Daten
Kommune
Erftstadt
Größe
229 kB
Datum
15.02.2017
Erstellt
02.02.17, 15:01
Aktualisiert
02.02.17, 15:01
Stichworte
Inhalt der Datei
Arbeitshilfe
Pflegekinder mit erhöhtem Betreuungs-und Erziehungsbedarf in Pflegefamilien
1. Einleitung
Die Bedarfslage eines Pflegekindes ist von vielen Kriterien abhängig, die hier nur beispielhaft
aufgeführt werden können.
Die Erfahrungen des Pflegekindes können sein:
-hungern und dursten müssen
-bei großen Ängsten nicht beruhigt werden
-mangelnde Pflege, keine oder zu wenig Zuwendung
-allein gelassen und ggf. eingesperrt werden, Isolation
-Leben mit Eltern, die suchterkrankt sind, die unter Persönlichkeitsstörungen leiden, etc.
-Zeuge von Gewalt zwischen den Eltern
-Opfer gewalttätiger Übergriffe, Misshandlung, sexuellem Missbrauch durch betreuende
Personen oder Dritte.
Grundsätzlich sollen Pflegeeltern die Leistungen an Betreuung und Erziehung erstattet bekommen,
die orientiert am Bedarf des Pflegekindes erforderlich sind und die durch die Pflegepersonen
erbracht werden können.
In dieser Arbeitshilfe sind beispielhaft Beschreibungen zum Kind und daraus resultierenden
Anforderungen an Pflegeeltern herausgestellt und in drei Leistungsstufen unterteilt. Der einfache
Erziehungsbeitrag erfasst entwicklungsgerechte bis leicht verzögerte Entwicklungen des Kindes. Der
zweifache Erziehungsbeitrag erfasst deutlich verzögerte Entwicklungsverläufe und der dreifache
Erziehungsbeitrag schwerwiegende nachhaltig verzögerte Entwicklungsverläufe beim Pflegekind.
Ist bereits im Vorfeld der Vermittlung erkennbar, dass Integrationsleistungen des Kindes in die
Pflegefamilie auf Dauer nicht erbracht werden können, werden von Beginn an professionelle Hilfen
notwendig. Dann erfolgt durch den Pflegekinderdienst die Empfehlung zur Vermittlung in
Hilfeformen nach § 34 SGB VIII.
Erhöhte Anforderungen an Pflegepersonen resultieren aus ungünstigen Entwicklungsverläufen und
Krisen.
Der erhöhte Betreuungs-und Erziehungsbedarf wird bedarfsgerecht im Rahmen eines bis zu dreifach
erhöhten Erziehungsbeitrags zeitlich befristet oder auch langfristig erstattet.
2. Rechtsgrundlagen
§ 33 SGB VIII in Verbindung mit § 39 Abs. 4-6 SGB VIII
„Die laufenden Leistungen sollen auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten gewährt werden, sofern
sie einen angemessenen Umfang nicht übersteigen“… Sie sollen in einem monatlichen
Pauschalbetrag gewährt werden, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalls abweichende
Leistungen geboten sind. (§ 39 Abs.4 SGB VIII)
„Abweichende Leistungen sind anzunehmen, wenn aus gesundheitlichen Gründen ein Mehrbedarf
besteht und / oder die Anforderungen an Betreuung und Erziehung besonders hoch sind z.B. bei HIVinfizierten Pflegekindern oder Kindern mit besonderen Schädigungen z.B. durch sexuellen
Missbrauch etc..“ (Kommentierung Wiesner, 2006, Rz. 34)
3. Feststellung des erhöhten Betreuungs-u. Erziehungsbedarfs im Hilfeplanverfahren
a. im Vorfeld der Vermittlung
Vor der Vermittlung eines Kindes in eine Pflegefamilie wird vom Pflegekinderdienst ein Bedarfsprofil
erstellt.
Auf Grundlage des Bedarfsprofils wird eine Empfehlung zum zukünftigen Betreuungs-und
Erziehungsbedarf des Kindes in der Pflegefamilie in Abgrenzung zu Hilfen nach § 34 SGB VIII z.B.
Erziehungsstellen, familienanaloge Wohnform u.a. an den Bezirkssozialdienst ausgesprochen.
Wird beispielsweise im Rahmen der Vorbereitung der Vermittlung festgestellt, dass aufgrund
ausgeprägter Entwicklungsstörungen und Behinderungen gewünschte Integrationsleistungen des
Kindes in eine Pflegefamilie auf Dauer nicht erbracht werden können, erfolgt die Empfehlung zu
Sonderpflegestellen nach § 33.Satz 2 SGB VIII oder professionelle Hilfen nach § 34 SGB VIII.
Wird im Vorfeld der Vermittlung festgestellt, dass aufgrund verzögerter bis eingeschränkter
Entwicklungsverläufe und Prognosen zum Kind erforderliche Integrationsleistungen in der
Vollzeitpflege nur mit erhöhten Betreuungs-und Erziehungsleistungen erreichbar sind, wird der
geeigneten Pflegefamilie mit der Aufnahme des Kindes der zweifach erhöhte Erziehungsbeitrag
gewährt.
b. nach der Vermittlung in Vollzeitpflege
Der erhöhte Bedarf wird nach der Vermittlung im Verlauf der Vollzeitpflege festgestellt und durch die
Fall führende Stelle im Rahmen der Fortschreibung der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII
dokumentiert.
Entscheidungsgrundlage
Erstattungsbeitrags.
ist
eine
Empfehlung
des
Pflegekinderdienstes
zur
Höhe
des
Die Gewährung erfolgt nach Bedarfslage des Pflegekindes zeitlich befristet bis zur maximal
dreifachen Höhe des im Kalenderjahr jeweils gültigen Erziehungsbeitrags des Landes NRW.
4. Kriterien zur Leistungsgewährung in Pflegefamilien:
Die einzelnen Kriterien der Abstufung sind beispielhaft aufgeführt und der nachfolgenden Tabelle zu
entnehmen. Der Mehrbedarf wird aufgrund der Dauer, der Schwere und der Häufigkeit seines
Auftretens begründet.
4.1 Einfacher Erziehungsbeitrag
Beschreibung zum Kind:
Anforderung an die Pflegeeltern:
Körperliche Entwicklung
Konzept der elterlichen Feinfühligkeit
altersentsprechend bis leicht verzögert
Aufbau dialogischer
gesund, evtl. Förderbedarf z.B. Ergo-,
Beziehungsstrukturen
Logo-Therapie o.ä.
Verhalten
dem
Entwicklungsalter
entsprechend bis leicht verzögert
Integration des
Kindes
in die
Pflegefamilie erscheint möglich
Besuch der Regeleinrichtungen erscheint
möglich
korrigierende Elternerfahrung
Verstehen kindlichen Verhaltens vor
dem Hintergrund seiner Biographie
Beziehung und Integration
Entwicklungsentsprechende
Erziehungsleistung
altersentsprechende Förderung
biografische Arbeit mit dem Kind
Besuchskontakte
mit
der
Herkunftsfamilie
Zusammenarbeit mit JA gem. § 37 SGB
VIII
Zusammenarbeit mit externen Stellen
z.B. Kindergarten, Schule
4.2 Zweifacher Erziehungsbeitrag
Beschreibung zum Kind:
Ergänzende Anforderung an die Pflegeeltern:
körperliche
Entwicklung
erheblich
Erhöhte
Erziehungsleistung
zur
retardiert
Kompensation
der
vorhandenen
Störungen
deutlich eingeschränkte
Bindungsfähigkeit / Angstbindung
Folgen früher Traumatisierung werden
erkannt und bearbeitet
Angstabwehrmechanismen, z.B.
Verdrängung, Regression, Projektion
regelmäßiger begleiteter Kontakt mit der
Herkunftsfamilie
Syndrom aggressiver Selbstbehauptung,
z.B.
Negativismus,
Aggressivität,
intensive
Zusammenarbeit
mit
übersteigerte Selbsteinschätzung,
Fachberatung, Lern-und
Unempfindlichkeit, Zerstörungswut
Reflexionsbereitschaft
erhöhter Förderbedarf z.B. aufgrund
Kooperation
mit
zusätzlichen
FAS, ADHS
pädagogischen und therapeutischen
Hilfen
Förderbedarf in Regeleinrichtungen
Akzeptanz
verzögerter
bis
Integration des
Kindes
in die
eingeschränkter
Integrationsleistungen
Pflegefamilie ist erschwert
des Pflegekindes
4.3 Dreifacher Erziehungsbeitrag
Beschreibung zum Kind:
Erhöhte Anforderung an die Pflegeeltern:
Belastung durch
Semiprofessionalität im alltäglichen
lebensbeeinträchtigende oder
Zusammenleben
lebensverkürzende körperliche
Besondere Empathie in die Welt des
Entwicklung / Behinderung
behinderten und / oder schwer
traumatisierten Kindes
Erhebliche Beeinträchtigung der sozialen
und emotionalen Kompetenz
Das Bedürfnis des Kindes nach Kontrolle
ausgeprägte Bindungsstörung
zur Abwehr von Bedrohung und
Retraumatisierung wahrnehmen
Erhöhter Förderbedarf in integrativer
Einrichtung und Förderschule
Begleiteter Besuchskontakt mit „Täter-
hochgradig belastende traumatisierend
wirkende Lebenserfahrung
Entwicklungsstörungen, z.B. erheblich
verringerte Stressresilienz,
Dissoziationen, erhöhtes
Erregungsniveau, Kontrollverlust (z.B.
Einnässen, Einkoten)
Eltern“
Hohe Flexibilität i.d. Termingestaltung,
z.B. Planungsgespräche, Netzwerke,
Diagnose-u. Therapieeinrichtungen
Hohe Kooperations- und
Reflektionsbereitschaft, z.B. mit
Fachberatung und zusätzlichen Hilfen
Akzeptanz deutlich eingeschränkter bis
nicht möglicher Integrationsleistungen
des Pflegekindes
Anhang:
Fallbeispiele zu:
4.1 Einfacher Erziehungsbeitrag
Die Eltern/ Mutter eines Säuglings entschlossen sich nach einem halben Jahr intensiver
Beratungsarbeit aufgrund ihrer eigenen, schwierigen Lebensumstände ihr Kind in eine Vollzeitpflege
zu geben. Eine Adoption des Kindes schlossen sie aus.
Das Kind lebte nach der Geburt kurze Zeit bei den Eltern und wurde nach einer Krisenintervention im
Rahmen der Inobhutnahme in familiäre Bereitschaftsbetreuung gegeben. Der Säugling konnte in der
FBB bald beruhigt werden und seinen Rhythmus finden. Die weitere medizinische und diagnostische
Abklärung ergab, dass das Kind gesund und mit leichten Entwicklungsverzögerungen in einzelnen
Bereichen altersentsprechend entwickelt sei. Es bestand kein Förderbedarf, der über das normale
Maß hinausging. Die Integration des Kindes in die Pflegefamilie war angestrebt und wurde von allen
Beteiligten gewünscht.
4.2 Zweifacher Erziehungsbeitrag
Die Eltern/ Mutter eines Kleinkindes waren trotz verstärkten Einsatzes ambulanter Hilfen nicht in der
Lage, die Alltagsverantwortung für ihr Kind dauerhaft zu tragen. Der ASD nahm aufgrund einer
akuten Kindeswohlgefährdung das Kind in Obhut.
Die Vermittlung des Kindes in eine Vollzeitpflege wurde von den Eltern kritisch gesehen. Das
Familiengericht entzog auf Antrag des Jugendamtes das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die
medizinische Versorgung.
Die Entwicklungs-und Bindungsdiagnostik ergab eine deutliche Retardierung und Signale
desorganisierten Bindungsverhaltens, die eine erhöhte Erziehungsleistung von den Pflegeeltern
einforderte. Das Kind hatte wenig eigene Regulationsmöglichkeiten, eine Reizüberflutung sollte
vermieden werden.
Die erhöhte Erziehungsleistung bestand aus dem Verstehen kindlichen Verhaltens vor dem
Hintergrund seiner Biographie und dem Aufbau dialogischer Beziehungsstrukturen zur Kompensation
der vorhandenen Störungen. Die Beratungsleistung des Pflegekinderdienstes war intensiver, der
Einsatz von z.B. Ergotherapie, und Logopädie wurde von den Pflegeeltern begleitet. Die mögliche
Integration des Kindes in die Familie war ein langfristiger Prozess.
Dreifacher Erziehungsbeitrag
Der Pflegekinderdienst vermittelte nach Beauftragung durch den Bezirkssozialdienst einen Säugling,
das das deutlich jüngste Kind einer fünfköpfigen Geschwisterreihe war, in eine Pflegefamilie. Das
Kind wurde als gesund diagnostiziert, während seine Mutter und alle Geschwister an Epilepsie
erkrankt waren.
Die Familie war dem Jugendamt nach Umzügen mehrfach durch extrem vermüllte und verdreckte
Wohnungen aufgefallen. Alle Kinder zeigten deutliche Symptome von massiver Verwahrlosung. Die
Unterbringung aller Geschwister erfolgte nach einem Sorgerechtsentzug.
Zwei Jahre nach der Vermittlung in die Pflegefamilie erkrankte das inzwischen dreijährige Mädchen
an Epilepsie. Entwicklungsverzögerungen konnte das Kind nicht aufholen, z.B. die
Sprachverzögerung, das eingeschränkte Lernen von Handlungsabläufen, die begrenzte Steuerbarkeit.
Auf Anforderungen reagierte das Kind mit Schreiattacken.
Die Pflegeeltern mussten sich mit folgenden, erweiterten Lebens-und Unterstützungsthemen
auseinandersetzen:
Erkrankung durch Epilepsie
geistige Behinderung
Bindungsbegrenztheit/ keine Integration in die Familie.
Das behinderte Kind forderte einen erhöhten Betreuungsaufwand im Rahmen der medizinischen
Versorgung, der sonderpädagogischen Hilfestellung sowie der Individual-und Gruppenförderung. Die
Pflegeeltern benötigten darüber hinaus intensive Fachberatung und Entlastungshilfen.