Daten
Kommune
Kreis Euskirchen
Größe
134 kB
Datum
15.11.2012
Erstellt
07.11.12, 12:02
Aktualisiert
07.11.12, 12:02
Stichworte
Inhalt der Datei
Handlungsempfehlungen
zum Bundeskinderschutzgesetz
– Orientierungsrahmen und erste Hinweise zur Umsetzung –
Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
und
Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter
1. Frühe Hilfen (§§ 1 Abs. 4, 2, 3 Abs. 4 KKG, § 16 Abs. 3 SGB VIII)
Information
Die Prävention und dabei insbesondere das System Frühe Hilfen stellen einen Kernbereich
im neuen Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) dar. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem
BKiSchG unter anderem die Absicht, das System Frühe Hilfen zu verstetigen. Dabei werden
Frühe Hilfen erstmals gesetzlich geregelt (siehe §§ 1 und 3 KKG), ohne dass damit eine
neue Hilfesäule begründet werden soll. Angebote der Frühen Hilfen sollen die Eltern schon
ab der Schwangerschaft unterstützen und so die Entwicklung der Kinder fördern. Sie sollen
die Erziehungs- und Gesundheitsförderungskompetenz der Eltern stärken und ihnen helfen,
sichere Eltern-Kind-Beziehungen aufzubauen. Damit soll von vornherein vermieden werden,
dass es zu Gesundheitsrisiken, zur Vernachlässigung oder gar zur Misshandlung des Kindes
kommen könnte.
§ 1 Abs. 4 KKG beschreibt ein Leistungsangebot für Mütter, Väter und werdende Eltern
bezogen auf die ersten Lebensjahre der Kinder. Im Mittelpunkt steht das Vorhalten von
Information, Beratung und Hilfe, möglichst frühzeitig, koordiniert und multiprofessionell.
Der Klammerzusatz „Frühe Hilfen“ in § 1 Abs. 4 S. 2 KKG verleiht diesem Absatz den Status
einer bundesweit verbindlichen Legaldefinition.
Kernelement des Unterstützungssystems Frühe Hilfen ist die Vernetzung. Zentrale Angebote
der Frühen Hilfen wurden auch in das SGB VIII aufgenommen: In einem neuen Absatz 3 zu
§ 16 SGB VIII wird der örtliche Träger der Jugendhilfe verpflichtet, (werdenden) Eltern
Unterstützung in Form von Beratung und Hilfe in Fragen der Partnerschaft und des Aufbaus
elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenz anzubieten.
Der örtliche Träger der Jugendhilfe, ist – sofern Landesrecht keine andere Regelung vorsieht
–, nach § 2 Abs. 1 KKG verpflichtet, (werdende) Eltern über das Angebot an Beratung und
Hilfen zu Fragen der Schwangerschaft, Geburt und der Entwicklung in den ersten
Lebensjahren zu informieren. Die für die Information zuständigen Stellen sind nach Abs. 2
befugt, den Adressatinnen und Adressaten ein persönliches Gespräch, auf Wunsch auch in
deren Wohnung, anzubieten.
§ 3 Abs. 4 KKG beschreibt die Bundesinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen/Familienhebammen“. Sie soll der Unterstützung des Aus- und Aufbaus der Netzwerke Frühe Hilfen
(siehe auch unter 2.) und des Einsatzes von Familienhebammen auch unter Einbeziehung
ehrenamtlicher Strukturen dienen. Dafür sind Bundesmittel in Höhe von 30 Mio. Euro in
2012, 45 Mio. Euro in 2013 und 51 Mio. Euro in 2014 und in 2015 vorgesehen. Die Details
der Ausgestaltung der Bundesinitiative sind in einer Verwaltungsvereinbarung zwischen
1
Bund und Ländern1 geregelt. Ab 2016 sollen für die Sicherstellung der Netzwerke Frühe
Hilfen und der psychosozialen Unterstützung von Familien jährlich Bundesmittel in Höhe von
51 Mio. Euro im Rahmen eines Fonds zur Verfügung stehen.
Handlungsauftrag/Empfehlung
Die Entwicklung und der Ausbau eines niedrigschwelligen adressaten- und milieugerechten
Zugangs zu Frühen Hilfen – zu Information, Beratung und Hilfe – müssen sich ausrichten an
der zentralen Fragestellung „Was brauchen werdende bzw. junge Eltern in ihren spezifischen
Lebenssituationen?“.
Die Beantwortung dieser Leitfrage stellt die Grundlage für eine entsprechende
Angebotsplanung dar, die in die Jugendhilfeplanung eingebettet ist.
Für die Umsetzung sollte zunächst eine Bestandserhebung und Bewertung sowie nach
Sichtung des Bedarfs die Angebotsplanung erfolgen.
Darüber hinaus braucht es ein Konzept für die Information der Adressatinnen und
Adressaten, das die individuellen Lebenslagen berücksichtigt und aufsuchende Elemente
enthält. Erforderlich ist eine aktive und alle Milieus ansprechende Informationsstrategie.
Im Kontext des Aufbaus einer „Gehstruktur“ hat das persönliche Beratungsgespräch einen
besonderen
Stellenwert.
Angebote
wie
Willkommensbesuche,
Elternbriefe,
Begrüßungspakete o.ä. sind in der Praxis bereits etabliert.
Mit Blick auf das Angebot eines persönlichen Gesprächs an junge Eltern sind
datenschutzrechtliche Anforderungen zu bewältigen, da die dafür notwendigen Daten von
den Meldebehörden nur auf der Basis einer entsprechenden rechtlichen Befugnis
weitergegeben werden dürfen. Seit der Föderalismusreform hat der Bund für das
Meldewesen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz (Art. 73 Abs.1 Nr. 3 GG). Bis zur
Schaffung eines entsprechenden Bundesgesetzes können die Länder nach Maßgabe des
Art. 125b Abs.1 S. 1 GG auf der Basis des Melderechtsrahmengesetzes des Bundes noch
entsprechende Befugnisse zur regelhaften Datenübermittlung schaffen. Danach bedarf es
einer unmittelbaren bundesrechtlichen Befugnis zur Weitergabe der Daten, sinnvollerweise
direkt in § 2 KKG.
Sollte es auf Landesebene hierzu (noch) keine eigenen Regelungen geben, müssten
Lösungen gefunden werden, die eine Weitergabe der Meldedaten unnötig machen – wie
etwa Anschreiben unmittelbar durch die Meldebehörden, Übernahme der Daten aus
Geburtsanzeigen im Amtsblatt. Wenn die Eltern beim Standesamt oder in der Geburtsklinik
für eine Kontaktaufnahme um ihre Adressen gebeten werden, ist auch das
datenschutzrechtlich unproblematisch. Alternativ könnte an gleicher Stelle eine
Einverständniserklärung der Eltern zur Datenübermittlung erfolgen.
Im Kontext des Einsatzes der Familienhebammen bedarf es einer Klärung hinsichtlich der Art
der Einbindung in die Kinder- und Jugendhilfe bzw. in die Jugendhilfeplanung, die als eine
zentrale Schnittstelle zu den Netzwerken Frühe Hilfen das Leistungsangebot koordiniert.
In der Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern ist geregelt, dass das
Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) ein Kompetenzprofil für Familienhebammen bzw.
vergleichbare Berufsgruppen erarbeitet.
Anforderungsprofil und Qualifikationsrahmen für diese aufsuchenden Hilfen zur
Verbesserung des Kinderschutzes sollten klar beschrieben werden. Darüber hinaus ist die
fachliche Begleitung und Einbindung der Familienhebammen z.B. durch Kollegiale Beratung
und Supervision sicherzustellen.
Die Frage, welche Professionen im kommunalen Kontext mit der Aufgabe von zugehenden
psychosozialen Hilfen betraut werden, sollte jedoch unabhängig von der Frage der
Hebammenleistungen durch die Akteure vor Ort auf der Grundlage bereits bestehender
Strukturen und Erfahrungen entschieden werden. Zu beachten sind dabei allerdings die
1
Die Verwaltungsvereinbarung steht ab 1. Juli 2012 unter www.agj.de zur Verfügung.
2
Forderungsprioritäten in Art. 2 der Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern
sowie die jeweiligen Landesregelungen.
2. Auf- und Ausbau von Netzwerkstrukturen im Kinderschutz, strukturelle,
institutionalisierte Zusammenarbeit (§ 3 Abs. 1 - 3 KKG, § 81 SGB VIII)
Information
Nach § 3 Abs. 1 KKG sind in den Ländern flächendeckend verbindliche Strukturen der
Zusammenarbeit der zuständigen Leistungsträger und Institutionen im Kinderschutz
aufzubauen und weiterzuentwickeln. Gesetzlich genannte Ziele sind die
•
•
•
gegenseitige Information über das jeweilige Angebots- und Aufgabenspektrum,
Klärung struktureller Fragen der Angebotsgestaltung,
Abstimmung der Verfahren im Kinderschutz.
Die in § 3 Abs. 2 KKG aufgezählten Beteiligten sollen die Grundsätze für eine verbindliche
Zusammenarbeit in Vereinbarungen festlegen. Dabei soll auf vorhandene Strukturen
zurückgegriffen werden. Nach § 3 Abs. 3 KKG soll – sofern Landesrecht keine andere
Regelung vorsieht – die verbindliche Zusammenarbeit im Kinderschutz als Netzwerk durch
den örtlichen Träger der Jugendhilfe organisiert werden.
Dabei geht es um die Entwicklung, Pflege und Weiterentwicklung einer institutionalisierten
Zusammenarbeit unterschiedlicher Leistungssysteme, die auch über landesrechtlich
geschaffene Strukturen realisiert werden kann.
Damit korrespondierend ist im § 81 SGB VIII die strukturelle Zusammenarbeit mit anderen
Stellen und öffentlichen Einrichtungen erweitert worden.
Während § 3 KKG die Kooperation unterschiedlicher Akteure für den Bereich der frühen
Kindheit beschreibt und dabei die Kinder- und Jugendhilfe überschreitet, gilt die Ausweitung
der Kooperationsverpflichtung im § 81 SGB VIII nur für die Träger der Kinder- und
Jugendhilfe. Ausdrücklich als Kooperationspartner sind nun beispielsweise die
Sozialleistungsträger der Grundsicherung, der Arbeitsförderung, der Krankenversicherung
und weitere Rehabilitationsträger sowie die Familien- und Jugendgerichte genannt.
Handlungsauftrag/Empfehlung
In Anlehnung an einzelne Landesgesetze soll mit der Regelung der Rahmen dafür
geschaffen werden, dass bundesweit flächendeckend Netzwerkstrukturen für den
Kinderschutz aufgebaut bzw. bestehende verstetigt und weiterentwickelt werden.
Für die konkrete Umsetzung des § 3 Abs. 2 KKG sollte zuerst geklärt werden, ob und
inwieweit das jeweilige Land seinen Regelungsvorbehalt in Anspruch nimmt.
Es empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen beim Auf- bzw. Ausbau der strukturellen
Zusammenarbeit in den Netzwerken zum Kinderschutz. Dabei ist es wichtig, die
Jugendhilfeplanung mit einzubinden und die Netzwerkarbeit selbst als einen Bestandteil der
Jugendhilfeplanung zu definieren.
Am Anfang sollte die Entwicklung eines Konzeptes für die Struktur des Netzwerkes stehen.
Bereits im Vorfeld der strukturellen Zusammenarbeit sollten deshalb mit den zukünftigen
Netzwerkmitgliedern Ziele und Zweck der Netzwerke sowie Grundzüge einer
Kooperationskultur erarbeitet werden.
Die Netzwerke thematisieren in fallübergreifender Weise unter anderem das Verfahren der
Einzelfallbearbeitung, sie dienen aber nicht der Bearbeitung des Einzelfalls.
Vorhandene bzw. bereits etablierte Kooperationsstrukturen sollten als Basis für die
Ausgestaltung der Netzwerke dienen.
3
Dabei ist darauf zu achten, dass Doppelstrukturen, etwa zu Kooperationen nach § 81 SGB
VIII, vermieden werden.
Bei der Bildung der Netzwerke, insbesondere bei einer möglichen Binnendifferenzierung,
sollten die Lebensphasen der Kinder berücksichtigt werden. Darüber hinaus können sich die
Netzwerke am Sozialraum und an für den Kinderschutz relevanten Themen ausrichten.
Erkenntnisse aus dem Aktionsprogramm des Bundes zu den „Frühen Hilfen“ zeigen, dass
viele Kommunen bereits über gute Ansätze, vor allem im Bereich der Frühen Hilfen,
verfügen.
Eine besondere Herausforderung liegt insbesondere im Kontext der Prävention und Frühen
Hilfen darin, Systemgrenzen unterschiedlicher Leistungsbereiche zu überwinden und zum
Wohl von jungen Familien zu kooperieren.
Dazu bedarf es identifizierbarer Koordinatorinnen und Koordinatoren sowie konkreter
Ansprechpersonen.
Über die Arbeitsweise innerhalb der Netzwerke sollen Vereinbarungen getroffen werden.
Der Schwerpunkt sollte auf die Verständigung über gemeinsame Ziele gelegt werden.
3. Verfahrensvorgaben zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes
Unmittelbarer Eindruck / Methode „Hausbesuch“ (§ 8a Abs. 1 S. 2 SGB VIII)
Information
Durch die in § 8a SGB VIII vorgenommene Konkretisierung wird ein in der Praxis der
Jugendämter bereits etablierter fachlicher Qualitätsstandard der Gefährdungseinschätzung
gesetzlich normiert. Das Jugendamt hat sich einen unmittelbaren Eindruck vom Kind (§ 7
Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII: bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres) und dessen persönlicher
Umgebung zu verschaffen, wenn dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist. Die
Gesetzesbegründung hebt hervor, dass dies bei Säuglingen und Kleinkindern besonders
bedeutsam sein kann. Sie führt aus, dass die persönliche Inaugenscheinnahme die
Einschätzung insbesondere des körperlichen und geistigen Entwicklungsstands des Kindes
beinhaltet, des Verhaltens in der vertrauten Umgebung und der Wohnverhältnisse, in denen
das Kind lebt.
Die Regelung berechtigt nicht zum Betreten der Wohnung gegen den Willen der Eltern.
Die gebotene kollegiale Einschätzung der Notwendigkeit eines Hausbesuchs wie auch der
von den Kommunalen Spitzenverbänden empfohlene Hausbesuch zu zweit erfordern die
entsprechende Personalausstattung (Qualität und Quantität).
Handlungsauftrag
Die Jugendämter sind damit in jedem Einzelfall, in dem gewichtige Anhaltspunkte für eine
Kindeswohlgefährdung vorliegen, verpflichtet, zu prüfen, ob es erforderlich ist, sich einen
unmittelbaren Eindruck vom Kind und seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen oder ob
davon abgesehen werden kann. Je nach Situation kann die Inaugenscheinnahme im
Rahmen eines Hausbesuchs bei der Familie erfolgen oder an einem anderen Ort,
beispielsweise in der Kindertagesstätte.
Im Jugendamt bestehende Regelungen zum Einsatz der Methode „Hausbesuch“ sind zu
überprüfen und ggf. zu aktualisieren. Diese beziehen sich vor allem darauf, wie die fachliche
Einschätzung zur Erfordernis eines Hausbesuches bzw. zur „Inaugenscheinnahme“ des
Kindes an einem anderen Ort oder auch die Entscheidung, von beidem abzusehen,
getroffen, begründet und dokumentiert werden.
4
Empfehlung
Qualifizierte fachliche Beurteilung:
Nach wie vor bleibt die Entscheidung über einen Hausbesuch der fachlichen Beurteilung im
Rahmen einer kollegialen Beratung vorbehalten. Damit wird der fachlichen Einschätzung im
Einzelfall Vorrang vor einer Standardisierung gegeben. Neben der Festlegung verbindlicher
Standards und neben Verfahren zur kollegialen Beratung ergibt sich hieraus für jedes
Jugendamt auch die Notwendigkeit, die verantwortlichen Fachkräfte fortlaufend
entsprechend zu qualifizieren, auf der Basis eines eigenen Qualifizierungskonzeptes oder in
Form der Nutzung bestehender Angebote Dritter, z.B. der Landesjugendämter.
Gestaltung und Inhalt des Hausbesuchs:
Konkrete Standards zum Hausbesuch wurden bereits in den „Empfehlungen zur Festlegung
fachlicher Verfahrensstandards in den Jugendämtern bei Gefährdung des Kindeswohls“ der
Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände mit Unterstützung der AGJ und des
DV (2009) formuliert:
Die Inaugenscheinnahme bzw. der Hausbesuch sollte zu zweit durchgeführt werden. Zu
beurteilen sind:
•
•
•
•
der Zustand des Kindes, sein Erscheinungsbild und sein Verhalten,
die Lebensbedingungen des Kindes, seine gesundheitliche Verfassung sowie die
häusliche, die finanzielle und die soziale Situation der Familie,
der Entwicklungsstand und die Entwicklungsperspektive des Kindes,
das Kooperationsverhalten und die Ressourcen der Eltern oder des erziehenden
Elternteils.
Dokumentation:
Die Dokumentation der Wahrnehmungen und der Einschätzungen, die sich aus dem
Hausbesuch ergeben, entspricht fachlichen Standards. Falls davon abgesehen wird, sich
von dem Kind und seiner persönlichen Umgebung einen unmittelbaren Eindruck zu
verschaffen, sollten die Gründe dafür nachvollziehbar dokumentiert werden. Bestehende
Standards hierzu sind unter Beteiligung der Leitungskräfte zu überprüfen und ggf. weiter zu
entwickeln, deren Einhaltung ist sicherzustellen.
Der Hausbesuch als sozialpädagogische Methode:
Der Hausbesuch im persönlichen Umfeld der Familie ermöglicht den Fachkräften Einblicke in
die Intimsphäre der Familie. Gleichzeitig stellt diese Form des Kontaktes – insbesondere bei
Klärungen im Rahmen des Kinderschutzes und den damit verbundenen Emotionen – eine
besondere fachliche Herausforderung dar. Die Träger sind hier gefordert, Fortbildungen,
Möglichkeiten der fachlichen Reflexion und Praxisberatung bzw. Supervision sicherzustellen,
insbesondere auch für Fachkräfte ohne einschlägige Felderfahrung.
Die im Jugendamt bereits bestehenden Standards, sowie die praktischen Umsetzungshilfen
für die Fachkräfte sind zu überprüfen, zu aktualisieren und entsprechend weiterzuentwickeln.
Fallübergabe im Rahmen des Schutzauftrags (§ 8a Abs. 5 SGB VIII)
Information
§ 8a Abs. 5 SGB VIII verpflichtet den für eine Aufgabenwahrnehmung im Rahmen des
Schutzauftrages nicht oder nicht mehr zuständigen öffentlichen Träger, dem zuständigen
örtlichen
Träger
mitzuteilen,
wenn
ihm
gewichtige
Anhaltspunkte
einer
Kindeswohlgefährdung bekannt sind oder werden. Die Mitteilung der entsprechenden Daten
soll nunmehr ausdrücklich im Rahmen eines Gesprächs zwischen den Fachkräften beider
Träger erfolgen. Die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der/die Jugendliche
sollen hier beteiligt werden, soweit hierdurch der wirksame Schutz nicht in Frage gestellt
wird.
Die Verpflichtung zur Weitergabe der notwendigen Daten (und damit auch zur Übergabe der
entsprechenden schriftlichen Unterlagen) in einem Gespräch erstreckt sich in § 8a Abs. 5
5
SGB VIII beispielsweise auch auf Fälle, in denen einem örtlich nicht oder nicht mehr
zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anhaltspunkte für eine Gefährdung des
Kindeswohls bekannt werden.
Die Vorschrift will im Sinne eines fortdauernden Schutzauftrags verhindern, dass vorhandene
Informationen über die Gefährdungssituation eines Kindes oder Jugendlichen (z.B. wegen
nicht gegebener örtlicher Zuständigkeit) verloren gehen und deshalb ein rechtzeitiges
Tätigwerden zum Schutz des Kindes oder der/des Jugendlichen unterbleibt. Zudem soll
vermieden werden, dass Informationen ausschließlich schriftlich übermittelt werden und
dabei wesentliche Informationsbestandteile verloren gehen. Im Rahmen eines Gesprächs
sollen zwischen den Fachkräften eventuelle Missverständnisse bei der Rezeption der
schriftlichen Information geklärt werden.
Handlungsauftrag
Bestehende Standards zur Weitergabe von kindesschutzrelevanten Informationen an die
zuständigen Leistungsträger sind zu überprüfen und ggf. anzupassen.
Die unverzügliche Weitergabe gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung an
den zuständigen örtlichen Träger der Jugendhilfe in einem Gespräch zwischen den
Fachkräften ist zu regeln, ggf. sind bestehende Verfahren und Standards hierzu
weiterzuentwickeln.
Gleichzeitig sind Kriterien dazu zu entwickeln, wie und wann die Personensorgeberechtigten,
das Kind oder der/die Jugendliche in das Fallübergabegespräch einbezogen werden und in
welchen besonderen Fällen ggf. davon abzusehen ist.
Sowohl zur Informationsübermittlung wie zum Umgang mit diesen Informationen sind die
notwendigen Strukturen und verbindlichen Verfahren zu schaffen.
Die Übergabe der Fallverantwortung soll im Rahmen eines Gespräches unter angemessener
Beteiligung der Personensorgeberechtigten und des Kindes oder dem/der Jugendlichen
erfolgen.
Der Hilfeverlauf muss zusammenfassend, mit wesentlichen
Schlussfolgerungen nachvollziehbar dokumentiert werden.
Aussagen
und
Empfehlung
Unverzügliche Weitergabe für den Kinderschutz relevanter Daten und Informationen an das
örtlich zuständige Jugendamt:
•
•
•
•
Bei der Weitergabe der für den Kinderschutz relevanten Daten ist immer zu prüfen,
wie die gesetzlich vorgegebene Beteiligung der Personensorgeberechtigten, der
Kinder und Jugendlichen realisiert werden kann oder ob im Hinblick auf den
Schutzgedanken ausnahmsweise von einer Beteiligung abgesehen werden muss.
Wenn aufgrund räumlicher Distanz und auch wegen der Dringlichkeit ein „Face to
Face Gespräch“ zwischen den Fachkräften und ggf. unter Einbeziehung der
Personensorgeberechtigten, der Kinder und Jugendlichen nicht möglich ist, sollten
die Daten und Informationen neben der schriftlichen Übermittlung direkt auch
telefonisch oder unter Nutzung (gesicherter) moderner Kommunikationsmedien an
die zuständige Fachkraft, bei Dringlichkeit ggf. an deren Vertretung bzw. auch an die
Leitung weitergegeben werden.
Die weitergegebenen Informationen und Daten sollten protokolliert und sowohl von
der informierenden, wie auch der zuständigen Fachkraft abgezeichnet werden.
Die Aufgabe der Leitungskräfte ist es, sowohl die unverzügliche Weitergabe von
kinderschutzrelevanten Daten an das für die Aufgabenwahrnehmung zuständige
Jugendamt, wie auch den fachlichen Umgang mit dem Eingang solcher Daten zu
gewährleisten. Hierfür sind die entsprechenden verbindlichen Strukturen und
Verfahren, wie Vertretungsregelungen, Notfalldienste und auch adhoc-Beratung für
die Fachkräfte zu implementieren.
6
Immer wieder gehen kinderschutzrelevante Informationen bei hierfür nicht zuständigen
Fachkräften im Jugendamt ein oder sind diesen aus Beratungszusammenhängen bekannt.
Die Weitergabe solcher Daten sollte in Fällen der sachlichen Nichtzuständigkeit oder auch
beim Wechsel der fallzuständigen Fachkraft (Bezirkswechsel oder auch Verzug der Familie
in einen neuen Zuständigkeitsbezirk) ebenfalls nach den fachlichen Standards des § 8a Abs.
5 SGBVIII geregelt werden.
Fortdauernde Zuständigkeit und Fallübergabe bei Zuständigkeitswechsel
(§ 86c SGB VIII)
Information
Die Vorschrift folgt dem Grundsatz der Hilfekontinuität. Sie gilt für alle Leistungen der
Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII, einschließlich der ambulanten Leistungen.
Mit der Neufassung von § 86c SGB VIII wird der neu zuständig gewordene Träger der
Kinder- und Jugendhilfe verpflichtet, die Kontinuität des Hilfeprozesses unter der bisherigen
Zielsetzung sicherzustellen. Der Träger, der einen Fall durch Wechsel der Zuständigkeit
übernimmt, hat dafür Sorge zu tragen, dass der Hilfeprozess durch den Wechsel nicht
gefährdet wird (§ 86 c Abs. 1 SGB VIII). Das Risiko von Hilfeabbrüchen soll damit gemindert
werden. Der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit darf sich in keinem Fall zum Nachteil für die
jungen Menschen und ihre Familien auswirken. Daher hat der bisher zuständige
Jugendhilfeträger die Pflicht, die notwendige Hilfe solange zu gewähren bis der neu
zuständige Träger den Fall übernimmt. Die bisher im Hilfeprozess entwickelten Ziele und die
auf dieser Grundlage erfolgten Entwicklungsschritte dürfen durch den Zuständigkeitswechsel
nicht gefährdet werden.
§ 86c Abs. 2 SGB VIII regelt den Verfahrensablauf für den Zuständigkeitswechsel bei einer
laufenden Hilfe. Der öffentliche Träger der Jugendhilfe, der von den Umständen Kenntnis
erhält, die den Zuständigkeitswechsel begründen, hat den anderen unverzüglich zu
unterrichten. Er ist zur Weitergabe von Informationen verpflichtet, die für die Gewährung und
Erbringung der Leistung sowie für den Wechsel der Zuständigkeit maßgeblich sind.
Pflicht zur unverzüglichen Datenübermittlung:
Die Übermittlung der Sozialdaten2 hat unverzüglich zu geschehen,
Zuständigkeitswechsel dem bisher zuständigen Jugendamt bekannt wird.
sobald
der
Fallübergabegespräch:
Bei der Fortsetzung von Leistungen, die nach § 36 Abs. 2 SGB VIII der Hilfeplanung
unterliegen, sind die beteiligten öffentlichen Träger verpflichtet, die Übergabe der
Fallverantwortung im Rahmen eines Gespräches unter angemessener Beteiligung der
Personensorgeberechtigten sowie des Kindes oder der/des Jugendlichen vorzunehmen.
Damit wird wie in der entsprechenden Regelung zu § 8a Abs. 5 SGB VIII die fachliche
Bedeutung des Gesprächs und die unmittelbare Austauschmöglichkeit betont.
Handlungsauftrag
• Ein fachgerechtes Verfahren bei Fallabgabe und Fallübernahme ist sicherzustellen.
• Die
unverzügliche Übermittlung
der
für
die
Hilfegewährung
und
Zuständigkeitswechsel maßgeblichen Daten ist zu gewährleisten.
den
2
Bei sog. anvertrauten Sozialdaten nach § 65 SGB VIII ist eine Weitergabe nur mit Einwilligung
derjenigen zulässig, die die Informationen anvertraut haben – es sei denn, es liegen Anhaltspunkte für
eine Kindeswohlgefährdung vor und die Daten sind für eine Abschätzung des Gefährdungsrisikos
notwendig (§ 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VIII).
7
•
•
Die Übergabe der Fallverantwortung hat im Rahmen eines Gespräches unter
angemessener Beteiligung der Personensorgeberechtigten und des Kindes bzw. des
oder der Jugendlichen zu erfolgen.
Der Hilfeverlauf ist
zusammenfassend (mit wesentlichen Aussagen und
Schlussfolgerungen) und nachvollziehbar zu dokumentieren.
Empfehlung
Bei der Neuregelung geht es im Kern darum, dass ein gemeinsames Gespräch geführt wird.
Zur Umsetzung sind bestehende Verfahren der Fallabgabe und Fallübernahme
weiterzuentwickeln. Deren Einhaltung ist durch die Leitungskräfte sicherzustellen.
Soweit es nicht möglich ist, dass die abgebende und die neu zuständige Fachkraft sowie die
sonstigen Beteiligten persönlich zusammentreffen, sollten angemessene Ersatzformen
gefunden werden, die eine persönliche Verständigung im Gespräch ermöglichen.
Zur Erleichterung der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit und zur Unterstützung der
Fallübergabe sollten standardisierte Bearbeitungshilfen entwickelt werden (z.B.
Prüfschemata, Aktenvorblatt etc.).
Zu den Informationen, die bei einem Zuständigkeitswechsel übermittelt werden, gehören:
Anträge und Bewilligungsbescheide, Protokolle der Fachkonferenzen, Hilfepläne und ein
zusammenfassender Sachstandsbericht, der die wesentlichen Angaben enthält.
Der Hilfefallverlauf muss nachvollziehbar dokumentiert sein; dies erfordert ein
aussagekräftiges Dokumentationswesen. Die für die erforderliche Übermittlung notwendigen
Informationen müssen in jedem Fall und bei Beginn der Hilfe erhoben, in regelmäßigen
Abständen aktualisiert und so dokumentiert werden, dass sie ohne größeren Aufwand
weitergeleitet werden können.
Fachliche Beratung (§ 4 KKG, § 8b SGB VIII)
Information
§ 4 Abs. 2 KKG räumt den unter Abs. 1 genannten Berufs- bzw. Amtsgeheimnisträgern zur
Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung unter anderem einen Anspruch gegen den
örtlichen öffentlichen Träger auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft ein.
(§ 4 KKG enthält nur eine bedingte Befugnis zur Datenweitergabe und keine Verpflichtung
zur Information des Jugendamtes.)
§ 8b Abs. 1 SGB VIII sieht einen entsprechenden Beratungsanspruch gegenüber dem
örtlichen öffentlichen Träger für alle Personen vor, die aus beruflichen Gründen im Kontakt
zu Kindern und Jugendlichen stehen, sei es bei öffentlichen oder freien Trägern der
Jugendhilfe oder außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe.
Dieser
Anspruch
auf
Beratung
bei
gewichtigen
Anhaltspunkten
für
eine
Kindeswohlgefährdung gilt etwa auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Rehabilitationsdiensten und -einrichtungen. Das unterstreicht § 21 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX, der
die Inanspruchnahme des entsprechenden Beratungsangebots als Inhalt der
Leistungsvereinbarungen von Rehabilitationsträgern mit Leistungserbringern vorsieht.
Der neu strukturierte § 8a Abs. 4 SGB VIII formuliert den Schutzauftrag nun auch für die
Vereinbarungen mit den freien Trägern aus. Neu ist, dass die Qualifikationsanforderungen
an die insoweit erfahrene Fachkraft in die Vereinbarungen aufzunehmen sind.
§ 8b Abs. 2 SGB VIII räumt den Trägern von Einrichtungen, in denen sich Kinder oder
Jugendliche ganztägig oder für einen Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft
erhalten, und den dafür zuständigen Leistungsträgern einen Rechtsanspruch gegenüber
dem überörtlichen Träger auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher
8
Handlungsleitlinien zur Sicherung des Kindeswohls, zum Schutz vor Gewalt und zur
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an strukturellen Entscheidungen und zur
Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens ein.
Nach der Gesetzesbegründung soll § 8b Abs. 2 SGB VIII für Einrichtungen gelten, die gem.
§ 45 SGB VIII betriebserlaubnispflichtig sind. Nach dem Wortlaut des Gesetzes erstreckt sich
der Auftrag aber auch auf andere Einrichtungen.
Die Inhalte der Handlungsleitlinien, um die es in der Beratung nach § 8b Abs. 2 SGB VIII
geht, sind auch Gegenstand der Qualitätsentwicklung des örtlichen Trägers nach § 79a SGB
VIII. Der örtliche Träger ist deshalb in die Beratung einzubinden, wenn § 8b Abs. 2 SGB VIII
weitergehend verstanden und auf alle Einrichtungstypen (etwa auch auf Jugendzentren)
bezogen wird.
Handlungsauftrag
Aus § 4 Abs. 2 KKG sowie § 8b Abs. 1 SGB VIII ergibt sich ein Auftrag zur Information über
die Angebote der fachlichen Beratung für die genannten Berufsgruppen und Personen, die
beruflich in Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen stehen. Dieser ist grundsätzlich vom
örtlichen Träger und darüber hinaus ggf. durch Angebote und Empfehlungen des
überörtlichen Trägers zu erfüllen.
Der örtliche Träger muss ein bedarfsgerechtes Beratungsangebot durch insoweit erfahrene
Fachkräfte gewährleisten.
Im Hinblick auf § 8a Abs. 4 SGB VIII sind die Empfehlungen der für die Aufgaben nach § 85
Abs. 2 SGB VIII zuständigen Behörden (Landesjugendämter) und die Vereinbarungen
zwischen öffentlichen und freien Träger daraufhin zu überprüfen, ob sie die
Qualifikationsanforderungen an die insoweit erfahrene Fachkraft enthalten. Gegebenenfalls
sind sie entsprechend anzupassen.
Der überörtliche Träger muss das bedarfsgerechte Beratungsangebot nach § 8b Abs. 2 SGB
VIII sicherstellen.
Empfehlung
Die in § 4 Abs. 1 KKG und in § 8b Abs. 1 SGB VIII genannten Berufsgruppen und Personen
müssen über die Beratungsansprüche informiert werden. Da es sich dabei auch um
Mitglieder von Institutionen, Diensten und Berufsgruppen außerhalb der Kinder- und
Jugendhilfe handelt, sind diese über die Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Kinder- und
Jugendhilfe im Kinderschutz zu informieren.
Über gemeinsame Fachveranstaltungen und Fortbildungen zu spezifischen Themen des
Kinderschutzes kann eine gemeinsame Basis entwickelt bzw. gestärkt werden.
Die entsprechenden Berufsgruppen, Dienste und Institutionen müssen durch den örtlichen
Träger insoweit erfahrene Fachkräfte als konkrete Ansprechpersonen für die
Gefährdungseinschätzung erhalten.
Die bereits bestehenden Systeme der Beratung durch insoweit erfahrene Fachkräfte vor Ort
sind hinsichtlich der Qualifikation und auch der Kapazität zu überprüfen und im Hinblick auf
die neuen Erfordernisse ggf. auszubauen. Die erforderlichen Ressourcen zur Sicherstellung
der neu entstandenen Beratungsansprüche sind bereit zu stellen.
9
Erweitertes Führungszeugnis (§ 72a SGB VIII, §§ 43 und 44 SGB VIII)
Information
Ziel der Regelung ist, einschlägig vorbestrafte Personen von einer Mitwirkung an der
Aufgabenwahrnehmung in der Jugendhilfe fernzuhalten und auszuschließen. Zu bedenken
ist allerdings, dass auch hierdurch ein vollumfänglicher Schutz nicht gewährleistet werden
kann.
§ 72a Abs. 1 SGB VIII ist dahingehend verändert, dass ein etwaiger Tätigkeitsausschluss
nun durch die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses festzustellen ist. (Für
Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Staaten ist nach § 30b BZRG die Beantragung eines
europäischen Führungszeugnisses vorgesehen.)
Zu berücksichtigen ist, dass der Bezug auf § 30 Abs. 5 BZRG, der durch den Verweis von
§ 72a Abs. 3 S. 2 auf § 72a Abs. 1 S. 2 SGB VIII hergestellt wird, für die Tätigkeit bei
Trägern der freien Jugendhilfe nicht relevant ist. Für die Tätigkeit bei einem Träger der freien
Jugendhilfe wird das Führungszeugnis nicht zur Vorlage bei einer Behörde beantragt.
Entsprechend wird es nicht der Behörde, sondern der Antragstellerin / dem Antragsteller
zugestellt.
Die Absätze 1 und 3 beziehen sich auf Personen, die für den Träger der öffentlichen
Jugendhilfe tätig werden. Für den bei den Trägern der freien Jugendhilfe tätigen
Personenkreis werden die Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch die Absätze 2 und 4
verpflichtet, mit allen Trägern der freien Jugendhilfe Vereinbarungen zur Umsetzung des §
72a SGB VIII abzuschließen.
Die Regelungen zu den Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe erfassen
nicht mehr wie bisher nur die Träger von Einrichtungen und Diensten, sondern nunmehr
sämtliche Träger der freien Jugendhilfe (§ 72a Abs. 2 und 4 SGB VIII).
Neben- und ehrenamtlich tätige Personen sind jetzt nach Maßgabe der Entscheidung des
Trägers der öffentlichen Jugendhilfe in die Pflicht zur Vorlage eines erweiterten
Führungszeugnisses einbezogen, soweit sie unmittelbar für diese Träger Aufgaben der
Kinder- und Jugendhilfe wahrnehmen und es sich bei dieser Tätigkeit um ein Beaufsichtigen,
Betreuen, Erziehen bzw. Ausbilden Minderjähriger oder um vergleichbare Kontakte zu
diesen handelt. Die Entscheidung über die Vorlagepflicht ist mit Bezug auf Art, Intensität und
Dauer des durch die Tätigkeit entstehenden Kontakts zu fällen (§ 72a Abs. 3 SGB VIII).
Mit den Trägern der freien Jugendhilfe sind Vereinbarungen zu schließen, die eine
entsprechende Praxis in deren Verantwortungsbereich gewährleisten sollen (§ 72a Abs. 4
SGB VIII). Das Gesetz trifft außerdem datenschutzrechtliche Regelungen zum Umgang mit
den Erkenntnissen aus der Einsichtnahme in das Führungszeugnis (§ 72a Abs. 5 SGB VIII).
Die Vereinbarungspflicht bezieht sich nun auch auf Vereine, die Pflegschaften oder
Vormundschaften nach § 54 SGB VIII übernehmen (§ 72a Abs. 4 SGB VIII).
Der Geltungsbereich der § 72a Absätze 1 und 5 SGB VIII wurde durch entsprechende
Regelungen in §§ 43 und 44 SGB VIII auf die Erlaubnis zur Kindertagespflege bzw. zur
Vollzeitpflege ausgedehnt.
Handlungsauftrag
Aus der Neuregelung ergibt sich für den Träger der öffentlichen Jugendhilfe einerseits die
Notwendigkeit, festzuschreiben, welche der für ihn selbst tätigen neben- und ehrenamtlichen
Kräfte ihre Tätigkeit aufgrund des Vorliegens eines sog. „qualifizierten Kontaktes“ nur nach
Einsichtnahme in ein erweitertes Führungszeugnis aufnehmen dürfen.
Anderseits erwächst daraus der Auftrag, mit allen Trägern der freien Jugendhilfe
Vereinbarungen über die Einsichtnahme in erweiterte Führungszeugnisse von Personen zu
treffen, die für diese tätig sind.
10
In beiden Fällen sind zudem die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen zum Umgang mit
den enthaltenen Daten zu beachten.
Für den gesamten Auftragszusammenhang ist ein Umsetzungskonzept durch den Träger der
öffentlichen Jugendhilfe unter möglichst frühzeitiger und umfassender Einbeziehung der
Träger der freien Jugendhilfe zu entwickeln und im Jugendhilfeausschuss zu verabschieden.
Das Konzept hat grundsätzlich zu beinhalten, welche Tätigkeiten aufgrund der in den
Absätzen 3 und 4 genannten Kriterien eine Einsichtnahme in ein erweitertes
Führungszeugnis erfordern. Der Abschluss der Vereinbarungen zwischen Trägern der freien
und öffentlichen Jugendhilfe ist dann ein Geschäft der laufenden Verwaltung.
Empfehlung
Keine Vereinbarungen für betriebserlaubnispflichtige Einrichtungen:
Für betriebserlaubnispflichtige Einrichtungen gelten bezüglich der Vorlagepflicht von
Führungszeugnissen § 45 Abs. 3 SGB VIII sowie die Vorgaben der
Betriebserlaubnisbehörde dazu. Gesonderte Vereinbarungen für diese Einrichtungen und die
dort tätigen Kräfte erübrigen sich demzufolge.
Beschäftigte bei Trägern der freien Jugendhilfe (Absatz 2):
In Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe – ohne die bisherige
Beschränkung auf die Träger von Einrichtungen und Diensten – sind Vereinbarungen zu
treffen, die sicherstellen, dass keine einschlägig vorbestraften Personen beschäftigt werden.
Soweit noch nicht vorhanden, sind daher entsprechende Vereinbarungen mit den Trägern
der freien Jugendhilfe abzuschließen.
Anwendung auf den Freiwilligendienst:
Für Personen, die im Rahmen eines regulären Freiwilligendienstes tätig werden und bei
diesem Dienst Aufgaben der Jugendhilfe wahrnehmen, sollten vergleichbare Bedingungen
gelten wie für hauptberuflich tätige Kräfte.
Vereine nach § 54 SGB VIII:
Die Erlaubnis für Vereine, die Pflegschaften oder Vormundschaften nach § 54 SGB VIII
übernehmen, ist an den Abschluss einer Vereinbarung entsprechend § 72a Abs. 4 SGB VIII
zu binden. Der Intention des Gesetzes entsprechend muss sich die Vorlagepflicht über die
neben- und ehrenamtlich Tätigen hinaus auch auf die hauptamtlich tätigen Kräfte erstrecken.
Sie sind deshalb in die Vereinbarungen einzubeziehen.
Sonstige kommunale Träger:
Sonstige kommunale Träger (z. B. kreisangehörige Gemeinden) sollten in gleicher Weise wie
Träger der freien Jugendhilfe in den Adressatenkreis der Vereinbarungen des örtlichen
Trägers aufgenommen werden. Bis zu entsprechenden landesrechtlichen Regelungen
sollten die örtlichen Träger dies in eigener Verantwortung entsprechend handhaben.
Ehren- und nebenamtlich Tätige:
Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, auch für ehren- und nebenamtlich Tätige eine
Einsichtnahme in erweiterte Führungszeugnisse vorzuschreiben. Ein erweitertes
Führungszeugnis ist vorzulegen, wenn die ehren- oder nebenamtlich Tätigen
•
•
in Wahrnehmung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe Minderjährige
beaufsichtigen, betreuen, erziehen bzw. ausbilden oder vergleichbare
Kontakte zu diesen haben und
die dadurch entstehenden Kontakte nach Art, Intensität und Dauer
(qualifizierte Kontakte) die Einsichtnahme in ein Führungszeugnis erfordern.
Für betriebserlaubnispflichtige
Betriebserlaubnisbehörde.
Einrichtungen
gelten
dabei
die
Maßgaben
der
11
Der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe soll im Jugendhilfeausschuss anhand der
gesetzlichen Kriterien angemessene Entscheidungen dazu treffen, sei es unmittelbar für
seinen autonomen Tätigkeitsbereich oder in Form von Vereinbarungen mit den Trägern der
freien Jugendhilfe.
Die Fachdebatte zur Bestimmung dieser qualifizierten Kontakte hat herausgearbeitet, dass
es sich um solche Tätigkeiten handelt, die geeignet sind, eine besondere Nähe, ein
Vertrauensverhältnis oder auch Macht bzw. Abhängigkeit zwischen Ehrenamtlichen (oder
Nebenamtlichen) und Minderjährigen zu missbrauchen.
Je weniger eine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis und je weniger insoweit ein
Abhängigkeitsverhältnis der Minderjährigen mit einer Tätigkeit verbunden ist, desto eher
kann demnach von einer Vorlagepflicht für die Ehren- und Nebenamtlichen abgesehen
werden.
Da sich Macht und entsprechende Abhängigkeiten aber auch durch schwer fassbare
situative und subjektive Faktoren ergeben, wird nachfolgend empfohlen, für die
Entscheidung über einen Verzicht auf die Vorlagepflicht zusätzlich Tätigkeitsmerkmale
heranzuziehen, die den Missbrauch von Vertrauen oder Macht bzw. von Abhängigkeit
Minderjähriger erschweren.
Dazu werden nachfolgende Kriterien empfohlen:
•
•
•
•
Je geringer die Wahrscheinlichkeit eines nicht kontrollierten Kontaktes zu
Kindern oder Jugendlichen ist (Abgrenzungsaspekt: Tätigkeit kollegial
kontrolliert oder allein),
je geringer die Möglichkeit nicht einsehbarer Nähe bei einem Kontakt zu
Minderjährigen ist (Abgrenzungsaspekt: öffentliches Umfeld, Gruppe –
„geschlossener“ Raum, Einzelfallarbeit),
je weniger die Tätigkeit im Kontakt mit dem Kind bzw. Jugendlichen sich
wiederholt (Abgrenzungsaspekt: einmalig oder häufig wiederkehrend),
je geringer die zeitliche Ausdehnung des Kontaktes ist (Abgrenzungsaspekt:
kurzzeitig oder über Tag und Nacht),
desto eher ist davon auszugehen, dass für die Tätigkeit auf die Einsichtnahme in das
Führungszeugnis der ehren- oder nebenamtlich tätigen Person verzichtet werden
kann.
Für einige Bereiche kann auf der Basis dieser Kriterien ein Absehen von der Einsichtnahme
erwogen werden.
Zum Beispiel: Spontane, nicht geplante ehrenamtliche Aktivitäten sollten von dem
Erfordernis der Einsichtnahme in erweiterte Führungszeugnisse ausgenommen sein, da sie
anderenfalls nicht mehr möglich wären.
Im Handlungsfeld der Jugendarbeit geht es darum, jungen Menschen einen Freiraum zu
selbstorganisierter eigenverantwortlicher Aktivität zu gewährleisten. Jedenfalls soweit die
Tätigkeit als Ausdruck reiner Selbstorganisation Gleichaltriger verstanden werden kann,
könnte auf die Einsichtnahme in das erweiterte Führungszeugnis verzichtet werden. In
Gruppen nahezu gleichaltriger Jugendlicher müsste sonst einer oder alle Beteiligten ein
Führungszeugnis vorlegen, um sich treffen und gemeinsam Aktivitäten organisieren zu
können.
Nach den oben genannten Beurteilungskriterien dürften sich die typischen Einsätze
Minderjähriger auch über die reine Selbstorganisation hinaus in einem Bereich
konzentrieren, für den Führungszeugnisse nicht erforderlich sind. (Das gilt nicht für
betriebserlaubnispflichtige Einrichtungen; hier richtet sich auch der Einsatz Minderjähriger
ausschließlich nach den Anforderungen der Betriebserlaubnisbehörde.)
12
Soweit in diesen Fällen kein Führungszeugnis verlangt wird, sollten die Kriterien als
Anhaltspunkt für eine verantwortliche Gestaltung des entsprechenden Einsatzes genutzt
werden.
Örtliche Zuständigkeit:
Wenn sich die Tätigkeit der Träger der freien Jugendhilfe über den Zuständigkeitsraum
mehrerer örtlicher Träger erstreckt, wird empfohlen, die örtliche Zuständigkeit anhand des
Sitzes des Trägers der freien Jugendhilfe (Geschäftsstelle, postalische Anschrift) und soweit
ein solcher nicht vorliegt nach dem örtlichen Schwerpunkt der Tätigkeit des Trägers der
freien Jugendhilfe zu ermitteln. Es werden Absprachen zwischen benachbarten örtlichen
öffentlichen Trägern dahingehend empfohlen, dass der Abschluss einer Vereinbarung mit
einem örtlichen öffentlichen Träger gegenseitig anerkannt und daher auf den Abschluss
weiterer Vereinbarungen mit diesem Träger der freien Jugendhilfe verzichtet wird.
Zuständigkeit bei überörtlicher Tätigkeit:
Im Einzelfall ist zu prüfen, inwieweit bei überörtlicher Tätigkeit des Trägers der freien
Jugendhilfe statt mit dem oder den örtlichen Träger(n) Vereinbarungen mit den überörtlichen
öffentlichen Trägern geschlossen werden können.
Kosten:
Nach Mitteilung des Bundesamtes für Justiz erhalten Personen das Führungszeugnis für
ehrenamtliche Tätigkeiten künftig gebührenfrei. Dies gilt auch für diejenigen, die eine
Aufwandsentschädigung erhalten. Die Gebührenbefreiung ist zudem für das europäische
Führungszeugnis vorgesehen. Auf die Schaffung eines Führungszeugnisses speziell für die
Belange der Kinder- und Jugendhilfe sollte hingearbeitet werden.
Anpassung an bisherigen Vorlageturnus:
Die Umstellung auf das erweiterte Führungszeugnis sollte bei bereits bestehenden
Tätigkeitsverhältnissen im Turnus der Wiedervorlage (alle 5 Jahre) erfolgen. Insoweit sollten
bestehende Vereinbarungen um eine Übergangsklausel erweitert werden.
Das vorzulegende Führungszeugnis darf nicht älter als 3 Monate sein. Das Datum der
Wiedervorlage berechnet sich nach dem Ausstellungsdatum des Zeugnisses.
Datenschutz:
Im Hinblick auf die vorgesehenen Fristen für die Löschung der Daten nach § 72a Abs. 5 Satz
5 SGB VIII ist zu berücksichtigen, dass die ehrenamtliche und ggf. auch nebenamtliche
Tätigkeit sich in der Regel über einen größeren Zeitraum erstreckt, innerhalb dessen
voneinander unabhängige einzelne Tätigkeiten wahrgenommen werden. Sie ist demnach
nicht beendet, wenn solche Einzelaktivitäten abgeschlossen sind. Um bezüglich der (über
Einzelereignisse hinweg) fortdauernden Datenspeicherung aus dem Führungszeugnis
datenschutzrechtliche Probleme zu vermeiden, sollten sich die Träger dennoch das
Einverständnis der Betroffenen dafür geben lassen. Die Löschung sollte dann erfolgen, wenn
die betreffende Person zu erkennen gibt, dass sie die Mitarbeit einstellen will.
4. Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen
Beratungsanspruch, § 8 Abs. 3 SGB VIII
Information
§ 8 Abs. 3 SGB VIII räumt Kindern und Jugendlichen nunmehr ausdrücklich einen Anspruch
auf Beratung ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten ein, wenn diese auf Grund
einer Not- und Konfliktlage erforderlich ist und solange durch die Mitteilung an die
Personensorgeberechtigten der Beratungszweck vereitelt würde.
13
Hinzugefügt wurde in § 8 Abs. 3 S. 2 SGB VIII ein Hinweis auf § 36 SGB I, der die
selbstständige Antragstellung und die Entgegennahme von Sozialleistungen ab der
Vollendung des 15. Lebensjahres regelt.
Die bislang als Befugnisnorm formulierte Vorschrift soll nach der Begründung des
Gesetzgebers mit der ausdrücklichen Benennung des Rechtsanspruchs nun der
völkerrechtlichen Vorgabe aus Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention entsprechen. Durch
diesen wird dem Kind das Recht zugesichert, dass es seine Meinung frei äußern kann und
dass diese berücksichtigt wird.
Da der Gesetzgeber die damit gegebene Option eines uneingeschränkten eigenständigen
Beratungsanspruchs für Kinder und Jugendliche nicht genutzt hat, bleiben insbesondere
Online- und Telefonberatung von Kindern und Jugendlichen außerhalb von Not- und
Konfliktlagen weiterhin ohne gesicherte Rechtsgrundlage.
Handlungsauftrag/Empfehlung
Das Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche ist – etwa auch im Hinblick auf anonyme
Beratung – auszubauen und weiterzuentwickeln. Hierfür sind außerdem Strukturen zu
schaffen, die Kinder und Jugendliche über die niedrigschwelligen Unterstützungsangebote
informieren und ihnen entsprechend ihres Alters und ihrer jeweiligen Bedarfe einen
erleichterten Zugang ermöglichen. Für die altersgerechte, auf ihrer Lebenswirklichkeit
ausgerichtete Ansprache junger Menschen bedarf es einer entsprechenden Qualifikation der
Fachkräfte.
Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und Schutz vor
Gewalt (§§ 8b Abs. 2, 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, 79a S. 2 SGB VIII)
Information
Die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und ihr Schutz vor
Gewalt erfahren im Bundeskinderschutzgesetz eine gesetzliche Verankerung vor allem in
den Regelungen zur Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung (§ 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB
VIII) sowie zur Beratung von Trägern von Einrichtungen bei der Entwicklung und Anwendung
fachlicher Handlungsleitlinien (§ 8b Abs. 2 SGB VIII) und außerdem in den Vorschriften zur
Qualitätsentwicklung (§ 79a S. 2 SGB VIII).
Besondere Beachtung finden hierbei die Verfahren der Beteiligung von Kindern und
Jugendlichen und die Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten. Die
Regelungen zur Implementierung von Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten für Kinder
und Jugendliche wurden insbesondere aufgrund der Beratungen und Empfehlungen der
Runden Tische „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ und „Sexueller
Kindesmissbrauch“ aufgenommen mit dem Ziel, den Schutz von Kindern und Jugendlichen
in Einrichtungen zu verbessern. Darüber hinaus bieten die Neuregelungen die Möglichkeit –
wenn auch nur indirekt –, die Rechtsstellung der Kinder und Jugendlichen durch
eigenständige Beteiligungs- und Beschwerderechte für sie zu stärken.
Handlungsauftrag/Empfehlung
Für den Schutz von Kindern und Jugendlichen ist grundlegend, sie als (Rechts-)Subjekte
bzw. Träger eigener Rechte wahrzunehmen und dies im Rahmen des fachlichen Handelns
vorrangig zu berücksichtigen. Gleichzeitig ist hierbei von Bedeutung, sie über ihre Rechte zu
informieren und aufzuklären sowie deren Durchsetzung zu ermöglichen.
Kinder und Jugendliche sind „Expertinnen und Experten in eigener Sache“. Ausgehend von
diesem Leitgedanken sind Kinder und Jugendliche in den sie betreffenden Angelegenheiten
– wie etwa Ausgestaltung der Hilfen oder des Lebensalltages – einzubeziehen. Basis für
eine wirkungsvolle Beteiligung ist die Information über die Beteiligungsmöglichkeiten und die
Ausgestaltung der Beteiligungsverfahren differenziert nach Alter, Geschlecht, sozioökonomischer und sozio-kultureller Situation. Regelmäßige Befragungen der Kinder und
Jugendlichen, beispielsweise zur Zufriedenheit oder zu allgemeinen Anliegen im
Einrichtungsalltag, sollten zur Routine der Einrichtung gehören.
14
Eine beteiligungsfreundliche Haltung der mit den Kindern und Jugendlichen arbeitenden
Fachkräfte und eine entsprechende Einrichtungskultur sollten selbstverständlich sein. Es
sind altersgemäße Methoden der Beteiligung weiterzuentwickeln und anzuwenden. Die
Fachkräfte der sozialen Dienste und in den Einrichtungen sind dafür zu qualifizieren und
auszustatten (bspw. Beteiligungskoffer).
Die Möglichkeit zur Beschwerde ist ein wichtiges Element der Beteiligung und zugleich ein
wichtiger Prüfstein für die Einlösung der Beteiligungsrechte. Sie ist als fester Bestandteil der
Organisationskultur zu installieren und mit einem einfachen Zugang für die Kinder und
Jugendlichen auszugestalten.
Soweit es um Schutz vor Gewalt geht, zum Beispiel um Schutz vor Übergriffen Gleichaltriger
oder des Personals, muss den jungen Menschen die Möglichkeit eines niedrigschwelligen
Zugangs zu einer Vertrauensperson eröffnet werden. Die vertrauliche und vorrangig dem
Schutz der Betroffenen verpflichtete fachgerechte Bearbeitung der Beschwerden ist
sicherzustellen.
5. Sicherstellung der Beratungsqualität und der Kontinuität bei Hilfe in
Pflegeverhältnissen (§ 37 Abs. 2 und 2a SGB VIII)
Sicherstellung von Beratung und Unterstützung am Ort der Pflegestelle (§ 37 Abs. 2
SGB VIII)
Information
Mit der Neufassung der Vorschrift des § 37 SGB VIII zur Zusammenarbeit bei Hilfen
außerhalb der Familie werden die Bedingungen der Vollzeitpflege im Hinblick auf die
besonders für Pflegekinder so wichtige Kontinuität der Hilfebeziehung verbessert.
Die ursprünglich beabsichtigte Veränderung der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII
wurde allerdings nicht realisiert. Der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern bleibt in den ersten
beiden Jahren auch bei Pflegeverhältnissen ein zentrales Kriterium für die örtliche
Zuständigkeit. Wenn die Pflegeperson weit entfernt vom zuständigen Jugendamt wohnt,
kann ihr Anspruch auf Beratung und Unterstützung nach § 37 Abs. 2 SGB VIII das örtlich
zuständige Jugendamt vor organisatorische Herausforderungen stellen.
Das zuständige Jugendamt ist nun ausdrücklich verpflichtet, die erforderliche Beratung und
Unterstützung für die Pflegefamilie ortsnah sicherzustellen. Es kann dazu, wie bisher, auf
Angebote am Ort der Pflegeeltern zurückgreifen. Auch soweit es sich zur Erfüllung des
Beratungsanspruchs der Amtshilfe des dortigen örtlichen Trägers/Jugendamts bedient, hat
es nun die Kosten dafür, einschließlich der Verwaltungskosten, zu erstatten (§ 37 Abs. 2
Satz 3 SGB VIII).
Handlungsauftrag
Die ortsnahe Beratung und Unterstützung der Pflegeeltern ist auch bei Unterbringung
außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs sicherzustellen.
Empfehlung
Überregional abgestimmte Empfehlungen zur Pflegekinderhilfe können die Kooperation
zwischen den Jugendämtern und somit auch die Fallübergabe bei Zuständigkeitswechsel
sinnvoll unterstützen. Ihrer Entwicklung bzw. Aktualisierung sollten die Landesjugendämter
besondere Aufmerksamkeit widmen.
Wünschenswert ist auch eine überregionale Empfehlung zu den Verwaltungskosten für die
Amtshilfe. Sie sollte mit den Kommunalen Spitzenverbänden abgestimmt werden.
15
Sicherung der Hilfekontinuität in Pflegestellen (§ 37 Abs. 2a SGB VIII)
Information
Neu ist die Verpflichtung, Art, Ziele und Umfang der Zusammenarbeit mit der Pflegeperson,
ggf. den Umfang der Beratung der Pflegeperson sowie die Höhe der laufenden Leistungen
zum Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen im Hilfeplan festzuhalten und verbindlich zu
machen.
Änderungen im Leistungsinhalt sind auch bei Zuständigkeitswechsel nur bei einer Änderung
des Hilfebedarfs und entsprechender Änderung des Hilfeplans zulässig.
Damit soll auch verhindert werden, dass sich durch Zuständigkeitswechsel Brüche im
Hilfeverlauf und damit nachteilige Wirkungen für die Kinder und Jugendlichen ergeben.
Die Regelung unterstreicht die Verbindlichkeit des Hilfeplans auch unter den Bedingungen,
dass die Pflegestelle sich außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs eines Trägers der
öffentlichen Jugendhilfe befindet und entsprechend nach zwei Jahren ein anderer örtlicher
Träger zuständig wird. Es muss vermieden werden, dass die Bedingungen der Hilfe bei
einem Zuständigkeitswechsel zum Nachteil von Pflegekind und Pflegeeltern verändert
werden.
Handlungsauftrag
Nach dem Zuständigkeitswechsel sind die Hilfesettings zu übernehmen, auch wenn die
Modalitäten nicht denjenigen im Jugendamtsbezirk entsprechen. Die Konzepte zum
Pflegekinderwesen sind entsprechend zu aktualisieren.
6. Qualitätsentwicklung (§§ 79 Abs. 2 Nr. 2, 79a SGB VIII und § 74 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
SGB VIII)
Qualitätsentwicklung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§§ 79 Abs. 2 S. Nr. 2,
79a SGB VIII)
Information
Mit § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII wird die Gewährleistungsverpflichtung der Träger der
öffentlichen Jugendhilfe jetzt ausdrücklich um eine Qualitätsentwicklungsdimension ergänzt.
Diese Ergänzung und die dazu gehörende Konkretisierung in § 79a SGB VIII geht auf
Forderungen des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“ (AG 1 „PräventionIntervention-Information“) zurück.
§ 79 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII alter Fassung ist wortgleich übernommen in § 79 Abs. 2 Nr. 1
der Neufassung des SGB VIII. Er verpflichtete bisher schon zur Gewährleistung der
erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen. Sie sollen den
verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend
zur Verfügung stehen, einschließlich insbesondere von Pflegern, Vormündern und
Pflegepersonen.
Nach der neuen Bestimmung unter Nr. 2 ist den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe nun
außerdem eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung vorgeschrieben. Dabei wird auf die
Konkretisierung in § 79a SGB VIII verwiesen.
Die Verpflichtung zur Qualitätsentwicklung beinhaltet nach § 79a SGB VIII die
Weiterentwicklung, Anwendung und regelmäßige Überprüfung von Grundsätzen und
Maßstäben für die Bewertung der Qualität sowie von geeigneten Maßnahmen zu ihrer
Gewährleistung.
16
Sie bezieht sich auf
•
•
•
•
•
die Gewährung von Leistungen (die Entscheidungsprozesse dazu und beispielweise
die Hilfeplanung sind insoweit einbezogen),
die Erbringung von Leistungen,
die Erfüllung anderer Aufgaben (z.B. die Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren oder
die Inobhutnahme),
die Prozesse der Gefährdungseinschätzung nach § 8a SGB VIII sowie auf
die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen.
Besonders erwähnt werden Qualitätsmerkmale für die Sicherung der Rechte von Kindern
und Jugendlichen in Einrichtungen und ihr Schutz vor Gewalt.
Für die Einrichtungen mit Betriebserlaubnis wird die Qualitätsentwicklung im Kontext der
Betriebserlaubnis, speziell im Rahmen der dazu vorzulegenden Konzeption der Einrichtung,
zum Thema gemacht (§ 45 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII).
Träger der freien Jugendhilfe werden ansonsten über die Bindung der Förderung an die
Beachtung der Grundsätze und Maßstäbe der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung
nach § 79a SGB VIII in die Qualitätsentwicklung eingebunden (§ 74 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII),
soweit sie nicht den Vereinbarungen nach §§ 78a ff. SGB VIII oder vergleichbaren
Verpflichtungen gemäß §§ 77 oder 36a Abs. 2 SGB VIII unterliegen oder nach § 74a SGB
VIII gefördert werden.
Als Orientierung für die Qualitätsentwicklung werden die fachlichen Empfehlungen nach § 85
Abs. 2 SGB VIII der Landesjugendämter bzw. der ansonsten zuständigen Behörden sowie
die bisher angewandten Grundsätze und Maßstäbe für die Qualitätsbewertung sowie
Maßnahmen zur Gewährleistung der Qualität vorgegeben (§ 79a S. 3 SGB VIII).
Handlungsauftrag
Die geforderte Qualitätsentwicklung ist kein ausschließliches Geschäft der laufenden
Verwaltung. Mit ihr ist auf der Ebene der Konzepte und Grundsätze insofern auch der
Jugendhilfeausschuss (bzw. Landesjugendhilfeausschuss) zu befassen.
Die öffentlichen Träger haben die vorhandenen Empfehlungen und die Ansätze bzw.
Elemente zur Qualitätsentwicklung generell und bereichsspezifisch zu sichten.
Sie haben nach Maßgabe des § 79a SGB VIII ein allgemeines Konzept für die
Qualitätsentwicklung zu erarbeiten und in einen aufgabenspezifisch differenzierten
Qualitätsentwicklungsprozess einzutreten.
Die
daraus
erwachsenden
Qualitätskonzepte
fungieren,
bezogen
auf
die
Aufgabenwahrnehmung der Träger der freien Jugendhilfe, als Bezugsrahmen für dessen
eigenständige Qualitätsentwicklung.
Für die nach § 85 Abs. 2 SGB VIII zuständigen Behörden (Landesjugendämter) erweitert
sich der Aufgabenbereich. Ihr Auftrag zur Beratung und Entwicklung von Empfehlungen
bezieht sich nun auch auf die Qualitätsentwicklung gem. § 79a SGB VIII.
Empfehlung
Die nach § 85 Abs. 2 SGB VIII zuständigen Behörden (Landesjugendämter) sollten einen
vollständigen Überblick über ihre fachlichen Empfehlungen erstellen und diese ggf. unter
dem Gesichtspunkt fehlender Bezugspunkte für die Qualitätsentwicklung aktualisieren.
Sie sollten den örtlichen Prozess nicht nur in fachlichen Einzelfragen, sondern auch mit
Bezug auf die Qualitätsentwicklung insgesamt unterstützen.
17
Merkmale des Qualitätsentwicklungsprozesses, Verfahrensanforderungen:
Qualitätsentwicklung ist ein kooperativer Prozess von Trägern der öffentlichen und freien
Jugendhilfe. Wesentlich mitgestaltet wird er durch den Jugendhilfeausschuss bzw.
Landesjugendhilfeausschuss. (Bei bereichsübergreifenden Themen sind ggf. weitere
kommunale Ausschüsse zu beteiligen.) In den Ausschüssen findet die Verständigung über
Grundsätze der Qualitätsentwicklung und über Konzepte statt. Jugendhilfeausschüsse und
Landesjugendhilfeausschüsse sind darüber hinaus Orte für die Reflexion der
Aufgabenwahrnehmung unter Qualitätsgesichtspunkten. Die anerkannten Träger der
Jugendhilfe sind in angemessener Weise an der Entwicklung von Konzepten für die
Qualitätsentwicklung zu beteiligen, etwa im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften nach § 78
SGB VIII.
Der öffentliche Träger sollte für seinen Aufgabenbereich ein allgemeines Konzept zur
Qualitätsentwicklung formulieren und darin auch darlegen, welche allgemeinen
Anforderungen an die Qualitätsentwicklung der Träger der freien Jugendhilfe bestehen.
Bei der aufgabenspezifischen Qualitätsentwicklung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe
ist zu unterscheiden zwischen Aufgaben und Prozessen, die vollständig von diesem selbst
wahrgenommen werden, und Aufgaben, die der Träger der freien Jugendhilfe umsetzt.
Soweit Träger der freien Jugendhilfe Aufgaben wahrnehmen, wird der Träger der öffentlichen
Jugendhilfe nur allgemeine Ziele und Eckwerte für die Qualitätsentwicklung benennen, damit
die Selbständigkeit des Trägers der freien Jugendhilfe im Sinne des § 4 Abs. 1 SGB VIII
gewahrt bleibt.
Qualitätsentwicklungsprozesse finden vielerorts bereits statt. Handlungskonzepte von
Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe enthalten bereits zahlreiche
qualitätsrelevante Elemente, ebenso die Empfehlungen der überörtlichen Träger. Diese
vorhandenen Elemente sind Grundlage für den systematischen dialogischen
Qualitätsentwicklungsprozess.
Qualitätsentwicklung beruht auf einem Konzept für die jeweilige Aufgabenwahrnehmung.
Im Rahmen dieses Konzeptes geht es um Verständigung über Qualitätsziele (einschließlich
von Eckwerten zur Strukturqualität, wie Zahl und Qualifikation von Fachkräften, sowie zur
Prozessqualität) und angestrebte Wirkungen (Ergebnisqualität), über Maßnahmen zur
Umsetzung der Ziele, Merkmale der Zielerreichung und Indikatoren, anhand derer das
Gespräch über die Zielerreichung, über Probleme und beeinträchtigende Faktoren möglich
ist.
Einzelfallübergreifend
wird
die
Qualitätsentwicklung
unterstützt
durch
eine
Jugendhilfeplanung, die auch qualitative Aspekte erfasst (Bestands- und Bedarfserhebung).
Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen und weitere aufgabenübergreifende
Qualitätsmerkmale:
Bezüglich der spezifisch vorgegebenen Merkmale für die Sicherung der Rechte von Kindern
und Jugendlichen in Einrichtungen und ihren Schutz vor Gewalt muss davon ausgegangen
werden, dass nicht nur betriebserlaubnispflichtige Einrichtungen gemeint sind.
Die Beteiligung der jungen Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung für ihre Aktivierung
und trägt zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit bei. Sie ist damit auch ein wichtiger Beitrag
für die Entwicklung der jungen Menschen zu eigen- und sozialverantwortlichen
Persönlichkeiten.
Die Beschwerdemöglichkeit in allgemeinen Angelegenheiten stellt eine anschauliche Form
der Anerkennung der Eigenrechte junger Menschen dar. Die Beschwerdemöglichkeit in
persönlichen Angelegenheiten ist in der gebotenen niedrigschwelligen, den
Vertrauensschutz gewährleistenden Form zugleich ein Element des Schutzes vor Gewalt.
Im Rahmen der Qualitätsentwicklung gilt es, Beteiligungs- wie Beschwerdemöglichkeiten
aufgabenspezifisch zu konkretisieren. (Für Anregungen speziell auch zur Stärkung von
Kinderrechte siehe auch unter 4.).
18
Darüber hinaus sind aber beispielsweise auch die weiteren allgemeinen Qualitätsaspekte,
die das SGB VIII vorgibt, zu beachten.
Als Leitziele sind im SGB VIII unter anderem genannt:
•
•
•
•
die Förderung der Entwicklung,
die Vermeidung bzw. der Abbau von Benachteiligungen,
der Schutz vor Gefahren für das Wohl von Kindern und Jugendlichen,
die Erhaltung bzw. Schaffung positiver Lebensbedingungen sowie eine kinder- und
familienfreundliche Umwelt (§ 1 Abs. 3 SGB VIII).
An zahlreichen Stellen definiert das Gesetz zudem
•
•
•
Strukturqualitäten (etwa in § 79 SGB VIII zur Gewährleistungsverpflichtung, in § 72
SGB VIII zum Fachkräftegebot, in § 36a Abs. 2 SGB VIII die Niedrigschwelligkeit),
Prozessqualitäten (die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in § 8 Abs. 1 bzw.
§ 9 Nr. 2 SGB VIII, die Respektierung der Grundrichtung der Erziehung, der sozialen
und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten sowie der unterschiedlichen Lebenslagen
von Jungen und Mädchen in § 9 SGB VIII bzw. das Wunsch- und Wahlrecht in § 5
SGB VIII),
Ergebnisqualitäten (der Abbau von Benachteiligungen und die Förderung der
Gleichberechtigung in § 9 Nr. 3 SGB VIII).
Für Einrichtungen und Dienste gilt außerdem, dass sie die Erhaltung und Pflege der
Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld unterstützen, junge Menschen und Familien
in gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen besonders fördern sowie dazu beitragen, dass
Mütter und Väter Aufgaben in Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbaren
können (§ 80 Abs. 2 SGB VIII).
Die Vorgaben zur Überprüfung der Qualitätsentwicklung setzen eine Dokumentation der für
die Qualitätsentwicklung wesentlichen Merkmale des Handelns im Jugendamt und bei freien
Trägern voraus.
Das örtliche Berichtswesen beim Träger der öffentlichen wie beim Träger der freien
Jugendhilfe muss insoweit auch qualitätsbezogene Aspekte erfassen. Vergleichbares sollte
auch für das überörtliche Berichtswesen angestrebt werden.
Die Verständigung über geeignete Dokumentationssysteme sollte an etablierte
Berichtspflichten anknüpfen, damit zusätzlicher Aufwand vermieden wird. Art und Frequenz
der Überprüfung ist gegenstandsabhängig und sollte entsprechend differenziert vereinbart
werden.
Qualitätsentwicklungsprozesse sowie die entsprechende Beratung der Träger der freien
Jugendhilfe und die diesbezügliche Zusammenarbeit mit ihnen nehmen Zeit in Anspruch.
Qualität ist an Ressourcen gebunden. Beides ist bei der Umsetzung des § 79a SGB VIII zu
berücksichtigen. Anforderungen an die Qualitätsentwicklung bzw. an die Qualität der Arbeit
müssen
mit
entsprechenden Ressourcen
für die
Umsetzung
einhergehen.
19
Einbindung des Trägers der freien Jugendhilfe
Qualitätsentwicklung (§ 74 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII)
in
die
Konzepte
zur
Information
Durch Ergänzung von § 74 Abs.1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII wurde die Beachtung der Grundsätze
und Maßstäbe der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung nach § 79a SGB VIII zu
einer Bedingung für die Förderung nach § 74 SGB VIII.
Dabei bleibt gem. § 4 Abs. 1 SGB VIII die Selbständigkeit der Träger der freien Jugendhilfe
zu achten.
Als Kann-Bestimmung war der Regelungsgehalt bisher schon in Abs. 2 enthalten. Er bietet
die Möglichkeit, die Förderung an die Maßgaben der Jugendhilfeplanung zu binden. Dort
heißt es im Übrigen ausdrücklich, dass § 4 Abs. 1 SGB VIII unberührt bleibt.
Soweit Kindertagesstätten der Träger der freien Jugendhilfe gem. § 74a SGB VIII nach
Landesrecht gefördert werden, müsste sich eine Bindung der Förderung an die Vorgaben
der Qualitätsentwicklung aus dem Landesrecht ergeben.
Vergleichbare Verknüpfungen liegen nahe für die Vereinbarungen nach §§ 36a bzw. 77 SGB
VIII, so dass auch hier die Qualitätsentwicklung zum Thema zu machen sein wird.
(Im Übrigen setzt nach neuem Recht bereits die Betriebserlaubnis u.a. die Vorlage eines
Konzeptes zur Qualitätsentwicklung und -sicherung durch den Einrichtungsträger voraus,
§ 45 SGB VIII.)
Handlungsauftrag
Die Förderkonzepte der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, einschließlich der Richtlinien
dazu, sind gemäß der Neufassung des § 74 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII zu aktualisieren. Das
sollte konsequenterweise auch für die Vereinbarungen nach §§ 36a, 77 und 78a SGB VIII
gelten, weil nicht zuletzt mit der Neufassung des SGB VIII durch das
Bundeskinderschutzgesetz
Qualitätsmerkmale
gesetzlich
fixiert
wurden,
deren
Gewährleistung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe sicherstellen muss.
Empfehlung
Aus der nach § 4 Abs. 1 SGB VIII erforderlichen Achtung der Selbständigkeit der Träger der
freien Jugendhilfe ergibt sich, dass diesen der Gestaltungsraum für eine selbstbestimmte
Qualitätsentwicklung belassen werden muss. Insoweit kann der Träger der öffentlichen
Jugendhilfe im Rahmen der (eigenen) aufgabenspezifischen Qualitätsentwicklung nur
Eckwerte für die freien Träger verbindlich machen.
Im Rahmen seines allgemeinen Qualitätsentwicklungskonzeptes sollte er die Grundsätze für
die Einbindung der freien Träger und die Anforderungen an sie (einschließlich der
Modalitäten für die Überprüfung) auch bereichsübergreifend beschreiben.
Im Kontext der eigenen aufgabenspezifischen Qualitätsentwicklung wird der Träger der
öffentlichen Jugendhilfe – wie bisher schon vielfach üblich – auch inhaltliche Eckwerte für die
Qualität der Aufgabenerfüllung durch Träger der freien Jugendhilfe definieren.
Soweit die Förderung nach § 12 SGB VIII für die von jungen Menschen selbstorganisierte
Jugendarbeit erfolgt, sind Ansprüche an die Qualitätsentwicklung so zu modifizieren, dass
der Förderzweck „Selbstorganisation“ unterstützt oder zumindest nicht beeinträchtigt wird.
20
7. Kinder- und Jugendhilfestatistik (§§ 99, 101 und 103 SGB VIII)
Information
Die Neuregelungen in §§ 99-103 SGB VIII differenzieren und präzisieren die Erhebung zur
Erfüllung des Schutzauftrags und zu den Maßnahmen der Familiengerichte. Ausdrücklich
wird bundesweit die kleinräumige Datenauswertung der Kinder- und Jugendhilfestatistik
ermöglicht.
Die Erhebung zur Jugendarbeit wird im Jahr 2012 ausgesetzt, um den entstehenden
erhebungsfreien Zeitraum zur grundsätzlichen Überarbeitung der Erhebungskriterien und formen zu nutzen.
Empfehlung
Die Vorschriften sollten von den Trägern als Basis für ein qualifiziertes Berichtswesen
gesehen und als Chance zur Optimierung der Qualität der Kinder- und Jugendhilfestatistik
genutzt werden, um auf dieser Grundlage wirkungsvolle Maßnahmen zur verbesserten
Wahrnehmung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe und speziell auch im Kinderschutz
diskutieren und entwickeln zu können.
Da die Güte der Statistik wesentlich von der Güte der Datenerfassung durch die Träger bzw.
durch deren Fachkräfte abhängt, sollten die öffentlichen Träger hierfür verstärkt
Aufmerksamkeit entwickeln.
Im Hinblick auf die neue Statistik zu Maßnahmen nach § 8a SGB VIII ist zu beachten, dass
die
erfassten
Daten
die
Wirklichkeit
nur
unzureichend
abbilden.
Gefährdungseinschätzungen, die von Trägern der freien Jugendhilfe nach § 8a Abs. 4 SGB
VIII in eigener Verantwortung vorgenommen werden, werden ebenso wenig erfasst wie
deren Hinwirken auf die Inanspruchnahme von Hilfen. Deshalb empfiehlt es sich zu
verfolgen, ob die intensive Kooperation mit Trägern der freien Jugendhilfe (z.B. mit
Erziehungsberatungsstellen oder spezifischen Kinderschutzstellen) im Kontext des
Kindesschutzes ausreichend zur Geltung kommen kann (etwa vermittelt über die allgemeine
Erziehungshilfestatistik).
Die Träger der Jugendarbeit erhalten durch die Aussetzung der Erhebung wertvolle
Partizipationsmöglichkeiten bei der Überarbeitung und Weiterentwicklung der
Erhebungskriterien hin zu einer verbesserten Abbildung der Leistungen der Kinder- und
Jugendarbeit.
Daraus ergibt sich insbesondere für die Jugendarbeit die Chance der adäquateren
gesellschaftlichen Wahrnehmung ihrer Leistungen.
Alle Träger der Jugendarbeit – freie und öffentliche Träger, örtliche und überörtliche Träger –
sollten diese Partizipationsmöglichkeiten nutzen, um dadurch ihre Leistungen, die
Aufgabenwahrnehmung, die Entwicklungen und Entwicklungspotenziale differenzierter
abbilden und als Zukunftsperspektive einbringen zu können.
Es wird empfohlen, diskursiv zu erarbeiten, welche Kennzahlen sowohl für örtliche und
regionale Bedarfe wie auch für die Bundesebene erhoben werden sollten, und in welcher
Weise sie sich möglichst unaufwendig und trotzdem hinreichend präzise erheben lassen.
8. Betriebserlaubnis (§§ 45, 47 SGB VIII in Verbindung mit § 79a SGB VIII)
Information
Das Bundeskinderschutzgesetz hat die Voraussetzungen für die Erteilung der
Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII konkretisiert und erweitert. Damit geht aber keine
Erweiterung der Kompetenzen der Betriebserlaubnisbehörde einher.
Die
Betriebserlaubnisbehörde
knüpft
nach
wie
vor
wesentlich
an
den
Genehmigungsvorbehalt in § 45 Abs. 1 SGB VIII an und prüft auf der Basis des jeweiligen
21
Konzepts, ob die in Abs. 2 und 3 differenziert benannten Voraussetzungen für die
Erlaubniserteilung gegeben sind.
Die Trias der Verantwortung von Betriebserlaubnisbehörde (Verantwortung für die
Erlaubniserteilung, Beratung, anlassbezogene Prüfung und ggf. Widerruf oder Rücknahme
der Erlaubnis), Träger der Einrichtung (Verantwortung für die fachgerechte, dem Kindeswohl
entsprechende Einrichtungsführung) und örtlichem Träger der Jugendhilfe3 (je nach
Einrichtung Gewährleistungsverantwortung nach § 79 SGB VIII, Einzelfallverantwortung im
Rahmen von Hilfeplanung und Hilfeplanfortschreibung, Verantwortung für die Ausgestaltung
der Vereinbarungen nach § 78a ff. SGB VIII bzw. ggf. Verantwortung für die Inobhutnahme)
bleibt deshalb auch nach der gesetzlichen Neuformulierung des § 45 SGB VIII bestimmend
für die Gewährleistung des Kindeswohls in erlaubnispflichtigen Einrichtungen.
Die Verpflichtung, die sogenannten Fachkräftevereinbarungen anzustreben, die in § 45 Abs.
2 S. 4 SGB VIII alter Fassung enthalten war, ist mit der Neustrukturierung des § 45 SGB VIII
entfallen. Über die Gründe gibt es aus dem Gesetzgebungsverfahren keine Hinweise.
Inhaltlich neu ist die ausdrückliche Bindung der Erlaubnis an die Erfüllung der dem
Einrichtungszweck und der Konzeption entsprechenden räumlichen, fachlichen,
wirtschaftlichen und personellen Voraussetzungen, an den Nachweis des Antragstellers,
dass aufgabenspezifische Ausbildungsnachweise und erweiterte Führungszeugnisse
vorliegen bzw. geprüft wurden, sowie an die Anwendung geeigneter Verfahren der
Beteiligung und der Möglichkeit zur Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten und daran,
dass die Konzeption Aussagen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung trifft.
In die Meldepflichten ausdrücklich einbezogen werden nun Ereignisse und Entwicklungen,
die geeignet sind, das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu beeinträchtigen (§ 47 Nr. 2 SGB
VIII). Dabei geht es nicht nur um Einzelvorkommnisse, sondern auch um strukturelle
Entwicklungen, etwa um wirtschaftliche Schwierigkeiten, dauerhafte Probleme mit dem
Umfeld oder in der Zusammenarbeit mit den Eltern.
Gemäß § 79a SGB VIII haben die Betriebserlaubnisbehörden ihrerseits Qualitätsentwicklung
für die eigene Aufgabenwahrnehmung zu betreiben (siehe unter 6.).
Träger von Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche ganztägig oder für einen
Teil des Tages aufhalten oder in denen sie Unterkunft erhalten, und die zuständigen
Leistungsträger haben gegenüber dem überörtlichen Träger der Jugendhilfe einen
Rechtsanspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher
Handlungsleitlinien zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz vor Gewalt sowie zu
Verfahren der Beteiligung in strukturellen Angelegenheiten der Einrichtung sowie zu
Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten (§ 8b Abs. 2 SGB VIII).
Handlungsauftrag
Soweit die in § 45 Abs. 2 und 3 SGB VIII benannten Voraussetzungen nicht bereits bisher
von der Betriebserlaubnisbehörde in die Prüfung einbezogen wurden, hat diese die neuen
Voraussetzungen in ihre Praxis zu integrieren.
Die Betriebserlaubnisbehörde hat die Einrichtungsträger über die neuen Anforderungen
einschließlich der neuen Meldepflichten zu informieren und deren Beachtung einzufordern,
soweit diese nicht bereits nach bisheriger Praxis der Betriebserlaubnisbehörde zu beachten
waren. Sie hat alle Einrichtungsträger für das erweiterte Verständnis von Kinderschutz auf
der Grundlage der durch das BKiSchG betonten Instrumente und Maßnahmen zu
sensibilisieren.
3
Soweit Leistungsträger außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe betroffen sind, treten sie
entsprechend als Verantwortungsträger für die Einzelfallgestaltung oder die Nutzungsvereinbarung
hinzu.
22
Außerdem hat sie im Rahmen der eigenen Qualitätsentwicklung ihre Qualitätsmaßstäbe und
Bewertungskriterien sowie die Maßnahmen der Umsetzung transparent zu machen.
Die Einrichtungsträger müssen ihre Betriebsführung den neuen Anforderungen anpassen.
Dabei ist zu beachten, dass mit der Neuformulierung des § 45 Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII nicht
gemeint ist, dass die einzelnen Zeugnisse oder Nachweise jeweils der
Betriebserlaubnisbehörde vorzulegen wären, sondern lediglich die Bestätigung des
Einrichtungsträgers, dass ihm die entsprechende Qualifikation (die anzugeben ist)
nachgewiesen bzw. ein beanstandungsfreies erweitertes Führungszeugnis vorgelegt wurde.
Der Anspruch auf Beratung bei der Entwicklung und Anwendung fachlicher
Handlungsleitlinien nach § 8b Abs. 2 SGB VIII wird jedenfalls bezogen auf die
erlaubnispflichtigen Einrichtungen regelmäßig von der Betriebserlaubnisbehörden zu erfüllen
sein.
Empfehlung
• Die Betriebserlaubnisbehörden sollten die Eckwerte ihrer Anforderungen an
Qualitätsentwicklung
und
-sicherung,
an
Beteiligungsverfahren
und
Beschwerdemöglichkeiten für die jungen Menschen transparent machen. Das heißt
auch, sie den Trägern von bereits im Betrieb befindlichen Einrichtungen zugänglich
zu machen, damit diese ihre Praxis ggf. entsprechend weiterentwickeln können.
• Bei der Formulierung der Anforderungen sollte dem aktuellen fachlichen
Diskussionsstand, etwa zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen
sowie ihres Schutzes vor Gewalt, Rechnung getragen werden.
• Betriebserlaubnisbehörden und Einrichtungsträger sollten danach streben,
bestehende Fachkräftevereinbarungen aufrecht zu erhalten, fortzuschreiben und ggf.
zu aktualisieren, jedenfalls soweit es nicht entsprechende landesrechtliche Vorgaben
für die Qualifikation der Fachkräfte in den Einrichtungen gibt. Solche Vereinbarungen
schmälern die Entscheidungskompetenz der Betriebserlaubnisbehörde nicht. Sie
erlauben aber im Rahmen des von der BE-Behörde Vertretbaren die
Berücksichtigung angebotsspezifischer Besonderheiten und stellen damit u.a. eine
aufgabenspezifische Form der Beachtung des Kooperationsgebots mit den Trägern
der freien Jugendhilfe bzw. den Trägern der Einrichtungen allgemein dar. Sie
schaffen für die Beteiligten Transparenz über die Maßstäbe, nach denen die
Betriebserlaubnisbehörde handelt, und erleichtern damit die Praxis der
Einrichtungsträger und der Betriebserlaubnisbehörde.
• Soweit die neuen Anforderungen nicht bereits Konzeptbestandteil waren, sollten die
Einrichtungsträger die Betriebserlaubnisbehörde zeitnah darüber in Kenntnis setzen,
wie sie den neuen Anforderungen Rechnung tragen.
• Die Träger haben auch die Beachtung der neuen Meldepflichten sicherzustellen –
soweit diese nicht bereits zum Anforderungskatalog der Betriebserlaubnisbehörde an
die Einrichtung gehörten.
• Die Betriebserlaubnisbehörden müssen ihre Prüfpraxis auf die neuen Anforderungen
umstellen. Soweit bestehende Betriebserlaubnisse den neuen Anforderungen nicht
entsprechen, sollten sie anlässlich ohnehin fällig werdender anderweitiger
Anpassungen
aktualisiert
werden.
Unabhängig
davon
sollte
die
Betriebserlaubnisbehörde Schritte zur Aktualisierung der Betriebserlaubnis dann
einleiten, wenn ihr ein Träger in vertretbarem Zeitrahmen keine entsprechenden
ergänzenden Unterlagen zur Einlösung der neuen Anforderungen zur Verfügung
stellt.
Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
und Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter
Juni 2012
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