Daten
Kommune
Erftstadt
Größe
160 kB
Datum
03.02.2016
Erstellt
21.01.16, 15:02
Aktualisiert
21.01.16, 15:02
Stichworte
Inhalt der Datei
Im Fluss der Zeit
2.)
Ich sitze am Ufer des Weihers und sinniere über die Zeit, während mir kalter
Herbstwind um die Ohren weht und die ersten Blätter bereits von den Bäumen fallen.
Einige von ihnen plumpsen aufs Wasser und werden von ihm fortgespült. Verträumt
blicke ich ihnen nach und mir fällt auf, dass sich die Zeit und das fließende Wasser in
gewisser Weise stark ähneln. Beide sind überall und nirgendwo, verharren an keinem
Ort. Man kann sie nicht einfangen. Wie das Leben sind auch sie nur Bewegungen
und letztlich ist alles im Fluss.
Ich glaube, vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie schnell das Leben doch
vergeht. So erscheint jungen Menschen das Altwerden häufig in weiter Ferne, doch
ich glaube, dass es ganz schnell geht, es wird uns durch die ständige Bewegung nur
nicht so stark bewusst. Und eines Morgens wachen wir auf und fühlen uns plötzlich
alt. Wohin werden mich die Wege der Zeit wohl noch spülen, bevor ich wirklich alt
sein werde? , frage ich mich, während ich mich von der Parkbank erhebe.
Ich mag den Stadtweiher. Es ist ein ruhiger Ort und ich glaube, genau deshalb
komme ich auch so oft hierher. Weil man für sich sein und in Ruhe nachdenken
kann. Außerdem mag ich die frische unverbrauchte Luft. Gelegentlich verschlägt es
mich auch in den Stadtpark, doch was mir hier gefällt, sind die vielen Enten. Ihr
Anblick ruft mir viele glückliche Kindheitserinnerungen ins Gedächtnis, zum Beispiel
das Verfüttern von Brot an sonnigen Tagen sowie die Geschichte vom hässlichen
Entlein, das zum Schwan wird. Die Tatsache, dass jeder etwas Großes werden kann.
Morgens, wenn ich mit dem Fahrrad zur Schule fahre, baue ich dieses Stück Weg
gerne in meine Route ein. Die hochgewachsenen Bäume sowie die Natur im
Allgemeinen vermitteln mir ein behütetes Gefühl. Nur die alte Minigolfanlage scheint
völlig verkommen. Ich frage mich, wie sie sich überhaupt hält, immerhin spielt dort
kaum noch jemand. Man müsste sie einmal ordentlich auf Vordermann bringen oder
den Platz irgendwie anders nutzen. Ein kleiner Pavillon wäre cool, mit Musikanlagen
für den Sommer. Aber irgendwie scheint sich niemand dafür verantwortlich zu fühlen.
Naja, ich bin jedenfalls froh, dass ich mit dem Fahrrad nur 15 Minuten bis zu meinem
Gymnasium brauche, obwohl es draußen mittlerweile einfach zu kalt geworden ist,
sodass ich auf den Bus angewiesen bin. Ich hasse Busfahren, vor allem in Erftstadt.
Vor den Türen gibt’s immer ein riesen Gedrängel und die kleinen Kinder aus der
Sekundarstufe 1 schubsen wie wild, um sich auch ja einen Sitzplatz zu sichern. Die
Busse sind eh total laut und überfüllt und die Verbindungen schlecht. Ich muss
lachen, als ich an letztes Wochenende denke, als ich mit Lisa und Gazel in Köln auf
Svens Geburtstagfeier war. Es war echt ein cooler Abend, nur viel zu kurz. Wir haben
uns extra beeilt, um den letzten Bus zum Markt um halb 11 zu erwischen, aber der
Zug hatte wie üblich Verspätung. Anschließend mussten wir fast eine Stunde auf
unser AST warten, aber die Dinger sind echt Gold wert und unsere Taxifahrerin war
echt nett. Nichtsdestotrotz komme ich mir häufig schon ein bisschen gefangen vor.
Die Verbindungen nach Bonn sind noch viel schlimmer:
Entweder man fährt erst mit Bus und Zug zum Kölner Hauptbahnhof und fährt von
dort mit dem Zug oder der S-Bahn nach Bonn oder man fährt von Brühl aus mit der
Straßenbahn, was jedoch auch nicht weniger Zeit in Anspruch nimmt. Eine S-
Bahnstation in Erftstadt würde mein Leben schon deutlich erleichtern. Aber immerhin
gibt es überhaupt ein paar große Städte in der Nähe. Der Wind ist kälter geworden
oder vielleicht fällt er mir jetzt, da ich nicht mehr so sehr in meine Gedanken vertieft
bin, auch einfach stärker auf. Ich beschließe, etwas Warmes zu trinken und mache
mich auf den Weg zur Bonner Straße. Als erstes strebe ich das Café Kraus neben
Post und Mehr an. In Erftstadt gibt es kein wirklich modernes Café, aber dieses hier
kommt dem wohl am nächsten. Zumindest mag ich die Sessel und die Hocker, doch
heute scheine ich kein Glück zu haben. Alle Plätze sind belegt. Also gut, sage ich mir
und gehe die Bonner Straße Richtung Marktplatz entlang, bis ich beim Café Lennartz
angekommen bin. Ausnahmsweise ist hier heute sogar ein Platz frei. Ich bestelle
einen Kakao und ein Schokobrötchen – die Auswahl hier ist echt langweilig – und
setze mich an den freien Tisch in der hinteren linken Ecke. Wie üblich ist das Café
auch heute zu 90% von über Sechzigjährigen besetzt. Ich würde mir endlich mal ein
cooles Café mit coolen Sachen wünschen. Mit Billardtischen, bunten Lampen und
gemütlichen Couches und einer kleinen Bühne, auf der abends Livemusik, Karaoke
Veranstaltungen oder dergleichen stattfinden. Und eine breitere Auswahl des
Getränke- und Speisesortiments. Es wäre schön, wenn es nicht immer überall nur die
typischen heiß geliebten alte Leute Sachen wie Riemchen Apfelkuchen oder
Schwarzwälder Kirschtorte sondern auch Frozen Yoghurt, Donuts, Muffins und
Cookies gäbe. Kommt es mir eigentlich nur so vor oder ist Erftstadt generell viel mehr
um das Wohlergehen der älteren Mitbürger als das der jüngeren bemüht? Man
braucht sich ja nur die zahlreichen Restaurants überall anzugucken. Viel zu viele!
Und dafür gibt es kaum Orte, an denen man als Schüler schnell etwas Preiswertes in
der Mittagspause essen kann. Natürlich gibt es das Essen der Mensa, das dem
Großteil der Schüler nicht schmeckt, und McDonald’s, aber eine einfache
Suppenküche oder etwas in der Art fehlt. Es ist schade, dass sich das
Speiseangebot immer mehr in Richtung Fast-Food entwickelt und gute alte Sachen
aussterben. Zum Beispiel der Eismann, der früher immer bimmelnd durch die Dörfer
gefahren ist oder vor der Schule gehalten hat. Ich weiß noch, wie sehr ich mich als
Kind immer auf ihn gefreut habe!
In kleinen Schlucken schlürfe ich meinen Kakao weiter und vernasche mein
Schokobrötchen, während ich in alten Kindheitserinnerungen schwelge.
Sobald ich ausgetrunken habe, stehe ich auf und mache mich auf den Weg zu
Liberty, um zu gucken, ob ich dort eine passende Winterjacke finde, was zwar sehr
unwahrscheinlich ist, aber dennoch im Bereich des Möglichen liegt. Als ich den
Laden betrete, steht mir eine nette Verkäuferin zur Seite, doch leider erinnern mich
die Jacken hier alle eher an die Generation meiner Mutter, wenn nicht sogar meiner
Großmutter, und zudem sind sie viel zu teuer. Es sind keine 5 Minuten vergangen
und ich verlasse den Laden wieder. Im Ernst, warum werden dauernd neue Fabriken
gebaut und wieso gibt es einen Grabsteinhandel, aber keine vernünftigen
Einkaufsläden mit feschen Jugendklamotten? 1000 Werkstätten, Autohäuser, Ärzte,
aber wie sieht’s mit einem Kino aus? Naja, dann werde ich am Wochenende wohl
doch wieder nach Köln fahren und dort nach einer Winterjacke gucken müssen.
Auf dem nach Hause Weg bemerke ich, dass viele Straßen leer sind und mir fällt auf,
dass die meisten bestehenden Einrichtungen nur auf Gewinn aus sind:
Nachhilfeschulen, Sprachschulen, Anwälte, Finanzberater, aber es gibt kaum
gemütliche Orte, an denen man in größerer Runde einfach ungezwungen
beieinander sein kann. Orte, die die Menschlichkeit fördern. Ein wirkliches
Gemeinschaftsgefühl kommt bei mir eigentlich immer nur dann auf, wenn unsere
kleine Stadt gemeinsam etwas auf die Beine stellt. Den Weihnachtsmarkt oder
Karnevalszug zum Beispiel.
Letzten Endes finde ich es nicht schlimm, in Erftstadt aufzuwachsen. Es hat auch
seine guten Seiten. Das Leben ist Bewegung und wer nicht alt aussehen will, muss
sich gelegentlich die Zeit zum Reflektieren nehmen und seine Ressourcen erweitern.
Doch im Fluss der Zeit ist vieles möglich. Wer weiß, wohin er mich bringen wird und
was er aus Erftstadt, dieser sicheren kleinen Stadt, machen wird, die das Potential zu
noch viel mehr hat.