Daten
Kommune
Jülich
Größe
3,8 MB
Datum
03.12.2015
Erstellt
13.11.15, 13:22
Aktualisiert
13.11.15, 13:22
Stichworte
Inhalt der Datei
Anlage 3
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES V O L K E S
URTEIL
BVerwG8C22.11
OVG 4 A 442/09
Verkündet
am 5. Juli 2012
Ende
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
-2-
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und
die Richterinnen am BundesvenA/altungsgericht Dr. von Heimburg, Dr. Hauser,
Dr. Held-Daab und Dr. Rudolph
für Recht erkannt:
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
23. November 2010 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29. August 2007 werden geändert,
soweit es den gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klageantrag zu 4 betrifft.
Die Beklagte zu 2 wird verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Haushaltsmitteln für die sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung in den Jahren 2005 bis 2009 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im
Übrigen wird die Klage im Klageantrag zu 4 abgewiesen.
-3-
Die Klägerin trägt neben den außergerichtlichen Kosten
des Beklagten zu 1 die Hälfte der Gerichtskosten und der
außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 aus allen
drei Rechtszügen. Die Beklagte zu 2 trägt die Hälfte der
Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der
Klägerin. Im Übrigen tragen die Klägerin und die Beklagte
zu 2 ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Gründe:
I
1
Die Klägerin war seit der Stadtratswahl vom 13. Juni 2004 Fraktion im Rat der
beklagten Stadt. Sie begehrt die Nachzahlung von Fraktionszuschüssen für die
Jahre 2005 bis 2009. Die Wahlperiode lief am 30. Juni 2009 ab.
2
Am 11. August 1999 hatte der Stadtrat Richtlinien zur Finanzierung der Geschäftstätigkeit der Fraktionen und fraktionslosen Stadträte des Stadtrates beschlossen. Danach gliederten sich die im Haushalt hierfür eingestellten Mittel in
einen festen Betrag (zwei Drittel), der zu gleichen Anteilen allen Fraktionen zukommen sollte, und einen variablen Betrag (ein Drittel), derauf die Fraktionen
nach der Zahl ihrer Mitglieder aufzuteilen war.
3
Am 26. Januar 2005 beschloss der Stadtrat eine Änderung dieser Richtlinien.
Danach waren die im Haushalt für die Geschäftsführung der Fraktionen eingestellten Mittel durch alle 54 Stadträte zu teilen und auf die jeweilige Anzahl der
Mitglieder der Fraktionen bzw. fraktionslosen Stadträte hochzurechnen.
4
Die Klägerin hält die Änderung der Richtlinie für nichtig. Mit ihrer Klage begehrt
sie noch die Zahlung der Mehrbeträge, die sich bei Fortgeltung der Richtlinie in
der Fassung von 1999 ergäben.
5
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. August 2007 auch insoweit abgewiesen. Mit Urteil vom 23. November 2010 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Änderung der Richtlinie
-4-
für rechtmäßig erachtet. Mit dem Grundsatz der Chancengleichheit seien verschiedene Modelle der Fraktionsfinanzierung vereinbar. Es sprächen gute
Gründe für eine Verteilung mit einem festen und einem variablen Teilbetrag. Die
Chancengleichheit sei aber auch bei einer Verteilung gewährleistet, die sich
ausschließlich nach der Anzahl der Fraktionsmitglleder richte. Für beide Modelle sprächen gewichtige Gründe. Die Gewährung eines Sockelbetrages berücksichtige die Tatsache, dass ein gewisser Kostenbedarf unabhängig von der
Fraktionsgröße bestehe. Die Verteilung der Mittel strikt nach der Mitgliederzahl
stelle hingegen darauf ab, dass mit deren Anstieg auch der Koordinierungsbedarf und die Vielfalt der wahrzunehmenden Tätigkeiten zunehme. Unerheblich
sei, ob „typisch fraktionsstärkeunabhängige" Aufgaben des Fraktionspersonals
mindestens drei Viertel dessen zeitlichen Aufwands einnähmen, wie die Klägerin unter Beweisantritt behauptet habe. Denn es verbleibe ein nicht unerheblicher Teil von Kosten, die direkt abhängig von der Größe der Fraktionen seien.
Der Stadtrat habe sich daher für keine sachwidrige Lösung entschieden.
6
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Obervenwaltungsgericht habe den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Grundsatz der Chancengleichheit verletzt. Fraktionsmittel seien allgemeine Haushaltsmittel, die den
Fraktionen In ihrer Eigenschaft als Teil des Hauptorgans der Gemeinde zur Verfügung gestellt würden. Ausgangspunkt sei die Aufgabe der Fraktionen, Meinungsbildung und Mehrheitsfindung im Stadtrat zu erleichtern und In der Informationsvorbereltungs- und Abstimmungsphase einen wichtigen Beitrag zu einer
effizienteren Aufgabenerfüllung zu leisten. Dem werde eine Verteilung der Fraktionsmittel rein proportional zur Fraktionsstärke nicht gerecht.
7
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
23. November 2010 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 29. August 2007 zu ändern, soweit
es den gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klageantrag
zu 4 betrifft und die Beklagte zu 2 zu verurteilen, an ihren
ehemaligen Geschäftsführer 116 802,94 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Baslszlnssatz seit 31.12.2005 aus 23 122,71 €, seit 26.01.2006 aus
5 780,70 €, seit 01.06.2006 aus 5 780,67 €, seit
-509.08.2006 aus 5 780,67 €, seit 28.11.2006 aus
7 545,93 €, seit 10.01.2007 aus 7 105,53 €, seit
10.04.2007 aus 7 105,53 €, seit 28.09.2007 aus
7 104,77 €, seit 28.09.2007 aus 7 104,77 €, seit
18.01.2008 aus 7 104,52 €, seit 09.06.2008 aus
7 104,52 €, seit 07.07.2008 aus 7 104,52 €, seit
28.09.2008 aus 5 674,52 €, seit 20.01.2009 aus
5 674,52 €, seit 07.04.2009 aus 7 709,06 € zu zahlen.
8
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
10
Der Vertreter des Bundesinteresses hält das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ebenfalls für richtig.
II
11
Die Revision ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf
einer Verletzung von Bundesrecht {§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
12
Die revisionsgerichtliche Prüfung muss von der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ausgehen, dass das Zahlungsbegehren der Klägerin sich nicht
mit dem Ablauf der Wahlperiode am 30. Juni 2009 erledigt hat, dass es sich
richtigerweise gegen die Beklagte richtet und dass die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Stadtrates vom 26. Januar 2005 im Rahmen der Prüfung des
gesteilten Zahlungsantrags inzident überprüft wird. Das Berufungsgericht hat
diesen Beschluss zur Änderung des Verteilungsmaßstabs für rechtmäßig gehal
ten. Soweit dies auf irrevisiblem Landesrecht beruht, ist dem Revisionsgericht
eine Nachprüfung verwehrt (§ 173 VwGO, § 560 ZPO). Es kann daher nur prüfen, ob Bundesrecht - insbesondere Bundesverfassungsrecht - ein anderes Ergebnis gebietet {stRspr; vgl. Urteil vom 12. November 1993 - BVerwG 7 C
23.93 - BVerwGE 94, 288 = Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 38).
-6-
13
Das ist Iiier der Fall. Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Entscheidung des Stadtrates der Beklagten über die Grundsätze
zur Finanzierung der Geschäftsführungstätigkeit der Ratsfraktionen am allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen ist (1.). Mit Art. 3 Abs. 1
GG unvereinbar ist jedoch seine Annahme, eine rein proportionale Verteilung
der zur Verfügung stehenden Mittel sei bei unterschiedlich großen Fraktionen
auch dann gleichheitskonform, wenn der Zeitaufwand für die Erfüllung der Geschäftsführungsaufgaben zu mindestens drei Vierteln von der Fraktionsstärke
unabhängig sei (2.). Eine rein proportionale Verteilung kam vielmehr nicht in
Betracht (3.). Aus der Unwirksamkeit der Änderung des Verteilungsschlüssels
folgt freilich kein Zahlungsanspruch auf der Grundlage der zuvor geltenden
Richtlinie von 1999. Vielmehr muss die Beklagte die Klägerin neu bescheiden
(4.).
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1. Die gesetzliche Grundlage für die Gewährung von Zuwendungen an Fraktionen sieht das Obervenwaltungsgericht in § 35a Abs. 3 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO). Danach kann die Gemeinde den Fraktionen
Mittel aus ihrem Haushalt für die sächlichen und personellen Aufwendungen für
die Geschäftsführung gewähren. Diese Mittel sind in einer besonderen Anlage
zum Haushaltsplan darzustellen. Über ihre Venwendung ist ein Nachweis in einfacher Form zu führen. Nach der Auslegung dieser Bestimmung durch das Berufungsgericht hat die Klägerin keinen Anspruch auf Fraktionszuwendungen
aus Haushaltsmitteln oder auf volle Erstattung ihrer Kosten. Vielmehr besteht
ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Verteilung der für die Fraktionszuwendungen vorgesehenen Mittel auf die verschiedenen Fraktionen. Hierbei ist die
Kommune an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Diese Auslegung ist
mit Bundesrecht vereinbar.
15
a) Mit Recht weist das Oberverwaltungsgericht darauf hin, dass der allgemeine
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht nur für das rechtliche Verhältnis zwischen Bürger und Staat gilt, sondern als Bestandteil des allgemeinen Rechtsstaatsgebots auch Geltung für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Rat einer
Gemeinde und den Fraktionen als seinen Teilen beansprucht.
-7-
16
Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches nach seiner Eigenart verschieden zu behandeln. Der Gesetz- oder sonstige Normgeber muss damit fijr seine Unterscheidungen und
Nichtunterscheidungen einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonstwie einleuchtenden Grund angeben können. Das gilt für Belastungen und Begünstigungen gleichermaßen (stRspr; vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Juni 2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412 <431> und vom 17. April
2008 - 2 BvL 4/05 - BVerfGE 121, 108 <119>; Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR
3262/07 u.a. - BVerfGE 121, 317 <369 f.>; jeweils m.w.N.).
17
Fraktionszuschüsse sind zweckgebundene Zuwendungen. Sie dienen dazu, die
sächlichen und personellen Aufwendungen der Fraktionen für ihre Geschäftsführung ganz oder teilweise zu decken (§ 35a Abs. 3 Satz 1 SächsGemO), und
sind hierauf begrenzt (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 BvE 1/88 BVerfGE 80, 188 <231>). Damit gibt das Gesetz selbst den sachlichen Grund
für Differenzierungen bei der Bemessung dieser Zuschüsse vor. Auch wenn die
Gemeinde keine kostendeckenden Zuschüsse vorsieht, müssen die gewährten
. Mittel unter den Fraktionen nach einem Maßstab verteilt werden, der sich an
deren tatsächlichem oder erwartbarem Bedarf für ihre Geschäftsführung orientiert. Nichts anderes gilt, fasst man den allgemeinen Gleichheitssatz mit dem
Oberverwaltungsgericht in der besonderen Ausprägung als Grundsatz der
Chancengleichheit. Fraktionszuschüsse wahren die Chancengleichheit der
Fraktionen, wenn sie sich in dem beschriebenen Sinne nach ihrem gesetzlichen
Zweck bemessen und hierauf beschränken.
18
b) Strengere Anforderungen an die Finanzierung von Ratsfraktionen ergeben
sich nicht aus dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 28 Abs. 1 Satz 2
GG), der wegen des Demokratieprinzips als Gebot streng formaler Gleichbehandlung aufzufassen ist und Differenzierungen nur aus zwingenden Gründen
zulässt (BVerfG, Schlussurteil vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 BVerfGE 40, 296 <317 f.>). Die Geltung dieses Grundsatzes ist grundsätzlich
auf die Wahl und den Wahlvorgang beschränkt (BVerfG, Urteile vom 13. Juni
1989 a.a.O. S. 217 ff. und vom 16. Juli 1991 - 2 BvE 1/91 - BVerfGE 84, 304
<321 ff.>); er setzt sich nach der Wahl im Grundsatz der strengen Gleichheit
der Abgeordneten und Mandatsträger fort, deren Rechtsstellung und deren
Mitwirkungsbefugnisse in der Vertretung deshalb ebenfalls in einem streng formalen Sinne gleich sein müssen. Das betrifft auch die Abgeordnetenentschädigung {BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2000 - 2 BvH 3/91 - BVerfGE 102, 224
<238 f.>).
Daraus lässt sich jedoch für die Rechte von Ratsfraktionen nichts gewinnen.
Das Gebot strenger Gleichbehandlung gilt für die gewählten Abgeordneten und
Ratsmitglieder selbst, die dieses Recht aus ihrem Mandat aus der Wahl herleiten. Fraktionen leiten ihre Rechtsstellung nicht in gleicherweise unmittelbar
aus der Wahl her. Zwar folgt aus dem freien Mandat des Abgeordneten des
Deutschen Bundestages auch das Recht, sich im Parlament mit anderen Abgeordneten zu Fraktionen zusammenzuschließen (stRspr; BVerfG, Urteil vom
13. Juni 1989 a.a.O. S. 218; Beschluss vom 17. September 1997 - 2 BvE 4/95 BVerfGE 96, 264 <278>; jeweils m.w.N.). Ob ein gleiches Recht auch für die
Mitglieder eines Gemeinderates oder Kreistages aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG
herzuleiten ist, mag dahinstehen (vgl. zu Ratsfraktionen zuletzt Urteil vom
28. April 2010 - BVenwO 8 C 18.08 - BVenwGE 137, 21 Rn. 20 = Buchholz
415.1 Allgemeines Kommunalrecht Nr. 176); es besteht in Sachsen jedenfalls
nach Landesrecht (§ 35a Abs. 1 Satz 1 SächsGemO). Aus der formalen
Gleichheit der Mandatsträger folgt jedoch noch keine ebenso formale Gleichheit
der von ihnen gebildeten Fraktionen. Ebenso wenig lässt sich aus ihr folgern,
dass sich die Finanzierung von Fraktionen aliein an der Zahl ihrer Mitglieder
auszurichten hätte. Ungeachtet des Rechts der Mandatsträger, sich zu Fraktionen zusammenzuschließen, sind diese doch zunächst Ausfluss des Selbstorganisationsrechts der Vertretung. Als Gliederungen des Rates dienen sie dazu, den Willensbildungsprozess im Rat vorzubereiten und zu strukturieren und
damit effektiver zu gestalten (vgl. Suerbaum, in: Mann/Püttner <Hrsg.>, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, 3. Aufl. 2007, § 22 Rn. 3
m.w.N.). Durch ihre Finanzierung finanziert der Rat sich daher selbst. Zuwendungen an die Fraktionen sind deshalb weder für die Finanzierung etwa „hinter"
den Fraktionen stehender Parteien noch für die Alimentierung der fraktionsangehörigen Mandatsträger bestimmt. Unzulässig wäre daher eine unmittelbare
-9-
Zuwendung zur Fraktionsfinanzierung vorgeseliener Mittel an fraktionsangehörige oder fraktionslose Mandatsträger.
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Der Grundsatz der Wahigleichheit kann nur durch die mittelbaren Auswirkungen
der Fraktionsfinanzierung auf die Mandatsträger - und zwar auf fraktionsangehörige wie fraktionslose - berührt werden. Die Gewährung von Finanzmitteln an
Fraktionen darf nicht dazu führen, dass die in diesen Fraktionen zusammengeschlossenen Mandatsträger bei der Wahrnehmung ihres Mandats gegenüber
fraktions losen Mandatsträgern ungleich bevorzugt werden. Wo dies unvermeidliche Folge der Fraktionsbildung ist, bedarf es kompensatorischer - nicht notwendig geldwerter - Maßnahmen zugunsten der Fraktionslosen, um die Gleichheit der Mandatswahrnehmung wiederherzustellen (vgl. BVerfG, Urteil vom
13. Juni 1989 a.a.O. S. 231 f.). Gleiches gilt im Vergleich von Mitgliedern großer
mit Mitgliedern kleiner Fraktionen. Auch hier dürfen Zuwendungen an die Fraktionen die grundsätzliche Gleichheit der Mandatswahrnehmung, die aus dem
Grundsatz der Gleichheit der Wahl fließt, nicht beeinträchtigen und müssen andernfalls kompensiert werden. Ob diese Grenze hier überschritten ist und welche Folgen dies für die Fraktionsfinanzierung als solche hätte, kann dahinstehen, weil der vom Rat der Beklagten beschlossene Verteilungsmaßstab schon
gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
21
2. Ist mit Art. 3 Abs. 1 GG nur ein Verteilungsmaßstab vereinbar, der sich an
den für die Fraktionsgeschäftsführung entstehenden sächlichen und personellen Aufwendungen orientiert, so kann eine rein proportionale Verteilung nach
der Fraktionsstärke bei unterschiedlich großen Fraktionen nur gleichheitsgemäß
sein, wenn den Fraktionen kein „fixer" Aufwand unabhängig von ihrer Größe
entsteht oder wenn dieser doch regelmäßig nicht ins Gewicht fällt. Das hat das
Oberverwaltungsgericht verkannt.
22
Nach seinen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 137
Abs. 2 VwGO gebunden ist, gewährt die Beklagte über die finanziellen Zuschüsse hinaus sächliche Zuwendungen durch Überlassung von Verwaltungsräumen nebst Ausstattung und Bereitstellung von EDV-Technik. Die Zuschüsse
- 10-
dienen daher vor allem der Finanzierung der personellen Aufwendungen und
müssen sich im Wesentlichen danach richten.
23
Die Klägerin hatte unter Beweisantritt geltend gemacht, wenigstens drei Viertel
des typischen personellen Aufwands für die Fraktionsgeschäftsführung falle für
kleine wie für große Fraktionen gleichermaßen an. Das Oberverwaltungsgericht
hat den angebotenen Beweis nicht erhoben, sondern die tatsächliche Behauptung der Klägerin als wahr unterstellt. Auf der Grundlage dieser Unterstellung ist
eine rein proportionale Mittelverteilung bei unterschiedlich großen Fraktionen
keinesfalls mehr gleichheitsgemäß. Die Einschätzung, drei Viertel und mehr des
personellen Aufwands fielen bei der Zuschussbemessung für eben diesen Aufwand nicht ins Gewicht, ist auch bei Annahme eines Einschätzungsspielraums
des Richtliniengebers nicht mehr zu rechtfertigen. Unter diesen Umständen
führt eine rein proportionale Mittelverteilung zwangsläufig zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung kleinerer Fraktionen.
24
3. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Vielmehr zwingen seine
tatsächlichen Feststellungen zu der Annahme, dass sich eine rein proportionale
Verteilung für den streitigen Zeitraum wegen der unterschiedlichen Fraktionsstärken und eines erheblichen Anteils „fixen" Aufwandes für die Geschäftsführung verbietet.
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Selbst wenn der von der Fraktionsstärke unabhängige Aufwand nicht drei Viertel des personellen Gesamtaufwands ausmacht, so ist dieser Anteil doch keinesfalls so gering, dass er nicht ins Gewicht fiele; jedenfalls entsteht jeder Fraktion ein gewisser Sockelbedarf, der kleinere Fraktionen bei einer rein proportionalen Mittelverteilung ungleich stärker beschwert als größere. Das ergibt sich
aus dem Prüfbericht des Rechnungsprüfungsamtes der Beklagten vom 7. März
2007, den das Oberverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführt hat (vgl. UA
S. 5) und dessen Inhalt die Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat nicht widersprochen haben. Das Rechnungsprüfungsamt hat festgestellt, dass die Finanzlage unterschiedlich großer Fraktionen bei einer rein
proportionalen Mittelverteilung erheblich voneinander abweicht. Während Frak-
-11 -
tionen mit einer größeren Mitgliederzahl die bereitgestellten Mittel nicht in voller
Höhe benötigten und zudem großzügig verwendeten, könnten die Aufwendungen der kleineren Fraktionen zum Teil nicht gedeckt werden. Für die Wahlperiode 2009 bis 2014 hat der Stadtrat der Beklagten wohl deshalb die Richtlinien
zur Finanzierung der Geschäftsführungstätigkeit der Fraktionen wieder geändert. 50 % der den Fraktionen zugeteilten Mittel werden seither als Sockelbetrag zu gleichen Teilen und 50 % nach der Fraktionsstärke verteilt. Damit ist der
Rat zu einem Kombinationsmodell zurückgekehrt.
26
4. Bei dieser Sachlage konnte der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO in
der Sache selbst entscheiden.
27
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin war dabei allerdings ihrem Zahlungsbegehren nicht ohne Weiteres zu entsprechen. Zwar erweist sich der Ratsbeschluss vom 26. Januar 2005 über die rein proportionale Mittelvergabe als
rechtswidrig. Damit tritt jedoch nicht der vorherige Verteilungsmaßstab wieder in
Geltung; vielmehr besteht für die fragliche Zeitspanne derzeit überhaupt keine
gültige Verteilungsregelung. Die Beklagte ist demzufolge - in entsprechender
Anwendung von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO - zu verpflichten, über das Zahlungsbegehren der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats
neu zu entscheiden.
28
b) Hierzu wird der Rat der Beklagten für den in Rede stehenden Zeitraum eine
neue - nunmehr rechtmäßige - Verteilungsregelung zu beschließen haben. Das
ist auch rückwirkend möglich. Namentlich kann der derzeitige Rat eine Verteilungsregelung auch für eine zurückliegende, abgeschlossene Wahlperiode beschließen. Dem stehen kommunalverfassungsrechtliche Hindernisse nicht entgegen. Zwar sind die Fraktionen selbst an den jeweils gewählten Rat gebunden
und gehen mit Ende einer Wahlperiode unter; in Ansehung von Zahlungsansprüchen der vorliegenden Art, aufweiche sich ihre Abwicklung gerade bezieht,
bestehen sie jedoch fort. Der Rat selbst ist ein kontinuierliches Organ.
29
Bei der Neuverteilung ist der Rat der Beklagten nicht gehalten, eine spezielle
Bedarfsanalyse zu erstellen. Vielmehr wird eine kritische Auswertung der von
-12 -
den Fraktionen ohnehin vorzulegenden Verwendungsnachweise (§ 35a Abs. 3
Satz 3 SächsGemO) aus den zurückliegenden Jahren regelmäßig genügen.
Das dem Rat zustehende Regelungsermessen erlaubt zudem eine generalisierende und typisierende Betrachtungsweise. Allerdings muss sich - wie erwähnt die Verteilungsentscheidung des Rates stets auf die für die Fraktionsgeschäftsführung erforderlichen Tätigkeiten und die Personalaufwendungen hierfür beziehen und beschränken; sie darf weder zu einer verdeckten Parteienfinanzierung noch zu einer (zusätzlichen) Aufwandsentschädigung für die einzelnen
Ratsmitglieder werden. Zu bedenken ist auch, dass der Fraktionsgeschäftsführung nicht obliegt, die Willensbildung der Fraktionsmitglieder selbst vorwegzunehmen, dass sie sich vielmehr auf organisierende und koordinierende Dienstleistungen für die Fraktionsmitglieder zu beschränken hat. Hierzu rechnen
jedenfalls die Vorbereitung und Durchführung der Fraktionssitzungen, die Mitwirkung bei der Konstituierung des Rates (insbesondere die Beschickung seiner
Ausschüsse), die Vorbereitung der Ratssitzungen (Sichtung der Sitzungsvorlagen nebst „Berichterstattung" an die Fraktionsmitglieder, ggf. ergänzende Informationsbeschaffung zu den Tagesordnungspunkten bei der Stadtverwaltung
und bei Dritten) sowie die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion (vgl. § 35a Abs. 2
SächsGemO).
30
Findet der Rat die Erhebungen des enwähnten Prüfberichts bestätigt, so darf er
die für die Fraktionsgeschäftsführung bereitgestellten Haushaltsmittel
-jedenfalls bei unterschiedlich großen Fraktionen - nicht linear proportional auf
die Fraktionen verteilen. Vielmehr muss er einen anderen, sachgerechten Verteilungsmaßstab wählen. Das kann ein Kombinationsmodell der Art sein, wie es
vor 2005 galt und seit 2009 wieder Geltung hat, mit einem größeren oder kleineren fraktionsstärkeunabhängigen Sockelbetrag. In Betracht kommen aber
auch andere Modelle, etwa eine degressiv-proportionale Regelung, welche die
ersten vier oder fünf Mitglieder einer Fraktion stärker gewichtet als die zweiten
und diese wiederum stärker als die dritten vier oder fünf Mitglieder, und so fort.
31
c) Ob und in welchem Umfang dem Zahlungsbegehren der Klägerin auf der
Grundlage des neuen Verteilungsmaßstabs entsprochen werden kann, richtet
sich unter anderem nach Haushaltsrecht. Außerdem wird die Beklagte zu be-
- 13-
denken haben, dass - bei unverändertem Mittelvolumen - eine Veränderung des
Verteilungsmaßstabs, der kleinere Fraktionen gegenüber der bisherigen Verteilung begünstigt, im Gegenzug die Ansprüche größerer Fraktionen beschneidet.
Hiervon v^/ird die Klägerin nur soweit profitieren können, als größere Fraktionen
ihre Mittel nicht abgerufen oder nicht bestimmungsgemäß verwendet haben und
eine Rückforderung noch möglich ist (vgl. § 35a Abs. 3 Satz 3 SächsGemO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. von Heimburg
Dr. Held-Daab
Dr. Hauser
Dr. Rudolph
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
116 802,94 € festgesetzt.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Held-Daab
Dr. von Heimburg
Dr. Hauser
Dr. Rudolph
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Kommunalrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 2, Art. 38 Abs. 1
VwGO
§ 113 Abs. 5
SächsGemO § 35a Abs. 3
Stichworte:
Fraktionen; Fraktionsstärke; Zuwendungen; Personalkosten; Zweck; Bedarf;
Sockelbetrag; Pro-Kopf-Anteil; Gewährung; Aufgaben; Verteilung; Maßstab;
Alimentation; Finanzierung; Geschäftsführung; Information; Koordination; Bündelung; Gleichheitssatz; formalisiert; Wahlrechtsgleichheit; Chancengleichheit;
sachgerecht; bedarfsorientiert; Willkür; Grundaufwendungen; Vertrauensschutz;
Kontinuität; Ermessen; Entscheidungsspielraum.
Leitsätze:
1. Die Verteilung von Haushaltsmitteln für die Geschäftsführungstätigkeit von
Stadtratsfraktionen ist am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG
und nicht am formalisierten Gleichheitssatz aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG zu
messen.
2. Der Verteilungsmaßstab muss sich am Zweck der Fraktionsbildung und dem
daraus resultierenden Bedarf für die Fraktionsgeschäftsführung orientieren.
Urteil des 8. Senats vom 5. Juli 2012 - BVenA/G 8 C 22.11
I. VG Chemnitz vom 29.08.2007 - Az.: VG 1 K 269/05 II. OVG Bautzen vom 23.11.2010 - Az.: OVG 4 A 442/09 -