Daten
Kommune
Kreis Euskirchen
Größe
2,2 MB
Datum
13.06.2013
Erstellt
04.06.13, 12:01
Aktualisiert
04.06.13, 12:01
Stichworte
Inhalt der Datei
LWL-Landesjugendamt Westfalen
LVR-Landesjugendamt Rheinland
Qualitätsentwicklung
in der örtlichen
Kinder- und Jugendhilfe
Orientierungshilfe zur Umsetzung
der Regelungen in §§ 79, 79a SGB VIII
Landschaftsverband Rheinland
LVR-Landesjugendamt Rheinland
50663 Köln
www.jugend.lvr.de
Landschaftsverband Westfalen-Lippe
LWL-Landesjugendamt Westfalen
48133 Münster
www.lwl-landesjugendamt.de
Impressum
Expertise im Auftrag von / Herausgeber:
Landschaftsverband Rheinland
LVR-Landesjugendamt Rheinland
50663 Köln
www.jugend.lvr.de
Redaktion: Prof. Dr. Joachim Merchel
Layout:
Innen: Thomas Fink
Umschlag: Andreas Gleis
Münster, Köln, im April 2013
Landschaftsverband Westfalen-Lippe
LWL-Landesjugendamt Westfalen
48133 Münster
www.lwl-landesjugendamt.de
Qualitätsentwicklung in der örtlichen
Kinder- und Jugendhilfe:
Orientierungshilfe zur Umsetzung der
Regelungen in §§ 79, 79a SGB VIII
3
Inhalt
Einleitung: Auftrag und Anliegen der Expertise .................................................................. 4
1.
Anforderungen zur Qualitätsentwicklung: Wie sind §§ 79, 79a in die bisherigen Qualitätsregelungen des SGB VIII einzuordnen und was ist neu? ..... 7
1.1 Qualitätsentwicklung als Teil der infrastrukturellen Gewährleistungsverantwortung
der öffentlichen Träger ............................................................................................................... 7
1.2 Anforderungen des § 79a im Kontext anderer Qualitätsregelungen ................................ 8
1.3 Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung ....................................................................... 9
Zusammenfassende Leitsätze zu Kap. 1 ............................................................................... 10
2.
Zur fachlichen und jugendhilfepolitischen Einordnung der Regelungen zur
Qualitätsentwicklung ............................................................................................................ 11
2.1 Zuständigkeit des Jugendhilfeausschusses .......................................................................... 11
2.2 Bedeutung der Landesjugendämter für örtliche Prozesse der Qualitätsentwicklung .. 12
2.3 Qualitätsentwicklung und qualitätsbezogene Steuerungserwartungen .......................... 13
Zusammenfassende Leitsätze zu Kap. 2 ............................................................................... 15
3.
Überlegungen und Empfehlungen zur Verfahrensgestaltung der örtlichen
Qualitätsentwicklung ............................................................................................................ 16
3.1 Vorbemerkungen zum methodischen Rahmen der Qualitätsentwicklung ...................... 16
3.2 Entscheidungen und Verfahrensschritte bei der örtlichen Qualitätsentwicklung ......... 19
4.
Fazit - abschließende Anmerkungen .............................................................................. 30
Literatur ............................................................................................................................................. 32
5
Einleitung: Auftrag und Anliegen der Expertise
Der Gesetzgeber hat mit dem Bundeskinderschutzgesetz („Gesetz zur Stärkung des aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen“) neue Regelungen zur Qualitätsentwicklung
in das SGB VIII eingefügt:
Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gemäß § 79 Abs. 2 SGB VIII gewährleisten, dass eine „kontinuierliche Qualitätsentwicklung“ erfolgt.
In § 79a SGB VIII werden einige Anforderungen benannt, nach denen der Grundsatz
der kontinuierlichen Qualitätsentwicklung realisiert werden soll.
Damit nicht nur die Finanzierung nach Leistungsentgelten (§ 78 a-g SGB VIII) an Prozesse der Qualitätsentwicklung gebunden wird, sondern auch die Förderung gemäß §
74 SGB VIII dem Grundsatz der kontinuierlichen Qualitätsentwicklung folgt, wird die
Förderung freier Träger mit der Voraussetzung verknüpft, dass die zu fördernden Träger die „Beachtung der Grundsätze und Maßstäbe der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung nach § 79a gewährleisten“ (§ 74 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII).
Die Regelungen zur Qualitätsentwicklung waren im Gesetzgebungsverfahren umstritten1
und werden auch in den fachlichen Debatten unterschiedlich gewertet. 2 Doch auch bei
unterschiedlichen Auffassungen zur Sinnhaftigkeit der Neuregelung muss man der Tatsache Rechnung tragen, dass die neuen Regelungen Gesetzeskraft erlangt haben: Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind verpflichtet, die neuen Regelungen zur Qualitätsentwicklung in §§ 79, 79a SGB VIII umzusetzen. Somit entstehen die Fragen: (a) in welcher Weise die Regelungen pragmatisch gehandhabt und umgesetzt werden können, um
dem gesetzlichen Auftrag zu entsprechen, und (b) wie eine Praxis der Qualitätsentwicklung geschaffen werden kann, die die Beteiligten als fachlich nützlich empfinden und die
die Wahrscheinlichkeit einer kontinuierlichen trägerübergreifenden fachlichen Weiterentwicklung in der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe erhöht. Auf eine plakative Formel gebracht: Egal, wie man die Neuregelung in §§ 79, 79a SGB VIII bewertet - jetzt sind sie
da, und es kommt darauf an, das Beste daraus zu machen!
Die vorliegende Expertise dient diesem Anliegen: Auf der Grundlage einer Interpretation
und fachpolitischen Einordnung der neuen Regelungen zur Qualitätsentwicklung sollen
pragmatische Empfehlungen erarbeitet werden, wie die Jugendämter die Neuregelungen
so umsetzen können, dass sie (a) ihrem gesetzlichen Auftrag nachkommen, (b) zur fachlichen Weiterentwicklung beitragen, und dies auf eine Weise, die (c) an bisherige Strukturen und Verfahrensweisen in der trägerübergreifenden Kooperation anknüpft und somit
anschlussfähig gemacht werden kann an bisherige, als „bewährt“ empfundene Praxismodalitäten.
Jeder Vorschlag zu einem Vorgehen muss notwendigerweise generalisieren, er muss einen gewissen Abstand nehmen zu den Besonderheiten der Konstellation in einem bestimmten Jugendamt und in einem bestimmten Ort bzw. in einer bestimmten Region.
Insofern mag es richtig sein, wenn ein Leser oder eine Leserin zu bestimmten Empfehlungen oder Handlungsvorschlägen bemerkt: „Bei uns ist das anders, und bei unserer
Situation ist das so, wie es beschrieben wird, nicht umsetzbar.“ Dieser Einwand enthält
gleichermaßen etwas Richtiges und etwas Problematisches. Er kann dazu genutzt wer1
s. dazu die Darstellung der Genese des Bundeskinderschutzgesetzes bei Struck 2012
Bewertungen in der Bandbreite von eher zustimmend (Meysen/Eschelbach 2012, S. 151 ff.) über zögernd
abwartend (Schimke 2011) bis zu skeptisch gegenüber einer „dekretierten Qualitätsentwicklung“ (Kunkel 2012,
S. 294) und gegenüber den qualitätsbezogenen Steuerungsmöglichkeiten mit Hilfe des Steuerungsmediums
„Recht“ (Merchel 2011a und 2013a).
2
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den, sich abzuschotten gegenüber einer kritischen Sicht auf die eigene Praxis und gegenüber der Anregung, etwas auch mal anders zu sehen als gewohnt. Das wäre problematisch, denn am Beginn einer Veränderung und Weiterentwicklung stehen Irritationen und
die Bereitschaft, diese an sich herankommen zu lassen, sowie die Offenheit für das (begrenzte) Risiko, das mit dem Beschreiten neuer Wege einhergeht. Der genannte Einwand
macht jedoch auch darauf aufmerksam, dass bei der Herausbildung eines gangbaren
Weges die jeweiligen Randbedingungen beachtet werden müssen und dass die jeweiligen
örtlichen Konstellationen für das Zustandekommen einer tragfähigen Praxis nicht vernachlässigt werden dürfen. Insofern muss jedes Jugendamt ein Verfahren „erfinden“, das
angesichts der jeweiligen Bedingungen und der angesichts der eigenen Erfahrungen und
„Traditionen“ als tragfähig angesehen werden kann. Beide - die Bereitschaft, sich durch
andere Interpretationen und andere Vorschläge irritieren zu lassen, und das Wahrnehmen der jeweils besonderen örtlichen Konstellationen - sind gleichermaßen wichtig für
die Suche nach einer Praxis, mit der neue Anforderungen produktiv aufgegriffen werden
können.
Die vorliegende Expertise will für die Suche nach einer solchen Praxis und für die Haltung, mit der diese Suche erfolgt, einige Anregungen und Verfahrensvorschläge machen,
die gleichsam einen „Suchrahmen“ bilden. Nicht jedes Jugendamt muss „das Rad neu
erfinden“; das „Rad“ mit den Erläuterungen zu seinen Funktionsmechanismen wird hier
geliefert. Aber die Akteure in jedem Jugendamt müssen überlegen, wann, wo und in welcher Weise dieses Rad eingesetzt wird und welche Feinjustierungen dem Rad hinzugefügt
werden sollten, damit es „runder“ läuft. Zu diesen Fragen werden Anhaltspunkte/Kriterien und Vorschläge für Entscheidungen markiert, aber die Entscheidungen und
die „Feinmechanik“ müssen dann vom jeweiligen Jugendamt getroffen bzw. erarbeitet
werden.3
Die Expertise ist in drei Hauptteile gegliedert. In einem ersten Teil erfolgt eine kurze Interpretation der neuen gesetzlichen Regelungen: Was ist neu - wie sind §§ 79, 79a in die
bisherigen qualitätsbezogenen Regelungen des SGB VIII einzuordnen? Der zweite Teil
widmet sich der fachlichen bzw. jugendhilfepolitischen Einordnung und Bewertung der
Regelungen zur Qualitätsentwicklung in §§ 79, 79a SGB VIII. Denn schließlich wird mit
den Regelungen nicht gänzlich Neuland betreten, sondern sie treffen auf ein Feld, in dem
auch bisher schon Qualitätsmanagement betrieben wurde und das bereits durch Regelungen und Verfahrensmodalitäten geprägt ist, die auch für die Qualitätsentwicklung bedeutsam sind. Überlegungen zur Umsetzung der Neuregelungen in §§ 79, 79a SGB VIII
müssen diesen fachlichen bzw. fachpolitischen Rahmen berücksichtigen, und eine diesbezügliche örtliche Praxis sollte sich dieses Rahmens vergewissern. Im dritten Teil werden
schließlich Empfehlungen zur Verfahrensgestaltung erarbeitet und begründet: Was sollte
in Jugendämtern geschehen, worauf sollte in Jugendämtern geachtet werden und zu welchen Aspekten müssen Entscheidungen getroffen werden, um eine mittelfristig tragfähige
Praxis der Qualitätsentwicklung im Sinne einer Umsetzung der Anforderungen der §§ 79,
79a SGB VIII aufzubauen und aufrechtzuerhalten?
3
Ein illustrative Parallelbeispiel bildet hier die Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII: Auch hier hat sich mittlerweile ein Bestand an fachlichen Anforderungen herauskristallisiert, der für jedes Jugendamt eine fachliche Basis
bildet, vor der sich das eigene Handeln legitimieren muss, so insbesondere: differenzierte Beteiligung der Adressaten, Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte, Kontinuierlichkeit der Hilfeplanung, Konstruktion und Überprüfung von Zielen, Kooperation mit anderen Institutionen (s. dazu Merchel 2006). Gleichzeitig wird jedes Jugendamt einen für seine Konstellationen jeweils passgenauen Weg suchen („erfinden“) müssen, um die fachlichen Rahmenanforderungen wirkungsvoll umsetzen zu können und diese Praxis immer wieder zu überprüfen
und sie prozesshaft den sich entwickelnden Gegebenheiten anpassen zu können (zum kontinuierlichen Herausforderungscharakter der Bestimmungen zur Hilfeplanung s. Albus u.a. 2010, S. 62 ff. und Merchel 2011b).
7
1. Anforderungen zur Qualitätsentwicklung: Wie sind §§
79, 79a in die bisherigen Qualitätsregelungen des SGB
VIII einzuordnen und was ist neu?
1.1 Qualitätsentwicklung als Teil der infrastrukturellen Gewährleistungsverantwortung der öffentlichen Träger
In § 79 Abs. 2 SGB VIII ist die „kontinuierliche Qualitätsentwicklung“ in die infrastrukturelle Gewährleistungsverpflichtung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe einbezogen
worden. Die kontinuierliche Qualitätsentwicklung ist Teil der Gesamtverantwortung, der
die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nachzukommen haben. Die Einordnung der Qualitätsentwicklung in die infrastrukturelle Gesamtverantwortung der Träger der öffentlichen
Jugendhilfe verdeutlicht bereits den Zusammenhang mit der Jugendhilfeplanung. In § 79
Abs. 2 SGB VIII werden zum einen die Parameter für die Jugendhilfeplanung definiert
(dafür sorgen, dass „die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen … rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen“), und zum anderen
wird der Grundsatz der kontinuierlichen Qualitätsentwicklung als ein weiterer Bestandteil
der Gewährleistungsverantwortung proklamiert. In § 79a SGB VIII werden dann einige
Aspekte benannt, nach denen der grundlegende Auftrag zur kontinuierlichen Qualitätsentwicklung ausgestaltet werden soll.
Die Anforderung zur Qualitätsentwicklung richtet sich an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, es wäre jedoch verkürzt, würde man die Anforderung zur Qualitätsentwicklung
lediglich auf die Handlungsbereiche der öffentlichen Träger reduzieren. Die Träger der
öffentlichen Jugendhilfe haben, ähnlich wie bei der Jugendhilfeplanung, die Verpflichtung,
Prozesse der Qualitätsentwicklung zu initiieren sowie diese aufrechtzuerhalten und kontinuierlich weiterzuentwickeln; ihrer Gesamtverantwortung für die Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe kommen sie jedoch nur dann nach, wenn sie in diese Prozesse auch
die Träger der freien Jugendhilfe und deren Leistungen einbeziehen. Neben den nach
Leistungsentgelten finanzierten Leistungen (§§ 78a-g SGB VIII), für die neben Leistungsund Entgeltvereinbarungen auch Qualitätsentwicklungsvereinbarungen abzuschließen
sind, ist auch die Förderung von Trägern der freien Jugendhilfe gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 1
SGB VIII an die „Beachtung der Grundsätze und Maßstäbe der Qualitätsentwicklung und
Qualitätssicherung nach § 79 a“ gebunden. Es war eine erklärte Absicht der Bundesregierung, das für die Entgeltfinanzierung beschränkt eingeführte Prinzip der Qualitätsentwicklung (§ 78b SGB VIII) auf alle Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe auszuweiten,
„unabhängig von der Art und Weise der Finanzierung“ (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, Bt-Drs. 17/6256, S. 49).
Für die Einbeziehung der Träger der freien Jugendhilfe haben sich - entsprechend der
Leitorientierung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit gemäß § 4 SGB VIII - kooperative Verfahren als geeignet erwiesen, wie sie sich z.B. in der Jugendhilfeplanung oder in
den Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII herausgebildet haben. Es wäre dem
Grundkonzept des SGB VIII unangemessen und würde der fachlichen und organisatorischen Selbstständigkeit der freien Träger (§ 4 Abs. 1 SGB VIII) widersprechen, würde
das Jugendamt Grundsätze und Verfahren der Qualitätsentwicklung „verordnen“ und auf
die freien Träger als Verpflichtung übertragen. Das Spannungsfeld zwischen der fachlichen und organisatorischen Autonomie der freien Träger einerseits und der Einbindung
der freien Träger in kooperatives Steuerungsgeschehen mit Letztverantwortlichkeit des
öffentlichen Trägers andererseits durchzieht die gesamt Kinder- und Jugendhilfe und ist
8
somit kein Spezifikum der Qualitätsentwicklung. In der Praxis hat sich eine weitgehend
funktionierende Bewältigung dieses Spannungsfeldes ergeben, sodass bei Fortführung
dieser Grundsätze auch für die Qualitätsentwicklung keine größeren Konflikte zu erwarten
sind.
1.2 Anforderungen des § 79a im Kontext anderer Qualitätsregelungen
In § 79a SGB VIII werden zwei Verpflichtungen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe
markiert. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen dafür Sorge tragen,
dass „Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität“, also Qualitätskriterien erarbeitet und definiert werden und
dass „geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung“ angewendet, regelmäßig überprüft und weiterentwickelt werden, also Verfahren der Qualitätsentwicklung entworfen und praktiziert werden.
Für diese Anforderung zur Erarbeitung von Qualitätskriterien und von Verfahren der Qualitätsentwicklung sind in § 79a SGB VIII insbesondere vier Aspekte konkretisierend hervorgehoben (vgl. auch Deutscher Verein 2012, S. 556):
(1) Sowohl die Qualitätskriterien als auch die Verfahren zur Qualitätsentwicklung sollen
regelmäßig überprüft werden. Qualitätsentwicklung soll als ein dynamischer Prozess
gestaltet werden, der sowohl inhaltlich als auch verfahrensmäßig angesichts neuer
Erkenntnisse und Erfahrungen reflektiert und ggf. verändern soll.
(2) Kein Handlungsbereich der Kinder- und Jugendhilfe soll von den Prozessen der Qualitätsentwicklung ausgespart bleiben. Einzubeziehen sind alle Handlungsfelder der
Kinder- und Jugendhilfe: alle Leistungsfelder und die Erfüllung anderer Aufgaben.
Obwohl damit auch Prozesse der Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII und
die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen einbezogen sind, sind diese in § 79a
SGB VIII eigens als Gegenstand der Qualitätsentwicklung benannt.
(3) Bei der Definition von Qualitätskriterien und bei den Verfahren zur Qualitätsbewertung müssen zwei Themen verpflichtend einbezogen werden: Qualitätsmerkmale für
die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und Qualitätsmerkmale für den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt in Einrichtungen und Diensten.4
(4) Damit die örtliche Qualitätsentwicklung an die übergreifenden fachlichen Qualitätsdebatten in den Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe angekoppelt bleibt und
nicht in Gefahr gerät, sich gegenüber dem Fachdiskurs in der Profession zu verselbständigen, sollen sich die örtlichen Akteure an den fachlichen Empfehlungen orientieren, die die nach § 85 Abs. 2 SGB VIII zuständigen Behörden (also die Landesjugendämter) erarbeiten und herausgeben sollen.
Mit den Anforderungen an die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, Prozesse zu gewährleisten, in denen Qualitätskriterien und Verfahren der Qualitätsentwicklung für alle Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe unter Berücksichtigung der vier genannten konkretisierenden Aspekte erarbeitet und
4
Die ausdrückliche Nennung dieser beiden Qualitätskriterien im Gesetzestext ist ein Reflex der Erörterungen
des „Runden Tisches Heimerziehung“ und des „Runden Tisches gegen Sexuelle Gewalt“: vgl. dazu Abschlussbericht des „Runden Tisches Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“, Berlin (Eigenverlag AGJ) 2010; Runder
Tisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich, Abschlussbericht, Berlin 2011
9
angewendet werden, ist der Gesetzgeber über die bisherigen Qualitätsregelungen im
SGB VIII insofern hinausgegangen, als er diese konkretisiert und erweitert hat. Bisher
waren Qualitätsregelungen insbesondere in drei Formen benannt worden:
in der Proklamation allgemeiner Ziele und Maßstäbe, an denen sich die Kinder- und
Jugendhilfe auszurichten hat und die als inhaltliche Richtung für das Kriterium der
Geeignetheit im Rahmen der Jugendhilfeplanung (§ 79 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) gelten
können: insbesondere in § 9 SGB VIII (Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen;
Berücksichtigung kultureller und sozialer Bedürfnisse und Eigenarten, Beachtung
wachsender Fähigkeit des jungen Menschen zu selbstständigem Handeln) und § 80
Abs. 2 SGB VIII (Orientierung am sozialen Umfeld, Vielfältigkeit und Wirksamkeit der
Angebote, besondere Förderung in gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf);
in der Verpflichtung, in Kindertageseinrichtungen die Qualität der Förderung sicherzustellen und weiterzuentwickeln und dafür Evaluationsverfahren einzusetzen (§ 22a
SGB VIII);
in der Einbeziehung von Qualitätsentwicklungsvereinbarungen in das Finanzierungsgefüge bei teilstationären und stationären Erziehungshilfen und bei Eingliederungshilfen für seelisch behinderte junge Menschen (§§ 78b und c SGB VIII).
Die bisherigen Qualitätsregelungen im SGB VIII waren also beschränkt entweder auf eine
Proklamation allgemeiner Ziele oder auf bestimmte Handlungsfelder. Mit den Regelungen
in § 79a SGB VIII wird die bisherige Beschränkung auf bestimmte Handlungsfelder aufgehoben, und die Verpflichtung zur Qualitätsentwicklung wird auf alle Handlungsfelder
der Kinder- und Jugendhilfe ausgeweitet. Die skizzierten allgemeinen Ziele und Maßstäbe
gelten weiterhin und sind bei der Konkretisierung von Qualitätskriterien zu berücksichtigen; sie werden ergänzt durch zwei konkrete Qualitätskriterien (Sicherung der Rechte
von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen; Schutz von Kindern und Jugendlichen vor
Gewalt in Einrichtungen und Diensten), die künftig in die Qualitätsdiskurse verpflichtend
einzubeziehen sind.
1.3
Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung
Die Regelungen zur Qualitätsentwicklung sind Bestandteil des vierten Abschnitts im fünften Kapitel des SGB VIII, der die Überschrift „Gesamtverantwortung, Jugendhilfeplanung“
trägt. Die damit signalisierte Nähe zwischen Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung
wird auch in den Begriffen deutlich erkennbar, in denen der Gesetzgeber die Planungsverantwortung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe umschrieben hat: Eine Bewertung, welche Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen als „geeignet“ im Sinne von §
79 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII zu gelten haben, zielt unmittelbar auf eine qualitative Dimension von Planung, muss also notwendigerweise auf einer an Qualitätsmaßstäben ausgerichteten Vorstellung fußen.
Qualitätsentwicklung nach § 79a SGB VIII ist also insofern eng mit der Jugendhilfeplanung verknüpft, als mit der Benennung von Qualitätskriterien („Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung von Qualität“) die fachlichen Vorstellungen dafür formuliert werden,
welche Angebote als „geeignet“ im Rahmen der Jugendhilfeplanung zu gelten haben. Die
Definition von Qualitätskriterien stützt und fördert die qualitative Dimension der Jugendhilfeplanung bei der Bewertung des Bestandes an Einrichtungen und Diensten (§ 80 Abs.
1 Nr. 1 SGB VIII) und bei den Erörterungen zum Bedarf (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII).
Angesichts dieser engen Verbindung von Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung
10
kann § 79a SGB VIII interpretiert werden als ein Appell zur (Neu-)Aktivierung der qualitativen Dimension von Jugendhilfeplanung - als eine Aufforderung, „die fachliche Steuerungsfunktion der Jugendhilfeplanung wieder intensiver in den Blick zu nehmen, die Jugendhilfeplanung deutlicher auf Qualitätsbewertung und Qualitätsentwicklung auszurichten und neben der quantitativen Dimension des Bedarfs die Frage der Qualität und die
kontinuierliche qualitative Bewertung des Angebots stärker zu beachten“ (Deutscher Verein 2012, S. 556 f).
Es wäre verkürzt und organisatorisch falsch, würde man aus der Erkenntnis zum Zusammenhang von Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung die Konsequenz ziehen,
der Planungsfachkraft im Jugendamt zusätzlich die Aufgabe zuzuweisen, die Prozesse der
Qualitätsentwicklung zu organisieren - nach dem Motto „Da Qualitätsentwicklung zur Jugendhilfeplanung gehört, ist das ja ihr Aufgabengebiet“. Stattdessen ist genau zu prüfen,
ob Jugendhilfeplanung bisher die qualitative Aufgabendimension ausreichend in den
Blick genommen hat und Qualitätsanforderungen an Träger und Einrichtungen differenziert herausgearbeitet hat,
ob Jugendhilfeplanung bisher zu einer fachlichen Bewertung von Strukturen, Prozessen und Ergebnissen bei Einrichtungen und Diensten vorgedrungen ist,
ob die Jugendhilfeplanung sowohl hinsichtlich ihrer personellen und sachlichen Ausstattung als auch hinsichtlich ihrer (strukturellen und organisationskulturellen) Verankerung im Jugendamt überhaupt in der Lage sein kann, die qualitative Planungsdimension angemessen zu bearbeiten.
Die Konsequenz aus der Erkenntnis zur Verbindung von Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung besteht somit zunächst aus der Anforderung, eine Bestandsaufnahme
vorzunehmen (a) hinsichtlich des Stellenwerts qualitativer Maßstäbe in der bisherigen
Praxis der örtlichen Jugendhilfeplanung und (b) hinsichtlich der Ausstattung der Jugendhilfeplanung und der Modalitäten ihrer Verankerung im Jugendamt.5 Erst auf dieser
Grundlage kann verantwortlich darüber entschieden werden, wie die Aufgaben zur Qualitätsentwicklung gemäß § 79a SGB VIII im Jugendamt verteilt werden sollen und wie bei
der Aufgabenverteilung die Verknüpfung zur Jugendhilfeplanung gewährleistet werden
kann. Notwendig ist also eine gründliche Bestandsaufnahme zur Ausstattung und zur
Praxis der örtlichen Jugendhilfeplanung, um daraus die Konsequenzen zu ziehen zur Ausgestaltung der im SGB VIII markierten Verknüpfung von Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung.
Zusammenfassende Leitsätze zu Kap. 1:
1. Mit § 79 Abs. 2 Nr. 2 und § 79a SGB VIII wird die kontinuierliche Qualitätsentwicklung zum Bestandteil der infrastrukturellen Gewährleistungsverantwortung,
der die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nachzukommen haben.
5
Es bestehen deutliche Hinweise, dass sich die Jugendhilfeplanung in einem erheblichen Teil der Jugendämter
zur Zeit nicht in einem Zustand befindet, der einen relativ problemlosen Einbezug der Aufgabe „Qualitätsentwicklung“ in die Aufgabenbereiche der Planungsfachkräfte ermöglichen würde. Die Jugendhilfeplanung scheint
in den meisten Jugendämtern nicht so personell ausgestattet und nicht mit einem solchen fachlichen und organisationalen Profil ausgestaltet zu sein, dass die qualitätsbezogenen Steuerungsanforderungen von ihr bewältigt
werden könnten. Vgl. dazu Merchel 2012a und die damit einhergehenden Anregungen des Bundesjugendkuratoriums (2012) zur Neu-Aktivierung von Jugendhilfeplanung.
11
2. Entsprechend dem Gebot der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit fachlich
und organisational selbstständigen freien Trägern (§ 4 SGB VIII) sind diese in
die Prozesse der Qualitätsentwicklung kooperativ einzubeziehen.
3. Die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe stehen vor der Anforderungen,
Prozesse zu gewährleisten, in denen Qualitätskriterien und Verfahren der Qualitätsentwicklung für alle Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe erarbeitet
und angewendet werden. Qualitätskriterien und die Verfahren zur Qualitätsentwicklung sollen regelmäßig überprüft werden. Die örtlich definierten Grundsätze und Maßstäbe für Qualität sollen sich an den fachlichen Empfehlungen
der Landesjugendämter orientieren.
4. Zwei Qualitätsmaßstäbe sind verpflichtend in die Qualitätsentwicklung einzubeziehen: Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen
sowie Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt in Einrichtungen und
Diensten.
5. Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung sind eng verknüpft: § 79a SGB
VIII fordert auf, die qualitative Steuerungsfunktion der Jugendhilfeplanung
wieder stärker in den Blick zu nehmen. Notwendig ist eine gründliche Bestandsaufnahme zur örtlichen Jugendhilfeplanung, um Entscheidungen treffen
zu können, wie die Prozesse der Qualitätsentwicklung im Jugendamt so verankert werden können, dass eine kontinuierliche und funktionierende Verbindung
zur Jugendhilfeplanung ermöglicht wird.
2. Zur fachlichen und jugendhilfepolitischen Einordnung
der Regelungen zur Qualitätsentwicklung
In diesem Kapitel sollen keine umfassenden Reflexionen zur Einordnung der neuen Regelungen in Entwicklungstendenzen der Jugendhilfepolitik oder in Tendenzen der Qualitätspolitik in der Sozialen Arbeit erfolgen. Vielmehr geht es darum, auf einige Aspekte im
jugendhilfepolitischen Kontext der Regelungen aufmerksam zu machen, die für die praktische Umsetzung der Neuregelungen in §§ 79, 79a SGB VIII bedeutsam sind. Ein solcher
Aspekt ist bereits in Kap. 1.3 angesprochen worden: die Verknüpfung von Qualitätsentwicklung und Jugendhilfeplanung, deren Beachtung mit Konsequenzen für die organisatorische Verankerung der Qualitätsentwicklung innerhalb des Jugendamtes verbunden ist.
Auf einige weitere Aspekte, die praktische Konsequenzen nach sich ziehen und die daher
bei den Überlegungen zur örtlichen Umsetzung der Qualitätsentwicklung berücksichtigt
werden sollten, wird in diesem Kapitel aufmerksam gemacht.
2.1 Zuständigkeit des Jugendhilfeausschusses
Die Entscheidungen, welche „Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität“
in den unterschiedlichen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe zugrunde gelegt
werden sollen und nach welchen Verfahrensweisen die Qualitätsentwicklung innerhalb
des Jugendamtes und gemeinsam mit freien Trägern realisiert werden soll, haben grundlegende Bedeutung für die gesamte örtliche Jugendhilfe und sind daher nicht als „Geschäft der laufenden Verwaltung“ (§ 70 Abs. 2 SGB VIII) anzusehen. Für diese Entscheidungen muss der Jugendhilfeausschuss als zuständig betrachtet werden, weil es sich bei
12
der Qualitätsentwicklung (a) um einen grundlegenden Prozess zur „Weiterentwicklung
der Jugendhilfe“ und (b) um ein Vorgehen mit engem Bezug zur Jugendhilfeplanung handelt. Beide Aspekte fallen in den in § 71 Abs. 2 SGB VIII ausdrücklich genannten Zuständigkeitsbereich des Jugendhilfeausschusses.
Im Jugendhilfeausschuss ist also zu beraten und zu entscheiden,
mit welchen Verfahrensschritten die Prozesse der Qualitätsentwicklung in den verschiedenen Handlungsfeldern der Jugendhilfe realisiert werden sollen,
nach welchen Qualitätskriterien die Qualität in den einzelnen Handlungsfeldern bewertet und kontinuierlich weiterentwickelt werden soll.
Da die Qualitätsentwicklung selbst als ein kontinuierlicher Vorgang zu verstehen ist, bei
dem Erfahrungen mit bestimmten Verfahrensschritten und mit bestimmten Qualitätskriterien gesammelt werden und diese Erfahrungen aufgearbeitet und für eine Weiterentwicklung des Qualitätsentwicklungsprozesses genutzt werden sollen, sollte der Jugendhilfeausschuss darüber hinaus in größeren Abständen den Umgang mit seinen Beschlüssen
auswerten und beraten, ob die bisher zugrunde gelegten Qualitätskriterien und Verfahren
der Qualitätsentwicklung beibehalten oder modifiziert werden sollten.
Angesichts der unterschiedlichen Handlungsfelder, die in die Prozesse der Qualitätsentwicklung einbezogen werden, wird der Jugendhilfeausschuss sich relativ kontinuierlich
mit Qualitätsfragen befassen, wenn er die „Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung
von Qualität“ in diesen Handlungsfeldern beschließen soll. Dies hat den Effekt, dass der
Jugendhilfeausschuss sich eingehender mit fachlichen Fragen der Jugendhilfe auseinandersetzt und dadurch anstehende Entscheidungen qualifizierter treffen kann. Der bisweilen von Fachkräften zu hörenden Klage, dass die Entscheidungen im Jugendhilfeausschuss manchmal keine ausreichende Sachkenntnis zur Grundlage hätten, kann durch
eine sorgfältige und kontinuierliche Erörterung zur Qualitätsentwicklung entgegengearbeitet werden: Die Erörterung von Qualitätsfragen gem. § 79a SGB VIII hat eine insgesamt qualifizierende Wirkung für die Jugendhilfeausschüsse. Die Ausschussmitglieder
befassen sich eingehender mit qualitativen Fragen der einzelnen Handlungsfelder, sie
entwickeln einen gemeinsamen Diskussionszusammenhang zu Qualitätsaspekten und
setzen sich dadurch in die Lage, die fachliche Tragweite bestimmter Entscheidungen
deutlicher wahrzunehmen. Die kontinuierliche Befassung mit den Aufgaben der Qualitätsentwicklung nach § 79 a SGB VIII kann also die Beratungs- und Entscheidungsqualität im
Jugendhilfeausschuss deutlich verbessern.
2.2 Bedeutung der Landesjugendämter für örtliche Prozesse
der Qualitätsentwicklung
Die Landesjugendämter sollen die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei ihren
Aktivitäten zur Qualitätsentwicklung dadurch unterstützen, dass sie fachliche Empfehlungen geben zu Qualitätskriterien in den unterschiedlichen Handlungsfeldern der Jugendhilfe und zu Verfahren der Qualitätsentwicklung. Mit solchen Empfehlungen kommen die
Landesjugendämter zum einen ihren Beratungsaufgaben nach § 85 Abs. 2 SGB VIII
nach: Sie geben Orientierungen und praktische Arbeitshilfen für die örtliche Praxis. Zum
anderen erfüllen die Landesjugendämter damit eine wichtige fachpolitische Funktion: Mit
den Empfehlungen zu Qualitätskriterien bündeln sie die Fachdiskussion in einem Handlungsfeld und markieren mit der Zusammenfassung zu Qualitätskriterien den jeweils aktuellen Stand des fachlichen Diskussionsstandes in einem Handlungsfeld. Sie schaffen
dadurch gleichermaßen eine Orientierung für die örtlichen Diskussionen zu Qualitätskrite-
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rien und einen Legitimationsrahmen, zu dem sich die örtlichen Entscheidungen zur Auswahl und zur Schwerpunktsetzung bei Qualitätskriterien in Bezug setzen müssen. Die
örtlich ausgewählten Kriterien zur Bewertung von Qualität dürfen nicht willkürlich erscheinen, sondern müssen fachlich legitimiert sein. Für eine solche Legitimation bieten
die Landesjugendämter mit ihren Empfehlungen einen wichtigen Bezugsrahmen. Die an
den örtlichen Entscheidungen und Prozessen Beteiligten sollten verdeutlichen können,
dass und in welcher Weise ihre Entscheidungen zu Qualitätskriterien dem fachlichen Diskussions- und Erkenntnisstand entsprechen. Dazu können sie auf die Empfehlungen der
Landesjugendämter zurückgreifen, oder sie sollten, wenn sie sich außerhalb des von den
Landesjugendämtern herausgegebenen Orientierungsrahmens bewegen, dies fachlich gut
begründen können.
Da die Landesjugendämter tragfähige Empfehlungen zu Qualitätskriterien in der Regel
nur im Diskurs mit der Praxis erarbeiten können, sollten die Jugendämter an der Erarbeitung solcher Empfehlungen beteiligt werden bzw. diese sollte auch bereit sein, an solchen
Erarbeitungsprozessen mitzuwirken. Ferner wird man - ähnlich wie im kommunalen Bereich - den sich verändernden fachlichen Diskussionsstand und die Erfahrungen, die man
mit den Empfehlungen zu Qualitätskriterien und zu Qualitätsentwicklungsverfahren gesammelt hat, in gewissen Zyklen auswerten und die Empfehlungen dementsprechend
fortschreiben. Auch hier sollten Modalitäten des Einbezugs von Akteuren aus der örtlichen
Jugendhilfe und von freien Trägern abgesprochen werden, und diese Akteure sollten zur
Mitarbeit in entsprechenden Arbeitskontexten der Landesjugendämter bereit sein.
Die Landesjugendämter haben somit eine bedeutsame jugendhilfepolitische Funktion im
Rahmen der Qualitätsentwicklung: Sie haben die Aufgabe, mit ihren Empfehlungen dafür
Sorge zu tragen, dass die jeweiligen örtlichen Prozesse der Qualitätsentwicklung sich in
einem fachlichen Rahmen bewegen, der den fachlichen Erkenntnis- und Diskussionsstand
der Jugendhilfe widerspiegelt. Insofern wirken die Empfehlungen der Landesjugendämter
gleichermaßen als Orientierungshilfe wie als Legitimationsfolie für die örtlichen Prozesse
der Qualitätsentwicklung.
2.3 Qualitätsentwicklung und qualitätsbezogene Steuerungserwartungen
In den politischen Konstellationen, die zur Beschlussfassung zum Bundeskinderschutzgesetz geführt haben, sind Steuerungserwartungen zutage getreten, von denen auch die
Vorstellungen zur Qualitätsentwicklung beeinflusst worden sind und die sich möglicherweise auf künftige Prozesse der örtlichen Qualitätsentwicklung auswirken könnten. Die
Beteiligten sollten sich daher ihre qualitätsbezogenen Steuerungserwartungen bewusst
sein und realistisch die durch Qualitätsentwicklung eröffneten, aber auch begrenzten
Steuerungsoptionen einschätzen. (ausführlicher zum Folgenden: Merchel 2011a und
2013a)
Die Genese des Bundeskinderschutzgesetzes ist dadurch geprägt, dass durch die Formulierung zusätzlicher gesetzlicher Anforderungen die Wahrscheinlichkeit erhöht werden
sollte, dass solche fehlgelaufenen Kinderschutzfälle, wie sie mit unterschiedlichen Vornamen von Kindern verbunden wurden („Fall Kevin“, „Fall Pascal“, „Fall Lea-Sophie“ …),
künftig nicht mehr geschehen. Der Gesetzgeber wollte handeln mit dem Ziel, durch Normen zu Steuerungsaktivitäten „das Problem Kinderschutz in den Griff zu bekommen“. In
diesem politischen Erwartungshorizont ist auch die Regelung zur Qualitätsentwicklung
(§§ 79, 79a SGB VIII) platziert: Mit der „lückenlosen Anwendung der Vorschriften über
14
das Qualitätsmanagement auf alle Träger der freien Jugendhilfe - unabhängig vom Arbeitsfeld und unabhängig von der Art und Weise der Finanzierung“ (BT-Drs. 17/6256 vom
22.06.2011, S. 27; Hervorhebung J.M.) sollte ein Rahmen geschaffen werden, der eine
trägerübergreifende - kooperative - Qualitätssteuerung für alle Handlungsfelder der Jugendhilfe ermöglicht. Dass der Gesetzgeber mit den Vorschriften zur Qualitätsentwicklung Steuerungsansprüche verbunden hat, zeigt sich auch am Gesamtduktus des Bundeskinderschutzgesetzes: Anders als in der bisherigen Gesetzgebungspraxis hat der Gesetzgeber durch die Vorgaben von genauen Handlungsanweisungen (faktische Verpflichtung zum Hausbesuch § 8a Abs. 2 SGB VIII; Fallübergabe im Rahmen eines Gesprächs §
86c Abs. 2 SGB VIII) und durch die Verpflichtung zum Einbezug inhaltlich festgelegter
Qualitätskriterien (§ 79a SGB VIII) einen gesetzlichen Eingriff in professionelles methodisches Handeln vollzogen, um dadurch einen neuen Präzisionsgrad in der Steuerung von
Qualität zu erreichen.
Führt man sich die Eigenheiten von Qualität in der Sozialen Arbeit vor Augen, so wird
schnell erkennbar, dass Qualitätsentwicklung ein außerordentlich komplexes Steuerungsfeld darstellt, das die Vorstellung von einer relativ einheitlichen und zielgerichteten Steuerung als überzogen und unrealistisch erscheinen lässt. Zielgerichtet steuern kann man
einen Sachverhalt oder Gegenstand, dem klare und eindeutige Qualitätskriterien zugeordnet werden können, die über einen gewissen Zeitraum relativ stabil sind und die gut
gemessen werden können; ferner sollten relativ klar konturierte Ursache-WirkungsBeziehungen zwischen einzelnen Qualitätsfaktoren identifizierbar sein, um durch gezielte
Eingriffe Qualitätsverbesserungen erzielen zu können. Ein nur oberflächlicher Blick macht
schnell deutlich, dass in der Kinder- und Jugendhilfe diese Bedingungen nicht annähernd
gegeben sind (hier nur stichwortartig; ausführlicher Merchel 2013b):
Was als „Qualität“ gilt, ist stark von subjektiven Wertungen geprägt und bedarf daher
des Diskurses. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Feld wie die Kinder- und Jugendhilfe durch eine Vielzahl von weltanschaulich und fachlich eigenständigen Trägern geprägt ist.
Die Kriterien für Qualität verändern sich durch die Fachdiskussion, durch die Dynamik
der Erwartung unterschiedlicher Beteiligter, durch veränderte Rahmenbedingungen im
Umfeld eines Leistungserbringers.
Qualität in sozialpädagogischen Bezügen lässt sich nur sehr begrenzt durch
routinehaftes Handeln festlegen und erzeugen; zu einem erheblichen Teil muss Qualität in individualisierten Interaktionen immer wieder (und immer wieder anders) hervorgerufen werden.
Ein nicht unerheblicher Teil von Qualität entsteht weniger durch Handlungsanweisungen, sondern eher im Rahmen von organisationskulturell geprägten Überzeugungen,
Gewohnheiten, Haltungen, Schwerpunkten im methodischen Vorgehen etc. Solche organisationskulturellen Phänomene lassen sich nicht zielgenau steuern, sondern nur
durch immer wieder neue, auf sensible Beobachtungen gründende Impulse anregen.
Notwendig ist also eine realistische Steuerungserwartung, mit der die Beteiligten an die
örtlichen Prozesse der Qualitätsentwicklung herangehen. Sie sollten sich nicht von einem
unreflektierten und überhöhten Steuerungsoptimismus leiten lassen, wie er das Bundeskinderschutzgesetz durchzieht. Qualitätsentwicklung vor Ort besteht hauptsächlich darin,
dass die örtlichen Beteiligten gemeinsam Qualitätskriterien definieren und sich darauf
verständigen, anhand welcher Maßstäbe sie ihr Handeln bewerten wollen,
dass diese sich auf Verfahren verständigen, mit denen sie ihr Handeln und die dadurch erzielten Ergebnisse tatsächlich bewerten und
15
dass auf diese Weise Impulse in die Einrichtungen vermittelt werden, die systematische Qualitätsreflexionen und dadurch einrichtungsinterne Weiterentwicklungen herausfordern.
Eine solche Erzeugung und Vermittlung von Qualitätsimpulsen hat sicherlich steuernde
Wirkungen - aber Steuerung nicht im Sinne von zielgenauer Einflussnahme und „Qualität
in den Griff bekommen“, sondern Steuerung als Anregung von dynamischen und diskursiven Prozessen der Qualitätsentwicklung, die in unterschiedlichen Organisationen immer
wieder unterschiedlich verlaufen können und die ihrer Dynamik letztlich nicht einheitlich
kalkulierbar sind. „Steuerung durch den öffentlichen Träger im Bereich von Qualität und
Qualitätsentwicklung bedeutet vor allem, dass Jugendamt und freie Träger eine Qualitätsprogrammatik für die verschiedenen Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe formulieren und an die Einrichtungen und Dienste herantragen in der Erwartung, dass damit
die Aufmerksamkeit der Praxis in eine bestimmte Qualitätsrichtung gelenkt und von den
einzelnen Einrichtungen und Diensten in einer strukturierten Qualitätsentwicklung verarbeitet wird. In welchen Prozessen und Ergebnissen die Qualitätsimpulse von den Einrichtungen verarbeitet werden, muss kooperativ ausgewertet und bewertet werden, woraus
wieder neue Anregungen für Qualitätsentwicklung erwachsen können, deren Verarbeitung
wiederum zum Gegenstand von Beobachtung und Bewertung wird usw.“ (Deutscher Verein 2012, S. 558) Die örtlichen Akteure sollten also mit einem prozesshaften Verständnis
und zurückhaltenden Steuerungserwartungen an Qualitätsentwicklung herangehen - ein
Verständnis, das trotz aller Widersprüche in der politischen Genese des Bundeskinderschutzgesetzes letztlich auch in der Formulierung von § 79a SGB VIII erkennbar wird,
wenn aufgefordert wird, „Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität sowie
geeignete Maßnahmen zu ihre Gewährleistung (…) weiterzuentwickeln, anzuwenden und
regelmäßig zu überprüfen“ (Hervorhebung J.M.).
Zusammenfassende Leitsätze zu Kap. 2:
1. Der Jugendhilfeausschuss ist zuständig für die Erörterung von und die Beschlussfassung zu den Qualitätskriterien zur Bewertung der Qualität in den
einzelnen Handlungsfeldern und zu den Verfahrensschritten, nach denen die
Qualitätsentwicklung in den verschiedenen Handlungsfeldern der Jugendhilfe
realisiert werden soll. Ferner soll der Jugendhilfeausschuss die Prozesse der
Qualitätsentwicklung auswerten und ggf. aufgrund der Erfahrungen seine
Beschlüsse modifizieren.
2. Die Landesjugendämter haben eine bedeutsame jugendhilfepolitische Funktion im Rahmen der Qualitätsentwicklung: Sie haben die Aufgabe, mit ihren
Empfehlungen dafür Sorge zu tragen, dass sich die jeweiligen örtlichen Prozesse der Qualitätsentwicklung in einem fachlichen Rahmen bewegen, der
den fachlichen Erkenntnis- und Diskussionsstand der Jugendhilfe widerspiegelt. Bei der Erarbeitung und Fortschreibung der Empfehlungen sollten Vertreter der Jugendämter und der freien Träger zur Mitwirkung bereit sein.
3. Für die Gestaltung der örtlichen Qualitätsentwicklungsprozesse bedarf es einer realistischen, zurückhaltenden Steuerungserwartung, mit der die Beteiligten an diese Prozesse herangehen: Steuerung nicht im Sinne von zielgenauer Einflussnahme und „Qualität in den Griff bekommen“, sondern Steuerung als Anregung von dynamischen und diskursiven Prozessen der Quali-
16
tätsentwicklung, die in unterschiedlichen Organisationen immer wieder unterschiedlich verlaufen können und die ihrer Dynamik letztlich nicht einheitlich kalkulierbar sind. Steuerung bedeutet, auf eine Weise qualitätsbezogene
Impulse an Träger und Einrichtungen so heranzutragen, dass systematische
Qualitätsreflexionen herausgefordert werden.
3. Überlegungen und Empfehlungen zur Verfahrensgestaltung der örtlichen Qualitätsentwicklung
In diesem Kapitel sollen konkrete Schritte bzw. Entscheidungen gekennzeichnet und vorgeschlagen werden, die gegangen bzw. getroffen werden sollten, um zu einem örtlich
praktikablen und fachlich angemessenen Verfahren der Qualitätsentwicklung zu gelangen. Vorab sind jedoch einige Vorbemerkungen und Vorklärungen notwendig, die für das
Verständnis der nachfolgenden Vorschläge und Darstellungen und zu einer guten Abwägung von Entscheidungsalternativen bedeutsam sind.
3.1 Vorbemerkungen zum methodischen Rahmen der Qualitätsentwicklung
Die in Kap. 3.2 vorgeschlagenen Verfahrensschritte basieren auf einigen Vorannahmen
zum Qualitätsmanagement und auf fachlichen Schwerpunktsetzungen, die hier offengelegt und kurz begründet werden:
Qualitätsentwicklung, wie sie in § 79a SGB VIII begrifflich gefasst ist, zielt
auf Qualitätsbewertung, also auf Verfahren, die einen evaluativen Charakter
haben. Eine reine Festlegung von Verfahrensstandards, ohne dass diese kontinuierlich und systematisch überprüft werden, reicht nicht aus.
Man kann Verfahren des Qualitätsmanagements danach typisieren, ob sie sich eher
dem Muster der Verfahrensstandardisierung oder eher dem Muster der evaluativen
Qualitätsbewertung annähern (s. Merchel 2013b, S. 129 ff.). Beim Muster der Verfahrensstandardisierung werden für verschiedene Aufgaben/Handlungsanforderungen
Abläufe und Verhaltensmuster definiert, von denen man annimmt, dass dann, wenn
die Mitarbeiter/innen entsprechend den Verhaltensanforderungen handeln, gute Prozesse entstehen; um Qualität zu „sichern“, muss die Organisation dafür Sorge tragen,
dass die Mitarbeiter/innen die festgelegten Abläufe und Verhaltensanforderungen einhalten. Demgegenüber wird beim Muster der evaluativen Qualitätsbewertung auf die
Vorgabe von Abläufen und Verhaltensmustern verzichtet; stattdessen werden Qualitätskriterien definiert, die als Maßstab für eine auf Evaluation gründende Bewertung
von Prozessen genommen werden, um auf der Basis solcher Bewertungen ein Bild
zum Stand der Qualität in einer Organisation zu erzeugen und daraus Schlussfolgerungen für eine Verbesserung der Arbeit zu ziehen. Als generelle Leitorientierung
kann gelten: Tendenziell können Verfahrensstandardisierungen eher bei Vorgängen
mit administrativen Charakter für eine Qualitätssicherung sorgen, da sie die Anforderungen transparent machen und das Handeln aller Akteure verbindlich festlegen - für
sozialpädagogische Prozesse, die ihre Qualität eher in der individuellen Ausdifferenzierung, in situationsorientierter Flexibilität und in sinnbezogen reflexivem Handeln
finden, scheint demgegenüber eine evaluative Qualitätsbewertung angemessenere
methodische Perspektiven für die Qualitätsentwicklung zu eröffnen. Die Definition von
Verfahrensstandards ist sicherlich sinnvoll, um einen für alle Mitarbeiter/innen verbindlichen Rahmen des Vorgehens festzulegen und dadurch das Handeln der Organi-
17
sation kalkulierbarer zu machen. Aber allein mit der Festlegung von Verfahrensstandards ist der Auftrag zur Qualitätsentwicklung nach § 79a SGB VIII noch nicht erfüllt.
Zum einen müssen auch der Umgang mit den Verfahrensstandards und die Zweckmäßigkeit der Standards überprüft, d.h. evaluiert werden. Zum anderen weist ein erheblicher Teil der Prozesse in der Jugendhilfe, auf die sich die in § 79a SGB VIII geforderte Qualitätsentwicklung richtet, sozialpädagogischen Charakter auf, und solche
sozialpädagogischen Prozesse legen methodisch eine „evaluative Qualitätsbewertung“
nahe. Methodisch ist also ein evaluatives Vorgehen nicht zu umgehen: als systematische Überprüfung und Bewertung von Verfahrensstandards sowie als Bewertung anhand von Qualitätskriterien für sozialpädagogische Prozesse und deren Ergebnisse.
Auch der Wortlaut des § 79a SGB VIII legt mit dem Hinweis auf „Grundsätze und
Maßstäbe für die Bewertung von Qualität“ eine Ausrichtung an Verfahren der evaluativen Qualitätsbewertung nahe.6
6
Das Verfahren der Qualitätsentwicklung soll den Aufwand der beteiligten
Organisationen begrenzt halten. Dies wird am ehesten dadurch erreicht,
dass nicht die „gesamte Einrichtung mit all ihren Prozessen und Ergebnissen“ in die Qualitätsbewertung einbezogen wird, sondern jeweils nur Ausschnitte bzw. einige ausgewählte Qualitätskriterien in einen Zyklus der Qualitätsentwicklung hineingenommen werden.
Qualitätsentwicklung wird von vielen Mitarbeiter/innen in Einrichtungen und Diensten
als aufwendig und als eine zusätzliche Aufgabe empfunden, die sie neben ihrer „normalen Arbeit“ leisten sollen. Man kann lange darüber streiten, ob es sich tatsächlich
um eine „Zusatzanforderung“ handelt oder ob Qualitätsentwicklung als normaler Bestandteil eines professionellen Handelns einzuordnen ist. Nicht bestreitbar ist, dass
jede Form von Qualitätsentwicklung den Einsatz von Zeit und Energie erfordert. Je
umfassender die Prozesse in einer Organisation in die Qualitätsentwicklung einbezogen werden, desto größer wird der Aufwand sein, den Leitungspersonen und Mitarbeiter/innen zu bewältigen haben. Verfahren, deren Absicht darin liegt, die „gesamte
Einrichtung“ in das Qualitätsmanagement einzubeziehen, sind unter zwei Aspekten
wenig geeignet für eine Qualitätsentwicklung nach § 79a SGB VIII: Zum einen wäre
damit zu rechnen, dass sich ein erheblicher Teil der Mitarbeiter/innen gegen den damit verbundenen Aufwand wehren würde,7 und zum anderen wären solche Verfahren
zwar im Grundsatz anwendbar für eine einzelne Organisation, nicht aber für ein
Handlungsfeld mit unterschiedlichen Trägern und Einrichtungen, die jeweils in fachlicher und organisationaler Hinsicht autonom sind (§ 4 Abs. 1 SGB VIII). Ein praktikables, im Aufwand begrenzbares Verfahren wird somit darauf ausgerichtet sein, Teilbereiche/Teilprozesse und/oder einige Qualitätskriterien auszuwählen und darauf die
Qualitätsentwicklung in einem bestimmten Zeitzyklus zu beschränken. In nachfolgenden Zeitzyklen können dann weitere Teilprozesse und weitere Qualitätskriterien zum
Gegenstand der Qualitätsentwicklung gemacht werden.
In diese Richtung geht auch Tammen in ihrer Kommentierung zu § 79a SGB VIII: „Für die Bewertung der
Qualität wird in der Regel eine Evaluation erforderlich sein.“ (in: Münder u.a. 2013, § 79a Rn. 10)
7
Es besteht die Gefahr, dass Leitungspersonen und Mitarbeiter/innen der Komplexität, die mit der Ausrichtung
auf die „gesamte Einrichtung“ einhergeht, dadurch zu entgehen versuchen, dass sie den größten Teil der mit
Qualitätsentwicklung verbundenen Aufgaben entweder unbeachtet lassen oder nur noch formal handhaben,
ohne die damit einhergehenden fachlich-inhaltlichen Anforderungen wahrzunehmen und ihrem Handeln zu würdigen. So entsteht dann die bisweilen in Einrichtungen zu beobachtende „Qualitätsbürokratie“: Die Mitarbeiter/innen wissen, dass es irgendwo in der Organisation ein „Qualitätshandbuch“ gibt, dem sie aber für ihr Alltagshandeln wenig Bedeutung zuordnen. Wenn es in solchen Konstellationen gut verläuft, richten die Mitarbeiter/innen ihre Aufmerksamkeit auf einen Teilbereich, der nach ihrem Empfinden einen besonderen Nachholbedarf bei der qualitativen Ausrichtung der Arbeit aufweist, und forcieren hier ihre Bemühungen zur Qualitätsentwicklung, während sie andere Teile, die ebenfalls in den „QM-Handbüchern“ enthalten sind, weitgehend ignorieren (zumindest ignorieren im Hinblick auf eine aktive Qualitätsentwicklung).
18
Das Verfahren der Qualitätsentwicklung soll so ausgerichtet sein, dass verschiedene Träger und Einrichtungen in einen Dialog kommen können und
trotz ihrer Differenzen in fachlichen Konzepten und Vorgehensweisen eine
gemeinsame Grundlage von Qualitätskriterien finden.
Wenn über Qualitätsmanagement gesprochen, bildet in der Regel eine einzelne Organisation/Einrichtung den Bezugspunkt; ein über diese Organisation hinausgehendes
Verfahren wird meist nicht in den Blick genommen. 8 In § 79a SGB VIII wird demgegenüber ein Modus der Qualitätsentwicklung nahegelegt, der über eine einzelne Einrichtung hinausgeht. Die „Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung von Qualität“
weisen über die Geltung für eine einzelne Einrichtung hinaus, und die geforderte Anwendung, Prüfung und Weiterentwicklung zielt auf einen Rahmen, in den mehrere
örtliche Einrichtungen einbezogen sind. Die beteiligten Organisationen (Träger, Einrichtungen, Dienste) müssen sich mit ihren jeweiligen Konzepten in den Qualitätskriterien wiederfinden können. Wenn die Qualitätskriterien sowohl basale fachliche Maßstäbe definieren, die für alle Einrichtungen in einem Arbeitsfeld gelten (in der Fachdiskussion herausgebildeter „state of the art“), als auch den beteiligten Organisationen die Möglichkeit lassen, organisationsspezifische Qualitätskriterien zur Geltung zu
bringen, kann die Grundlage für eine gemeinsame dialogische Qualitätsentwicklung
geschaffen werden.
Das Verfahren der Qualitätsentwicklung soll so gestaltet werden, dass die
beteiligten Organisationen die Qualitätsentwicklung als ein gemeinsames
Lernfeld ansehen und dass die Kontrolloptionen, die in der Qualitätsentwicklung enthalten sind, die Prozesse nicht allzu sehr beeinträchtigen.
Jedes Verfahren der Qualitätsentwicklung ist für die daran Beteiligten mit einer Ambivalenz belegt: Einerseits zeigt eine systematisierte Qualitätsbewertung Stärken und
Ansätze der Verbesserung der Arbeit auf, eröffnet also Lern- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten für die Organisation; andererseits werden auch Qualitätseinbußen
bzw. Qualitätsmängel offengelegt und zur Erörterung gebracht, die vorher so noch
nicht in den Blick geraten waren bzw. über die noch nicht so deutlich gesprochen
worden war. Die durch Qualitätsentwicklung hervorgerufene Transparenz macht einerseits eine genauere Erörterung von Verbesserungspotentialen möglich, während
sie auf der anderen Seite auch Kontrollmöglichkeiten eröffnet, die von den betroffenen Einrichtungen und/oder Mitarbeiter/innen als unangenehm empfunden werden.
Die mit größerer Transparenz einhergehende Kontrolloption kann nicht ausgeschlossen werden, sie bleibt zumindest im Hintergrund immer präsent. Die Beteiligten müssen für diesen Kontrollaspekt sensibel sein, wenn sie Verfahren der Qualitätsentwicklung entwerfen und praktizieren. Sie sollten bemüht sein, die Verfahrensschritte so zu
konzipieren und zu praktizieren, dass zwischen den Beteiligten ein möglichst lernoffenes Klima entstehen kann und mögliche Störpotentiale, die durch die Kontrolloption
8
Eine Ausnahme bildet hier das Benchmarking, das darauf ausgerichtet ist, aus dem Vergleich mit anderen
vergleichbaren Organisationen im Handlungsfeld Ansatzpunkte für eine gezielte Qualitätsverbesserung in der
eigenen Organisation zu finden. Allerdings begeben sich Organisationen freiwillig in ein Benchmarking, und in
der Regel stehen diese Organisationen nicht in Konkurrenz zueinander. Ferner kann nur dann beim
Benchmarking von einem organisationsübergreifenden Verfahren gesprochen werden, wenn es sich um ein
nicht-anonymisiertes Verfahren handelt, bei dem die auf Kennziffern beruhenden Vergleiche qualitativ in einem
„Vergleichsring“ oder einer „Qualitätsgemeinschaft“ mit einem bestimmten Kreis kontinuierlich beteiligter Organisationen gemeinsam ausgewertet und daraus Qualitätsperspektiven für die beteiligten Organisationen entwickelt werden (ausführlicher dazu s. Merchel 2013b, S. 93 ff. mit weiteren Literaturhinweisen; zum Konzept des
Benchmarking in der öffentlichen Verwaltung s. von Bandemer 2005 und Pothmann 2006). Allein die Tatsache,
dass die in der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe tätigen Träger nicht nur - wenn es gut geht - miteinander
kooperieren, sondern auch in Konkurrenz zueinander stehen und sich gegeneinander abgrenzen müssen, lässt
Verfahren des Benchmarking für die örtlichen Qualitätsentwicklung nach § 79a SGB VIII in der Regel als kaum
praktizierbar erscheinen. (vgl. dazu auch die Ausführungen zu Schritt 13 in Kap. 3.2)
19
entstehen, möglichst zurückgedrängt werden (auch wenn diese selbstverständlich
nicht gänzlich ausgeschaltet werden können).
Der in Qualitätskontexten häufig verwendete Begriff „Standards“ ist wegen
seiner semantischen Mehrdeutigkeit bzw. inhaltlichen Ungenauigkeit sehr
anfällig für Missverständnisse; man muss genau hinsehen, in welchem Verwendungskontext von „Standards“ gesprochen wird und was genau der jeweilige Sprecher damit meint. Im Grundsatz trifft der Begriff „Qualitätskriterium“ genauer das, was in § 79a SGB VIII als „Grundsätze und Maßstäbe für
die Bewertung von Qualität“ angesprochen wird.
In der Fachliteratur und in Fachdiskussionen zum Qualitätsmanagement wird der Begriff „Standard“ sehr ungenau und mit unterschiedlichen Intentionen verwendet. Es
ist vielfach unklar und kann nur mühsam aus dem jeweiligen Zusammenhang erschlossen werden, was jeweils mit „Standard“ gemeint ist (nur Struktur- oder auch
Prozess- und/oder Ergebnisqualität; allgemeine Zielformulierungen oder genauer
Qualitätsmaßstab; Qualitätskriterium oder Handlungsanweisung im Sinne einer Standardisierung) und mit welchen Intentionen dieser Begriff verwendet wird (Abwehr zur
Aufrechthaltung vermeintlicher „Mindeststandards“, Verbindlichmachen von Handlungsschritten und Kontrolle zu deren Einhaltung, Absicherung für Fachkräfte, Maßstäbe für Qualitätsbewertung etc.; vgl. Merchel 2013b, S. 59 ff.). Aufgrund seiner
semantischen Mehrdeutigkeit ist der Begriff anfällig für Missverständnisse. Daher sollte er bei der Konzipierung örtlicher Qualitätsentwicklungsprozesse möglichst vermieden werden; wenn er im Kontext von Verfahrensstandardisierungen benutzt wird,
sollte man ihn auf diesen Zusammenhang begrenzen. Der Begriff „Qualitätskriterium“
ist eindeutiger und entspricht besser der Formulierung in § 79a SGB VIII: „Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung von Qualität“ - dies ist genau das, was im Begriff
„Qualitätskriterien“ ausgedrückt ist.
3.2 Entscheidungen und Verfahrensschritte bei der örtlichen
Qualitätsentwicklung
Die folgenden Vorschläge zu einem Verfahrensablauf der Qualitätsentwicklung gehen davon aus, dass die Beteiligten (Jugendamt/Jugendhilfeausschuss sowie Träger und Einrichtungen der freien Jugendhilfe) die Anforderungen in § 79a SGB VIII als eine fachliche
Herausforderung zur gemeinsam Qualitätsgestaltung in der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe ansehen - und nicht primär als einen formalen gesetzlichen Auftrag, den sie
möglichst routinisiert verarbeiten wollen. Mit den Vorschlägen wird der Versuch unternommen, einen praktikablen Weg aufzuzeigen, mit dem die Anforderungen, wie sie Kap.
1 interpretiert und in Kap. 2 in einen jugendhilfepolitischen Rahmen eingeordnet wurden,
umgesetzt werden können. In einem Schaubild werden zunächst die einzelnen Schritte
skizziert, um den Gesamtablauf zu kennzeichnen. Die einzelnen Schritte werden dann
genauer beschrieben, und es wird verdeutlicht, welche Entscheidungen bei welchem Verfahrensschritt getroffen werden müssen. Im nachfolgenden Schaubild werden zwei Verfahrensbereiche voneinander unterschieden, die für die Gestaltung des gesamten Prozesses der örtlichen Qualitätsentwicklung bedeutsam sind: Entscheidungen zur Gestaltung
des organisationalen Rahmens und Entscheidungen zur Gestaltung der „Kernprozesse“
der Qualitätsentwicklung, die in handlungsfeldbezogenen Arbeitsgruppen stattfinden. Das
Schaubild macht deutlich, dass beide Verfahrensbereiche aufeinander bezogen sind, dass
aber in beiden Bereichen Entscheidungen unterschiedlicher Art zu treffen sind, die eine
differenzierte Betrachtung als sinnvoll erscheinen lässt.
20
Schaubild zu Verfahrensschritten in der örtlichen Qualitätsentwicklung nach § 79a SGB VIII
organisationaler Rahmen
Kernprozesse der Qualitätsentwicklung (in den handlungsfeldbezogenen Arbeitsgruppen)
(1) personelle Regelungen zur Wahrnehmung der Steuerungsverantwortung
(2) Erarbeiten eines Konzepts zum Vorgehen bei der Qualitätsentwicklung
(3) Erörterung und Beschluss des Qualitätsentwicklungskonzepts im Jugendhilfeausschuss
(4) Auswahl (und ggf. Fortbildung) der
AG-Moderator/innen
(5) handlungsfeldspezifische Arbeitsgruppen (AG’en) einrichten
(6) Erarbeitung von Qualitätskriterien
(„Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung von Qualität“) in den AG’en
(7) Erörterung und Beschlussfassung zu
Vorlagen „Qualitätskriterien im Handlungsfeld „XYZ“ im Jugendhilfeausschuss
(8) kontinuierliche Begleitung der Qualitätsentwicklungsprozesse durch die
Steuerungsgruppe
(9) Auswahl von Qualitätskriterien für ein
erstes Verfahren zur Qualitätsbewertung
(10) Entscheidung: Verfahrensstandardisierung - evaluative Qualitätsbewertung
(11) Erarbeitung von Instrumentarien zur
Qualitätsbewertung
(12) Einsatz der Instrumente/ Durchführung von Qualitätserhebungen
21
(8) kontinuierliche Begleitung der Qualitätsentwicklungsprozesse durch die
Steuerungsgruppe
(13) Auswertung der Qualitätserhebungen
innerhalb der beteiligten Einrichtungen
(14) Kurzberichte der beteiligten Einrichtungen für die AG’en
(15) Erstellung eines „Gesamtberichts“ in
der jeweiligen AG
(16) Erörterung des (Zwischen)Berichts
der Steuerungsgruppe im Jugendhilfeausschuss; JHA-Entscheidung zum weiteren
Vorgehen
(17) kritische Durchsicht der Qualitätskriterien; Auswahl von Qualitätskriterien für
einen zweiten QuE-Teilprozess (Schritte 9
bis 15)
(18) Vorlage für den Jugendhilfeausschuss (s. Schritt 16)
(19) wie Schritt 18 für einen dritten QuETeilprozess ………..
..........
..........
Zu Schritt (1): personelle Regelungen zur Wahrnehmung der Steuerungsverantwortung
Im Jugendamt liegt die Steuerungsverantwortung für den Gesamtprozess der Qualitätsentwicklung. Es muss geregelt werden, welche Personen mit der Wahrnehmung dieser
Steuerungsverantwortung betraut werden sollen und in welchen organisatorischen Konstellationen der Gesamtprozess gesteuert werden soll. Angesichts der Kontinuierlichkeit, in
der Qualitätsentwicklung betrieben werden soll, angesichts der Komplexität des Gesamtprozesses (Einbezug unterschiedlicher Träger, verschiedene Handlungsfelder, Einbezug
des Jugendhilfeausschusses, enge Verbindung zur Jugendhilfeplanung etc.) und angesichts der Verwobenheit der verschiedenen Teilprozesse sollte eine Steuerungsgruppe
eingerichtet werden, in der die Steuerung der Teilprozesse zusammenläuft. Mitglieder der
Steuerungsgruppe sollten sein:
22
ein/e Beauftragte/r für Qualitätsentwicklung („QuE-Beauftragte/r“), die/der
Moderationsfunktionen in der Steuerungsgruppe übernimmt und die unterschiedlichen
Teilprozesse koordiniert. Es muss entschieden werden, ob die Jugendhilfeplanungsfachkraft zusätzlich mit der Aufgabe eines/einer QuE-Beauftragten betraut werden
soll. Die Nähe zu den qualitativen Planungsaufgaben würde für eine solche Lösung
sprechen, während andererseits für eine personelle Trennung plädiert werden kann
mit dem Argument, dass den Beteiligten der fachliche Zusammenhang zwar bewusst
gemacht werden soll, bei einer personellen Trennung die Qualitätsentwicklung aber
als ein Prozess mit eigener Logik wahrgenommen wird. Auf jeden Fall muss der zeitliche und fachliche Aufwand eingerechnet werden, wenn die Planungsfachkraft mit der
Moderation der Steuerungsgruppe beauftragt wird.
die Planungsfachkraft/Planungsfachkräfte - falls jemand anderes die Funktion der
QuE-Beauftragten übernimmt;
eine Person aus jedem Handlungsfeld, das in die Qualitätsentwicklung einbezogen
wird - dies werden in der Regel die Personen sein, die im weiteren Verlauf die Arbeitsgruppen (s. Schritt 5) moderieren werden.
Es ist zu entscheiden, ob und in welcher Weise Vertreter der freien Träger in der Steuerungsgruppe kontinuierlich mitwirken sollen. Wenn diese Frage bejahend entschieden
wird, kann der Einbezug der freien Träger (a) entweder dadurch erfolgen, dass auch Personen von freien Trägern Moderationsfunktionen in den Arbeitsgruppen (s. Schritt 5)
übernehmen oder (b) die Wohlfahrtsverbände und Jugendverbände einige (damit die
Gruppe nicht zu groß wird: max. bis zu 4) Personen für die Mitarbeit in der Steuerungsgruppe benennen oder (c) dass beide Varianten verkoppelt werden.
Zu Schritt (2): Erarbeiten eines Konzepts zum Vorgehen bei der Qualitätsentwicklung
In der Steuerungsgruppe wird ein Konzept erarbeitet, das die Abläufe und den geplanten
zeitlichen Rahmen für die Prozesse der Qualitätsentwicklung transparent macht. Das
Konzept enthält Aussagen (Entscheidungsvorschläge) insbesondere darüber,
wie die Steuerungsgruppe für den weiteren Prozessverlauf zusammengesetzt sein
soll,
zu welchen Handlungsfeldern Arbeitsgruppen für die Qualitätsentwicklung gebildet
werden sollen,
in welcher Weise bzw. mit welchen Verfahrensschritten die Arbeitsgruppen ihre Aktivitäten zur Qualitätsentwicklung angehen sollten,
in welchen Zeitzyklen welche Arbeitsgruppen zu Zwischenergebnissen kommen sollen,
ob und wie die einzelnen Arbeitsgruppen ihr Vorgehen aufeinander abstimmen bzw.
miteinander kommunizieren sollen,
in welcher Weise der öffentliche Träger und die freien Träger im Prozess der Qualitätsentwicklung miteinander kooperieren.
Die Frage, zu welchen Handlungsbereichen Arbeitsgruppen für Qualitätsentwicklung gebildet werden sollen, ist nach örtlichen Verhältnissen und je nach Anzahl der Einrichtungen/Dienste in einem Handlungsfeld zu entscheiden. Ein Blick in die Handlungsbereiche
der Kinder- und Jugendhilfe legt es nahe, folgende Handlungsfelder einzubeziehen und
dazu ggf. Arbeitsgruppen zur Qualitätsentwicklung zu bilden: offene Kinder- und Jugend-
23
arbeit - Jugendverbandsarbeit - Schulsozialarbeit - Jugendberufshilfe9 - Förderung in Kindertageseinrichtungen (evtl. differenziert nach Altersgruppen, unter 3 Jahre und 3 bis 6
Jahre, und Kindertagespflege) - Eltern- und Familienbildung - ambulante Erziehungshilfen
- stationäre Erziehungshilfen - ASD/KSD - Pflegekinderhilfe/Adoption - Umgang mit straffälligen jungen Menschen/Jugendgerichtshilfe - Vormundschaft/Pflegschaft/Beistandschaft.
In dem Konzept sollte ein Entscheidungsvorschlag enthalten sein, ob gleich zu Beginn für
alle Handlungsfelder Arbeitsgruppen zur Qualitätsentwicklung gebildet werden sollen oder
ob man gestuftes Vorgehen bevorzugt, bei dem z.B. zunächst in einem „Pilotprojekt“ lediglich zwei oder drei Arbeitsgruppen gebildet werden und nach einer ersten Phase der
Qualitätsentwicklung, die eine Auswertung der Erfahrungen aus den zwei bis drei Arbeitsgruppen einschließt, das Verfahren auf alle Handlungsfelder ausgedehnt wird. Wenn
man sich im Konzept für eine „Pilotphase“ entscheidet, sollte auf jeden Fall der ASD/KSD
in die auszuwählenden Handlungsfelder einbezogen werden, (a) um zu dokumentieren,
dass sich auch der öffentliche Träger mit eigenen Handlungsfeldern aktiv in die Qualitätsentwicklung einbringt und (b) weil dem ASD eine elementare Steuerungsfunktion für die
Leistungserbringung in der örtlichen Jugendhilfe zukommt (s. dazu die Beiträge in
Merchel 2012b, Gissel-Palkovich 2011, S. 106 ff.); auch der ausdrückliche Hinweis in §
79a SGB VIII, dass der Prozess der Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII Gegenstand der Qualitätsentwicklung sei, erfordert den Einbezug des ASD/KSD schon in einer
Pilotphase.10
Wichtig ist, dass durch das Konzept bereits zu Beginn für alle Beteiligten Transparenz
hergestellt wird hinsichtlich des Gesamtprozesses. Transparenz ist eine Grundvoraussetzung, damit Bereitschaft zur Beteiligung entsteht und damit trotz der Risiken, die mit
Qualitätsentwicklung für einzelne Einrichtungen einhergehen, ein Klima der Lernbereitschaft entstehen kann. So ist insbesondere wichtig, dass die beteiligten Einrichtungen/Dienste bereits zu Anfang signalisiert bekommen, dass die Ergebnisse der Qualitätsbewertung zunächst nur innerhalb der jeweiligen Einrichtung ausgewertet und diskutiert
werden (s. Schritte 13 und 14) und dass somit ein geschützter Rahmen für die Qualitätsbewertung gewährleistet wird.
Das von der Steuerungsgruppe erarbeitete Konzept sollte in den Arbeitsgemeinschaften
nach § 78 SGB VIII mit den Einrichtungen und Diensten abgestimmt werden. Dies gilt
dann, wenn die AG’en nach § 78 nach Handlungsfeldern strukturiert sind. Wenn die
AG’en nach § 78 sozialräumlich strukturiert sind, müssen andere Formen gefunden werden, das Qualitätsentwicklungskonzept mit den Einrichtungen und Diensten in den ein9
Auch wenn in § 13 SGB VIII die Jugendberufshilfe ein Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe bildet, so ist
dieser Arbeitsbereich durch die Bestimmungen in SGB II und SGB III faktisch weitgehend aus der Jugendhilfe
herausgefallen. Die Träger der Jugendberufshilfe sind hinsichtlich ihres Qualitätsmanagements weitgehend
gebunden durch die Anforderungen der entsprechenden Förderungsbehörden. Diese Träger wird man nicht
motivieren können, sich an Prozessen der Qualitätsentwicklung in der Jugendhilfe zu beteiligen, zumal diese
sich auch nur selten als Teil der örtlichen Jugendhilfe verstehen. Eine Qualitätsentwicklungs-AG in diesem
Handlungsfeld ist somit nur dann sinnvoll, wenn die Jugendberufshilfe als Teil der örtlichen Jugendhilfe profiliert
ist.
10
Bei einer engen Auslegung der gesetzlichen Anforderung in §§ 74,79, 79a SGB VIII ließe sich einwenden,
dass der Gesetzgeber den sofortigen Einbezug aller Handlungsfelder fordert und daher ein Stufenkonzept mit
einer auf zwei oder drei begrenzte Handlungsfelder nicht gesetzeskonform sei. Einem solchen Einwand wären
zwei Argumente entgegenzuhalten: (1) In dem Qualitätsentwicklungskonzept sind insofern alle Handlungsfelder
berücksichtigt, als zeitliche Perspektiven über die Pilotphase hinaus und somit zum Einbezug aller Handlungsfelder benannt werden; daher werden in dem Konzept keine Handlungsfelder ausgespart. (2) Um zu einem
Vorgehen der Qualitätsentwicklung zu gelangen, das den inhaltlichen Intentionen des Gesetzgebers in der Praxis zur Geltung verhilft (und nicht nur formal abgearbeitet wird), kann ein zeitliches Stufenmodell sinnvoll sein;
das Stufenmodell ist zu verstehen als auf die Absicht des Gesetzgebers ausgerichteter
Implementationsvorgang.
24
zelnen Handlungsfeldern zu erörtern und abzustimmen. Eine Erörterung und Abstimmung
mit den Einrichtungen und Diensten der Handlungsfelder ist erforderlich, weil diese das
Konzept nachher umsetzen müssen; dies werden sie nur dann tun, wenn sie bereits bei
der Konzipierung einbezogen werden und wenn sie bereits in dieser Phase die Möglichkeit
haben, ihre Bedenken und mögliche Hindernisse zur Sprache zu bringen und diese damit
besprechbar zu machen.
Zu Schritt (3): Erörterung und Beschluss des Qualitätsentwicklungskonzepts im
Jugendhilfeausschuss
Die Begründung für den Einbezug des Jugendhilfeausschusses ist in Kap. 2.1 gegeben
worden. Der Jugendhilfeausschuss kann entscheiden, in welchen Zeiträumen er sich vom
Fortgang und von Zwischenergebnissen des Prozesses der Qualitätsentwicklung berichten
lassen möchte. Zumindest sollte er neben dem Beschluss zum Konzept zwei weitere Beschlüsse fassen (falls diese nicht bereits Bestandteil des Konzepts sind): zum einen, dass
er die „Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität“ in den einzelnen Handlungsfeldern vorgelegt bekommen, erörtern und beschließen möchte (s. Schritt 7), und
zum anderen, innerhalb welchen Zeithorizonts die erste Phase der Qualitätsentwicklung,
in der nach dem beschlossenen Konzept vorgegangen wurde, beendet sein sollte und im
Jugendhilfeausschuss über die Erfahrungen mit dem Verfahren beraten werden sollte (s.
Schritt 16).
Zu Schritt (4): Auswahl (und ggf. Fortbildung) der AG-Moderator/innen
Die Arbeitsgruppen zur Qualitätsentwicklung in den einzelnen Handlungsfeldern werden
nur dann produktiv arbeiten können, wenn sie kompetent moderiert werden. In den Arbeitsgruppen werden Aufgaben zu bewältigen und Hindernisse zu verarbeiten sein, bei
denen die Arbeitsfähigkeit der Gruppe von der Qualität der Moderation abhängig sein
wird: Umgang mit unterschiedlichen Qualitätsvorstellungen/Qualitätskriterien, methodische Schwierigkeiten bei der Erarbeitung von Erhebungsinstrumenten, Befürchtungen im
Hinblick auf Qualitätsvergleiche zwischen Einrichtungen, Umgang mit wenig motivierten
Mitarbeitern/Einrichtungen, mögliche Überlagerung des Qualitätsentwicklungsprozesses
durch andere Konflikte (z.B. politische Entscheidungen zu Ungunsten bestimmter Träger
oder Kürzung bei Finanzierungen) u.a.m. Damit solche Schwierigkeiten nicht zu einer
Lähmung in der Arbeitsgruppe oder zu nachdrücklichen Konflikten führen, werden kompetente Moderationspersonen benötigt, deren Kompetenzen sich (a) in der Fähigkeit zur
produktiven Moderation von Gruppenprozessen und (b) in der Vertrautheit mit Fragen
der Qualitätsentwicklung zeigen. Die Moderationskompetenz sollte sowohl die soziale
Prozessgestaltung als auch die Hilfestellung zur Bewältigung methodischer Anforderungen in der Qualitätsentwicklung einbeziehen. Möglicherweise kann es sich als sinnvoll
erweisen, entsprechende Fortbildungen/Begleitung für die AG-Moderator/innen zu organisieren.
Wie bereits in den Erläuterungen zu Schritt 1 angesprochen, muss entschieden werden,
ob für die Moderation der AG’en nur Personen aus dem Jugendamt oder auch Personen
von freien Trägern einbezogen werden. Die Moderator/innen sollten im weiteren Verlauf
als Mitglieder in der Steuerungsgruppe mitwirken.
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Zu Schritt (5): Handlungsfeldspezifische Arbeitsgruppen (AG’en) einrichten
Entsprechend dem Qualitätsentwicklungskonzept sollen handlungsfeldspezifische Arbeitsgruppen installiert werden, die jeweils für ihr Handlungsfeld Qualitätsentwicklung im Sinne der Schritte 6 bis 15 betreiben. Die AG’en werden geleitet von einer Moderationsperson und sind durch die Mitwirkung der Moderationsperson in der Steuerungsgruppe mit
dem Gesamtprozess verknüpft. In den Arbeitsgruppen sollte ein Zeitplan für das eigene
Vorgehen entwickelt werden, der sich an den Zeitdimensionen des vom Jugendhilfeausschuss beschlossenen Qualitätsentwicklungskonzepts ausrichtet.
Je nach Konstruktion der örtlichen Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII ist abzuwägen, ob die Arbeitsgruppen, die für die Qualitätsentwicklung gebildet werden, in die
Arbeitsgemeinschaften nach § 78 eingebunden bzw. dort angekoppelt werden sollen. Bei
Arbeitsgemeinschaften, die nach dem Strukturprinzip der Jugendhilfe-Arbeitsfelder gestaltet sind, kann es sich anbieten, die Qualitätsentwicklung entweder gänzlich in die AG
nach § 78 einzugliedern oder die Qualitäts-Arbeitsgruppe als eine Untergruppe der AG
nach § 78 zu konstituieren. Bei Arbeitsgemeinschaften nach § 78, die sozialräumlich (also handlungsfeldübergreifend) strukturiert sind, schließt sich eine Ankoppelung der Qualitäts-Arbeitsgruppen aus, da diese zur Ermöglichung fachspezifischer Qualitätsdiskurse
auf die Handlungsfelder ausgerichtet sein sollen.
Die AG-Mitglieder müssen für eine Transparenz des gesamten Prozesses in ihren Einrichtungen/Diensten sorgen, denn auch innerhalb der Einrichtungen sehen sich die Fachkräfte mit Arbeitsanforderungen konfrontiert, die sie möglicherweise als „zusätzlich“ empfinden, und es werden innerhalb der beteiligten Organisationen interne soziale Prozesse und
Dynamiken ausgelöst. Zur Begrenzung oder Reduktion der damit einhergehenden Probleme bedarf es der Transparenz zum Gesamtprozess und des Bemühens um Akzeptanz in
den beteiligten Einrichtungen/Diensten. Hier haben die AG-Mitglieder eine Schlüsselfunktion.
Zu Schritt (6): Erarbeitung von Qualitätskriterien („Grundsätze und Maßstäbe
für die Bewertung von Qualität“) in den AG’en
Die AG‘en müssen die inhaltlichen Grundlagen für die Bewertung der Qualität erarbeiten;
sie müssen verdeutlichen, welche Kriterien sie der Qualitätsbewertung zugrunde legen.
Da diese Kriterien nicht willkürlich deklamiert werden können, sondern als Grundlage für
angemessenes professionelles Handeln gelten sollen, müssen die Qualitätskriterien fachlich legitimiert sein. Als Hilfestellung bei der Formulierung von Qualitätskriterien können
die Empfehlungen der Landesjugendämter dienen, die diese gem. § 79a SGB VIII als
Orientierungshilfe für die örtliche Jugendhilfe erarbeiten sollen (s. Kap. 2.2) sowie die
mittlerweile für verschiedene Handlungsbereiche der Kinder- und Jugendhilfe erarbeiteten
Zusammenstellungen von Qualitätskriterien in der Fachliteratur.11
Bei der Zusammenstellung von Qualitätskriterien hat sich eine Differenzierung nach den
drei Kategorien „Strukturqualität - Prozessqualität - Ergebnisqualität“ als sinnvoll erwiesen. Um bei der Vielzahl möglicher Qualitätskriterien strukturiert in die Qualitätsbewertung gehen zu können, empfiehlt sich eine Beschränkung auf eine übersichtliche Zahl von
11
Beispielhaft für einige Handlungsfelder seien hier u.a. genannt: für die Offene Kinder- und Jugendarbeit Projektgruppe WANJA 2000 und
Schumann 2005; für die Erziehungsberatung Gerth/Menne/Roth 1999; für Kindertageseinrichtungen u.a. Tietze/Viernickel 2007, Heller/Preissing 2009; für den ASD Merchel 2012c. Für viele Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe kann auf Zusammenstellungen
zurückgegriffen, in denen Qualitätskriterien - manchmal unter anderen Begriffen wie z.B. „Standards“ oder „Handlungsprinzipien“ o.Ä. zusammengefasst sind und in denen ein bestimmter Stand der Fachdiskussion markiert wird oder aus denen sich Qualitätskriterien ableiten
lassen.
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Kriterien, die die AG als besonders wichtig für die Qualität in dem Handlungsfeld ansieht.
In jeder der drei Qualitätsebenen (Struktur-, Prozess-, Ergebnisqualität) sollten z.B. max.
5/6/7 Qualitätskriterien benannt werden, die als grundlegend für die Qualität der Leistung gelten sollen. Die ausgewählten Qualitätskriterien sollten erläutert werden, und es
bedarf einer Begründung, warum genau diese Kriterien als so bedeutsam erachtet werden und daher schwerpunktmäßig ausgewählt worden sind.
Zu Schritt (7): Erörterung und Beschlussfassung zu Vorlagen „Qualitätskriterien
im Handlungsfeld …X/Y/Z“ im Jugendhilfeausschuss
Die Qualitätskriterien („Grundsätze und Maßstäbe“) sind bedeutsam sowohl für die Qualitätsbewertung als auch für die qualitative Ausrichtung der Jugendhilfeplanung. Angesichts ihres Stellenwerts für die fachliche Ausrichtung der Angebotsstruktur in der örtlichen Jugendhilfe müssen sie im Jugendhilfeausschuss erörtert werden, und es bedarf
eines entsprechenden Beschlusses im Jugendhilfeausschuss, dass diese Qualitätskriterien
zur Grundlage des weiteren Verfahrens der Qualitätsbewertung gemacht werden sollen.
Zu Schritt (8): kontinuierliche Begleitung der Qualitätsentwicklungsprozesse
durch die Steuerungsgruppe
Das hier als achter Schritt in der Verfahrensabfolge gekennzeichnete Vorgehen bezieht
sich eigentlich auf einen längeren Zeitraum: auf die von der Steuerungsgruppe zu gewährleistende Begleitung der AG’en in den verschiedenen Arbeitsstadien der Qualitätsbewertung (Schritte 9 bis 15). In den AG‘en kann es zu Schwierigkeiten in methodischer
Hinsicht (Probleme beim Finden angemessener Indikatoren für Qualitätskriterien, bei der
Erarbeitung oder beim Einsatz von Erhebungsinstrumenten) oder zu sozialen Spannungen und Divergenzen kommen, für deren Bewältigung die Moderationspersonen und/oder
die AG-Mitglieder Hilfen benötigen. Ferner sollten die Teilprozesse der Qualitätsentwicklung sensibel von der Steuerungsgruppe wahrgenommen und reflektiert werden, damit
die Steuerungsgruppe eine differenzierte Einschätzung zum Qualitätsentwicklungsprozess
in den Jugendhilfeausschuss geben und dessen weitere Beratungen anregen kann
(Schritt 16). Die Beobachtung der Teilprozesse und das zeitnahe Anbieten von Hilfe für
die AG’en sind möglich aufgrund der Mitwirkung der Moderationspersonen als Mitglieder
der Steuerungsgruppe.
Zu Schritt (9): Auswahl von Qualitätskriterien für ein erstes Verfahren zur Qualitätsbewertung
Bei den Erläuterungen zu Schritt (6) ist bereits eine Prioritätenauswahl von Qualitätskriterien vorgeschlagen worden. Doch auch die Prioritätensetzung bei 5 bis 7 Qualitätskriterien pro Qualitätsebene würde ein strukturiertes Bewertungsverfahren sehr arbeitsaufwendig machen und die Beteiligten überfordern. Daher sollte die strukturierte Qualitätsbewertung auf zwei Qualitätskriterien pro Qualitätsebene (Struktur-, Prozess-, Ergebnisqualität) für einen ersten Teilprozess beschränkt werden. Von den 5 bis 7 schwerpunktmäßig definierten Qualitätskriterien pro Qualitätsebene sollten sich die AG-Teilnehmer
also auf die Auswahl von jeweils zwei Qualitätskriterien pro Qualitätsebene für einen
Durchgang der Qualitätsbewertung einigen. In den weiteren nachfolgenden Teilprozessen
der Qualitätsentwicklung (Schritte 17 bis 19 ff.) können die Arbeitsgruppen jeweils andere Qualitätskriterien auswählen und auf diese Weise sukzessive alle schwerpunktmäßig
ausgewählten Qualitätskriterien in die Qualitätsbewertung einbeziehen.
27
Zu Schritt (10): Entscheidung: Verfahrensstandardisierung - evaluative Qualitätsbewertung
Je nach Art eines ausgewählten Qualitätskriteriums muss die AG entscheiden, ob sie für
das Kriterium eher ein Vorgehen der Verfahrensstandardisierung oder eher ein Verfahren
der evaluativen Qualitätsbewertung oder eine Kombination aus beiden für angebracht
hält (s. dazu die erste Anmerkung in Kap. 3.1). Wenn sich die AG bei einem bestimmten
Qualitätskriterium für Verfahrensstandardisierung entscheidet, sind zwei Aspekte zu beachten. Zum einen muss auch bei einem standardisierten Prozessablauf bewertet werden, ob sich die standardisierten Ablaufelemente in fachlicher und organisatorischer Hinsicht bewährt haben; es ist also eine Evaluation erforderlich. Ferner müssen standardisierte Verfahren immer in die Ablauflogik einer bestimmten Organisation eingepasst sein;
es kann also sein, dass Ablaufbeschreibungen für ein bestimmtes Verfahren oder für ein
bestimmtes Qualitätskriterium zwischen verschiedenen beteiligten Einrichtungen variieren.
Zu Schritt (11): Erarbeitung von Instrumentarien zur Qualitätsbewertung
In diesem Arbeitsschritt müssen die ausgewählten Qualitätskriterien einer strukturierten
Bewertung zugänglich gemacht werden. Es müssen für die einzelnen Qualitätskriterien
aussagefähige Indikatoren gesucht werden (woran ist zu erkennen, ob die Arbeit einer
Einrichtung das Qualitätskriterium mehr oder weniger gut erfüllt?), und es müssen Instrumente entwickelt werden (Statistikbögen, Einschätzungsbögen, Fragebögen, Beobachtungsbögen, strukturierte Merkzettel etc.), in denen Meinungen, Beobachtungen,
Wahrnehmungen, Auffälligkeiten etc. festgehalten werden, die Auskunft zu den Indikatoren (und damit zur Qualität der Arbeit nach einem bestimmten Qualitätskriterium) geben
können (methodisch dazu s. Merchel 2010, bes. S. 65-111). In diesem Arbeitsschritt ist
erfahrungsgemäß die Moderationsperson (und ggf. die Steuerungsgruppe) besonders im
Hinblick auf methodische Anleitungen und Hilfestellungen gefordert.
Zu Schritt (12): Einsatz der Instrumente/ Durchführung von Qualitätserhebungen
Nachdem die Instrumente zur Erhebung hinsichtlich der einzelnen Qualitätskriterien und
deren Indikatoren erarbeitet worden sind, werden die Erhebungen in den beteiligten Einrichtungen/Diensten durchgeführt. Es werden Zeiträume abgesprochen, bis zu denen die
Erhebungen in den Einrichtungen und die darauf folgenden Auswertungen realisiert sein
sollen.
Die Erhebungen in den Einrichtungen/Diensten werden nur dann einigermaßen reibungslos erfolgen, wenn die AG-Mitglieder in ihren Einrichtungen/Diensten das Qualitätsbewertungsverfahren gut kommuniziert und zur Akzeptanz gebracht haben (s. Hinweis zu
Schritt 5).
Zu Schritt (13): Auswertung der Qualitätserhebungen innerhalb der beteiligten
Einrichtungen
Die Empfehlung, die Ergebnisse der Qualitätserhebungen innerhalb der einzelnen Einrichtungen/Dienste auszuwerten und von einer organisationsübergreifenden Zusammenführung und Diskussion der Ergebnisse Abstand zu entnehmen, fußt auf mehreren Gründen:
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Einrichtungen sind auch Konkurrenten; sie konkurrieren um Finanzierungen, um Anerkennung, eventuell um Adressaten, um fachliche und politische Legitimation. Bei
organisationsübergreifenden Erhebungen und Ergebnisauswertungen würden durch
methodische Risiken und durch den Wunsch nach einer möglichst positiven Selbstdarstellung aus Furcht vor Nachteilen beeinträchtigt. In einer solchen Konkurrenz und
angesichts der damit verbundenen Risiken, die auch bei ansonsten guter Kooperation
vor Ort als Hintergrundfolie gar nicht ausgeschaltet werden können, kann kein Klima
des Lernens durch Qualitätsentwicklung entstehen.
Das zentrale Ziel der Qualitätsentwicklung besteht darin, das Lernen in einer Organisation anzuregen. Dafür ist ein lernoffenes Klima erforderlich. Die Beteiligten in einer
Organisation sollen Verbesserungspotentiale erschließen und dementsprechend Handlungskonzepte zur Qualitätsverbesserung entwickeln. Dafür benötigen sie einen geschützten Rahmen. Diesen herzustellen ist schon innerhalb einer Organisation schwierig. Organisationsübergreifende Kontexte wären hier kaum förderlich zu gestalten.
Bei der Diskussion von Schlussfolgerungen aus den Qualitätsbewertungen muss jede
Organisation Handlungsoptionen entwickeln, die in den Rahmen der jeweiligen Organisation (Strukturen, Organisationskultur, soziale Dynamik innerhalb der Organisation
etc.) passen. Eine (zwanghafte) Einbindung in einen organisationsübergreifenden Zusammenhang würde solche Diskussionen nicht nur nicht befördern, sondern sogar
hinderlich wirken. Man kann nicht alle organisationsintern bedeutsamen Sachverhalte
nach außen kommunizieren, und viele Sachverhalte müssen aus einer Außensicht unverständlich bleiben. Der Zwang, die Diskussion zu Qualitätsbewertungen und
Schlussfolgerungen nach außen zu vermitteln, würde zu sachlich und sozial kaum akzeptablen Ergebnissen führen.
Aus diesen Gründen muss dafür gesorgt werden, dass eine Organisation die Qualitätsbewertung und die Diskussionen zu Schlussfolgerungen in einem organisationsinternen
Rahmen führen kann - ohne den Zwang zur Offenlegung der Ergebnisse der Qualitätserhebungen. Dies muss im Qualitätsentwicklungskonzept, das vom Jugendhilfeausschuss
beschlossen wird (Schritt 3), ausdrücklich festgelegt sein.
Zu Schritt (14): Kurzberichte der beteiligten Einrichtungen für die AG’en
Wenn in den Erläuterungen zu Schritt (13) die Notwendigkeit der Autonomie der einzelnen Organisation bei der Verarbeitung der Ergebnisse der Qualitätsbewertung hervorgehoben wurde, so kann dies nicht bedeuten, dass damit die AG völlig aus dem Verfahren
ausgeschaltet würde. Jede in der Arbeitsgruppe beteiligte Organisation soll in einem
Kurzbericht rückkoppeln,
wie sie Erhebungsinstrumente eingesetzt hat und welche Erfahrungen dabei gemacht
wurden,
in welcher Weise sie die Auswertung der Erhebung, also die Qualitätsbewertung vorgenommen hat,
welche Schlussfolgerungen zur Qualitätsentwicklung die Einrichtung für sich aus der
Qualitätsbewertung gezogen hat.
Es geht also nicht darum, differenzierte Ergebnisse zur Qualitätsbewertung mitzuteilen;
diese bleiben intern. Die einzelne Organisation soll nur verdeutlichen, was sie im Rahmen
der in der AG abgesprochenen Aktivitäten zur Qualitätsentwicklung getan hat und mit
welchen Erfahrungen zum Prozess der Qualitätsentwicklung dies verbunden war. Eine
solche Rückkoppelung an die AG hat zwei Funktionen: Sie schafft Transparenz innerhalb
der AG hinsichtlich des Verarbeitungsprozesse der AG-Ergebnisse in den beteiligten Or-
29
ganisationen, und es ermöglicht in der AG eine Diskussion zu den gemeinsamen Erfahrungen mit der Umsetzung des Qualitätsentwicklungskonzepts und möglicherweise zu
Vorschlägen für eine Modifikation des Konzepts.
Zu Schritt (15): Erstellung eines „Gesamtberichts“ in der jeweiligen AG
Auf der Grundlage der Kurzberichte der beteiligten Organisationen erstellt die AG einen
zusammenfassenden Bericht, aus dem hervorgeht,
welche Qualitätskriterien die AG für den Prozess der Qualitätsbewertung ausgewählt
hat,
welche Indikatoren und welche Erhebungsinstrumente sie für die Qualitätsbewertung
entworfen hat,
wie und mit welchen Schlussfolgerungen die Einrichtungen/Dienste in dem Handlungsfeld die Qualitätsbewertung vorgenommen haben,
welche Erfahrungen die AG-Mitglieder bezüglich der Umsetzung des Qualitätsentwicklungskonzepts gemacht haben,
ob und ggf. welche Modifikationen die AG zu dem vom Jugendhilfeausschuss beschlossenen Qualitätsentwicklungskonzept vorschlägt.
Der „Gesamtbericht“ der AG geht an die Steuerungsgruppe und an den Jugendhilfeausschuss.
Zu Schritt (16): Erörterung des (Zwischen)Berichts der Steuerungsgruppe im
Jugendhilfeausschuss; JHA-Entscheidung zum weiteren Vorgehen
Dem Jugendhilfeausschuss wird ein (Zwischen)Bericht vorgelegt, den die Steuerungsgruppe auf der Grundlage der AG-Berichte erstellt; zur Herstellung von Transparenz erhalten die Ausschussmitglieder auch die AG-Berichte zur Kenntnisnahme. Der Jugendhilfeausschuss diskutiert den Zwischenbericht, bewertet aufgrund der Erfahrungen das von
ihm (in Schritt 3) beschlossene Qualitätsentwicklungskonzept und fasst einen Beschluss
zum weiteren Vorgehen, indem er das Qualitätskonzept entweder bestätigt oder modifiziert. Ferner wertet der Jugendhilfeausschuss den Zwischenbericht der Steuerungsgruppe
und die AG-Berichte in ihren Konsequenzen für die Jugendhilfeplanung aus.
Damit läutet der Jugendhilfeausschuss die zweite Runde der Qualitätsentwicklung (Schritte 17 bis 19 und weitere …) ein.
… Schritte (17) bis (19) und weitere ... :
Die zweite Runde der Qualitätsentwicklung beginnt ggf. mit dem Einbezug weiterer Handlungsfelder durch die Konstituierung weiterer Arbeitsgruppen zur Qualitätsentwicklung
(falls entsprechend den Erläuterungen zu Schritt 2 mit einer „Pilotphase“ die Qualitätsentwicklung begonnen wurde) sowie mit einer kritischen Durchsicht der in der ersten
Runde definierten Qualitätskriterien. Die bisher ausgewählten Qualitätskriterien sollten
überprüft werden, ob ein Fortschreibungsbedarf existiert aufgrund neuer Erkenntnisse in
der Fachdiskussion, aufgrund einer zwischenzeitlichen Überarbeitung der Empfehlungen
der Landesjugendämter oder aufgrund von Erfahrungen in den Einrichtungen/Diensten.
Wenn Veränderungen bei den Qualitätskriterien vorgenommen werden, sollten diese dem
Jugendhilfeausschuss zur Erörterung und Beschlussfassung vorgelegt werden. In den
AG’en werden dann die Qualitätskriterien ausgewählt, die für den zweiten Teilprozess der
Qualitätsbewertung zugrunde gelegt werden sollen … Es erfolgen wiederum die Schritte 9
30
bis 15 … Der Jugendhilfeausschuss befasst sich mit dem Bericht der Steuerungsgruppe
zum zweiten Teilprozess der Qualitätsentwicklung, bestätigt oder modifiziert das Qualitätsentwicklungskonzept, wertet den zweiten Zwischenbericht und die entsprechenden
AG-Berichte für die Jugendhilfeplanung aus … und läutet damit die dritte Runde der Qualitätsentwicklung ein … usw. Damit wird der gesetzlichen Anforderung einer kontinuierlichen Qualitätsentwicklung (§ 79 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII) entsprochen.
4. Fazit - abschließende Anmerkungen
Mit der Neuregelung in §§ 79, 79a SGB VIII sind die Konzipierung und Durchführung einer einrichtungsübergreifenden Qualitätsentwicklung in den Aufgabenkatalog der Träger
der öffentlichen Jugendhilfe aufgenommen worden. Man kann über die Notwendigkeit
und über die Sinnhaftigkeit der Neuregelung streiten - Tatsache ist: Die Neuregelung
existiert, und die Jugendämter und Jugendhilfeausschüsse müssen entscheiden, in welcher sie der neuen Verpflichtung nachkommen und die aus der Verpflichtung resultierenden Anforderungen verarbeiten wollen. Man kann auch darüber streiten, ob es sich überhaupt um eine „neue“ Verpflichtung handelt, denn mit der Qualitätsbewertung wird die
qualitative Planungsdimension angesprochen, die auch bisher schon mit dem Verweis auf
„geeignete“ Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen in § 79 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII als
Bestandteil der Jugendhilfeplanung anzusehen war. Auch hier wird man realistisch einschätzen müssen, dass diese qualitative Dimension in der Praxis der Jugendhilfeplanung
in den Hintergrund gedrängt worden ist und dass - zumindest in der expliziten Version
der „Qualitätsentwicklung“ - die Neu-Aktivierung der qualitativen Planungsdimension mit
Verfahrensweisen der expliziten Qualitätsbewertung von einem Großteil der Jugendämter
als eine neue, als „zusätzlich“ empfundene Aufgabe gewertet wird.
In dieser Expertise ist ein Verfahrensvorschlag entfaltet worden, in welcher Weise man
dem jugendhilfepolitischen Impuls, der in der Neuregelung der Qualitätsentwicklung in §§
79, 79a SGB VIII zum Ausdruck gebracht wurde, pragmatisch gerecht werden kann. Die
Vorschläge zielen auf ein Vorgehen, bei dem eine „lebendige Qualitätsentwicklung“ intendiert wird und das sich deutlich abhebt von Versuchen, dem Auftrag zur Qualitätsentwicklung dadurch zu entgehen, dass man z.B. von Einrichtungen die Vorlage von „Qualitätshandbüchern“ fordert und damit den Buchstaben des Gesetzes als erfüllt ansieht.
Eine solche Praxis der Formalisierung würde lediglich zu einer sinnlosen „Qualitätsbürokratie“ führen, die niemandem nützen und den Sinn der Neuregelung unterlaufen würde.
Der in der Expertise entfaltete Verfahrensvorschlag entspricht dem Bemühen, über Qualitätsbewertung zu einer reflektierten Qualitätsverbesserung sowie zu einer NeuAktivierung im Sinne einer „qualitativen Anreicherung“ der Jugendhilfeplanung zu gelangen.
Es ist unverkennbar, dass trotz des Bemühens um Pragmatik der vorliegende Vorschlag
mit - vermutlich als „zusätzlich“ empfundenen - Arbeitsanforderungen für die Träger der
öffentlichen Jugendhilfe und für die in das Verfahren einzubeziehenden Träger und Einrichtungen der freien Jugendhilfe verbunden ist. Auf jeden Fall wird man ohne entsprechende Personalkapazität für die Steuerungsgruppe und ohne eine/n Qualitätsbeauftragte/n nicht auskommen; im größten Teil der Jugendämter werden die Aufgaben der Qualitätsentwicklung von den bisherigen Fachkräften für Jugendhilfeplanung ohne eine Ausweitung der entsprechenden Zeitkapazitäten (und Personalkapazitäten) für Jugendhilfeplanung nicht zu leisten sein. In dem Verfahrensvorschlag wird darauf verwiesen, dass
man die Komplexität des Verfahrens begrenzen kann, z.B. indem im Rahmen eines stufenweisen Vorgehens ein „Pilotprojekt“ mit zwei oder drei ausgewählten Handlungsfel-
31
dern an den Anfang gesetzt werden kann. Ferner wird vorgeschlagen, aus dem umfassenden Qualitätskatalog einen Schwerpunkt bei fünf bis sieben Qualitätskriterien pro
Qualitätsebene (Struktur-/Prozess-/Ergebnisqualität) zu bilden und nach einem entsprechenden Beschluss des Jugendhilfeausschusses daraus wiederum zwei Qualitätskriterien
pro Qualitätsebene für einen Teilprozess der Qualitätsentwicklung auszuwählen. Damit
können die Komplexität des Qualitätsentwicklungsprozesses und der damit einhergehende Aufwand begrenzt werden, und der Prozess wird besser zu bewältigen sein.
Ob es gelingt, mit Hilfe der hier vorgelegten Verfahrensvorschläge zu einer produktiven
Verarbeitung der Anforderungen zur Qualitätsentwicklung in §§ 79, 79a SGB VIII in der
örtlichen Jugendhilfe beizutragen, wird zu beobachten und nach einiger Zeit zu bewerten
sein. Vielleicht werden in der Diskussion dieser Verfahrensvorschläge Varianten, Modifikationen und/oder weitere Vorschläge erkennbar, die zu einer praktikablen örtlichen Qualitätsentwicklung beitragen - einer Qualitätsentwicklung, welche den fachpolitischen und
fachlichen Entwicklungsimpuls aufnimmt und nicht in eine Qualitätsbürokratie einmündet,
die mittlerweile von vielen Fachkräften in der Sozialen Arbeit als lähmend und fachlich
eingrenzend statt als fachlich und produktiv weiterentwickelnd erlebt wird. Wenn die Verfahrensvorschläge zum fachlich produktiven Weiterdenken und zur allmählichen Herausbildung einer fachlich produktiven Haltung und Praxis der Qualitätsentwicklung anregen,
wäre damit ein erfreulicher Effekt der gesetzlichen Neuregelung in §§ 79, 79a SGB VIII
erreicht.
32
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LVR-Landesjugendamt Rheinland
50663 Köln
www.jugend.lvr.de
Landschaftsverband Westfalen-Lippe
LWL-Landesjugendamt Westfalen
48133 Münster
www.lwl-landesjugendamt.de