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Sitzungsvorlage (Vergnügungsstättenkonzpet, Teil 1)

Daten

Kommune
Jülich
Größe
310 kB
Datum
31.05.2012
Erstellt
04.05.12, 18:28
Aktualisiert
24.05.12, 14:41

Inhalt der Datei

Gutachten zur Entwicklung einer Vergnügungsstättenkonzeption für die Stadt Jülich Berichtsentwurf Dr. rer. pol. Donato Acocella Dipl.-Ing. Daniel Altemeyer-Bartscher, M.A. Dipl.-Geogr. Elisabeth Eichmann Dortmund/ Lörrach, 27.04.2012 Dr. Donato Acocella - Stadt- und Regionalentwicklung Teichstraße 14 • 79539 Lörrach • T 07621 91550-0 • F 07621 91550-29 Arndtstraße 10 • 44135 Dortmund • T 0231 534555-0 • F 0231 534555-29 Breslauer Straße 406 • 90471 Nürnberg • T 0911 817676-42 • F 0911 817676-43 info@dr-acocella.de • www.dr-acocella.de INHALTSVERZEICHNIS: 1. AUSGANGSLAGE UND AUFGABENSTELLUNG 1 2. DEFINITION UND RECHTLICHER RAHMEN 4 2.1 DEFINITION DES BEGRIFFS "VERGNÜGUNGSSTÄTTE" ...................................... 4 2.1.1 Unterschiedliche Nutzungsprofile und städtebaulichen Störpotenziale von Vergnügungsstätten und Rotlichtangeboten ............................................... 6 2.1.2 Die städtebaulichen Störpotenziale von Spielhallen und Wettbüros ............ 9 2.2 BAURECHTLICHE ZULÄSSIGKEIT VON VERGNÜGUNGSSTÄTTEN............................. 13 2.2.1 Baurechtliche Zulässigkeit von Vergnügungsstätten ................................. 13 2.2.1.1 Abgrenzung der nicht kerngebietstypischen gegenüber den nur im Kerngebiet zulässigen Vergnügungsstätten ............................ 14 2.2.1.2 Zulässigkeit als Ausnahme ........................................................ 16 2.2.1.3 Städtebauliche Gründe ............................................................. 18 2.3 3. STRATEGIEN ZUR STEUERUNG VON VERGNÜGUNGSSTÄTTEN .............................. 19 FUNKTIONS- UND STANDORTSANALYSE 22 3.1 RÄUMLICHE VERTEILUNG DER VERGNÜGUNGSSTÄTTEN IN DER GESAMTSTADT .......... 22 3.2 FUNKTIONS- UND STANDORTANALYSE IN DER INNENSTADT VON JÜLICH ................ 23 3.2.1 Untersuchungs- und Bewertungskriterien für Vergnügungsstätten in der Innenstadt ........................................................................................... 23 3.2.2 Räumliche Verteilung der Vergnügungsstätten in der Kernstadt von Jülich . 25 3.2.3 Lagebezogene Verteilung der Vergnügungsstätten und städtebaulichfunktionale Analyse des Umfelds der Vergnügungsstätten in der Innenstadt von Jülich ............................................................................ 27 3.2.4 Standortanalyse der bestehenden Vergnügungsstätten in der Kernstadt von Jülich ............................................................................................. 30 3.3 FUNKTIONS- UND STANDORTANALYSE IN DEN GEWERBEGEBIETEN VON JÜLICH ......... 34 3.3.1 Gewerbe- und Industriegebiet Königskamp ............................................. 34 3.3.2 Gewerbegebiet Margaretenstraße/ Elisabethstraße ................................. 37 3.3.3 Gewerbegebiet Bahnhofstraße/ Karthäuserstraße ................................... 39 3.3.4 Gewerbegebiet Wiesenstraße/Römerstraße ............................................ 41 3.3.5 Aachener Straße ................................................................................... 42 3.3.6 Gewerbegebiet Von-Schöfer-Ring ........................................................... 44 3.3.7 Gewerbegebiet Welldorf/ Güsten............................................................ 45 3.3.8 Gewerbegebiet Steffensrott................................................................... 46 3.3.9 Gewerbegebiet Wymarstraße ................................................................. 48 3.3.10 Gewerbegebiet Teichstraße .................................................................. 49 3.3.11 Gewerbegebiet Im Reinfeld/ Schophover Straße ..................................... 50 3.3.12 Gewerbegebiet Im Rott ......................................................................... 51 3.3.13 Gewerbegebiet L253 ............................................................................. 52 3.3.14 Zusammenfassende Bewertung und Empfehlungen zur Ansiedlung von Vergnügungsstätten in gewerblichen Gebieten ........................................ 53 3.4 STANDORT- UND FUNKTIONSANALYSE DER GEMISCHTEN BAUFLÄCHEN VON JÜLICH ..... 54 3.4.1 Steuerung von Vergnügungsstätten in den Stadtteilen ............................. 54 3.4.2 Steuerung von Vergnügungsstätten in den Mischgebieten der Kernstadt .... 55 i 4. ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG 5. EMPFEHLUNGEN FÜR EINE NACHHALTIGE VERGNÜGUNGSSTÄTTENSTEUERUNG 59 5.1 VERTIKALE STEUERUNG ...................................................................... 62 5.2 HORIZONTALE STEUERUNG (ABLEITUNG VON MINDESTABSTÄNDEN) ..................... 62 5.3 FESTSTELLUNG ................................................................................ 64 6. ZUM UMGANG MIT DEN STÄDTEBAULICH RELEVANTEN INHALTEN DES GLÜCKSPIELSTAATSVERTRAGES 65 EMPFEHLUNGEN ZU MAßNAHMEN UND VORGEHENSWEISE ZUR UMSETZUNG DES KONZEPTES 69 7. ii 57 TABELLENVERZEICHNIS: Tab. 1: Zulässigkeiten von Vergnügungsstätten in den Baugebieten nach §1 (2) BauNVO ...................................................................................................13 KARTENVERZEICHNIS: Karte Karte Karte Karte 1: 2: 3: 4: Vergnügungsstätten in Jülich ....................................................................22 Räumliche Verteilung von Vergnügungsstätten in der Kernstadt von Jülich ...26 Räumliche Verteilung von Vergnügungsstätten in der Innenstadt von Jülich..28 Zulässigkeitsbereich für Spielhallen und Wettbüros in Jülich (gelb) ............61 FOTOVERZEICHNIS: Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto Foto 1: negatives Beispiel, andere Stadt ................................................................24 2: negatives Beispiel, andere Stadt ................................................................24 3: positives Beispiel, andere Stadt ................................................................25 4: positives Beispiel, andere Stadt ................................................................25 5: Kleine Ruhrstraße 18 .................................................................................30 6: Eingangsbereich ........................................................................................30 7: Bocksgasse 6 .............................................................................................31 8: Wohnnutzungen im Umfeld..........................................................................31 9: Wohnnutzungen im Umfeld..........................................................................31 10: Leerstände im Erdgeschoss .......................................................................31 11: Baierstraße 5 ..........................................................................................32 12: Eingangsbereich ......................................................................................32 13: Marktstraße 1 ..........................................................................................32 14: Eingangsbereich ......................................................................................32 15: Große Ruhrstraße 21 ................................................................................33 16: Eingangsbereich ......................................................................................33 17: Große Rurstraße 83 .................................................................................34 18: Große Rurstraße 83 .................................................................................34 19: Dürener Straße 37 a-c ..............................................................................37 20: Dürener Straße 37 a-c ..............................................................................37 19: Eleonorenstraße 9 ...................................................................................39 20: Eleonorenstraße Umfeld ..........................................................................39 iii 1. AUSGANGSLAGE UND AUFGABENSTELLUNG In Jülich, wie mittlerweile in vielen anderen Städten unterschiedlicher Größen, häufen sich seit einiger Zeit die Anträge auf die Errichtung von (Mehrfach-)Spielhallen sowie Wettbüros1. Zudem bestehen in Jülich bereits Spielhallen und sonstige Vergnügungsstätten. Diese Entwicklung kann sowohl funktionsbezogen städtebaulich negativ wirken, als auch zu einer stadtsoziologischen Problematik führen, die sich im Herausbilden entsprechend negativ geprägter Stadträume ausdrückt. Die Ansiedlungsmöglichkeiten für Vergnügungsstätten sind planungsrechtlich geregelt und beispielweise im Hinblick auf Misch- und Gewerbegebiete nur unter bestimmten Bedingungen möglich.2 In Innenstädten, aber auch in sonstigen Stadtbereichen werden Vergnügungsstätten häufig als Indikator für einen eingesetzten bzw. einen einsetzenden "TradingDown-Prozess" gewertet. Diese allgemeine Einschätzung dürfte sich auch auf Grund der im Umfeld befindlichen sonstigen Einrichtungen und der jeweiligen städtebaulichen Situation entwickelt haben. Dabei ist es unerheblich, ob die Ansiedlung dieser Nutzungen den Trading-Down-Prozess einleitet oder ob diese eine Folge sind. Ungeachtet dieser Frage wurden in der Vergangenheit in vielen Innenstädten Vergnügungsstätten planungsrechtlich in den Erdgeschosszonen ausgeschlossen. Hinsichtlich einer langfristigen Steuerungsperspektive stellt sich jedoch die Frage, ob eine restriktive Haltung planungsrechtlich dauerhaft tragfähig sein kann: Die räumliche Steuerung von Vergnügungsstätten, also auch der Ausschluss, ist grundsätzlich zulässig. Allerdings ist es planungsrechtlich notwendig, Gebiete/ Stadtbereiche/ Räume auszuweisen, wo Vergnügungsstätten zulässig sind - ein Totalaus- 1 Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum staatlichen Glückspielmonopol werden auch die nun legalisierten Wettbüros verstärkt entsprechende Nutzungsanträge stellen. Vgl. EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.09.2010, Az.: C-409/06. 2 Die Ansiedlung von Einzelhandel, z.B. Sexshops ohne Videokabinen und Bordellen/ bordellartigen Betrieben, ist ebenfalls in der BauNVO als Einzelhandel bzw. als sonstige Gewerbetriebe geregelt, allerdings sind hier die Ansiedlungsmöglichkeiten weniger als Ausnahme-, sondern als Regelmöglichkeit beschrieben, so dass der Begründungshintergrund sich anders darstellen kann als bei den Vergnügungsstätten. Das planungsrechtliche Instrumentarium ist vergleichbar. 1 schluss im gesamten Stadtgebiet ist rechtlich grundsätzlich nicht möglich. Eine Stadt darf somit keine eigene Spielhallenpolitik3 betreiben. Wesentliche Voraussetzung für eine gesamtstädtische Steuerung ist die hinreichend detaillierte städtebauliche Begründung.4 Jedoch kann u.U. eine städtebauliche Begründung als nur vorgeschoben und damit als nicht hinreichend betrachtet werden, wenn andere Motive als die räumliche Steuerung von zulässigen Nutzungen ausschlaggebend waren.5 Untersuchungen z.B. hinsichtlich einer (Spiel-)Suchtprävention können somit nicht Teil einer Vergnügungsstättenkonzeption i.S.d. § 1 (6) Nr. 11 BauGB sein. Eine häufig formulierte (politische) Zielsetzung zur Steuerung von Vergnügungsstätten, ist der Nutzungsausschluss und Schutz der Innenstadt. Eine Konsequenz dieser Zielsetzung ist die Ausweisung von Zulässigkeitsbereichen in einem/ mehreren Gewerbegebiet(en) oder sonstigen Gebieten. Eine Rechtfertigung, Vergnügungsstätten nicht an allen grundsätzlich denkbaren Standorten zu ermöglichen, bedeutet, eine städtebaulich geprägte und hinreichende Begründung darzulegen. Der Ausschluss von bestimmten Nutzungsarten in für sie an sich in Frage kommenden Gebieten (Ausschluss von Vergnügungsstätten in Kerngebieten) und der Verweis in Gebiete in denen sie allenfalls ausnahmsweise zugelassen werden können (z.B. Gewerbegebiete), ist nach Auffassung des BVerwG grundsätzlich bedenklich.6 Gewerbegebiete zeichnen sich somit zunächst dadurch aus, dass in ihnen gearbeitet wird. Nach dem Leitbild der BauNVO sind sie den produzie- 3 "Die Gemeinde darf nicht mit den Mitteln der Bauplanung ihre eigene, von der Wertung des Bundesgesetzgebers abweichende, "Spielhallenpolitik" betreiben, indem sie diese Einrichtungen unabhängig von Erwägungen der Ordnung der Bodennutzung allgemein für ihr Gemeindegebiet ausschließt." Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.05.1987, Az. 4 N 4/86. 4 Vgl. dazu z.B. VGH Ba-Wü: Urteil vom 03.03.2005, Az 3 S 1524/04, Rn 30. Früher schon: BVerwG, Beschluss vom 21.12.1992, Az. 4 B 182/92. 5 "Danach ist ein für sich allein nicht tragfähiges Begründungselement im Hinblick auf das Vorliegen städtebaulicher Gründe unerheblich, wenn der Ausschluss einzelner Nutzungen im Übrigen durch städtebauliche Gründe gerechtfertigt ist. Das kann allerdings dann nicht gelten, wenn die städtebaulichen Gründe nur vorgeschoben sind, wenn also die Motive der Gemeinde, die für die Festsetzung nach § 1 Abs. 5 BauNVO maßgebend waren, überhaupt nicht städtebaulicher Natur sind." Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.07.1991, Az. 4 B 80/91 6 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.07.1991, Az. 4 B 80/91; Fickert/ Fieseler Kommentar zur BauNVO, 2008, § 1 (5) Rn 101. 2 renden und artverwandten Nutzungen vorbehalten.7 Eine dieser Begründungen kann der Schutz von Gewerbegebieten sein. In diesem Zusammenhang könnten zwei Fragen eine besondere Bedeutung gewinnen: 1. Welche Gewerbegebiete sind - im juristischen Sinne - (noch) schützenswert bzw. schutzfähig8? 2. Ist eine Spielhallen-/ Vergnügungsstättennutzung in den Gewerbegebieten insbesondere vor dem Hintergrund der vorhandenen Gewerbegebietsqualitäten/ quantitäten in Jülich tatsächlich sinnvoll? (Der Ausschluss von Einzelhandel zur "Aufwertung" eines Gewerbegebiets (GE) ist bei gleichzeitiger Zulassung von Vergnügungsstätten grundsätzlich bedenklich). Eine einzelfallbezogene Steuerung birgt grundsätzlich die Gefahr, mit unzureichenden städtebaulichen Begründungen oder Ermessensfehlern rechtlich angreifbar zu sein. Zudem führt eine sukzessive und iterative Steuerung in der Regel zu Verlagerungs- und Verdrängungseffekten, wenn nur ein Teil des Stadtgebiets hinsichtlich Vergnügungsstätten überplant ist. Eine gesamtstädtische Vergnügungsstättenkonzeption stellt ein städtebauliches Konzept i.S.d. § 1 (6) Nr. 11 BauGB dar. Durch diese Konzeption werden transparente und einheitliche Entscheidungsregeln für die Einzelfallbewertung geschaffen sowie eine hohe (bau)rechtliche Planungssicherheit erreicht. 7 Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2005, Az. 4 B 71.05 8 Vgl. dazu z.B. VGH Mannheim: Urteil vom 28.01.2005, Az. 8 S 2831/03; Leitsätze: 1. Der bauplanerische Ausschluss einzelner Nutzungsarten ist nur dann städtebaulich gerechtfertigt, wenn er anhand eines schlüssigen Plankonzepts auf seine Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit überprüft werden kann. 2. Daran fehlt es, wenn für die Differenzierung zwischen ausgeschlossenen und zugelassenen Nutzungsarten keine nachvollziehbaren städtebaulichen Gründe erkennbar sind (hier: Ausschluss des Einzelhandels zur "Aufwertung" des Gewerbegebiets bei gleichzeitiger Zulassung von Vergnügungsstätten (u.a. Spielhallen), Tankstellen und Kfz-Handel). 3 2. DEFINITION UND RECHTLICHER RAHMEN Die planungsrechtliche Steuerung von Vergnügungsstätten unterliegt der Anforderung, dies städtebaulich zu begründen. Zur Transparenz der Rahmenbedingungen werden vorab die planungsrechtlichen Rahmenbedingungen und die einschlägigen Urteile zusammengestellt. Insbesondere die Urteile dienen dazu, die entsprechende Konzeption für Jülich zu entwickeln und zu begründen und letztlich auch den Entscheidungsspielraum für die Politik und Verwaltung darzustellen. 2.1 DEFINITION DES BEGRIFFS "VERGNÜGUNGSSTÄTTE" Bauplanungsrechtlich findet der Begriff "Vergnügungsstätte" vor allem in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) von 1990 Verwendung (§§ 4a (3) Nr.2; 5 (3); 6 (2) Nr. 8; 7 (2) Nr. 2; 8 (3) Nr. 3 BauNVO). Nach den BauNVO 1962, 1968 und 1977 sind Vergnügungsstätten begrifflich im § 7 BauNVO aufgeführt. Daraus ergibt sich, dass nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten ansonsten als Gewerbebetriebe behandelt wurden. Erst die BauNVO 1990 differenziert hier und nimmt Vergnügungsstätten auch in anderen Baugebieten als eigenständigen Begriff auf und schränkt die Zulässigkeiten in den jeweiligen Baugebieten nach § 1 (2) BauNVO im Verhältnis stärker ein9. In der BauNVO werden Vergnügungsstätten jedoch nicht dahingehend definiert welche Einrichtungen und Anlagen zu dieser Nutzungsform gehören. Eine genauere Zuordnung ist nur über die Rechtsprechung und entsprechende Einzelfallentscheidung gegeben. Nach herrschender Meinung lassen sich Vergnügungsstätten als Sammelbegriff für Gewerbebetriebe verstehen, die auf verschiedenste Weise unter Ansprache des Sexual-, Spiel oder Geselligkeitstriebs bestimmte Freizeitangebote vorhalten.10 Dazu zählen: • Spiel- und Automatenhallen, Spielcasinos und Spielbanken • Wettbüros 9 In Bebauungsplänen, die auf den Baunutzungsverordnungen vor der Änderung von 1990 basieren, sind Vergnügungsstätten daher in Ihrer Zulässigkeit weitaus geringer beschränkt, insofern diese nicht explizit ausgeschlossen wurden. 10 vgl. Hess. VGH Beschluss vom 19.09.2006, Az.: 3 TG 2161/06 - unter Bezugnahme auf Fickert/Fieseler, BauNVO, Kommentar, 10. Auflage, 2002 4 • Diskotheken und Nachtlokale jeglicher Art sowie Festhallen11 • Varietees, Nacht- und Tanzbars, alle Tanzlokale und Tanzcafés, Stripteaselokale, Swinger-Clubs und Sexkinos einschließlich der Lokale mit Videokabinen (Filmund Videovorführungen sexuellen Charakters). Nicht dazu zählen: • Gaststätten (Betriebe bei denen das Essen und Trinken bzw. Bewirten im Vordergrund der geschäftlichen Tätigkeit steht) • (kleine) Tanz-Cafés • Anlagen für kulturelle Zwecke (Theater, Oper, Kino im herkömmlichen Sinn12 etc.), mit Ausnahme von Einrichtungen mit Film- und Videovorführungen sexuellen Charakters, die wiederum unstrittig zu den Vergnügungsstätten gehören.13 • Einrichtungen und Anlagen die vornehmlich sportlichen Zwecken dienen (Sport-/ Fitness-Center). "Graubereiche": • Billardcafé, Bowling-Center, Kinocenter14 (Multiplex-Kino) (Einzelfallbetrachtung notwendig - je nach Ausstattung und Ausrichtung der Betriebsform kann es sich um eine Vergnügungsstätte handeln) • Bordelle/ bordellartige Betriebe (i.d.R. Gewerbebetrieb, in Verbindung mit Animierbetrieb ggf. eine Vergnügungsstätte) • Sex-/Erotik-Shops (mit oder ohne Videokabinen). Wirtschafts- und gewerberechtlich sind Vergnügungsstätten Gewerbebetriebe, bei denen die kommerzielle Unterhaltung der Besucher und Kunden im Vordergrund 11 Sind die Auswirkungen einer Festhalle, die der Betreiber nur für geschlossene Veranstaltungen zur Verfügung stellt, denen einer Vergnügungsstätte im Sinne der BauNVO, die der Allgemeinheit offen steht, vergleichbar, ist es für die Erreichung des städtebaulichen Ziels, die Wohnbevölkerung und andere sensible Nutzungen vor den von Vergnügungsstätten ausgehenden nachteiligen Wirkungen zu schützen, ohne Belang, ob die einzelnen Besucher oder Teilnehmer einer Veranstaltung einem geschlossenen Kreis angehören und einer persönlichen Einladung Folge leisten oder ob es sich um einen offenen Personenkreis handelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.11.2008, Az.: 4 B 56/06). 12 vgl. Fickert/Fieseler 2002. 13 vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg BauGB, Kommentar, Stand Oktober 2008. 14 Vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 21.03.2003, Az.: 3 A 57/00.Z. 5 steht.15 Eine steuerrechtliche/gewerberechtliche Begriffsdefinition ist jedoch nicht mit einer städtebaulich/baurechtlichen Definition gleichzusetzen, da hier andere Kriterien zur Einordnung herangezogen werden (müssen). Zur Abgrenzung des Begriffs gegenüber anderen Nutzungen, Anlagen und Betrieben ist grundsätzlich die Eigenständigkeit des Begriffs zu berücksichtigen. Die Bezeichnung "Vergnügungsstätte" ist in der BauNVO 1990 als ein eigenständiger Begriff zu betrachten, ansonsten hätte der Verordnungsgeber (§ 9a BauGB) hier nicht differenziert. Die Abgrenzung von Vergnügungsstätten zur scheinbar verwandten Nutzung "Gaststätten" erfolgt über die hauptsächliche, im Vordergrund stehende Nutzungsart. So handelt es sich bei einer Versammlungsstätte dann um eine Gaststätte, wenn das Essen und Trinken bzw. das Bewirten im Vordergrund der geschäftlichen Tätigkeit steht. Steht aber die gewerbliche Freizeit-Unterhaltung im Vordergrund, so handelt es sich um eine Vergnügungsstätte.16 2.1.1 Unterschiedliche Nutzungsprofile und städtebaulichen Störpotenziale von Vergnügungsstätten und Rotlichtangeboten Ebenso vielfältig wie die Nutzungen sind auch die jeweiligen Nutzungsprofile und Störpotenziale, welche sich zum Teil erheblich voneinander unterscheiden und daher bei der Erarbeitung einer Vergnügungsstättenkonzeption beachtet werden müssen. Billardclubs stellen beispielsweise eine "Grauzone" der Vergnügungsstätten dar. Sind diese eher sportlich orientiert und auf Vereinsbasis organisiert, zählen diese Nutzungen in der Regel nicht zu den Vergnügungsstätten; ansonsten sind diese dem Nutzungsprofil der Spielhallen ähnlich. 15 vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg: 2008. 16 Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts "liegt der Zulassung von Geldspielgeräten in den genannten Gewerbezweigen die Erwägung zugrunde, dass hier entweder - wie bei den Spielhallen und Wettannahmestellen - das Spielen den Hauptzweck bildet und entsprechende Zulassungsvoraussetzungen gelten oder aber - in Gaststätten- und Beherbergungsbetrieben - das Spielen nur Annex der im Vordergrund stehenden Bewirtungs- oder Beherbergungsleistung ist (...)."(BVerwG, Beschluss vom 18.03.1991, Az. 1 B 30/91). Hiernach handelt es sich bei einem Betrieb dann um eine Gaststätte, wenn das Bewirten im Vordergrund steht. Ist der Betrieb von Spielgeräten vorrangig müsste es sich somit um eine Spielhalle handeln, auch wenn die Anzahl der Spielautomaten dem in Gasträumen zulässige Maß entspricht. 6 Diskotheken, Tanzlokale und Varietees sind flächenmäßig meist viel größer. Insbesondere in Gewerbegebieten können diese zu einer Zweckentfremdung führen. Diese Nutzungen haben meist nur in den Nachtstunden, an Wochenenden und Feiertagen geöffnet und produzieren daher hauptsächlich zu Ruhezeiten Lärm. Daher sind diese Nutzungen mit Wohnnutzungen grundsätzlich nicht verträglich. Im Gegensatz zu Spielhallen handelt es sich jedoch um eine gesellschaftlich weitestgehend akzeptierte Nutzung, deren Indikatorwirkung für die Erzeugung von Trading-Down-Effekten nicht vorstellbar ist. Überdies weisen diese i.d.R. ein nur geringes Störpotenzial gegenüber anderen kerngebietstypischen Nutzungen (z.B. Einzelhandel) auf. Zudem gibt es kaum Überschneidungen der Öffnungszeiten. Wettbüros17, d.h. Ladengeschäfte, in denen der Abschluss von Sportwetten bei einem (im EU-Ausland ansässigen) Buchmacher ermöglicht wird, haben eine ähnlich städtebauliche Wirkung wie Spielhallen. Neben der Platzierung von Wetten dienen Wettbüros vor allem als Treffpunkt sowie der Unterhaltung durch das (gemeinschaftliche) Verfolgen der Sportveranstaltungen als Wettgegenstand und der dynamischen Entwicklung der Wettquoten. Auf Grund des in Deutschland geltenden Wettmonopols18, das an dem Gemeinwohlziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht ausgerichtet ist, ging man zunächst davon aus, dass der Betrieb von Wettbüros untersagt werden kann.19 Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum staatlichen Glückspielmonopol20 wurde dieser Ansicht widersprochen, sodass man zumindest bis zu einer Änderung der Rechtsnormen von einer Legalisierung der Wettbüros ausgehen muss. Spielhallen21 stellen sich mittlerweile ebenfalls in ihrer Ausprägung unterschiedlich dar und haben ein sehr vielfältiges Störpotenzial. Insbesondere auf Grund der 17 Auf Grund der differenzierten Spielhallentypen nungsrechtlichen Zulässigkeiten wird auf diesen nachfolgenden Kapitel 2.1.2 gesondert eingegangen. 18 Der Begriff "Monopol" ist dabei jedoch staatsrechtlich irreführend, da die Gesetzgebungskompetenz im Glücksspielrecht in Deutschland durch die Länder ausgeübt wird. 19 Vgl. Urteil Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 6. Senat vom 10.12.2009, Az 6 S 1110/07 sowie Urteile des Gerichtshof der Europäischen Union vom 03.06.2010, Az C - 258/08 sowie Az C203/08. 20 Vgl. EuGH (Große Kammer), Urteil vom 08.09.2010, Az.: C-409/06 21 Vgl. Fn 17. und der ebenso differenzierten plaAnlagentyp der Vergnügungsstätten im 7 langen Öffnungszeiten, meist täglich von 6 bis 24 Uhr, sind grundsätzlich Unverträglichkeiten mit Wohnnutzungen anzunehmen. Internetcafés sind dann als Vergnügungsstätten einzuordnen, wenn dort spielhallenähnliche Angebote vorgehalten werden; grundsätzlich stellen diese Nutzungen dann Spielhallen im Sinne der Gewerbeordnung (GewO) dar.22 Internetcafés und Callshops, die sich auf (Tele-)Kommunikationsdienstleistungen beschränken, sind grundsätzlich keine Vergnügungsstätten sondern allgemeine Gewerbebetriebe. Rotlichtangebote sind grundsätzlich auf Grund ihrer heterogenen Ausprägung keiner einheitlichen Einstufung zugänglich23. Die Frage, ob ein Rotlichtangebot auch eine Vergnügungsstätte sein kann, ist vor dem Hintergrund der kennzeichnenden Merkmale von Vergnügungsstätten zu beurteilen. Somit liegt es nahe, als Vergnügungsstätte nur solche Betriebe/ Vorhaben zu fassen, in dem die Besucher gemeinsam unterhalten werden24. Während Varietees kulturell und gesellschaftlich akzeptiert sind und nur bedingt als Vergnügungsstätten betrachtet werden können, sind Betriebsformen zur Darstellung sexueller Handlung (z.B. Porno-Kino, Sex-Shops mit Videokabinen, Sex-Shows, Striptease, Table-Dance, Wellness-Bereich mit Sauna) unstrittig dem baurechtlichen Begriff der Vergnügungsstätten unterzuordnen25. Nahezu einheitlich werden auch Swinger-Clubs als Vergnügungsstätte angesehen26, da das Gemeinschaftserlebnis einen wesentlichen Aspekt des Angebotes ausmacht. Prostitutive Einrichtungen wie Bordelle, bordellartige Betriebe, Terminwohnungen sowie Einrichtungen der Wohnungsprostitution werden hingegen nicht als Vergnügungsstätten sondern als Gewerbebetriebe eigener Art eingestuft27. 22 BVerwG U. v. 9.2.2005 (6 C 11.04): "Stellt ein Gewerbetreibender in seinen Räumen Computer auf, die sowohl zu Spielzwecken als auch zu anderen Zwecken genutzt werden können, so bedarf er der Spielhallenerlaubnis nach § 33i Abs. 1 Satz 1 GewO, wenn der Schwerpunkt des Betriebs in der Nutzung der Computer zu Spielzwecken liegt." 23 Vgl. auch Weidemann 2009: Die städtebauliche Steuerung von Vergnügungsstätten, Reader zum vhw Seminar vom 05.11.2009, S. 19 - 34. 24 Vgl. VG Karlsruhe, 30.07.2009 - 5 K 1631/09) 25 Vgl. Fickert/ Fieseler, BauNVO, 11. Auflage, § 4a Rdnr. 22.21. 26 Vgl. VGH Baden-Württemberg, 28.11.2006 - 3 S 2377/06. 27 Vgl. BVerwG-Urteil vom 28.06.1995 - 4 B 137/95. Aktuell: VGH Mannheim, Beschluss vom 05.03.2012 5 S 3239/11. 8 Diesen Nutzungen ist gemeinsam, dass ihnen ein eher negatives Image anhaftet, aus denen sich nachbarschaftliche Konflikte mit "seriösen" Nutzungen ergeben (kulturelle/ soziale Konflikte). Von diesen verstärkt in den Abend- und Nachtstunden frequentierten Nutzungen gehen Beeinträchtigungen der Wohnruhe aus, u.a. bedingt durch einen verstärkten Kraftfahrzeugverkehr als auch durch "milieubedingte" Störungen (z.B. Belästigung der Anwohner durch das Klingeln an der falschen Haustür). Ein Imageverlust geht auch mit Auswirkungen auf die Standortfaktoren einher, so dass Rotlichtangebote als Indikator für die Erzeugung von Trading-Down-Effekten herangezogen werden können. Prostitutive Einrichtungen sind nicht Steuerungsgegenstand einer Vergnügungsstättenkonzeption. 2.1.2 Die städtebaulichen Störpotenziale von Spielhallen und Wettbüros Spielhallen gehören unstrittig zu den Vergnügungsstätten, da die Zweckbestimmung von Spielhallen sich ausschließlich an dem Spieltrieb des Menschen orientiert: "Spiel ist jede Tätigkeit, die aus Vergnügen an der Ausübung als solche bzw. am Gelingen vollzogen wird."28 Eine rechtliche Definition von Spielhallen wird in der Gewerbeordnung (GewO) in Verbindung mit der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (SpielV) vorgenommen. Das gewerbliche Spielrecht ist demgemäß in den §§ 33c bis 33i GewO und der SpielV als Durchführungsvorschrift der §§ 33 c ff. GewO geregelt. Spielhallen sind Orte, an denen dem Spiel in verschiedenen Formen nachgegangen werden kann. Dabei wird u.a. nach Spielen mit und ohne Gewinnmöglichkeit (Unterhaltungsspiele) unterschieden; eine ausdrückliche Legaldefinition fehlt jedoch. Die Gesetzesbegründung zum Änderungsgesetz von 1960 bezeichnet als Spielhalle "nach dem Sprachgebrauch einen Betrieb, in dem Spielgeräte (Glücksspiele und Geschick- 28 Der Brockhaus (1992) Band 3, Mannheim 9 lichkeitsspiele) aufgestellt sind, an denen sich die Gäste nach Belieben betätigen bzw. beteiligen können."29 Da Spielhallen erfahrungsgemäß in der Lage sind, höhere Kauf- bzw. Mietpreise als andere Nutzungen zu zahlen, besteht die Gefahr einer Verzerrung des sensiblen Boden- und Mietpreisgefüges. Dieses kann je nach Baugebiet zu einer Verdrängung der regulären Nutzungen (bspw. in Gewerbegebieten der Regelnutzungen nach § 8 (2) BauNVO) führen. In Kerngebieten und Hauptgeschäftslagen ist zudem durch eine Verdrängung der Einzelhandels- und publikumsorientierten Dienstleistungsbetriebe die Gefahr eines einsetzenden Trading-Down-Prozesses durch Einschränkung der Angebotsvielfalt gegeben (Spielhallen stehen in diesem Fall unter Indikatoren-Verdacht). Die Auswirkungen auf das Bodenpreisgefüge verschlechtern zudem die Standortfaktoren insbesondere für Existenzgründer und Start-Up-Unternehmen. Da Spielhallen grundsätzlich ein eher negatives Image anhaftet, können sich nachbarschaftliche Konflikte mit "seriösen" Nutzungen ergeben. Der Imageverlust geht auch einher mit den Auswirkungen auf die Standortfaktoren. Spielhallen weisen zumeist eine eher schwache Gestaltung auf, da sie durch auffällige Werbung und aggressive (Blink)Lichtreklame auf sich aufmerksam machen. Durch diese Gestaltungsdefizite wird häufig das Ortsbild gestört. Branchentypisch ist auch das Verdunkeln oder Verkleben der Schaufenster. Dadurch ergibt sich eine geschlossen wirkende Schaufenster- und Erdgeschosszone, die als funktionaler Bruch innerhalb einer Ladenzeile empfunden wird und die funktionale Raumabfolge insbesondere in Hauptgeschäftslagen stört. Die mangelnde Integration setzt sich jedoch auch in einer sozio-kulturellen Dimension weiter fort. Spielhallen werden ausschließlich von Spielern frequentiert, von Nicht-Spielern werden diese in der Regel nicht betreten. Dadurch ergibt sich eine gewisse Unfähigkeit zur Integration, die zusätzlich durch die verklebten Schaufenster und die Abschottung dieser Einrichtungen nach Außen verstärkt wird. Fraglich ist jedoch, ob allein durch eine Wegnahme der physischen Abschottung auch die sozio-kulturellen Barrieren abgebaut werden können. 29 Begründung zum Änderungsgesetz vom 04.02.1960, BT-Drucks. III/318, S. 16; zitiert nach Schumacher, Stephan (1997) Eindämmung des Spielhallengewerbes - Die isolierte und synergetische Wirkung rechtlicher Steuerungsinstrumente am Beispiel der Spielhallen, S. 24 10 Die Gestaltungsmerkmale von Spielhallen treffen grundsätzlich auch für Wettbüros zu. Auch hier führt die Exklusion der Nutzung zu einer mangelhaften Integrationsfähigkeit, insbesondere bezogen auf die Erdgeschosslagen. Spielhallen und Wettbüros unterscheiden sich zwar in der Ertragsstärke (Spielhallen sind i.d.R. ertragsstärker), jedoch gehen von Spielhallen und Wettbüros Verdrängungswirkungen gegen die traditionellen Erdgeschossnutzungen (Einzelhandel und einzelhandelsnahe Dienstleistung) gleichermaßen aus. Dies ist zum einen dadurch begründet, dass Wettbüros, wie auch Spielhallen oftmals ertragsstärker als die traditionellen Erdgeschossnutzungen sind. Eine Verdrängungswirkung tritt immer dann auf, wenn eine Konkurrenzsituation zwischen Betrieben mit typischerweise geringem Investitionsbedarf und vergleichsweise hoher Ertragsstärke (Spielhallen/ Wettbüros) sowie Nutzungen mit deutlich höherem Investitionsbedarf und geringerer Ertragsstärke (Einzelhandel, einzelhandelsnahe Dienstleistung) besteht. "Dies führt tendenziell zu einer Erhöhung der Grundstücks- und Mietpreise und damit zu einer Verdrängung von Gewerbebranchen mit schwächerer Finanzkraft."30 Die Gefahr einer Verdrängung ertragsschwächerer Betriebe durch Spielhallen und Wettbüros ist grundsätzlich in Nebenlagen und/oder vorgeschädigten Bereichen besonders groß, da das Boden- und Mietpreisgefüge hier i.d.R. niedriger ist. Neben dieser wirtschaftlichen Verdrängung durch Überbietung der gebietstypischen Bodenpreise nehmen insbesondere Spielhallen und Wettbüros auch Einfluss auf sog. Trading-Down-Effekte (Abwertung durch Funktions- und Qualitätsverlust). Dieser Einfluss ist erstens verstärkend, da durch die Ansiedlung von (weiteren) Spielhallen und/oder Wettbüros u.U. Einzelhandelsbetriebe verdrängt werden und sich somit der funktions- und Qualitätsverlust verstärkt. Zweitens bewirkt die gebietstypische Ertragsstärke von Spielhallen und Wettbüros u.U. in dem Gebiet eine langfristige Verzerrung des Miet- und Bodenpreisniveaus. Die vormaligen Mieterwartungen der Immobilieneigentümer werden durch die Ertragsstärke der Spielhallen und Wettbüros weiterhin erfüllt. Somit stellt sich innerhalb des Gebiets kein "Selbstheilungsprozess" ein, der nach einer Phase der Abwertung durch neue Investitionen und Nivellierung des Missverhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage wieder eine Aufwertung bedingt. Spielhallen und Wettbüros wirken sich somit auch langfristig auf die Entwicklungsfähigkeit des Gebietes aus. 30 Vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 22.02.2011, Az. 3 S 445/09. 11 Drittens bestehen gegenüber Spielhallen und Wettbüros deutliche gesellschaftliche Vorbehalte, die mitunter auch städtebaulich Wirksam werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn abgesehen von der wirtschaftlichen Verdrängung, eine Verschlechterung des Images eines Gebietes und somit die Verschlechterung der Standortfaktoren entstehen. Insbesondere Wettbüros, die i.d.R. nicht die Ertragsstärke von Spielhallen haben, weisen dieses Störpotenzial auf. Wettbüros können somit durch einen Imageverlust Trading-Down-Effekte ggf. erzeugen und bestehende Abwärtsspiralen grundsätzlich verstärken. Damit wirken sich Wettbüros als Nutzungen mit grundsätzlich geringerer Ertragsstärke als Spielhallen hauptsächlich abwertend auf das Boden- und Mietpreisgefüge aus. Die genannten Störpotenziale treten häufig auch in Kombination auf und wirken in der Summe i.d.R. verstärkend auf bestehende oder einsetzende Trading-Down-Effekte. Dies ist insbesondere bei gehäuftem Auftreten von Spielhallen und Wettbüros in einem Bereich der Fall. Aus diesen spezifischen Störpotenzialen von Spielhallen und Wettbüros und deren Zusammenspiel und verstärkende Wirkung insbesondere in Bereichen mit Funktionsund Qualitätsrückgängen leitet sich die Notwendigkeit ab, Spielhallen und Wettbüros als Steuerungsgegenstand gemeinsam zu erfassen, um die angestrebte Nutzungsverträglichkeit erzeugen zu können. 12 2.2 BAURECHTLICHE ZULÄSSIGKEIT VON VERGNÜGUNGSSTÄTTEN Die BauNVO 1990 beschränkt die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten in Abhängigkeit ihres Störpotenzials je nach Baugebiet sehr unterschiedlich. 2.2.1 Baurechtliche Zulässigkeit von Vergnügungsstätten In der Tabelle 1 sind die Zulässigkeiten von Vergnügungsstätten in den Baugebieten nach § 1 (2) BauNVO dargestellt. In den Wohngebieten nach §§ 2 bis 4 BauNVO sind Vergnügungsstätten grundsätzlich unzulässig. Eine Kategorisierung der Vergnügungsstätten als "nicht störendes Gewerbe" und in Folge dessen als eine ausnahmsweise zulässige Nutzung in diesen Gebieten ist nicht möglich, da Vergnügungsstätten nicht mit "nicht störendem Gewerbe" gleichzusetzen sind. Darüber hinaus geht die Rechtsprechung von einem erhöhten Störpotenzial der Vergnügungsstätten aus, das eine etwaige Verträglichkeit mit den bezeichneten Wohngebieten ausschließt. Eine Unterwanderung der Baugesetzgebung ist auf Grund von Wohngebietsunverträglichkeit somit nicht gegeben. Tab. 1: Zulässigkeiten von Vergnügungsstätten in den Baugebieten nach §1 (2) BauNVO Baugebiet nach BauNVO nicht kerngebietstypisch kerngebietstypisch § 2 Kleinsiedlung - - § 3 reines Wohngebiet - - § 4 allgemeines Wohngebiet - - § 4a besonderes Wohngebiet ausnahmsweise zulässig - § 5 Dorfgebiet ausnahmsweise zulässig - § 6 Mischgebiet (Wohnumfeld) ausnahmsweise zulässig - § 6 Mischgebiet (gewerbl. geprägt) zulässig - § 7 Kerngebiet zulässig zulässig § 8 Gewerbegebiet ausnahmsweise zulässig ausnahmsweise zulässig § 9 Industriegebiet - - Quelle: eigene Darstellung Grundsätzlich zulässig sind Vergnügungsstätten nur in Kerngebieten nach § 7 (2) Nr. 2 BauGB. In den übrigen Baugebieten (§§ 4a bis 6 und 8 BauNVO) bestehen für Vergnügungsstätten verschiedene Zulässigkeitsbeschränkungen. Zum einen wird über die Unterscheidung ob eine Nutzung allgemein oder ausnahmsweise zulässig ist dif- 13 ferenziert, zum anderen bestehen Beschränkungen danach, ob Vergnügungsstätten "wegen ihrer Zweckbestimmung oder ihres Umfangs nur in Kerngebieten allgemein zulässig sind" oder nicht (Kerngebietstypik nach § 4a (3) Nr. 2 BauNVO). Vergnügungsstätte ist ein Sammelbegriff für Gewerbebetriebe, die auf verschiedenste Weise unter Ansprache des Sexual-, Spiel oder Geselligkeitstriebs bestimmte Freizeitangebote vorhalten. Spielhallen sind eine Unterart der Vergnügungsstätten, in denen Spielgeräte (Glücksspiele und Geschicklichkeitsspiele) aufgestellt sind, an denen sich die Gäste nach Belieben betätigen bzw. beteiligen können. In der BauNVO ist der Begriff "Vergnügungsstätte" außerhalb des Kerngebiets erst seit 1990 enthalten. In Bebauungsplänen auf der Basis älterer Baunutzungsverordnungen sind "Vergnügungsstätten" außerhalb der Kerngebiete als Gewerbebetriebe zu behandeln. 2.2.1.1 Abgrenzung der nicht kerngebietstypischen gegenüber den nur im Kerngebiet zulässigen Vergnügungsstätten Die Abgrenzung nach Kerngebietstypik basiert auf dem Ordnungsprinzip der Baunutzungsverordnung (BauNVO), nach der nur in Kerngebieten Vergnügungsstätten allgemein zulässig sind. Die Kerngebiete beschreibt die BauNVO folgendermaßen: "(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. (2) Zulässig sind 1.Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, 2.Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten, 3.sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe, 4.Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke, 5.Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen, 6.Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, 7.sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans. ..." 14 Diese Zuordnung basiert auf der Annahme, dass Vergnügungsstätten allgemein einem "zentralen Dienstleistungsbetrieb"31 gleichen und daher zunächst nur mit der Struktur des Kerngebiets konform gehen. Vor allem der Aspekt des Schutzes der Wohnnutzung und die mit dem Betrieb einer Vergnügungsstätte verbundenen städtebaulichen Auswirkungen und spezifischen Standortanforderungen erfordern, dass eine allgemeine Zulässigkeit nur in Kerngebieten möglich ist.32 Das Vergnügungsstätten in anderen Baugebieten unter bestimmten Auflagen (nicht kerngebietstypisch) ausnahmsweise zulässig sind, ist der Überlegung geschuldet, dass es Formen von Vergnügungsstätten gibt, die möglicherweise nicht die beschriebenen Auswirkungen haben und daher eine Ausnahme bilden können. Diese verträglicheren Nutzungen bilden die Gruppe der nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätten. Die Differenzierung in kerngebietstypische beziehungsweise nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten wird nach § 4a (3) Nr. 2 BauNVO anhand der "Zweckbestimmung" (Art) und "Umfang" (Maß) der baulichen Nutzung ermittelt. Als kerngebietstypische Vergnügungsstätten gelten diejenigen Betriebe, die als zentrale Dienstleistungsbetriebe auf dem Unterhaltungssektor einen größeren Einzugsbereich haben und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar sein sollen33 und damit "attraktiver" für potenzielle Nutzer sind. Daher geht von kerngebietstypischen Vergnügungsstätten im Vergleich zu den nicht kerngebietstypischen ein erheblich höheres Störungspotenzial aus, was zu den Beschränkungen nach Kerngebietstypik in den Baugebieten nach §§ 4a, 5 und 6 BauNVO führt. Spiel- und Automatenhallen werden nach Kerngebietstypik hauptsächlich über den Umfang/ das Maß der baulichen Nutzung eingestuft. Die Rechtsprechung hat hier über zahlreiche Urteile einen Schwellenwert von rd. 100 qm Nutzfläche festgelegt.34 Die starke Orientierung an dem Maß der baulichen Nutzung zur Einstufung von Spielhallen hängt vor allem damit zusammen, dass die SpielV neben einer maximalen Anzahl von Spielgeräten eine Mindestfläche pro Spielgerät festlegt. Nach der 2006 novellierten SpielV dürfen maximal 12 Spielgeräte pro Spielhalle und pro 12 qm ma- 31 vgl. Wank, Erwin (1994) Die Steuerungskraft des Bauplanungsrechts am Beispiel der Spielhallenansiedlung, S. 69 32 ebenda 33 BVerwG, Urteil vom 25.11.1983, Az. 4 C 64/79 34 vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.08.1991, Az. 5 S 2881/90 15 ximal ein Gerät aufgestellt werden. Für den Schwellenwert von 100 qm ergibt sich so eine maximale Anzahl von 8 (8,33) Spielgeräten. Das Maß der baulichen Nutzung bedingt somit in Verbindung mit den Beschränkungen der SpielV auch den Grad der Attraktivität für potenzielle Nutzer. In Einzelfällen z.B. bei betrieblichen Einheiten mit Gaststätten kann auch eine gesteigerte Attraktivität durch diese Betriebseinheit zur Einordnung der Spielhallennutzung als kerngebietstypisch führen, unabhängig davon ob die geplante Fläche für die Vergnügungsstättennutzung unter dem Schwellenwert liegt.35 Der Schwellenwert ist somit nur ein Richtwert; maßgeblich ist die auf der Einschätzung der tatsächlichen örtlichen Situation beruhende Beurteilung36. Eine Mehrfachspielhalle kann unter bestimmten Bedingungen ebenfalls eine kerngebietstypische Anlage darstellen, unabhängig davon, wie groß die Fläche einer einzelnen hierin enthaltenen Spielstätte ist.37 Diskotheken sind als Einrichtungen mit einem größeren Einzugsbereich über das direkte Umfeld hinaus somit grundsätzlich als kerngebietstypisch einzuordnen.38 Bezüglich der Einordnung von Wettbüros hat die Rechtsprechung bis jetzt den Spielhallen-Schwellenwert von 100 qm analog angewendet.39 Im Einzelfall ist jedoch der Bewertungsmaßstab hinsichtlich einer gesteigerten Attraktivität, bzw. eines größeren Einzugsbereichs anzuwenden. Eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte ist ein zentraler Dienstleistungsbetrieb auf dem Unterhaltungssektor, der einen größeren Einzugsbereich hat und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar sein soll (bei Spielhallen und Wettbüros über 100 qm Nutzfläche kann dies angenommen werden). 2.2.1.2 Zulässigkeit als Ausnahme In den Baugebieten nach §§ 4a und 5 BauNVO sind nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten ausnahmsweise zulässig. Während in diesen Baugebieten kerngebiets- 35 vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.10.1992, Az: 4 B 103/92 36 vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.2002, Az.: 8 S 1571/02 37 vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.09.2009, Az.: 3 S 1057/09, S. 7. 38 vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.10.1992, Az.:4 B 103.92; VGH Mannheim, Urteil vom 02.11.2006, Az.:8 S 1891/05 39 vgl. VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 12.08.2010, Az.: 4 K 272/10.NW 16 typische Vergnügungsstätten somit grundsätzlich unzulässig sind und die Vergnügungsstättennutzung stark eingeschränkt wird, treffen diese Einschränkungen für Gewerbegebiete nach § 8 BauNVO nicht zu. Eine Einstufung nach Kerngebietstypik ist in Gewerbegebieten vom Verordnungsgeber nicht vorgesehen40, daher sind die Beschränkungen für Vergnügungsstätten in Gewerbegebieten weniger rigide, als in den Baugebieten nach §§ 4a und 5 BauNVO. Sind die Kriterien für eine ausnahmsweise Zulässigkeit gegeben, tritt für die bearbeitende Behörde der Ermessensfall (§ 40 VwVfG) ein. Ausnahmen stellen grundsätzlich eine Abweichung von einer Regel dar, wie das in der BauNVO verwendete Regel-Ausnahme-Verhältnis der zulässigen Nutzungen verdeutlicht. Für den Umfang der Ausnahme sind die jeweiligen Zweckbestimmungen des Gebiets maßgeblich. Grundsätzlich gilt, dass die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen sich nach Funktion und Umfang der Eigenart des Gebiets unterordnen müssen. Daher gilt eine ähnliche Systematik wie nach dem Einfügegebot des § 34 BauGB. In der Rechtsprechung hat sich, insofern nicht andere städtebaulichen Gründe dagegensprechen, herausgestellt, dass die Ausnahme auch über die Anteiligkeit der fraglichen Nutzung im Gebiet definiert wird. Allerdings kann auch ein einzelnes Vorhaben bereits als im Sinne der Ausnahmeregelung nicht zulässig bewertet werden41. Dies bedeutet beispielsweise, dass für ein Gewerbegebiet, in dem sich noch keine Vergnügungsstätte befindet, die Ausnahmezulässigkeit nicht versagt werden kann, wenn nicht andere städtebaulichen Gründe angeführt werden.42 In diesem Fall liegt ein Ermessensfehler der Behörde nach §114 VwGO vor. Auch andere Beispiele aus der Rechtsprechung definieren die "Ausnahme" über die im Gebiet vorhandenen weiteren oder nicht vorhandenen Vergnügungsstätten.43 Eine ausnahmsweise Zulässigkeit von Vergnügungsstätten kann gegeben sein, wenn städtebauliche Gründe nicht dagegen sprechen. 40 vgl. VG München, Urteil vom 22.07.2004, Az: M 11 K 03.5710 41 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.09.2009, Az.: 3 S 1057/09, S. 8ff. 42 VG München, Urteil vom 22.07.2004, Az: M 11 K 03.5710. 43 vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.11.2006, Az.: 8 S 1891/05 17 2.2.1.3 Städtebauliche Gründe Die Rechtsprechung hat deutlich gemacht, dass für eine Entscheidungsfindung nur städtebauliche Gründe und nicht etwa moralisch-ideologische Aspekte für eine Versagung herangeführt werden können. Eine "Spielhallenpolitik" mit Mitteln der Bauleitplanung kann somit nicht betrieben werden, grundsätzlich gilt die Gewerbefreiheit nach § 1 (1) GewO.44 Städtebauliche Gründe nach § 15 BauNVO sind gegeben, wenn die strittigen Nutzungen nach "Anzahl, Lage und Umfang der Zweckbestimmung und der Eigenart des Baugebiets widersprechen". Weiterhin zu Unzulässigkeiten führen Störungen oder Belästigungen innerhalb des Gebiets oder für benachbarte Gebiete. Auch sogenannte "Trading-Down-Effekte" können als Versagensgründe angeführt werden, wenn dargestellt werden kann, dass eine Vergnügungsstätte für eine angestrebte städtebauliche Entwicklung abträgliche Wirkung hat. Zusätzlich können Verdrängungswirkungen von Vergnügungsstätten herangeführt werden, wenn beispielweise in einem Kerngebiet (§ 7 BauNVO) ein vielfältiger Branchenmix mit einer Verdrängung von Einzelhandels- und Gastronomiebetrieben durch Vergnügungsstätten zu einer Verringerung des Dienstleistungs- und Einzelhandelbesatzes und damit einer Abwertung des Gebiets kommt. (Eine Verdrängungsgefahr ist grundsätzlich gegeben, da Vergnügungsstättenbetreiber u. a. aufgrund längerer Öffnungszeiten häufig in der Lage sind höhere Mieten zu zahlen.) Im Falle eines Gewerbegebietes (§ 8 BauNVO) können ähnliche Verdrängungsproblematiken, wie der Verbrauch (Zweckentfremdung) von Gewerbeflächen aufgezeigt werden. Wie bereits erwähnt, sollten sich die städtebaulichen Gründe, die für oder gegen eine Ansiedlung von Vergnügungsstätten sprechen, nicht nur auf das Baugebiet selbst, sondern sich auch auf die umliegenden Baugebiete beziehen (vgl. Rücksichtnahmegebot § 15 BauNVO)45. 44 vgl. BayVGH, Beschluss vom 9.10.2003, Az: 1 ZB 01.1513 45 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.09.2009, Az.: 3 S 1057/09, S. 10. 18 Städtebauliche Gründe zur Versagung des Ausnahmetatbestandes können sein: • das Vorhaben steht im Widerspruch zur Eigenart des Gebiets, • von dem Vorhaben gehen relevante Störungen oder Belästigungen aus, • mit dem Vorhaben ist ein Trading-Down-Effekt verbunden. Moralisch-ideologische Aspekte reichen nicht aus! 2.3 STRATEGIEN ZUR STEUERUNG VON VERGNÜGUNGSSTÄTTEN Grundsätzlich kann für Vergnügungsstättenkonzeptionen grob zwischen drei Steuerungsrichtungen unterschieden werden: • Einzelfallbewertung im Sinne räumlicher Ausnahmen • Ausschluss in Gebieten mit allgemeiner Zulässigkeit (z.B. in gewerblich geprägten MI, in MK gemäß BauNVO 1990) und Definition von Standorten außerhalb der allgemeinen Zulässigkeit, • Beschränkung der Spielstätten auf die Gebiete mit allgemeiner Zulässigkeit (nur in gewerblich geprägten MI, in MK gemäß BauNVO 1990) mit entsprechender Feinsteuerung. Allgemein lassen sich diese drei Steuerungsvarianten wie folgt bewerten, wobei diese lediglich als Arbeitsthesen zu verstehen und im konkreten Fall zu überprüfen und ggf. zu modifizieren sind: Bei einer Einzelfallbewertung und iterativen Steuerung laufen die Städte und Gemeinden grundsätzlich Gefahr, das aktive räumliche Steuerungsinstrument zu verlieren, da die ohnehin schwache Position im Falle einer ausnahmsweisen Genehmigungsfähigkeit dadurch manifestiert wird, dass die Erfüllung von Ausnahmetatbeständen Genehmigungen "erzwingen" kann und über Ungleichbehandlungen und Entscheidungen mit Präzedenzwirkung die Gefahr einer juristischen Angreifbarkeit besteht. Grundsätzlich unterscheidet sich diese Steuerungsvariante nicht von einer sukzessiven räumlichen Verdrängungspolitik. Die Definition von Standorten außerhalb der allgemeinen Zulässigkeit wirkt für die zunächst schützenswerten Standorttypen (z.B. MK) entlastend. Eine derartige Konzeption erfüllt somit anscheinend nicht nur das in Diskussionen oft vernehmbare Ziel der Kommunalpolitik und Verwaltung, insbesondere die Innenstadt zu schützen, 19 sondern befriedigt auch die wirtschaftlichen Interessen der Grundstückseigentümer, Immobilienentwickler und Spielhallenbetreiber. Diese zunächst attraktive Steuerungsvariante für eine Spielstättenkonzeption kann jedoch insbesondere aus kommunaler Sicht gravierende Nachteile haben, die erst bei näherer Betrachtung deutlich werden: Durch die Ansiedlung von Spielhallen außerhalb der allgemeinen Zulässigkeit besteht die Gefahr einer Störung des sensiblen Bodenpreisgefüges, da Spielhallen grundsätzlich in der Lage sind, höhere Mieten/ Bodenpreise zu zahlen. Spielhallen haben somit gegenüber anderen Nutzungen eine potenziell verdrängende Wirkung. Insbesondere in Gewerbegebieten würden sich somit die Bedingungen (Standortfaktoren) für Gewerbe- und Handwerksbetriebe verschlechtern. Die Definition von Standorten in Gewerbegebietslagen muss daher mit einer Feinsteuerung einhergehen, welche die "Nebenwirkung" einer solchen Ansiedlungspolitik minimiert. Die andere Strategie einer Spielhallenkonzeption sieht vor, Spielhallen nur dort zuzulassen, wo sie ohnehin schon allgemein zulässig sind und in den Gebieten, in denen sie nur ausnahmsweise und/oder mit Beschränkungen zulassungsfähig sind (Gewerbe-, wohngeprägte Misch-, Dorf- und besondere Wohngebiete), explizit ausschließen. Mit dieser Strategie könnte versucht werden, die Probleme, welche beispielweise durch die Spielhallennutzungen entstehen, nicht in andere Gebiete zu verlagern, sondern die spezifischen Probleme innerhalb des Gebietes (z.B. MK) zu entschärfen bzw. im besten Fall zu lösen. Für diese komplexe Aufgabe ist eine synergetische Anwendung verschiedener kommunaler Instrumente notwendig. Das Kerngebiet bietet dafür insgesamt die besten Vorrausetzungen. Mittels einer Feinsteuerung durch die Bauleitplanung (bspw. über § 1 (9) BauNVO in Verbindung mit § 1 (5) BauNVO) können Spielhallenhäufungen zukünftig verhindert (z.B. Mindestabstände zwischen Nutzungen) und bestehende Häufungen langfristig abgebaut werden. Diese Maßnahmen bedürfen teilweise einer ausführlichen städtebaulichen Begründung, sodass eine städtebaulich-funktionale Analyse im Vorfeld notwendig ist. Den so geschützten strukturell schwächeren und teilweise bereits belasteten Innenstadtrandlagen stehen die stärkeren 1a-Innenstadtlagen zur Seite, die aufgrund des ohnehin hohen Bodenpreisniveaus gegen die 20 Verdrängungswirkung der Spielhallen resistenter sind (vgl. Schramer 1988, S. 15 ff.). Für die Entwicklung der Innenstädte und Aufwertung der Haupteinkaufsbereiche scheinen jedoch auch einzelne Spielhallen abträgliche Wirkung zu haben und stehen einem Stadtmarketingkonzept zunächst entgegen. Grundsätzlich gilt jedoch die These, dass etwa nicht die Existenz der Nutzung von Bedeutung ist, sondern lediglich ihre Präsenz im öffentlichen Raum die abträgliche Wirkung entfaltet. Durch eine entsprechend ausgerichtete Gestaltungs- und Sondernutzungssatzung können die branchenüblichen Gestaltungsdefizite behoben oder zumindest deutlich minimiert werden. In Kombination mit einer vertikalen Nutzungsgliederung und z.B. Festsetzung von Mindestabständen zu anderen Spielhallen und schützenswerten Nutzungen mit den Mitteln der Bauleitplanung kann sich so eine Spielhalle in eine Hauptgeschäftslage einfügen. Somit wird das Stadt- und Straßenbild nicht beeinträchtigt und zum anderen eine städtebauliche und gestalterische Integration erreicht. Eine Steuerung der Spielhallen und Vergnügungsstätten in Kerngebieten setzt jedoch eine bestehende und vor allem resistente Kerngebietsstruktur der Innenstädte voraus, um die beschriebenen Instrumente der Feinsteuerung anwenden zu können. Somit muss für jede Stadt oder Gemeinde genau geprüft werden, welche Strategie langfristig tragfähig ist, ebenso wie die Konzeption mittels vielseitiger Feinsteuerungsmöglichkeiten optimal an die örtlichen Begebenheiten anzupassen ist. 21