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Wesseling
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Datum
08.03.2016
Erstellt
01.02.16, 17:06
Aktualisiert
01.02.16, 17:06
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Beitragssatzungen als Mittel zur Gewährleistung von Rechtssicherheit
und Verwaltungspraktikabilität
Von Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus, Berlin*
I. Einleitung
Das Bundesverwaltungsgericht hat am 21. Januar 2015 ein Urteil und zuvor schon am 12.
November 2014 zwei Urteile zum Erschließungsbeitragsrecht verkündet. Diese drei
Entscheidungen sind aus verschiedenen Gründen bemerkenswert. Sie betreffen eine
Ablösungsvereinbarung, das Verhältnis zwischen Klarstellungssatzung und Tiefenbegrenzung
sowie das Erschlossensein von Hinterliegergrundstücken. Alle drei könnten geeignet sein,
das an Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität zu gefährden, was insoweit bisher
durch einleuchtende Entscheidungsbegründungen, darauf aufbauende Berechenbarkeit und
Verlässlichkeit der Rechtsprechung erreicht worden ist. Deshalb drängt sich die Frage auf,
ob und ggfs. wie einer solchen Gefährdung durch Regelungen in der
Erschließungsbeitragssatzung begegnet werden kann und sollte. Überdies ist zu prüfen, ob
entsprechende Satzungsregelungen auch im Straßenbaubeitragsrecht angezeigt sein
könnten.1
Es ist allgemein anerkannt, dass sich der Inhalt von Beitragssatzungen nicht auf den vom
einschlägigen Bundes- oder Landesrecht vorgegebenen Mindestinhalt beschränken muss,
sondern – vornehmlich zur Information der Beitragspflichtigen und damit auch im Interesse
der Rechtssicherheit – überdies ergänzende Bestimmungen enthalten darf.2 Diese
ergänzenden Bestimmungen sind jedoch wirksam nur, wenn sie nicht im Widerspruch zu
(höherrangigen) Vorgaben des Bundes- oder Landesrechts stehen.3
II. Ablösungsvereinbarung – Missbilligungsgrenze
1a) § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB erlaubt es der Gemeinde, mit einem (zukünftig)
beitragspflichtig werdenden Grundeigentümer einen Vertrag zu schließen, nach dem mit
Zahlung eines vereinbarten Ablösebetrags die anderenfalls später entstehende
Erschließungsbeitragspflicht “abgelöst“ wird. Die durch die Zahlung eintretende
Ablösungswirkung nimmt einerseits dem Grundeigentümer grundsätzlich die Möglichkeit,
später – im Hinblick auf die Höhe des rechnerisch auf sein Grundstück entfallenden
Erschließungsbeitrags – eine Überzahlung erstattet zu bekommen, und andererseits der
Gemeinde das Recht zur Erhebung einer Nachforderung. Etwas anderes gilt indes dann,
wenn nach Abschluss eines Ablösungsvertrags Entwicklungen eingetreten sind, die – weil
jenseits ablösungstypischer Risiken liegend – eine Aufrechterhaltung der vertraglichen
Bindungen haben unzumutbar werden lassen und denen durch gleichsam allgemein1
Bei diesem Aufsatz handelt es sich teilweise um einen Nachdruck eines Beitrags, der unter einem ähnlichen
Titel in der KStZ 2015,73 ff. veröffentlicht worden ist.
2
Vgl. einerseits zum Erschließungsbeitragsrecht Driehaus in Schlichter u.a., Berliner Kommentar zum BauGB, §
132 Nr. 10, und andererseits zum Straßenbaubeitragsrecht Driehaus in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8
Rdn. 253 ff.
3
Siehe etwa Driehaus, Abgabensatzungen, § 9 Rdn. 1.
1
vertragliche Konsequenzen von Erschütterung bis Wegfall der Geschäftsgrundlage Rechnung
zu tragen ist. Zu den ablösungstypischen und deshalb die Verbindlichkeit eines
Ablösungsvertrags unberührt lassenden Risiken zählen u.a. eine nachfolgende Änderung des
Bebauungsplans und der satzungsmäßigen Verteilungsregelung, eine Abweichung in der
Höhe des Erschließungsaufwands einschließlich einer inflationsbedingten Steigerung dieses
Aufwands sowie eine Veränderung des Abrechnungsgebiets, so dass kaum relevante Risiken
verbleiben, die als ablösungsuntypisch zu werten und deshalb geeignet sind, die
Bindungswirkung eines Ablösungsvertrags zu beeinträchtigen.
Vor diesem Hintergrund hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts4 entschieden,
unabhängig von diesen Risiken stießen Ablösungsverträge an eine spezifisch
erschließungsbeitragsrechtliche Grenze, wenn sich herausstelle, dass der vereinbarte
Ablösebetrag den durch ihn ersetzten Erschließungsbeitrag mehr oder weniger total
verfehle. Diese durch das Erschließungsbeitragsrecht gezogene Grenze sei überschritten,
wenn sich im Rahmen einer von der Gemeinde durchgeführten Beitragsabrechnung
herausstelle, dass der Betrag, der dem betroffenen Grundstück als Erschließungskosten
zuzuordnen sei, das Doppelte oder mehr als das Doppelte bzw. die Hälfte oder weniger als
die Hälfte des vereinbarten Ablösebetrags ausmache (sog. Missbilligungsgrenze).
b) Mit Urteil vom 21. Januar 20155 hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts an dieser
Missbilligungsgrenze nicht mehr festgehalten. Der vom ihm zu beurteilende Fall eines rein
preissteigerungsbedingten Überschreitens dieser Grenze zeige, dass sie „zu unbilligen
Ergebnissen führen kann“; es sei nicht gerechtfertigt, mit dem Unterschiedsbetrag zwischen
Erschließungsbeitrag und vereinbartem Ablösebetrag „einseitig den Bürger zu belasten“,
wobei wohl statt „Bürger“ „Grundeigentümer“ gemeint sein dürfte. Auch soweit aus
anderen, nicht preissteigerungsbedingten Gründen in Einzelfällen ein nicht mehr
tolerierbares Missverhältnis zwischen der Belastung eines Grundstücks mit
Erschließungskosten und dem ihm vermittelten Vorteil bestehen sollte, bedürfe es keiner
absoluten Grenze. Solchen Fällen könne vielmehr „nach den … seit langem allgemein
anerkannten Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anhand einer
Abwägung aller sich im Zusammenhang mit Ablösungsverträgen ergebenden Umstände und
gegenläufigen Interessen“ Rechnung getragen werden. Ein sich „danach möglicherweise
ergebendes Nacherhebungsrecht kann die Gemeinde indes nicht unmittelbar durch
Erschließungsbeitragsbescheid durchsetzen.“ Vielmehr bedarf es dazu ggfs. einer auf
Vertragsanpassung gerichteten Leistungsklage … oder des Rücktritts vom Ablösungsvertrag“.
2a) Ausgangspunkt für die Aufgabe der Missbilligungsgrenze durch den 9. Senat des
Bundesverwaltungsgerichts ist insbesondere die Annahme, ihre Anwendung könne bei einer
Überschreitung dieser Grenze sowie der daraus folgenden Unwirksamkeit des
Ablösungsvertrags zu einer Verpflichtung des betreffenden Grundeigentümers zur Zahlung
des Unterschiedsbetrags zwischen Erschließungsbeitrag und vereinbartem Ablösebetrag
führen und damit „zu unbilligen Ergebnissen“ zu Lasten des Bürgers. Dieser Ausgangspunkt
begegnet – auch abgesehen von der unzutreffenden Verwendung des Begriffs „Bürger“ –
4
5
BVerwG, Urteil v. 9.11.1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87,77 = DVBl 1991,447 = KStZ 1991,92.
BVerwG, Urteil v. 21.1.2015 – 9 C 1.14 - , ebenso BVerwG 9 C 2.14 bis 9 C 5.14 -.
2
Bedenken. Ist beispielsweise der Nachbar des Ablösungspartners Eigentümer eines gleich
großen und gleich baulich nutzbaren Grundstücks, hat dieser jedoch aus wohlerwogenen
Gründen seinerzeit den Abschluss eines Ablösungsvertrags abgelehnt und muss er jetzt
einen Erschließungsbeitrag von 10.000 € bezahlen, drängt sich nicht ohne weiteres die
Ansicht auf, es sei unbillig, wenn der Ablösungspartner anstatt des seinerzeit vereinbarten
Ablösebetrags von z.B. 2.500 € wie sein Nachbar den seinem Grundstück zuzuordnenden
Betrag von (ebenfalls) 10.000 € zu leisten hat. Im Gegenteil dürfte der Gesichtspunkt der
Beitragsgerechtigkeit für die durch die Missbilligungsgrenze bewirkte Gleichbehandlung
dieser beiden Eigentümer sprechen. Dies gilt umso mehr, als der Beitragsausfall, der durch
die Rechtsprechung des 9. Senats ausgelöst wird und der sich in dem Beispielsfall auf 7.500 €
beläuft, nur vordergründig zu Lasten der Gemeinde, in der Sache dagegen zu Lasten der
Allgemeinheit und damit „zu Lasten des Bürgers“ geht, nämlich zu Lasten aller Einwohner in
der betreffenden Gemeinde, die diesen Ausfall zu tragen haben. Es ist kein Gesichtspunkt
erkennbar, der die (anteilige) Belastung dieser Bürger mit dem Beitragsausfall gerechtfertigt
erscheinen lässt. Im Übrigen kann sich – und das sollte nicht vernachlässigt werden – die
Anwendung der Missbilligungsgrenze auch zugunsten von Ablösungspartnern auswirken,
nämlich wenn ein Ablösebetrag vereinbart worden ist, der ganz erheblich über dem Beitrag
liegt, der dem jeweiligen Grundstück bei einer Beitragsabrechnung zuzuordnen ist.
Doch mag das letztlich auf sich beruhen. Ungleich gewichtiger ist ein anderer Gesichtspunkt:
Die Missbilligungsgrenze ist von Anfang an als Instrument erkannt worden, um im Interesse
der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität Einzelfälle von nicht tolerierbaren
Missverhältnissen angemessen vorteilsgerecht und für alle Beteiligten ohne nennenswerten
Verwaltungsaufwand abzuwickeln. Deshalb hat der 8. Senat entschieden, für die Beurteilung
der Einhaltung bzw. des Überschreitens dieser Grenze sei abzustellen auf die im Rahmen
einer von der Gemeinde durchgeführten Beitragsabrechnung ohnehin gewonnenen Daten.
Die (Toleranz-)Grenze sei überschritten, wenn sich auf der Grundlage dieser Daten ergebe,
dass der dem betreffenden Grundstück zuzuordnende Beitrag das Doppelte oder mehr als
das Doppelte bzw. die Hälfte oder weniger als die Hälfte des vereinbarten Ablösebetrags
ausmacht. Fehlt es an solchen Daten, etwa weil mit allen Grundeigentümern eines
Abrechnungsgebiets Ablösungsverträge abgeschlossen worden sind und deshalb keine
Beitragsabrechnung stattfindet, ist folglich – entgegen der Annahme des 9. Senats – kein
Raum für die Anwendung der Missbilligungsgrenze.
b) Die mit der Einführung der Missbilligungsgrenze verbundenen Vorzüge gehen durch die
Aufgabe dieser Grenze verloren. An ihre Stelle tritt nach Ansicht des 9. Senats eine mit nicht
unerheblichen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten einhergehende Prüfung des
jeweiligen Einzelfalls. Dazu muss in einem ersten Schritt geklärt werden, wann angenommen
werden kann, es liege ein „nicht mehr tolerierbares Missverhältnis vor“. Sodann muss
entschieden werden, wie ein solches Missverhältnis ermittelt werden soll. Sind diese beiden
Fragen beantwortet, beginnt die eigentliche Beurteilung nach Maßgabe der allgemeinen
Grundsätze „über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anhand einer Abwägung aller sich im
Zusammenhang mit Ablösungsverträgen ergebenden Umstände und gegenläufigen
Interessen“. Insbesondere angesichts dieser Schwierigkeiten drängt sich die Frage auf, ob
nicht die Gemeinde die Missbilligungsgrenze durch eine entsprechende Regelung in der
Erschließungsbeitragssatzung wieder “einführen“ oder genauer: ob sie das durch eine
3
entsprechende Fassung der Bestimmungen (§ 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB) erreichen kann, die
bei einer Ablösung an die Stelle der für die Beitragserhebung erforderlichen Beitragssatzung
treten. Diese Bestimmungen sind für den Abschluss von Ablösungsverträgen das Gegenstück
zur allgemeinen Beitragssatzung.6 Sie können in Form von an die Verwaltung gerichteten
allgemeinen Anordnungen (Richtlinien) erlassen werden, doch ist die von den Gemeinden
regelmäßig geübte Praxis rechtlich nicht zu beanstanden, die Bestimmungen in die
Erschließungsbeitragssatzung aufzunehmen.7 Die aufgeworfene Frage ist zu bejahen, wenn
eine solche Regelung in den (in eine Erschließungsbeitragssatzung integrierten)
Ablösungsbestimmungen nicht höherrangigem Bundesrecht widerspricht.
Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat zwar entschieden, zur Abwicklung von
Einzelfällen nicht mehr tolerierbarer Missverhältnisse bedürfe es von Bundesrecht wegen
keiner absoluten Grenze. Damit hat er jedoch nicht erkannt, das Bundesrecht schließe eine
entsprechende ortsrechtliche Regelung aus. Diese Zurückhaltung leuchtet ein: Schon der
Erlass von Ablösungsbestimmungen und damit die Eröffnung des Wegs zum Abschluss von
Ablösungsverträgen liegt im Ermessen der Gemeinde. Das Bundesrecht versagt ihr dementsprechend nicht das Recht, diese Bestimmungen einzuschränken. So kann sie z.B. nach
ihrem Ermessen die Möglichkeit zum Abschluss von Ablösungsverträgen räumlich
beschränken, also eine solche Möglichkeit nur für bestimmte, nach sachlichen Kriterien
unterscheidbare abgrenzbare Bereiche im Gemeindegebiet schaffen.8 Auch mit Blick auf den
Inhalt der Ablösungsbestimmungen verzichtet das Bundesrecht weitgehend auf Vorgaben.
Ziel der Bestimmungen ist lediglich, eine gleichmäßige Handhabung aller Ablösungsfälle in
einem Abrechnungsgebiet sicher zu stellen. Das Bundesrecht verlangt deshalb einzig die
Festlegung der die Höhe des Ablösebetrags entscheidend beeinflussenden Kriterien, d.h.
Angaben dazu, wie der voraussichtlich entstehende Aufwand ermittelt und verteilt werden
soll. Angesichts dieser weitgehenden Offenheit des Bundesrechts ist nicht ersichtlich, dass
durchgreifende Bedenken dagegen bestehen, wenn eine Gemeinde in ihren
Ablösungsbestimmungen im Interesse der Rechtssicherheit und der
Verwaltungspraktikabilität das Wirksambleiben von Ablösungsverträgen von der Einhaltung
des durch die Missbilligungsgrenze gesteckten Rahmens abhängig macht.9 Denn mit einer
solchen Beschränkung wird das mit diesen Bestimmungen verfolgte gesetzgeberische Ziel,
eine gleichmäßigen Handhabung aller Ablösungsfälle zu sichern, nicht nur nicht verfehlt,
sondern es wird durch eine solche generalisierende Regelung die Erreichung dieses Ziels
sogar nachhaltig gefördert.
III. Verhältnis zwischen Klarstellungssatzung und satzungsmäßiger Tiefenbegrenzung
1a) In dem der Entscheidung vom 12. November 2014 in der Sache BVerwG 9 C 7.1310
zugrunde liegenden Fall hatte das Bundesverwaltungsgericht (einzig) zu beurteilen, ob für
die Ermittlung der erschlossenen Grundfläche eines Anliegergrundstücks die in der
6
BVerwG, Urteil v. 9.11.1990 – 8 C 36.89 – BVerwGE 87,77 = DVBl 1991,447 = KStZ 1991,92.
BVerwG, Urteil v. 29.1.1982 – 8 C 24.81 - BVerwGE 64,361 = DVBl 1982,550 = KStZ 1982,129.
8
BVerwG, Urteil v. 29.1.1982 – 8 C 24.81 – BVerwGE 64,361 = DVBl 1982,550 = KStZ 1982,129.
9
Sofern sich eine Gemeinde zur Aufnahme einer solchen Regelung in ihre Erschließungsbeitragssatzung
entschließt, empfiehlt es sich, ihren Inhalt zusätzlich in jeden einzelnen Ablösungsvertrag zu übernehmen.
10
BVerwG, Urteil v. 12.11.2014 – 9 C 7.13 – NVwZ 2015,298 = BWGZ 2015,188.
7
4
Erschließungsbeitragssatzung angeordnete Tiefengrenze oder die hinter dieser Tiefengrenze
zurückbleibende, durch eine Klarstellungssatzung (§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB)
begründete Grenze maßgebend ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu erkannt, die
„grundstückbezogene und genauere satzungsrechtliche Regelung“ der Klarstellungssatzung
gehe „als speziellere Regelung“ der „stärker typisierenden Tiefenbegrenzung“ vor, d.h. eine
nur einzelne im Zusammenhang bebaute Ortsteile betreffende Klarstellungssatzung als
speziellere ortsrechtliche Regelung verdränge dort, wo die von ihr festgesetzte Grenze hinter
der sich aus der satzungsmäßigen Tiefenbegrenzung ergebenden Grenze zurückbleibe, die
allgemeinere, Grundstücke im gesamten Gemeindegebiet erfassende, ebenfalls
ortsrechtliche Tiefenbegrenzungsregelung. Diese Ansicht überzeugt; sie „entspricht der
allgemeinen (Kollisions-)Regel, nach der spezielles Recht allgemeinem Recht der gleichen
Rangstufe vorgeht“.11
b) Ohne dass es von dem zu beurteilenden Sachverhalt veranlasst war, fährt das
Bundesverwaltungsgericht – vor dem geschilderten Hintergrund – überraschend fort, „der
Vorrang einer Klarstellungssatzung gilt hingegen nicht, wenn und soweit sie die
satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung überschreitet“. In den drei folgenden Sätzen des
Urteils zeigt das Bundesverwaltungsgericht die Folgen dieser Rechtsansicht auf, begründet
aber nicht, warum hier die zuvor dargestellte allgemeine (Kollisions-)Regel nicht eingreifen
soll. Angesichts dieses Begründungsmangels entbehrt die nur als These zu verstehende
Aussage des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts jeder Überzeugungskraft. Zwar mag
es für sie nachvollziehbare Erwägungen geben. Doch drängt sich diese These nicht schon
gleichsam von selbst auf und ist folglich geeignet, Rechtsunsicherheit zu verbreiten. Diese
Rechtsunsicherheit wird noch verstärkt dadurch, dass in der - soweit ersichtlich –
überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung12 und Literatur13 eine andere Auffassung
vertreten wird.
Deshalb liegt es nicht fern, hier ebenfalls zu erwägen, ob nicht diese Rechtsunsicherheit
durch eine Satzungsvorschrift ausgeräumt werden sollte, die Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz
1 Nrn. 2 und 3 BauGB einschließt. In der Praxis enthalten gelegentlich vor allem in
Niedersachsen Erschließungsbeitragssatzungen bereits eine solche Vorschrift im
Zusammenhang mit der Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche im Rahmen der
Verteilungsregelung. Danach gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken im
Geltungsbereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 BauGB die Gesamtfläche des
Grundstücks und bei Grundstücken, die teilweise im Bereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4
Satz 1 BauGB und im Übrigen im Außenbereich liegen, die Teilfläche im Bereich der Satzung
nach § 34 Abs. 4 Satz 1 BauGB. Eine solche Satzungsregelung ist im Interesse der
Rechtssicherheit zu begrüßen und es ist jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbar, dass und
ggfs. welcher höherrangigen gesetzlichen Vorgabe sie widersprechen könnte.
11
BVerwG, Urteil v. 12.4.1991 – 8 C 92.89 – Buchholz 406.11 § 135 BauGB Nr. 32 = ZKF 1992,85 = NVwZ
1991,999.
12
Vgl. dazu u.a. OVG Lüneburg, Urteil v. 21.9.1995 – 9 L 6639/93 – NdsVBl 1996,113, OVG Koblenz Urteil v.
20.9.2005 – 6 A 10898/05 – DVBl 2005,1598, und VGH Mannheim, Urteil v. 28.2.2008 – 2 S 1794/06 – BWGZ
2008,484.
13
Siehe u.a. Möller in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdn. 1886, und Lichtenfeld in FS Driehaus, 2005,
S. 125 Fn. 13, m.w.N.
5
2a) Noch überraschender ist in der hier behandelten Entscheidung des 9. Senats des
Bundesverwaltungsgerichts ein Satz, in dem „von dem der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegenden baurechtlichen Vorteilsbegriff“ die Rede ist.
Insoweit erübrigt sich jedoch eine vertiefende Betrachtung: Die Behauptung, das
Bundesverwaltungsgericht sei in ständiger Rechtsprechung vom baurechtlichen
Vorteilsbegriff ausgegangen, ist unzutreffend. Sie ist bereits im Urteil vom 1. September
200414aufgestellt worden, d.h. in einer Entscheidung, die wie keine andere zuvor und danach
auf breiten Widerspruch gestoßen ist.15 Der Wechsel vom baurechtlichen Vorteilsbegriff des
4. Senats zum beitragsrechtlichen, vom 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts seit Anfang
der 80iger Jahre des vorigen Jahrhunderts ständig vertretenen Vorteilsbegriff ist in der
obergerichtlichen Rechtsprechung16 und Literatur17 erkannt und vielfach gewürdigt worden.
Er ist zuletzt in einem ausführlichen Beitrag über die gesetzlichen Anforderungen an eine
(vorteils)gerechte Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands nochmals
eingehend nachgezeichnet und begründet worden.18 Selbstverständlich steht es dem 9.
Senat des Bundesverwaltungsgerichts frei, die zahlreichen für den beitragsrechtlichen
Vorteilsbegriff streitenden Argumente zu entkräften und wieder zum baurechtlichen
Vorteilsbegriff des 4. Senats dieses Gerichtes zurückzukehren. Doch ist erst dann Raum für
weitere, auf den baurechtlichen Vorteilsbegriff aufbauende Erwägungen, wenn diese
Begründungsobliegenheit – zumindest – einleuchtend erfüllt ist.
b) Für die Abrechnung beitragsfähiger Erschließungsanlagen sehr viel bedeutsamer ist indes
die Wiederholung der These aus dem Urteil vom 1. September 2004, eine satzungsrechtliche
Tiefenbegrenzung sei selbst auf vollauf im unbeplanten Innenbereich gelegene Grundstücke
anzuwenden. Auch diese These ist in Rechtsprechung19 und Literatur20 mit eingehenden
Begründungen ganz überwiegend abgelehnt worden. Insbesondere – so ist in der
obergerichtlichen Rechtsprechung21 in Übereinstimmung mit der Literatur22 wiederholt bis in
die jüngste Zeit hinein betont worden – führe die Anwendung der Tiefenbegrenzung auf
„vollauf im unbeplanten Innenbereich (“zentrale“ Innenbereichsgrundstücke) gelegene
Grundstücke … im Verhältnis zu den in vollem Umfang (in die Beitragsabrechnung)
einzubeziehenden Grundstücken, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegen“ zu
einer „nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung“.23 Der 9. Senat des
14
BVerwG, Urteil v. 1.9.2004 – 9 C 15.03 – BVerwGE 121,365 = DVBl 2004,55 = NVwZ 2004,1502
Vgl. u.a. Sauthoff in NVwZ 2005,743, Waibl in BayVBl 2005,55, Klausing in NST-N 2005,33, Kärgel in ZMR
2005,930, Uechtritz in VBlBW 2006,178, sowie Witt in Die Gemeinde Schleswig-Holstein 2006,135, siehe in
diesem Zusammenhang auch Wagner in HSGZ 2006,298.
16
Vgl. statt vieler OVG Bautzen, Urteil v. 22.8.2001 – 5 B 521/00 -, VGH Mannheim, Urteil v. 26.9.2003 – 2 S
793/03 – KStZ 2004,18 = DÖV 2004,258 = BWGZ 2003,856, und VGH München, Urteil v. 16.6.2004 – 6 B
00.1563.
17
U.a. Klausing in FS Driehaus, 2005, S. 88, Waibl in BayVBl 2005,250, Eiding in Spannowsky/Uechtritz, BauGB,
§ 131 Rdn. 26, und Löhr in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 131 Rdn. 21.
18
Vgl. im Einzelnen Driehaus in DVBl 2013,1422.
19
Statt vieler OVG Weimar, Urteil v. 25.6.2009 – 4 KO 615/08 – KStZ 2009,188 = DVBl 2009,1325
20
Siehe dazu u.a. die in Fußnote 12 angeführte Literatur.
21
U. a. schon OVG Frankfurt/Oder, Urteil v. 23.3.2000 – 2 A 226/98 – MittStGBbg 2000.213, und VGH
Mannheim, Urteil v. 23.9.2003 – 2 S 793/03 – a.a.O.
22
U.a. Uechtritz, a.a.O., und Driehaus in ZMR 2005,81.
23
VGH Kassel, Urteil v. 10.6.2014 – 5 A 337/13 – HSGZ 2015,60.
15
6
Bundesverwaltungsgerichts unterlässt es im Urteil vom 12. November 2014, auf die
ausführliche Kritik gegen seine Rechtsprechung näher einzugehen, und trägt damit dazu bei,
dass die insoweit schon bestehende Rechtsunsicherheit noch erheblich verstärkt wird.
c) Es ist nicht auszuschließen, dass sich hinter den Ausführungen des 9. Senats die – bisher
an keiner Stelle irgendwann geäußerte – Vorstellung verbirgt, einer satzungsmäßigen
Tiefenbegrenzungsregelung komme gleichsam ein Doppelfunktion zu, nämlich zum einen
eine von § 133 Abs. 1 Satz 2 BauGB ausgelöste Funktion einer generalisierenden Abgrenzung
des Innen- vom Außenbereich (Abgrenzungsfunktion) und zum anderen eine aus § 131 Abs.
1 Satz 1 BauGB abgeleitete Funktion einer generalisierenden Beschränkung der
Erschließungswirkung bei Grundstücken, die vollauf im unbeplanten Innenbereich liegen
(Beschränkungsfunktion). Sofern das zutreffen sollte, stellte sich die Frage, ob diesen beiden
Funktionen durch eine einheitliche metrische Festlegung (Tiefengrenze) in der
Erschließungsbeitragssatzung genügt werden kann oder ob dazu nicht – nach
unterschiedlichen Kriterien zu ermittelnde – verschiedene metrische Festlegungen oder
genauer: zwei verschiedene satzungsmäßige Tiefenbegrenzungsregelungen erforderlich sein
dürften
Hinzu kommt Folgendes: Übergroße, vollauf im unbeplanten Innenbereich gelegene
Grundstücke sind typischerweise zwischen zwei (Anbau-)Straßen verlaufende Grundstücke.
Ein solches (durchlaufendes) Grundstück wird nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts „grundsätzlich durch jede dieser Straßen hinsichtlich seiner
gesamten Fläche erschlossen“24 „Der Grundsatz,“ – so betont das Bundesverwaltungsgericht
im Urteil vom 27. Juni 198525- „dass mehrfach erschlossene Grundstücke von jeder
erschließenden (Anbau-)Straße jeweils in ihrer gesamten Fläche erschlossen werden, bedarf
noch aus einem weiteren Grund der Unterstreichung: Die Annahme einer nur begrenzten
Erschließungswirkung ist geeignet, das zu unterlaufen, was von der Maßgeblichkeit des
(formalen) Buchgrundstücksbegriffs an Berechenbarkeit ausgeht. Zu einer ins Gewicht
fallenden Abweichung darf es jedoch nicht kommen“. Zu dieser Rechtsprechung steht die
Annahme, eine satzungsmäßige Tiefenbegrenzung könne auch eine Beschränkungsfunktion,
d.h. eine generalisierend alle (übertiefen) Grundstücke im unbeplanten Innenbereich
erfassende Beschränkung der Erschließungswirkung entfalten, in einem schwerlich
auflösbaren Widerspruch. Da mit Blick auf die hier in Rede stehenden durchlaufenden
Grundstücke bei der Abrechnung beider Straßen regelmäßig jeweils die Vergünstigung für
ein mehrfach erschlossenes Grundstück (sog. Eckgrundstücksvergünstigung) eingreift,
stellen sich bei Zugrundelegung der Auffassung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts
zum Anwendungsbereich einer Tiefenbegrenzung überdies eine Reihe weiterer, in der Praxis
nicht einfach zu beantwortender Fragen.
3) Kurzum: Die durch die Entscheidung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom
12. November 2014 ausgelösten bzw. richtiger: noch verstärkten Irritationen bedürfen im
Interesse der Rechtssicherheit und der Verwaltungspraktikabilität dringend einer Reaktion
des Ortsgesetzgebers. Das kann er mit geringem Aufwand – wie bereits in vielen Gemeinden
etwa in der Region Niedersachsen/ Hessen/Thüringen tatsächlich geschehen - durch eine
24
25
BVerwG, u.a. Urteil v. 10.2.1978 – 4 C 4.75 – Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 29 .
BVerwG, Urteil v. 27.6.1985 – 8 C 30.84 – BVerwGE 71,363 = KStZ 1986,51 = DVBl 1985,1180.
7
Bestimmung in seiner Erschließungsbeitragssatzung erreichen, nach der sich der
Anwendungsbereich der Tiefenbegrenzungsregelung auf Grundstücke beschränkt, die
teilweise im unbeplanten Innenbereich und im Übrigen im Außenbereich liegen. Gegen eine
dadurch bewirkte Beschränkung des Anwendungsbereichs einer satzungsmäßigen
Tiefenbegrenzungsregelung bestehen bundesrechtlich schon deshalb keine Bedenken, weil
die Gemeinde nicht verpflichtet ist, überhaupt Tiefenbegrenzungsregelungen in ihre Satzung
aufzunehmen und es ihr deshalb auch freisteht, nach Maßgabe sachlich begründeter
Erwägungen eine Tiefenbegrenzung mit eingeschränktem Anwendungsbereich zu
beschließen.
IV. Gefangene und nicht gefangene Hinterliegergrundstücke bei Eigentümeridentität
1a) In der Sache BVerwG 9 C 4.13 hatte das Bundesverwaltungsgericht am 12. November
2014 zu entscheiden, ob ein in einem beplanten Wohngebiet gelegenes, von der
abzurechenden Anbaustraße A durch ein Vorderliegergrundstück (Anliegergrundstück)
getrenntes, mit seiner rückwärtigen Teilfläche an den ebenfalls befahrbaren E-Weg
angrenzendes Grundstück bei der Verteilung des für die erstmalige Herstellung der
(Beleuchtung der) Straße A entstandenen umlagefähigen Aufwands zu beteiligen ist. Beide
Grundstücke gehören dem gleichen Eigentümer, sind im Wesentlichen unbebaut und
werden einheitlich als Pferdekoppel genutzt. Dieser Sachverhalt führt auf die Frage nach der
Berücksichtigung sog. Hinterliegergrundstücke bei der Aufwandsverteilung.
b) Ein Hinterliegergrundstück ist ein Grundstück, das durch ein Anliegergrundstück
(Vorderliegergrundstück) von der abzurechenden Straße getrennt wird. Es sind zwei
Gruppen von Hinterliegergrundstücken zu unterscheiden, nämlich – erstens – gefangene
Hinterliegergrundstücke und - zweitens – nicht gefangene Hinterliegergrundstücke.
Gefangene Hinterliegergrundstücke sind solche, die einzig über das vorgelagerte
Anliegergrundstück das Verkehrsnetz der Gemeinde erreichen können, die also durch das
Anliegergrundstück von diesem Verkehrsnetz abgeschnitten und deshalb durch dieses
Anliegergrundstück sozusagen „gefangen“ sind. Die nicht gefangenen
Hinterliegergrundstücke werden zwar ebenfalls durch ein Anliegergrundstück von der
abzurechnenden Anbaustraße getrennt, befinden sich aber in der sehr viel komfortableren
Lage, unmittelbar an eine weitere befahrbare Verkehrsanlage anzugrenzen und über sie
direkt das Verkehrsnetz der Gemeinde erreichen zu können.
Bereits diese kurze Situationsschilderung macht deutlich, dass ganz erhebliche Unterschiede
zwischen den beiden Gruppen von Hinterliegergrundstücken bestehen, und zwar sowohl in
rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht: Ist ein gefangenes Hinterliegergrundstück
bebaut, steht dessen Eigentümer nach Maßgabe der §§ 917 f. BGB ein Notwegerecht zu. Für
den Eigentümer des nicht gefangenen Hinterliegergrundstücks ist ein solches Recht
entbehrlich, weil er – anders als der Eigentümer des gefangenen Hinterliegergrundstücks –
über eine gleichsam eigene Verbindung zum öffentlichen Verkehrsnetz verfügt. Angesichts
dieser rechtlichen und tatsächlichen Unterschiede drängt sich die Annahme auf, die beiden
Gruppen von Hinterliegergrundstücken könnten beitragsrechtlich oder genauer: bei der
Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands für die abzurechnende Anbaustraße
nicht gleich zu behandeln sein.
8
c) Auszugehen ist davon, dass beide Gruppen von Hinterliegergrundstücken nur dann an der
Verteilung des umlagefähigen Aufwands teilnehmen, wenn sie der abzurechnenden Straße
wegen im Sinne des § 133 Abs. 1 BauGB bebaubar sind; denn einzig in diesem Sinne
bebaubare (und gewerblich nutzbare) Grundstücke können nach § 133 Abs. 1 BauGB
Gegenstand einer Erschließungsbeitragspflicht sein. Eine solche Bebaubarkeit ist zum einen
anzunehmen bei Hinterliegergrundstücken, die unabhängig davon, ob Anlieger- und
Hinterliegergrundstück im Eigentum der gleichen Person stehen, über eine das
bebauungsrechtliche Erreichbarkeitserfordernis erfüllende Zuwegung von der Anbaustraße
über das Anliegergrundstück verfügen, und zwar eine Zuwegung, die in der jeweils von der
Landesbauordnung geforderten Weise gesichert ist. Und sie ist zum anderen in der Regel26
anzunehmen bei Hinterliegergrundstücken, die im Eigentum des Eigentümers des
Anliegergrundstücks stehen (Eigentümeridentität)27. Der 9. Senat stellt im Urteil vom 12.
November 2014 die bisher als gesichert geltende Ansicht in Frage, bei gefangenen
Hinterliegergrundstücken reiche eine solche Eigentümeridentität für deren Beteiligung an
der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für die abzurechnende Anbaustraße in der
Regel aus. Denn er lässt in seinen einführenden Erwägungen nunmehr ausdrücklich offen, ob
im Falle der Eigentümeridentität ein gefangenes Hinterliegergrundstück in den Kreis der
erschlossenen Grundstücke einzubeziehen ist, ob – wie er es ausdrückt - „allein schon die
Eigentümeridentität als solche eine schutzwürdige Erwartung der übrigen
Grundstückseigentümer auf Einbeziehung in den Kreis der erschlossenen Grundstücke
begründen kann“. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist bei Eigentümeridentität die Teilnahme eines gefangenen
Hinterliegergrundstücks an der Aufwandsverteilung in der Regel zu bejahen, und zwar
ungeachtet einer schutzwürdigen Erwartung der übrigen Grundeigentümer:
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 199328 ist ein gefangenes
Hinterliegergrundstück der abzurechenden Straße wegen „im Sinne des § 133 Abs. 1 BauGB
bebaubar, wenn es in der Hand des Eigentümers liegt mit Blick auf diese Anlage die
Erreichbarkeitsanforderungen zu erfüllen, von denen das (bundesrechtliche)
Bebauungsrecht und das (landesrechtliche) Bauordnungsrecht die bauliche oder gewerbliche
Nutzung des Grundstücks abhängig machen. Das trifft in der Regel zu, wenn das
Hinterliegergrundstück und das es von der Anbaustraße trennende Anliegergrundstück im
Eigentum derselben Person stehen“. Im Falle der Eigentümeridentität ermöglicht es
grundsätzlich seine Rechtsposition dem Eigentümer des Hinterliegergrundstücks, von diesem
Grundstück aus die abzurechnende Anbaustraße in einer den bebauungsrechtlichen
Erreichbarkeitsvoraussetzungen genügenden Weise über das Anliegergrundstück in
Anspruch zu nehmen; überdies erlaubt diese Rechtsposition – wie gesagt – den Schluss, es
seien auch die einschlägigen bauordnungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen erfüllt.
Treffen aber diese beiden Annahmen zu und ist deswegen das gefangene
26
Ausnahmsweise reicht das gemeinsame Eigentum an Anlieger- und gefangenem Hinterliegergrundstück nicht
für die Annahme einer Bebaubarkeit im Sinne des § 133 Abs. 1 BauGB aus, wenn das Anliegergrundstück mit
einem Erbbaurecht zugunsten eines Dritten belastet ist (vgl. u.a. Driehaus in Schlichter u.a., Berliner
Kommentar zum BauGB, § 131 Rn. 36a, und VGH München, Urteil v. 22.7.2010 – 6 B 09/584-).
27
Vgl. statt vieler VGH Mannheim, Urteil v. 11.10.2012 – 2 S 1419/12 – KStZ 2013,55.
28
BVerwG, Uretil v. 25.2.1993 – 8 C 35.82 – BVerwGE 92,157 = DVBl 1993,667 = NVwZ 1993,1206.
9
Hinterliegergrundstück der abzurechenden Anbaustraße wegen bebaubar, ist kein
einleuchtender Grund ersichtlich, warum ein solches Hinterliegergrundstück nicht an der
Verteilung des umlagefähigen Aufwands teilnehmen sollte, d.h. als nicht im Sinne des § 131
Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen zu qualifizieren sein sollte. Das führt zu der Erkenntnis, dass
in Fällen der Eigentümeridentität gefangene Hinterliegergrundstücke regelmäßig29
erschlossen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB) sind, und zwar unabhängig davon, ob eine
Zuwegung über das Anliegergrundstück tatsächlich bereits angelegt worden ist oder nicht
und ob Anlieger- und Hinterliegergrundstück einheitlich genutzt werden oder nicht, d.h.
unabhängig vom Vorliegen eines Umstandes, an das eine schutzwürdige Erwartung der
Eigentümer der übrigen erschlossenen Grundstücke im Abrechnungsgebiet anknüpfen
könnte.
2a) Sodann wendet sich der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts einem nicht
gefangenen Hinterliegergrundstück zu und geht davon aus, ein solches Grundstück sei nur
ausnahmsweise in den Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke einzubeziehen, nämlich nur
dann, wenn „die übrigen Beitragspflichtigen nach den im Zeitpunkt des Entstehens der
sachlichen Beitragspflicht bestehenden tatsächlichen Verhältnisse schutzwürdig erwarten
können, zu ihrer Entlastung werde auch das Hinterliegergrundstück an der Verteilung des
umlagefähigen Aufwands teilnehmen. Dies ist bei einer einheitlichen Nutzung von Anliegerund Hinterliegergrundstück der Fall, wenn und soweit sie aus Sicht der übrigen
Beitragspflichtigen die gemeinsame Grenze gleichsam verwischt und die Grundstücke als ein
(größeres) Grundstück erscheinen lässt, welches den Eindruck vermittelt, es könne mit einer
erschließungsbeitragsrechtlich relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer
Inanspruchnahme der Anbaustraße auch durch das Hinterliegergrundstück gerechnet
werden.“ Dieser Ansatz entspricht bei nicht gefangenen Hinterliegergrundstücken im Falle
einer Eigentümeridentität der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts30
und anderer Obergerichte31.
Bei diesem Ausgangspunkt stellt sich gleichsam zwangsläufig die Frage, welche Umstände
geeignet sind, den Eindruck zu erwecken, es könne bei Eigentümeridentität mit einer
hinreichenden Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, von einem nicht gefangenen
Hinterliegergrundstück aus werde über das Anliegergrundstück die abzurechende
Anbaustraße tatsächlich in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen werden. Das
Bundesverwaltungsgericht meint, dazu könne an eine einheitliche, insbesondere
grenzüberschreitende bauliche oder gewerbliche Nutzung angeknüpft werden, so dass eine
Einbeziehung des Hinterliegergrundstücks bei einer fehlenden sowie einer sozusagen
unterwertigen Nutzung etwa als Pferdekoppel nicht gerechtfertigt sei. Das leuchtet zwar mit
Blick auf eine fehlende Nutzung, nicht aber ohne weiteres auch mit Blick auf eine Nutzung
etwa als Pferdekoppel ein. Sollten Anlieger- und nicht gefangenes Hinterliegergrundstück
29
Diese Beschränkung auf Regelfälle ergibt sich aus dem in Fußnote 27 dargelegten Grund.
30
BVerwG, Urteile v. 15.1.1988 – 8 C 111.86 – BVerwGE 79,1 = KStZ 1988,110 = DVBl 1988,896, und v.
30.5.1997 – 8 C 27.96 – ZMR 1998,57 = NVwZ-RR 1998,67 = HSGZ 1997,462.
31
U.a. OVG Koblenz, Urteil v. 1.8.2007 – 6 A 10527 – , und OVG Münster, Beschluss v. 4.10.2005 – 15 A 240/04
– GemHH 2006,22.
10
einheitlich als Pferdekoppel genutzt werden, als solche eingezäunt sein und nur über einen
Ein- und Ausgang für Transport- sowie Versorgungsfahrzeuge zur abzurechnenden
Anbaustraße verfügen und sollten auf dem Hinterliegergrundstück der Pferdehaltung
dienende bauliche Anlagen wie u.a. ein Unterstellplatz angesiedelt sein, könnten diese
tatsächlichen Umstände die Erwartung tragen, von diesem nicht gefangenen
Hinterliegergrundstück aus werde über das Anliegergrundstück die Anbaustraße in einem
derartigen Umfang in Anspruch genommen, dass es gerechtfertigt ist, das nicht gefangene
Hinterliegergrundstück bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands zu berücksichtigen.
Andererseits ist eine einheitliche Nutzung durch eine Überbauung der gemeinsamen Grenze
z.B. mit einem Fabrikgebäude bei einer einzigen tatsächlich angelegten Zufahrt zu der
Straße, an die das nicht gefangene Hinterliegergrundstück angrenzt, nicht geeignet, etwas
für die Erwartung herzugeben, es könne im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen
Beitragspflichten mit einer noch relevanten Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden,
von diesem Hinterliegergrundstück aus werde über das Anliegergrundstück die
abzurechende Straße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen. Es gibt – mit
anderen Worten – keinen Erfahrungssatz des Inhalts, bei einer einheitlichen baulichen oder
gewerblichen Nutzung von Anlieger- und nicht gefangenem Hinterliegergrundstück sei stets
die Erwartung einer Inanspruchnahme der abzurechnenden Anbaustraße auch von diesem
Hinterliegergrundstück aus gerechtfertigt. Maßgebend sind vielmehr die tatsächlichen
Verhältnisse im Einzelfall.
b) Für die Annahme, ein nicht gefangenes Hinterliegergrundstück sei bei Eigentümeridentität
an der Aufwandsverteilung zu beteiligen, muss mithin ein Anhaltspunkt vorliegen, der im
maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten die Erwartung zu
stützen vermag, von diesem Grundstück aus werde die abzurechende Straße ungeachtet
seiner Anbindung an eine „eigene“ Verkehrsanlage über das Anliegergrundstück in
nennenswertem Umfang in Anspruch genommen werden. Ein solcher Anhaltspunkt wird in
eher wenigen (Ausnahme-)Fällen zu erkennen sein. Jedenfalls begründet eine einheitliche
Nutzung von Anlieger- und nicht gefangenem Hinterliegergrundstück als solche sogar bei
Eigentümeridentität einen solchen Anhaltspunkt nicht. Denn ebenso wie die
Eigentümeridentität ist eine einheitliche Nutzung sozusagen neutral und lässt für sich
betrachtet nicht den Schluss zu, die abzurechende Straße werde vom Hinterliegergrundstück
aus über das Anliegergrundstück in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise in
Anspruch genommen werden. Hinzukommen muss vielmehr noch ein weiteres tatsächliches
Element wie z.B. eine angelegte Zuwegung vom Hinterliegergrundstück über das
Anliegergrundstück zu der abzurechenden Straße.32
Zusammenfassend lässt sich als gleichsam Leitsatz sagen und ggfs. in eine
Erschließungsbeitragssatzung aufnehmen: In Fällen der Eigentümeridentität nehmen
gefangene Hinterliegergrundstücke in der Regel an der Verteilung des umlagefähigen
Erschließungsaufwands für eine Anbaustraße teil, nicht gefangene Hinterliegergrundstücke
dagegen in der Regel nicht.
32
Vgl. u.a. Driehaus in Schlichter u.a., Berliner Kommentar zum BauGB, § 131 Rdn. 39b, sowie in diesem
Zusammenhang auch VGH München, Urteil v. 25.10.2012 – 6 B 10.132 – BayVBl 2013,211 = ZMR 2013,398 =
NVwZ-RR 2013,159, und OVG Lüneburg, Beschluss v. 13.6.2000 – 9 M 1349/00 – NdsVBl 2001,18 = NST-N
2000,242.
11
3) Zu prüfen bleibt, ob eine solche Regelung in der Erschließungsbeitragssatzung
bundesrechtlichen Vorgaben widerspricht. Das könnte allenfalls zu bejahen sein, wenn das
Bundesrecht abschließend den Kreis der erschlossenen Grundstücke bestimmt und keinen
Raum für ergänzende satzungsrechtliche Regelungen belässt. Sollte das zutreffen, wäre eine
“Hinterlieger-Bestimmung“ in der Erschließungsbeitragssatzung jedenfalls insoweit
unbedenklich, als sie sich inhaltlich mit dem Bundesrecht deckt, ihr also nur deklaratorische
Bedeutung im Interesse der Information der Beitragspflichtigen zukommt. Das allein ist es
schon Wert, eine solche Bestimmung in die Erschließungsbeitragssatzung aufzunehmen.
Sollte sich dagegen in einem gerichtlichen Verfahren abschließend herausstellen, dass eine
gewählte Formulierung (ganz oder teilweise) im Widerspruch zum Bundesrecht steht, ist die
entsprechende Klarstellung ebenfalls ein Gewinn.
V. Situation im Straßenbaubeitragsrecht
1)Die meisten Kommunalabgabengesetze sehen ausdrücklich die Möglichkeit vor, einen
Straßenbaubeitrag im Ganzen vor Entstehen der Beitragspflicht durch eine vertragliche
Vereinbarung abzulösen.33 Da es sich bei der Ablösung um ein allgemein geltendes
beitragsrechtliches Rechtsinstitut handelt, können Ablösungsverträge auch in den übrigen
Ländern abgeschlossen werden.34 Allerdings ist der Abschluss von Ablösungsverträgen nur
zulässig, wenn die Gemeinde zuvor ausreichende „Bestimmungen über die Ablösung des
Beitrags“35 getroffen bzw. „das Nähere … in der Satzung“ bestimmt hat.36
Soweit ersichtlich spielt die Missbilligungsgrenze im Straßenbaubeitragsrecht keine
nennenswerte Rolle.37 Das mag damit zusammenhängen, dass in diesem Rechtsgebiet der
zeitliche Abstand zwischen Abschluss eines Ablösungsvertrags und Entstehen der sachlichen
Beitragspflichten für eine beitragsfähige Maßnahme eher selten so lang ist, dass sich
vereinbarter Ablösebetrag und endgültiger Beitrag der Höhe nach so weit von einander
entfernen, dass Raum für die Anwendung der im Erschließungsbeitragsrecht entwickelten
Missbilligungsgrenze ist. Sofern gleichwohl ein Bedarf dafür bestehen sollte, ist es
unbedenklich, wenn eine Gemeinde eine Missbilligungsgrenze in ihre
Straßenbaubeitragssatzung aufnimmt.
2a) Dagegen kann sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen einer Klarstellungssatzung
und einer satzungsmäßigen Tiefenbegrenzungsregelung auch im Straßenbaubeitragsrecht 38
(sowie im Anschlussbeitragsrecht39) häufiger stellen. Es dürften keine durchgreifenden
33
Vgl. etwa Art. 5 Abs. 9 BayKAG sowie §§ 6 Abs. 7 Satz 4 NKAG und 7 Abs. 13 TKAG.
Siehe u.a. OVG Koblenz, Urteil v. 15.1.1976 – 6 A 53/73 – KStZ 1977,33, und OVG Münster, Urteil v. 27.9.1988
– 2 A 2433/86 – KStZ 1989,196 = GemHH 1989,183 = NWVBl 1989,280.
35
§ 6 Abs. 7 Satz 4 NKAG und § 6 Abs. 7 Satz 5 KAG-LSA.
36
U.a. Art. 5 Abs. 9 Satz 2 BayKAG und § 7 Abs. 13 Satz 2 TKAG.
37
Habermann (in Habermann/Arndt, Kommunalabgabengesetz des Landes Schleswig-Holstein, 3. Aufl., § 8 Rdn.
392) geht ohne weiteres davon aus, die im Erschließungsbeitragsrecht entwickelte Missbilligungsgrenze gelte
auch im Straßenbaubeitragsrecht.
38
Vgl. Nachweise aus Rechtsprechung und Literatur bei Driehaus in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8
Rdn. 414.
39
Siehe dazu etwa Möller in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdn. 1886.
34
12
Bedenken bestehen, im Interesse der Rechtsicherheit in die Straßenbaubeitragssatzung eine
den Vorrang einer Klarstellungssatzung bestätigende Vorschrift aufzunehmen.40
b) Entsprechendes gilt grundsätzlich für die Tiefenbegrenzung.41 Zwar wird – soweit
ersichtlich – im Straßenbaubeitragsrecht ganz überwiegend die Ansicht vertreten, Raum für
die Anwendung einer satzungsmäßigen Tiefenbegrenzungsregelung sei einzig bei
Grundstücken in Randgebieten der Gemeinde, d.h. dort, wo Grundstücke mit ihren der
abzurechenden Straße zugewandten Flächen im unbeplanten Innenbereich und mit ihren
rückwärtigen Flächen im Außenbereich liegen.42 Es wäre sicher zu begrüßen, wenn die
Gemeinden gleichwohl im Interesse einer entsprechenden Information der
Beitragspflichtigen eine Bestimmung in die Satzung aufnähmen, wonach die Anwendung der
Tiefenbegrenzung auf vollauf im unbeplanten Innenbereich gelegene Grundstücke
ausgeschlossen ist.
Eine Ausnahme mag insoweit in Brandenburg gelten. Denn die in § 8 Abs. 6 Satz 3 KAGBbg
angeordnete Tiefenbegrenzung ist ein gesetzlich vorgesehenes Element eines zulässigen
Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zur Verteilung des umlagefähigen Aufwands, sie ist – mit
anderen Worten – Bestandteil des Verteilungsmaßstabs vergleichbar etwa der
Eckgrundstücksvergünstigung. Vor diesem Hintergrund ist dem OVG Berlin 43 in der Annahme
beizupflichten, eine solche Tiefengrenze sei auch auf vollauf im unbeplanten Innenbereich
liegende Grundstücke anwendbar.
3) Mit Blick auf gefangene und nicht gefangene Hinterliegergrundstücke bei
Eigentümeridentität deckt sich die Rechtslage im Straßenbaubeitragsrecht im Ergebnis mit
der im Erschließungsbeitragsrecht. Das gilt ungeachtet dessen, dass das
Erschließungsbeitragsrecht – soweit es Anbaustraßen betrifft – auf die Vermittlung einer
Bebaubarkeit (§ 133 Abs. 1 BauGB), das Straßenbaubeitragsrecht jedoch „lediglich“ auf die
Vermittlung einer hinreichend gesicherten Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten
Straße ausgerichtet ist. Deshalb ist davon auszugehen, dass gefangene
Hinterliegergrundstücke in Fällen der Eigentümeridentität in der Regel an der Verteilung des
umlagefähigen Aufwands teilnehmen. Für die Beantwortung der Frage, ob nicht gefangene
Hinterliegergrundstücke bei der Aufwandsverteilung zu beteiligen sind, ist auch im
Straßenbaubeitragsrecht „zusätzlich eine Bewertung der (vermittelten)
40
Habermann (in Habermann/Arndt, a.a.O., Rdn. 322) spricht davon, soweit „von Straßenbaumaßnahmen im
Geltungsbereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB gelegene Grundstücke betroffen sind, ist die
Tiefenbegrenzungsregelung …. gegenstandslos“.
41
Während im Erschließungsbeitragsrecht § 133 Abs. 1 Satz 2 BauGB einen Ausschluss der
Außenbereichsflächen aus dem Kreis der an der Aufwandsverteilung teilnehmenden Flächen verlangt und dies
eine Abgrenzung zwischen den Innen- und den Außenbereichsflächen erfordert, sind zwar im
Straßenbaubeitragsrecht auch Außenbereichsflächen bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen, doch
werden den Innenbereichsflächen durch eine beitragsfähige Straßenbaumaßnahme erfahrungsgemäß im
Verhältnis zu Außenbereichsflächen erheblich höhere Vorteile vermittelt, so dass auch in diesem Rechtsgebiet
eine Abgrenzung der Innenbereichsflächen von den Außenbereichsflächen angezeigt ist (vgl. im Einzelnen
Driehaus, in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdn. 411 ff.).
42
Vgl. statt vieler OVG Lüneburg, Urteil v. 22.1.1997 – 9 L 6290/95 – NdsVBl 1997,180 = NST-N 1997,217.
43
OVG Berlin, Urteil v. 23.6.2013 – 9 B 64.11 -.
13
Inanspruchnahmemöglichkeit vorzunehmen“44, und ist die Frage nur zu bejahen, wenn
Anhaltspunkte im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten den Schluss
erlauben, die ausgebaute Straße werde von dem Hinterliegergrundstück aus über das
Anliegergrundstück in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen werden. Das führt
im Straßenbaubeitragsrecht – wie im Erschließungsbeitragsrecht – zu der Annahme, dass bei
Eigentümeridentität gefangene Hinterliegergrundstücke in der Regel an der
Aufwandsverteilung teilnehmen, nicht gefangene Hinterliegergrundstücke dagegen in der
Regel nicht.45
VI. Vorschläge für Formulierungen in der Erschließungsbeitragssatzung
Für den Fall, dass sich eine Gemeinde im Interesse der Rechtssicherheit und
Verwaltungspraktikabilität entschließt, den vorstehenden Überlegungen entsprechende
Satzungsänderungen in ihrer Erschließungsbeitragssatzung vorzunehmen, könnten mit Blick
auf die hier behandelten Sachverhalte folgende, jeweils in die entsprechenden
Satzungsbestimmungen eingearbeitete Formulierungen in Betracht kommen:
1. Gefangene und nicht gefangene Hinterliegergrundstücke bei Eigentümeridentität
§…
Abrechnungsgebiet
Die von der abgerechneten Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke bilden
das Abrechnungsgebiet. Wird ein Abschnitt oder werden die eine
Erschließungseinheit bildenden Erschließungsanlagen gemeinsam abgerechnet,
bilden die vom Abschnitt bzw. diesen Erschließungsanlagen erschlossenen
Grundstücke das Abrechnungsgebiet.
In Fällen der Eigentümeridentität zählen gefangene Hinterliegergrundstücke in der
Regel zu den erschlossenen Grundstücken, nicht gefangene Hinterliegergrundstücke
dagegen in der Regel nicht.
2. Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 (Nrn. 1 bis 3) BauGB und Tiefenbegrenzung
§…
Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands
(1)
Der nach § … ermittelte Erschließungsaufwand wird nach Abzug des Anteils der
Gemeinde (§ …) auf die Grundstücke des Abrechnungsgebiets (§ …) unter
Berücksichtigung der nachfolgenden Absätze nach dem Verhältnis verteilt, in
44
VGH Kassel, Urteil v. 3.9.2008 – 5 A 688/08 -, ebenso u.a. OVG Magdeburg, Urteil v. 3.4.2007 – 4 L 230/06 –
KStZ 2007,178, VGH München, Beschluss v. 29.4.2009 – 6 ZB 07.2050 -, VG Schleswig, Beschluss 13.12.2012 – 8
B 602/12 -, und OVG Bautzen, Beschluss v. 31.1.2013 – 5 A 783/10 -.
45
Vgl. im Einzelner VGH München, Urteil vom 25.10.2012 – 6 B 10.132 – BayVBl 2013,211 = ZMR 2013,398 =
NVwZ-RR 2013,159.
14
dem die Grundstücksflächen zueinander stehen. Dabei wird die
unterschiedliche Nutzung der Grundstücke nach Maß und Art berücksichtigt.
(2) Als Grundstücksfläche gilt
1. bei Grundstücken, die insgesamt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans,
einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB bzw. innerhalb des unbeplanten
Innenbereichs (§ 34 BauGB) oder die teilweise im Geltungsgereich eines
Bebauungsplans und überdies teilweise im unbeplanten Innenbereich (§ 34
BauGB) liegen , die Gesamtfläche des Grundstücks,
2. bei Grundstücken, die teilweise im Bereich eines Bebauungsplans oder einer
Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB und im Übrigen im Außenbereich ( § 35
BauGB) liegen, die Teilfläche im Bereich des Bebauungsplans oder der Satzung
nach § 34 Abs. 4 BauGB,
3. bei Grundstücken, die nicht unter Nr. 5 fallen, für die kein Bebauungsplan und
keine Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB besteht und die teilweise innerhalb des
unbeplanten Innenbereichs (§ 34 BauGB) und im Übrigen im Außenbereich (§
35 BauGB) liegen, die Fläche zwischen der Erschließungsanlage und einer Linie
, die im gleichmäßigen Abstand von … m dazu verläuft,
4. bei Grundstücken, die über die sich nach Nrn. 2 und 3 ergebenden Grenzen
hinaus bebaut oder gewerblich genutzt sind, die Fläche zwischen der
Erschließungsanlage und einer Linie, die im gleichmäßigen Abstand verläuft,
der der übergreifenden Bebauung oder gewerblichen Nutzung entspricht,
5. bei Grundstücken, die nicht baulich oder gewerblich, sondern nur in
vergleichbarer Weise (z.B. Friedhöfe, Sport- und Festplätze, Freibäder,
Dauerkleingärten) nutzbar sind oder innerhalb des unbeplanten
Innenbereichs (§ 34 BauGB) so genutzt werden, die Gesamtfläche des
Grundstücks.
(3) …
3. Ablösungsvereinbarung und Missbilligungsgrenze
§…
Ablösung des Erschließungsbeitrags
In Fällen, in denen die Beitragspflicht noch nicht entstanden ist, kann die Ablösung
des Erschließungsbeitrags durch Vertrag vereinbart werden.
Der Ablösebetrag bestimmt sich nach der Höhe des voraussichtlich entstehenden
Beitrags. Dabei ist der entstehende Erschließungsaufwand anhand von Kostenvoranschlägen oder, falls noch nicht vorhanden, anhand der Kosten vergleichbarer
Anlagen zu veranschlagen und nach den Vorschriften dieser Satzung auf die durch
die Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen.
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Ein Rechtsanspruch auf Ablösung besteht nicht. Durch die Zahlung des Ablösebetrags
wird die Beitragspflicht abgegolten.
Ein Ablösungsvertrag wird unwirksam, wenn sich im Rahmen einer Beitragsabrechnung ergibt, dass der auf das betroffene Grundstück entfallende
Erschließungsbeitrag das Doppelte oder mehr als das Doppelte bzw. die Hälfte
oder weniger als die Hälfte des vereinbarten Ablösebetrags ausmacht. In einem
solchen Fall sind durch schriftlichen Bescheid der Erschließungsbeitrag unter
Anrechnung des gezahlten Ablösebetrags anzufordern oder die Differenz zwischen
gezahltem Ablösebetrag und Erschließungsbeitrag zu erstatten.
Zwar bedürfen sicherlich auch eine Reihe von in Gemeinden existierenden
Satzungsbestimmungen etwa im Rahmen der Verteilungsreglung (z.B. die Definition des
(Voll-)Geschosses ) im Interesse insbesondere der Rechtssicherheit einer Überarbeitung,
doch sind sie nicht Gegenstand des von den eingangs bezeichneten Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts ausgelösten Bedarfs und müssen deshalb hier unerwähnt
bleiben.
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