Daten
Kommune
Erftstadt
Größe
6,2 MB
Datum
19.11.2013
Erstellt
07.11.13, 15:18
Aktualisiert
07.11.13, 15:18
Stichworte
Inhalt der Datei
Geographisches Institut der RWTH-Aachen
25.09.2013
Gutachterin: Univ.-Prof. Dr.phil. Carmella Pfaffenbach
Sommersemester 2013
Masterarbeit
Gebäudeleerstände im ländlichen Raum am Beispiel der Stadt
Erftstadt – Perspektiven für die Einrichtung eines
Leerstandsmanagements
Vacancy rates of residential and non-residential buildings in rural
areas using the example of the city Erftstadt – Perspectives for the
establishment of a vacant property management
Thomas Knur
Bearbeitung durch:
Beauftragt von:
Thomas Knur
Stadtverwaltung Erftstadt
Thomas.Knur@rwth-aachen.de
Umwelt- und Planungsamt
Matrikel-Nr.: 288243
Holzdamm 10
4. Semester
50374 Erftstadt
Studienfach: M. Sc. Wirtschaftsgeographie
Tel.: 02235/409 325
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis .........................................................................................................................3
Tabellenverzeichnis ..............................................................................................................................5
1 Einleitung ...........................................................................................................................................6
2 Einführung in die Entwicklungsbedingungen Ländlicher Räume in Deutschland von der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute ......................................................................8
3 Anlass und Zielsetzung der Masterarbeit .....................................................................................15
4 Eingrenzung des Untersuchungsrahmens .....................................................................................18
4.1 Begriffsbestimmung Gebäudeleerstand und Typisierung wesentlicher Leerstandsarten ..........18
4.2 Makroperspektivische Einordnung Erftstadts als Ländlicher Raum ...........................................20
4.3 Mikroperspektivische Abgrenzung des Ländlichen Raums in Erftstadt .....................................24
5 Vorstellung des Methodendesigns der Untersuchung ..................................................................27
6 Die aktuelle quantitative und qualitative Dimension des Gebäudeleerstands im
Ländlichen Raum Erftstadts .................................................................................................30
6.1 Vorgehen zur Erfassung der quantitativen Dimension des Gebäudeleerstands im
Ländlichen Raum Erftstadts .........................................................................................................30
6.2 Vorgehen zur Ermittlung der qualitativen Dimension des Gebäudeleerstands in den
Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts .........................................................................34
6.3 Untersuchungsergebnisse: Die aktuelle quantitative und qualitative Dimension des
Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts .............................36
7 Prognose der zukünftigen quantitativen Dimension des Wohngebäudeleerstands in den
Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts ................................................................51
7.1 Vorgehen zur Prognose der künftigen quantitativen Dimension des
Wohngebäudeleerstands im Ländlichen Raum Erftstadts ..........................................................52
7.2 Untersuchungsergebnisse: Prognose der zukünftigen quantitativen Dimension des
Wohngebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts ....................56
8 Wesentliche Ursachen für das aktuelle Ausmaß des Gebäudeleerstands in den
Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts ................................................................67
8.1 Vorgehen zur Identifikation der wesentlichen Ursachen für das aktuelle Ausmaß des
Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts .............................67
8.2 Untersuchungsergebnisse: Wesentliche Ursachen für das aktuelle Ausmaß des
Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts .............................70
1
8.2.1 Untersuchungsergebnisse: Eigentümerseitige Ursachen für die Gebäudeleerstände in
den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts ....................................................... 72
8.2.2 Untersuchungsergebnisse: Demographische Entwicklung als Ursache für die
Gebäudeleerstände in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts .................. 77
8.2.3 Untersuchungsergebnisse: Baulandentwicklung der Stadt Erftstadt als Ursache für
die Gebäudeleerstände in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts............ 82
9 Wesentliche Auswirkungen des Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen
Raum Erftstadts .....................................................................................................................88
9.1 Vorgehen zur Ermittlung der Auswirkungen des Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen
im Ländlichen Raum Erftstadts ....................................................................................................88
9.2 Untersuchungsergebnisse: Wesentliche Auswirkungen des Gebäudeleerstands in den
Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts .........................................................................92
9.2.1 Untersuchungsergebnisse: Auswirkungen des Gebäudeleerstands auf den
Immobilienmarkt in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts .................... 93
9.2.2 Kommunale Auswirkungen des Gebäudeleerstands auf die Stadt Erftstadt ................... 97
10 Handlungsempfehlungen für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen im
Ländlichen Raum Erftstadts ...............................................................................................100
10.1 Formelle Instrumente für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen ...........................101
10.1.1 Baurechtliche Potentiale zur Prävention einer Leerstandsdiffusion ............................ 102
10.1.2 Baurechtliche Potentiale für den Fall einer fortgeschrittenen Leerstandsdiffusion.... 104
10.2 Informelle Instrumente für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen .........................108
10.3 Handlungsstrategie: Qualifizierung Innen statt Quantifizierung Außen .................................115
11 Fazit ..............................................................................................................................................120
Literaturverzeichnis .........................................................................................................................124
Anhang ..............................................................................................................................................139
Versicherung .....................................................................................................................................150
2
Abbildungsverzeichnis
Abb.1: Veränderung der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland zwischen
1960 und 2010..........................................................................................................................11
Abb.2: Veränderung der Anzahl der Arbeitskräfte je 100 ha landwirtschaftlich genutzter
Fläche zwischen 1960 und 2010 ..............................................................................................12
Abb.3: Modell der Funktionalen Entleerung der Dorfkerne ................................................................14
Abb.4: Abriss eines leer stehenden Gebäudes in Bliesheim ................................................................16
Abb.5: Leerstandstypen gemäß der Dauer des Leerstands...................................................................20
Abb.6: Raumtypen in Deutschland 2010 .............................................................................................22
Abb.7: Erftstadt als Ländlicher Raum ..................................................................................................24
Abb.8: Abgrenzung des Untersuchungsraumes in Erftstadt ................................................................27
Abb.9: Ablaufschema der Untersuchung .............................................................................................28
Abb.10: Verteilung der Leerstände über die Gebäudetypen in den Fokusortsteilen ............................41
Abb.11: Baualtersklassen der leer stehenden Gebäude in den Fokusortsteilen differenziert
nach Gebäudetyp ...................................................................................................................42
Abb.12: Baulich-technischer Zustand der Gebäudeleerstände in den Fokusorten differenziert
nach Gebäudetyp ...................................................................................................................43
Abb.13: Dauer des Leerstands der Gebäude in den Fokusorten differenziert nach Gebäudetyp .........43
Abb.14: Leerstandstypen gemäß Dauer und baulich-technischem Zustand der
Gebäudeleerstände in den Fokusortsteilen differenziert nach Gebäudetyp ...........................44
Abb.15: Leerstandssituation in Bliesheim zum Untersuchungszeitpunkt Mitte 2013 .........................48
Abb.16: Leerstandssituation in Friesheim zum Untersuchungszeitpunkt Mitte 2013 .........................49
Abb.17: Leerstandssituation in Erp zum Untersuchungszeitpunkt Mitte 2013....................................50
Abb.18: Leerstandssituation in Erp zum Prognosezeitpunkt 2023 ......................................................58
Abb.19: Leerstandssituation in Herrig zum Prognosezeitpunkt 2023 ..................................................59
Abb.20: Leerstandssituation in Borr zum Prognosezeitpunkt 2023 .....................................................60
Abb.21: Leerstandssituation in Bliesheim zum Prognosezeitpunkt 2023 ............................................61
Abb.22: Leerstandssituation in Friesheim zum Prognosezeitpunkt 2023 ............................................62
Abb.23: Ursachenbündel für Gebäudeleerstände in Ländlichen Räumen............................................70
Abb.24: Gründe für den Gebäudeleerstand in den ländlich geprägten Fokusortsteilen .......................74
Abb.25: Beweggründe für den Erwerb einer gebrauchten Immobilie in den Fokusortsteilen .............75
Abb.26: Dauer des Besitzes des leer stehenden Gebäudes ..................................................................76
Abb.27: Absichten der leerstandsbeseitigungswilligen Eigentümer im Umgang mit ihrer leer
stehenden Immobilie .............................................................................................................77
3
Abb.28: Entwicklung der Einwohnerzahlen im Stadtgebiet Erftstadt 1998-2008 unter
Berücksichtigung von Wanderungen und natürlicher Bevölkerungsentwicklung ................79
Abb.29: Bevölkerungsprognose Erftstadts bis 2020 ............................................................................80
Abb.30: Bevölkerungsentwicklung je Fokusortsteil 1969-2013 ..........................................................81
Abb.31: Entwicklung der Geburtenfälle je Fokusortsteil 2003-2011 ..................................................82
Abb.32: Entwicklung der Wohnbauflächen Gesamterftstadt 1969-2012 ............................................84
Abb.33: Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Erftstadt 2000-2011 im Vergleich
zu Nordrhein-Westfalen und dem Gemeindetyp große Mittelstadt.......................................85
Abb.34: Entwicklung der Flächeninanspruchnahme zu Wohn- und Mischnutzungszwecken
im Ländlichen Raum Erftstadts 1969-2012 ...........................................................................86
Abb.35: Angebot und Nachfrage für freistehende Einfamilienhäuser im Neubau ..............................88
Abb.36: Codebaum zur Auswertung der leitfadengestützten Experteninterviews ...............................92
Abb.37: Ruderalisierung eines strukturellen Leerstands in Friesheim Mitte 2013 ..............................93
Abb.38: Baufälligkeit eines strukturellen Leerstands in Erp Mitte 2013 .............................................94
Abb.39: Leerstandskumulation in Friesheim Mitte 2013. Quelle: Eigene Aufnahme. ........................95
Abb.40: Einzelner ortsbildprägender struktureller Leerstand in Friesheim Mitte 2013 ......................95
Abb.41: Ausbildung einer perforierten Siedlungsstruktur aufgrund einer Leerstandsdiffusion ..........98
Abb.42: Luftbild einer perforierten Mustersiedlung ..........................................................................100
Abb.43: Umnutzung einer Scheune für Betriebs- und Büroräume einer Haustechnikfirma –
Schaffung von Arbeitsplätzen im Dorf................................................................................112
Abb.44: Umnutzung eines Kelterhauses inklusive Scheune in Wendelsheim in Rheinhessen
in mehrere Wohneinheiten, Nebenräume und Büroräume ..................................................113
Abb.45: Umnutzung eines Stalls in Schöppingen-Eggenrode in ein Seniorenwohnheim .................114
4
Tabellenverzeichnis
Tab.1: Bevölkerungsdichte je Ortsteil als Maß für Ländlichkeit .........................................................25
Tab.2: Typische Ausstattungen der Grundstufen Zentraler Orte .........................................................26
Tab.3: Ermittlung der Fokusortsteile....................................................................................................37
Tab.4: Fehlerquoten bei der Identifizierung der tatsächlichen Gebäudeleerstände in den
Fokusortsteilen und den Gebäuden mit einem erhärteten Leerstandsverdacht in den
übrigen ländlich geprägten Ortsteilen ......................................................................................38
Tab.5: Tatsächliche Anzahl der Gebäudeleerstände und Leerstandsquoten in den
Fokusortsteilen .........................................................................................................................40
Tab.6: Ortsteilspezifische Zusammenschau wesentlicher Untersuchungsergebnisse. .........................46
Tab.7: Manuelle Anpassung der Melderegisterdaten ...........................................................................54
Tab.8: Zusammenschau der Leerstandsverdachtsfälle bis 2023 ..........................................................56
Tab.9: Zusammenschau der prognostizierten strukturellen Leerstände bis 2023 inklusive der
bereits Mitte 2013 existierenden strukturellen Leerstände unter Berücksichtigung
eines Minimal- und Maximalszenarios ....................................................................................66
5
1 Einleitung
In der folgenden Masterarbeit werden Gebäudeleerstände im Ländlichen Raum am Beispiel der
Stadt Erftstadt im Hinblick auf die Perspektiven für die Einrichtung eines Leerstandsmanagements untersucht. Nach einer Auseinandersetzung mit den wesentlichen Charakteristika
und den aktuellen Entwicklungsproblemen Ländlicher Räume werden Anlass und Zielsetzung
der Arbeit veranschaulicht sowie eine Eingrenzung des Untersuchungsrahmens vorgenommen.
Im Zuge dessen werden einerseits ein Verständnis für den Begriff Gebäudeleerstand erarbeitet
und die im Fokus der Untersuchung stehenden Leerstandsarten abgegrenzt sowie andererseits
Erftstadt als Ländlicher Raum und der Ländliche Raum in Erftstadt umrissen. In einem weiteren
Schritt werden jeweils zunächst die Untersuchungsmethoden vorgestellt, mit denen die aktuelle
und künftige quantitative Dimension des Leerstands, die qualitative Dimension des Leerstands
sowie die wesentlichen Ursachen und Auswirkungen des Leerstands ermittelt und darauf folgend
die jeweiligen Ergebnisse vorgestellt werden. Im Fokus der Arbeit steht die Präsentation und
Reflektion der aktuellen und künftigen quantitativen und qualitativen Dimension des Leerstands
sowie ihrer Ursachen und Auswirkungen, bevor im Anschluss daran Handlungsempfehlungen
für einen strategischen und aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen abgeleitet werden.
Gebäude- und Wohnungsleerstände stellen in der Bundesrepublik Deutschland kein grundsätzlich neues Phänomen dar. So hat sich bspw. insbesondere im Zuge der Abwanderung junger Bevölkerungsanteile und des wirtschaftlichen Strukturwandels infolge der Wiedervereinigung in
den neuen Bundesländern innerhalb der zweiten Hälfte der 1990er Jahre neben einer Vielzahl an
leer stehenden innerstädtischen Ladenlokalen ein erhebliches Maß an Wohnungsleerständen eingestellt. Gegen Ende der 1990er Jahre belief sich die Anzahl der leer stehenden Wohnungen in
den Städten der neuen Bundesländer auf etwa eine Millionen, was „ca. 13% des dortigen Bestandes“ entsprach (Von Ramin 2006:38). In der Konsequenz wuchs das öffentliche, wissenschaftliche und politische Interesse an der Leerstandsthematik, was mit der Einführung des
Bund-Länder-Programms Stadtumbau Ost eine politische Intervention im Bereich des Geschosswohnungsbaus nach sich zog (Spellerberg/ Spehl 2011:1, Bundesregierung 2012:3-4).
Allerdings beschränken sich ansteigende Leerstandsquoten weder ausschließlich auf die neuen
Bundesländer noch auf urbane Räume (Streich et al. 2009:1). Vielmehr ist eine weitere Gebietskulisse in besonderem Maße von Gebäude- und Wohnungsleerständen betroffen, deren raumwissenschaftliche Betrachtung in der Vergangenheit aufgrund des prioritären wissenschaftlichen
Interesses an städtischen Räumen vernachlässigt wurde (Hoppe 2010:2). Der Ländliche Raum,
insbesondere der periphere Ländliche Raum, ist im Zuge des ökonomischen Strukturwandels
6
sowie des demographischen Wandels sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern
zunehmend von Schrumpfungs- und Entleerungstendenzen sowie den daraus resultierenden Gebäudeleerständen betroffen (Spellerberg/ Spehl 2011:1, Voß et al. 2011:165).
Obwohl sich im peripheren Ländlichen Raum West- wie Ostdeutschlands vorbehaltlich regionaler Unterschiede ähnliche Entwicklungstendenzen abzeichnen (Von Ramin 2006:40), sind entsprechende Untersuchungen bislang vor allem in Ländlichen Räumen der neuen Bundesländer
durchgeführt worden (Standl 2007:89). Während in den 1950er Jahren die Mehrzahl der Dörfer
von einer Flächenknappheit geprägt waren, stellten sich im Zuge vielfältiger Siedlungserweiterungen durch Neubausiedlungen an den Dorfrändern sowie durch Aussiedlungen und Landflucht
bereits in den 1960er und 1970er Jahren Leerstände innerhalb der Dorfkerne ein (Henkel
2010:57). Wie auf dem im Mai 2006 vom Interdisziplinären Arbeitskreis Dorfentwicklung zum
Thema „Leerstand von Gebäuden in Dörfern – Beginn der Dorfauflösung oder Chancen durch
Umnutzung?“ abgehaltenen 15. Essener Dorfsymposium herausgestellt wurde, hat sich mittlerweile „in den meisten Dörfern eine zweite Welle des Gebäudeleerstandes“ eingestellt (Henkel
2006:2). Betroffen sind nicht mehr nur die historischen Dorfkerne, sondern ebenfalls die Siedlungserweiterungen der 1950er bis 1970er Jahre (Kötter 2008:56, Spellerberg/ Spehl 2011:1).
So erwartet auch eine sich mit der Leerstandsthematik beschäftigende im Rahmen der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland gebildete Arbeitsgruppe der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, dass die Leerstände von Wohngebäuden in
Ländlichen Räumen in näherer Zukunft sowohl in West- als auch in Ostdeutschland zunehmen
werden. Verschärft wird die Brisanz der Thematik dadurch, dass nicht mehr nur periphere ländliche Regionen, sondern nun auch einzelne Ortsteile in stagnierenden oder gar boomenden Gemeinden im Einzugsgebiet großer Städte von zunehmenden Gebäudeleerständen betroffen sind
(Kötter 2008:56, Spellerberg/ Spehl 2011:1).
Wie sich die Leerstandssituation von Wohn- als auch von gewerblichen Gebäuden im Ländlichen Raum Erftstadts, einem etwas mehr als 30 Pkw-Minuten von Köln und Bonn entfernten
Mittelzentrum im Rhein-Erft-Kreis in Nordrhein-Westfalen, darstellt, was die wesentlichen Ursachen und Auswirkungen der Gebäudeleerstände sind, wie sich die quantitative Dimension des
Gebäudeleerstands in näherer Zukunft entwickeln könnte und inwieweit auf kommunaler Ebene
Handlungsmaßnahmen für einen strategischen und aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen
getroffen werden können, wird im Rahmen dieser Masterarbeit herausgestellt.
7
2 Einführung in die Entwicklungsbedingungen Ländlicher Räume in Deutschland von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute
Bevor ein Überblick über die Entwicklung Ländlicher Räume in Deutschland folgt, erscheint es
zunächst erforderlich, die wesentlichen Merkmale und Charakteristika Ländlicher Räume als
Untersuchungsraum aufzuzeigen. So zeichnen sich Ländliche Räume laut Lienau (1995:10-12),
dessen identifizierte Merkmalsausprägungen hier aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades
exemplarisch aufgezeigt werden, durch folgende Charakteristika aus:
das Vorhandensein „land- und forstwirtschaftlich genutzte[r] Produktionsflächen“,
eine relativ geringe Siedlungsgröße und Bebauungsdichte,
eine „geringe Einwohnerdichte“ sowie eine „geringe Arbeitsplatzdichte“,
eine „geringe Industriedichte“, eine „geringe(re) Größe der Industriebetriebe“ sowie das
Vorhandensein bestimmter Industriearten,
ein „schmales Spektrum [an] Berufsgruppen“, geringere Einkommen sowie ein „höherer
Anteil im primären Sektor arbeitender Menschen“,
eine funktionale Abhängigkeit von der „Versorgung mit höherwertigen Gütern“ durch
die Stadt
sowie eine andersartige Entwicklungsdynamik als urbane Räume
Bei dem Versuch einer konkreten Begriffsbestimmung des Ländlichen Raumes fällt die enorme
Vielzahl der seit 1950 veröffentlichten definitorischen Ansätze auf. Als wesentliche Ursache
hierfür lässt sich neben der Inhomogenität der Raumkategorie des Ländlichen Raumes insbesondere der zeitliche Wandel seiner Merkmale, der gleichbedeutend für den Übergangprozess von
der Agrar- zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft steht, betrachten (Henkel 2004:30-31).
Obwohl die Ländlichen Räume in Deutschland insbesondere seit der zweiten Hälfte des letzten
Jahrhunderts tiefgreifende Strukturveränderungen vollzogen haben, sind sie nach wie vor „naturnahe“, zumindest ursprünglich „von der Land- und Forstwirtschaft geprägte Siedlungs- und
Landschafts[räume] mit geringer Bevölkerungs- und Bebauungsdichte“, „niedriger […] Zentralität der Orte, aber höherer Dichte der zwischenmenschlichen Bindungen“, deren äußere Abgrenzung gegenüber städtischen Räumen sich als problematisch darstellt (Henkel 2004:33). Da die
ökonomische Basis Ländlicher Räume heutzutage nicht mehr entscheidend vom primären Sektor
abhängig ist, kann nicht mehr generalisierend von einer niedrigen Wirtschaftskraft gesprochen
werden. Vielmehr hat sich ein differenziertes Bild entwickelt, in dem sich neben strukturschwachen Ländlichen Räumen auf der Basis der gewerblichen Produktion durch den Mittelstand
8
Ländliche Räume mit einer beachtlichen wirtschaftlichen Prosperität herausgebildet haben
(Milbert 2004:26, Henkel 2004:33, Maretzke 2008:4). Dementsprechend können auch die ehemals mit einem identischen Bedeutungsinhalt aufgeladenen Begriffe „landwirtschaftlich“ und
„ländlich“ heutzutage nicht mehr gleichgesetzt werden (Weber 2009:171). Laut Kluge (2005:57)
haben sich „Dorf und Landwirtschaft […] längst [zu] zwei unterschiedliche[n] Größen“ entwickelt. Ebenso erscheint eine Pauschalisierung Ländlicher Räume als nachgeordnete „Restkategorie“ jenseits städtischer Räume als unsachgemäß (Wießner 1999:300), da sie für die heutige
Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft eine hohe Bedeutung aufweisen (Henkel 2004:38-40)
und der Nährboden für neue wirtschaftliche Innovationsfelder sein können (Hoppe 2010:9).
Zusammenfassend lässt sich also anmerken, dass Ländliche Räume „nicht leicht zu fassen“ sind
(Henkel 2004:17). Als einzig konstante Charakteristika lassen sich die sie permanent prägenden
Wandlungsprozesse sowie ihre Vielschichtigkeit und Individualität hervorheben, die eine generalisierende Darstellung enorm erschweren (Henkel 2004:17). Um den Wandel der Ländlichen
Räume und damit auch ihrer Merkmale im Laufe der Zeit zu verdeutlichen, wird nun ein Überblick über die Entwicklung der Ländlichen Räume in Deutschland gegeben. Da sich ihre Veränderungen innerhalb der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts deutlich dynamischer vollzogen
haben als in den vorangegangenen Epochen und sie maßgeblichen Einfluss auf ihre heutigen
Entwicklungsbedingungen haben (Hümmer 2002:3), wird sich im Rahmen des Überblicks vornehmlich auf die Entwicklung seit Ende des Zweiten Weltkriegs beschränkt.
Die gesamte Entwicklung Ländlicher Räume ist seit der Industrialisierung maßgeblich durch den
Übergang von der Agrar- zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft geprägt (Wießner
1999:300). Seit jeher wird die Entwicklung Ländlicher Räume von Begriffen wie „Strukturwandel, Funktionsverluste [oder] Schrumpfung“ begleitet (Kötter 2008:56). Nichtsdestotrotz wiesen
Ländliche Räume insbesondere aufgrund ihrer agrarischen Produktionsfunktion „bis weit in das
20. Jh. […] eine gesamtgesellschaftlich“ hohe Bedeutung auf (Hoppe 2010:1). Mit den von der
Landwirtschaft hergestellten Erzeugnissen wurde nicht nur die ländliche Bevölkerung, sondern
seit der Industrialisierung auch die städtische Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt, weshalb den Ländlichen Räumen eine Versorgungsfunktion über die Grenzen der eigenen Raumkategorie zuzuschreiben ist (Kopsidis 2001:271). Bis in die 1960er Jahre lässt sich ebenfalls für das
traditionelle Dorfhandwerk ein positiver Entwicklungsverlauf aufzeigen. So wurden im Bereich
des Dorfhandwerks als Dienstleister für die „wirtschaftstragende Landwirtschaft“ sowie für das
Baugewerbe vermehrt Arbeitsplätze geschaffen (Henkel 2010:56), wodurch die Bedürfnisse der
ortsansässigen Bevölkerung innerhalb des Ortes befriedigt werden konnten (Hümmer 2002:3).
9
Allerdings prägte sich infolge des Zweiten Weltkriegs und im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs ein Strukturwandel der deutschen Landwirtschaft aus. Obwohl die westdeutschen
Kleinbetriebe und die ostdeutschen überschussproduzierenden Großbetriebe nach Kriegsende
grundsätzlich unterschiedliche Entwicklungsvoraussetzungen aufwiesen, gelang es die Entwicklungschancen für wachsende Betriebseinheiten in der westdeutschen Landwirtschaft durch Flurbereinigungen und Subventionierungen zu steigern. Hintergrund hierfür waren einerseits
wirtschaftliche Wachstumszielsetzungen sowie andererseits Bestrebungen hinsichtlich einer Lebensmittelvollversorgung, die im Zuge der 1950er Jahre auf der Basis erheblicher Subventionszuschüsse realisiert werden konnte (Kluge 2005:98-102). Weiter angefacht von der Gründung
der westeuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 und dem seither unveränderten „Leitbild
des kontinuierlichen Produktionszuwachses auf hoch technisierter Basis“ (Kluge 2005:56; 103)
war die hochgradig marktwirtschaftlich ausgerichtete deutsche Landwirtschaft zunehmend auf
eine steigende Arbeitsproduktivität ausgerichtet (Kopsidis 2001:270).
In der Folge wurde der Produktionsfaktor „Arbeit“ gegenüber den Faktoren „Boden“ und „Kapital“ zu teuer, was eine Substitution von Arbeitskraft durch kapitalintensive, mechanische Produktionsweisen nach sich zog (Aid 2012:Landwirtschaft gestern und heute). Die kapitalintensive
Mechanisierung machte aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten einen Anstieg der Fläche je Betrieb erforderlich, der von vielen Kleinbetrieben nicht getragen werden konnte. So veranschaulicht folgendes Zitat eindrucksvoll, welchen enormen Steigerungen der Flächen- und
Arbeitsproduktivität sich landwirtschaftliche Kleinbetriebe entgegengesetzt sahen: Während „ein
Landwirt […] mit seiner Produktion 1950 zehn Personen ernährte, [waren es] 1985 […] 65 und
[zu Beginn des 21. Jh.] sind es 119“ (Kluge 2005:57). Da vor allem landwirtschaftliche Kleinsowie Nebenerwerbsbetriebe nicht die dafür erforderlichen Flächen- und Arbeitsproduktivitätssteigerungen umsetzen konnten, kam es infolge des gestiegenen Wettbewerbsdrucks einerseits zu
dem in Abbildung 1 dargestellten Sterben landwirtschaftlicher Betriebe sowie andererseits zu
einer zunehmenden Spezialisierung der Betriebe (Exner 2001:247). Für die Dörfer bedeutete dies
vielfach ein Verlust des traditionellen landwirtschaftlichen Ursprungs. Aufgrund der Spezialisierung der Landwirtschaft waren für die Betriebsgebäude Erweiterungen erforderlich. Da die Enge
der Dorfkerne oftmals kein Erweiterungspotential bot, erhöhte sich die Anzahl der Aussiedlerhöfe (MLR 2012:20). Durch den Verlust der aktiven landwirtschaftlichen Betriebe sowie die betriebsbedingte
Aufgabe
kleinerer
landwirtschaftlicher
Betriebe
standen
vermehrt
landwirtschaftliche Immobilien in den Dorfkernen leer oder wurden unternutzt (Kluge 2005:58).
10
Abb.1: Veränderung der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland zwischen 1960 und 2010. Quelle: Aid
2012: Landwirtschaft gestern und heute.
Als weiterer Effekt dieses Strukturwandels stellte sich eine Verdrängung von „immer mehr Menschen aus dem ländlichen Arbeitsmarkt“ ein (Kluge 2005:100). Dies betraf zunächst vor allem
die direkt in der Landwirtschaft Beschäftigten. Mit der Zeit beschränkte sich der Verlust von
Arbeitsplätzen in Ländlichen Räumen allerdings nicht mehr nur auf den primären Sektor, sondern erfasste auch „Schmiede, Stallmacher, Böttcher, Sattler [und] Müller“ (Kluge 2005:57-58),
eben das traditionelle Dorfhandwerk, welches als Dienstleister für die Landwirtschaft ebenfalls
seine wirtschaftliche Basis verlor (Henkel 2010:56, Hoppe 2010:1). Insgesamt prägte sich mit
dem agrarwirtschaftlichen Strukturwandel also ein tiefgreifender „Verlust an traditioneller Wertschöpfung und Arbeitsplätzen“ aus (Henkel 2010:56). Das Ausmaß der Freisetzung von vormals
in der Landwirtschaft beschäftigten Personen wird in Abbildung 2 verdeutlicht, der entnommen
werden kann, dass der Prozess zwischen 1960 und 1980 seinen Zenit vollzogen hat.
11
Abb.2: Veränderung der Anzahl der Arbeitskräfte je 100 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche zwischen 1960 und
2010. Quelle: Aid 2012: Landwirtschaft gestern und heute.
Gekoppelt an einen Bedeutungsgewinn des sekundären und seit den 1970er Jahren des tertiären
Sektors setzte sich die „Marginalisierung der Landwirtschaft“ fort (Hoppe 2010:1). So vollzog
sich seit den 1960er Jahren ebenfalls im Einzelhandel ein äußerst raumrelevanter Strukturwandel, der sich durch eine Verkaufsflächenexpansion und ein Ladensterben, einen Konzentrationsprozess sowie einen Betriebsformenwandel kennzeichnete (Heinritz 2007:704). Dieser hatte zur
Folge, dass neben dem traditionellen Dorfhandwerk vielfach auch die traditionellen Bediengeschäfte, die sogenannten dörflichen „Tante-Emma-Läden“ vom Markt verdrängt wurden (Henkel
2004:327, Kluge 2005:58). Zusätzlich führten ein gewandeltes Freizeit- und Konsumverhalten
vielerorts in den Ländlichen Siedlungen zur Aufgabe der traditionellen Gasthöfe und Dorfschänken (Hümmer 2002:3, Henkel 2004:329-330). Die an der dörflichen Basis angesetzte funktionale
Entleerung der Dörfer wurde durch „die Schulreform gegen Ende der [19]60er Jahre“ und die
Gemeindegebietsreform (Hümmer 2002:3), die sich in einer „staatlich verordneten Aufgabe von
Standorten“ darstellte, weiter verstärkt (Wießner 1999:301). Darüber hinaus lässt sich in den
12
letzten 20 Jahren ein durch den Abbau des staatlichen Versorgungsmonopols im Zuge der Auflösung der Deutschen Bundespost zu begründender Rückzug der Deutschen Post aus der Fläche
beobachten. Aufgrund der Versorgungsfunktion mit Versandhandelsgütern trifft dieser vor allem
periphere Ländliche Regionen mit besonderer Härte (Henkel 2004:332-333).
Insgesamt hat sich also das Angebot sowohl der öffentlichen als auch der privaten Infrastruktur
ausgenommen das Angebot der Banken und der Sportmöglichkeiten etwa seit den 1960er Jahren
verschlechtert (Henkel 2004:343). Wenn sich kein oder nur wenig alternatives Gewerbe ausgebildet hat, haben manche Dörfer im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels mit den Arbeitsplätzen ihre wirtschaftliche Basis verloren. Da die hier beschriebenen Infrastrukturangebote
neben ihrer prioritären Funktion ebenfalls „Treffpunkte für die Dorfbevölkerung“ waren, stellte
sich mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel ebenfalls ein „Nachlassen der inner- und zwischenörtlichen Kommunikation“ ein (Hümmer 2002:3). Als Folgen der endogenen „schlechten
wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen“ in den westdeutschen Dörfern (Kluge 2005: 74)
sowie dem gestiegenen Motorisierungsgrad fand eine Vielzahl der Erwerbstätigen außerhalb der
Dörfer Arbeit, wodurch sie für viele Bewohner zu reinen Pendlerdörfern wurden (Heineberg
2007:256, Henkel 2012:117). Darüber hinaus stellte sich auf der Basis des exogen gestiegenen
Angebots an industriellen Arbeitsplätzen sowie dem weit vorangeschrittenen Wiederaufbau städtischer Wohnquartiere (Kluge 2005:102) in den 1950er bis frühen 1970er Jahren eine überproportional von jüngeren Bevölkerungsgruppen getragene Landflucht ein (Henkel 2012:130).
Der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass sich die Entwicklungen in den neuen Bundesländern anders vollzogen als in den alten. Zwar haben sich auch hier die beschriebenen Infrastrukturdefizite ausgeprägt, allerdings prägte sich der Strukturwandel der Landwirtschaft sowie
die Ausdünnung bzw. der Wegfall der Versorgungs- und Dienstleistungsinfrastruktur hier aufgrund der „strukturkonservierenden Wirkung der staatlichen Planung“ langsamer aus (Wießner
1999:301-302). Dies änderte sich allerdings schlagartig mit der Wiedervereinigung. Infolgedessen vollzogen sich die Entwicklungen, die in den alten Bundesländern innerhalb mehrerer Dekaden stattfanden, in den neuen Bundesländern in „Zeitraffertempo“ (Wießner 1999:302).
Der hier beschriebene Funktionsverlust der Dorfkerne und die seit Mitte der 1970er Jahre umgesetzten Siedlungserweiterungen, die dem höheren Wohnflächenbedarf infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs sowie einem positiven Zuwanderungstrend geschuldet waren (Linke/ Köhler
2010:105, Henkel 2012:128), werden in Abbildung 3 zusammenfassend veranschaulicht.
13
Abb.3: Modell der Funktionalen Entleerung der Dorfkerne. Quelle: Eigene Darstellung nach MLR 2012:21.
Aktuell zeichnen sich weitere Entwicklungslinien ab, auf Basis derer sich die funktionale Entleerung der Dörfer in Ländlichen Räumen Ost- wie Westdeutschlands fortzusetzen scheint. Seitens
der zentralen Kirchenbehörden werden aufgrund des anhaltenden Priestermangels Versuche einer Zentralisierung von Pfarrgemeinden unternommen, welche allerdings aufgrund mangelnder
Akzeptanz bei der Bevölkerung weitestgehend gescheitert sind (Henkel 2004:338-339). Nichtsdestotrotz kommt es vielerorts zu einer organisatorischen Zusammenlegung zu größeren Pfarrverbänden, mit der eine Ausdünnung des kirchlichen und durch die Kirche getragenen sozialen
und kulturellen Angebots in Ländlichen Räumen einhergeht (Henkel 2012:151). Laut Schröteler
von Brandt (2011:8-15) ist in manchen Ländlichen Räumen bereits heute die Umnutzung von
Kirchengebäuden ein relevantes Thema. Grabski-Kieron/ Stinn (2011:50-53) zufolge befinden
sich nicht nur periphere Ländliche Räume aufgrund von Konzentrationsprozessen im Krankenhauswesen und aufgrund ungeklärter Nachfolge von Landarztpraxen in einer ernstzunehmenden
„Gesundheitsfalle“. Während Geldinstitute und Banken ihr Standortnetz bislang im Gegensatz zu
anderen öffentlichen und privaten Dienstleistungseinrichtungen weitestgehend aufrechterhalten
haben, ziehen nun auch sie sich aus der Fläche zurück (Henkel 2004:339-340).
In der Konsequenz haben sich zum Teil erhebliche funktionale Nachteile für einzelne Aspekte
der Lebensqualität der in den Ländlichen Räumen ansässigen Bevölkerung ausgebildet (Beetz/
Neu 2009:54-55, Neu 2011:47), die einen Attraktivitätsverlust für potentielle Zuwanderer und
die Ansiedlung neuer Betriebe darstellen (Wießner 1999:301). De facto können die von der
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Raumordnungspolitik geforderten gleichwertigen Lebensbedingungen in allen Teilräumen in
einigen Ländlichen Räumen nicht mehr aufrechterhalten werden (§1 Abs. 2 ROG, LanghagenRohrbach 2010:30). Bei der in diesen Regionen ansässigen Bevölkerung prägen sich zwei Handlungsmuster aus: Abwanderung oder eine bewusste Entscheidung für ein Leben mit den funktionalen Nachteilen, was einen verstärkten Pkw-Einsatz zur Folge hat (Henkel 2004:344).
Trotz der hier beschriebenen, stark generalisierten Negativentwicklung darf nicht vernachlässigt
werden, dass die Ländlichen Räume in Deutschland auch heute noch eine bedeutsame Raumkategorie darstellen. Trotz ihrer vielfältigen Bedeutungsverluste leben in ihnen aktuell, „je nach
Definitionsansatz, auf ca. ¾ der Gesamtfläche [Deutschlands] bis zu 2/3 aller Einwohner“ (Hoppe 2010: 2). Über ihren reinen Flächen- und Einwohneranteil hinaus zeichnen sie sich durch
„Aspekte wie die Bereitstellung von Erholungsgebieten, die Gewinnung und Nutzung regenerativer Energien und nicht zuletzt [durch ihre einzigartige] Kulturlandschaft“ aus (Hoppe 2010: 2).
Dementsprechend weisen Ländliche Räume noch immer vielfältige Funktionen auf: Sie bieten
vorrangig für die im Ländlichen Raum lebende Bevölkerung eine „Siedlungs- und Lebensraumfunktion einschließlich der Bereitstellung von Wohn-, Wirtschafts- und Freizeitraum“ und offerieren nicht nur für die eigene ländliche, sondern auch für die städtische Bevölkerung und
Wirtschaft eine Agrarproduktionsfunktion, eine ökologische Funktion, eine Erholungsfunktion
sowie eine Standortfunktion (Henkel 2004:38-40). Obwohl sie in den letzten Jahrzehnten erhebliche Infrastrukturverluste zu verzeichnen hatten, befindet sich die Infrastruktur, vor allem die
technische Infrastruktur mit der „Wasser- und Abwasserversorgung, [der] Energieversorgung
sowie [der] Verkehrsinfrastruktur“, auf einem hohen Ausstattungsniveau (Henkel 2004:323).
Darüber hinaus weisen Ländliche Räume durch einen Ausbau der Informations- und Kommunikationsinfrastruktur neue Möglichkeiten der Raumüberwindung und demnach auch für die moderne Informations- und Dienstleistungsgesellschaft Potentiale auf (Schöfl 2007:76).
3 Anlass und Zielsetzung der Masterarbeit
Die Auseinandersetzung mit der Leerstandsthematik im Ländlichen Raum Erftstadts im Zuge
dieser Masterarbeit basiert vor allem auf politischen Diskussionen rund um das Thema des Gebäudeleerstands. So musste im Mai 2012 ein über mehrere Jahre leer stehendes Gebäude, das
zuletzt als Gaststätte genutzt worden war, aufgrund einer akuten Einsturzgefahr durch einen „von
der Stadt erzwungene[n] Hausabriss“ in Bliesheim, einem ländlich geprägten Ortsteil von
Erftstadt, rückgebaut werden (Interview 1:78-84). Über die mehrjährige Leerstandsdauer hinweg
15
wurden keinerlei Investitionen zur Erhaltung des Gebäudes getätigt, sodass ein sukzessiver Verfallsprozess eingetreten ist und das Gebäude schließlich baufällig war (Interview 1:78-84).
Abb.4: Abriss eines leer stehenden Gebäudes in Bliesheim. Quelle: SPD Erftstadt 2013:13.
Der in Abbildung 4 dargestellte Abriss des Gebäudes machte eine „Sperrung der Frankenstraße
in Bliesheim“ erforderlich (SPD Erftstadt 2012:Leerstände werden zunehmend zum Problem),
was eine zeitweise Verschlechterung der fußläufigen Erreichbarkeit des Ortszentrums sowie eine
Verunsicherung der Anwohner nach sich zog (Interview 4:30-35; 717-722). Dementsprechend
sind der Hausabriss auf der Frankenstraße und die damit verbundene Straßensperrung als konkrete Auslöser für die politische Auseinandersetzung mit der Leerstandsthematik zu betrachten.
Die Folgezeit des Gebäudeabrisses war durch eine politische Debatte über das aktuelle Ausmaß
des Gebäudeleerstands in den einzelnen Ortsteilen Erftstadts geprägt. So kamen Befürchtungen
auf, „dass in nahezu allen Erftstädter Stadtteilen immer mehr und immer öfter Wohn- und Geschäftsgebäude über einen längeren Zeitraum leer ständen und zum Teil auch verwahrlosten“
oder, dass „die Leerstände angesichts des demographischen Wandels gerade auch in den kleineren Ortsteilen verstärkt zunehmen werden“ (SPD Erftstadt 2012: Leerstände werden zunehmend
zum Problem). Wesentlich angefacht wurde die politische Debatte aufgrund des NichtVorhandenseins fundierter Leerstandszahlen. Damit stellt die Stadt Erftstadt allerdings keinen
16
Sonderfall dar. Vielmehr existieren weder bundesweit repräsentative und verlässliche Informationen zum Gebäude- und Wohnungsleerstand (Streich et al. 2009:1) noch sind auch nur annähernd flächendeckend genaue oder gar regional differenzierte Kenntnisse über die
Leerstandssituation in Ländlichen Räumen vorhanden (Schmied 2007:1). Dies liegt unter anderem an einer geringen Anzahl themenspezifischer Untersuchungen, was einerseits auf die
„Wahrnehmungsschwäche“ der Leerstandsproblematik seitens der kommunalen Entscheidungsträger (Henkel 2010:58) und andererseits auf einen gesunkenen finanziellen Handlungsspielraum
einer Vielzahl von Kommunen zurückzuführen ist (Handelsblatt 2013:Finanznot der Kommunen). Laut Schmied (2007:1) trägt allerdings auch die „generell mangelhafte Erfassung des Gebäude- und Wohnungsbestandes [sowie] seiner Veränderungen“ hierzu bei.
In der Konsequenz der bis dato unzureichenden Kenntnis über das tatsächliche Maß der Gebäudeleerstände im Ländlichen Raum Erftstadts wurde im Ausschuss für Stadtentwicklung der Stadt
Erftstadt im September 2012 ein Beschluss aufgestellt, eine Ausschreibung einer Masterarbeit
bezüglich der Leerstandsthematik im Ländlichen Raum Erftstadts zu initiieren (AfS Erftstadt
2012). Diese Arbeit soll die Grundlage für die auf einer fundierten Datenbasis basierende politische Diskussion über einen kommunalen Handlungsbedarf sowie kommunale Handlungsmöglichkeiten im aktiven Umgang mit den Gebäudeleerständen darstellen. Neben einer bloßen
quantitativen Erfassung des aktuellen Ausmaßes des Gebäudeleerstandes wird ebenfalls die Erwartung an die Masterarbeit gerichtet, dass wesentliche Ursachen des Gebäudeleerstands erforscht sowie städtebauliche Instrumente hinsichtlich ihrer Eignung zum Umgang mit
Leerständen beleuchtet werden (Stadt Erftstadt 2012b:Stellungnahme der Verwaltung).
Dementsprechend zeichnet sich die Zielsetzung der Masterarbeit vor dem Hintergrund des bislang fehlenden Überblicks über die Leerstandssituation seitens Rat und Verwaltung der Stadt
Erftstadt anhand der folgenden, der Arbeit zu Grunde liegenden Forschungsfragen ab:
Wie hoch ist das aktuelle Ausmaß der leer stehenden Wohngebäude sowie der gewerblich
und landwirtschaftlich genutzten Gebäude im Ländlichen Raum Erftstadts?
Durch welche qualitativen Merkmale zeichnen sich die Gebäudeleerstände aus?
Wie könnte sich die Anzahl der Wohngebäudeleerstände in näherer Zukunft verändern?
Was sind die wesentlichen Ursachen für den Gebäudeleerstand?
Welche Auswirkungen gehen von leer stehenden Gebäuden aus?
Besteht derzeit ein akuter Handlungsbedarf und welche Handlungsmaßnahmen eignen
sich für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen seitens der Kommune?
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Damit werden im Rahmen dieser Masterarbeit einerseits die konkreten Perspektiven für die Einrichtung eines Leerstandsmanagements für den Ländlichen Raum Erftstadts beleuchtet und andererseits die Potentiale aufgezeigt, wie mit den bestehenden Gebäudeleerständen aus Sicht der
Kommune umgegangen werden kann. Hierbei wird unter anderem beleuchtet wie einer Ausbreitung des Gebäudeleerstands vorgebeugt werden kann. Konzeptionell betrachtet soll im Zuge
dieser Arbeit also basierend auf einer konkreten Problemstellung mit Hilfe wissenschaftlicher
Methoden konkretes „Problemlösungswissen“ erzeugt werden, wodurch die Masterarbeit im
Zeichen einer „anwendungsorientierten Grundlagenforschung“ steht (Nuissl 2013:17).
4 Eingrenzung des Untersuchungsrahmens
4.1 Begriffsbestimmung Gebäudeleerstand und Typisierung wesentlicher Leerstandsarten
Bevor in Kapitel 5 näher auf die im Rahmen dieser Untersuchung angewandten Methoden eingegangen wird, ist es erforderlich sich näher mit dem Begriff Gebäudeleerstand zu beschäftigen.
Dabei ist anzumerken, dass weder im wissenschaftlichen Diskurs noch in der Gesetzgebung eine
allgemein anerkannte Definition des Terminus existiert (Von Ramin 2006:38, Uhrhan 2007:119).
In der Regel wird der Begriff Leerstand im Rahmen eines jeden sich mit der Leerstandsthematik
beschäftigenden Forschungsprojektes hinsichtlich der projektspezifischen Untersuchungsmerkmale definiert (Streich et al. 2009:13). So lassen sich einerseits in einem allgemeineren Ansatz
gemäß dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) unter dem
Terminus Leerstand die „nutzbare[n] Flächen in Gebäuden [verstehen], die zurzeit nicht genutzt
werden“ (Bennert 2012:9), wohingegen andererseits in einem detaillierten Begriffsverständnis
das „zeitweise oder fortwährende Fehlen der Bereitschaft zur Eigennutzung bzw. das nicht Zustandekommen eines Mietvertrages“ als Leerstand anzusehen ist (Streich et al. 2009:13).
Darüber hinaus lässt sich bei der Auseinandersetzung mit dem Leerstandsbegriff eine grundlegende Unterscheidung zwischen einer städtebaulichen – und einer wohnungswirtschaftlichen
Perspektive ziehen. Während bei einer städtebaulichen Auseinandersetzung mit der
Leerstandsthematik die Leerstände in ihrer Gesamtheit in die Betrachtung eingehen, werden bei
einer wohnungswirtschaftlichen Analyse nicht mehr marktgängige Leerstände aus der Betrachtung ausgeschlossen (IfS 2005:2). So wird der Begriff Leerstand bspw. von der Gesellschaft für
immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. als „Angebotsreserve aus nicht vermieteten, aber unmittelbar beziehbaren Flächen in Neubauten und Bestandsobjekten“ ausgelegt, wodurch eine
Reduzierung des Leerstandsbegriffs auf den marktgängigen Anteil des ungenutzten Angebotspo18
tentials gemäß einer wohnungswirtschaftlichen Perspektive stattfindet (Bennert 2012:9). Da die
Gebäudeleerstände im Rahmen dieser Masterarbeit aber aus einer städtebaulichen Perspektive
untersucht werden, werden ebenfalls nicht mehr marktgängige Leerstände in die Betrachtung
einbezogen. Dementsprechend wird der Begriff des Leerstands im Kontext dieser Masterarbeit
durch die folgende eigene Definition weiter gefasst:
Als Leerstand werden sowohl die nutzbaren als auch die ehemals genutzten Flächen in baulichen Anlagen verstanden, die kurz- (weniger als 3 Monate), mittel- (3 bis 6 Monate) oder langfristig (mehr als
6 Monate) vom Eigentümer weder eigengenutzt noch gegen Entgelt vermietet oder verpachtet werden.
Dementsprechend wird auch im Rahmen dieser Masterarbeit auf ein eigenes Verständnis des
Leerstandsbegriffs zurückgegriffen. Die wesentliche sich aus den projektspezifischen Variationen der Auslegung des Leerstandsterminus ergebende Problematik ist die Schwierigkeit eines
Vergleichs der Ergebnisse unterschiedlicher Leerstandsuntersuchungen (Von Ramin 2006:38).
Dies ist unter anderem einer der Gründe dafür, dass trotz einer Vielzahl an Erhebungen bundesweit keinerlei verlässliche und nachvollziehbare Daten über das tatsächliche Ausmaß des Gebäude- und Wohnungsleerstands in Deutschland existieren (Schmied 2007:3-9, Streich et al.
2009:1). Vor dem Hintergrund einer zu vermutenden Zunahme der Leerstände im Zuge des demographischen Wandels spricht sich Uhrhan (2007:119) daher für die Aufnahme einer allgemeingültigen Begriffsdefinition in das Baugesetzbuch (BauGB) aus. Eine solche sollte ebenfalls
die Mindestdauer angeben, ab der ein leer stehendes Gebäude als Leerstand gemäß BauGB erfasst werden kann (Uhrhan 2006:119). Da die Dauer eines Leerstands ein wesentlicher Indikator
dafür ist, ab wann ein Leerstand als problematisch einzustufen ist, bietet sie neben einer Vielzahl
weiterer Merkmale eine gute Möglichkeit auf ihrer Basis eine Leerstandstypisierung vorzunehmen. Die im Rahmen dieser Masterarbeit angewandte ist in Abbildung 5 dargestellt.
So sind fluktuationsbedingte bzw. sporadische Leerstände als über einen kurzen Zeithorizont
hinweg, in der Regel weniger als drei Monate, leer stehende Nutzflächen innerhalb baulicher
Anlagen definiert (Miosga 2011:12, Bennert 2012:9). Da sie durch einen Mieter- oder Eigentümerwechsel hervorgerufen werden, stellen sie keinen Indikator für eine Problemlage dar (Streich
et al. 2009:14), sondern sind vielmehr das Abbild des „Marktgeschehens am Immobilienmarkt“
(Streich 2011:29). Da auf dem Immobilienmarkt immer ein gewisser Austausch stattfindet, ist
eine gewisse Quote kurzfristiger Leerstände sogar für das Funktionieren des Marktes erforderlich. Während Schmied (2007:2) und Streich et al. (2009:1) diese für den Immobilienmarkt notwendige Fluktuationsreserve bei einer Leerstandsquote von 2 bis 3% als gegeben betrachten,
19
belaufen sich ihre Intervallgrenzen laut Streich (2011:30) auf 0,5 bis 5%. Der zweite hinsichtlich
der Leerstandsdauer abgrenzbare Leerstandstyp ist der funktionale bzw. modernisierungsbedingte Leerstand. Ihm sind alle nicht genutzten Flächen innerhalb baulicher Anlagen zuzuordnen, die
aufgrund von vorgesehenen oder aktuell durchgeführten Modernisierungs-, Renovierungs- oder
Umstrukturierungsmaßnahmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nutzbar sind. Für funktionale
Leerstände wird, auch wenn die Grenze eng bemessen erscheint, eine Leerstandsdauer von drei
bis sechs Monaten angesetzt (Streich et al. 2009:14, Bennert 2012:9). Demgegenüber zeichnet
sich der dritte Leerstandstyp, der strukturelle Leerstand, durch ein längerfristiges Andauern des
Leerstands aus (Linke/ Köhler 2010:105). Er trifft auf die Nutzflächen zu, die langfristig, das
heißt mindestens sechs, meist aber mehr Monate, „weder durch den Eigentümer noch auf Grundlage eines Mietvertrages oder Pachtverhältnisses genutzt werden“ (Streich et al. 2009:14).
Abb.5: Leerstandstypen gemäß der Dauer des Leerstands. Quelle: Eigene Darstellung nach Streich et al 2009:14,
Miosga 2011:12.
Da strukturelle Leerstände als die städtebaulich relevante Problemgruppe unter den Leerständen
auszuweisen sind, wird ihnen im Rahmen dieser Masterarbeit besondere Aufmerksamkeit zu teil.
4.2 Makroperspektivische Einordnung Erftstadts als Ländlicher Raum
Ländliche Räume sind keine homogene Raumkategorie, „den Ländlichen Raum“ gibt es also
nicht (Wießner 1999:300, Kocks 2007:24, Weber 2009:171). Vielmehr existiert ein vielschichtiges Nebeneinander von prosperierenden, dynamischen und lethargischen, strukturschwachen
ländlichen Gemeinden (Kocks 2007:24, Henkel 2010:54). Um also die extreme Heterogenität der
20
Gebietskulisse der Ländlichen Räume im Zuge dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung
mit dem Ländlichen Raum Erftstadts zu berücksichtigen und um unzutreffende Pauschalisierungen zu vermeiden, ist eine detaillierte Betrachtung der Differenziertheit Ländlicher Räume erforderlich (Wießner 1999:301). Hierzu empfiehlt sich nicht nur die Einbeziehung der
Raumkategorisierung auf makroraumstrukturierter Ebene, sondern ebenfalls die Durchführung
einer mikroraumstrukturierten Erfassung einzelner Dörfer im Kontext ihrer Nachbardörfer (Born
2011:7-8). Dementsprechend wird im Rahmen dieses Kapitels zunächst eine makroraumstrukturelle Einordnung Erftstadts als Ländlicher Raum in die Typen Ländlicher Räume in Deutschland
und Nordrhein-Westfalen vorgenommen, wohingegen in Kapitel 4.3 der Ländliche Raum in
Erftstadt entsprechend einer mikroraumstrukturellen Betrachtung abgegrenzt wird.
Gemäß der Raumabgrenzungen durch die Laufende Raumbeobachtung des Bundesinstituts für
Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) lässt sich als jüngste Raumkategorisierung auf die
„Raumtypen 2010“ verweisen. Diese sind als Weiterentwicklung der im Raumordnungsbericht
2005 aufgezeigten „Raumstrukturtypen ROB 2005“ zu verstehen und dienen Analysezwecken
für die Erarbeitung des aktuellen Raumordnungsberichts des Bundes (BBSR 2010:Raumtypen
2010). Obwohl die Raumtypen 2010 keine planerischen Festlegungen darstellen, ermöglichen
sie, unter der Berücksichtigung, dass eine „dichotome Unterteilung in Stadt und Land überholt
ist“ (BBSR 2008:Stadt und Land in der Raumbeobachtung), eine neuartige Differenzierung in
homogene Raumeinheiten, die das Stadt-Land-Kontinuum abbilden (BBSR 2010:Raumtypen
2010). Als die Basisstrukturmerkmale auf denen die Raumtypisierung basiert, sind einerseits die
sich aus den Merkmalskomponenten Bevölkerungsdichte sowie Siedlungsflächenanteil zusammensetzende Besiedlung und andererseits die in Form der potentiell zu erreichenden Tagesbevölkerung operationalisierte Lage zu nennen. Beide Strukturmerkmale sind auf die Ebene des
jeweiligen Gemeindeverbands bezogen, womit sie für eine bundesweite Raumbeobachtung einen
relativ kleinräumigen Analyseansatz darstellen (BBSR 2010:Raumtypen 2010).
Ordnet man nun Erftstadt in die in Abbildung 6 dargestellten Raumtypen 2010 ein, so wird deutlich, dass Erftstadt aus Perspektive der Laufenden Raumbeobachtung des BBSR als überwiegend
städtische Raumkategorie in einer sehr zentralen Lage gewertet wird. Auch wenn die Zuordnung
zu einer zentralen bzw. sehr zentralen Raumkategorie aufgrund der Nähe zu Köln und Bonn
nicht verwunderlich erscheint, sorgt allerdings die Einstufung als überwiegend städtisch geprägter Raum vor dem Hintergrund des Titels der Masterarbeit „Gebäudeleerstände im Ländlichen
Raum am Beispiel der Stadt Erftstadt“ im ersten Moment für Verwirrung. Daraus allerdings zu
schließen, Erftstadt sei kein Ländlicher Raum, wäre schlichtweg falsch. Vielmehr lässt sich die
21
Zuordnung zu einer überwiegend städtisch geprägten Raumkategorie durch die Bezugnahme der
analysierten Strukturmerkmale auf die Ebene der Gemeindeverbände erklären, wodurch Erftstadt
gemeinsam mit Köln als eine Raumeinheit in die Analyse eingegangen ist und die Einstufung als
überwiegend städtisch geprägter Raum einleuchtend erscheint (BBSR 2010:Raumtypen 2010).
Abb.6: Raumtypen in Deutschland 2010. Quelle: BBSR 2010:Raumtypen 2010.
Da Erftstadt entsprechend der jüngsten Raumkategorisierung durch das BBSR demnach nicht als
Ländlicher Raum ausgewiesen werden kann, erscheint eine Einordnung Erftstadts in eine zwar
ältere, dafür aber in Bezug auf Ländliche Räume differenziertere Raumkategorisierung sinnvoll.
22
So wurde von der Ministerkonferenz für Raumordnung 1995 im Rahmen des Raumordnungspolitischen Handlungsrahmen eine Unterscheidung der Ländlichen Räume in Deutschland in folgende Kategorien vorgenommen (Wießner 1999:300):
Räume in günstiger Lage zu Verdichtungsgebieten und überregionalen Verkehrsachsen
(Zentrenferne) strukturschwache Ländliche Räume
Attraktive Räume für den überregionalen Fremdenverkehr
Räume mit relativ günstigen Produktionsbedingungen für die Landwirtschaft
Gering verdichtete Räume mit industriellen Wachstumstendenzen
Strukturschwache altindustrialisierte Ländliche Räume
Berücksichtigt man die makroraumstrukturelle Lage Erftstadts zwischen den Verdichtungsräumen Köln im Nord- und Bonn im Südosten sowie Aachen im Westen lässt sich Erftstadt vor dem
Hintergrund der von der Ministerkonferenz für Raumordnung erarbeiteten Typisierung der Ländlichen Räume in Deutschland als Ländlicher Raum in günstiger Lage zu Verdichtungsgebieten
und überregionalen Verkehrsachsen betrachten. Bezieht man darüber hinaus den Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalen 1995 ein, welcher in Abbildung 7 dargestellt ist, bestätigt sich
das Bild von Erftstadt als Ländlichem Raum, der an die die Ballungskerne Köln und Bonn umgebenden Ballungsrandzonen Hürth und Brühl angrenzt. Damit gehört Erftstadt zweifelsfrei zu
den Ländlichen Regionen Nordrhein-Westfalens, die „zwei Drittel der Landesfläche“ ausmachen
und für ca. sechs Millionen Menschen „Wohn- und Wirtschaftsraum“ sind (MKULNV 2010:7).
Insbesondere mit den zwei Bundesautobahnen (BAB), der das Stadtgebiet in nordöstlicher bzw.
südwestlicher Richtung querenden BAB 1 und der in nordwest- bzw. südöstlicher Richtung querenden BAB 61, verfügt Erftstadt über eine erstklassige straßengebundene verkehrliche Erreichbarkeit, durch die einerseits eine direkte Verbindung an das Oberzentrum Köln und andererseits
eine unmittelbare Erreichbarkeit überregionaler Verkehrsachsen gegeben ist (BBE 2011:13). Die
Anbindung Erftstadts an Köln wird weiterhin durch die in Südwest-Nordost-Richtung verlaufende Bundesstraße 265 ergänzt. In der Orientierung der straßengebundenen Infrastruktur spiegelt
sich die Ausrichtung des Mittelzentrums Erftstadt auf das Oberzentrum Köln wider, welchem
laut dem Einzelhandels- und Zentrenkonzept der Stadt Erftstadt eine „besondere Bedeutung als
Versorgungs- und Wettbewerbsstandort“ zukommt (BBE 2011:13). Lediglich die schienengebundene verkehrliche Erreichbarkeit Erftstadts weist keinen direkten Anschluss an das überregionale Schienennetz auf, was jedoch weitestgehend durch die „geringe räumliche Distanz zum
Eisenbahnknotenpunkt Köln (< 25 Minuten)“ aufgewogen wird (BBE 2011:13).
23
Erftstadt
Abb.7: Erftstadt als Ländlicher Raum. Quelle: Eigene Darstellung nach BBSR 2012a:95, regioplaner 2013: Landesentwicklungsplan NRW 1995.
Auch wenn eine Zuordnung als Ländlicher Raum auf Basis einer bundesweiten Raumkategorisierung aufgrund der Nähe zum Verdichtungsraum Köln nicht möglich ist, wird die Einstufung
als Ländlicher Raum durch den Landesentwicklungsplan NRW 1995 zweifelsfrei bestätigt. Auf
makrostruktureller Ebene ist Erftstadt damit einer der Ländlichen Räume in NRW, die in hohem
Maße von ihrer Nähe zu Ballungskernen geprägt sind und erhebliche Entwicklungspotentiale
aufweisen (MKULNV 2010:7). Vor dem Hintergrund der Thematik der Gebäudeleerstände ist
daher zu vermuten, dass Erftstadt der Kategorie Ländlicher Räume entspricht, in der einzelne
Ortsteile in stagnierenden oder boomenden Gemeinden im Einzugsgebiet großer Städte zunehmend von Gebäudeleerständen betroffen sind (Kötter 2008:56, Spellerberg/ Spehl 2011:1).
4.3 Mikroperspektivische Abgrenzung des Ländlichen Raums in Erftstadt
Betrachtet man Erftstadt auf mikroraumstruktureller Ebene, wird deutlich, dass nicht das gesamte Gemeindegebiet Erftstadts als Ländlicher Raum einzustufen ist. Vielmehr ist eine Differenzierung des Gemeindegebiets, welches in seiner heutigen Form einer dezentral strukturierten
24
Flächengemeinde durch „die Gebietsreform im Rahmen des 1969 verabschiedeten Gesetzes zur
Neugliederung des Landkreises Euskirchen“ (BBE 2011:15-16) entstanden ist, hinsichtlich ländlich geprägter und urban geprägter Stadtteile erforderlich. Obwohl im Einzelhandels- und
Zentrenkonzept der Stadt Erftstadt keine detaillierte mikroraumstrukturelle Differenzierung des
Gemeindegebiets in rural und urban geprägte Ortsteile vorgenommen wird, findet dennoch auf
Basis der Größe der Siedlungskörper eine erste Gliederung der Ortsteile statt (BBE 2011:16):
[…] es gibt keinen Gesamtstadtkern, dafür aber mit Liblar und Lechenich zwei annähernd
gleich große Siedlungskörper. Diese werden durch die […] Bundesautobahn 61 sowie den
[…] Flusslauf der Erft räumlich deutlich voneinander getrennt. Die Mehrzahl der Stadtteile
befindet sich im Nordosten Erftstadts während vor allem der Südwesten eher schwach besiedelt und daher weniger verdichtet ist.
Da eine Differenzierung des Gemeindegebiets in rural und urban geprägte Ortsteile aufgrund des
Untersuchungsfokus des Ländlichen Raums im Rahmen dieser Arbeit durch eine bloße Unterscheidung gemäß der Siedlungskörpergröße für unzureichend erachtet wird, wird, wie in Tabelle
1 dargestellt, ebenfalls die Bevölkerungsdichte als Abgrenzungskriterium einbezogen.
Tab.1: Bevölkerungsdichte je Ortsteil als Maß für Ländlichkeit. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: Eigene Berechnungen sowie Einwohnerzahl je Ortsteil gemäß der Hauptwohnsitze zum Juni 2013: Stadt Erftstadt 2013a.
Die Bevölkerungsdichte ist ein gängiges Maß zur Abgrenzung Ländlicher Räume und wird ebenfalls von der OECD-Kommission zur Bestimmung Ländlicher Regionen genutzt (EN RD
2009:6). So wird bei der OECD-Kommission davon ausgegangen, dass jegliche Räume mit einer
Bevölkerungsdichte von weniger als 150 Einwohnern/km² (EW/km²) als Ländliche Räume einzustufen sind. Würde man diesen Ansatz auf die einzelnen Ortsteile Erftstadts übertragen, wären
Blessem mit 326 EW/km², Kierdorf mit 542 EW/km², Lechenich/Konradsheim mit 317 EW/km²
25
sowie Liblar mit 816 EW/km² als die Ortsteile auszuweisen, die den Grenzwert deutlich überschreiten und demnach als städtisch geprägte Ortsteile aus der Untersuchung auszuschließen
sind. Allerdings suggerieren ausschließlich über das Bevölkerungsdichtemaß identifizierte Ländliche Räume, dass sie eine in sich homogene Raumkategorie darstellen. Da auf Basis dieser
Raumkategorisierung „entscheidende Parameter wie [die] Ausstattung mit Infrastruktur, wirtschaftliche Bedingungen und die soziale Struktur der Bevölkerung […] unberücksichtigt“ bleiben (Hoppe 2010:27), kann lediglich auf Basis des Bevölkerungsdichtemaßes kein realistisches
mikroraumstrukturelles Bild des Ländlichen Raums in Erftstadt abgebildet werden.
Aus diesem Grund wird neben der Größe der Siedlungskörper und der Bevölkerungsdichte mit
der Verteilung der Ausstattungsmerkmale eines Mittelzentrums ein dritter Indikator zur Abgrenzung der rural geprägten Ortsteile herangezogen. Gemäß Landesentwicklungsplan NRW 1995
wird Erftstadt als Mittelzentrum ausgewiesen. Von den Landesplanungen werden den Zentralen
Orten, entsprechend ihrer Einstufung als Grund- oder Kleinzentrum, Mittelzentrum oder Oberzentrum unterschiedliche „überörtliche Versorgungs- und Entwicklungsfunktionen“ zugewiesen
(BBSR 2012a:34). Da innerhalb der Zentralen Orte eine Bündelung entsprechender Infrastrukturangebote zur Versorgung des Umlands stattfindet, bietet eine Standortanalyse typischer Ausstattungsmerkmale der Zentralen Orte die Möglichkeit, die mit den Ausstattungsmerkmalen
angereicherten städtisch geprägten Zentren von den ländlich geprägten Ortsteilen zu unterscheiden. Da sich die entsprechend der in Tabelle 2 dargestellten typischen Ausstattungsmerkmale
eines Mittelzentrums in Erftstadt auf Liblar und Lechenich konzentrieren (Interview 1:50-55),
ergibt sich die in Abbildung 8 dargestellte Unterteilung in urban und rural geprägte Ortsteile.
Tab.2: Typische Ausstattungen der Grundstufen Zentraler Orte. Quelle: BBSR 2012a:34.
26
Abb.8: Abgrenzung des Untersuchungsraumes in Erftstadt. Quelle: Eigene Darstellung.
In einer Absprache mit der Verwaltung der Stadt Erftstadt wurde sich darauf verständigt, dass
außer den Siedlungsschwerpunkten Liblar und Lechenich, zu dem im Falle dieser Untersuchung
Konradsheim aggregiert wurde, prinzipiell alle anderen Ortsteile als ländlich geprägt einzustufen
sind und in den ersten Schritt der Untersuchung eingehen.
5 Vorstellung des Methodendesigns der Untersuchung
Die Untersuchung gliederte sich wie in Abbildung 9 dargestellt in fünf Teilschritte. In ihnen
wurden Methoden der quantitativ-standardisierten und Methoden der qualitativ-verstehenden
Forschung verknüpft, um die mit den verschiedenartigen Ansätzen gewonnenen Erkenntnisse zu
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einem umfassenden Gesamtbild zu verdichten, welches eine intersubjektiv nachvollziehbare
Grundlage für die Entwicklung der strategischen Handlungsempfehlungen für einen aktiven
Umgang mit Gebäudeleerständen darstellt (Seipel/ Rieker 2003:243, Kelle 2008:261).
Abb.9: Ablaufschema der Untersuchung. Quelle: Eigene Darstellung.
Auch wenn Flick (2007:40-46) zufolge lange Zeit eine „Betonung der Unvereinbarkeit“ beider
auf grundsätzlich unterschiedlichen Wissenschaftsverständnissen beruhenden Forschungsmethoden vorgeherrscht hat, wird sich im Rahmen dieser Masterarbeit Diekmann (2008:543) angeschlossen, laut dem „erst durch das Zusammenspiel unterschiedlicher qualitativer und
quantitativer Methoden […] der Forscher […] in die Lage versetzt [wird] ein verlässliches Gesamtbild“ des Untersuchungsgegenstandes abzubilden. Entsprechend wird im Rahmen dieser
Masterarbeit eine wechselseitige methodische Ergänzung zur differenzierten Auseinandersetzung
mit der Leerstandsthematik angestrebt. So ist das quantitativ-standardisierte Vorgehen durch die
Arbeit mit „harten Daten“, ihre „analytisch-statistische Auswertung“ und die darauf folgende
Visualisierung der raumbezogenen Daten geprägt (Reuber 2007a:96). Diese Vorgehensweise
ermöglicht es sich dem Forschungsgegenstand der Gebäudeleerstände intersubjektiv überprüfbar
28
anzunähern, ihn zu erfassen und zu beschreiben (Reuber/ Pfaffenbach 2005:42, Zehner
2007:115). Allerdings beschränkt sich der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn durch quantitativ-standardisierte Methoden nicht auf eine bloße „deskriptive Bestandsaufnahme“ (Reuber/
Pfaffenbach 2005:41; 67), sondern dient entsprechend einer auf einem Wissenschaftsverständnis
des Kritischen Rationalismus beruhenden deduktiven Logik der Prüfung der im Falle dieser Untersuchung seitens der Stadt Erftstadt aufgestellten Hypothese eines bereits hohen quantitativen
Leerstandsausmaßes und einer sich künftig verschärfenden Problemsituation (Burzan 2005:2728, SPD Erftstadt 2012: Leerstände werden zunehmend zum Problem).
Demgegenüber fußt der Einsatz qualitativ-verstehender Methoden auf einem von der Hermeneutik geprägten Wissenschaftsverständnis (Reuber 2007b:156). Das Erkenntnisinteresse liegt nicht
unmittelbar auf dem Erklären, sondern vor allem auf dem „Verstehen sozialer Prozesse und Zusammenhänge“ (Zehner 2007:115). Qualitative Methoden zeichnen sich dabei unter anderem
durch ihre Einzelfallbezogenheit aus, wodurch sie eine differenzierte Untersuchung des Forschungsgegenstands der Gebäudeleerstände ermöglichen. Um eine möglichst hohe Offenheit des
Erkenntnisgewinns zu gewährleisten (Hopf 2007:349-350), gestaltet sich die Datenerhebung
gegenüber der Herangehensweise quantitativer Methoden als „nicht (oder kaum) standardisiert“
(Reuber/ Pfaffenbach 2005:35), was eine Modifikation der offenen Forschungsfragen sowie der
Hypothesen im Verlauf des Forschungsprozesses ermöglicht (Rosenthal 2011:47).
Aufgrund der Spezifika der jeweiligen Forschungsmethoden wird im Rahmen dieser Masterarbeit eine Kombination quantitativer und qualitativer Methoden im Sinne einer „mixed methods
research“ durchgeführt (Kelle 2008:46-47), welche auch mit einer „between-methodtriangulation“ gleichgesetzt werden kann (Seipel/ Rieker 2003:226-227). Dabei wird eine simple
„projektbezogene Koexistenz“ beider Methoden überschritten (Reuber/ Pfaffenbach 2005:3435). Vielmehr werden die Stärken des jeweiligen Ansatzes genutzt und eine Kompensation der
Schwächen des jeweils anderen Verfahrens angestrebt (Flick 2007:44, Seipel/ Rieker 2003:226227). Dies ermöglicht eine Erforschung des Untersuchungsgegenstands der Gebäudeleerstände
vor dem Hintergrund „forschungsleitende[r] Fragen und […] Generalthesen“ (Reuber/ Pfaffenbach 2005:78-79) in einer Breite und Tiefe, die bei einer Beschränkung auf lediglich eine Forschungsmethodik nicht hätte erzielt werden können (Seipel/ Rieker 2003:252, Kelle 2008:261).
In den folgenden Kapiteln 6 bis 9 werden jeweils zunächst das methodische Vorgehen im Rahmen des Untersuchungsteilschritts vorgestellt und im Anschluss daran die entsprechenden Ergebnisse veranschaulicht. Soweit im Zuge der Auswertung Ergebnisse erzeugt wurden, die
29
kleinräumig verstandortet werden konnten, wurde mit Hilfe des Geographischen Informationssystems ArcGIS von ESRI eine kartographische Visualisierung vorgenommen. Damit wird die
Empfehlung Schafferts (2011:4-6, 2009:183-187), Geographische Informationssysteme zur Verbesserung der vorausschauenden Planung auch bezüglich des Umgangs mit Gebäudeleerständen
zu verwenden, aufgegriffen. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten, ihrer Veröffentlichung sowie ihrer generellen Nutzung in
Deutschland strenge gesetzliche Auflagen vorherrschen. Dementsprechend können im Zuge dieser Masterarbeit keine gebäudescharfen Ergebnisse veröffentlicht werden. Vielmehr werden alle
Ergebnisse auf eine größere räumliche Einheit abgebildet oder aggregiert, um eine Anonymisierung der Untersuchungsergebnisse und einen Schutz der Persönlichkeitsrechte der Eigentümer,
ihres Eigentums und ihrer Privatsphäre sicherstellen zu können (Streich et al. 2009:67-78; 138).
6 Die aktuelle quantitative und qualitative Dimension des Gebäudeleerstands
im Ländlichen Raum Erftstadts
6.1 Vorgehen zur Erfassung der quantitativen Dimension des Gebäudeleerstands im Ländlichen Raum Erftstadts
In einem ersten Bearbeitungsschritt der Untersuchung wurde ermittelt, wie hoch das aktuelle
Ausmaß der leer stehenden Wohngebäude sowie gewerblichen und landwirtschaftlichen Gebäude im Ländlichen Raum Erftstadts ist. Ebenso wie bislang keine einheitliche Definition des
Leerstandsbegriffs existiert, wurde bislang keine allgemeingültig anerkannte Methode zur Erfassung von Gebäudeleerständen entwickelt (Streich et al. 2009:1). Da in Deutschland darüber hinaus keine vorgeschriebene Meldepflicht für leer stehende Wohneinheiten, „wie sie etwa in der
Schweiz seit 1937 praktiziert wird“, existiert (Von Ramin 2006:38), musste zunächst ein Verfahren zur Erfassung der quantitativen Dimension des Leerstands entwickelt werden. Um einen
Überblick über Ansätze zur Leerstandserfassung, die in anderen Kommunen angewandt wurden,
zu generieren, wurde in einem ersten Schritt eine umfangreiche Recherche einschlägiger Literatur bezüglich der Erfassungsmöglichkeiten von Gebäudeleerständen durchgeführt. Nachdem die
Vielzahl der methodischen Zugänge hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen ausgewertet wurden, wurde deutlich, dass sich die vielversprechendsten Potentiale aus einer Kombination eines
Data-Mining-Verfahrens mit einer Verifizierung der Untersuchungsergebnisse durch eine
Befahrung, Vor-Ort-Begehung und Nachbarschaftsbefragung ergeben. Die Erfordernis für eine
30
Methodenkombination ergibt sich aus dem, wie empirische Studien belegen, hohen „Anteil der
fälschlicherweise identifizierten Leerstände bei sämtlichen Methoden“ (Streich 2011:25).
Hinsichtlich der in das Data-Mining-Verfahren eingehenden statistischen Datensets wurde sich
für eine Triangulation von Melderegisterdaten mit Ver- und Entsorgerdaten, genauer mit Wasserverbrauchsdaten und Abfallentsorgungsdaten, entschieden. Damit die Datensets zur flächendeckenden Erfassung des potentiellen Leerstands genutzt werden konnten, musste sichergestellt
werden, dass die Ver- und Entsorger einerseits in direkter Vertragsbeziehung zu den Endverbrauchern stehen (IfS 2005:17) und andererseits im Besitz aller Zählstellen im gesamten Stadtgebiet sind. Die hier angewandte Datenset-Triangulation ist darauf zurückzuführen, dass im
Rahmen eines Studienprojektes der TU Kaiserslautern zum Thema Gebäudeleerstände mit der
Verschneidung von Melderegisterdaten mit Wasserverbrauchs- oder Abfallentsorgungsdaten die
besten Ergebnisse erzielt wurden. Da im Zuge des Studienprojekts allerdings jeweils lediglich
zwei Datensets miteinander verschnitten wurden, wurde eine hohe Anzahl fälschlicherweise als
Leerstand identifizierter Gebäude ausgegeben (Streich 2011:33). Dementsprechend wurde in
dieser Untersuchung durch die Verschneidung dreier Datensets eine Reduzierung der Fehlerquote angestrebt. Die dafür erforderlichen Daten wurden teils als Rohdaten und teils in komprimierter Form von der Stadt Erftstadt und den Stadtwerken der Stadt Erftstadt zur Verfügung gestellt.
So wurde im Falle der Wasserverbrauchsdaten, die zur Identifikation der Wohngebäudeleerstände genutzt wurden, eine Anfrage an die Stadtwerke Erftstadt gestellt. Im Rahmen dieser wurden
die Wasserverbrauchsdaten verknüpft mit der postalischen Anschrift für das letzte Kalenderjahr
(2012) erbeten. Als entscheidendes Kriterium zur Identifikation potentieller Leerstände auf Basis
der Wasserverbrauchsdaten wurde eine Obergrenze des Wasserverbrauchs angegeben, bis zu der
von einem Leerstand ausgegangen werden kann. Laut Expertenmeinung des Leiters des Fachgebietes der Siedlungswasserwirtschaft an der TU Kaiserslautern, Prof. Dr. Ing. Theo Schmitt
(Spellerberg/ Streich 2011:55), kann „ein Wohnobjekt mit einem jährlichen Verbrauch unter
10m³ als nicht dauerhaft bewohnt angesehen werden“ (Streich et al. 2009:119). Dass sich trotz
des Leerstands prinzipiell ein Wasserverbrauch einstellen kann, ist darauf zurückzuführen, dass
aufgrund von defekten Wasserzählern oder –leitungen sowie aufgrund von Maklerführungen
geringfügige Wassermengen verbraucht werden können. Der vor dem Hintergrund dieser Bedingung komprimierte Datensatz bildete einen der drei statistischen Zugänge zur Ermittlung der
aktuellen quantitativen Dimension des Leerstands, weist jedoch den Nachteil auf, dass er keinerlei Information bezüglich der Bewohnerstruktur der Gebäude enthält (Streich et al. 2009:119).
31
Der zweite statistische Zugang wurde über die Abfallentsorgungsdaten der Stadt Erftstadt hergestellt. Hierzu wurde beim Umwelt- und Planungsamt der Stadt Erftstadt ein Datensatz angefordert, der verknüpft mit der postalischen Anschrift die zum Stichtag des 25.04.2013 abgemeldeten
Abfallbehälter beinhaltete. Anhand dieser Daten konnte ein potentieller Leerstandsverdacht für
die Adressen von Wohnobjekten geschöpft werden, die zum Stichtag keinen Abfallbehälter angemeldet hatten. Die Nutzung von Abfallentsorgungsdaten stellt eine adäquate Möglichkeit zur
Ermittlung des potentiellen Gebäudeleerstands dar, da basierend auf §13 Abs. 1 bis 3 KrW-/
AbfG ein Anschluss- und Benutzungszwang der Abfallentsorgung besteht, der in einer kommunalen Abfallsatzung aufgegriffen wird, und nur durch einen Nachweis über eine ordnungsgemäße und schadlose Eigenverwertung oder -beseitung umgangen werden kann (§9 Abs. 1a LAbfG).
Da der Nachweis allerdings schwer zu erbringen ist, weisen Abfallentsorgungsdaten prinzipiell
eine hohe Eignung zur Ermittlung von potentiellen Leerständen auf (Streich et al. 2009:39).
Den dritten statistischen Datensatz bildeten die Melderegisterdaten. So wurde beim Einwohnermeldeamt ein anonymisierter Datensatz mit allen zum Stichtag des 07.05.2013 in den ländlich
geprägten Ortsteilen gemeldeten Einwohnern, ihrer postalischen Anschrift, der Anzahl der gemeldeten Personen je Anschrift, ihrem Geburtsjahr und Geschlecht angefordert. Diese Daten
waren nicht nur für die Ermittlung des aktuellen quantitativen Ausmaßes des Leerstands erforderlich, sondern bildeten ebenfalls die Grundlage für die Prognose der zukünftigen Leerstände.
Da die Melderegisterdaten als Rohdaten vorlagen und keine direkt abrufbaren Angaben über
Haushalte enthielten, mussten sie zunächst aufbereitet werden. Hierzu stand im Rahmen dieser
Masterarbeit kein spezielles Programm, wie das Haushaltsgenerierungsverfahren HHGen „der
im KOSIS-Verbund zusammengeschlossenen Städte und dem BBR“, zur Verfügung (Streich et
al. 2009:42). Nichtsdestotrotz konnte durch eine manuelle Aufbereitung und eine Subtraktion der
dadurch ermittelten bewohnten Adressen von einer durch die Abteilung Geobasis NRW der Bezirksregierung Köln zur Verfügung gestellten Adressliste aller Gebäude im gesamten Stadtgebiet
Erftstadts vom 10.05.2013 die unbewohnten Gebäude ermittelt werden (Schaffert 2011:5).
In einem nächsten Schritt wurden die unbewohnten Gebäudeadressen allerdings nicht, wie bei
Schaffert (2011:5), von den Adressen der Gewerbeimmobilen abgezogen, um die potentiellen
Wohngebäudeleerstände zu ermitteln. Entsprechend der bislang fehlenden Informationen bezüglich des Ausmaßes des Gebäudeleerstands in den einzelnen Ortsteilen Erftstadts wurde die Erhebung der Gebäudeleerstände von Grund auf ergebnisoffen angelegt. Da im Rahmen der
Masterarbeit eine Vollerhebung aller leer stehender Gebäude im Ländlichen Raum Erftstadts
angestrebt wurde, fand dank der Melderegisterdaten weder nach Gebäudetypen noch hinsichtlich
32
der Leerstandsdauer eine Einschränkung der zu erfassenden Leerstände statt. Vielmehr wurden
innerhalb des Erhebungszeitraums vom 25.04.2013 bis zum 31.05.2013 entsprechend der angestrebten Vollerhebung jegliche situationsbezogenen Leerstände aufgenommen. Dieses Vorgehen
wird dadurch bestätigt, dass laut Uhrhan (2006:119) jegliche Form von Leerstand, sei es ein
Wohngebäudeleerstand, ein Gewerbe- oder sonstiger Leerstand negative Auswirkungen für die
Kommune mit sich bringen kann. Im Rahmen dieser Untersuchung musste lediglich eine Einschränkung vorgenommen werden, die auf die Arbeit mit den statistischen Daten zurückzuführen
ist. Dadurch, dass sich sämtliche statistische Datensets auf die Adresskoordinaten der jeweiligen
Gebäude beziehen, konnten Gebäude ohne eigene Adresskoordinaten, wie Nebengebäude, nicht
berücksichtigt werden. Da also die Leerstände in Nebengebäuden, welche von Streich et al.
(2009:23) als „verdeckter Leerstand“ bezeichnet werden, im Rahmen dieser Untersuchung keine
Berücksichtigung finden konnten, ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Anzahl aller leer
stehender Gebäude im Ländlichen Raum Erftstadts durchaus ein höheres Ausmaß annehmen
kann als das im Zuge dieser Untersuchung ermittelte.
Infolge der Auswertung der statistischen Datensets fand eine Verschneidung der ermittelten Adressen potentieller Leerstände untereinander statt. Durch diese Vorgehensweise war eine Hierarchisierung der Leerstandsverdachtsfälle möglich. Als Ergebnis wurde eine Kategorie mit
Adressen potentieller Leerstände erzeugt, die lediglich in einem Datenset vorkam, eine Kategorie
mit Adressen, die jeweils in zwei Datensets auftauchte, und eine Kategorie mit potentiellen
Leerstandsadressen, die in allen drei Datensets vorlagen. Im Anschluss an die Hierarchisierung
der Leerstandsverdachtsfälle wurde eine Befahrung der potentiellen Leerstände durchgeführt.
Die Notwendigkeit hierfür ergab sich aus der enormen Menge an Leerstandsverdachtsfällen, die
durch das statistische Verfahren generiert wurden, und diente einer groben augenscheinlichen
Verifizierung der ermittelten Leerstandsverdachtsfälle. Nachdem die Anzahl der potentiellen
Leerstände auf diese Weise deutlich reduziert wurde, wurden auf der Basis der erhärteten
Leerstandsverdachtsfälle Leerstandsquoten für die einzelnen Ortsteile gebildet. Diese bildeten
die Entscheidungsgrundlage für die Auswahl von fünf Fokusortsteilen, für die die Untersuchung
vertieft werden sollte. An diesem entscheidenden Schritt der Untersuchung fand eine Abstimmung mit dem Umwelt- und Planungsamt statt, bei der das Einverständnis für die detaillierte
Untersuchung der fünf identifizierten Fokusortsteile eingeholt wurde.
Im Anschluss wurden innerhalb der Fokusortsteile mehrere Begehungen durchgeführt. Im Zuge
dieser fand eine Verifizierung der erhärteten Leerstandsverdachtsfälle durch detaillierte Inspizierung der Gebäude hinsichtlich augenscheinlicher Leerstandsindikatoren, wie einem fehlenden
33
Namen am Klingelschild, einem zugeklebten Briefkasten, dem Fehlen von Gardinen und Blumen
am Fenster sowie einem zugewucherten und ungepflegten Eindruck des Grundstücks, statt
(Streich et al. 2009:46). In Zweifelsfällen wurde bei den erhärteten Leerstandsverdachtsfällen zur
Kontrolle geklingelt. Darüber hinaus wurde eine Nachbarschaftsbefragung durchgeführt, die sich
trotz vereinzelter Vorbehalte der Anwohner als äußerst aufschlussreich erwiesen hat. Auch wenn
dieser Teilschritt der Untersuchung mit einem großen Aufwand verbunden war, war er doch unumgänglich um die Exaktheit der Untersuchungsergebnisse gewährleisten zu können.
6.2 Vorgehen zur Ermittlung der qualitativen Dimension des Gebäudeleerstands in den
Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Zwar stellt die Erfassung der quantitativen Dimension des Gebäudeleerstands eine wichtige
Grundlage dar, um einschätzen zu können, inwieweit das Phänomen des Gebäudeleerstands bereits im Ländlichen Raum Erftstadts Einzug erhalten hat und ob die gegenwärtige Leerstandssituation der auf dem 15. Essener Dorfsymposium postulierten, in einer Vielzahl von Dörfern
festzustellenden „zweite[n] Welle des Gebäudeleerstandes“ entspricht (Henkel 2006:2). Allerdings stellt die quantitative Dimension des Gebäudeleerstands aus stadtentwicklungspolitscher
Perspektive keine ausreichende Grundlage dar, um adäquate strategische Handlungsempfehlungen für einen aktiven Umgang mit den Gebäudeleerständen zu entwickeln. Hierfür sind weitere
qualitative Merkmale der Leerstände erforderlich, auf Basis derer eine fundierte Typisierung der
Gebäudeleerstände vorgenommen und situationsspezifische Handlungsempfehlungen erarbeitet
werden können. Dazu gehören neben einer Vielzahl weiterer Merkmale unter anderem:
der Gebäudetyp,
die Leerstandsdauer,
der baulich-technische Zustand,
das Baujahr des Gebäudes,
die Lage des Gebäudes,
die Baugebietsbezeichnung gemäß §1 Abs. 2 BauNVO,
der ortsbildprägende Charakter des Gebäudes,
die negativen und positiven Auswirkungen durch das Umfeld,
die Eigentümerstruktur
Erst auf Basis derartiger Informationen ist eine Zuordnung zu den in Kapitel 4.1 vorgestellten
Leerstandstypen und eine fundierte Einschätzung der Entwicklungspotentiale möglich. Hierzu
wurde eine Unterteilung in qualitative gebäudebezogene und qualitative lagebezogene Merkmale
34
vorgenommen. Da sich derartige qualitative Merkmale nicht lediglich über einen Zugang beziehen lassen, wurde im Rahmen dieser Untersuchung eine diversifizierte Bezugsstrategie verfolgt.
So wurde eine Vielzahl sowohl der gebäudebezogenen als auch der lagebezogenen qualitativen
Merkmale, die optisch erkennbar waren, wie bspw. der ortsbildprägende Charakter des Gebäudes
oder die Lagequalitäten des näheren Umfelds, im Zuge der Vor-Orts-Begehungen zur Verifizierung der erhärteten Leerstandsverdachtsfälle mittels eines vorab erstellten Erhebungsbogens, der
dem Anhang beigefügt ist, aufgenommen. Im Zuge dessen konnten gepaart mit einer anschließenden Luftbildanalyse alle lagebezogenen qualitativen Merkmale ermittelt werden.
Bezüglich der optisch nicht identifizierbaren, vor allem gebäudebezogenen qualitativen Merkmale gestaltete sich der Bezug der erforderlichen Informationen deutlich schwieriger. Da die Stadt
Erftstadt in ihrer heutigen Form erst durch die Gebietsreform 1969 entstanden ist (BBE 2011:1516), sind die Rechtspläne, aus denen das jeweilige Baualter der Gebäude hervorgeht, erst ab
1969 digital erfasst. Da es sich bei den zur Zeit der Erhebung erfassten leer stehenden Gebäuden
allerdings vorwiegend um vor 1969 erbaute Gebäude handelt, konnten die gebäudebezogenen
qualitativen Merkmale nicht aus den digitalen Rechtsplänen der Stadt Erftstadt entnommen werden. Daher wurde zunächst versucht die entsprechenden gebäudebezogenen qualitativen Merkmale via Akteneinsicht beim Bauordnungsamt der Stadt Erftstadt zu ermitteln. Allerdings lagen
auch hier nur zu wenigen Gebäuden entsprechende Akten vor. Darüber hinaus gestaltete sich der
Zugang zu den Akten als äußerst langwierig, sodass dieser Ansatz aufgrund des beschränkten
Zeitrahmens für die Bearbeitung der Masterarbeit bereits nach kurzer Zeit aufgegeben wurde.
Demgegenüber gestaltete sich die Nachbarschaftsbefragung im Zuge der Vor-Orts-Begehungen
als voller Erfolg. Über die Nachbarn konnte vielfach bereits eine ungefähre Leerstandsdauer sowie die Eigentümer der Gebäude in Erfahrung gebracht werden. Darüber hinaus entpuppte sich
der promovierte Stadt-, Landes- sowie Kunsthistoriker und Archivar der Stadt Erftstadt als Experte für die Orts- und Heimatforschung in Erftstadt. Im Zuge zweier Interviews wurde sein Expertenwissen durch die Impulsgabe von Fotos der identifizierten Gebäudeleerstände mobilisiert,
um weitere gebäudebezogene qualitative Merkmale aufnehmen zu können. Anhand der Gesprächsnotiz 1 (GN 1) wird deutlich, dass er in vielen Fällen nicht nur zum Baujahr der Gebäude,
sondern ebenfalls zum baulich-technischen Zustand, zum Gebäudetyp sowie der individuellen
Qualität und dem ungefähren monetären Wert des Gebäudes Auskunft geben konnte. Weiterhin
konnten durch seine Ortskenntnisse vier weitere Gebäudeleerstände in Bliesheim identifiziert
werden, die höchstwahrscheinlich aufgrund des erst kürzlich eingetretenen Leerstandszustands
durch das Erhebungsraster des Data-Mining-Verfahrens nicht als Leerstände erfasst werden
35
konnten. „Da das Wissen [des] Experten [allerdings] nicht flächendeckend und parzellenschaft
vorhanden ist“, stellt dieser methodische Zugang ähnlich wie die Vor-Orts-Begehung laut
Streich et al. (2009:121) keine „eigenständige Erfassungsmethode“ dar. Demnach wurde sie im
Rahmen
dieser
Untersuchung
bewusst
lediglich
zur
Ergänzung
der
quantitativen
Leerstandsdimension um qualitative gebäudebezogene Merkmale angewandt.
Als weiterer zielführender Zugang zu gebäudebezogenen qualitativen Merkmalen erwies sich die
Eigentümerbefragung. Auch wenn sie primär zur Untersuchung der individuellen eigentümerspezifischen Ursachen des Gebäudeleerstands durchgeführt wurde, wurden dennoch Fragen bezüglich der qualitativen gebäudebezogenen Merkmale in die Befragung eingebunden. Auf diese
Weise konnte vielfach nicht nur das genaue Baualter und die exakte Leerstandsdauer der Gebäude ermittelt, sondern auch die Eigentumsverhältnisse der Gebäude verifiziert werden.
Durch die Verknüpfung der Ergebnisse der unterschiedlichen Zugänge konnte auf diese Weise
eine Vielzahl an Informationen bezüglich der qualitativen gebäudebezogenen Merkmale der leer
stehenden Gebäude eingeholt werden, was einerseits eine fundierte Typisierung der Gebäudeleerstände ermöglichte und andererseits die Erarbeitung situationsspezifischer Handlungsempfehlungen für die Fokusortsteile begünstigte.
6.3 Untersuchungsergebnisse: Die aktuelle quantitative und qualitative Dimension des Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Infolge des Data-Mining-Verfahrens konnten insgesamt 885 Adressen als potentielle Leerstände
im Ländlichen Raum Erftstadts ausgewiesen werden. Wie in Kapitel 6.1 beschrieben, fand eine
Verschneidung der identifizierten Adressen gemäß ihrer statistischen Datensets statt. Dadurch
konnten für die erste Kategorie 759 Adressen potentieller Leerstände extrahiert werden, die eine
äußerst niedrige Wahrscheinlichkeit für tatsächliche Leerstände aufwiesen, da sie lediglich in
einem statistischen Datenset vertreten waren und keinerlei Überschneidungen aufwiesen. Demgegenüber konnte davon ausgegangen werden, dass die 114 Adressen potentieller Leerstände,
die in zwei statistischen Datensets auftraten und damit der zweiten Kategorie zuzurechnen waren, eine höhere Wahrscheinlichkeit für das Zutreffen eines tatsächlichen Leerstands aufwiesen.
Im Gegensatz dazu konnte bei den zwölf Adressen, die in allen drei statistischen Datensets ausgewiesen wurden und damit der dritten Kategorie zuzuordnen waren, eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen tatsächlichen Leerstand erwartet werden.
36
Nachdem im Anschluss an das Data-Mining-Verfahren die Befahrung der identifizierten potentiellen Leerstände im Sinne einer ersten augenscheinlichen Verifizierung durchgeführt wurde,
reduzierte sich die Anzahl der potentiellen Leerstände von 885 auf 138 Adressen mit einem erhärteten Leerstandsverdacht. Wie in Tabelle 3 deutlich wird, wurden auf Basis dieser erhärteten
Leerstandsverdachtsfälle die ersten Leerstandsquoten gebildet. Diese zeichneten sich in allen
Ortsteilen durch ein äußerst niedriges Niveau aus. Dementsprechend lag bereits zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung ein Indikator dafür vor, dass die Brisanz der Leerstandsthematik gemäß
ihrer quantitativen Dimension von der Stadt Erftstadt überschätzt wurde.
Tab.3: Ermittlung der Fokusortsteile. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: Eigene Erhebungen. Gebäudeanzahl: Abteilung Geobasis NRW der Bezirksregierung Köln.
In einer Abstimmung mit dem Umwelt- und Planungsamt der Stadt Erftstadt wurde sich auf eine
Fokussierung der Untersuchung für die Ortsteile mit den fünf höchsten Leerstandsquoten, also
die größeren ländlichen Siedlungen Friesheim, Erp und Bliesheim sowie die kleineren Dörfer
Borr und Herrig, verständigt. Dies ermöglichte einen Vergleich der Ausbreitung des Leerstands
zwischen zwei unterschiedlichen Siedlungsgrößenklassen. Da sich im Falle von Borr/ Scheuren
alle Gebäude mit einem erhärteten Leerstandsverdacht in Borr befanden, wurde Scheuren aus der
Betrachtung ausgeschlossen. Sowohl Herrig als auch Bliesheim befinden sich lediglich etwa
zwei Kilometer von den Siedlungsschwerpunkten Lechenich oder Liblar entfernt, sodass die
mittelzentralen Infrastrukturangebote mit dem Pkw in relativ kurzer Zeit erreicht werden können.
Hiervon profitiert insbesondere Bliesheim, da eine gute Erreichbarkeit des Bahnhofs sowie des
Einkaufszentrums in Liblar vorliegt. Demgegenüber zeichnen sich Friesheim, Erp und Borr
37
durch eine peripherere Lage aus. Bezogen auf die eigene funktionale und infrastrukturelle Ausstattung ist jedoch festzuhalten, dass diese nicht von der Distanz zu den Siedlungsschwerpunkten
abhängig ist, sondern eng mit der Einwohneranzahl verknüpft ist. Dementsprechend existieren in
Friesheim, Erp und Bliesheim eingeschränkte Angebote zur Nahversorgung, wohingegen Borr
und Herrig über keinerlei nahversorgungsrelevante Angebote verfügen.
Nachdem in den Fokusortsteilen mit Nachbarschaftsbefragungen verbundene Vor-Orts Begehungen durchgeführt wurden, reduzierte sich die Anzahl der erhärteten Leerstandsverdachtsfälle
von 77 auf 70 tatsächliche Gebäudeleerstände. Bevor im Folgenden die Ergebnisse der quantitativen Leerstandsdimension je Fokusortsteil vorgestellt werden, bleibt zu klären, warum von der
hohen Anzahl der potentiellen Leerstände hin zu den erhärteten Leerstandsverdachtsfällen in den
ländlichen Ortsteilen Erftstadts und den tatsächlichen Leerständen in den Fokusortsteilen eine
derart drastische Reduktion der Adressen stattgefunden hat. Diesbezüglich wurde die Qualität
der durch die Auswertung der Datensets erzeugten Leerstandskategorien, wie in Tabelle 4 erkennbar, anhand ihrer Fehlerquoten analysiert. Während die Fehlerquote der ersten Kategorie, in
der die identifizierten Adressen durch alle drei statistischen Datensets ausgewiesen wurden, mit
90% äußerst hoch war, verringerte sie sich zur dritten Kategorie, die lediglich durch alle drei
statistische Datensets ausgegebene Adressen beinhaltete, signifikant. Anhand dessen wird deutlich, dass für eine möglichst genaue Ermittlung der potentiellen Leerstände die Verwendung
mehrerer statistischer Datensets unabdingbar ist. Obwohl im Falle dieser Untersuchung eine Erhöhung der Ergebnisqualität durch die Verschneidung dreier Datensets gegenüber der im Zuge
des Studienprojektes der TU Kaiserslautern angewandten Verschneidung zweier Datensets angestrebt wurde, konnte keine beachtenswert niedrige Fehlerquote erzeugt werden.
Tab.4: Fehlerquoten bei der Identifizierung der tatsächlichen Gebäudeleerstände in den Fokusortsteilen und den
Gebäuden mit einem erhärteten Leerstandsverdacht in den übrigen ländlich geprägten Ortsteilen. Quelle: Eigene
Darstellung. Datenquelle: Eigene Erhebungen.
Dementsprechend ist die Ermittlung der Gebäudeleerstände auf der Basis einer Auswertung
mehrerer statistischer Datensets zwar sinnvoll, um ein großes Untersuchungsgebiet erstmals zu
38
betrachten, allerdings müssen die Untersuchungsergebnisse aufgrund der hohen Fehlerquote
durch eine Befahrung oder Begehung verifiziert werden, da ansonsten keine verlässlichen Aussagen bezüglich der quantitativen Leerstandsdimension getroffen werden können. Die Gründe
für die hohe Anzahl der fälschlicherweise als Leerstand identifizierten Gebäude sind vielfältig.
Jeder der drei statistischen Datensets wies spezifische Eigenschaften auf, die zu der niedrigen
Ergebnisqualität der als potentielle Leerstände ausgewiesenen Adressen beigetragen haben.
So befanden sich unter den über die Auswertung des statistischen Datensets der abgemeldeten
Abfallbehälter generierten Adressen auch solche, die sich den Abfallbehälter mit den Nachbarn
teilten und daher fälschlicherweise als potentieller Leerstand erfasst wurden. Darüber hinaus
wurden lediglich von einzelnen Personen bewohnte Gebäude mit einem die Wasserverbrauchsgrenze als Leerstandsindikator unterschreitendem Wasserverbrauch weitere fehlerhafte potentielle Leerstände ermittelt. Desweiteren wurden durch das Wasserverbrauchsdatenset ebenfalls noch
nicht bezogene Neubauten ausgegeben, da diese zwar bereits mit einem Wasserzähler ausgestattet waren, im unbewohnten Zustand allerdings die Wasserverbrauchsgrenze als Leerstandsindikator unterschritten. Obwohl diese Gebäude zum Zeitpunkt der Untersuchung leer standen,
wurden sie aufgrund des anstehenden Bezugs nicht als tatsächliche Leerstände aufgenommen.
Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Vielzahl weiterer fehlerhafter potentieller Leerstände über die Subtraktion der aufbereiteten Melderegisterdaten von der durch die Bezirksregierung
Köln zur Verfügung gestellten Adressliste aller Gebäude des Stadtgebiets Erftstadts ermittelt
wurde. So wurden einerseits in der Gebäudeadressliste Neubauten sowie bereits vergebene
Grundstücke in Neubaugebieten geführt. Da unter diesen Adressen allerdings noch keine Personen im Melderegister gemeldet waren, wurden diese fälschlicherweise als potentielle Leerstände
ausgegeben. Andererseits wurde durch die Subtraktion der aufbereiteten Melderegisterdaten von
der Gebäudeadressliste eine Vielzahl an genutzten Gewerbeimmobilien fälschlicherweise als
potentieller Leerstand ausgewiesen, da im Anschluss an die Subtraktion nicht noch die Gewerbeimmobilien von den generierten unbewohnten Gebäuden abgezogen wurden. Da bereits zu Beginn der Untersuchung Klarheit darüber bestand, dass die identifizierten potentiellen Leerstände
durch eine Befahrung und Begehung verifiziert werden müssten, wurde der Nebeneffekt dieser
Methode billigend in Kauf genommen, um so auch unter den Gewerbeimmobilien tatsächliche
Leerstände aufdecken zu können.
Wie in Tabelle 5 erkennbar, pendelte die Anzahl der tatsächlichen Gebäudeleerstände zum Zeitpunkt der Untersuchung in den größeren ländlich geprägten Fokusortsteilen zwischen 21 und 22,
was einer tatsächlichen Leerstandsquote von 1,98% (Bliesheim), 2,12% (Friesheim) und 2,39%
39
(Erp) entspricht. Demgegenüber wiesen die kleineren Dörfer Borr und Herrig lediglich zwei und
drei tatsächliche Gebäudeleerstände und damit tatsächliche Leerstandsquoten in Höhe von 1,44%
(Borr) und 1,74% (Herrig) auf. Der Anstieg zu 22 tatsächlichen Leerständen in Bliesheim ist wie
bereits in Kapitel 6.2 angemerkt auf einen Hinweis des Archivars der Stadt Erftstadt zu erklären.
Tab.5: Tatsächliche Anzahl der Gebäudeleerstände und Leerstandsquoten in den Fokusortsteilen. Quelle: Eigene
Darstellung. Datengrundlage: Eigene Erhebungen. Gebäudezahl: Abteilung Geobasis NRW Bezirksregierung Köln.
Dementsprechend ist an dieser Stelle festzuhalten, dass das Thema der Gebäudeleerstände im
Ländlichen Raum Erftstadts zur Zeit der Untersuchung in seiner quantitativen Dimension erst in
Ansätzen vor Ort nachvollziehbar war. Die ermittelten tatsächlichen Leerstandsqouoten von
1,4% bis 2,4% des Bestandes je Fokusortsteil stellen keinen akuten Problemdruck ausgehend
von der bloßen quantitativen Dimension des Gebäudeleerstands dar. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass ein gewisses Maß an Leerstand im Immobilienbestand, insbesondere im Wohnimmobilienbestand, sogar wohnungspolitisch erwünscht ist und für das Funktionieren des Marktes
erforderlich ist (Schmied 2007:2). Insgesamt entspricht die tatsächliche Leerstandsquote der Fokusortsteile damit der für den Immobilienmarkt notwendigen Fluktuationsreserve von 2% bis 3%
(Streich et al. 2009:1) bzw. von 0,5% bis 5% (Streich 2011:30).
Nichtsdestotrotz muss berücksichtig werden, dass die im Rahmen dieser Untersuchung erfasste
quantitative Dimension des Gebäudeleerstands auf der Grundlage des statistischen Zugangs zwar
die Leerstandssituation sowohl von Wohn- als auch von gewerblichen und sonstigen Hauptgebäuden abdeckt, das Phänomen des Gebäudeleerstands allerdings nicht in seiner gesamten Breite
aufgenommen werden konnte. So ist davon auszugehen, dass als Konsequenz des landwirtschaftlichen Strukturwandels weiterhin insbesondere landwirtschaftliche Nebengebäude als „verdeckte“ Leerstände zum Zeitpunkt der Untersuchung ungenutzt waren (Streich et al. 2009:23). Diese
konnten allerdings, wie bereits in Kapitel 6.1 erläutert, aufgrund fehlender eigener Adresskoordinaten im Rahmen dieser Untersuchung keine Berücksichtigung finden. Darüber hinaus ist
ebenfalls anzumerken, dass weder die nicht mehr ihrem eigentlichen Sinn entsprechend genutzten Flächen, welche auch als „Pseudonutzungen“ bezeichnet werden (Streich et al. 2009:23),
40
noch unternutzte Flächen von Gebäuden aus forschungspragmatischen Gründen in die Untersuchung mit aufgenommen werden konnten. So ist davon auszugehen, dass in einer Vielzahl von
Einfamilienhäusern oder Wohngebäuden landwirtschaftlicher Immobilien als Folge von Haushaltsausgründungen und Abwanderung aufgrund fehlender Arbeitsplatzangebote lediglich ein bis
zwei ältere Personen leben und mehrere Räume minder– oder vollständig nicht genutzt werden
(Linke/ Köhler 2010:103). In der Konsequenz erscheint eine höhere Anzahl nicht oder minder
genutzter Gebäude und Gebäudebestandteile in den Fokusortsteilen durchaus realistisch. Auch
wenn im Rahmen dieser Untersuchung die unternutzten Gebäude nicht mit in die Betrachtung
eingeschlossen werden konnten, vermittelt die in Kapitel 7.2 identifizierte Anzahl der Gebäude,
in denen zum Untersuchungszeitpunkt ausschließlich Personen über 65 Jahren lebten, einen Eindruck davon, wie hoch der Anteil der unternutzten Gebäude in den Fokusortsteilen sein könnte.
Bevor ortsteilspezifisch auf die qualitative Dimension des Gebäudeleerstands eingegangen wird,
wird zunächst ein Überblick über die qualitative Dimension des Gebäudeleerstands in allen Fokusortsteilen im Allgemeinen gegeben. Differenziert man die von einem Leerstand betroffenen
Gebäude hinsichtlich des Gebäudetyps, wird deutlich, dass mit 44 von 70 Leerständen in den
Fokusortsteilen vor allem der für Ländliche Räume charakteristische Gebäudetyp der Einfamilienhäuser leer steht (Schmied 2007:15). Mit weiteren 14 tatsächlichen Gebäudeleerständen bilden
landwirtschaftliche Immobilien sowie Wohngebäude landwirtschaftlicher Immobilien den zweitbedeutendsten Gebäudetyp. Wie in Abbildung 10 dargestellt, setzen sich die restlichen leer stehenden
Gebäude
aus
Zweifamilienhäusern/Doppelhaushälften
(4),
Reihenhäusern
(2),
Gastwirtschaften (3), Wohn-+Geschäftshäusern (2) und einem Geschäftshaus/ Laden zusammen.
Zweifamilienhäuser
/Doppelhaushälften
6%
Reihenhäuser
3%
Geschäftshäuser
1%
Wohn-+
Geschäftshäuser
3%
landwirtschaftliche
Immobilien
10%
Einfamilienhäuser
63%
Andere
24%
Wohngebäude
landwirtschaftlicher
Immobilien
10%
Gastwirtschaften
4%
Abb.10: Verteilung der Leerstände über die Gebäudetypen in den Fokusortsteilen. Quelle: Eigene Darstellung.
41
Insgesamt zeichnen sich die leer stehenden Gebäude durch ein überwiegend hohes Alter aus.
Während der Anteil der bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erbauten Gebäude unter den Geschäftshäusern, Wohn-+Geschäftshäusern, landwirtschaftlichen Immobilien, Wohngebäuden
landwirtschaftlicher Immobilien sowie Gastwirtschaften 70% annimmt, ist der Anteil der Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser/Doppelhaushälften und Reihenhäusern dieser Baualtersklassen deutlich niedriger. Nichtsdestotrotz ist der Anteil der historischen Bausubstanz unter
derartigen reinen Wohngebäuden, wie in Abbildung 11 gezeigt, mit über 50% erstaunlich hoch.
keine
Angabe
5%
Baualters
-klasse
bis 1969
25%
Baualters
-klasse
bis 1945
10%
Baualters
-klasse
bis 1918
60%
Baualters
-klasse ab
keine
1990
Angabe
2%
10%
Baualters
-klasse
bis 1989
12%
Baualters
-klasse
bis 1969
24%
Andere Gebäudetypen n=20
Reine Wohngebäude n=50
Baualters
-klasse
bis 1918
42%
Baualters
-klasse
bis 1945
10%
Abb.11: Baualtersklassen der leer stehenden Gebäude in den Fokusortsteilen differenziert nach Gebäudetyp. Quelle:
Eigene Darstellung.
Da der Anspruch dieser Masterarbeit in mehr als einer bloßen Bestandsaufnahme besteht und
strategische Handlungsempfehlungen für einen aktiven Umgang mit den Gebäudeleerständen
entwickelt werden, gilt es den Bestand hinsichtlich seiner Potentiale für eine Wieder- oder Umnutzung einzuschätzen. Umso bedeutender erscheint demnach der baulich-technische Zustand
der Gebäude, insbesondere vor dem Hintergrund eines derart hohen Anteils historischer Bausubstanz, die bei insgesamt 33 leer stehenden Gebäuden sogar von vor 1918 stammt. Wie aus Abbildung 12 hervorgeht, unterscheidet sich der baulich-technische Zustand der leer stehenden
Gebäude deutlich zwischen den unterschiedlichen Gebäudetypen. Während unter den Geschäftshäusern/Läden, Wohn-+Geschäftshäusern, landwirtschaftlichen Immobilien, Wohngebäuden
landwirtschaftlicher Immobilien sowie Gastwirtschaften 70% der Gebäude als unsaniert oder
baufällig/marktabgängig einzustufen sind, weisen die reinen Wohngebäude, also Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser/Doppelhaushälften und Reihenhäuser, trotz eines ebenfalls hohen
Anteils unsanierter Gebäude einen insgesamt deutlich besseren baulich-technischen Zustand auf.
42
baufällig/
abgängig
2%
teilsaniert
20%
baufällig/
abgängig
30%
Neubau
2%
teilsaniert
28%
unsaniert
36%
in Sanierung
10%
vollsaniert
4%
in Sanierung
28%
unsaniert
40%
Andere Gebäudetypen n=20
Reine Wohngebäude n=50
Abb.12: Baulich-technischer Zustand der Gebäudeleerstände in den Fokusorten differenziert nach Gebäudetyp.
Quelle: Eigene Darstellung.
Als weiteres zentrales qualitatives Merkmal der Gebäudeleerstände wurde ebenfalls die Dauer
des Leerstands erhoben. Dadurch konnte festgestellt werden, dass im Falle der Geschäftshäuser/
Läden, Wohn-+Geschäftshäuser, landwirtschaftlichen Immobilien, Wohngebäude landwirtschaftlicher Immobilien sowie Gastwirtschaften mit zehn Gebäuden exakt die Hälfte seit mindestens fünf Jahren leer steht und diese insgesamt eine sehr hohe Leerstandsdauer aufweisen.
Demgegenüber zeichnen sich die reinen Wohngebäude, wie in Abbildung 13 erkennbar, durch
eine deutlich differenziertere Leerstandsdauer aus. Nahezu ein Drittel dieser Gebäude stand zum
Zeitpunkt der Untersuchung bereits zwischen mehr als sechs Monaten und 3 Jahren leer.
<3
Monate
5%
3-6
Monate
5%
>10 Jahre
25%
>5 Jahre 10 Jahre
25%
unbekannt
18%
>6
Monate 3 Jahre
15%
> 10
Jahre
12%
> 3 Jahre
- 5 Jahre
25%
> 5 Jahre10 Jahre
14%
Andere Gebäudetypen n=20
Reine Wohngebäude n=50
<3
Monate
6%
3-6
Monate
12%
>6
Monate3 Jahre
30%
> 3 Jahre5 Jahre
8%
Abb.13: Dauer des Leerstands der Gebäude in den Fokusorten differenziert nach Gebäudetyp. Quelle: Eigene Darstellung.
Würde man an dieser Stelle eine Differenzierung der Leerstandstypen basierend auf der bloßen
Leerstandsdauer vornehmen, würden 71% aller tatsächlichen Leerstände als strukturelle Leer43
stände ausgewiesen werden. Da sich unter diesen Leerständen allerdings ein nicht zu vernachlässigender Teil zum Untersuchungszeitpunkt in Sanierung befand, erscheint eine auf dem baulichtechnischen Zustand sowie der Leerstandsdauer basierende Leerstandstypisierung sinnvoller.
Dementsprechend korrigiert sich der Anteil der strukturellen Leerstände insgesamt auf 61% (43).
Demgegenüber sind 24% (17) der identifizierten Leerstände als funktionale Leerstände und 6%
(4) als fluktuative Leerstände einzustufen, während bei 9% (6) keine eindeutige Typisierung
möglich war. Wie aus Abbildung 14 hervorgeht, sind die leer stehenden Geschäftshäuser/ Läden,
Wohn-+Geschäftshäuser, landwirtschaftlichen Immobilien, Wohngebäude landwirtschaftlicher
Immobilien sowie Gastwirtschaften nahezu ausschließlich dem strukturellen Leerstandstyp zuzuordnen, wohingegen unter den reinen Wohngebäuden trotz eines ebenfalls hohen Anteils
struktureller Leerstände mehr Bewegung auf dem Immobilienmarkt erkennbar ist.
fluktuativer
Leerstand
8%
funktionaler
Leerstand
10%
keine
Angabe
12%
funktionaler
Leerstand
30%
struktureller
Leerstand
90%
Andere Gebäudetypen n=20
struktureller
Leerstand
50%
Reine Wohngebäude n=50
Abb.14: Leerstandstypen gemäß Dauer und baulich-technischem Zustand der Gebäudeleerstände in den Fokusortsteilen differenziert nach Gebäudetyp. Quelle: Eigene Darstellung.
Demnach lässt sich festhalten, dass die Mehrheit der in den Fokusorten Erftstadts identifizierten
Gebäudeleerstände alte Gebäude in den historischen Ortskernen betreffen, die sich oftmals in
einem sanierungsbedürftigen Zustand befinden. Da sie in 43% der Leerstandsfälle einen ortsbildprägenden Charakter aufweisen, ist vielfach ein Teil des identitätsstiftenden Bestands betroffen. Die Dauer des Leerstands beträgt bei nahezu Dreiviertel der identifizierten Gebäude mehr
als 6 Monate, wobei der Großteil bereits mehrere Jahre leer steht. Insgesamt sind die Mehrzahl
der in Bliesheim, Friesheim, Erp, Borr und Herrig aufgedeckten Leerstände damit dem stadtentwicklungspolitisch relevantesten Leerstandstyp, dem der strukturellen Leerstände, zuzuordnen.
Im Folgenden wird die Darstellung des Untersuchungsergebnisses der quantitativen und qualitativen Dimension des Gebäudeleerstands durch einen knappen Vergleich zwischen den einzelnen
44
Fokusorten abgerundet. Dabei wird sich im Wesentlichen auf die in Tabelle 6 ortsteilspezifisch
zusammengestellten Untersuchungsergebnisse gestützt. Aufgrund der marginalen Anzahl an tatsächlichen Gebäudeleerständen in Borr und Herrig wird aus datenschutzrechtlichen Gründen in
diesen beiden kleineren Fokusortsteilen auf eine ortsteilspezifische Analyse verzichtet.
Betrachtet man ausschließlich die bloße quantitative Dimension der Gebäudeleerstände in den
drei hinsichtlich der Größe ihrer Siedlungskörper vergleichbaren größeren ländlich geprägten
Fokusortsteilen könnte der Eindruck entstehen die Leerstandssituation in Bliesheim (22 Gebäudeleerstände) Erp (21 Gebäudeleerstände) und Friesheim (22 Gebäudeleerstände) gestaltete sich
zum Untersuchungszeitpunkt ähnlich. Zieht man allerdings die qualitative Dimension des Gebäudeleerstands hinzu, wird deutlich, dass die Leerstandssituation in den drei Fokusortsteilen
durch erhebliche Unterschiede charakterisiert war. Während bspw. in Bliesheim nahezu ausschließlich Einfamilienhäuser von einem Leerstand betroffen waren, verteilte sich der Gebäudeleerstand in Friesheim deutlich mehr auf unterschiedliche Gebäudetypen. Demgegenüber
bestanden in Erp nahezu die Hälfte aller leer stehenden Gebäude aus landwirtschaftlichen Immobilien sowie ehemaligen Wohngebäuden landwirtschaftlicher Immobilien, wodurch sich insbesondere in Erp Leerstände von landwirtschaftlichen Gebäuden als sichtbare Auswirkungen des
landwirtschaftlichen Strukturwandels erkennen ließen. Auch wenn man dementsprechend annehmen könnte, dass sich die historische Bausubstanz unter den Leerständen insbesondere auf
Erp konzentrieren würde, wiesen die leer stehenden Einfamilienhäuser in Bliesheim einen vergleichbar hohen Anteil historischer Bausubstanz auf. Demgegenüber stellte sich die Bausubstanz
der Gebäudeleerstände in Friesheim aufgrund eines über 40%igen Anteils der Leerstände an der
Baualtersklasse der 1950er und 1960er Jahre verglichen mit Bliesheim und Erp jung dar.
45
Tab.6: Ortsteilspezifische Zusammenschau wesentlicher Untersuchungsergebnisse. Quelle: Eigene Darstellung.
Anhand der Abbildungen 15 bis 17 wird deutlich, dass bedingt durch die geringe Anzahl leer
stehender Gebäude lediglich in seltenen Fällen Ansammlungen von Gebäudeleerständen vorlagen. So bildeten Leerstandskumulationen lediglich in einem Fall im historischen Ortskern Friesheims und in einem anderen Fall im historischen Ortskern Bliesheims die Ausnahme. Lediglich
in seltenen Fällen traten Leerstände vermehrt entlang einzelner Straßenzüge innerhalb der historischen Ortskerne auf. Nichtsdestotrotz lässt sich festhalten, dass sich die identifizierten Gebäudeleerstände insgesamt deutlich auf die historischen Ortskerne konzentrierten. Diese lassen sich
laut Linke/ Köhler (2010:105) als die Siedlungsbereiche abgrenzen, die bereits vor 1918 Bestand
hatten. Im Falle dieser Untersuchung wurden sie aufgrund des von der Stadt Erftstadt zur Verfügung gestellten historischen Kartenmaterials im Gegensatz dazu enger als die bereits 1895 existierenden Siedlungsbereiche bemessen. Ergänzend sei an dieser Stelle angemerkt, dass der
innerhalb dieses historischen Siedlungsbereichs befindliche Gebäudebestand in den Fokusortstei46
len im Zuge des Zweiten Weltkriegs insbesondere in Erp in weiten Teilen zerstört wurde
(Erftstadt 2013d:Zeittafel zur Geschichte Erftstadts). Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass
die Punkte zur Visualisierung der Leerstände aus datenschutzrechtlichen Gründen bewusst in
einer überdimensionierten Größe dargestellt wurden, um eine gebäudebezogene Zuordnung der
Leerstände durch die Allgemeinheit zu verhindern. Anhand der in den Abbildungen 15 bis 17
dargestellten Siedlungsgenesen der größeren Fokusortsteile wird deutlich, dass sich in Erp über
85% der Leerstände im historischen Ortskern befanden, wohingegen der Anteil in Bliesheim mit
63% und Friesheim mit 50% entsprechend geringer ausfiel. Damit entfiel trotz der allgemeinen
Konzentration der Leerstände auf die historischen Ortskerne in Friesheim die Hälfte der Leerstände in Ortsteil- und Ortsrandlagen, wobei eine Konzentration auf die „Siedlung“ (Interview
3:101-115), ein Siedlungserweiterungsgebiet der frühen 1970er Jahre, erkennbar ist. Entsprechend der Lage der Gebäudeleerstände innerhalb der Siedlungskörper spiegelt sich die durchschnittlich jüngere Bausubstanz der vom Leerstand betroffenen Gebäude in Friesheim wider.
47
Abb.15: Leerstandssituation in Bliesheim zum Untersuchungszeitpunkt Mitte 2013. Quelle: Eigene Darstellung.
48
Abb.16: Leerstandssituation in Friesheim zum Untersuchungszeitpunkt Mitte 2013. Quelle: Eigene Darstellung.
49
Abb.17: Leerstandssituation in Erp zum Untersuchungszeitpunkt Mitte 2013. Quelle: Eigene Darstellung.
Bezüglich des baulich-technischen Zustands der leer stehenden Gebäude ist darauf hinzuweisen,
dass sowohl in Bliesheim als auch in Friesheim ca. 40% der Leerstände unsaniert oder baufällig
bzw. marktabgängig waren, wohingegen dies in Erp sogar auf mehr als 60% der identifizierten
Leerstände zutraf. Komplementär dazu lässt sich feststellen, dass sich zur Zeit der Untersuchung
in Bliesheim sowie in Friesheim eine gewisse Bewegung am Immobilienmarkt für leer stehende
Einfamilienhäuser abzeichnete. So befanden sich in beiden Fokusortsteilen mehr als 27% des
50
Bestandes leer stehender Gebäude in Sanierung. Betrachtet man erneut die Abbildungen 15 und
16 wird deutlich, dass sich die fluktuativen und funktionalen Leerstände insbesondere auf die
Siedlungserweiterungen konzentrierten, wohingegen die strukturellen Leerstände vornehmlich in
den historischen Ortskernen vorzufinden waren. Dies ist einerseits auf die jüngere Bausubstanz
der Siedlungserweiterungsgebiete und andererseits auf die Enge der historischen Dorfkerne zurückzuführen. Klammert man die acht Gebäude in den drei größeren Fokusortsteilen, deren
Leerstandsdauer aufgrund mangelnder Informationen unbekannt waren, aus, standen zur Zeit der
Untersuchung alleine in Erp 75% aller Leerstände mehr als drei Jahre leer. Demgegenüber standen vergleichsweise lediglich nahezu 43% der untersuchungsrelevanten Gebäude in Friesheim
und ca. 37% der identifizierten Gebäude in Bliesheim länger als drei Jahre leer. Dementsprechend zeichnet sich neben dem baulich-technischen Zustand ebenfalls anhand der Dauer der
Leerstände ab, dass sich insbesondere in Erp eine mangelnde Marktgängigkeit der identifizierten
leer stehenden Gebäude ausgebildet und ein dominanter Anteil struktureller Leerstände eingestellt hat. Dadurch lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass Erp verglichen mit den anderen beiden größeren Fokusortsteilen nicht nur über die marginal höchste tatsächliche Leerstandsquote
verfügt, sondern auch die schlechteste qualitative Dimension des Gebäudeleerstands aufweist.
Nichtsdestotrotz ist an dieser Stelle mit Nachdruck daran zu erinnern, dass selbst in den drei hier
vorgestellten größeren Fokusortsteilen mit den bezogen auf den Ländlichen Raum Erftstadts
höchsten Leerstandsquoten kein akutes Leerstandsproblem identifiziert werden konnte. Hierzu
wiesen die ländlich geprägten Ortsteile Erftstadts zur Zeit der Untersuchung eine zu niedrige
quantitative Dimension des Gebäudeleerstands sowie eine lediglich in seltenen Fällen vorliegende Ansammlung von Gebäudeleerständen auf.
7 Prognose der zukünftigen quantitativen Dimension des Wohngebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Hinsichtlich der Fragestellung ob sich bezogen auf die Leerstandsthematik ein kommunaler
Handlungsbedarf für die Stadt Erftstadt ergibt und inwieweit es sinnvoll erscheint ein
Leerstandsmanagement
einzurichten,
ist
es
erforderlich,
nicht
nur
die
aktuelle
Leerstandssituation in die Betrachtung einzubeziehen, sondern ebenfalls zu berücksichtigen, wie
sich die Anzahl der Leerstände im Ländlichen Raum Erftstadts in Zukunft verändern könnte. Da
quantitative Prognosen hinsichtlich ihrer Aussagekraft „bei langfristigen Zeitspannen“ aufgrund
einer zunehmenden Wahrscheinlichkeit für das Eintreten grober „Veränderungen bestehender
51
Zusammenhänge“ versagen (Schaffert 2009:182), wird sich in dieser Masterarbeit mit einer
Prognose der Entwicklung der Wohngebäudeleerstände für die nächsten zehn Jahre begnügt.
7.1 Vorgehen zur Prognose der künftigen quantitativen Dimension des Wohngebäudeleerstands im Ländlichen Raum Erftstadts
Grundsätzlich existieren drei unterschiedliche Methoden, um die Entwicklung der Gebäudeleerstände zu prognostizieren:
1. „Extrapolation einer Zeitreihe mit Beobachtungszeitpunkten der Vergangenheit bis zum
jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt und einer daraus zu erstellenden Projektion in die Zukunft“ (Streich 2011:33),
2. „Verknüpfung der beobachteten Leerstandsentwicklung mit demographischen PrognoseInformationen“ und Attraktivitätsfaktoren (Streich 2011:33) im Sinne einer explorativen
Prognose (Streich et al. 2009:64),
3. sowie eine „Methodenkombination zur strukturierten und transparenten Entwicklung von
potentiellen Zukunftsbildern [via] Szenariotechnik“ (Schaffert 2009:182)
Vor dem Hintergrund dessen, dass der Stadt Erftstadt zum Zeitpunkt der Erstellung der Masterarbeit weder belastbares Datenmaterial bezüglich der aktuellen quantitativen Dimension des Gebäudeleerstands noch bezüglich der Entwicklung der Leerstandszahlen in der Vergangenheit
vorlagen, schied die erste Vorgehensweise zur Prognose der zukünftigen Entwicklung des Gebäudeleerstands aus. Demgegenüber wäre die Szenariotechnik, die auf das Aufzeigen alternativer Entwicklungsszenarien auf der Basis eines „modulare[n] und rückgekoppelt-iterative[n]
Vorgehen[s] in mehreren Schritten“ abzielt (Schaffert 2009:182-183), prinzipiell möglich gewesen. Die dritte Prognosemethode bietet damit den wesentlichen Vorteil, dass nicht nur ein mögliches Zukunftsszenario in die Betrachtung einbezogen werden kann. Allerdings erfordert sie ein
„aufwändiges Verfahren der Informationsbeschaffung“ (Schaffer 2009:184). In Anbetracht der
erforderlichen Erhebungen und Analysen für die Bearbeitungsschritte der anderen Untersuchungsbestandteile wird daher von der Szenariotechnik zur Prognose der Entwicklung des
Wohngebäudeleerstands Abstand genommen. Vielmehr fiel die Entscheidung aus forschungspragmatischen Gründen auf die zweitgenannte Prognosevariante. Diese weist den Vorteil auf,
dass sich durch sie im Wesentlichen auf der Basis der aktuellen quantitativen Leerstandsdimension sowie der aktuellen Altersstruktur der Bewohner „teilgebietsbezogene Leerstandswahrscheinlichkeiten für [Wohn]gebäude“ ermitteln lassen (Streich 2011:33). Da die Grundlage
zur Ermittlung dieser Daten in Form der Geburtsjahrgänge der Bewohner bereits für die Identifi52
kation der aktuellen quantitativen Dimension des Gebäudeleerstands beim Einwohnermeldeamt
eingeholt wurde, musste zur Prognose der zukünftigen Entwicklung der quantitativen Dimension
des Gebäudeleerstands keine gesonderte Datenanfrage gestellt werden. Allerdings konnte auf
Basis dieser Prognosemethode keine Prognose bezüglich der potentiellen Leerstände von gewerblichen sowie landwirtschaftlichen Gebäuden abgegeben werden.
Den Ausgangspunkt für die Prognose mittels demographischen Prognoseinformationen bildetet
die Annahme, dass die Wiedernutzung eines Wohngebäudes infolge eines Leerfallens ungewiss
ist. Daher kann sowohl im Falle des Versterbens als auch im Falle des Fortzugs der bisherigen
Bewohner zunächst von einem Leerstand eines solchen Gebäudes ausgegangen werden (Streich
et al. 2009:138). Die Prognose fußt auf den zum Zeitpunkt der Untersuchung identifizierten leer
stehenden Gebäuden in den Fokusortsteilen. Diese Leerstände bildeten den Augenblickszustand
zum Zeitpunkt t(x) = 2013 in den Untersuchungsräumen ab. Als Prognosehorizont wurde ein
Zeitraum von zehn Jahren angesetzt, welcher dem Prognosezeitpunkt t(x+p) = 2023 entspricht.
Um eine Prognose über die Entwicklung des Leerstands bis 2023 aufstellen zu können, war die
Bestimmung eines Schwellenwertes erforderlich. Hierzu wurden sowohl die allgemeine statistische Lebensdauer ohne Einbeziehung der jahrgangsspezifischen Angaben der Sterbetafeln zur
ferneren Lebenserwartung als auch das altersbedingte Umzugsverhalten berücksichtigt. Im Rahmen der hier durchgeführten Prognose wird nicht nur von einem potentiellen Leerstand ausgegangen, wenn sämtliche Bewohner eines Gebäudes die durchschnittliche statistische
Lebenserwartung erreicht haben (Streich 2011:33), welche sich laut Destatis (2013: Lebenserwartung) im Falle von Frauen zurzeit auf 82,73 Jahre und im Falle von Männern auf 77,72 Jahre
beläuft. Vielmehr wird ein Leerstandsverdacht ab einem Alter von 75 Jahren angesetzt, auch
wenn viele Gebäude von Personen in einem weitaus höheren Alter bewohnt werden. Dies wird
darauf zurückgeführt, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Wohnungswechsel in zunehmendem
Alter ansteigt und ein altersbedingter Fortzug in eine dem Alter entsprechende Wohnform oder
eine Pflegeeinrichtung ebenfalls einen Leerstand nach sich ziehen kann (Dransfeld 2010:111).
Zur Durchführung der Prognose wurden die Wohngebäude extrahiert, die bereits zum Zeitpunkt
der Untersuchung ausschließlich von über 65 jährigen Personen bewohnt wurden. Da die Daten
des Einwohnermelderegisters als Rohdaten vorlagen und wie in Kapitel 6.1 angemerkt, kein spezielles Programm zur Verarbeitung der Melderegisterdaten zur Verfügung stand, war eine manuelle Aufbereitung der Daten entsprechend Streich et al. (2009:123) erforderlich. Wie in Tabelle 7
dargestellt, wurden die unter derselben Adresse gemeldeten Personen zu diesem Zweck als ein
53
Haushalt betrachtet (Streich et al. 2009:138) und gemäß ihres Geburtsjahrs acht Altersklassen
zugeordnet. Da dieses Verfahren mit einem hohen Aufwand behaftet war, beschränkt sich die
Prognose der zukünftigen Entwicklung des Wohngebäudeleerstands auf die Fokusortsteile, die
bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung die höchsten Leerstandsquoten aufwiesen. Nachdem die
Wohngebäude identifiziert wurden, die zum Zeitpunkt der Untersuchung ausschließlich von über
65 Jährigen bewohnt wurden, wurde die Altersstruktur der Bewohner dieser Gebäude auf den
Prognosezeitpunkt 2023 projiziert. Durch diesen Bearbeitungsschritt wurden die Gebäude identifiziert, die zum Jahr 2023, ausschließlich von über 75 Jährigen bewohnt werden.
Tab.7: Manuelle Anpassung der Melderegisterdaten. Quelle: Eigene Darstellung nach Streich et al. 2009:123.
Auf der Basis der im Zuge der Vor-Orts-Begehungen erhobenen qualitativen lagebezogenen
Merkmale konnten darüber hinaus Attraktivitätsfaktoren für die einzelnen Ortsteile gebildet
werden. Auf ihrer Grundlage konnte eine Bewertung der „Weiter- bzw. Fortnutzung von Gebäuden [innerhalb der räumlichen Untersuchungsgebiete durchgeführt werden], die im
Prognosezeitraum leer fallen“ (Streich 2011:34). Dadurch konnte ermittelt werden, wie viele der
zunächst als fluktuative Leerstände prognostizierten Gebäude zu strukturellen Leerständen werden könnten. Wohlwissend, dass die Wieder- oder Fortnutzung einer Immobilie neben der Attraktivität der Lage ebenso von der Qualität der Immobilie abhängig ist (Dransfeld 2010:114),
sprengt die Bewertung der Qualität jeglicher als leer fallend prognostizierter Immobilie nicht nur
den Untersuchungsrahmen, sondern überschreitet die dazu notwendigen Fachkenntnisse. Darü54
ber hinaus merkt Streich et al. (2009:139) an, dass innerhalb der hier genutzten Prognosevariante
ebenfalls keine gebäudebezogenen Veränderungen, Sanierungsmaßnahmen oder sonstige bauliche Veränderungen innerhalb des Prognosezeitraums einbezogen werden können.
Insgesamt wurden dementsprechend sieben Indikatoren zur Bewertung der Attraktivität der Gebiete entwickelt und im Rahmen der Vor-Orts-Begehungen in den fünf Fokusortsteilen und auf
Basis von Luftbildauswertungen bewertet. Dadurch sollte die Anziehungskraft der Gebiete auf
potentielle Neubürger ermittelt werden, was auf Basis der potentiellen Wiedernutzung der leer
fallenden Gebäude einen Einblick in eine potentielle Leerstandsentwicklung ermöglicht. Durch
die Einbeziehung beliebig vieler weiterer Indikatoren sowie eine darüber hinausgehende Untergliederung der Siedlungskörper der einzelnen Fokusortsteile ließe sich die Qualität der ermittelten Attraktivitätsfaktoren weiter ausbauen. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde sich jedoch
aus forschungspragmatischen Gründen auf die im Anhang dargestellten Indikatoren beschränkt.
Da die Verwendung von Attraktivitätsfaktoren im Zuge einer Prognose immer mit einer gewissen Subjektivität des Prognostizierenden verbunden ist, werden im Zuge dieser Prognose sowohl
eine Maximal- als auch eine Minimaleinschätzung mit einer jeweils 10%igen Abweichung abgegeben (Streich 2011:34). Das Ergebnis, welches durch dieses Verfahren ermittelt wurde und auf
der Annahme beruht, dass die zum Ausgangszeitpunkt t(x) = 2013 leer stehenden Gebäude bis
zum Prognosezeitpunkt t(x+p) = 2023 immer noch leer stehen werden (Von Ramin 2006:53), ist
also lediglich als zukünftiger struktureller Leerstandsverdacht zu verstehen (Streich 2011:33).
Auch wenn eine Vorhersage der zukünftigen Entwicklung des strukturellen Gebäudeleerstands
in den Fokusortsteilen auf Basis dieser Prognose abgegeben werden kann, stellt das Ergebnis
dennoch kein wirklichkeitsgetreues Abbild der Zukunft dar. Hierfür steht die angewandte Prognose, wie auch im Falle jedes anderen Prognoseverfahrens, im Einfluss zu vieler unvorhersehbarer Ereignisse und Unabwägbarkeiten (Streich 2011:34). So merkt Streich (2011:35) sogar an,
dass das bloße Erfassen und Prognostizieren der Gebäudeleerstände „Konsequenzen auf das beobachtete Phänomen selbst nach sich ziehen“ kann. Nichtsdestotrotz vermag die durchgeführte
Prognose einen frühzeitigen Eindruck von der potentiellen Entwicklung des Gebäudeleerstands
zu vermitteln und auf Basis dessen eine zukunftsorientierte Abschätzung der Notwendigkeit für
das Ergreifen entsprechender Planungsmaßnahmen zu treffen. Damit stellt diese Prognose in
Bezug auf den Gebäudeleerstand also die Grundlage für eine vorausschauende Planung und ein
„zielgerichtetes Handeln“ der Stadt Erftstadt dar (Streich et al. 2009:63).
55
7.2 Untersuchungsergebnisse: Prognose der zukünftigen quantitativen Dimension des
Wohngebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Durch die in Kapitel 7.1 beschriebene, auf den Altersdaten der Bewohner basierende Auswertung der Melderegisterdaten konnten allein in den fünf Fokusortsteilen insgesamt 682 Gebäude
identifiziert werden, deren Bewohnerstruktur sich ausschließlich aus über 65-jährigen Personen
zusammensetzt. Unter Berücksichtigung der Prognoserahmenbedingungen kann für diese Gebäude bis zum Prognosezeitpunkt 2023 ein Leerstandsverdacht angestellt werden. Dabei sind die
identifizierten Leerstandsverdachtsfälle als prognostizierte fluktuative Leerstände zu verstehen,
da der potentielle Fortzug oder das Versterben des bisherigen Eigentümers einen zunächst zumindest zeitlich befristeten Leerstand nach sich zieht (Streich et al. 2009:138). Insgesamt verteilen sich die Leerstandsverdachtsfälle derart auf die Fokusortsteile, dass in Bliesheim 259
Gebäude, in Friesheim 210, in Erp 160, in Herrig 32 und in Borr 21 Gebäude potentiell leer fallen könnten. Wie in Tabelle 8 dargestellt, ergeben sich auf Basis der prognostizierten
fluktuativen Leerstände Leerstandsquoten von 15% in Borr bis hin zu 23% in Bliesheim. Auffällig daran ist, dass die Leerstandsquoten der beiden kleineren Fokusortsteile Borr und Herrig basierend auf den prognostizierten fluktuativen Leerständen hinter denen der drei größeren
Fokusortsteile anstehen. Dementsprechend lässt sich basierend auf den bloßen prognostizierten
fluktuativen Leerständen ebenso wie bereits zur Zeit der Untersuchung Mitte 2013 keine stärkere
Betroffenheit der kleineren Fokusortsteile durch das Phänomen des Gebäudeleerstands erkennen.
Tab.8: Zusammenschau der Leerstandsverdachtsfälle bis 2023. Quelle: Eigene Darstellung.
Richtet man den Blick auf die Lage der Leerstandsverdachtsfälle innerhalb des jeweiligen Siedlungskörpers, wird deutlich, dass bis zum Prognosezeitpunkt 2023 eine Vielzahl der Gebäude
innerhalb der historischen Ortskerne leer fallen könnte. Obwohl diese Entwicklung für alle Fokusortsteile außer Herrig zu erwarten ist, lassen sich insbesondere in Erp straßenzugweise Konzentrationen von Leerstandsverdachtsfällen erkennen, die zumeist in den Straßen auftreten, die
bereits Mitte 2013 von mehreren Leerständen betroffen waren und durch die sich die
56
Leerstandssituation im historischen Ortskern Erps durchaus zu einer stadtentwicklungspolitisch
relevanten Größenordnung verschärfen könnte. Laut Kötter (2008:61) lässt sich die Zunahme des
Gebäudeleerstands in den historischen Ortskernen oftmals auf das hohe Durchschnittsalter und
die „zunehmende Überalterung“ der Bevölkerung innerhalb dieses Siedlungsbereichs zurückführen. Die beiden gerade beschriebenen Extrembeispiele einer starken Zunahme der
Leerstandsverdachtsfälle im historischen Ortskern in Erp und einer äußerst geringen Zunahme
der Leerstandsverdachtsfälle im historischen Ortskern in Herrig werden in den Abbildungen 18
und 19 verdeutlicht. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass in den Karten nicht die einzelnen
Leerstandsverdachtsfälle visualisiert wurden, sondern Raster mit einer Seitenlänge von je 250 m,
in denen die Leerstandsverdachtsfälle aus datenschutzrechtlichen Gründen aggregiert wurden.
57
Abb.18: Leerstandssituation in Erp zum Prognosezeitpunkt 2023. Quelle: Eigene Darstellung.
58
Abb.19: Leerstandssituation in Herrig zum Prognosezeitpunkt 2023. Quelle: Eigene Darstellung.
Darüber hinaus kann anhand der Leerstandsverdachtsfälle zusätzlich festgestellt werden, dass
sich der Leerstand nicht mehr, wie Mitte 2013, vorwiegend auf die historischen Ortskerne konzentrieren wird. Vielmehr wird sich der Leerstand mit Ausnahme von Borr auf die Siedlungserweiterungsgebiete der 1950er bis 1980er Jahre ausweiten. Wie in den Abbildungen 20, 21 und
22 erkennbar, beschränkt sich die Zunahme der Leerstandsverdachtsfälle in Borr vor allem auf
59
den historischen Ortskern, während in Friesheim und Bliesheim die Siedlungserweiterungsgebiete in besonderem Maße von einer Zunahme der fluktuativen Leerstände betroffen sein könnten.
Abb.20: Leerstandssituation in Borr zum Prognosezeitpunkt 2023. Quelle: Eigene Darstellung.
60
Abb.21: Leerstandssituation in Bliesheim zum Prognosezeitpunkt 2023. Quelle: Eigene Darstellung.
61
Abb.22: Leerstandssituation in Friesheim zum Prognosezeitpunkt 2023. Quelle: Eigene Darstellung.
So kann sowohl in Bliesheim als auch in Friesheim in mehreren Fällen für nahezu ganze Straßenzüge ein Leerstandsverdacht angesetzt werden. Dies betrifft in Bliesheim vor allem den nördlichen, als „Wachberg“ bekannten Siedlungskörper (Interview 4:227-230), während in Friesheim
der nordöstliche Siedlungsbereich besonders stark betroffen ist. Laut Linke/ Köhler (2010:104)
ist das Leerfallen derartiger Siedlungserweiterungsgebiete in hohem Maße von der Altersstruktur
der Bewohner abhängig. So liegt in Ländlichen Räumen zumeist eine Überschneidung zwischen
62
dem Baualter der in Ländlichen Räumen charakteristischerweise eigengenutzten Einfamilienhäusern und der Altersgruppe ihrer Bewohner vor. Da die Wohneigentumsbildung im Familienlebenszyklus üblicher Weise in einem Alter von 30 bis 45 Jahren stattfindet, wohnen aktuell in den
Wohngebieten der 1970er und 1980er Jahre vielfach Bewohner mit einem Alter von 60 bis 80
Jahren. Dementsprechend findet in manchen Ländlichen Räumen bereits heute, in anderen in den
nächsten Jahren ein „durch altersbedingte Aufgabe“ oder Versterben der bisherigen Bewohner
intensivierter Generationenwechsel statt (Linke/ Köhler 2010:105). In der Konsequenz dieses
Prozesses ist davon auszugehen, dass sich in naher Zukunft nicht nur die Leerstände von Wohnund Wirtschaftsgebäuden in den Dorfkernen ausweiten, sondern darüber hinaus vermehrt „Leerstände in den […] Randbereichen“ der Siedlungen eintreten werden (Born 2011:7).
Da die bisher beschriebenen Entwicklungstendenzen lediglich auf Leerstandsverdachtsfällen
beruhen, die auf die Annahme eines altersbedingten Umzugs oder das Versterben der bisherigen
Eigentümer mit dem Erreichen der durchschnittlichen statistischen Lebenserwartung zurückzuführen sind, können allein auf Basis der bisher beschriebenen Tendenzen keine fundierten Aussagen bezüglich der Entwicklung der Gebäudeleerstände in den Fokusortsteilen getroffen
werden. Vielmehr gilt es in einem zweiten Schritt der entscheidenden Frage nachzugehen, wie
viele der prognostizierten fluktuativen Leerstände zu strukturellen Leerständen werden könnten.
Wie gut die freiwerdenden gebrauchten Immobilien am Markt angenommen werden, hängt von
einer Vielzahl von Faktoren ab. So sind einerseits individuelle qualitative gebäudebezogene
Merkmale ausschlaggebend. Ihre Güte lässt sich insbesondere vor dem Hintergrund der Möglichkeiten und des Aufwands bestimmen, durch den die freiwerdenden gebrauchten Immobilien
„an heutige Standards hinsichtlich der Raumaufteilung (z.B. Raumgröße), des Energiebedarfs
(z.B. Außenwanddämmung) und der technischen Ausstattung (z.B. Heizungsart)“ angepasst
werden können (Linke/ Köhler 2010:105). In diesem Kontext sind insbesondere die Erhaltungsinvestitionen der bisherigen Bewohner von entscheidender Bedeutung. Da ältere Menschen „in
der Regel nicht in ihre Häuser“ investieren, steigt der Investitionsbedarf für eine Folgenutzung
sukzessive an, sodass die Immobilien für potentielle Nachnutzer an Attraktivität einbüßen
(Streich et al. 2009:23). Neben den gebäudebezogenen Merkmalen, die aus forschungspragmatischen Gründen nicht einbezogen wurden, sind andererseits qualitative Lagemerkmale für die
Wieder- und Fortnutzung von freigewordenen gebrauchten Immobilien ausschlaggebend. Um zu
klären, wie hoch der Anteil der strukturellen Leerstände an den prognostizierten fluktuativen
Leerständen ist, wurden, wie in Kapitel 7.1 beschrieben, sich aus sieben Indikatoren zusammen-
63
setzende Attraktivitätsfaktoren für die Fokusortsteile gebildet, auf Basis derer eine Einschätzung
der Wieder- und Fortnutzung der einmal leer gefallenen Immobilien getroffen werden konnte.
Die ermittelten Attraktivitätfaktoren der einzelnen Fokusortsteile gestalteten sich äußerst unterschiedlich. So beliefen sie sich in Friesheim auf 0,85 und in Bliesheim auf 0,84, wohingegen sich
für Erp (0,64), Herrig (0,58) und Borr (0,57) deutlich niedrigere Attraktivitätsfaktoren ergaben.
Die besonders niedrigen Attraktivitätsfaktoren der beiden kleineren Fokusortsteile sind insbesondere auf die fehlende Nahversorgung zurückzuführen, welche sich in einer Unterversorgung
mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs in einer fußläufigen Erreichbarkeit innerhalb eines Radius von zehn Gehminuten (BMVBS 2013a:3) oder von 700 m, der in ländlichen
Räumen auch auf bis zu 1.000 m erhöht werden kann (BMVBS 2013a:3, Bezirksregierung Köln
2010:Regelungen für Einzelhandelsbetriebe zur Nahversorgung), kristallisiert. Weitere Gründe
für die niedrigeren Attraktivitätsfaktoren der kleineren Fokusortsteile sind in Defiziten bezüglich
der Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten innerhalb der Ortsteile zu sehen. Zum Verständnis der
Aussagekraft der Attraktivitätsfaktoren ist darauf hinzuweisen, dass je höher der Attraktivitätsfaktor eines Ortsteils ist, „desto niedriger [gestaltet sich] der potentielle Anteil strukturellen
Leerstands“ (Streich et al. 2009:149). Dementsprechend konnten für Bliesheim und Friesheim
vergleichsweise niedrige Wahrscheinlichkeiten für strukturelle Leerstände ermittelt werden,
während sich insbesondere für Herrig und Borr hohe Wahrscheinlichkeiten ergaben.
Basierend auf den Attraktivitätsfaktoren konnten insgesamt 169 strukturelle Leerstände bis 2023
prognostiziert werden. Diese verteilen sich mit 63 auf Erp, mit 41 auf Bliesheim, mit 40 auf
Friesheim, sowie mit 16 auf Herrig und 10 auf Borr, wodurch sich strukturelle Leerstandsquoten
von ca. 4% in Bliesheim und Friesheim, über 7% in Borr und Erp bis hin zu ca. 9% in Herrig
ergeben. In der Konsequenz wird allein auf Basis der prognostizierten strukturellen Leerstände in
einigen Ortsteilen bis 2023 die Fluktuationsreserve deutlich überschritten. Darüber hinaus ist
anzumerken, dass die kleineren Fokusortsteile Borr und Herrig, die auf Basis der bloßen prognostizierten fluktuativen Leerstände bis 2023 keinesfalls stärker vom Phänomen Leerstand betroffen erscheinen als die größeren Fokusortseile, basierend auf den prognostizierten
strukturellen Leerstandsquoten eine deutlich nachteiligere Entwicklung erwarten lassen. Neben
den kleineren Fokusortsteilen ist auf Basis der prognostizierten strukturellen Leerstandsquoten
ebenfalls für Erp von einer deutlichen Verschärfung der Leerstandssituation auszugehen. Dies ist
neben Defiziten in der fußläufigen Erreichbarkeit von Versorgungseinrichtungen und der Ausstattung mit Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten vor Ort auf eine fehlende überregionale Anbindung an einen Autobahnanschluss oder einen Bahnhof zurückzuführen. Da die
64
prognostizierten fluktuativen Leerstände lediglich auf der Altersstruktur der Bewohner Mitte
2013 basieren und demgegenüber in die prognostizierten strukturellen Leerstände die siedlungsstrukturellen Spezifika eingehen, wird ihnen eine deutlich höhere Aussagekraft beigemessen.
Nichtsdestotrotz können selbst über einen Prognosehorizont von zehn Jahren vielfältige
Unabwägbarkeiten, sowohl aufgrund der demographischen Entwicklung und des wirtschaftlichen Strukturwandels als auch „aufgrund der zunehmenden regionalen Verflechtungen in der
Dorfentwicklung“ (Kötter 2008:63), auf die Prognose einwirken. Daher erscheint eine Beschränkung auf starre Prognoseangaben als unzureichend, sodass im Rahmen dieser Prognose der Empfehlung von Streich (2011:34) und Kötter (2008:63) gefolgt und eine 10%ige Abweichung der
Prognoseergebnisse im Sinne eines Minimal- und Maximalszenarios berücksichtigt wird. So
verringert sich die Anzahl der strukturellen Leerstände im Falle des Minimalszenarios in Erp auf
57, in Bliesheim auf 37, in Friesheim auf 36 sowie in Herrig auf 14 und in Borr auf 9. Dies entspricht strukturellen Leerstandsquoten von etwa 8% in Herrig, ca. 6% in Borr und Erp sowie
etwa 3% in Bliesheim und Friesheim. Demgegenüber erhöht sich die Anzahl der strukturellen
Leerstände im Falle des Maximalszenarios auf 69 in Erp, 45 in Bliesheim, 44 in Friesheim sowie
17 in Herrig und 11 in Borr. Auf Basis dieser Leerstandszahlen ergibt sich erstmalig eine zweistellige Leerstandsquote. So ist im Maximalszenario von einer Leerstandsquote von 10% in
Herrig, von ca. 8% in Borr und Erp sowie von ca. 4% in Bliesheim und Friesheim auszugehen.
Unter Berücksichtigung der Annahme, dass die bereits Mitte 2013 identifizierten strukturellen
Leerstände über den Prognosehorizont hinweg nicht abgebaut werden können, erhöht sich die
Anzahl der strukturellen Leerstände in den fünf Fokusortsteilen bis 2023 auf insgesamt 210. Diese teilen sich mit 81 auf Erp, mit 54 auf Friesheim, mit 48 auf Bliesheim sowie mit weiteren 15
auf Herrig und 12 auf Borr auf. Dementsprechend ergibt sich für Erp mit über 9% die höchste
strukturelle Leerstandsquote, wodurch unter Berücksichtigung des bereits existierenden strukturellen Leerstands die strukturellen Leerstandsquoten der Fokusortsteile Borr und Herrig mit jeweils nahezu 9% überschritten werden, die ohne Berücksichtigung des bereits vorhandenen
strukturellen Leerstands noch die höchsten Leerstandsquoten aufwiesen. Die Leerstandsquoten
Bliesheims und Friesheims sowie die Ergebnisse des Minimal- und Maximalszenarios inklusive
der Mitte 2013 bestehenden strukturellen Leerstände werden in Tabelle 9 dargestellt.
65
Tab.9: Zusammenschau der prognostizierten strukturellen Leerstände bis 2023 inklusive der bereits Mitte 2013
existierenden strukturellen Leerstände unter Berücksichtigung eines Minimal- und Maximalszenarios. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: Eigene Berechnungen.
Als Ergebnis der Prognose des Wohngebäudeleerstands lässt sich damit festhalten, dass basierend auf diversen Prognosevarianten des strukturellen Leerstands insbesondere Erp, Borr und
Herrig als die Fokusortsteile auszuweisen sind, für die sich die strukturelle Leerstandssituation
bis 2023 auf Basis der Prognoseergebnisse am stärksten verschärfen könnte. Entsprechend der
für die ländlichen Fokusortsteile charakteristischen Wohnform der Einfamilienhäuser ist davon
auszugehen, dass sich die zukünftigen Leerstände insbesondere auf den Gebäudetyp der Einfamilienhäuser konzentrieren werden. Da sich im Rahmen dieser Prognose lediglich auf eine Abschätzung der zukünftigen Entwicklung des Wohngebäudeleerstands beschränkt wurde und die
künftige Entwicklung des Leerstands von Wirtschaftsgebäuden ausgeklammert wurde, sich die
Nachfolgenutzung dieser Gebäude allerdings oftmals ungewiss darstellt (Henkel 2012:253),
kann künftig durchaus von einer höheren quantitativen Dimension des Leerstands ausgegangen
werden. Ob sich allerdings tatsächlich eine „Welle des Gebäudeleerstandes“ einstellen wird
(Henkel 2006:2), bleibt kritisch zu hinterfragen. So ist daran zu erinnern, dass die im Rahmen
dieser Prognose ermittelten Leerstände in ihrer Gesamtheit nicht gebündelt im Jahr 2023 auftreten werden. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen der Prognose bis zum
Jahr 2023 von einem sukzessiven Leerfallen der identifizierten Gebäude auszugehen. Dementsprechend kann sicherlich ein Teil der innerhalb des Prognosehorizonts entstandenen strukturellen Leerstände bereits bis zum Proggnosezeitpunkt 2023 wieder einer Nutzung zugeführt sein.
Vom Eintreten einer tatsächlichen Problemlage kann demzufolge erst dann die Rede sein, sobald
die über mehrere Jahre hinweg entstandenen strukturellen Leerstände weder durch die Eigentümer selbst noch durch die Kommune abgebaut werden können (Interview 7:100-128).
66
8 Wesentliche Ursachen für das aktuelle Ausmaß des Gebäudeleerstands in
den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
8.1 Vorgehen zur Identifikation der wesentlichen Ursachen für das aktuelle Ausmaß des
Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Selbst wenn die aktuellen Leerstandsquoten der Fokusortsteile als gering einzustufen sind, konnte auf Basis der Prognose der zukünftigen Leerstandsverdachtsfälle verdeutlicht werden, dass die
Thematik der Gebäudeleerstände im Ländlichen Raum Erftstadts bereits in näherer Zukunft an
Bedeutung gewinnen wird. Daher erscheint es umso wichtiger einen vertieften Einblick in die
wesentlichen Ursachen für den Leerstand von Gebäuden zu gewinnen. Hierzu wurde zunächst
eine umfangreiche Literaturrecherche durchgeführt, auf Basis derer sich ein Überblick über die
potentiellen Ursachen von Gebäudeleerständen in Ländlichen Räumen verschafft wurde. Vor
dem Hintergrund der Erkenntnisse über die potentiellen Ursachen konnten anschließend konkrete, auf Erftstadt bezogene Untersuchungsschritte erarbeitet werden.
Einen wesentlichen Bestandteil der Ursachenuntersuchung bildet eine standardisierte, sowohl
face-to-face als auch telefonische Befragung der Eigentümer der leer stehenden Gebäude. Diese
wurde zwischen dem 03. und 14. Juni 2013 durchgeführt und bot den Vorteil, dass durch sie
„komplexe Hintergründe, Meinungen, Ziele und Rahmenbedingungen“ der Eigentümer im Umgang mit ihren leer stehenden Gebäuden erfasst werden konnten (Reuber/ Pfaffenbach 2005:66).
Hierzu war zunächst eine Identifikation der Eigentümer der leer stehenden Gebäude in den Fokusortsteilen erforderlich. Zu diesem Zweck wurden die Adressen der leer stehenden Gebäude an
die Stadt Erftstadt weitergeleitet. Hier wurden die Eigentümer unter anderem über das Liegenschaftskataster identifiziert. Anschließend wurden die zur Erhebungszeit gültigen postalischen
Anschriften der Eigentümer dem Forscher zur Verfügung gestellt. Da ein Teil der Eigentümer
ihren Wohnsitz außerhalb der Stadt Erftstadt hatte, ermittelte der Forscher durch eine Onlinerecherche die Telefonnummern für die Telefonbefragung.
Bevor mit der Eigentümerbefragung begonnen wurde, wurde zunächst der im Anhang beigefügte
Fragebogen erarbeitet, der sowohl geschlossene als auch halboffene und offene Fragen enthält.
Bei der Formulierung der Fragen lag ein wesentlicher Schwerpunkt auf der Bildung eines adäquaten Kompromisses zwischen „dem wissenschaftlichen Bezug und der notwendigen didaktisch-sprachlichen Reduktion auf den Erwartungshorizont der Probanden“ (Reuber/ Pfaffenbach
2005:69). Da Leerstände gemäß des Vorverständnisses des Forschers bezogen auf die Eigentümer vor allem als sichtbare Ausprägung konkreter Handlungen oder unterlassener Handlungen
67
zu verstehen sind, wurden neben Fragen nach Fakten vor allem vergangenheits-, gegenwartssowie zukunftsorientierte handlungsbezogene - sowie Begründungsfragen eingebunden (Reuber/
Pfaffenbach 2005:69-72). Auch wenn mit diesen Fragen nicht die tatsächlichen Handlungen der
Befragten erhoben werden konnten, boten sie dennoch eine gute Möglichkeit, um einen Eindruck
von ihren Handlungs-Konstruktionen zu bekommen (Reuber/ Pfaffenbach 2005:73).
Bezüglich der Fragetypen ist darauf hinzuweisen, dass bewusst auf eine starke Beeinflussung
durch vorinterpretierte Antwortdimensionen mittels einer Vielzahl geschlossener Fragestellungen verzichtet wurde. Vielmehr wurde mittels vieler offener Fragen die Erfassung von „vom
Forscher nicht antizipierte[n] Reaktionsweisen und Antworten“ angestrebt (Seipel/ Rieker
2003:138). Anhand der offenen Fragestellungen wird deutlich, dass die Untersuchung auch im
Falle der quantitativ-standardisierten Methodenbestandteile nicht zu stark durch ein „rein
hypothesengeleitetes Untersuchungsdesign“ vordefiniert wurde, sondern dass die Eigentümerbefragung ebenso wie die gesamte Untersuchung ergebnisoffen angelegt wurde (Reuber/ Pfaffenbach 2005:78) und einen gewissen explorativen Charakter aufwies (Diekmann 2008:33). Obwohl
durch diese Vorgehensweise deutlich differenziertere Antworten der Befragten aufgenommen
werden konnten, musste im Anschluss an die Erhebung eine Nachkategorisierung sowie eine
Einordnung der differenzierten Antworten erfolgen, „um dem Kriterium der Standardisierung
und quantitativen Vergleichbarkeit“ zu entsprechen (Reuber/ Pfaffenbach 2005:67; 78-79). Obwohl dadurch das Spektrum der Antworten im Nachhinein verringert wurde, konnte auf diese
Weise dennoch ein breiterer Überblick über die vielfältigen Hintergründe und HandlungsKonstruktionen gewonnen werden als im Falle einer Beschränkung auf geschlossene Fragen.
Beim Entwurf des Fragebogens wurde auf eine Strukturierung in thematische Blöcke geachtet
(Reuber/ Pfaffenbach 2005:83). So dienten die im ersten Themenblock aufgeführten, für den
Befragten leicht zu beantwortenden und Interesse weckenden Fragen im Sinne von „WarmingUp Fragen“ der Ermittlung gebäudebezogener Merkmale und der Schaffung einer „gute[n] Interviewatmosphäre“ (Häder 2010:228). Demgegenüber diente der zweite Themenblock dazu, sich
einen Überblick über die Eigentümerverhältnisse zu verschaffen. Nachdem im dritten Themenblock die Leerstandsthematik mitsamt ihrer Ursachen und der vergangenheits-, gegenwarts- und
zukunftsorientierten Handlungen abgedeckt wurde, zielte der letzte Themenblock darauf ab, die
Bereitschaft der Eigentümer zur Beseitigung des Leerstandszustands zu erfragen. Da die zu diesem Themenkomplex zugehörigen Fragen für den Befragten als sensibel anzusehen sind, wurden
sie bewusst weit an das Ende der Befragung gestellt, um so im Falle eines Befragungsabbruchs
bereits möglichst viele Informationen eingeholt zu haben (Schnell et al. 2008:344). Das Ende der
68
Befragung bildeten simple Angaben zur befragten Person, welche selbst „bei einer gewissen Ermüdung“ der befragten Person noch leicht zu beantworten waren (Häder 2010:230).
Zum Einstieg in die Befragung wurden die Eigentümer über den Hintergrund und den Zweck der
Befragung informiert. Während im Falle der „Face-to-face Interviews“ die Legitimität der Befragung durch einen vom Leiter des Umwelt- und Planungsamtes unterzeichneten Erhebungsausweis glaubhaft vermittelt werden konnte, wurde im Falle eines Telefoninterviews auf dessen
Namen und Telefonnummer verwiesen (Reuber/ Pfaffenbach 2005:66). Darüber hinaus konnte
die Bereitschaft der Befragten zur Teilnahme am Telefoninterview durch den Verweis auf ein
bereits geführtes Interview mit der entsprechenden Ortsbürgermeisterin bzw. dem entsprechenden Ortsbürgermeister gewonnen werden. Darüber hinaus wurden die Befragten über den vertrauensvollen Umgang mit ihren Angaben in Kenntnis gesetzt. Um bei der Durchführung der
standardisierten Befragung den subjektiven Einfluss des Interviewers auf die Antworten der Befragten so gering wie möglich zu halten, wurde im Zuge der Befragungssituation eine zurückhaltende und weitestgehend neutrale Haltung eingenommen (Reuber/ Pfaffenbach 2005:68).
Insgesamt dauerten sowohl die Face-to-face Interviews als auch die Telefoninterviews etwa zehn
Minuten.
Um neben den Eigentümerursachen weitere potentiell bedeutsame Ursachen in die Untersuchung
einzubeziehen, wurden flankierend zur Eigentümerbefragung sowohl eine Analyse der demographischen Entwicklung in den Fokusortsteilen sowie eine Analyse der Baulandentwicklung der
Stadt Erftstadt durchgeführt. Leider konnten von der Stadt Erftstadt weder Daten zur Bevölkerungsentwicklung auf Stadtteilebene untergliedert nach Geburten- und Sterbefällen sowie nach
Zu- und Abwanderungen noch bezüglich der Haushaltsentwicklung zur Verfügung gestellt werden. Dementsprechend konnte in die Analyse der demographischen Entwicklung lediglich die
Bevölkerungsentwicklung je Ortsteil inklusive der Geburtenfälle, allerdings ohne Sterbefälle und
ohne Differenzierung der Zu- und Abwanderung einbezogen werden. Bezüglich der Analyse der
Baulandstrategie wurden sowohl die Wohnbauflächenausweisung der letzten Jahrzehnte als auch
die Ergebnisse der Experteninterviews in die Betrachtung einbezogen. Bevor allerdings in Kapitel 9.1 der Aufbau und das Vorgehen im Rahmen der Experteninterviews veranschaulicht wird,
werden in den Kapiteln 8.2 bis 8.2.3 die Ergebnisse der Ursachenuntersuchung vorgestellt.
69
8.2 Untersuchungsergebnisse: Wesentliche Ursachen für das aktuelle Ausmaß des Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass „tatsächliche Vermarktungsprobleme, Preiseinbrüche
bis hin zum Auftreten struktureller Leerstände“ nicht das Resultat einer einzelnen Ursache sind.
Vielmehr ist ein vielfältiger Ursachenkomplex für das Eintreten derartiger Entwicklungen bis hin
zum strukturellen Leerstandsphänomen verantwortlich (Wüstenrot Stiftung 2012:291). Dabei
lässt sich die Vielzahl der Ursachen auf vielschichtige Weise systematisieren. Während ebenfalls
die Untergliederung in angebots- und nachfrageseitige Ursachen sinnvoll erscheint, wird sich im
Rahmen dieser Untersuchung auf die Systematisierung in direkte und indirekte Ursachen gemäß
Schmied (2007:10) verständigt, die in Abbildung 23 zusammenfassend dargestellt wird.
Abb.23: Ursachenbündel für Gebäudeleerstände in Ländlichen Räumen. Quelle: Eigene Darstellung nach Schmied
2007:10.
Entsprechend der Vielschichtigkeit der Ursachen lässt sich kein „allgemeingültiger, abschließender Katalog“ aufstellen, durch den sich das Zustandekommen und die anhaltende Existenz von
Leerständen begründen ließen (Streich et al. 2009:14). Nichtsdestotrotz existieren einerseits Ursachen wie spezifische Eigentumsverhältnisse, Merkmale der Eigentümer, individuelle Merkmale der Immobilien, bestimmte Lagemerkmale (Schaffert 2011:7) wie auch Imagebildungen
(Wüstenrot Stiftung 2012:291) von Gebietseinheiten, in denen die Immobilien verstandortet
sind, die sich unmittelbar auf das Zustandekommen strukturellen Leerstands auswirken
(Schaffert 2011:7). Diese direkten Ursachen haben vor allem Einfluss auf das Entstehen der
70
Leerstände, weshalb sie laut Schmied (2007:13) als „Leerstands-Trigger“ zu bezeichnen sind.
Demgegenüber wirken sich Ursachen wie der wirtschaftliche Strukturwandel, der demographische Wandel, gesellschaftliche Veränderungen oder die politische und planerische Steuerung
eher indirekt auf Leerstände aus (Schaffert 2011:7), indem sie eine leerstandsbegünstigende
Wirkung ausstrahlen (Schmied 2007:10). Auch wenn diese Ursachen sich nicht unmittelbar auf
das Zustandekommen eines Leerstands auswirken, ist ihr Beitrag für die Existenz struktureller
Leerstände gegenüber den direkten Ursachen als nicht minder bedeutend einzustufen.
Die dritte, nicht zu vernachlässigende Komponente, vor deren Hintergrund die Gesamtheit der
direkten und indirekten Ursachen betrachtet werden muss, ist der Immobilienmarkt. Durch das
Verhältnis von Angebot und Nachfrage bildet er die „Aushandlungsebene“ (Schaffert 2011:7).
„Ob, welche und wie lange“ Gebäude leer stehen, hängt dabei maßgeblich von der konkreten
Balance von Angebot und Nachfrage ab (Schmied 2007:14). Da sich die unterschiedlichen Immobilienteilmärkte in Deutschland zunehmend räumlich ausdifferenzieren, lassen sich kaum
sinnvolle Aussagen bezüglich bundesweiter Trends in Angebot und Nachfrage treffen (Schmied
2007:15). Bezogen auf den Wohnimmobilienmarkt weist der Rhein-Erft-Kreis verglichen mit
angespannten sowie schrumpfenden Wohnungsmarktregionen eine entspannte Situation auf
(BBSR 2012b:3), die sich innerhalb des gesamten Kreisgebiets anhand des Kaufpreises für Bestandsobjekte und innerhalb der Stadt Erftstadt anhand des Preises für den Neubau von Einfamilienhäusern, Doppelhaushälften und Reihenhäusern nachweisen lässt (KSK-Immobilien GmbH
2013:40). Hinsichtlich der Marktlage von gebrauchten Immobilien ist darauf hinzuweisen, dass
sich trotz aller regionaler Differenziertheit die „Abschaffung der Eigenheimzulage, die Entwicklung der Reallöhne, wirtschaftliche Unsicherheiten, […] steigende Bau- und Energiekosten“
(Dransfeld 2010:112) sowie die „Energieeinsparverordnung“ negativ auf den Neubau und positiv
auf die Nachfrage nach gebrauchten Immobilien auswirken (Interview 7:119-122).
Da die gebäudespezifischen Merkmale der zum Zeitpunkt der Untersuchung existierenden Leerstände bereits als qualitative Dimension des Leerstands in Kapitel 6.3 vorgestellt wurden und
wesentliche Lagemerkmale bereits in die Prognose in Kapitel 7.2 eingeflossen sind, wurde sich
im Rahmen der Erforschung der direkten Ursachen für die Gebäudeleerstände mit den eigentümerseitigen Ursachen auseinandergesetzt. Auf Seiten der indirekten Leerstandsursachen wurden
demgegenüber insbesondere die demographische Entwicklung sowie die Baulandentwicklung
und -strategie der Stadt Erftstadt im Sinne der politischen und planerischen Steuerung in die Betrachtung einbezogen. Obwohl im Rahmen der Experteninterviews mit den OrtsbürgermeisterInnen
Erps,
Friesheims
und
Bliesheims
in
71
allen
größeren
Fokusortsteilen
relevante
wirtschaftsstrukturelle Veränderungen nachgewiesen werden konnten und sich unter den Mitte
2013 identifizierten Leerständen ein durchaus markanter Anteil an Wirtschaftsgebäuden befand,
wurde auf eine explizite Auseinandersetzung mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel verzichtet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass er in seinen allgemeinen Grundzügen bereits in Kapitel
2 umfassend berücksichtigt wurde. Bezüglich der gesellschaftlichen Veränderungen insbesondere in Form veränderter Wohnvorstellungen und –ansprüche bleibt festzuhalten, dass diese einen
massiven Einfluss auf Gebäudeleerstände nehmen können. So haben gesamtgesellschaftliche
Veränderungstrends wie die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile (Brauer
2010:99), der prozentuale Rückgang der klassischen Familie mit ein bis drei Kindern als typische Nachfrager von Einfamilienhäusern (Dransfeld 2010:111) oder die Reurbanisierung
(Schmied 2007:15) zu einer Nachfrageverschiebung geführt. Von dieser profitieren auf der Angebotsseite bestimmte Bestände des langlebigen Wirtschaftsguts Immobilie wie bspw. Singlewohnungen
in
Städten,
wohingegen
andere
wie
bspw.
„nicht
mehr
zeitgemäße
Eigenheimbestände in schlechten Lagen“ in eine Abseitsposition geraten (Dransfeld 2010:110).
Im Folgenden wird nun die Betrachtung potentieller Leerstandsursachen für Erftstadt im Detail
auf eigentümerseitige, demographische sowie baulandstrategische Ursachen konkretisiert.
8.2.1 Untersuchungsergebnisse: Eigentümerseitige Ursachen für die Gebäudeleerstände in
den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Obwohl im Zuge der Eigentümerbefragung insgesamt mit 67% der Eigentümer (47 von 70) Kontakt aufgenommen werden konnte, konnte die Befragung nur mit 54% der Eigentümer durchgeführt werden, da neun Eigentümer (13%) bezüglich ihrer leer stehenden Gebäude keinerlei
Auskunft geben wollten. Darüber hinaus wurde die Befragung in zwei Fällen (3%) abgebrochen.
Demnach ist eine gewisse Skepsis der Eigentümer bezüglich der Befragung nicht von der Hand
zu weisen. Dies verdeutlicht die hohe Sensibilität in Bezug auf das Thema Eigentum, da es sich
dabei nicht nur um „materielle Güter [handelt], mit denen die Menschen für sich und ihre Familien einen gewissen Wohlstand herbeigeführt“ haben (Streich 2011:25), sondern im Falle eines
Leerstandes oft auch persönliche, mit Emotionen behaftete Hintergründe eine Rolle spielen.
Laut Schmied (2007:13) können die Eigentumsverhältnisse einen gewichtigen Einfluss auf den
Leerstand von Gebäuden nehmen. So treten Leerstände besonders häufig im Erbfall auf. Gründe
hierfür können Streitigkeiten zwischen Erben, eine zunächst erforderliche Suche nach den Erben
oder auch fehlende Nachlassregelungen sein, aufgrund derer sich ungeklärte Eigentumsverhältnisse einstellen. Ob sich diese vorerst fluktuativen Leerstände zu strukturellen Leerständen ent72
wickeln, ist, beschränkt auf eigentümerseitige Ursachen, laut Schmied (2007:13) maßgeblich von
dem Interesse der Erben zur Eigennutzung sowie der Komplexität der Veräußerung der Immobilie abhängig. Darüber hinaus weist Kötter (2008:61) darauf hin, dass sich insbesondere im Fall
von Erbengemeinschaften erhöhte Schwierigkeiten bei der Einigung „hinsichtlich Veräußerungsbereitschaft und Preis“ ergeben können, durch die ein konkreter Umgang mit der leer stehenden Immobilie blockiert wird und sich ein struktureller Leerstand einstellen kann.
Durch die Analyse der Eigentümerstruktur der 70 Mitte 2013 in den Fokusortsteilen identifizierten Leerstände wurde deutlich, dass sich mit 66 Leerständen (ca. 94%) die absolute Mehrheit im
Besitz privater Kleineigentümer befand. Lediglich in 3 Fällen (ca. 4%) traten Erbengemeinschaften als Eigentümer auf und in einem Fall (ca. 2%) befand sich die leer stehende Immobilie in
städtischem Besitz. Demzufolge konnten Erbengemeinschaften in quantitativer Hinsicht als gewichtige eigentümerseitige Ursache für die identifizierten Leerstände ausgeschlossen werden.
Nichtsdestotrotz kann den von Kötter (2008:61) angemerkten erhöhten Schwierigkeiten im Umgang mit Leerständen im Besitz von Erbengemeinschaften, ausgehend von Eigentümeraussagen
und dem strukturellen Leerstandszustand der drei identifizierten Fälle, zugestimmt werden.
Bezüglich des Altersaufbaus der 38 befragten Eigentümer ist darauf hinzuweisen, dass sich ohne
Berücksichtigung der fünf Eigentümer, die keine Angabe zu ihrem Alter gemacht haben, 26% in
einem Alter von 30 bis weniger als 50 Jahren, 16% in einem Alter von 50 bis weniger als 60
Jahren und 42% in einem Alter von 60 bis über 80 Jahren befanden. Obwohl die Investitionstätigkeit mit höherem Alter abnimmt (Streich et al. 2009:23), da diese oftmals als nicht mehr lohnenswert erachtet wird (Arens 2007:54), wäre es vor dem Hintergrund einer solchen Verteilung
der Leerstände über die Altersklassen falsch, davon auszugehen, dass sich die Mehrzahl der
Leerstände aufgrund zu hoher Attraktivitätseinbußen infolge ausbleibender Investitionen eingestellt hat. Dies wird ebenfalls daran deutlich, dass 42% der 38 Befragten bereits Investitionen zu
Erhaltungs- und Sanierungszwecken in ihre Immobilien getätigt haben. Vielmehr bilden einschneidende Veränderungen im Zuge des Lebenszyklus der Eigentümer und ihrer Familien, die
eine veränderte Wohnraumnachfrage nach sich ziehen, die entscheidendste Ursache für das Zustandekommen des Gebäudeleerstands. So gaben 40% aller Befragten an, dass der Leerstand
ihrer Immobilie aus einem Todesfall, einem Umzug des vormaligen Bewohners oder einem
Scheidungsfall herrührt. Als weitere relevante Ursachen wurden, wie in Abbildung 24 erkennbar,
schlechte Erfahrungen mit Mietern, die baulich-technische Beschaffenheit der Gebäude sowie
finanzielle Engpässe, aufgrund derer eine notwendige Sanierung aufgeschoben werden muss,
73
genannt. Als marginal gestalteten sich dagegen Veräußerungsprobleme und Denkmalschutzauflagen, aufgrund derer ein aktiver Umgang mit den Leerständen trotz hohen Interesses ausblieb.
Durchführung/
Planung einer
Sanierung
7%
Abrisswürdigkeit des
Gebäudes
5%
baulich-technische
Gründe
finanzielle
12%
Gründe
10%
Probleme einen
Nachmieter zu
finden
3%
schlechte
Erfahrungen
mit Mietern
12%
Andere
26%
Scheidung
5%
Denkmalschutzauflagen
3%
Todesfall/ Umzug des
letzten Bewohners in
ein Altenheim
35%
keine Angabe
8%
n=40
Abb.24: Gründe für den Gebäudeleerstand in den ländlich geprägten Fokusortsteilen. Quelle: Eigene Darstellung.
Datengrundlage: Eigene Befragung.
Ausgehend von den Aussagen der 38 befragten Eigentümer wurde deutlich, dass dem Erbfall mit
50% eine leicht höhere Bedeutung bei der Eigentumsbildung der Leerstände als dem Kauffall
gebrauchter Immobilien mit 42% zukam. Da im Falle des Fortzugs oder des Versterbens des
ehemaligen Eigentümers nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Erbe das Gebäude
übernimmt, da er bspw. aus „beruflichen, privaten oder auch wirtschaftlichen Gründen einen
Wohnortwechsel“ vorgenommen hat, stellt sich im Erbfall heutzutage oftmals ein Leerstand ein
(Dransfeld 2010:113). So ist darauf hinzuweisen, dass 20% der Eigentümer aller Mitte 2013 leer
stehender Immobilien in den Fokusortsteilen ihren Wohnort nicht im Stadtgebiet der Stadt
Erftstadt hatten. Dementsprechend ist zu vermuten, dass diese Eigentümer ihren eigenen Lebensmittelpunkt bereits andernorts aufgebaut haben und weder ein hohes Interesse zur Eigennutzung noch bezüglich der Durchführung gegebenenfalls erforderlicher Sanierungsmaßnahmen
aufweisen. Da die Bedeutung des Erbfalls bei den hier untersuchten Leerständen hinter den Erwartungen zurückblieb und der Kauffall eine durchaus relevante Größenordnung annahm, erschienen die Beweggründe für den Erwerb der leer stehenden Immobilien umso interessanter. So
74
konnte herausgestellt werden, dass insbesondere die Verbundenheit zum Heimatort, die Nähe
zum bestehenden Eigenheim, ein auf die geringe Größe des Eigenheims zurückzuführender Erweiterungsbedarf sowie familiäre Gründe wie bspw. die beabsichtige Schaffung von Wohneigentum für das eigene Kind als die entscheidenden Gründe für den Erwerb gebrauchter Immobilien
in den Fokusortsteilen anzusehen sind. Nicht zu vernachlässigen ist darüber hinaus, wie in Abbildung 25 dargestellt, mit 17% der niedrige Kaufpreis der Gebäude sowie die Funktion der Gebäude als Anlageobjekte. Demgegenüber spiegelt sich der gesellschaftliche Wandel vom
Wohnen im Grünen hin zum präferierten Wohnraum in zentraleren Lagen (Dransfeld 2010:112)
in der lediglich untergeordneten Bedeutung der ruhigen Lage auf dem Land wider.
Erweiterungsbedarf
12%
familiäre
Gründe
13%
Nähe zum
Eigenheim
21%
preisgünstige
Immobilie/
Geldanlage
17%
Andere
29%
ruhige Lage auf
dem Land
8%
gute
Verkehrsanbindung
4%
Ortsverbundenheit
25%
n=24
Abb.25: Beweggründe für den Erwerb einer gebrauchten Immobilie in den Fokusortsteilen. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: Eigene Befragung.
Wie an Abbildung 26 deutlich wird, waren die Hälfte aller befragten Eigentümer zum Zeitpunkt
der Untersuchung bereits mehr als drei Jahre im Besitz der leer stehenden Immobilien. Trotz
dieser enormen Dauer, die sich die leer stehenden Immobilien bereits im Besitz der aktuellen
Eigentümer befanden, haben insgesamt 27 der 38 Eigentümer aus unterschiedlichsten Gründen
noch nicht versucht die Immobilie zu veräußern, obwohl lediglich acht von ihnen eine konkrete
Eigennutzung anstrebten. Dies deutet auf eine geringe Motivation der Eigentümer zur Änderung
des Leerstandszustands hin. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass ein akut
fehlender Verkaufsdruck das Andauern des Leerstandszustands im Untersuchungsfall begünstigt.
Kötter (2008:61) zufolge tragen insbesondere „überhöhte und nicht marktkonforme Gewinner75
wartungen bei den Eigentümern […] zu einer privaten Bodenbevorratung“ bei. Auch wenn im
Rahmen der Eigentümerbefragung versucht wurde einen Einblick in die Preisvorstellungen der
Eigentümer zu gewinnen, konnte aufgrund der hohen Sensibilität dieser Thematik kein quantitativ belastbarer Überblick verschafft werden. Nichtsdestotrotz wurde an Einzelaussagen deutlich,
dass der tatsächlich realisierte Preis im Falle eines bereits vollzogenen Verkaufs deutlich unter
den anfänglichen Erwartungen des Eigentümers lag und dass die angestrebten Mietpreise leicht
oberhalb der Durchschnittsbestandsmieten lagen (KSK-Immobilien GmbH 2013:39).
keine Angabe
16%
seit maximal 3
Jahren
34%
seit mehr als 15
Jahren
21%
n=38
seit > 3 bis 6
Jahren
10%
seit > 10 bis 15
Jahren
11%
seit > 6 bis 10
Jahren
8%
Abb.26: Dauer des Besitzes des leer stehenden Gebäudes. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: Eigene
Befragung.
Vor dem Hintergrund der bisher als gering einzustufenden Motivation der 38 befragten Eigentümer den sich in ihrem Besitz befindlichen Leerstand abzubauen, erscheint ein Anteil von 53%
(20 Eigentümer), der den Leerstandszustand beseitigen will, äußerst hoch gegriffen. Lediglich
37% der Befragten äußerten sich dahingehend, dass sie ihre Immobilien weiter leer stehen lassen
wollen, sich bezüglich des Umgangs mit ihren Immobilien noch unklar sind oder ihre Immobilien einmal an ihre Nachkommen übertragen wollen, was einem Andauern des Leerstands entspricht. Desweiteren gaben 10% an aufgrund eines zur Zeit der Eigentümerbefragung
durchgeführten Verkaufs oder einer Zwangsversteigerung den Umgang mit der leer stehenden
Immobilie nicht weiter beeinflussen zu können. Insgesamt ist zu vermuten, dass eine Vielzahl
der Eigentümer lediglich vage Absichten im Umgang mit dem leer stehenden Eigentum hat, sodass sich der tatsächliche Anteil der andauernden Leerstände voraussichtlich höher gestaltet.
Nichtsdestotrotz vermittelten die Aussagen der 20 Eigentümer, egal ob vage oder konkret, einen
Eindruck von der präferierten Tendenz im Umgang mit ihrer leer stehenden Immobilie. So streb76
ten, wie in Abbildung 27 veranschaulicht wird, unter Berücksichtigung der Möglichkeit zu
Mehrfachnennungen 44% eine Vermarktung an.
Abriss und
Neubau
3%
investieren,
modernisieren,
sanieren
30%
Eigennutzung
23%
eine
Vermarktung
anstreben
44%
n=30
Abb.27: Absichten der leerstandsbeseitigungswilligen Eigentümer im Umgang mit ihrer leer stehenden Immobilie.
Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: Eigene Befragung.
Da lediglich 37% aller Befragten angaben ein Andauern des Leerstands zu beabsichtigen, konnten nur 14 Eigentümer bezüglich etwaiger Mobilisierungsmöglichkeiten für einen Umgang mit
leer stehenden Immobilien befragt werden. Allerdings gaben acht der Befragten an, dass sie sich
nicht zu einer Umnutzung oder einer Veräußerung bewegen ließen. Lediglich Einzelangaben
richteten sich auf die Vermittlung von Kaufinteressenten, die Lockerung von Denkmalschutzauflagen sowie die Aufklärung über Möglichkeiten im Umgang mit leer stehenden Immobilien. Im
Nachgang der Befragung lässt sich die Vermutung anstellen, dass die offene Fragenkonstellation
sowie mangelndes Vorwissen der Eigentümer über Mobilisierungsmöglichkeiten zu dem hohen
Anteil an Negativaussagen beigetragen haben, sodass sich ein höherer Anteil an Eigentümern
vermuten lässt, der zu einem Abbau des Leerstandszustands mobilisiert werden könnte.
8.2.2 Untersuchungsergebnisse: Demographische Entwicklung als Ursache für die Gebäudeleerstände in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Da die demographische Entwicklung Aufschluss über die Entwicklung der Nachfrage nach
Wohnraum gibt, stellt sie eine gewichtige indirekte Ursache für Gebäudeleerstände dar. So liegt
sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland die Fertilitätsrate der Frauen, die sich aktuell bei 1,4
befindet, bereits seit den frühen 1970er Jahren unter einem Wert von 2,1, welcher als Mindestniveau zum Erhalt einer Population anzusehen ist (Schmied 2007:11). Gekoppelt an die daraus
77
resultierenden niedrigen Geburtenraten hat sich infolge der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung eine Alterung der Gesellschaft eingestellt (Brauer 2010:100). In der Konsequenz dieser Entwicklung verringert sich seit 1992 die Bevölkerungszahl in Deutschland. Auch wenn die
rückläufige Bevölkerungsentwicklung bislang durch regional stark unterschiedlich ausgeprägte
Zuwanderung abgemildert wurde, wodurch sich als weitere Ausprägung des demographischen
Wandels eine Umschichtung in der Nationalitätenstruktur eingestellt hat (Brauer 2010:100),
zeichnet sich dennoch eine Verschärfung der Entwicklung ab. Gemäß der Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung werden voraussichtlich insbesondere „die ländlichen Kommunen
stark von dem demographischen Wandel betroffen sein“ (Streich et al. 2009:1;7).
Obwohl es naheliegend erscheint, infolgedessen eine Zunahme des Gebäudeleerstands in den
ländlichen Räumen zu prognostizieren, würde dies eine starke Vereinfachung der Komplexität
der Entwicklung bedeuten. So wirkt sich ein Rückgang der Bevölkerungszahl nicht unmittelbar
negativ auf den Immobilienmarkt aus. Viel entscheidender als die demographische Entwicklung
gestaltet sich die Entwicklung nachfragerelevanter Haushalte (Dransfeld 2010:111). So wird
trotz negativer Bevölkerungsentwicklung ausgehend von einer vorerst positiven Haushaltsentwicklung kurzfristig ein weiterer Anstieg der Nachfrage nach Wohnimmobilien prognostiziert.
Dieser wird allerdings, wie bereits in Kapitel 8.2 erläutert, in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen mit einer Verschiebung weg von den klassischen Einfamilienhäusern in ländlichen Räumen hin zu bestimmten Segmenten des Wohnimmobilienmarktes wie
Singlewohnungen in urbanen Räumen einhergehen (Brauer 2010:99, Dransfeld 2010:111). Mittelfristig, ca. ab 2020, ist allerdings auch bezüglich der Entwicklung der Haushaltszahlen von
einem Rückgang auszugehen, aufgrund dessen sich vor dem Hintergrund gesättigter Immobilienmärkte ein Rückgang der Nachfrage nach Wohnraum einstellen wird (Dransfeld 2010:111).
Lenkt man den Blick auf die Entwicklung der Haushaltszahlen in Erftstadt, wird deutlich, dass
auch hier die Zahl der Haushalte weiter zunimmt. So ist die Anzahl der Haushalte in der Stadt
Erftstadt zwischen 2002 und 2011 um bis zu 6% gestiegen (KSK-Immobilien GmbH 2013:10).
Im gleichen Zeitraum trat allerdings eine zunächst stagnierende Bevölkerungsentwicklung ein.
Während die Wanderungsgewinne die negative natürliche Bevölkerungsentwicklung zu Beginn
der Nuller Jahre noch kompensieren konnten, überschritt die negative natürliche Bevölkerungsentwicklung 2003 erstmals die Wanderungsgewinne, was, wie in Abbildung 28 erkennbar, neben
einer zunehmend negativeren natürlichen Bevölkerungsentwicklung auf einen starken Rückgang
der Wanderungsgewinne und ein mittlerweile stagnierendes Wanderungssaldo zurückzuführen
ist. Dementsprechend lässt sich festhalten, dass sich sowohl aufgrund der natürlichen Bevölke78
rungsentwicklung als auch aufgrund von Wanderungen seit den frühen Nuller Jahren eine deutliche Abkehr vom stetigen hohen Wachstum der Einwohnerzahlen um durchschnittlich ca. 375
Einwohner in den 1990er Jahren, das vorwiegend auf hohen Wanderungsgewinnen basierte, zu
einer stagnierenden bis leicht rückläufigen Entwicklung in den Nuller Jahren eingestellt hat.
Abb.28: Entwicklung der Einwohnerzahlen im Stadtgebiet Erftstadt 1998-2008 unter Berücksichtigung von Wanderungen und natürlicher Bevölkerungsentwicklung. Quelle: Stadt Erftstadt 2009.
Die hier beschriebene Abkehr vom Einwohnerzuwachs der 1990er Jahre wird vor allem auch
anhand der Entwicklung der Schülerzahlen deutlich. So hat sich allein die Anzahl der Grundschüler zwischen 2006/2007 und 2008/2009 von 2.144 auf 1.963 um mehr als 8% verringert,
während sich die Anzahl im gleichen Zeitraum in den Nachbarkommunen Hürth und Brühl deutlich weniger stark reduziert hat (REK-AfFSuS 2009:15-16). Bezieht man darüber hinaus die in
Abbildung 29 dargestellte, 2006 vom Statistischen Landesamt durchgeführte Prognose der Bevölkerungsentwicklung der Stadt Erftstadt in die Betrachtung ein, wird deutlich, dass die sich bis
heute eingestellte Bevölkerungsentwicklung am ehesten einer Variante zwischen dem Szenario
ohne Wanderungsgewinne und dem mit 100 jährlichen Wanderungsgewinnen entspricht. Geht
man davon aus, dass sich die Bevölkerungsentwicklung auf diesem Niveau fortsetzt, erscheint
ein Rückgang bis 2020 auf ca. 47.661 Einwohner plausibel, was einer Reduzierung gegenüber
dem heutigen Niveau um ca. 3,6% entspricht. Gekoppelt daran ist von einer Verschiebung innerhalb der Alterskohorten auszugehen. So wird eine fortschreitende Alterung in näherer Zukunft zu
einer deutlichen Erhöhung des Anteils der über 75-Jährigen führen, wohingegen sich der Anteil
der unter 19-Jährigen spürbar verringern wird (Stadt Erftstat 2006:4-5).
79
47.661
Abb.29: Bevölkerungsprognose Erftstadts bis 2020. Quelle: Stadt Erftstadt 2006:4 inklusive Ergänzung.
Da im Rahmen dieser Masterarbeit allerdings nicht die nachfrageseitige Entwicklung der gesamten Stadt Erftstadt im Fokus der Betrachtung steht, sondern die des Ländlichen Raum Erftstadts,
insbesondere der Fokusortsteile Bliesheim, Borr, Friesheim, Herrig und Erp, war eine Auseinandersetzung mit kleinräumigeren Daten auf Ortsteilebene erforderlich. Obwohl die Entwicklung
der Haushaltszahlen einen besseren Überblick über die Entwicklung der tatsächlichen Nachfrage
nach Wohnraum liefert als die bloße Entwicklung der Bevölkerungszahl, konnten durch die Stadt
Erftstadt keine Daten über die Haushaltsentwicklung auf Ortsteilebene zur Verfügung gestellt
werden. Vielmehr beschränkten sich die auf Ortsteilebene verfügbaren Daten auf die Entwicklung der Einwohnerzahl im Fünfjahresturnus zwischen 1969 und 2008 sowie für die Jahre 2009
und 2013. Obwohl die Entwicklung der ortsteilbezogenen Geburtenfälle zwischen 2003 und
2008 einer Auswertung des Standesamtes der Stadt Erftstadt sowie die Geburtenzahlen aus dem
Jahr 2011 einer jahrgangsbezogenen Auswertung der Personen mit Hauptwohnsitz durch das
Umwelt- und Planungsamt der Stadt Erftstadt zum Stichtag 05.06.2012 entnommen werden
konnte (Stadt Erftstadt 2012a), konnte weder die ortsteilspezifische Entwicklung der Sterbefälle
noch die Zu- und Abwanderungen in und aus den Fokusortsteilen analysiert werden.
80
Nichtsdestotrotz ließ sich anhand der verfügbaren Daten erkennen, dass die Bevölkerungsentwicklung in den Fokusortsteilen einen stagnierenden bis leicht negativen Trend aufweist. Wie in
Abbildung 28 dargestellt, wiesen einzig Erp noch bis 2004-2008 und Friesheim noch bis 2009
eine positive Bevölkerungsentwicklung auf, wohingegen sie in den anderen Fokusortsteilen seit
Beginn der Nuller Jahre stagnierte oder sich leicht rückläufig darstellte. Insgesamt befindet sich
die aktuelle Bevölkerungsanzahl der Fokusortsteile (9.462) damit auf nahezu gleichem Niveau
wie 1999-2003 (9.408).
Abb.30: Bevölkerungsentwicklung je Fokusortsteil 1969-2013. Quelle: Eigene Darstellung nach Stadt Erftstadt Umwelt- und Planungsamt 2013a.
Betrachtet man darüber hinaus die Entwicklung der Geburtenzahlen zwischen 2003/2004 und
2007/2008, erkennt man eine markante Abnahme der Geburtenfälle von 83 auf 58 um insgesamt
über 30%. Von dieser Entwicklung, die auf einen Rückgang der Anzahl der Familien in einem
reproduzierfähigen Alter und eine zunehmende Alterung hindeutet, waren insbesondere Erp mit
einem Geburtenrückgang um die Hälfte, sowie Bliesheim mit einem Rückgang der Geburtenfälle
um mehr als ein Drittel betroffen. Obwohl die Geburtenanzahl bis 2011 in Erp und Friesheim
wieder angestiegen ist und in Borr/Scheuren und Herrig sogar einen positiven Trend eingeschlagen hat, konnte in Bliesheim keine Erhöhung der Geburtenfälle festgestellt werden. Dementsprechend kann insbesondere in Bliesheim von einer Verringerung des endogenen Bedarfs, in jedem
Falle aber von keinem Anstieg des endogenen Bedarfs nach Wohnraum ausgegangen werden.
81
Abb.31: Entwicklung der Geburtenfälle je Fokusortsteil 2003-2011. Quelle: Eigene Darstellung nach Stadt Erftstadt
- Umwelt- und Planungsamt 2012, Stadt Erftstadt - Standesamt 2008.
Vor dem Hintergrund des in Abbildung 28 visualisierten Rückgangs der Zuwanderungsgewinne
für das gesamte Stadtgebiet der Stadt Erftstadt sowie ausgehend von den Geburtenzahlen zeichnet sich allen voran in Bliesheim, aber auch in Friesheim und Erp eine Verringerung sowohl des
exogenen als auch des endogenen Bedarfs an Wohnraum ab. Auch wenn die sinkende Nachfrage
gegenwärtig noch durch einen weiteren Anstieg der Haushaltszahlen aufgefangen wird, ist dennoch zumindest mittelfristig von einer abnehmenden Nachfrage nach Wohnraum sowie einer
erforderlichen Anpassung der sozialen und technischen Infrastruktur auszugehen.
8.2.3 Untersuchungsergebnisse: Baulandentwicklung der Stadt Erftstadt als Ursache für
die Gebäudeleerstände in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Gegenüber der demographischen Entwicklung als einer der bedeutendsten nachfrageseitigen
Ursachen für Leerstand stellt die Baulandentwicklung eine der wichtigsten angebotsseitigen Ursachen für Leerstand dar. Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, sind mittlerweile nicht nur
periphere ländliche Regionen vom Leerstandsphänomen betroffen. Vielmehr hat sich das Problem auf einzelne Ortsteile in stagnierenden oder sogar wachsenden Gemeinden im Einzugsgebiet
großer Städte ausgedehnt (Kötter 2008:56, Spellerberg/ Spehl 2011:1). Folgt man den Ausführungen von Henkel (2010:57), wird deutlich, dass eine wesentliche Ursache für das Einsetzen
von Gebäudeleerständen innerhalb der historischen Ortskerne selbst in wachsenden Dörfern die
anhaltende Ausweisung von Neubaugebieten am Dorfrand ist, aufgrund derer der Leerstand im
Innern der Siedlungskörper zugunsten der Neubaugebiete am Dorfrand zunimmt.
82
Während die „Bautätigkeit auf dem Land von etwa 1935 bis 1950 fast ganz zum Erliegen“ kam
und die Dörfer oftmals durch eine enge zusammengedrängte Siedlungsform geprägt waren, setzte im Zuge des einsetzenden Wohlstandszuwachses der 1950er Jahre eine zunehmende Neubautätigkeit und ein damit einhergehendes Siedlungsflächenwachstum an den Dorfrändern ein
(Henkel 2012:252). In der Konsequenz stellte sich gekoppelt an eine Landflucht bereits in den
1960er Jahren eine erste Leerstandswelle in den Dorfkernen ein, auf die von staatlicher Seite mit
Förderprogrammen wie dem der Dorfsanierung und dem der Dorferneuerung reagiert wurde
(Henkel 2012:252). Ungeachtet des Leerstands setzte sich dennoch vielfach die Fokussierung der
Neubautätigkeit auf die Ortsränder fort. So war das Einfamilienhaus „auf der Grünen Wiese […]
– ruhig, kinderfreundlich und weit entfernt vom Schmutz und der Hektik der Großstadt – nach
wie vor Wunschtraum vieler Familien“ (Dransfeld 2010:110). Darüber hinaus wurde die Erfordernis „Platz sparen zu müssen […] im alten Dorf als Ausdruck von Armut“ betrachtet (Klärle
2008:66). Dementsprechend wurde dörfliche Entwicklung vielfach mit einem „Wachstum der
Dorffläche“ gleichgesetzt. Folgt man dieser Denkweise, impliziert sie, dass moderne Gebäude
ausschließlich „in den Neubaugebieten am Ortsrand“ vorzufinden sind (Klärle 2008:66). In der
Konsequenz dieser auf dem Wachstumspostulat beruhenden Siedlungsentwicklung hat in
Deutschland trotz vielfältiger bundespolitischer Einsparziele, wie dem 30-ha-Ziel der Nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie, eine nahezu ungebrochene Inanspruchnahme von Freiflächen zu Siedlungs- und Verkehrszwecken stattgefunden. Obwohl eine Reduktion der täglichen Inanspruchnahme von 129 ha im Jahr 2000 auf 30 ha im Jahr 2020 angestrebt wird (BBSR 2011:4,
Malburg-Graf et al. 2007:85), wurden im Jahr 2008 verbunden mit „weitreichenden negativen
ökologischen, ökonomischen und sozialen“ Implikationen immer noch 113 ha Freifläche pro Tag
verbraucht, während der Besatz an Brachflächen kontinuierlich ansteigt (Klemme 2010:63).
Richtet man den Fokus der Betrachtung auf die Entwicklung der Wohnbaufläche in Erftstadt,
wird deutlich, dass sich die Wohnbaufläche seit der Gebietsreform 1969 von etwa 63 ha auf ca.
241 ha nahezu vervierfacht hat. Da die Entwicklung der Siedlungsflächen aufgrund der Gebietsreform erst seit 1969 als Stadt Erftstadt stattgefunden hat und dementsprechend seitens der Stadt
Erftstadt diesbezügliche Daten erst ab 1969 zur Verfügung gestellt werden konnten, wird sich im
Rahmen der folgenden Ausführungen vorwiegend auf die Siedlungsflächenentwicklung seit
1969 beschränkt.
Der enorme Anstieg der Wohnbaufläche ist vor allem auf die Baulandstrategie der Stadt
Erftstadt, die sich von dem Slogan der Stadt „Tür an Tür mit der Natur“ ableiten lässt und auf
den Zuzug von Einwohnern durch die Vermarktung als Wohnstandort im Grünen abzielt, zu83
rückzuführen. Entsprechend fand lange Zeit eine Fokussierung auf die Wohnfunktion statt, während die Arbeitsplatzfunktion über Jahre hinweg vernachlässigt wurde (Interview 5:62-72). Wie
in Abbildung 32 erkennbar, fanden die höchsten Zuwächse der Wohnbaufläche bis Ende der
1980er Jahre, aber auch zwischen 1994 und 1998 sowie zwischen 2004 und 2008 statt.
Abb.32: Vollständige Entwicklung der Wohnbauflächen Gesamterftstadt 1969-2012. Quelle: Stadt Erftstadt - Umwelt- und Planungsamt 2013c.
Bezieht man desweiteren die in engem Zusammenhang zur Wohnbaufläche stehenden Gemeinbedarfsflächen, Sonder- und gewerblichen Bauflächen, die Freiflächen in den Siedlungskörpern
sowie weitere mit dem Siedlungs- und Infrastrukturausbau verbundene Flächen ein, erhöht sich
die gesamte Flächeninanspruchnahme der dezentral strukturierten Flächengemeinde auf über
2.460 ha (Gesamtfläche Erftstadts ca. 11.989 ha) (IT.NRW 2012b:1). So hat vor allem in den
jüngeren Jahren ein deutlicher Anstieg der gesamten Siedlungs- und Verkehrsfläche von 2.183
ha im Jahr 2000 auf 2.462 ha im Jahr 2011 zu Lasten der Freifläche stattgefunden (IT.NRW
2012a:4). Damit wurden trotz eines immer noch unterdurchschnittlichen Siedlungs- und Ver-
kehrsflächenanteils gegenüber dem Rhein-Erft-Kreis, dem Regierungsbezirk Köln, NordrheinWestfalen und dem Gemeindetyp der großen Mittelstadt innerhalb von elf Jahren 279 ha Freiflä84
che für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen, wodurch Erftstadt, wie in Abbildung 33 dargestellt, sowohl im Vergleich zum Durchschnitt Nordrhein-Westfalens als auch
gegenüber dem Durchschnitt des Gemeindetyps der großen Mittelstadt die mit Abstand höchste
Siedlungs- und Verkehrsflächenentwicklungsrate aufwies (IT.NRW 2012a:3-4).
Abb.33: Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Erftstadt 2000-2011 im Vergleich zu NordrheinWestfalen und dem Gemeindetyp große Mittelstadt. Quelle: IT.NRW 2012a:4.
Da im Rahmen dieser Masterarbeit allerdings nicht die angebotsseitige Entwicklung der gesamten Stadt Erftstadt im Fokus der Betrachtung steht, sondern die des Ländlichen Raum Erftstadts,
vor allem der Fokusortsteile Bliesheim, Borr, Friesheim, Herrig und Erp, war trotz einer erheblichen Flächeninanspruchnahme der beiden Siedlungsschwerpunkte Liblar und Lechenich mit
nahezu 128 ha, die zwischen 1969 und 2012 zu Wohn- und Mischnutzungszwecken in Anspruch
genommen wurden, eine detailliertere Betrachtung der Flächenentwicklung der ländlich geprägten Ortsteile erforderlich. Wie in Abbildung 34 deutlich wird, fand in den ländlich geprägten
Ortsteilen zur Jahrtausendwende ein Wandel von auf einzelne Ortsteile konzentrierten großflächigeren Flächenentwicklungsmaßnahmen hin zu über mehrere Ortsteile verteilten, kleinflächi85
geren Entwicklungsmaßnahmen statt. Nichtsdestotrotz fanden auch innerhalb der Nuller Jahre
großflächigere Flächeninanspruchnahmen statt, allerdings bildeten diese die Ausnahme. So wurden zwischen 2004 und 2008 sowohl in Blessem als auch in Dirmerzheim Wohnbau- und
Mischbauflächen von über 2 ha geschaffen, während im gleichen Zeitraum in Gymnich mit nahezu 9,8 ha eine enorme Flächenentwicklung zu Wohn- und Mischnutzungszwecken stattfand.
Abb.34: Entwicklung der Flächeninanspruchnahme zu Wohn- und Mischnutzungszwecken im Ländlichen Raum
Erftstadts 1969-2012. Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: Stadt Erftstadt – Umwelt- und Planungsamt
2013c.
Beschränkt man die Betrachtung auf die Fokusortsteile, wird deutlich, dass in den kleineren Fokusortsteilen Borr und Herrig seit 1969 lediglich Ergänzungs- und Abrundungssatzungen durchgeführt worden sind, während es in den größeren Fokusortsteilen Erp, Friesheim und Bliesheim
zu nennenswerten Flächeninanspruchnahmen gekommen ist. So sind die Wohnbau- und Mischbauflächen in Erp zwischen 1992 und 1993 um über 7 ha sowie zwischen 1995 und 1996 um
nahezu weitere 4 ha ausgedehnt worden. Zu Beginn der Nuller Jahre fanden darüber hinaus lediglich zwei kleinflächige Maßnahmen statt, die sich in der Summe auf ca. einen ha beliefen.
Wie in Interview 2 (165-175) deutlich wurde, wurden die neuesten Wohnbauflächen allerdings
nur äußerst schleppend angenommen, was neben vielfältigen Ursachen sicherlich auch auf ein
Überangebot an Wohnraum in Erp hindeutet.
Im gleichen Zeitraum wie in Erp fanden innerhalb des Betrachtungszeitraums seit 1969 ebenfalls
in Friesheim die beträchtlichsten Flächenentwicklungen statt. So wurden 1992 und 1995 zusam86
men mehr als 7,5 ha Wohnbau- und Mischbauflächen geschaffen. Während nach der Jahrtausendwende lediglich in einem geringfügigen Maße Wohnbau- und Mischbauflächen von in der
Summe 0,8 ha umgesetzt wurden, lag der Schwerpunkt der Flächenentwicklung in den Jahren
2006 und 2007 auf der Gewerbegebietsentwicklung, wodurch etwas mehr als 6 ha Freifläche für
Gewerbliche Bauflächen in Anspruch genommen wurden. Gegenüber Erp und Friesheim setzte
der Schwerpunkt der Flächenentwicklung zu Wohnbau- und Mischnutzungszwecken in
Bliesheim deutlich früher ein. 1969 und 1971 wurden hier mehr als 3,5 ha Wohnbau- und
Mischnutzungsflächen entwickelt. Seit diesem Zeitpunkt fanden abgesehen von geringfügigen
Flächeninanspruchnahmen im Zuge einer Abrundungssatzung und einer Ergänzungssatzung im
Zuge der Nuller Jahre keinerlei Flächenentwicklungen statt. Nichtsdestotrotz ist anzumerken,
dass nahezu der gesamte nördlich gelegene Siedlungskörper Bliesheims in weiten Teilen bereits
vor 1969 insgesamt bis 1974 völlig neu entstanden ist, wodurch ebenfalls in Bliesheim eine deutliche Ausweitung des Siedlungsgebietes nachgewiesen werden kann (Abbildung 15).
Berücksichtigt man die zur Zeit der Untersuchung im Planverfahren befindlichen Bebauungspläne, wird deutlich, dass in den Fokusortsteilen lediglich in Bliesheim ein Neubaugebiet für
Wohnbebauung vorgesehen ist. In diesem sollen ca. weitere 7 ha Freifläche für Wohnbauzwecke
in Anspruch genommen werden. Vor dem Hintergrund des zur Jahrtausendwende vollzogenen
Wandels zu kleinflächigeren Flächenentwicklungsmaßnahmen in mehreren Ortsteilen stellt diese
Maßnahme einen Rückschritt hin zu vereinzelten großflächigen Flächenentwicklungen, die vor
allem vor der Jahrtausendwende in Erftstadt durchgeführt wurden, dar. Bezieht man darüber hinaus die Entwicklungsprognose bezüglich der Bautätigkeit in den einzelnen Ortsteilen bis 2015
ein, wird deutlich, dass zwei weitere Baugebiete in Dirmerzheim sowie ein großes neues Baugebiet in Gymnich entwickelt werden sollen. In der Mehrzahl der Ortsteile sind allerdings bislang
keine weiteren Flächenentwicklungen zu Wohnbauzwecken vorgesehen (Stadt Erftstadt
2013b:Entwicklungsprognose bezüglich der Bautätigkeit in den Erftstädter Stadtteilen bis 2015).
In der Konsequenz der bisherigen Flächenexpansion der Stadt Erftstadt sowie einer Konzentration der Nachfrage nach Wohnbauland für den Neubau auf das direkte Umland der Großstädte
zeigt sich laut der KSK-Immobilien GmbH (2013:18) in weiten Teilen Erftstadts bei einem
überdurchschnittlichen Angebot an freistehenden Einfamilienhäusern im Neubau eine unterdurchschnittliche Nachfrage. Ähnlich verhält es sich auch bei Doppelhaushälften im Neubau,
wobei nichtsdestotrotz nicht vernachlässigt werden darf, dass laut der KSK-Immobilien GmbH
(2013:18-20), wie in Abbildung 35 erkennbar, aktuell im südlichen Ländlichen Raum Erftstadts
ein günstiges Klima für freistehende Einfamilienhäuser im Neubau vorherrscht.
87
Abb.35: Angebot und Nachfrage für freistehende Einfamilienhäuser im Neubau. Quelle: KSK-Immobilien GmbH
2013:18.
9 Wesentliche Auswirkungen des Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen
im Ländlichen Raum Erftstadts
9.1 Vorgehen zur Ermittlung der Auswirkungen des Gebäudeleerstands in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Im Gegensatz zur Erforschung der eigentümerseitigen Ursachen für Gebäudeleerstände wurde
im Falle der Untersuchung der Auswirkungen von Gebäudeleerständen ein anderer methodischer
Weg eingeschlagen. So wurde keine quantitativ standardisierte Befragung vorgenommen. Vielmehr wurden aufbauend auf den umfangreichen Literaturrecherchen und den Beobachtungen im
88
Zuge der Ortsbegehungen problemzentrierte leitfadengestützte Experteninterviews durchgeführt.
Die Auswahl dieser nicht-standardisierten Befragungsform als Schwerpunktmethode ist dadurch
zu begründen, dass sie sich durch die Prämisse einer „weitgehende[n] Offenheit“ auszeichnet
(Reuber/ Pfaffenbach 2005:131) und sich zugleich aufgrund einer Vergleichbarkeit der Transkriptionen vorteilhaft für die Auswertung der Interviews erweist (Nohl 2009:21). Allerdings ist
darauf hinzuweisen, dass die Erforschung der Auswirkungen der Gebäudeleerstände im Rahmen
der Experteninterviews einerseits aufgrund der zur Zeit der Untersuchung niedrigen Leerstandsquoten und andererseits aufgrund der bewussten Nicht-Vorlage der Ergebnisse der Leerstandsuntersuchung im Zuge der Interviews einen teilweise hypothetischen Charakter aufwies.
Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte gemäß Flick (2007:213) prozesshaft. Um ein differenziertes Bild über die Auswirkungen von Gebäudeleerständen im Ländlichen Raum zu erhalten, wurde bei der Auswahl der Interviewpartner darauf geachtet, dass sowohl Experten mit einer
Innenperspektive als auch Experten mit einer Außenperspektive einbezogen wurden. Die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenperspektive wurde anhand der Stellung der Experten innerhalb des Untersuchungsraums vorgenommen. Dementsprechend wurden auf der Seite der
Innenperspektive Experteninterviews mit den OrtsbürgermeisterInnen der größeren ländlichen
Fokusortsteile Friesheim, Bliesheim und Erp geführt. Weitere der Innenperspektive zuzuordnende Experteninterviews wurden darüber hinaus mit dem Leiter des Umwelt- und Planungsamtes
der Stadt Erftstadt sowie dem Antragssteller der Masterarbeit, dem Fraktionsvorsitzenden der
SPD im Rat der Stadt Erftstadt und Vorsitzenden des Stadtentwicklungsausschusses, abgehalten.
Diese stellen Schlüsselinterviews dar, da sie neben der Auswirkungsuntersuchung jeweils einen
zweiten wesentlichen Forschungsschwerpunkt aufweisen. So wurde im Falle des Interviews mit
dem Antragssteller der Masterarbeit der Anlass für die Initiierung der Masterarbeit beleuchtet,
wohingegen im Falle des Interviews mit dem Leiter des Umwelt- und Planungsamtes ein zweiter
Schwerpunkt auf die Baulandstrategie und -entwicklung Erftstadts gelegt wurde. Demgegenüber
wurde die Außenperspektive über ein Experteninterview mit dem Leiter Research der KSKImmobilien GmbH sowie einem Gruppeninterview mit drei Vertretern des Gutachterausschusses
für Grundstückswerte des Rhein-Erft-Kreises abgedeckt.
Da der Zugang zum Forschungsfeld durch den bereits im Vorfeld der Untersuchung bestehenden
Kontakt zum Umwelt- und Planungsamt der Stadt Erftstadt gegeben war, konnten über diese
Verbindung die Interviews mit den OrtsbürgermeisterInnen der drei größeren ländlich geprägten
Fokusortsteile abgestimmt werden. Gleiches galt für die Vereinbarung der anderen Interviews,
welche die Innenperspektive abdecken. Bezüglich der Interviews mit den Experten, die die Au89
ßenperspektive auf die Untersuchung widerspiegeln, wurde der Zugang über Anschreiben an die
jeweilige Geschäftsstelle hergestellt.
Zur Vorbereitung auf die Experteninterviews wurden die im Anhang beigefügten Interviewleitfäden entworfen, welche einen Orientierungsrahmen bei der Interviewführung boten. Um die
Hintergründe der jeweiligen Interviewpartner zu berücksichtigen, wurden insgesamt vier leicht
abgewandelte Leitfäden entworfen. Da diese das auf umfassenden Literaturrecherchen, Beobachtungen und Erfahrungen beruhende Vorverständnis des Untersuchungskontexts seitens des Forschers widerspiegeln (Lamnek 2010:333), stellen sie laut Reuber/ Pfaffenbach (2005:134) „klare
Vorab-Konstruktionen“ dar. Demzufolge steht bei problemzentrierten Interviews zwar eine
„Konzeptgenerierung durch den Befragten“ im Mittelpunkt (Lamnek 2010:333), allerdings wird
die Existenz eines bestehenden wissenschaftlichen Konzepts seitens des Forschers vorausgesetzt
(Friebertshäuser/ Langer 2009:439). Dieses wird im Zuge der problemzentrierten Interviews
durch eine „Kombination aus Induktion und Deduktion“ modifiziert (Lamnek 2010:333). Damit
stellt das problemzentrierte Interview die Untersuchungsmethode dar, welche den Charakter der
gesamten Untersuchung am besten widerspiegelt. Aus diesem Grund wurden neben den Auswirkungen leer stehender Gebäude weitere für die Gesamtuntersuchung bedeutsame Aspekte wie
eine Einschätzung des Immobilienmarktes sowie der Leerstandssituation im Ländlichen Raum
Erftstadts, ihrer Ursachen sowie Zukunftsaussichten in die Leitfäden eingebunden.
Obwohl die Leitfäden in unterschiedliche Phasen aufgeteilt wurden und eine Vorstrukturierung
enthielten, wurden sie bei der Interviewführung der jeweiligen Situation angepasst, sodass der
Interaktionsfluss nicht unterbrochen wurde (Lamnek 2010:334, Schnell et al. 2008:387). Um den
Interviewpartnern den Raumbezug zu erleichtern, wurden Flurkarten der Fokusorte als Hilfsmittel mit in die Interviews eingebracht. Insofern raumbezogene Aussagen getroffen wurden, wurde
aus auswertungspragmatischen Gründen darauf geachtet, dass die Interviewpartner ihre Aussagen auf konkrete Straßennamen oder räumliche Bezugspunkte konkretisieren.
Neben den problemzentrierten leitfadengestützten Experteninterviews wurde eine Gruppendiskussion als ergänzende Methodik eingesetzt. Der Anlass hierfür ergab sich situativ als zu einem
vereinbarten Einzelinterview zwei weitere Interviewpartner hinzugezogen wurden. Die Besonderheit, die sich hieraus ergab, bestand in einer zusätzlichen Interaktion und in der Weiterleitung
von Fragen zwischen den Teilnehmern (Atteslander 2010:141), wodurch innerhalb lediglich einer Interviewsituation die Erfahrungskontexte mehrerer Interviewpartner bezüglich der
90
Leerstandsthematik berücksichtigt werden konnten. Nichtsdestotrotz bildeten problemzentrierte
leitfadengestützte Einzelinterviews die Schwerpunktmethode dieses Untersuchungsschritts.
Damit die Leitfadeninterviews im Nachhinein transkribiert und ausgewertet werden konnten,
wurden sämtliche qualitative Befragungen auf Tonband aufgezeichnet. Im Anschluss an die Erhebungsphase schloss sich die Transkription der in den meisten Fällen etwa eine Stunde andauernden Interviews an, die insgesamt allerdings eine Spannweite von 37 bis über 100 Minuten
aufwiesen. Dabei wurde eine für geographische Arbeiten übliche Transkription in „normales
Schriftdeutsch“ durchgeführt, die sich dadurch auszeichnet, dass die wesentliche „Charakteristik
der gesprochenen Sprache erhalten [bleibt, wobei] die Lesbarkeit […] jedoch [durch Bereinigung
des Dialekts, Beheben von Satzbaufehlern und Glättung des Stils] erheblich verbessert“ wird
(Reuber/ Pfaffenbach 2005:154-155). Am Ende dieses Arbeitsschrittes standen dadurch mehr als
124 Seiten transkribierter Interviews als Datengrundlage für die Auswertung zur Verfügung.
Die Auswertung der Interviewtranskriptionen erfolgte mittels einer thematischen Kodierung.
Diese Vorgehensweise ermöglicht einerseits eine zielgerichtete Auswertung durch die bereits
vorgegebenen Themen und stellt andererseits eine hohe Vergleichbarkeit der Interviews sicher
(Reuber/ Pfaffenbach 2005:164). Hierzu wurde vorab ein grob strukturierter Codebaum entwickelt, der im Verlauf der Auseinandersetzung mit den erhobenen Daten weiter modifiziert wurde
(Schmidt 2007:447). Dieser untergliedert sich in die in Abbildung 36 erkennbaren Oberthemen.
Zu jedem dieser Oberthemen wurden vorab erste Unterkategorien gebildet, die als Ansatz für die
Auswertung dienen sollten. Da ergebnisoffen ausgewertet wurde, sind die Kategorien bewusst
allgemein gehalten und erst im Verlauf der Auswertung modifiziert worden (Schmidt 2007:447456). Entsprechend dieser Vorgehensweise konnte eine Auswertung vom Einzelfall zu einem
fallübergreifenden Vergleich sichergestellt werden (Reuber/ Pfaffenbach 2005:164-165).
91
Abb.36: Codebaum zur Auswertung der leitfadengestützten Experteninterviews. Quelle: Eigene Darstellung.
9.2 Untersuchungsergebnisse: Wesentliche Auswirkungen des Gebäudeleerstands in den
Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Auf Basis einer mittelfristig sinkenden Nachfrage sowie eines mit einem kontinuierlichen
Wachstum der Siedlungskörper verbundenen erhöhten Angebots an Wohnraum kann losgelöst
von den individuellen eigentümerseitigen Ursachen davon ausgegangen werden, dass, wie im
Rahmen der Prognose des Wohngebäudeleerstands in den ländlichen Fokusortsteilen Erftstadts
dargestellt, die Zahl der strukturellen Leerstände in Erftstadt bereits in näherer Zukunft zunehmen wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, sich mit den potentiell von Gebäudeleerständen ausgehenden Auswirkungen auseinander zu setzen, um abschätzen zu können welche
Folgen bei einer ungehemmten Entwicklung des Gebäudeleerstands auf die Kommune zukommen können. Da die quantitative Dimension des Leerstands in den Fokusortsteilen zur Zeit der
Untersuchung erst spärlich ausgeprägt war, konnten die im Folgenden beschriebenen Auswirkungen wenn überhaupt erst in Ansätzen in den Fokusortsteilen ausgemacht werden.
92
9.2.1 Untersuchungsergebnisse: Auswirkungen des Gebäudeleerstands auf den Immobilienmarkt in den Fokusortsteilen im Ländlichen Raum Erftstadts
Selbst wenn vereinzelte strukturelle Gebäudeleerstände in geringer Quantität aus stadtentwicklungspolitischer Perspektive keine Grundlage für einen akuten Problemdruck darstellen, geht mit
jedem einzelnen strukturellen Gebäudeleerstand in der Regel ein Wertverlust des individuellen,
vom Leerstand betroffenen Objektes einher (Arens 2007:67). Dies ist auf eine gänzlich ausbleibende oder teilweise eingeschränkte „Beaufsichtigung, Unterhaltung, Instandsetzung sowie Beheizung“ zurückzuführen (Horbach 2011b:38). Infolge eines anhaltenden Ausbleibens von
Instandhaltungsmaßnahmen, wie bspw. der Sicherstellung der Dichtheit des Daches, und eines
Andauerns des Leerstands können sich witterungsbedingt Verfallstendenzen der Gebäude einstellen (Interview 2:375-377). Neben einer Ruderalisierung infolge einer ausbleibenden Pflege
der leer stehenden Immobilien (Interview 3:797-805, Brandes 2010:Ruderalvegetation), wie beispielhaft in Abbildung 37 dargestellt, kann ein Ausbleiben von Erhaltungsinvestitionen zu einem
Verfall der Gebäude bis hin zur vollständigen Baufälligkeit führen (Interview 2:375-377).
Abb.37: Ruderalisierung eines strukturellen Leerstands in Friesheim Mitte 2013. Quelle: Eigene Aufnahme.
Existieren derartige baufällige bzw. marktabgängige Immobilien dauerhaft fort, wie das in Abbildung 38 dargestellte Beispiel, können Bauruinen entstehen, wodurch selbst von vereinzelten
strukturellen Leerständen negative Auswirkungen ausgehen können, die eine über das individuelle Objekt hinausgehende Ausstrahlungskraft besitzen. So können derartig verfallene Immobi93
lien nicht nur zu Anziehungspunkten für Ungeziefer und Vandalismus werden, sondern auch
durch ihre akute Baufälligkeit eine Gefahr für angrenzende Gebäude darstellen, wodurch selbst
von einzelnen strukturellen Leerständen eine Beeinträchtigung der Wohn- und Lebensqualität
der Nachbarschaft ausgehen kann (Interview 3:378-381; 405-408, Interview 6:485-489).
Abb.38: Baufälligkeit eines strukturellen Leerstands in Erp Mitte 2013. Quelle: Eigene Aufnahme.
Prägen sich darüber hinaus Leerstandskumulationen aus, wie sie gemäß den Ergebnissen der
Prognose des Wohngebäudeleerstands (Kapitel 7.2) zu erwarten sind, kann sich eine enorme
„optische Beeinträchtigung des Ortsbildes“ einstellen (Streich et al. 2009:18). Dabei spielt es
keine Rolle ob Wohn-, Wirtschafts- oder soziale Infrastrukturgebäude von strukturellen Leerständen betroffen sind, da die optisch beeinträchtigenden Implikationen von den „unansehnlichen Außenhüllen“ der Gebäude ausgehen (Miosga 2011:10). In der Folge kann sich eine
Minderung der Attraktivität betroffener Lagen ausbilden, die Identifikationsverluste, einen
Imageverlust oder auch eine Stigmatisierung ganzer Quartiere nach sich ziehen kann (Horbach
2011b:38, Streich et al. 2009:18). Obwohl derartige optische Beeinträchtigungen und daran gekoppelte Imageverluste vornehmlich durch Leerstandskumulationen (Uhrhan 2007:55), wie beispielhaft in Abbildung 39 dargestellt, ausgelöst werden, können ebenfalls einzelne strukturelle
Leerstände, insofern sie in hohem Maße ortsbildprägende Gebäude betreffen, ähnliche Auswirkungen mit sich bringen. Ein Beispiel hierfür wird in Abbildung 40 dargestellt, indem ein langjähriger struktureller Leerstand den nördlichen Ortseingangsbereich eines Fokusortsteils prägt.
94
Abb.39: Leerstandskumulation in Friesheim Mitte 2013. Quelle: Eigene Aufnahme.
Abb.40: Einzelner ortsbildprägender struktureller Leerstand in Friesheim Mitte 2013. Quelle: Eigene Aufnahme.
In der Konsequenz der optischen Beeinträchtigungen und der Identifikationsverluste der ansässigen Bevölkerung mit ihrer Nachbarschaft kann sich eine sinkende Investitionsbereitschaft der
Eigentümer in ihre Immobilien sowie eine geringere Bindung zu ihrem Quartier einstellen, was
95
zu einer Diffusion des Leerstands und baulichem Verfall, einem Modernisierungsstau und einer
erhöhten Abwanderungsbereitschaft führen kann (Streich et al. 2009:18; 24). Dadurch können
sich bei einer hohen quantitativen Dimension des Leerstands die nachbarschaftlichen Kontakte in
einem Quartier verringern. Das „nachbarliche Schauen“ und das gegenseitige aufeinander Acht
Geben können verloren gehen, wodurch Angsträume entstehen und sich das Wohlbefinden innerhalb der eigenen Nachbarschaft verringern können (Interview 4:842-853). Dementsprechend
weisen Leerstandskumulationen neben der optischen und bedeutungsaufgeladenen Wirkungskomponente ebenfalls eine soziale Wirkungskomponente auf (Streich et al. 2009:18).
Darüber hinaus kann sich basierend auf den optischen Beeinträchtigungen und den daran gekoppelten Imageverlusten einzelner Quartiere ebenfalls eine städtebauliche Situation ausbilden, die
eine abschreckende Wirkung auf potentielle Neubürger hat (Interview 1:298-299), was sich letztlich in einer negativen Entwicklung der Anzahl der Zuzüge widerspiegelt (Streich et al.
2009:18). Ausgehend von der verringerten Attraktivität für potentielle Neubürger kann sich der
im strukturellen Leerstandfall eintretende Wertverlust der betroffenen Immobilien ebenfalls auf
angrenzende, nicht leer stehende Objekte ausdehnen (Interview 7:632-638), wodurch sich eine
„Minderung der Bodenwerte“ einstellt (Horbach 2011b:38). Augenscheinlich wird diese Wirkungskomponente allerdings erst im Falle einer angestrebten Vermarktung einer Immobilie.
Fallen in derartigen Lagen bspw. aufgrund des Versterbens des ehemaligen Eigentümers weitere
Gebäude leer, werden Probleme in der Vermarktbarkeit selbst von Gebäuden in einem vergleichsweise guten baulich-technischen Zustand deutlich (Interview 7:640-642, Horbach
2011b:40). Wenn die neuen Eigentümer, im Regelfall die Erben, eine Vermarktung der Immobilie anstreben, werden die Preisvorstellungen oftmals nicht erfüllt, was vorbehaltlich eines fehlenden Verkaufsdrucks einen Aufschub des Verkaufs nach sich zieht (Kötter 2008:61).
Für den Fall, dass die bisherigen Eigentümer in derartigen Lagen bspw. aufgrund eines angestrebten Fortzugs in eine altersgerechte Wohnform eine Vermarktung ihrer Immobilie beabsichtigen, kann sich infolge des Auseinanderdriftens ihrer Preisvorstellungen und der geminderten
Verkehrswerte der Immobilien eine Reduzierung der Mobilitätsbereitschaft der Eigentümer im
Alter einstellen (Spellerberg/ Spehl 2011:2). In der Folge verharren die Eigentümer im Alter
solange in ihrer Immobilie, wie dies die gesundheitliche Verfassung zulässt. Da ältere Menschen
allerdings nur in einem geringen Maße Investitionen in ihre Immobilien tätigen, erhöht sich der
Investitionsbedarf für die Nachnutzer, was sich neben lagebezogenen Attraktivitätsverlusten negativ auf die Attraktivität des individuellen Objekts auswirkt (Streich et al. 2009:23). In der
96
Konsequenz setzt ein „Teufelskreis“ ein (Henkel 2012:253), der sich in einer Ansammlung sozial schwächerer Haushalte (Interview 1:335-340), einer anhaltenden Abwertungsspirale bzw. einem trading down und einer Leerstandsdiffusion ausprägt (Horbach 2011b:38).
Dementsprechend bleibt festzuhalten, dass sich Gebäudeleerstände nicht nur auf das individuell
vom Leerstand betroffene Objekt auswirken, sondern darüber hinaus im Falle von besonders
ortsbildprägenden Gebäuden oder in Kumulationen sowohl städtebauliche als auch soziale Implikationen nach sich ziehen können. Dadurch können strukturelle Leerstände laut Miosga
(2011:12-13) weitere Leerstände nach sich ziehen, wodurch ihnen eine leerstandsinduzierende
Wirkung zuzuschreiben ist und sie einen negativen Einfluss auf den Immobilienmarkt aufweisen.
9.2.2 Kommunale Auswirkungen des Gebäudeleerstands auf die Stadt Erftstadt
Neben den in Kapitel 9.2.1 beschriebenen Auswirkungen des Gebäudeleerstands auf den Immobilienmarkt gehen mit Gebäudeleerständen ebenfalls negative Auswirkungen für die Kommune
einher, die eine „gesamtgesellschaftliche Relevanz“ aufweisen (Arens 2007:67). So zieht eine
Leerstandsdiffusion in mehrfacher Hinsicht eine Ausdünnung der Siedlungskörper nach sich.
Wie anhand des Vergleichs zwischen der Situation des Gebäudeleerstands zum Untersuchungszeitpunkt Mitte 2013 und zum Prognosezeitpunkt 2023 in den ländlichen Fokusortsteilen deutlich wird, ist davon auszugehen, dass sich der Gebäudeleerstand aus den Ortskernen heraus in
die Siedlungserweiterungsgebiete ausdehnen wird. Dabei entsteht eine Siedlungsstruktur, in der
sich der Gebäudeleerstand auf bestimmte Teilbereiche der Siedlungskörper konzentriert. So wird
sich die Wohnbevölkerung durch strukturellen Leerstand vor allem in den Straßenzügen verringern, die bereits zum Untersuchungszeitpunkt in hohem Maße von über 65 Jährigen bewohnt
wurden. In der Folge kann unter Berücksichtigung der in Kapitel 9.2.1 beschriebenen Attraktivitätsverluste für die Ansiedlung von Neubürgern vom Einsetzen einer „Zahnlückenarchitektur“
(Interview 1:350-353) ausgegangen werden, welche sich in einer „Perforierung der Siedlungsstruktur“ niederschlägt (Linke/ Köhler 2010:106). In Abbildung 41 werden die wesentlichen
Auswirkungen einer solchen für die Kommune schematisch dargestellt.
97
Abb.41: Ausbildung einer perforierten Siedlungsstruktur aufgrund einer Leerstandsdiffusion. Quelle: Eigene Darstellung nach Linke/ Köhler 2010:105.
Ausgehend von einer Diffusion des Wohngebäudeleerstands ergibt sich ein „gestörte[r] räumliche[r] und funktionale[r] Zusammenhang“ innerhalb der Siedlungskörper, der sowohl für die
private als auch für die öffentliche soziale und technische Infrastruktur weitreichende Implikationen mit sich bringt. So zieht eine ungehemmte Diffusion des Wohngebäudeleerstands eine
Zunahme der gewerblichen Leerstände und Auslastungsprobleme sozialer Infrastruktureinrichtungen nach sich (Miosga 2011:9-10). Sowohl gewerbliche Einrichtungen wie Gaststätten und
private Versorgungseinrichtungen wie kleinere Einzelhandelseinrichtungen weisen bestimmte
Mindestwerte bezüglich des Kaufkraftpotentials innerhalb eines definierten Einzugsgebiets auf,
um wirtschaftlich betrieben werden zu können. In ähnlicher Weise sind für den Betrieb von öffentlichen Infrastruktureinrichtungen wie Kindergärten oder Grundschulen eine bestimmte Mindestanzahl an Einwohnern innerhalb eines definierten Einzugsgebiets erforderlich. Demnach
kann eine Diffusion des Wohngebäudeleerstands einen Anstieg des Leerstands privater und öffentlicher Infrastruktureinrichtungen nach sich ziehen (Miosga 2011:10). In dessen Konsequenz
setzen sich wiederum die auf den wirtschaftlichen Strukturwandel zurückzuführenden, seit Jahrzehnten andauernden Funktionsverluste in den historischen Ortskernen fort. Dadurch prägen sich
Attraktivitätsverluste für die Ansiedlung von Neubürgern aus, was sich wiederum negativ auf die
Wohnfunktion der historischen Ortskerne auswirkt. In der Folge kann sich ein Zerfall der Ortsteile „von Innen“ heraus ausbilden (Interview 1:303), während gemäß der Baulandentwicklung
der Stadt Erftstadt (Kapitel 8.2.3) abzusehen ist, dass zumindest in naher Zukunft eine weitere
Konzentration der Bauaktivitäten auf die Neubaugebiete an den Ortsrändern stattfinden wird.
98
Darüber hinaus weist eine perforierte Siedlungsstruktur ebenfalls zu berücksichtigende Auswirkungen auf die technische Infrastruktur, wie bspw. Wasser- und Abwassernetze, die Abfallentsorgung oder das straßengebundene Verkehrsnetz, auf. So ist die „Lebensdauer vieler
Infrastrukturanlagen“ auf mehrere Menschen-Generationen ausgelegt, sodass ihr Bau sogar in
einem bislang in geringem Maße vom demographischen Wandel betroffenen Plangebiet einer
genauen Abwägung und langfristigen Planung bedarf (Schaffert 2009:181-182).
Im Falle des Eintretens einer perforierten Siedlung ergeben sich für die Nutzer steigende Kosten.
Bezüglich der Wasser- und Abwassernetze ist darauf hinzuweisen, dass die Querschnitte der
Leitungen auf eine sich aus einer kalkulierten angeschlossenen Nutzerzahl ergebenden Durchflussmenge ausgelegt wurden. Unterschreitet die tatsächliche Durchflussmenge die geplante
Durchflussmenge, „erhöht sich bei der Trinkwasserleitung die Standzeit des Trinkwassers in der
Leitung“, wodurch sich das Risiko einer Verkeimung erhöht (Linke/ Köhler 2010:106). Bei einer
„Schwerkraft-Abwasserleitung [verringert sich demgegenüber] die Abflussgeschwindigkeit“,
weshalb sich die Menge der Ablagerungen in der Leitung erhöht (Linke/ Köhler 2010:106). In
der Konsequenz kommt es in beiden Fällen zu einem gestiegenen Reinigungsbedarf, was eine
Kostenerhöhung für die Nutzer nach sich zieht. In ähnlicher Weise stellt sich sowohl bei der Abfallentsorgung als auch beim straßengebundenen Verkehrsnetz infolge einer geringeren Auslastung ein Kostenanstieg für die Nutzer ein. So verringert sich bei der Abfallentsorgung im
Holsystem im Falle einer Leerstandsdiffusion die gesammelte Abfallmenge innerhalb des Entsorgungsgebiets, was zu einem Kostenanstieg je Kubikmeter Abfall führt. Bezogen auf das straßengebundene Verkehrsnetz zieht eine Reduzierung der Einwohnerzahl innerhalb eines
Siedlungskörpers eine Erhöhung der Instandhaltungskosten je Einwohner nach sich. Als direkte
Folge der steigenden Kostenbelastung für die Einwohner erhöht sich die Abwanderungsbereitschaft, wobei sich zugleich die Attraktivität für potentielle Zuwanderer reduziert (Linke/ Köhler
2010:106). Anhand des Luftbilds eines Musterortes in Abbildung 42 werden die Implikationen
einer perforierten Siedlung für die technische Infrastruktur eindrucksvoll deutlich.
99
Abb.42: Luftbild einer perforierten Mustersiedlung. Quelle: Schaffert 2011 zit. in Linke 2012:24.
10 Handlungsempfehlungen für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen im Ländlichen Raum Erftstadts
Der Umgang mit leer stehenden Gebäude obliegt der Entscheidung des jeweiligen Eigentümers
(Voß et al. 2011:168). Für welche Handlungsoption sich im Umgang mit dem leer stehenden
Objekt im Einzelfall entschieden wird, ist demnach in hohem Maße von der individuellen Bereitschaft und den finanziellen Möglichkeiten des Eigentümers abhängig. Nichtsdestotrotz stehen
Städte und Gemeinden im Sinne einer vorausschauenden Planung nicht nur in der Verantwortung sich einen Überblick über die Entwicklung des Gebäudeleerstands zu verschaffen (Streich
2011:36), sondern aufgrund ihrer gesamtgesellschaftlichen Implikationen im Falle einer markanten Leerstandsdiffusion darüber hinaus in der Pflicht, planerischen Einfluss auf das Phänomen zu
nehmen, um gebietsbezogenen Abwertungstendenzen mit sämtlichen negativen Folgewirkungen
aktiv entgegen zu wirken. Dementsprechend werden im Rahmen dieses Kapitels kommunale
Handlungsmöglichkeiten für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen aufgezeigt.
Da im Rahmen der Leerstandsuntersuchung herausgestellt werden konnte, dass zum Untersuchungszeitpunkt weder in den Fokusortsteilen noch in den anderen ländlichen Ortsteilen ein akuter Problemdruck vorherrscht, wird vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Haushaltslage der
Stadt Erftstadt von einer zeitnahen Einrichtung eines Leerstandsmanagements abgeraten. Viel100
mehr empfiehlt sich vorerst die Entwicklung des Gebäudeleerstands durch die Einrichtung eines
Leerstandsmonitorings kontinuierlich weiter zu verfolgen. So erscheint die Wiederholung der
Leerstandsuntersuchung mit dem in den Kapiteln 6.1 und 6.2 vorgestellten Verfahren in einem
regelmäßigen Turnus als sinnvoll. Berücksichtigt man, dass für 682 Wohngebäude in den Fokusortsteilen bis zum Jahr 2023 ein Leerstandsverdacht angesetzt werden kann, während sich die
Anzahl der strukturellen Wohngebäudeleerstände im gleichen Zeitraum von 43 zum Zeitpunkt
der Untersuchung um nahezu 490% erhöhen kann, sollte ein Turnus von zunächst ein bis zwei
Jahren zur Wiederholung der Leerstandsuntersuchung nicht überschritten werden.
Im Falle eines mangelnden Abbaus der strukturellen Leerstände durch den Immobilienmarkt
über mehrere Jahre hinweg können sich gemäß den Prognoseergebnissen durchaus als problematisch zu betrachtende strukturelle Leerstandsquoten aufbauen. Bei diesen kann von einem Eintreten der in Kapitel 9.2 beschriebenen negativen Folgewirkungen für den Immobilienmarkt und die
Stadt Erftstadt ausgegangen werden. Dementsprechend empfiehlt sich im Rahmen des
Leerstandsmonitorings eine Beobachtung der strukturellen Leerstände innerhalb ihrer Siedlungskörper. Zeichnet sich tatsächlich eine Leerstandsdiffusion über die Ortskerne hinaus bis in die
Siedlungserweiterungsgebiete der 1970er Jahre ab, sollte dies als Indikator für den in Kapitel
9.2.2 postulierten einsetzenden Zerfall der ländlich geprägten Ortsteile von Innen heraus angesehen werden. Die Einrichtung eines Leerstandsmanagements empfiehlt sich erst, sobald sich Anzeichen für derartige Entwicklungstendenzen erkennen lassen. Nichtsdestotrotz ergeben sich aus
den im Folgenden aufgezeigten Maßnahmen diverse Möglichkeiten für die Stadt Erftstadt einer
Leerstandsdiffusion auch ohne die Einrichtung eines Leerstandsmanagements entgegenzuwirken.
10.1 Formelle Instrumente für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen
Aufbauend auf dem einzurichtenden Leerstandsmonitoring zur kontinuierlichen Beobachtung
der Entwicklung des Gebäudeleerstands existiert eine Reihe von formellen Instrumenten, derer
sich die Stadt Erftstadt für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen bedienen kann. So
wird den Kommunen mit dem allgemeinen und besonderen Städtebaurecht ein Instrumentarium
an die Hand gegeben, welches durchaus Möglichkeiten aufweist die Bestandsentwicklung in
Einfamilienhausgebieten, wie sie für die ländlichen Ortsteile Erftstadts charakteristisch sind,
anzuregen (Wüstenrot Stiftung 2012:269) und damit dem Gebäudeleerstand entgegenzuwirken.
Während das allgemeine Städtebaurecht vor allem darauf ausgerichtet ist, die „Bebaubarkeit
grundsätzlich zu ermöglichen“, ohne dabei das „ob und wann“ der baulichen Entwicklung zu
klären, ist das besondere Städtebaurecht auf die Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen inner101
halb bestimmter Fristen ausgerichtet (Wüstenrot Stiftung 2012:272). Darüber hinaus bietet das
allgemeine Städtebaurecht im Rahmen der Bestandsentwicklung Potentiale, um Innenentwicklung zu betreiben und die Flächeneffizienz zu erhöhen (Wüstenrot Stiftung 2012:269), wohingegen das besondere Städtebaurecht in erster Linie dazu dient, den Umgang mit den Missständen,
die sich innerhalb des städtebaulichen Bestands entwickelt haben, zu regeln (ARL 2011:3.4).
Dementsprechend kommt den Maßnahmen des allgemeinen Städtebaurechts für den Umgang mit
Gebäudeleerständen eine präventive Funktion zu, während die Maßnahmen des besonderen Städtebaurechts insbesondere im Falle einer bereits fortgeschrittenen Leerstandsdiffusion und eines
daran gekoppelten trading downs Anwendung finden sollten (Uhrhan 2007:58).
10.1.1 Baurechtliche Potentiale zur Prävention einer Leerstandsdiffusion
Die vorhandenen Strukturen in den historischen Ortskernen der ländlich geprägten Fokusortsteile, in denen sich zum Zeitpunkt der Untersuchung der Großteil der identifizierten Gebäudeleerstände befand, sind sehr alt. So liegt in den Ortskernen eine enge innerörtliche Bebauung vor, die
gemäß der Grundstücksgrößen und ihrer -zuschnitte in der Regel nicht den aktuellen Anforderungen nach Grundstücken und Immobilien entspricht (Interview 2:42-46; 227-230, Interview
3:495-504; 566, Interview 4:915-916). Dadurch behindern die kleinteilige Grundstücksstruktur
und die engmaschige Bebauungsstruktur aktuelle und künftige städtebauliche Planungen, wodurch sie den Zielen der städtebaulichen Entwicklung entgegenstehen (Horbach 2011a:88).
Dementsprechend kann hierin im Kontext des Gebäudeleerstands ein Ordnungsbedarf gesehen
werden, auf Basis dessen sich ein konkreter Anlass für die Anwendung der Instrumente der Bodenordnung ergibt. Dabei ist der Enteignung gemäß §§85-92 BauGB kein Potential für einen
aktiven kommunalen Umgang mit Gebäudeleerständen zuzuschreiben, da sie generell nur bei
unbebauten und geringfügig bebauten Grundstücken anzuwenden ist und lediglich in „absoluten
Ausnahmefällen [zur Sicherung des Allgemeinwohls] einsetzbar“ ist (Uhrhan 2007:59). Demgegenüber weist eine gesetzliche oder auch vereinfachte Umlegung gemäß §§45-84 BauGB durchaus Möglichkeiten für einen präventiven Umgang mit Gebäudeleerständen auf. So lassen sich
sowohl bebaute als auch unbebaute Grundstücke durch eine Umlegung an die zeitgemäßen Anforderungen für die bauliche und sonstige Nutzung anpassen. Da sich hierfür aufgrund der Enge
der Ortskerne der Bedarf ergibt, stellt die durch eine Umlegung erzielbare Neuordnung der Ortskerne unter Einhaltung aller Verfahrenserfordernisse und unter Berücksichtigung einer vertrauensvollen Einbindung der Betroffenen potentiell eine sinnvolle Möglichkeit zur Prävention einer
Ausbreitung des Gebäudeleerstands innerhalb der Ortskerne dar (Horbach 2011a:90-93).
102
Da innerhalb der Ortskerne besonders wenige bis keine Bebauungspläne vorliegen, wird die Zulässigkeit von Vorhaben häufig gemäß §34 BauGB beurteilt. Dadurch, dass die städtebauliche
Beurteilung im Falle des unbeplanten Innenbereichs gemäß des Prinzips des Einfügens in die
Eigenart der näheren Umgebung einen vergleichsweise großen Gestaltungsspielraum bietet,
ergibt sich durch die Nutzung der Potentiale zur Zulassung von „An- oder Aufbauten oder weiteren Anpassungen der Gebäude an zeitgemäße Wohnvorstellungen“ eine weitere Chance die
nachteilige Grundstücksstruktur in den Ortskernen auszugleichen (Wüstenrot Stiftung 2012:269).
Darüber hinaus ergibt sich sowohl für landwirtschaftliche Immobilien als auch für sämtliche
anderen Bestandsimmobilien in Innenbereichslagen prinzipiell die Möglichkeit für eine Umnutzung, insofern sich das Vorhaben in die Gebietscharakteristik des näheren Umfelds einfügt und
das Rücksichtnahmegebot nicht tangiert wird. Da eine Umnutzung innerhalb des Innenbereichs
ein Vorhaben im Sinne des §29 BauGB darstellt, wird ihre Zulässigkeit gemäß §30 und §34
BauGB beurteilt (Henseler 2011:68). Hierbei ist zu beachten, dass sich aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwandels das nähere Umfeld innerhalb der historischen Ortskerne nach Art und
Maß der baulichen Nutzung mittlerweile weitestgehend auf die Wohnfunktion beschränkt. Dies
spricht bspw. der Genehmigung einer Umnutzung eines leer stehenden Wohngebäudes zu einer
gewerblichen oder handwerklichen Nutzung prinzipiell entgegen (Uhrhan 2007:55). Nichtsdestotrotz sollte die Zulässigkeit im Falle einer angestrebten Umnutzung in eine nicht wesentlich störende gewerbliche oder handwerkliche Nutzung vor allem anhand des Dorfgebietscharakters
gemäß §5 BauNVO bemessen werden, da eine entsprechende Umnutzung eine funktionale Aufwertung des Ortskerns und damit eine Stärkung der identitätsstiftenden Mitte darstellen kann.
Über die sich daraus ergebende Möglichkeit einer Revitalisierung und Attraktivitätssteigerung
der Ortskerne, der eine hohe Priorität zugesprochen werden sollte, erhöht sich die Chance leer
stehende Bausubstanz wieder einer Nutzung zuzuführen (Uhrhan 2007:55-56).
Neben den auf die historischen Ortskerne konzentrierten Potentialen des allgemeinen Städtebaurechts zur Vorbeugung einer Leerstandsdiffusion existiert in den Siedlungserweiterungsgebieten
der 1960er und 1970er Jahre ein weiteres Potential. Klassischerweise enthalten die Bebauungspläne dieser Dekaden „dezidierte Festsetzungen zur äußeren Gestaltung der Gebäude“ (Wüstenrot Stiftung 2012:270). Zwar können durch starre Festsetzungen qualitativ hochwertige
homogene Siedlungsbilder erzeugt werden, allerdings können sie der Anpassung an zeitgemäße
Wohnvorstellungen sowie dem Erwerb leer stehender Immobilien entgegen stehen (Wüstenrot
Stiftung 2012:270). Dementsprechend können die Bebauungspläne der Siedlungserweiterungsgebiete hinsichtlich ihrer Festsetzungen einer eingehenden Prüfung unterzogen und gegebenen103
falls im Zuge eines Bauleitplanverfahrens eine „sensible Lockerung“ der Festsetzungen realisiert
werden (Wüstenrot Stiftung 2012:270), um den Interessenten leer stehender Immobilien einen
adäquaten Spielraum zur Realisierung zeitgemäßer Wohnraumanforderungen zu gewähren.
Um also einer Ausbreitung der Gebäudeleerstände innerhalb der Siedlungskörper vorzubeugen,
empfiehlt sich dementsprechend eine flexible Handhabung der Gestaltungsspielräume des baurechtlichen Instrumentariums innerhalb der gesetzlich zulässigen Schranken des Städtebaurechts
sowie eine sensible Lockerung der Festsetzungen in den Siedlungserweiterungsgebieten.
10.1.2 Baurechtliche Potentiale für den Fall einer fortgeschrittenen Leerstandsdiffusion
Um zu prüfen welche Möglichkeiten der Stadt Erftstadt im Falle einer fortgeschrittenen
Leerstandsdiffusion für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen zur Verfügung stehen,
wird in diesem Kapitel das besondere Städtebaurecht hinsichtlich seiner Potentiale beleuchtet. Es
bietet vielfältige Möglichkeiten in der Regel vorhandenen Missständen in einzelnen Quartieren,
wie bspw. einer hohen quantitativen Dimension des strukturellen Leerstands und einem daran
gekoppelten trading down, entgegenzuwirken (ARL 2011:3.4). Im Folgenden wird der Fokus der
Betrachtung auf die grundstücks- bzw. objektbezogenen Städtebaulichen Gebote §§175-179
BauGB, die gebietsbezogenen Städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen §§136-164b BauGB und
die Stadtumbaumaßnahmen §§171a-171d BauGB gelegt (Wüstenrot Stiftung 2012:272-273).
Obwohl sowohl das Baugebot, das Pflanzgebot als auch das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot sowie das Rückbau- und Entsieglungsgebot Städtebauliche Gebote darstellen, weisen
lediglich die beiden letztgenannten ein Potential für den Umgang mit Gebäudeleerständen auf.
Der Anordnung eines solchen Gebots ist „eine Beratung der Eigentümer und eine Erörterung des
mit dem Gebot verfolgten Ziels [sowie der] Finanzierungsmöglichkeiten für die vorzunehmenden Maßnahmen aus öffentlichen Kassen“ voranzustellen (Uhrhan 2007:56). Darüber hinaus ist
die Erforderlichkeit aus städtebaulichen Gründen gemäß §175 BauGB als zentrale Voraussetzung der Anordnung zu berücksichtigen, die sich im Falle erheblicher Missstände und Mängel
infolge von strukturellen Leerständen oder Bauruinen durchaus ergeben kann. So sind bauliche
Anlagen als Missstände zu bezeichnen, insofern diese nicht den „Anforderungen an gesunde
Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ genüge tragen. Demgegenüber liegen Mängel vor, sobald bauliche Anlagen „nicht nur unerheblich [in ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung] beeinträchtigt“
werden, hinsichtlich ihres äußeren Erscheinungsbildes das „Straßen- oder Ortsbild nicht nur unerheblich beeinträchtig[en]“ oder erneuerungsbedürftig sind und aufgrund ihrer besonderen städtebaulichen Bedeutung zu erhalten sind (§177 Abs. 2 und 3 BauGB).
104
So steht es der Stadt Erftstadt gemäß §177 BauGB frei „die Beseitigung der Missstände durch
ein Modernisierungsgebot und die Behebung der Mängel durch ein Instandsetzungsgebot
an[zu]ordnen“. Dadurch können die jeweiligen Eigentümer zu einer „Beseitigung der Missstände
und zur Behebung der Mängel“ verpflichtet werden. Allerdings ist dabei zu beachten, dass die
angeordneten Maßnahmen „technisch machbar, baurechtlich zulässig und wirtschaftlich vertretbar“ sein müssen (BBVGH 1989 zit. in. Uhrhan 2007:57). Bis zu welchem Grad die wirtschaftliche Zumutbarkeit einer Instandsetzungs- bzw. Modernisierungsmaßnahme vorliegt, ist von der
Gemeinde im Vergleich zum „Aufwand für die Alternative eines Abbruchs und Neuaufbaus“
abzuwägen (UBVGH 1990 zit. in Uhrhan 2007:57), sodass der Sorgfaltspflicht der Gemeinde
bei Gebotsanordnung eine hohe Bedeutung zukommt (Uhrhan 2007:57). „Da ein Eigentümer nur
zum Tragen der entstandenen Kosten verpflichtet ist soweit er sie refinanzieren kann“ und alle
übrigen Kosten durch die Gemeinde zu erstatten sind, ist das Gebot mit Bedacht anzuordnen, da
damit finanzielle Belastungen für die Gemeinde einhergehen können (Wüstenrot Stiftung
2012:273). Nichtsdestotrotz können für derartige Kosten aber auch Mittel der Städtebauförderung aufgewendet werden, insofern das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot im Rahmen
eines förmlich festgesetzten Sanierungsgebiets angewandt wird (Wüstenrot Stiftung 2012:273).
Demgegenüber verpflichtet das Rückbau- und Entsiegelungsgebot den Eigentümer eines Grundstücks zur Duldung einer vollständigen oder teilweisen Beseitigung einer baulichen Anlage für
den Fall, dass sie den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht (ARL 2011:3.4). Dementsprechend kann das Rückbau- und Entsiegelungsgebot nur im Geltungsbereich eines Bebauungsplans Anwendung finden. Darüber hinaus beschränkt sich die Anwendbarkeit auf derart
desolate Missstände und Mängel, welche weder durch eine Modernisierung noch durch eine Instandsetzung in wirtschaftlich vertretbarem Maße behoben werden können (Wüstenrot Stiftung
2012:273). Da die Gemeinde in jedem Falle die Abbruchkosten und für den Fall, dass mit dem
Rückbau verbundene „Vermögensnachteile“ gemäß §179 Abs. 3 BauGB entstehen, Entschädigungskosten zu tragen hat, gehen mit dem Rückbau- und Entsiegelungsgebot in jedem Falle finanzielle Belastungen einher (Wüstenrot Stiftung 2012:273).
Obwohl durch die Anwendung der Städtebaulichen Gebote durchaus Kosten für die Stadt
Erftstadt entstehen können, wird der im Vorfeld einer solchen Anordnung durchzuführenden
„Inkenntnissetzung der Eigentümer über die rechtliche Möglichkeit eines Erlasses“ (Wüstenrot
Stiftung 2012:273) sowie ihrer Beratung über potentielle Handlungsmöglichkeiten im Umgang
mit den Leerständen ein hohes Potential für einen aktiven kommunalen Umgang mit den Gebäudeleerständen zugesprochen. Da mit der tatsächlichen Anordnung eines Städtebaulichen Gebotes
105
allerdings keine Garantie für eine eintretende Wiedernutzung eines Gebäudes einhergeht und die
Anordnung einen „hohen Eingriff in das Privateigentum“ darstellt, ist nicht davon auszugehen,
dass durch die Anwendung Städtebaulicher Gebote eine nachhaltige Lösung im Umgang mit
Gebäudeleerständen herbeizuführen ist (Uhrhan 2007:67-68).
Demgegenüber stellen städtebauliche Sanierungsmaßnahmen gebietsbezogene Maßnahmen dar.
Sie dienen in erster Linie der Beseitigung bestehender städtebaulicher Missstände. Allerdings
kann eine Kommune bereits im Falle einer „absehbaren Verschlechterung der Situation“, die
bspw. basierend auf einer Leerstandsdiffusion oder einer Verschlechterung der Angebotsqualität
der Wohngebäude in Bezug auf zeitgemäße Wohnansprüche denkbar ist, auf diese Handlungsmöglichkeit zurückgreifen (Wüstenrot Stiftung 2012:273). Dabei setzt ihre Anwendung vorbereitende Untersuchungen, eine förmliche Sanierungsgebietsfestlegung sowie die Festsetzung der
mit ihr verbundenen Ziele und Zwecke voraus (ARL 2011:3.4). Bezüglich der Durchführung der
auf das Allgemeinwohl ausgerichteten städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen ist zwischen Ordnungs- und Baumaßnahmen zu differenzieren. Während die von der Gemeinde durchzuführenden Ordnungsmaßnahmen bspw. die Bodenordnung inklusive des Erwerbs bzw. ggf. der
Enteignung von Grundstücken (Wüstenrot Stiftung 2012:273) sowie der Umlegung nach den §§
45-84 BauGB beinhalten, beziehen sich die von den Eigentümern durchzuführenden Baumaßnahmen auf die Modernisierung, die Instandsetzung, den Neubau sowie den Ersatzneubau. Dementsprechend dienen städtebauliche Sanierungsmaßnahmen einerseits einer auf eine Minderung
eines Wertverlustes abzielenden Bestandspflege und andererseits einer auf eine Bodenwertsteigerung ausgerichtete Nachverdichtung (Wüstenrot Stiftung 2012:274).
Eine weitere Alternative für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen und die daran gekoppelten Abwertungstendenzen in den Ortsteilen stellen Stadtumbaumaßnahmen dar. Sie zielen
gemäß §171a auf die „Herstellung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen“ in „von erheblichen
städtebaulichen Funktionsverlusten betroffenen Gebieten“, von denen im Falle eines „dauerhafte[n] Überangebot[s] an baulichen Anlagen für bestimmte Nutzungen“ auszugehen ist. Als Maßnahmen, die eine derartige Anpassung und Aufwertung des Bestands herbeiführen können, sind
im Rahmen des Stadtumbaus sowohl Um- und Zwischennutzungen als auch Rückbau anwendbar. Die zentralen Voraussetzungen für die Durchführung von Stadtumbaumaßnahmen bilden die
Festlegung des Stadtumbaugebiets sowie die Aufstellung eines informellen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes durch die Gemeinde, welches die Ziele und Maßnahmen des Stadtumbaus
enthält. Die Umsetzung der Stadtumbaumaßnahmen soll auf der Grundlage von Stadtumbauverträgen und unter Beteiligung der betroffenen Eigentümer erfolgen (ARL 2011:3.4).
106
Prinzipiell können alle durch ein städtebauliches Entwicklungskonzept und auf ein förmlich festgesetztes Gebiet bezogenen Stadterneuerungs- und Stadtumbaumaßnahmen durch Landes- und
Bundesmittel aus der Städtebauförderung bezuschusst werden. Allerdings stellt die von den
Kommunen zu erbringende Komplementärfinanzierung eine wesentliche Hürde für den Bezug
von Städtebauförderungsmitteln dar (Uhrhan 2007:68). Beleuchtet man darüber hinaus die Ausrichtung der Städtebauförderungsprogramme, wird deutlich, dass keine auf den Gebäudeleerstand in Dörfern ausgerichteten Förderprogramme existieren. Das einzige, das für die hier
thematisierte Problemstellung hätte herangezogen werden können, ist das Förderprogramm
„Städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen“. Allerdings ist die Programmlaufzeit 2012 ausgelaufen, sodass sich hieraus keine Potentiale mehr ergeben (BMVBS 2013b: Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen). Anhand der übrigen Förderprogramme wird deutlich,
dass die aktuellen Programmschwerpunkte vor allem auf „von Leerstand betroffene Großsiedlungen sowie Konversionsflächen“ in urbanen Räumen (Wüstenrot Stiftung 2012:274) und auf
die Sicherung der Daseinsvorsorge in ländlich peripheren, dünn besiedelten Regionen ausgerichtet sind. Für den Fall, dass die Programmschwerpunkte nicht erweitert werden und sich im Ländlichen Raum Erftstadts eine Leerstandsdiffusion ausprägt, ist zu befürchten, dass aufgrund der
Nähe zu Köln und Bonn keine Städtebauförderungsmittel für auf den Gebäudeleerstand in Dörfern bezogene Maßnahmen in Anspruch genommen werden können.
Insgesamt weisen Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen sowie Stadtumbaumaßnahmen durchaus einige als zielführend einzuschätzende Potentiale für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen in den ländlich geprägten Fokusortsteilen auf. Allerdings ergibt sich für die
Umsetzung dieser Maßnahmen neben der Finanzierungshürde und neben der fehlenden Garantie
einer Wiedernutzung leer gefallener Gebäude infolge der Qualifizierungsmaßnahmen ein weiteres Problem. So sind für die Durchführung der Maßnahmen förmliche Gebietsfestsetzungen erforderlich, die sich entsprechend der Maßnahmenprogramme auf zusammenhängende
Problemlagen beziehen müssen. Dementsprechend sind die hier vorgestellten Maßnahmen ungeeignet um gegen vereinzelte oder lediglich kleine Leerstandskumulationen vorzugehen, wie sie
zum Zeitpunkt der Untersuchung vorlagen, obwohl auch von diesen, wie in Kapitel 9.2 verdeutlicht wurde, negative Auswirkungen auf die Ortsteile ausgehen können. Dadurch bieten die hier
vorgestellten Maßnahmen des besonderen Städtebaurechts lediglich Potentiale für den Fall einer
tatsächlich eintretenden massiven Diffusion des strukturellen Leerstands.
107
10.2 Informelle Instrumente für einen aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen
Neben den formellen Instrumenten im aktiven Umgang mit Gebäudeleerständen, die „im härtesten Fall drastische Zwangsmaßnahmen vollziehen“ (Uhrhan 2007:77), existieren zahlreiche informelle Instrumente, die im Zweifelsfall die verträglichere und kostengünstigere Alternative
darstellen und deren bevorzugter Einsatz der Stadt Erftstadt vor den in Kapitel 10.1.2 vorgestellten formellen Instrumenten empfohlen wird. Die informellen Handlungsmöglichkeiten sind
durch Aufklärungsarbeit, Sensibilisierung, Beratung, Betreuung und Moderationsverfahren
überwiegend auf die Schaffung eines Problembewusstseins sowie darüber hinaus auf die Mobilisierung der Handlungsbereitschaft der Eigentümer im Umgang mit ihren leer stehenden Immobilien ausgerichtet. Wie bereits in Kapitel 8.1 anhand der Ergebnisse der Eigentümerbefragung der
Mitte 2013 leer stehenden Gebäude deutlich wurde, gaben mehr als ein Drittel der 38 Befragten
an, dass sie ihre Immobilie weiter leer stehen lassen wollen, sich bezüglich des Umgangs mit
ihrer Immobilie noch unklar sind oder die leer stehende Immobilie an ihre Nachkommen übertragen wollen, was einem Andauern des Leerstands gleichkommt. Da aufgrund der hohen Dauer
der Mitte 2013 bestehenden Leerstände durchaus von einem deutlich höheren prozentualen Anteil derer ausgegangen werden kann, die keinen aktiven Umgang mit ihrem leer stehenden Gebäude anstreben, kann in der Mobilisierung der Eigentümer eine äußerst zielführende
Möglichkeit für einen aktiven kommunalen Umgang mit Gebäudeleerständen gesehen werden.
Allerdings setzt dies ein Selbstverständnis der Stadtpolitik und -verwaltung Erftstadts voraus,
welches über das einer „Dienstleistungskommune“ hinausgeht. Vielmehr ist für die Aktivierung
der Eigenverantwortlichkeit der Eigentümer leer stehender Gebäude ein ausgeprägtes Selbstverständnis einer aktivierenden und initialisierenden „Bürgerkommune“ erforderlich. Diese zeichnet
sich dadurch aus, dass der Bürger im Vergleich zur „Dienstleistungskommune“ nicht als „Kunde“, sondern als „gleichgewichtige[r] Partner“ angesehen wird (Henkel 2010:60-61).
Grundsätzlich ist der Stadt Erftstadt die Entwicklung von Informations- und Beratungsangeboten
anzuraten, die die Eigentümer leer stehender Gebäude über Handlungsoptionen im Umgang mit
ihren leer stehenden Objekten aufklären. Um allerdings nicht nur die Eigentümer der bestehenden Leerstände, sondern generell ein breites Publikum der Bürger und damit Eigentümer potentieller zukünftiger Leerstände, die Kommunalverwaltung und –politik selbst sowie potentielle
Kooperationspartner wie Banken, Immobilienmakler, den Denkmalschutzverein Erftstadts oder
Sachverständige für die objektive Bewertung von Immobilien mit möglichst geringen Mitteln zu
erreichen (GN 1:359-367), empfiehlt sich die Einbindung der einzelnen Informations- und Beratungsangebote in eine umfassende Kommunikationsstrategie (Zscheischler et al. 2012:211).
108
Hierzu könnte als ein erster Baustein der Kommunikationsstrategie eine „Informations- und Sensibilisierungsoffensive“ angedacht werden (Voß et al. 2011:167). Diese zielt auf eine auf das
Leerstandsthema bezogene Bewusstseinsbildung aller relevanten Akteure ab und ließe sich durch
eine intensive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit realisieren. So sind auf der einen Seite Veröffentlichungen in amtlichen Mitteilungsblättern, auf der Homepage der Stadtverwaltung, in der
Wochenzeitung oder auch in der Tagespresse denkbar, die über die gegenwärtige Leerstandssituation in den ländlich geprägten Ortsteilen informieren. Auf der anderen Seite ließen sich
ebenfalls Veranstaltungen realisieren, im Zuge derer in Form von Fachvorträgen und Ausstellungen die Hintergründe der Leerstandsthematik sowie die prognostizierte Leerstandssituation in
den ländlich geprägten Fokusortsteilen aufgezeigt werden können.
Dabei ist es wichtig den Bürgern ein Verständnis über die Zunahme des Gebäudeleerstands als
sichtbare Auswirkung des demographischen Wandels, des wirtschaftlichen Strukturwandels sowie gesellschaftlicher Veränderungsprozesse näher zu bringen. Darüber hinaus sollte ein Verständnis dafür vermittelt werden, dass mit einem dauerhaften Leerstand basierend auf
Grundsteuern oder aufgrund kostenpflichtiger Ersatzvornahmen infolge mangelnder Erhaltungsmaßnahmen nicht nur laufende Kosten anfallen (Interview 3:884-889), sondern auch ein
Verfall der Vermögenswerte einhergeht (Streich et al. 2009:26). Weiterhin sind den Bürgern die
Konsequenzen einer Zunahme des Gebäudeleerstands für die künftige Kommunalentwicklung
sowie für den Immobilienmarkt und damit für jeden Einzelnen aufzuzeigen. Dabei ist allerdings
darauf zu achten, dass keine „Untergangsstimmung“ erzeugt wird (Uhrhan 2007:77). Vielmehr
sollte darauf geachtet werden, dass die Aufklärungsarbeit sachlich geschieht und bezogen auf das
negativ besetzte Leerstandsthema eine positive Grundhaltung vermittelt wird, um so ein angemessenes Verständnis der Folgewirkungen des Leerstands und eine Handlungsbereitschaft zu
erzeugen (Uhrhan 2007:78). Auch wenn es durchaus sinnvoll erscheint, mittels eines ersten Impulses durch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit die Aufmerksamkeit der relevanten Akteure
auf die Leerstandsthematik zu lenken, sollte darauf geachtet werden, dass vor dem Hintergrund
der prognostizierten Zunahme des Leerstands eine gewisse Kontinuität in der Aufklärungsarbeit
erzielt wird, sodass das einmal geweckte Bewusstsein in den Köpfen der Akteure präsent bleibt.
Hierzu eignen sich laut Uhrhan (2007:77) in einem regelmäßigen Intervall publizierte Fachveröffentlichungen oder bspw. die Vorstellung einer Immobilie der Woche bzw. des Monats.
Als zweiter Baustein der Kommunikationsstrategie ließe sich, insbesondere im Falle einer zunehmenden Leerstandsdiffusion, eine Beratungsstelle in der Stadtverwaltung implementieren,
die sowohl aktuelle als auch künftige Eigentümer leer stehender Gebäude über die Handlungs109
möglichkeiten für einen eigenständigen Umgang mit leer stehenden Gebäuden berät, individuell
betreut und Fördermöglichkeiten aufzeigt (Interview 4:1002-1007). Die Erfordernis hierzu ist
darin zu sehen, dass die Eigentümer der Leerstände in den ländlichen Ortsteilen im Vergleich zu
städtischen Räumen keine Wohnungsunternehmen, sondern vornehmlich private Kleineigentümer sind, die im Zweifelsfall keine Erfahrung im Umgang mit Leerständen haben und durch das
Leerfallen des Eigentums überfordert sind (Uhrhan 2007:78). Durch die Implementierung einer
Beratungsstelle ließe sich diese Verunsicherung überwinden. Darüber hinaus könnte dadurch die
Übertragung des einmal geweckten Problembewusstseins sowie der prinzipiellen Handlungsbereitschaft in konkretes Handeln gefördert werden, was eine Minderung der Anzahl der strukturellen Leerstände bei gleichzeitiger Zunahme der fluktuativen Leerstände nach sich ziehen würde.
Die wesentlichen Handlungsoptionen, die es den Eigentümern aufzuzeigen gilt, sind:
Eigenständige Wiedernutzung
Sanierung
Vermarktung
Zwischennutzung
Umnutzung
Teilweiser Rückbau und Abriss
Selbst wenn die Beratungspotentiale für eine eigenständige Wiedernutzung als gering einzuschätzen sind, können konkrete Fragen über die Möglichkeiten des Eigentümers oder seiner
Nachkommen zur Wiedernutzung eines Gebäudes doch zum Nachdenken anregen. Dadurch
kann Eigentümern unter Umständen verdeutlicht werden, dass weder sie noch ihre Nachkommen
das Gebäude wieder einer Nutzung zuführen können, sodass das „Gebäude auf längere Sicht leer
stehen würde“ (Uhrhan 2007:79).
Demgegenüber kann von der Beratung über Fördermöglichkeiten, auf die im Zuge einer Sanierung zugegriffen werden kann, eine konkrete Anreizwirkung für einen aktiven Umgang mit
Leerständen ausgehen, der aufgrund der mit einer Sanierung einhergehenden Wertsteigerung der
Bestandsimmobilie eine Erhöhung der Vermarktungschancen nach sich ziehen kann. In diesem
Kontext empfiehlt es sich, die Eigentümer auf die vielfältigen Förderprogramme des Bundes und
Landes wie bspw. „Energieeffizient sanieren“ hinzuweisen (Wüstenrot Stiftung 2012:260), die in
den meisten Fällen in Form von Krediten oder Investitionszuschüssen durch „Kreditinstitute mit
gezielten Konditionen“ wie der NRW-Bank oder der KfW-Bank gewährt werden (Uhrhan
110
2007:82). Ihre Beziehbarkeit kann für den Einzelfall mit dem „Förder.Navi“ auf dem Internetauftritt der EnergieAgentur.NRW geprüft werden (EnergieAgentur.NRW 2013b:Förder.Navi).
Da die Eigentümerstruktur vor allem durch private Kleineigentümer geprägt ist, wird ebenfalls
der Beratung bezüglich der verschiedenen Vermarktungsoptionen eine hohe Bedeutung beigemessen. So konnte im Rahmen der Eigentümerbefragung ermittelt werden, dass ca. die Hälfte
der befragten Eigentümer der Mitte 2013 leer stehenden Gebäude, die eine Vermarktung anstrebten (8 von 17), nicht wussten wie sie diese realisieren würden. Demnach bedarf es nicht nur aufgrund der geringeren Professionalität der Vermarktung gegenüber den Vermarktungsmethoden
der Fertighaushersteller und Bauträger von Neubaugebieten (Kötter 2008:61), sondern auch aufgrund einer gewissen Überforderung mit der Vermarktung der leer stehenden Gebäude einer
Hilfestellung der privaten Kleineigentümer. Denkbar in diesem Kontext wäre die Beratung über
die Möglichkeit von Inseraten in Printmedien, die Erarbeitung eines Leitfadens für die Nutzung
von Immobilienbörsen sowie zusammen mit Maklervereinigungen die Vermittlung zu seriösen
Immobilienmaklern. Hierbei sieht Uhrhan (2007:79) insbesondere im ländlichen Raum die Erfordernis, den veräußerungswilligen Eigentümern die „Scheu vor Maklern zu nehmen“ und ein
Verständnis dafür zu vermitteln, dass die „Zahlung einer Maklercourtage besser ist, als das Objekt verfallen zu lassen“. Desweiteren verdeutlicht das Beispiel der Gemeinde Illingen/Saar im
Saarland, dass sich eine kommunale internetbasierte Leerstandsbörse einrichten lässt, die für die
Eigentümer von leer stehenden Gebäuden eine Angebotsplattform darstellt und Interessenten die
Immobiliensuche erleichtert. Dies ist allerdings nur möglich, innsofern sich die Gemeinde auf
das Angebot einer Vermarktungsplattform beschränkt und keine Vermittlungsdienstleistungen
erbringt, sodass sie keine direkte Konkurrenz zu Maklern eingeht (Uhrhan 2007:79).
Ein weiteres Potential, welches als Chance des Leerstands anzusehen ist und einen zentralen
Beitrag zum positiven Grundverständnis im Umgang mit den Leerständen leistet, ist in Zwischen- und Umnutzungen zu sehen. So können leer stehende, nicht mehr zu ihrem ursprünglichen Zweck genutzte Gebäude (übergangsweise) einer anderen Nutzung zugeführt werden.
Während der Erwerb und die Durchführung im Falle der bürgerschaftlichen Zwischennutzung
auf den Bürger entfällt, erwirbt oder pachtet die Kommune bei der kommunalen Zwischennutzung selbst das entsprechende Gebäude und führt es zeitlich begrenzt einer neuen Nutzung zu
(Uhrhan 2007:80). Dadurch können leer stehende Gebäude in Form von Zwischennutzungskonzepten sinnvoll in die kommunale Entwicklungsplanung eingebunden werden. Dabei eignen sich
Zwischennutzungen besonders für die Einrichtung von sozialen Angeboten für Kinder und Jugendliche wie auch für Ältere oder Vereine, wodurch der Erholungs- und Freizeitwert in den
111
ländlich geprägten Ortsteilen gesteigert werden kann. Ein Beispiel für eine derartige Zwischennutzung existiert unter anderem in Friesheim, wo eine ehemalige Gaststätte durch die ortsansässige Karnevalsgesellschaft als Dorfgemeinschaftshaus genutzt wird (Interview 3:1121-1133).
Im Falle einer Umnutzung wird ein unterwertig genutztes oder leer stehendes Gebäude dauerhaft
einer neuen Nutzung zugeführt. Dabei bewahren Umnutzungen derartige Gebäude nicht nur vor
einem Verfall, vielmehr können von ihnen vielfältige raumwirksame Effekte für die Kommunalund Regionalentwicklung ausgehen (Arens 2007:55-56). Während die Umnutzungspotentiale
von älteren und kleinen Einfamilienhäusern aufgrund ihrer Raumaufteilung und ihres Zuschnitts
als begrenzt anzusehen sind, weisen gewerbliche und insbesondere landwirtschaftliche Immobilien ein hohes Umnutzungspotential auf. So wird im NRW-Programm „Ländlicher Raum“ für
die Ende 2013 auslaufende Förderperiode hervorgehoben, dass „Umnutzung [landwirtschaftlicher Immobilien] zur Stabilisierung ländlicher Siedlungsstruktur beiträgt [und] Potential zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen aber auch zur Verringerung des Flächenverbrauchs“
aufweist (Henseler 2011:67). Entsprechend dieser hohen Bedeutung werden „Investitionen landoder forstwirtschaftlicher Betriebe zur Umnutzung ihrer ländlichen Bausubstanz zu gewerblichen
Zwecken oder zur Schaffung von fremdgenutztem Wohnraum“ mit 35% der zuwendungsfähigen
Ausgaben, maximal bis zu 100.000 Euro je Umnutzung zu gewerblichen Zwecken und mit 20%,
maximal bis zu 50.000 Euro je Umnutzung zu Wohnzwecken gefördert (MKULNV 2010:16). In
den Abbildungen 43 und 44 werden zwei Beispiele für derartige Umnutzungen ländlicher Bausubstanz dargestellt.
Abb.43: Umnutzung einer Scheune für Betriebs- und Büroräume einer Haustechnikfirma – Schaffung von Arbeitsplätzen im Dorf. Quelle: Rill 2013:20.
112
Abb.44: Umnutzung eines Kelterhauses inklusive Scheune in Wendelsheim in Rheinhessen in mehrere Wohneinheiten, Nebenräume und Büroräume. Quelle: Franzen 2007:115.
Gemäß den Interviews mit den OrtsbürgermeisterInnen Bliesheims, Friesheims und Erps sowie
mit dem Leiter des Umwelt- und Planungsamtes der Stadt Erftstadt wurde deutlich, dass in sämtlichen Fokusortsteilen ein Bedarf an altengerechten Wohnungen besteht. So seien in den beiden
Siedlungsschwerpunkten Liblar und Lechenich zwar Pflegeeinrichtungen und altengerechte
Wohnungen vorhanden, allerdings würden die älteren Bewohner der Fokusortsteile aufgrund
ihrer hohen Verbundenheit mit ihrem Heimatdorf den Wohnstandortwechsel in einen der Siedlungsschwerpunkte im Alter so weit wie möglich hinauszögern (Interview 3:64-68, Interview
4:286-294, Interview 5:447-463). Da ältere Menschen „in der Regel nicht in ihre Häuser“ investieren, steigt der Investitionsbedarf für eine Folgenutzung an, wodurch sich die Attraktivität der
Immobilien für potentielle Nachnutzer verringert (Streich et al. 2009:23). Dementsprechend
könnte die Umnutzung leer stehender landwirtschaftlicher Immobilien, so auch von Scheunen
(Interview 2:473, Franzen 2007:113), in altengerechte Wohnungen dazu dienen, den ortsgebundenen Bedarf an altengerechten Wohnformen zu decken, einen frühzeitigeren Umzug im Alter
ermöglichen, dadurch den Investitionsaufwand für das ehemalige Eigenheim verringern und den
Generationenwechsel stimulieren. Dabei ließen sich Umnutzungen in altengerechte Wohnungen
mit weiteren Fördermöglichkeiten, wie bspw. dem zinsgünstigen Kredit „Altersgerecht Umbauen“ der KfW-Bank kombinieren (EnergieAgentur.NRW 2013a:3-4). Der Beratungsstelle der
Stadtverwaltung käme in diesem Kontext die Aufgabe zu, proaktiv prinzipiell zur Umnutzung
geeignete, unternutzte oder leer stehende landwirtschaftliche Immobilien ausfindig zu machen
und ihre Eigentümer über die Umnutzungsmöglichkeiten sowie die daran gekoppelten Förderpotentiale aufzuklären. Durch diese Vorgehensweise ließe sich nicht nur besonders ortsbildprägender Leerstand bekämpfen, sondern ebenfalls die Wohnfunktion der Dörfer insbesondere in den
Ortskernen an die Erfordernisse des demographischen Wandels anpassen. In Abbildung 45 wird
113
ein Beispiel dargestellt, indem ein Stall im Münsterland nicht nur in altengerechte Wohnungen,
sondern sogar zu einem Seniorenheim umgenutzt werden konnte.
Abb.45: Umnutzung eines Stalls in Schöppingen-Eggenrode in ein Seniorenwohnheim. Quelle: Bröckling 2010:7.
Trotz dieser vielfältigen Handlungsmöglichkeiten der Eigentümer leer stehender Gebäude im
aktiven Umgang mit ihren Leerstandsobjekten kann sich die Bausubstanz eines Gebäudes als
derart desolat darstellen, dass die Kosten für eine Sanierung oder Umnutzung höher als die eines
Neubaus ausfallen. Insbesondere vor dem Hintergrund des hohen Anteils der langfristigen strukturellen Leerstände, die zum Zeitpunkt der Untersuchung bestanden, muss ebenfalls die Aufklärung über teilweisen Rückbau und ganzheitlichen Gebäudeabriss in das Beratungsportfolio
aufgenommen werden. Dementsprechend sollte die Beratungsstelle ebenfalls die Aufgabe der
Vermittlung zu seriösen Abrissunternehmen und die individuelle Beratung bezüglich sinnvoller
Nachnutzungsmöglichkeiten übernehmen (Uhrhan 2007:79). Während der Abriss in einigen
Bundesländern wie bspw. in Saarland und Sachsen durch Abrissprämien gefördert wird (Streich
et al. 2009:26), herrscht in Nordrhein-Westfalen bislang der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“
vor, sodass keine Anreizwirkung durch die Information der Leerstandseigentümer über die Bezugsmöglichkeiten von Abrissfördermitteln erzielt werden könnte. Da Abriss allerdings dazu
beitragen kann „das Dorfbild vom Eindruck des Niederganges zu befreien und […] den weiteren
Preisverfall [der angrenzenden Gebäude zu] bremsen“, sollte Abriss laut Voß et al. (2011:168)
auf der Basis von Dorfentwicklungskonzepten auch in Nordrhein-Westfalen förderfähig werden.
Insgesamt ergibt sich basierend auf den hier vorgestellten informellen Instrumenten demnach ein
vielschichtiges Potential für einen nachhaltigen kommunalen Umgang mit Gebäudeleerständen.
114
10.3 Handlungsstrategie: Qualifizierung Innen statt Quantifizierung Außen
Nachdem in den beiden Kapiteln 10.1 und 10.2 die vielfältigen Möglichkeiten für einen aktiven
kommunalen Umgang mit Gebäudeleerständen aufgezeigt wurden, werden diese im Rahmen
dieses Kapitels unter Berücksichtigung der Baulandentwicklung und der demographischen Entwicklung der Stadt Erftstadt zu einer konkreten Handlungsstrategie für die Stadt Erftstadt im
aktiven Umgang mit Leerständen in den ländlich geprägten Ortsteilen verdichtet. Wie in Kapitel
8.2.3 aufgezeigt werden konnte, hat insbesondere zwischen Anfang der 1970er bis Ende der
1990er Jahre eine starke Wohnbauflächenausweisung oftmals einzelner großmaßstäbig dimensionierter Neubaugebiete an den Ortsrändern einzelner Ortsteile stattgefunden. Obwohl diese
Entwicklung durch einen Trend zur vornehmlichen Ausweisung von kleinflächigeren Neubaugebieten in mehreren Ortsteilen abgelöst wurde, hat sich in der Konsequenz des demographischen
Wandels und der sinkenden Anzahl der für die klassische Immobilienform des Einfamilienhauses in Frage kommende Haushaltsform junger Familien in weiten Teilen Erftstadts ein überdurchschnittliches Angebot an freistehenden Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften im
Neubau bei unterdurchschnittlicher Nachfrage eingestellt (KSK-Immobilien GmbH 2013:18).
Trotz der vor dem Hintergrund des Gebäudeleerstands in den Ortskernen zu begrüßenden
Trendwende zu kleinflächigeren Wohnbauflächenausweisungen befindet sich mit der Bebauungsplannummer 165 aktuell ein etwa 7 ha großes Neubaugebiet im Planverfahren, welches
sich östlich an den nördlich gelegenen Siedlungskörper Bliesheims anschließen soll. Durch diese
Rückbesinnung zu einer einzelnen großflächig dimensionierten Wohnbauflächenausweisung
sollen weit über 100 neue Wohneinheiten entstehen (Schmitz 2012:Große Pläne für Lange Heide). Da sich, wie in Kapitel 8.2.2 aufgezeigt, weder aus der endogenen Nachfrage, welche sich
anhand der rückläufigen Geburtenzahlen Bliesheims ableiten lässt, noch aus der exogenen Nachfrage, welche sich anhand des Wanderungssaldos der Stadt Erftstadt erkennen lässt, die Erforderlichkeit gemäß §1 Abs. 3 BauGB für die Erschließung eines derartigen Neubaugebiets ergibt,
wird von dem Vorhaben in der angestrebten Größenordnung abgeraten. Zieht man langfristige
Untersuchungen bezüglich der Effekte von Neubaugebieten auf der Grünen Wiese ein, wird
deutlich, dass diese vielfach nicht im erhofften Maße Neubürger anziehen, sondern
intrakommunale Wanderungen auslösen und dementsprechend „weiteren Leerstand im Bestand
nach sich ziehen“ (Klemme 2010:65). Darüber hinaus reicht die erhoffte Zuwanderung nicht aus,
um die Auslastung von Infrastrukturen wie Grundschulen zu stabilisieren (Interview 7:477-480).
Weiterhin merkt Siedentop (2007:100-106) an, dass eine damit verbundene fortschreitende Siedlungsdispersion vielfach erhebliche Folgekosten nach sich zieht. Demnach empfiehlt sich insbe115
sondere vor dem Hintergrund der dezentralen Struktur der Stadt Erftstadt und der damit einhergehenden hohen Infrastrukturkosten (DSK 2012:22) bezüglich des Neubaugebiets Lange Heide:
die Durchführung einer Kosten-Nutzen-Analyse, um so die fiskalischen Auswirkungen
des Siedlungsflächenwachstums aufzudecken (LEAN² Projektkonsortium 2009:16-23),
unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Leerstandsprognose ein Verzicht auf eine
Wohnbauflächenerweiterung dieser Größenordnung.
Als Alternative zur Entwicklung des Neubaugebiets in der vorgesehenen Größe erscheint es vor
dem Hintergrund des bereits für die nähere Zukunft prognostizierten strukturellen Leerstands,
der mittelfristig nicht nur sinkenden Bevölkerungs- sondern auch Haushaltszahlen und der bisherigen Fokussierung der städtebaulichen Entwicklung auf die Außenentwicklung (Interview
2:184-197, Interview 3:559-565) grundsätzlich ratsamer den städtebaulichen Fokus auf die Innenentwicklung zu verlagern. Dadurch könnte einerseits eine Stärkung der identitätsstiftenden
Mitte erzielt und einem „Verfall der ortsbildprägenden Bausubstanz und Versorgungseinrichtungen wie Läden und Gasthöfe“ gegengesteuert werden, wohingegen andererseits der Landschaftsverbrauch im Außenbereich reduziert werden kann (Henkel 2012:254). So hat sich nicht nur
aufgrund des 30 ha-Ziels (BBSR 2011:4), sondern auch aufgrund der Integration des Nachhaltigkeitsprinzips in die Dorfentwicklung (Kötter 2008:59) „bundesweit die Auffassung durchgesetzt, dass die bauliche, infrastrukturelle und soziale Wiederbelebung der Dorfkerne zu den
wichtigsten Aufgaben der Kommunalpolitik und der Fachbehörden“ im Ländlichen Raum gehören (Henkel 2012:253-254). Hierzu ist es allerdings erforderlich, dass die Erinnerung an die vorangegangenen Wachstumsjahrzehnte die aktuelle und zukünftige Planungspraxis der
kommunalen Entscheidungsträger nicht länger bestimmen darf. Vielmehr muss ein Umdenken
vom Denken im Wachstum und einer Hoffnung auf diffuse Zugewinne hin zu einer bewussten
Begleitung der demographischen Stagnations- und Schrumpfungsentwicklung stattfinden
(Klemme 2010:63; 68).
Bevor also weitere Wohnbauflächen an den Dorfrändern aufgeschlossen werden, sollten zunächst die innerörtlichen Potentiale ausgeschöpft werden. Hierzu empfiehlt sich die Erstellung
eines Leerstandskatasters. Der wesentliche Vorteil eines Leerstandskatasters ist in einer übersichtlichen Zusammenschau sämtlicher leer stehender Gebäude mitsamt ihrer wesentlichen
Merkmale und Qualitäten zu sehen. Dadurch kann ein Leerstandskataster die zentrale Grundlage
für den aktiven kommunalen Umgang mit leer stehenden Bestandsobjekten, bspw. durch die
Einrichtung einer kommunalen Leerstandsbörse, bilden, „der Schaffung verbesserter genehmi116
gungs- und förderrechtlicher Voraussetzungen“ dienen und die Einbindung der Leerstände in
eine ganzheitliche Innenentwicklungsstrategie ermöglichen (Henseler 2011:71). Umso wichtiger
erscheint es dauerhaft einen Überblick über die Entwicklung der Leerstände aufrecht zu halten.
Um dies zu erleichtern, könnte die Stadt Erftstadt die Bereitschaft der Eigentümer zum freiwilligen Melden leer stehender oder in absehbarer Zukunft leer fallender Gebäude durch geringfügige
finanzielle Anreize fördern.
Trotz der empfohlenen Fokussierung auf die Innenentwicklung, der unter anderem in einem Positionspapier der 38. Ministerkonferenz für Raumordnung Vorrang vor Außenentwicklungsmaßnahmen zugesprochen wurde (MKRO 2011:3), würde die stärkere Berücksichtigung der
Bestandsgebäude und die Zurückstellung des Verfahrens zur Aufstellung des Bebauungsplans in
Bliesheim in der vorgesehenen Größe keinen Verzicht auf den Neubau darstellen. Vielmehr
wird, um den Kindern der Ortsansässigen sowie potentiellen Neubürgern die Möglichkeit zum
Neubau offen zu halten, die Erstellung eines Baulücken- und Brachflächenkatasters angeraten. In
diesem kann die Stadt Erftstadt sämtliche Freiflächen mitsamt wesentlicher Charakteristika, den
Eigentumsverhältnissen sowie geltender baurechtlicher Rahmenbedingungen erfassen und dadurch ein transparentes Angebot an Bestandsflächen entwickeln. Im Ergebnis ließe sich durch
eine Mobilisierung der innerörtlichen Baulücken und eine anschließende Bebauung nicht nur die
Siedlungsdichte erhöhen und die infrastrukturbedingte Gebührenbelastung der ansässigen Bevölkerung verringern, sondern auch eine altersgemäße Durchmischung der Quartiere fördern. Da
zum Untersuchungszeitpunkt für einen Teil des Stadtgebiets ein derartiges Kataster durch das
Umwelt- und Planungsamt der Stadt Erftstadt erarbeitet wurde, wird die daran erkennbare Hinwendung zur Innenentwicklung vor dem Hintergrund des prognostizierten Leerstands begrüßt.
Mit Hilfe des Leerstands- sowie des Baulücken- und Brachflächenkatasters lassen sich demnach
die „bestehende[n] Optionen für Umbau, Nach-, Um- oder Zwischennutzungen [und Neubau]“
erfassen (Klemme 2010:64). Allerdings genügt die reine Zusammenschau der innerörtlichen Potentiale nicht, um die Innenentwicklung zielführend voran zu treiben. So merkt Kötter (2008:61)
an, dass „ungenutzte Grundstücke und Gebäude in den Ortsinnenbereichen […] keine Selbstläufer“ darstellen. Demnach bedarf es einer aktiven Heranführung der ermittelten Potentiale an den
Markt. Ob sich dabei die Erfordernis für ein kommunales Förderprogramm zur Attraktivierung
der Altbaunutzung, wie das Programm „Jung kauft Alt – Junge Menschen kaufen alte Häuser“
der Gemeinde Hiddenhausen in Ostwestfalen-Lippe, welches auf eine Bezuschussung der Erstellung von fachkundigen Altbaugutachten und eine Förderung des Erwerbs von Altbauten ausgerichtet ist (Homburg 2011:82), ergibt, ist im Falle der ländlichen Ortsteile Erftstadts
117
anzuzweifeln. Vielmehr bieten die in den Kapiteln 10.1 und 10.2 aufgezeigten Möglichkeiten für
einen präventiven Umgang mit Gebäudeleerständen zahlreiche Anregungen, um die Angebotsbedingungen der Bestandsobjekte zu verbessern und den individuellen Umgang der Eigentümer
mit ihrem Leerstandsobjekt zu mobilisieren. Darüber hinaus ergeben sich durch Kooperationen,
wie bspw. mit dem Denkmalschutzverein Erftstadts, Möglichkeiten das Kaufinteresse an Bestandsobjekten durch zielgruppenspezifische Öffentlichkeitsarbeit zu stimulieren ohne ein kosteninduzierendes Leerstandsmanagement einrichten zu müssen. Zur attraktiveren Vermarktung
der identifizierten Baulücken könnten demgegenüber „Werkzeuge wie […] Baulückenbörsen“
Anwendung finden (Wüstenrot Stiftung 2012:236). Um darüber hinaus zu ermitteln, wie groß
der unmittelbar marktverfügbare Baugrundstücksbestand ist, eignen sich insbesondere Eigentümeransprachen durch die Kommune, in denen die Eigentümer bezüglich ihrer Nutzungsabsichten
und ihrer Veräußerungsbereitschaft befragt werden können (Wüstenrot Stiftung 2012:236).
Im Ergebnis wird der Stadt Erftstadt dementsprechend die Hinwendung zu einer sowohl auf den
Bestand als auch auf die Baulücken orientierten Innenentwicklung durch einen Methodenmix aus
einer flexiblen Handhabung des baurechtlichen Instrumentariums, einer Sensibilisierungs- und
Aufklärungskampagne, Beratungsleistungen und dem Aufzeigen von Finanzierungshilfen angeraten, wohingegen die Einrichtung eines Leerstandsmanagements für den Fall einer massiven
Leerstandsdiffusion vorgehalten werden sollte. Um einem Verfall der Ortsteile von Innen heraus
vorzubeugen, empfiehlt sich primär die Anwendung der in den Kapiteln 10.1 und 10.2 aufgezeigten präventiven Maßnahmen. Darüber hinaus sind in der Umnutzung ortsbildprägender
landwirtschaftlicher Immobilien wichtige raumwirksame Potentiale für die Ortsinnenentwicklung zu sehen, die zu einer funktionalen Stärkung der Ortskerne beitragen können. Gemäß der
höchsten prognostizierten strukturellen Wohngebäudeleerstandsquote sollten prioritär im Ortskern von Erp entsprechende Maßnahmen durchgeführt werden, um so eine Wiedernutzung der
potentiell entstehenden strukturellen Leerstände zu begünstigen. Dabei ist im Falle Erps hervorzuheben, dass das zu generierende Baulückenpotential aufgrund einer den Ort querenden tektonischen Störung als gering einzuschätzen ist (Interview 2:520-529), die Entwicklung der
Bautätigkeit als „gebremst“ einzustufen ist (Interview 2:176-177) und aufgrund mehrerer leer
stehender landwirtschaftlicher Immobilien Potentiale für raumwirksame Umnutzungen bestehen.
Sollte von Seiten der Politik der Stadt Erftstadt der Empfehlung zu einer bestands- und baulückenorientierten Siedlungsinnenentwicklung gepaart mit dem empfohlenen Methodenmix zur
Vorbeugung der Ausbreitung des Gebäudeleerstands gefolgt werden, ist zu beachten, dass sich
eine zeitgleiche Ausweisung großmaßstäbiger Neubaugebiete kontraproduktiv auf die Entwick118
lung des Gebäudeleerstands auswirkt. Der Vollständigkeit halber ist allerdings anzumerken, dass
ein gänzlicher Verzicht auf die Ausweisung von Wohnbauflächen, sei es in Form von Baulücken
oder in Form von Neubaugebieten am Ortsrand, kein adäquates Instrument für die Stadt Erftstadt
im Umgang mit den Gebäudeleerständen darstellen sollte. Da die Wohnraumnachfrage gemäß
„klare[r] Suchvorstellungen“ großräumig erfolgt, lässt sie sich durch eine radikale Baulandverknappung nicht auf nachfrageinadäquate leer stehende Bestandsobjekte umlegen (Interview
7:406-416). Vielmehr kann im Falle eines gänzlichen Verzicht auf die Ausweisung von Wohnbauflächen davon ausgegangen werden, dass auf Neubau ausgerichtete Wohnraumsuchende in
Nachbarkommunen mit einem entsprechenden Flächenangebot abwandern werden (Interview
6:640-644), sodass sich hieran die Grenzen des kommunalen Umgangs mit Gebäudeleerständen
zeigen. Da der Gebäudeleerstand im Ländlichen Raum in der Regel kein auf eine einzelne
Kommune begrenztes Phänomen darstellt, wird im Falle einer massiven Leerstandsdiffusion der
Bedarf für ein regionales Handeln gesehen (Damm/ Diller 2011:86). Potentiale hierfür ergeben
sich aus der Entwicklung einer interkommunalen Baulandstrategie (Wüstenrot Stiftung
2012:234), der Einrichtung eines regionalen Leerstandsmanagements oder der Aufstellung eines
integrierten ländlichen Entwicklungskonzeptes, welches durch das Land Nordrhein-Westfalen
gemäß des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums
(ELER) sowie dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und
des Küstenschutzes“ gefördert werden kann (RdErl. d. MKULNV 2013:1).
119
11 Fazit
Die Untersuchung des Gebäudeleerstands im Ländlichen Raum Erftstadts unter besonderer Berücksichtigung der Perspektiven für die Einrichtung eines Leerstandsmanagements verdeutlicht,
dass es sich bei dem Gebäudeleerstand um ein äußerst komplexes Phänomen handelt, welches
nicht nur für den Eigentümer eines leer stehenden Objekts von Bedeutung ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Relevanz einnimmt.
Die quantitative Dimension des Gebäudeleerstands stellte sich zum Zeitpunkt der Untersuchung
als äußerst gering ausgeprägt dar. So zeichnete sich weder in den aufgrund geringfügig höherer
erhärteter Leerstandsquoten intensiv untersuchten Fokusortsteilen Bliesheim, Friesheim, Erp,
Borr und Herrig noch in den anderen ländlich geprägten Ortsteilen Erftstadts ein auf der Anzahl
der Gebäudeleerstände basierender akuter Problemdruck ab. Bezüglich der Verteilung der Leerstände über die unterschiedlichen Gebäudetypen wurde deutlich, dass weniger als ein Drittel der
Leerstände auf Geschäftshäuser/Läden, Wohn-+Geschäftshäuser, landwirtschaftliche Immobilien, Wohngebäude landwirtschaftlicher Immobilien sowie Gastwirtschaften entfiel. Der Großteil
der Leerstände setzte sich vielmehr aus Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern, Doppelhaushälften und Reihenhäusern zusammen. Während sich die Anzahl der leer stehenden Gebäude
innerhalb der kleineren Fokusortsteile Borr und Herrig als derart marginal darstellte, dass keine
städtebaulich relevanten Entwicklungen nachvollziehbar waren, reichte die geringe Anzahl der
leer stehenden Objekte in den größeren Fokusortsteilen Bliesheim, Friesheim und Erp aus, um zu
erkennen, dass sich diese in weiten Teilen auf die historischen Ortskerne konzentrierten.
Nichtsdestotrotz gab die qualitative Dimension des Gebäudeleerstands Aufschluss darüber, warum das Thema Gebäudeleerstände im Ländlichen Raum seitens der Stadt Erftstadt als derart
relevant erachtet wurde, dass die Ausschreibung einer Masterarbeit initiiert wurde. So wurde
unter Berücksichtigung der qualitativen Dimension der Gebäudeleerstände deutlich, dass der
Großteil der identifizierten Leerstände bereits über mehrere Jahre existierte und sich in einem
sanierungsbedürftigen Zustand befand. Dementsprechend kristallisierte sich an der geringen Anzahl der Leerstände ein hoher Anteil an strukturellen, aber auch marktabgängigen Leerständen
heraus, der sich in besonderem Maße auf Friesheim und Erp konzentrierte. Insgesamt entfiel
nahezu die Hälfte der Gebäudeleerstände auf den ortsbildprägenden Bestand, sodass leer stehende Gebäude mit einem ortsbildprägenden Charakter dazu beitrugen, dass der Gebäudeleerstand
trotz einer geringen quantitativen Dimension und lediglich in Ausnahmefällen auftretenden
Leerstandskumulationen augenfällig wurde.
120
Im Rahmen der Prognose des Wohngebäudeleerstands konnte herausgestellt werden, dass sich
das Phänomen des Gebäudeleerstands bereits bis zum Jahr 2023 zu einer stadtentwicklungspolitisch relevanten Größenordnung verschärfen kann. So weisen die Leerstandsverdachtsfälle darauf hin, dass der Gebäudeleerstand vor allem in Erp im historischen Ortskern zunehmen wird,
wodurch aus städtebaulicher Perspektive bedenkliche Leerstandskumulationen entstehen können.
Darüber hinaus kann sich insbesondere in Bliesheim und Friesheim eine Ausbreitung des Gebäudeleerstands über die historischen Ortskerne hinaus auf die Siedlungserweiterungsgebiete der
1950er bis 1980er Jahre einstellen. Da allerdings erst dann von einem ernstzunehmenden Leerstandsproblem ausgegangen werden kann, wenn die leer gefallenen Gebäude nicht wieder einer
Nutzung unterzogen werden, geben die prognostizierten strukturellen Wohngebäudeleerstandsquoten einen besseren Aufschluss über potentielle Problemgebiete. Ihnen zufolge kann sich die
Leerstandssituation in den nächsten zehn Jahren vor allem in Erp, Herrig und Borr zu einem
stadtentwicklungspolitisch relevanten Problem entwickeln.
Vor diesem Hintergrund bilden die Auseinandersetzung mit den Ursachen und den Auswirkungen von Gebäudeleerständen zwei bedeutende Untersuchungsschritte, um ein Verständnis für das
einmalige Leerfallen, das dauerhafte Leerstehen von Gebäuden und darüber hinaus die Folgewirkungen von Gebäudeleerständen zu entwickeln. So konnte herausgestellt werden, dass weit
mehr als individuelle eigentümer- oder immobilienseitige Aspekte als direkte Ursachen zum
Leerstand von Gebäuden führen. Vielmehr sind sowohl der wirtschaftliche Strukturwandel und
die demographische Entwicklung als auch gesellschaftliche Veränderungstendenzen und die
kommunale Baulandentwicklung als indirekte Ursachen keinesfalls als minder bedeutsame Ursachen für den Gebäudeleerstand anzusehen. Demgegenüber konnte im Zuge der Beleuchtung der
potentiellen Auswirkungen von Gebäudeleerständen herausgestellt werden, dass diese nicht nur
für das individuell vom Leerstand betroffene Objekt Implikationen aufweisen. Vielmehr können
Leerstände im Falle von ortsbildprägenden Gebäuden oder in Kumulationen städtebauliche und
soziale Folgewirkungen nach sich ziehen, die sich negativ auf den Immobilienmarkt auswirken.
Darüber hinaus sind die Gefahren einer Diffusion des Gebäudeleerstands vor allem in der Ausbildung einer perforierten Siedlungsstruktur zu sehen, die mit negativen Implikationen sowohl
für die private als auch für die öffentliche soziale und technische Infrastruktur wie auch für die
Attraktivität der Kommune gleichzusetzen ist.
Gemäß den untersuchten Perspektiven für die Einrichtung eines Leerstandsmanagements, allen
voran der quantitativen Dimension des Gebäudeleerstands zum Zeitpunkt der Untersuchung,
ergibt sich kein akuter Bedarf für die Einrichtung eines mit finanziellem und personellem Auf121
wand verbundenen Leerstandsmanagements. Vielmehr wird der Stadt Erftstadt unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Haushaltssituation zunächst zu einem kontinuierlichen Leerstandsmonitoring zur Beobachtung der künftigen Entwicklung des Gebäudeleerstands geraten. Darüber
hinaus empfiehlt sich die Hinwendung zu einer bestands- und baulückenorientierten Innenentwicklung, wohingegen die Außenentwicklung auf ein bedarfskonformes Maß reduziert werden
sollte. Die zentrale Grundlage hierfür stellt die Erstellung eines Leerstands-, sowie eines Brachflächen- und Baulückenkatasters dar. Wesentliche Potentiale für die Innenentwicklung, der eine
präventive Wirkung gegenüber einer Diffusion des Gebäudeleerstands zugesprochen wird, ergeben sich durch eine flexible Handhabung der baurechtlichen Gestaltungsspielräume innerhalb
der gesetzlich zulässigen Schranken des Städtebaurechts, eine Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagne, Beratungsdienstleistungen und das Aufzeigen von Finanzierungshilfen. Durch
diese Maßnahmen kann die Wiedernutzung leer gefallener Gebäude begünstigt werden, wodurch
die Stadt Erftstadt aktiv einer Diffusion des strukturellen Leerstands entgegenwirken kann.
Die Umsetzung der Handlungsstrategie Qualifizierung Innen statt Quantifizierung Außen wird
zweifelsfrei arbeitsorganisatorische Folgen haben. So wird ein Mehr an Kommunikation ein
Weniger an Planung aufwiegen. Dabei ist allerdings davon auszugehen, dass sich die im Rahmen
der Handlungsempfehlungen beschriebenen Maßnahmen durch die vorhandenen Kapazitäten
sowie durch Kooperationen mit ortsansässigen Institutionen und Vereinen realisieren lassen. Die
Option der Einrichtung eines Leerstandsmanagements sollte lediglich für den Fall einer massiven
Diffusion des Gebäudeleerstands offen gehalten werden.
Um langfristig lebenswerte Wohn-, Arbeits- und Freizeiträume innerhalb der Dörfer aufrecht zu
erhalten bzw. zu entwickeln, wird eine Beschränkung auf ein ausschließlich gebäudebezogenes
Konzept allerdings nicht ausreichen. Vielmehr wird eine Erweiterung um eine funktionale und
soziale Komponente erforderlich werden. Dementsprechend wird neben der Untersuchung der
Wahrnehmung des Gebäudeleerstands durch die ortsansässige Bevölkerung in der Entwicklung
von Dorfentwicklungskonzepten, welche gemeinsam mit der ortsansässigen Bevölkerung zu
erarbeiten und um Freiflächen-, Gestaltungs- und Nahversorgungsaspekte zu ergänzen sind, weiterer Forschungs- und Handlungsbedarf im Ländlichen Raum Erftstadts gesehen. In den Dorfentwicklungskonzepten sollte vor dem Hintergrund des prognostizierten Gebäudeleerstands in
Borr und Herrig eine restriktive Beschränkung auf die Innenentwicklung verankert, eine Verbesserung der Anbindung an die Siedlungsschwerpunkte angestrebt sowie die Einrichtung einer
rollenden Versorgung angedacht werden. Demgegenüber kann in der Entwicklung Erps,
Bliesheims und Friesheims zu Stabilisierungskernen ein wesentlicher Beitrag für eine nachhalti122
ge Entwicklung des Ländlichen Raum Erftstadts gesehen werden. Diesbezüglich sollten ihre
Versorgungsfunktionen gesichert bzw. erweitert und begrenzte Siedlungsflächenerweiterungen
unter Berücksichtigung des Vorrangs der Innenentwicklung zugelassen werden.
Bezugnehmend auf die Einleitung lässt sich abschließend festhalten, dass die auf dem 15. Essener Dorfsymposium postulierte „zweite Welle des Gebäudeleerstands“ (Henkel 2006:2) im
Ländlichen Raum Erftstadts, der der Ländlichen Raumkategorie in günstiger Lage zu Verdichtungsgebieten und überregionalen Verkehrsachsen entspricht, noch keinen Einzug erhalten hat.
Mit den im Rahmen dieser Masterarbeit abgeleiteten Handlungsempfehlungen verfügt die Stadt
Erftstadt über vielfältige Möglichkeiten, um sowohl dem Eintreten einer Leerstandswelle vorzubeugen als auch im Falle ihres Eintretens aktiv mit ihr umzugehen.
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geändert durch Art. 4 ErbschaftssteuerreformG v. 24.12.2008 (BGB1. I S. 2018).
Baunutzungsverordnung (BauNVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990,
zuletzt geändert durch Art. 3 Investitionserleichterungs- und WohnlandG v. 22. April
1993 (BGB1. I S. 466).
Beschluss des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes München (BBVGH), 2. Senat, vom 29.
Dezember 1989; Aktenzeichen: 2 AS 88.2292.
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der Bekanntmachung vom 27. September 1994, zuletzt geändert durch Art. 8 G zur Umsetzung der DienstleistungsRL auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur Änd.
umweltrechtl. Vorschriften am 11. August 2010 (BGBI. I S. 1163).
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Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung einer integrierten ländlichen
Entwicklung des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und
Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (RdErl. d. MKULNV) mit Stand
vom 25.07.2013.
Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes München, 2. Senat, vom 17. Dezember 1990;
Aktenzeichen: 2B 88.1595.
137
Lister der Interviewpartner
Interview 1: Antragssteller der studentischen Abschlussarbeit, Fraktionsvorsitzender der SPD
im Rat der Stadt Erftstadt und Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses,
2013-06-05.
Interview 2: Ortsbürgermeister von Erp, 2013-06-05.
Interview 3: Ortsbürgermeisterin von Friesheim, 2013-06-05.
Interview 4: Ortsbürgermeisterin von Bliesheim, 2013-06-10.
Interview 5: Leiter des Umwelt- und Planungsamtes der Stadt Erftstadt, 2013-06-13.
Interview 6: Gruppeninterview mit drei Vertretern des Gutachterausschusses für Grundstückswerte des Rhein-Erft-Kreises, 2013-06-13.
Interview 7: Leiter Research KSK Immobilien GmbH, 2013-06-18.
Gesprächsnotiz 1 (GN 1): Archivar der Stadt Erftstadt, 2013-05-31 und 2013-06-03.
138
Anhang
139
Anlage 1: Erhebungsbogen qualitativer gebäude- und lagebezogener Merkmale im Zuge der Vor-Orts-Begehung.
Quelle: Eigene Darstellung durch Christian Alsdorf und Thomas Knur.
140
Anlage 2: Erhebungsbogen qualitativer lagebezogener Indikatoren zur Bildung von Attraktivitätsindikatoren für die
einzelnen Fokusortsteile zu Prognosezwecken. Quelle: Eigene Darstellung durch Thomas Knur.
141
142
143
144
Anlage 3: Fragebogen der standardisierten Eigentümerbefragung. Quelle: Eigene Darstellung.
145
Interviewleitfaden für die Befragung der Ortsbürgermeisterin/
des Ortsbürgermeisters des jeweiligen Fokusortes:
1 Einführung
-
Geben Sie mir bitte einen Einblick in Ihre Funktion als Ortsbürgermeisterin/ als Ortsbürgermeister.
Was verstehen Sie unter dem Begriff Gebäudeleerstand?
Was verstehen Sie unter dem Begriff Ländlicher Raum?
Wie würden Sie den Ländlichen Raum in Erftstadt abgrenzen?
2 Allgemeine Informationen zur Ortsentwicklung
-
-
Bitte geben Sie mir einen Überblick über die Gesamtentwicklung von …. Beschreiben Sie im Zuge dessen
bitte die ökonomische und demographische Entwicklung.
Wie schätzen Sie die aktuelle Nachfrage nach Wohnimmobilien, insb. nach EZFH, im Ort ein?
Was sind die wichtigsten städtebaulichen Handlungsfelder der Stadt im Ort?
(Neubaugebiete vs. Innenentwicklung)
Wie bewerten Sie die Infrastrukturausstattung des Ortes?
(z.B. soziale Infrastruktureinrichtungen, Versorgungseinrichtungen, Medizinische Versorgung, altengerechte Wohnformen, ÖPNV-Anbindung)
Inwieweit hat sich die Infrastrukturausstattung in den letzten 20-30 Jahren geändert?
3 Einschätzung der Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts
-
Wie schätzen Sie die aktuelle Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts ein?
Konzentrieren sich die Gebäudeleerstände in besonderem Maße auf bestimmte Ortsteile?
Wie gestaltet sich die Leerstandssituation innerhalb des jeweiligen Fokusorts? Wo vermuten Sie Ansammlungen von leer stehenden Gebäuden? (im Ortskern oder auch in Siedlungserweiterungsgebieten?)
Wie würden Sie die Leerstandssituation im Ort insgesamt bewerten?
(Bewertungsskala: Erheblicher Handlungsbedarf, Handlungsbedarf, Kein Handlungsbedarf)
Wie würden Sie die Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts gegenüber den umliegenden Gemeinden bewerten?
4 Einschätzung der Ursachen für Gebäudeleerstände sowie der von den Gebäudeleer-ständen
ausgehenden Auswirkungen
-
Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Ursachen für die Gebäudeleerstände im Ort?
Welche Auswirkungen/Folgen für den Ort verknüpfen Sie mit Gebäudeleerständen?
Wie wirken sich Gebäudeleerstände Ihrer Meinung nach auf angrenzende Gebäude aus?
5 Zukunftsaussichten leer stehender Gebäude und kommunale Handlungsmöglichkeiten
-
-
Wie wird sich das Phänomen des Gebäudeleerstands Ihrer Meinung nach zukünftig entwickeln?
Sind Sie der Ansicht, dass es einen kommunalen Handlungsbedarf im Umgang mit den
Gebäudeleerständen gibt bzw. geben wird?
Worin sehen Sie Chancen die leer stehenden Gebäude wieder einer Nutzung zuzuführen?
Anlage 4: Interviewleitfaden der Experteninterviews mit den OrtsbürgermeisterInnen. Quelle: Eigene Darstellung.
146
Interviewleitfaden für die Befragung des Antragsstellers
der studentischen Abschlussarbeit
1 Einführung
-
Geben Sie mir bitte einen Einblick in Ihre Position/ Funktion in der Stadt Erftstadt.
Was verstehen Sie unter dem Begriff Gebäudeleerstand?
Was verstehen Sie unter dem Begriff Ländlicher Raum?
Wie würden Sie den Ländlichen Raum in Erftstadt abgrenzen?
2 Anlass für die Initiierung einer studentischen Abschlussarbeit
-
Wie ist die Stadt/ Wie sind Sie als Repräsentativer auf die Thematik ,,Gebäudeleerstände im Ländlichen
Raum‘‘ aufmerksam geworden?
3 Einschätzung der Leerstandssituation und ihrer Auswirkungen im Ländlichen Raum
Erftstadts
-
Wie schätzen Sie die aktuelle Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts ein?
Konzentrieren sich die Gebäudeleerstände in besonderem Maße auf bestimmte Ortsteile?
Wie würden Sie die jeweilige Leerstandssituation in den von Ihnen genannten Ortsteilen bewerten?
(Bewertungsskala: Erheblicher Handlungsbedarf, Handlungsbedarf, Kein Handlungsbedarf)
Vermuten Sie innerhalb der Ortsteile in bestimmten Lagen Konzentrationen der Gebäudeleerstände?
(in den Ortskernen oder auch in den Siedlungserweiterungsgebieten?)
Wie würden Sie die Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts gegenüber den umliegenden
Gemeinden bewerten?
Welche Auswirkungen/Folgen für die Gemeinde verknüpfen Sie mit Gebäudeleerständen?
Wie wird sich das Leerstandsphänomen Ihrer Meinung nach zukünftig entwickeln?
4 Bisherige Auseinandersetzung der Stadt Erftstadt mit der Leerstandsthematik
-
Inwieweit haben sich die Stadtverwaltung und der Stadtrat bisher mit der Thematik „Gebäudeleerstände
im Ländlichen Raum“ auseinandergesetzt?
Existierten bereits vor der Initiierung der studentisch Abschlussarbeit Handlungsperspektiven und
Vorstellungen bzgl. des Umgangs mit Gebäudeleerständen? Wenn ja, welche?
5 Erwartungen, die an die studentische Abschlussarbeit geknüpft werden
-
Welche Erwartungen richten Sie an die studentische Abschlussarbeit?
6 Möglichkeiten seitens der Stadt erarbeitete Handlungsansätze umzusetzen
-
-
Welches Vorgehen ist nach Beendigung und Abgabe der Abschlussarbeit geplant?
Über welche Möglichkeiten verfügt die Stadtverwaltung, um die erarbeiteten Handlungsansätze
umzusetzen?
Inwieweit lassen sich weitere Mittel zur Umsetzung der Handlungsempfehlungen mobilisieren?
Anlage 5: Interviewleitfaden des Experteninterviews mit dem Antragssteller der studentischen Abschlussarbeit.
Quelle: Eigene Darstellung.
147
Interviewleitfaden für die Befragung des Leiters des Umweltund Planungsamtes der Stadt Erftstadt
1 Einführung
-
Geben Sie mir bitte einen Einblick in Ihre Position/ Funktion in der Stadt Erftstadt.
Was verstehen Sie unter dem Begriff Gebäudeleerstand?
Was verstehen Sie unter dem Begriff Ländlicher Raum?
Wie würden Sie den Ländlichen Raum in Erftstadt abgrenzen?
2 Allgemeine Informationen zur Entwicklung der Stadt Erftstadt
-
-
Bitte geben Sie mir einen Überblick über die Gesamtentwicklung der Kommune. Beschreiben Sie im
Zuge dessen bitte die ökonomische und demographische Entwicklung Erftstadts.
Was sind aktuell die wichtigsten städtebaulichen Handlungsfelder der Kommune?
Wie schätzen Sie die aktuelle Nachfrage nach Wohnimmobilien, insbesondere nach EZFH, in Erftstadt
und in den Fokusortsteilen Erp, Friesheim, Bliesheim, Borr und Herrig ein?
Wie bewerten Sie die Infrastrukturausstattung in den Ortsteilen Erp, Friesheim, Bliesheim, Borr und
Herrig? (z.B. soziale Infrastruktureinrichtungen, Versorgungseinrichtungen, Medizinische Versorgung,
altengerechte Wohnungen, ÖPNV-Anbindung)
Inwieweit hat sich die Infrastrukturausstattung in den letzten 20-30 Jahren geändert?
Durch welche Maßnahmen wird aktuell die Innenentwicklung in den Ortsteilen gestärkt?
Bitte beschreiben Sie die aktuelle Baulandstrategie Erftstadts.
Wie viele Neubaugebiete wurden seit der kommunalen Neugliederung 1969 ausgewiesen?
Haben Sie einen Überblick über existierende Baulücken?
3 Einschätzung der Leerstandssituation, ihrer Ursachen und ihrer Auswirkungen im
Ländlichen Raum Erftstadts
-
Wie schätzen Sie die aktuelle Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts ein?
Konzentrieren sich die Gebäudeleerstände in besonderem Maße auf bestimmte Ortsteile?
Wie würden Sie die Leerstandssituation in den von Ihnen genannten Ortsteilen bewerten?
(Bewertungsskala: Erheblicher Handlungsbedarf, Handlungsbedarf, Kein Handlungsbedarf)
Vermuten Sie innerhalb der Ortsteile in bestimmten Lagen Konzentrationen der Gebäudeleerstände?
(in den Ortskernen oder auch in den Siedlungserweiterungsgebieten?)
Wie würden Sie die Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts gegenüber den umliegenden
Gemeinden bewerten?
Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Ursachen für die Gebäudeleerstände?
Welche Auswirkungen/Folgen für die Gemeinde verknüpfen Sie mit Gebäudeleerständen?
Wie wird sich das Phänomen des Gebäudeleerstands Ihrer Meinung nach künftig entwickeln?
4 Bisherige Auseinandersetzung der Stadt Erftstadt mit der Leerstandsthematik
-
Inwieweit haben sich die Stadtverwaltung und der Stadtrat bisher mit der Thematik „Gebäudeleerstände
im Ländlichen Raum“ auseinandergesetzt?
5 Erwartungen, die an die studentische Abschlussarbeit geknüpft werden
- Welche Erwartungen richten Sie an die studentische Abschlussarbeit?
Anlage 6: Interviewleitfaden des Experteninterviews mit dem Leiter des Umwelt- und Planungsamtes der Stadt
Erftstadt. Quelle: Eigene Darstellung.
148
Interviewleitfaden für die Befragung von Experten
mit einem immobilienwirtschaftlichen Bezug
1 Einführung
-
Geben Sie mir bitte einen Einblick in Ihre Position und ihre Kenntnisse über die Immobilienwirtschaft
in Erftstadt.
Was verstehen Sie unter dem Begriff Gebäudeleerstand?
Was verstehen Sie unter dem Begriff Ländlicher Raum?
Wie würden Sie den Ländlichen Raum in Erftstadt abgrenzen?
2 Allgemeine Informationen zur aktuellen Marktlage gebrauchter EZFH im
Ländlichen Raum Erftstadts
-
Wie schätzen Sie die aktuelle Marktlage von gebrauchten EZFH in den ländlich geprägten Ortsteilen
Erftstadts, insbesondere Erp, Friesheim, Bliesheim, Borr und Herrig ein?
Kommen aktuell besonders viele gebrauchte Objekte wieder auf den Markt? Können Sie auffällige Entwicklungen in einzelnen Ortschaften feststellen?
Wie schätzen Sie die Marktgängigkeit gebrauchter EZFH im Ländlichen Raum Erftstadts ein?
Inwieweit kann die Nachfrage hinsichtlich Lagen, Baualtersklassen, Bautypen und Grundstücksgrößen
unterschieden werden?
Wie gestaltet sich die Nachfrage nach eher älteren und jüngeren Gebäuden? Ist das Interesse an
sanierten oder an unsanierten Gebäuden größer?
Sind die Hauspreise gebrauchter EZFH aktuell stabil, steigend oder fallend?
Wie gestaltet sich die Nachfrage nach gebr. EZFH gegenüber der Nachfrage nach Neubauten?
Welche Bevölkerungsgruppen treten als Hauptnachfrager nach gebrauchten EZFH auf?
3 Einschätzung der Leerstandssituation, ihrer Ursachen und ihrer Auswirkungen im
Ländlichen Raum Erftstadts
-
Wie schätzen Sie die aktuelle Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts ein?
Konzentrieren sich die Gebäudeleerstände in besonderem Maße auf bestimmte Ortsteile?
Wie würden Sie die Leerstandssituation in den von Ihnen genannten Ortsteilen bewerten?
(Bewertungsskala: Erheblicher Handlungsbedarf, Handlungsbedarf, Kein Handlungsbedarf)
Vermuten Sie innerhalb der Ortsteile in bestimmten Lagen Konzentrationen der Gebäudeleerstände?
(in den Ortskernen oder auch in den Siedlungserweiterungsgebieten?)
Wie würden Sie die Leerstandssituation im Ländlichen Raum Erftstadts gegenüber den umliegenden
Gemeinden bewerten?
Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Ursachen für die Gebäudeleerstände?
Welche Auswirkungen/Folgen für die Gemeinde verknüpfen Sie mit Gebäudeleerständen?
4 Zukunftsaussichten gebrauchter leer stehender EZFH und kommunaler Handlungsbedarf
-
Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten für den Markt gebrauchter EZFH im Ländlichen Raum
Erftstadts ein?
Wie wird sich das Phänomen des Gebäudeleerstands Ihrer Meinung nach künftig entwickeln?
Sind Sie der Ansicht, dass es einen kommunalen Handlungsbedarf im Umgang mit den
Gebäudeleerständen gibt bzw. geben wird?
Worin sehen Sie Chancen die leer stehenden Gebäude wieder einer Nutzung zuzuführen?
Anlage 7: Interviewleitfaden der Experteninterviews mit den Akteuren mit einem immobilienwirtschaftlichem Bezug. Quelle: Eigene Darstellung.
149
Versicherung
Name, Vorname: Knur, Thomas
Matrikelnummer: 288243
Semester: 4
Gutachterin: Univ.-Prof. Dr.phil. Carmella Pfaffenbach
Titel der Masterarbeit:
Gebäudeleerstände im ländlichen Raum am Beispiel der Stadt Erftstadt – Perspektiven für
die Einrichtung eines Leerstandsmanagements
Vacany rates of residential and non-residential buildings in rural areas using the example
of the city Erftstadt – Perspectives for the establishment of a vacant property management
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorgelegte Masterarbeit – einschließlich aller beigefügter Materialien – selbständig verfasst und keine anderen als im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen
benutzt habe. Dies gilt für alle Quelltypen.
Ich habe alle Passagen und Sätze der Arbeit, die wortwörtlich oder sinngemäß anderen veröffentlichten und nicht veröffentlichten Werken entnommen sind, in jedem einzelnen Fall unter genauer Angabe der Herkunft der Quelle deutlich als Entlehnung gekennzeichnet.
Die Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht eingereicht worden.
Mir ist bekannt, dass Zuwiderhandlungen gegen diese Erklärung und gewusste Täuschungen
eine Zurückweisung der Arbeit zur Folge haben kann.
Datum
Unterschrift
150