzbedürftigkeit zu überprüfen und zu verändern (Reduzierung oder Erhöhung). Im Einzelfall sind hierbei nachfolgende Anforderungen zu erfüllen. Ø Die Schutzmaßnahmen gehen über das übliche Maß hinaus (im Vergleich zu ähnlichen Vorhaben im Stadtgebiet), eine Verbesserung soll erkennbar sein. Ø Der Nachweis der technischen Eignung der Schutzmaßnahmen für die Abstandsermittlung nach KAS-18 (relevante Szenarien) ist zu erbringen. Ø Die Maßnahmen müssen praktikabel sein, d. h. mit einem vertretbaren technischen und organisatorischen Aufwand zu realisieren und dauerhaft aufrecht zu halten sein. Ø Die organisatorischen, auf das konkrete Verhalten der Nutzer angewiesenen Maßnahmen müssen auf Akzeptanz bei den typischerweise zu erwartenden Nutzern des Vorhabens bzw. der Planung treffen61. Vor Erteilung einer begründeten Abweichung ist der Betreiber des jeweils betroffenen Betriebsbereichs zu beteiligen. Nach Möglichkeit soll die Erarbeitung von Einzelgutachten vermieden werden. Die Notwendigkeit ergänzender gutachterlicher Stellungnahmen kann jedoch nicht grundsätzlich ausge61 vgl. Uechtritz/Farsbotter Teil I, S. 1933f 60 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF schlossen werden. Insbesondere zur Begründung von Abweichungen im Einzelfall wird der gutachterlichen Einschätzung eine wichtige Rolle zukommen. 4.4 Immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren Die Anforderungen des Artikels 13 der Seveso-III-Richtlinie sind nicht nur bei kommunalen Planungs- und Genehmigungsentscheidungen, sondern gleichermaßen bei immissionsrechtlichen Genehmigungsverfahren für Industrieanlagen innerhalb der Betriebsbereiche der Unternehmen zu berücksichtigen. Entsprechend dem Artikel 13 Abs. 1a und b haben die Mitgliedstaaten die Ansiedlung neuer Betriebe und die Änderung von Betrieben i. S. d. Artikels 11 zu überwachen, wenn diese Ansiedlungen bzw. Änderungen Ursache schwerer Unfälle sein oder das Risiko eines schweren Unfalls vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmern können. Diese Anforderungen werden in Deutschland durch die in Kapitel 2.3 beschriebenen Bestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der 12. BImSchVO (StörfallVerordnung“) umgesetzt. Die Errichtung neuer Industrieanlagen oder wesentliche Änderung von bestehenden Anlagen erfordert die Durchführung von Genehmigungsverfahren gemäß §§ 10, 16 BImSchG. Zuständige Genehmigungsbehörde bei genehmigungspflichtigen Anlagen innerhalb von Betriebsbereichen i. S. d. § 3 Abs. 5 a BImSchG ist die Bezirksregierung Köln. Die Bezirksregierung Köln beteiligt die fachlich und räumlich betroffenen Behörden und Kommunen im Rahmen des BImSch-Genehmigungsverfahrens. Im Regelfall erfolgt eine öffentliche Auslegung des Genehmigungsantrags. Zum Inhalt eines BImSch-Genehmigungsantrags für „Störfall-Betriebsbereiche“ gehört die fachgutachterliche Ermittlung, die gegebenen angemessenen Abstände vergrößert werden und damit künftig weitere Flächen außerhalb des Betriebsbereiches in den Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie fallen werden oder ob dahingehend keine Veränderungen zu erwarten sind. Als Teil der Umweltverträglichkeitsprüfung sind die gutachterlichen Ermittlungen im Regelfall auch Gegenstand der öffentlichen Auslegung eines BImSchGenehmigungsantrags. Die Stadt Wesseling hat als beteiligte Kommune im Rahmen des Genehmigungsverfahrens mehrere Prüfaufgaben wahrzunehmen, da die BImSch-Genehmigung eine „Bündelungswirkung“ umfasst und anschließend keine weiteren baurechtlichen Genehmigungen der Stadt Wesseling erforderlich werden. Die Stadt Wesseling erarbeitet eine schriftliche Stellungnahme zum jeweiligen Genehmigungsantrag, mit der das Einvernehmen der Kommune zum Genehmigungsantrag erteilt wird, wenn alle Belange der Stadt Wesseling durch das beantragte Vorhaben berücksichtigt und gewahrt werden. Das Einvernehmen der Kommune kann verweigert werden, wenn das beantragte Vorhaben z. B. geltendem Planungsrecht widerspricht oder wesentliche Beeinträchtigungen städtischer Belange zu erwarten sind (z. B. erhöhte Lärm-/Schadstoffimmissionen im Stadtgebiet, nachteilige Auswirkungen auf Gewässer-/Klimaschutz, erhöhte Risikopotenziale für die Nachbarschaft/Wohnbevölkerung). Auf Grund der spezifischen Situation vor Ort ist bei künftigen BImSch-Genehmigungsverfahren insbesondere die Fragestellung zu prüfen, ob durch neue Industrieanlagen oder eine wesentliche Änderung bestehender Anlagen die gutachterlich ermittelten angemessenen Abstände verändert oder gar vergrößert würden. 61 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Wenn derart nachteilige Auswirkungen und daraus resultierende wesentliche Beeinträchtigungen für die Stadtentwicklung Wesselings zu befürchten wären, dann sind diese Belange der Stadt Wesseling im Rahmen des BImSch-Genehmigungsverfahren formell entsprechend einzubringen und von der Bezirksregierung Köln mit der ihnen zukommenden Gewichtung in die Abwägungs- und Genehmigungsentscheidung einzustellen. Im Regelfall wird sich die Genehmigungsbehörde nicht über ein nicht erteiltes Einvernehmen der Kommune hinwegsetzen, sondern mit den Beteiligten geeignete Lösungen im Rahmen des formellen Genehmigungsverfahrens erarbeiten, um alle Möglichkeiten für ein verträgliches Miteinander der Siedlungsbereiche und Betriebsbereiche im Sinne der Seveso-III-Richtlinie auszuschöpfen. 62 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 5 Weitere Vorgehensweise Das städtebauliche Entwicklungskonzept soll als Leitbild und Abwägungsgrundlage für die künftige Bauleitplanung und Vorhabengenehmigung innerhalb der angemessenen Abstände dienen. Durch den Beschuss als städtebauliches Entwicklungskonzept i. S. d. § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB stellt es einen wesentlichen Beitrag zur planerischen Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB im Rahmen der Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes und der Erarbeitung von Bebauungsplänen der Stadt Wesseling dar. Beteiligungsverfahren Im Weiteren ist für das städtebauliche Entwicklungskonzept (Entwurf) die Durchführung eines Beteiligungsverfahrens analog zu Bauleitplanverfahren nach dem Baugesetzbuch vorgesehen. Nach Beschluss des Fachausschusses soll die Beteiligung der betroffenen Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange sowie der Öffentlichkeit analog § 4 BauGB erfolgen. Die Behörden/Träger öffentlicher Belange erhalten die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes der Stadt Wesseling; gleiches gilt für die Nachbarkommunen. Die Beteiligung der Öffentlichkeit zum Entwurf des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes zur Seveso-III-Richtlinie soll im Rahmen der Offenlage der Konzeptunterlagen für die Dauer eines Monats im Rathaus der Stadt Wesseling sowie durch eine Bürgerinformationsveranstaltung erfolgen. Die Bürgerschaft erhält dabei Gelegenheit zur Information und Diskussion sowie zur Stellungnahme zum Entwurf des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes der Stadt Wesseling. Mit dieser Vorgehensweise wird dem Artikel 15 der Seveso-III-Richtlinie entsprochen, der konkrete Vorgaben zur Öffentlichkeitsbeteiligung enthält. Die vorgebrachten Stellungnahmen aus der Beteiligung der Behörden sowie sonstiger Träger öffentlicher Belange und der Bürgerschaft werden bei der weiteren Bearbeitung des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes sachgerecht geprüft und in die Abwägung aller privaten und öffentlichen Belange analog § 1 Abs. 7 BauGB eingestellt. Die Stellungnahmen sowie Vorschläge zur Abwägung werden dem Fachausschuss und dem Rat zur Abwägung und Beschlussfassung über das städtebauliche Entwicklungskonzept gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB vorgelegt. Ratsbeschluss Der § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB bietet die Möglichkeit, die Ergebnisse eines von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes oder einer von ihr beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planung bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu berücksichtigen. Nach Beschluss des Rates der Stadt Wesseling wird das städtebauliche Entwicklungskonzept zur Seveso-III-Richtlinie eine wichtige Abwägungsgrundlage für die Verwaltungspraxis bei Planungs- und Genehmigungsentscheidungen darstellen. Bei der Aufstellung der Bauleitpläne wird das Entwicklungskonzept als städtebaulicher Belang mit allen anderen öffentlichen und privaten Belangen gegeneinander und untereinander gerecht abgewogen (§ 1 Abs. 7 BauGB) und in die jeweilige Einzelfallentscheidung eingestellt. Die rechtsverbindliche Umsetzung des informellen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes zur Seveso-III-Richtlinie bleibt jedoch den formellen Instrumenten (Flächennutzungsplan, 63 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Bebauungspläne, sonstige Satzungen nach BauGB, baurechtliche Genehmigungsentscheidungen) vorbehalten. Für die Stadt Wesseling ist daher ein erheblicher Handlungsbedarf abzuleiten. Zum einen ist das städtebauliche Entwicklungskonzept zur Seveso-III-Richtlinie bei der aktuellen Neuaufstellung des Flächennutzungsplanes für das gesamte Stadtgebiet zu berücksichtigen und es sind ausgewogene Planungsvorschläge für die Ebene der vorbereitenden Bauleitplanung zu erarbeiten. Zum anderen sind, neben der erforderlichen Berücksichtigung bei der laufenden und künftigen Bauleitplanung, die rechtsverbindlichen Bebauungspläne bezüglich der erforderlichen Änderung bzw. Anpassung auf Grund der Seveso-III-Thematik zu überprüfen. Mit dem vorliegenden städtebaulichen Entwicklungskonzept kann den langfristig orientierten Zielen und Anforderungen des Artikels 13 Seveso-III-Richtlinie entsprochen werden. Das städtebauliche Entwicklungskonzept soll in ca. fünf Jahren nach dem Ratsbeschluss in Abstimmung zwischen den Bereichen Bauaufsicht und Stadtplanung sowie sonstigen Fachbehörden, die das Konzept anwenden, überprüft und evaluiert werden. Sofern sich anhand neuer Gesetzesvorgaben oder Rechtsprechungen die Notwendigkeit zur Anpassung bzw. Änderung des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes ergibt, erfolgt eine Fortschreibung. 64 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 6 Quellen Gesetze, Verordnungen und Richtlinien 12. BImSchV, zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV), in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Juni 2005 (BGBl. I S. 1598) BauGB (Baugesetzbuch) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I S. 2414), die aktuell geltende Fassung BauNVO (Baunutzungsverordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990 (BGBl. I S. 132), die aktuell geltende Fassung BImSchG (Bundes-Immissionsschutzgesetz), Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge, in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), die aktuell geltende Fassung Gesetzesentwurf der Bundesregierung (18/9417), Deutscher Bundestag, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates, 18. Wahlperiode, 17.08.2016 Seveso-Richtlinie 82/501/EWG, RICHTLINIE DES RATES vom 24 . Juni 1982 über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten Seveso-II-Richtlinie 96/82/EG, RICHTLINIE DES RATES vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen Seveso-III-Richtlinie 2012/18/EU, RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates Urteile und Beschlüsse EuGH (Europäischer Gerichtshof), Urteil vom 15.09.2011 – C 53/10 BVerwG (Bundesverwaltungsgericht), Beschluss vom 03.12.2009 – 4 C 5.09 BVerwG (Bundesverwaltungsgericht), Urteil vom 19.04.2012 – 4 CN 3.11 BVerwG (Bundesverwaltungsgericht), Urteil vom 20.12.2012 – 4 C 11.11 65 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Technische Regelwerke KAS-18, Kommission für Anlagensicherheit beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Leitfaden, Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung – Umsetzung § 50 BImSchG, erarbeitet von der Arbeitsgruppe „Fortschreibung des Leitfadens SFK/TAA-GS-1“, 2. Überarbeitete Fassung, November 2010 KAS-32, Kommission für Anlagensicherheit beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Arbeitshilfe, szenarienspezifische Fragestellungen zum Leitfaden KAS-18, im November 2014 von der KAS verabschiedet. Gutachten Gutachten zur Verträglichkeit von Störfall-Betriebsbereichen im Stadtgebiet Wesseling unter dem Gesichtspunkt des § 50 BImSchG bzw. der Seveso-II-Richtlinie (Artikel 12), TÜV NORD Systems GmbH & Co. KG, Bereich Energietechnik, Dipl. -Ing. Jürgen Farsbotter, Dipl. -Ing. Sibylle Mayer, Essen, März 2015 Gutachten zur Verträglichkeit von Störfall-Betriebsbereichen im Stadtgebiet Wesseling unter dem Gesichtspunkt des § 50 BImSchG bzw. der Seveso-III-Richtlinie (Artikel 13), TÜV NORD Systems GmbH & Co. KG, Bereich Energietechnik, Dipl.-Ing. Jürgen Farsbotter, Dipl.Ing. Sibylle Mayer, Essen, Dezember 2015 Weiterführende Informationen Arbeitshilfe „Berücksichtigung des Art. 12 Seveso-II-Richtlinie im baurechtlichen Genehmigungsverfahren in der Umgebung von unter die Richtlinie fallenden Betrieben“, Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz, beschlossen am 11. März 2015 Bauprüfdienst (BPD) 4/2013, Störfallbetriebe und schutzwürdige Nutzungen im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren und im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren und im immissionsschutzrechtlichen Beteiligungsverfahren, Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt – Amt für Bauordnung und Hochbau, Hamburg, April 2013 Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung (18/9417), Deutscher Bundestag, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates, 18. Wahlperiode, 17.08.2016 Entscheidungshilfen der Berliner Bauaufsicht, Bauordnung Berlin, § 70 Immissionsschutzrechtliche Belange im Rahmen der Seveso-II-Richtlinie, Rundschreiben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung um Umwelt vom 03.07.2012, im Internet abrufbar unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/bauaufsicht/de/ehb/senstadt/print/bauobln/70/35 44.shtml (letzter Zugriff am 07.11.2016) 66 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Gesamtstädtisches Gutachten der Stadt Leverkusen, Erstellung eines Konzeptes für die Stadtentwicklung unter dem Aspekt des § 50 BImSchG und Artikel 12 der Seveso-IIRichtlinie (Seveso-II-Konzept), TÜV Rheinland Industrie Service GmbH, Stand 11.08.2015, Ratsbeschluss vom 14.09.2015, Köln Städtebauliches Entwicklungskonzept Rheinfelden (Baden) zur Seveso-III-Richtlinie sowie Arbeitshilfe für baurechtliche Genehmigungsverfahren, Entwurf, Stadtverwaltung Rheinfelden (Baden), Stadtbauamt / Abt. 601, Stand 12.05.2016, Rheinfelden (Baden) Städtebaurecht, Einführung und Handbuch, Schmidt-Eichstaedt/Weyrauch/Zemke, 5., überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart Dezember 2013 Städtebauliche Entwicklung im Umfeld von Störfallbetrieben, Teil 1: Rechtliche und fachliche Überlegungen zum Umgang mit den „Abstandsgebot“ des Art. 13 der Seveso-III-Richtlinie, Prof. Dr. Michael Uechtritz, Dipl.-Ing. Jürgen Farsbotter, in Baurecht, Heft 12, Dezember 2015, Seiten 1893-2025, Werner Verlag Städtebauliche Entwicklung im Umfeld von Störfallbetrieben, Teil 2: Steuerung durch gesamtstädtische Konzepte, Prof. Dr. Michael Uechtritz, Dipl.-Ing. Jürgen Farsbotter, in Baurecht, Heft 1, Januar 2016, Seiten 48-59, Werner Verlag Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen 2016, Mitteilung – Bauen und Vergabe, StGB NRW-Mitteilung vom 04.11.2016, Deutschland setzt Seveso-III-Richtlinie um, im Internet abrufbar https://www.kommunen-in-nrw.de/index.php?id=61&np_stgb%5bdocument%5d (letzter Zugriff am 04.11.2016) Stellungnahme zum Bauvorhaben Traunsteiner Straße/West-Devon-Straße, Seite 6, Rechtsanwalt Schmitz, Lenz und Johlen, 15.06.2015, Köln Kommentar, Baugesetzbuch, Hrsg. Prof. Dr. Willy Spannowsky, Prof. Dr. Michael Uechtritz, Verlag C. H. Beck München 2009 67 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF 7 Anlagenverzeichnis Anlage 1: Begriffsdefinitionen Anlage 2: Plankarte städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie (Maßstab 1:10.000) 68 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Anlagen 69 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Anlage 1: Begriffsdefinitionen ACHTUNGSABSTAND – gemäß dem Leitfaden KAS-18 technisch ermittelter Abstand zum jeweiligen Betriebsbereich62. ANGEMESSENER ABSTAND – werden die Achtungsabstände im Einzelfall unterschritten, ist ausgehend von der konkreten Lage und Beschaffenheit des Betriebsbereiches systematisch zu beurteilen, welcher Abstand im konkreten Einzelfall angemessen ist. Dabei werden die getroffenen Vorkehrungen und Maßnahmen zur Verhinderung von Störfällen und zu deren Begrenzung berücksichtigt, sodass sich andere Szenarien für die Abstandsermittlung als in Kapitel 3.1 des KAS-18 ergeben können63. Zur Ermittlung der angemessenen Abstände ist eine gutachterliche Untersuchung anhand der konkreten Situation vor Ort notwendig. BETRIEBSBEREICH – der gesamte unter der Aufsicht eines Betreibers stehende Bereich, in dem gefährliche Stoffe im Sinne der Seveso-III-Richtlinie zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen, in einer oder mehreren Anlagen einschließlich gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen und Tätigkeiten einschließlich Lagerung der in der Richtlinie bezeichneten Mengen tatsächlich vorhanden oder vorgesehen sind oder vorhanden sein werden, soweit davon auszugehen ist, dass die genannten gefährlichen Stoffe bei einem außer Kontrolle geratenen industriellen chemischen Verfahren anfallen64. DENNOCH-SZENARIO – ein Szenario, das trotz aller notwendigen störfallverhindernden Maßnahmen „dennoch“ auftreten kann. Diese Szenarien bilden die Grundlage für die Notfallplanung, die sich aufgabengemäß auf die größten zu unterstellenden Szenarien vorbereiten muss65. In der StörfallV (12. BImSchV) wird in vernünftigerweise auszuschließende und vernünftigerweise nicht auszuschließende Gefahrenquellen (§ 3 Abs. 2 StörfallV) unterschieden. Vernünftigerweise nicht auszuschließende Gefahrenquellen können zu Störfällen führen, die zu verhindern sind, indem Vorkehrungen nach § 3 Abs. 1 StörfallV berücksichtigt werden müssen. Vernünftigerweise auszuschließende Gefahrenquellen können zu sogenannten „Dennoch-Störfällen“ führen, deren Eintreten zwar zu verhindern ist, gegen deren Auswirkungen jedoch unabhängig von den störfallverhinderten Vorkehrungen nach § 3 Abs. 1 StörfallV störfallauswirkungsbegrenzende Vorkehrungen zu treffen sind (§ 3 Abs. 3 StörfallV). Das Versagen von Vorkehrungen nach § 3 Abs. 1 StörfallV stellt beispielsweise ebenso wie das zeitgleiche Wirksamwerden mehrerer voneinander unabhängiger Gefahrenquellen eine vernünftigerweise auszuschließende Gefahrenquelle dar, die zu einem „Dennoch-Störfall“ führen kann66. GEFÄHRLICHER STOFF – ein Stoff oder ein Gemisch, der/das unter Anhang I Teil 1 der Seveso-III-Richtlinie fällt oder in Anhang I Teil 2 der Seveso-III-Richtlinie aufgeführt ist, einschließlich in Form eines Rohstoffs, eines Endprodukts, eines Nebenprodukts, eines Rückstands oder eines Zwischenprodukts67. 62 KAS-18, Nr. 3.1 KAS-18, Nr. 3.2 64 BImSchG, § 3 Abs. 5a 65 KAS-18, Nr. 2.2.2 66 Arbeitshilfe, Anhang 1 67 96/82/EG, Seveso-III-Richtlinie, Artikel 3 Nr. 10 63 70 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF SCHÄDLICHE UMWELTEINWIRKUNGEN – Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen68. SCHWERER UNFALL – ein Ereignis, z. B. eine Emission, ein Brand oder eine Explosion größeren Ausmaßes, das sich aus unkontrollierten Vorgängen in einem unter die Seveso-IIIRichtlinie fallenden Betrieb ergibt, das unmittelbar oder später innerhalb oder außerhalb des Betriebs zu einer ernsten Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt führt und bei dem ein oder mehrere gefährliche Stoffe beteiligt sind69. STAND DER SICHERHEITSTECHNIK – der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Verhinderung von Störfällen oder zur Begrenzung ihrer Auswirkungen gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Sicherheitstechnik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg im Betrieb erprobt worden sind70. STÖRFALLBETRIEB – ein Betrieb mit einem Betriebsbereich i. S. d. § 3 Abs. 5a BImSchG und der Seveso-III-Richtlinie (siehe auch Betriebsbereich). STÖRFALLVERORDNUNG – die 12. Verordnung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, 12. BImSchV (siehe auch Kapitel 2.3.2). SCHUTZBEDÜRFTIGE NUTZUNG – ein im Sinne der Seveso-III-Richtlinie schutzbedürftiges Gebiet bzw. Einzelobjekt. Die Richtlinie benennt als grundsätzlich schutzbedürftig „Wohngebiete, öffentlich genutzte Gebäude und Gebiete, Erholungsgebiete und – soweit möglich – Hauptverkehrswege“ sowie „… unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvolle bzw. besonders empfindliche Gebiete“71. Baugebiete i. S. d. BauNVO mit dauerhaften Aufenthalt der Menschen, reine Wohngebiete (WR), allgemeine Wohngebiete (WA), besondere Wohngebiete (WB), Dorfgebiete (MD), Mischgebiete (MI) und Kerngebiete (MK), Sondergebiete sofern der Wohnanteil oder die öffentliche Nutzung überwiegt, wie z. B. Campingplätze, Gebiete für großflächigen Einzelhandel, Messen, Schulen/Hochschulen, Kliniken, Gebäude und Anlage zum nicht nur dauerhaften Aufenthalt von Menschen oder sensible Einrichtungen, wie Anlagen für soziale, kirchliche, kulturelle, sportliche und gesundheitliche Zwecke, wie z. B. Schulen, Kindergärten, Altenheime, Krankenhäuser, öffentlich genutzte Gebäude und Anlagen mit Publikumsverkehr, z. B. Einkaufszentren, Hotels, Parkanlagen. Hierzu gehören auch Verwaltungsgebäude, wenn diese nicht nur gelegentlich Besucher (z. B. Geschäftspartner) empfangen, die der Obhut der zu besuchenden Person in der Weise zuzuordnen sind, dass sie von dieser Person im Alarmierungsfall hinsichtlich ihres richtigen Verhaltens angehalten werden können72. TRENNUNGSGRUNDSATZ – Grundsätzlich zu berücksichtigender Planungsgrundsatz, der im § 50 BImSchG verankert ist und Regelungen bezüglich der Anordnung von raumbedeutsamen Vorhaben enthält, um schädliche Auswirkungen von schweren Unfällen zu vermeiden (siehe auch Kapitel 2.3.1). 68 BImSchG, § 3 Abs. 1 96/82/EG, Seveso-III-Richtlinie, Artikel 3 Nr. 10 70 Störfall-Verordnung 12. BImSchV, § 2 Abs. 5 71 96/82/EG, Seveso-III-Richtlinie, Artikel 3 72 KAS-18, Nr. 2.1.2 69 71 Städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie ENTWURF Anlage 2: Plankarte städtebauliches Entwicklungskonzept der Stadt Wesseling zur Seveso-III-Richtlinie (Maßstab 1:10.000) 72