Daten
Kommune
Kreis Euskirchen
Größe
125 kB
Datum
10.12.2014
Erstellt
05.12.14, 12:09
Aktualisiert
05.12.14, 12:09
Stichworte
Inhalt der Datei
Oktober 2014
Gemeinsames Positionspapier zu internationalen
Handelsabkommen und kommunalen Dienstleistungen
Die kommunalen Spitzenverbände und der Verband kommunaler Unternehmen begleiten konstruktiv
die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und weitere Freihandelsabkommen. Sie unterstützen das mit den Abkommen verfolgte Ziel, durch den Abbau
von Handelshemmnissen und die Verbesserung der Investitionsbedingungen die Schaffung von Arbeitsplätzen zu befördern. Freihandelslabkommen bergen jedoch auch erhebliche Risiken für Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, die durch die Kommunen und ihre Unternehmen verantwortet und
erbracht werden. Beeinträchtigungen dieser, für die Bürgerinnen und Bürger wichtigen Dienstleistungen durch Freihandelsabkommen müssen ausgeschlossen werden. Städte, Gemeinden, Landkreise
und kommunale Unternehmen fordern die auf europäischer und nationaler Ebene für die Verhandlungsführung und die letztendliche Zustimmung zu Freihandelsabkommen politisch Verantwortlichen
deshalb auf, die folgenden Punkte zu gewährleisten:
1. Kommunale Organisationsfreiheit bei der Daseinsvorsorge – Ausnahme von Marktzugangsverpflichtungen gewährleisten!
Kommunale Selbstverwaltung heißt auch Organisationsfreiheit der Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Kommunen verantworten die Leistungen der Daseinsvorsorge für Ihre Bürgerinnen
und Bürger. In ihrem Interesse wird vor Ort die jeweils beste Organisationsform gewählt. Das europäische Recht akzeptiert grundsätzlich den weiten Handlungsspielraum der Kommunen bei der Organisation der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Marktzugangsverpflichtungen
im Rahmen von Freihandelsabkommen, wie sie beispielsweise im TTIP vorgesehen werden sollen,
sind jedoch geeignet, diese kommunale Organisationsfreiheit auszuhöhlen: Sollten typische kommunale Dienstleistungen wie die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung, der Öffentliche Personennahverkehr, Sozialdienstleistungen, Krankenhäuser oder die Kultur Regeln zur Liberalisierung unterworfen werden, würde die derzeit garantierte umfassende Organisationsentscheidung von Kommunalvertretern durch rein am Wettbewerbsgedanken ausgerichtete einheitliche Verfahren ersetzt. Auch bei
bisher politisch bewusst nicht liberalisierten Bereichen der Daseinsvorsorge könnte die in Deutschland
vielfach übliche Eigenerbringung durch kommunale Unternehmen und Einrichtungen oder auch die
Regelung eines notwendigen Anschluss- und Benutzungserfordernisses unmöglich gemacht werden.
Daher fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU, dass die kommunale Daseinsvorsorge
von den Marktzugangsverpflichtungen im TTIP und allen weiteren Freihandelsabkommen ausgenommen wird. Der beste Weg dazu ist der sogenannte Positivlisten-Ansatz. Danach würden Dienstleistungen der kommunalen Daseinsvorsorge nur dann von Liberalisierungsvorschriften eines Handelsabkommens betroffen sein, wenn die entsprechenden Dienstleistungen bzw. Sektoren explizit in
dem Abkommen genannt würden. Daher fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU,
dass insbesondere die nicht-liberalisierten Bereiche der Daseinsvorsorge in einer Positivliste nicht erwähnt werden dürfen.
Sollte für das Prinzip des Marktzugangs im TTIP jedoch der Negativlistenansatz gewählt werden, wie
bereits im Rahmen des zwischen der EU und Kanada ausgehandelten Abkommens CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) geschehen, ist dort und in allen so verfahrenden Abkommen sicherzustellen, dass die nicht-liberalisierten Bereiche der Daseinsvorsorge ausdrücklich von der
Anwendung dieses Prinzips ausgenommen werden. In diesem Fall muss auch die Anwendung von
Stillstands- und Ratchetklauseln, mit denen bestehende Liberalisierungsniveaus nicht mehr verändert
werden könnten und das jeweils höchste Liberalisierungsniveau zum Standard erklärt wird, zwingend
ausgeschlossen werden. Dazu wäre nach gegenwärtigem Stand des TTIP die Aufnahme der nichtliberalisierten Bereiche der Daseinsvorsorge in den Annex II zum Dienstleistungskapitel notwendig.
2. Öffentliches Beschaffungswesen und Wettbewerbsrecht – Nicht über das europäische
Vergabe- und Konzessionspaket hinausgehen!
Die im vergangenen Jahr abgeschlossene Reform des europäischen Vergaberechts berücksichtigt an
vielen Stellen die kommunale Organisationsfreiheit im Bereich der Daseinsvorsorge. Der darin zum
Ausdruck gekommene politische Wille muss auch Leitschnur für die Verhandlungen von Handelsabkommen sein. Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU fordern daher, dass Regelungen zum
öffentlichen Beschaffungswesen und Wettbewerbsrecht in Handelsabkommen mit Auswirkungen auf
die kommunale Organisationsfreiheit nicht hinter dem reformierten europäischen Vergaberecht zurückbleiben dürfen. Daher fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU, dass die Erleichterungen für Inhouse-Vergaben und die interkommunale Zusammenarbeit sowie die Bereichsausnahmen für Rettungsdienste und die Wasserwirtschaft nicht durch die Hintertür eines Freihandelsabkommens auch nur ansatzweise in Frage gestellt werden dürfen.
3. Investorenschutz – Zuständigkeit der nationalen Gerichtsbarkeit auch für Investoren
aus Drittstaaten!
Regeln zum Investitionsschutz sind in Abkommen unter Staaten mit ausgeprägter rechtsstaatlicher
Tradition und ausreichendem Rechtsschutz vor nationalen Gerichten nicht notwendig. Jedenfalls darf
durch solche speziellen Regelungen Investoren nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, ihnen unliebsame, aber demokratisch legitimierte und rechtsstaatlich zustande gekommene politische und administrative Maßnahmen (z.B. Regulierung von Fracking zum Schutz der Trinkwasserressourcen) vor
internationalen Schiedsgerichten anzugreifen. Zwar können solche Schiedsgerichte lediglich Schadensersatz verhängen und keine Rücknahme von Maßnahme anordnen, doch alleine die Möglichkeit
einer ausufernden Schadensersatzforderung soll und kann Entscheidungen der öffentlichen Hand bereits im Vorfeld beeinflussen. Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU fordern, im TTIP und
den übrigen derzeit in der Verhandlung befindlichen Abkommen auf spezielle Investitionsschutzregelungen zu verzichten.
4. Umwelt- und Verbraucherschutz - Keine Verpflichtung zum Abbau von Schutzstandards!
Unterschiedliche Standards und Regulierungsansätze in der Umwelt- oder Verbraucherschutzpolitik
können als nicht-tarifäre Handelshemmnisse angesehen werden. Ziel dieser Maßnahmen ist in aller
Regel jedoch kein Protektionismus, sondern die Umsetzung eines gesellschaftlichen Konsenses über
Verbraucher- oder umweltpolitische Fragen. Umfasst sind z.B. die Zulassung bestimmter Pflanzenschutzmittel oder auch die Erzeugungsprozesse von Lebensmitteln. Die Anstrengungen zum Abbau
nicht-tarifärer Handelshemmnisse und zur Schaffung regulatorischer Kohärenz dürfen daher nicht dazu führen, dass der Handlungsspielraum der EU oder der Mitgliedstaaten, z.B. in ihrer Umweltpolitik
bestimmte als notwendig erachtete erhöhte Standards oder von Vertragspartnern abweichende Regulierungsansätze beizubehalten oder neu einzuführen, eingeschränkt wird. Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU fordern daher, dass bei unterschiedlichen Schutzniveaus die in der EU einheitlich oder national geltenden Standards auf keinen Fall mit einem vorrangigen Ziel des Abbaus von
Handelshemmnissen reduziert werden dürfen; dies gilt insbesondere für den Umwelt- und Verbraucherschutz.
5. Transparenz – Einbindung kommunaler Vertreter in Beratergruppen
Die Verhandlungsführung über so komplexe Fragestellungen, wie sie mit einem Freihandelsabkommen verbunden sind, erfordert Vertraulichkeit. Gleichwohl besteht aufgrund der umfassenden Auswirkungen eines solchen Abkommens schon bei diesen Verhandlungen auch ein berechtigtes Interesse
an Transparenz; die kommunalen Spitzenverbände und der VKU teilen dieses Interesse. Ein guter
Weg, beiden Interessen Genüge zu tun, ist u.a. die frühzeitige Einbindung relevanter Gruppen.
Das Abkommen sollte nicht nur der Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rates bedürfen, sondern auch der Zustimmung der Parlamente der 28 EU-Mitgliedsstaaten. In Deutschland sollten
nicht nur der Bundestag und der Bundesrat dem Freihandelsabkommen zustimmen müssen, sondern
es sollten auch die Kommunen an der Entscheidungsfindung beteiligt und über den jeweiligen Verhandlungsstand informiert werden, damit die Interessen aller staatlichen Ebenen gewahrt bleiben.
Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU begrüßen daher ausdrücklich die Einberufung eines
Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für TTIP unter Beteiligung der Kommunen. Sie fordern darüber hinaus eine Beteiligung der kommunalen Ebene und der öffentlichen Dienstleistungen in die bei der EU-Kommission bestehenden Beratergruppen.
6. TiSA - Kein Alleingang, der über die GATS und WTO hinausgeht!
Derzeit wird zudem von den USA, der EU und 20 weiteren Mitgliedern der Welthandelsorganisation
(WTO) das „Trade in Services Agreement“ (TiSA) verhandelt. Ziel dieser Verhandlungen ist der Abbau
von Handelshemmnissen im öffentlichen Dienstleistungssektor, um neue Marktchancen zu eröffnen.
Diese Verhandlungen werden sehr vertraulich geführt. Auch für dieses Abkommen fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU, dass die öffentliche Daseinsvorsorge und damit der öffentliche Dienstleistungssektor nicht betroffen sein dürfen. Die entsprechenden Standards dürfen nicht
über das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade
in Services – GATS) hinausgehen. Der öffentliche Dienstleistungssektor und die demokratisch legitimierte Verantwortung vor Ort dürfen keinesfalls im Zuge von partiellen wirtschaftlichen Interessen zum
Nachteil der Daseinsvorsorge in Deutschland beeinträchtigt werden. Die Organisationsfreiheit der
Kommunen als einer der Kernbereiche des kommunalen Selbstverwaltungsrechts muss sichergestellt
und Rekommunalisierungen nach den Gegebenheiten vor Ort und auf Basis des lokalen Wählerwillens uneingeschränkt möglich bleiben. Wir fordern für das TiSA-Abkommen ebenfalls eine breitere
Einbindung der betroffenen Öffentlichkeit, die Verfolgung eines Positivlistenansatzes sowie die Wahrung des geltenden Vergaberechts.