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Beschlussvorlage (Bericht V3 final12112017)

Daten

Kommune
Nettersheim
Größe
3,4 MB
Datum
12.12.2017
Erstellt
13.11.17, 16:31
Aktualisiert
13.11.17, 16:31

Inhalt der Datei

Anlage zur Vorlage 803 / X.L. Z.1 NETTERSHEIM ENTWICKLUNGSPERSPEKTIVEN FÜR WOHNEN UND LEBEN IM ALTER ------------------------------------------------------------------------------------------------Eine Analyse erstellt im Auftrag der Gemeinde Nettersheim durch B-PLAN Büro für sozialwissenschaftliche Analysen und Planungen Dr. Joussen Kaiserstraße 107 D-52249 Eschweiler info@bplanonline.de www.bplanonline.de © B-PLAN Dr. Joussen 2017 INHALT 1. Nettersheim - „Generationengemeinde“ im ländlichen Eifelraum ………………………………………………………….. 3 2. Demografische Entwicklung, Alterskonzepte und Wohnwünsche ………………………………………………………….. 14 3. Wohnen und Leben im Alter in Nettersheim ……………… 21 2 4. Fazit ………………………………………………………………. Quellen- und Literaturverzeichnis 29 Nettersheim - „Generationengemeinde“ im ländlichen Eifelraum 1. Viele Gemeinden in ländlichen Räumen Deutschlands sind heute im Rahmen eines fortschreitenden demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Wandels vor allem mit folgenden Problemkreisen konfrontiert: ▪ Abnahme der jüngeren Bevölkerung bei gleichzeitiger Zunahme der älteren und hochbetagten Bevölkerung über 80 Jahre ▪ Abwanderung insbesondere von jüngeren Altersgruppen in die Arbeitsmärkte umliegender urbaner Räume ▪ Abkopplung von wichtigen auf die urbanen Zentren ausgerichteten Verkehrsinfrastrukturen ▪ Abnahme der Nutzung von Gemeinbedarfseinrichtungen wie Schulen, Kindertagesstätten etc. im Verbund mit der Abwanderung von jüngeren Bevölkerungsgruppen ▪ sinkende Attraktivität und Rückgang der wirtschaftlichen Tragfähigkeit insbesondere von Einzelhandelsangeboten ▪ wachsende Probleme bei der Mitarbeitenden- und Auszubildendenrekrutierung der Standortunternehmen ▪ Gefährdung des lokalen sozialen Zusammenhalts durch eine fortschreitende Individualisierung, Ausdifferenzierung von Lebensstilen und wechselseitige Abschottung von Bevölkerungsgruppen ▪ Probleme bei der Rekrutierung von ehrenamtlich Engagierten und hin zu einem temporär eng begrenzten ehrenamtlichen Engagement ▪ unzureichende Verfügbarkeit von adäquatem altersgerechtem Wohnraum für zuzugsbereite ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner im Alter von 50+ aus den umliegenden urbanen Zentren. Zur Vermeidung dieses typischen Entwicklungsverlaufs im ländlichen Raum sind in der Eifelgemeinde Nettersheim bereits seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts integrierte Entwicklungsmaßnahmen für eine zukunftsfähige städtebauliche, soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde erarbeitet und in die Umsetzung gebracht worden. In der Gemeinde Nettersheim im Kreis Euskirchen leben derzeit ca. 7.500 Einwohner in den 11 Ortsteilen Bouderath, Buir, Engelgau, Frohngau, Holzmülheim, Marmagen, Nettersheim, Pesch, Roderath, Tondorf und Zingsheim. Die folgende Abbildung 1 zeigt die Lage der Eifelgemeinde Nettersheim im Kreis Euskirchen und die Nähe zum Städtedreieck Aachen-Köln-Bonn und sowie in Abbildung 2 die 11 Ortsteile der 1969 gebildeten Gemeinde Nettersheim. 3 Abbildung 1: Lage der Gemeinde Nettersheim im Kreis Euskirchen Nettersheim 4 /eigene Darstellung Abbildung 2: Gemeinde Nettersheim mit 11 Ortsteilen Quelle: Klaus Erdmann: - http://wiki-de.genealogy.net/Bild:Karte_Gemeinde-Nettersheim.png Die Gemeinde Nettersheim betreibt bereits seit langem ein pro-aktives Entwicklungsmanagement, das zu einer Kompensation von durch den sozialen, wirtschaftlichen und demografischen Wandel entstehenden Problemen und Defiziten durch frühzeitiges Gegensteuern beiträgt, und in dessen Folge sich die Gemeinde Nettersheim in den letzten Jahren zu einer „Generationengemeinde“ mit zahlreichen innovativen interkulturellen, sozialintegrativen, umweltund naturbezogenen und generationenverbindenden Angeboten und Einrichtungen entwickelt hat. Eine der wichtigsten Entwicklungsmaßnahmen in der Gemeinde Nettersheim war dabei die Festlegung des städtebaulichen Sanierungsgebietes für den Bereich „Bahnhofstraße/Steinfelder Straße“ und „Am Kirchberg“ Anfang der 90er Jahre im Zentrum des Ortsteils Nettersheim, das 2008 um das Gebiet des ehemaligen Herz-Jesu-Klosters und 2009 um den Bereich „Holzentwicklungspark Urftstraße“ erweitert wurde. Abbildung 3: Im Fokus: Nettersheim - Städtebauliche Sanierungsbereiche und Dorfentwicklung 5 Quelle: © OpenStreetMap-Mitwirkende; eigene Darstellung Mit dem 2008 erarbeiteten Masterplan wurden die drei zentralen Entwicklungsbereiche „Tourismus“, „Städtebau“ und „Verkehr“ für den Zentralort Nettersheim identifiziert und in der Folge durch Neugestaltungen u.a. des Bahnhofs und durch neue Infrastrukturangebote – so u.a. das „Literaturhaus Nettersheim“ - und die Neugestaltung eines Platzes an der Steinfelder Straße umgesetzt.1 Abbildung 4: Bahnhof Nettersheim heute 6 Foto: Gemeinde Nettersheim Mit Blick auf die gemeinsame Nutzung von Stärken im ländlichen Raum wurde schließlich im Jahre 2015 mit der Nachbargemeinde Blankenheim ein Interkommunales Entwicklungskonzept mit einer Vielzahl von Projekten zur weiteren Attraktivierung von Nettersheim und Umgebung als Wohn- und Lebensraum für alle Generationen erarbeitet. Vor dem Hintergrund der auch für die Gemeinde Nettersheim im Zuge der „neuen Zuwanderung“ seit 2015 entstandenen und zukünftig weiter entstehenden neuen Bedarfslagen im Bereich „Integration“ wurde durch die Gemeinde das Projekt „Quartierzentrum für Flüchtlingshilfe und Integration“ auf den Weg gebracht. Mit diesem Projekt wird eine Neunutzung des ehemaligen Herz-Jesu-Klosters am Rande des Zentralortes Nettersheim angestrebt.2 Das Gebäude befindet sich inzwischen im Besitz der Gemeinde Nettersheim. Vorgesehen ist die Entwicklung der Liegenschaft zu einem Quartierzentrum mit Quartiersmanagement im Zentralort Nettersheim und einem durch die Gemeinde sowie Organisationen und Initiativen getragenen breiten Angebotsspektrum. Dazu gehören kulturelle und andere Events, aber eben auch dauerhafte Bildungs-, Beratungs- und Betreuungsangebote. Mit ihren Initiativen zur Kompensation der allgemeinen und ortsspezifischen Probleme und Defizite im ländlichen Eifelraum seit dem Ende des letzten Jahrhunderts ist die Eifelgemeinde Nettersheim zu einem attraktiven Wohnstandort und zu einer weit über die Grenzen des Vgl. dazu ausführlich Eifelgemeinde Nettersheim (2016): „Quartierzentrum für Flüchtlingshilfe und Integration“, Nettersheim, S. 20ff. 2 Vgl. dazu ausführlich Eifelgemeinde Nettersheim (2016): „Quartierzentrum für Flüchtlingshilfe und Integration“, Nettersheim. 1 Kreises Euskirchen hinaus bekannten kultur- und naturtouristischen Destination mit zahlreichen Alleinstellungsmerkmalen geworden. Zu den seither in verschiedenen Bereichen installierten zentralen Angeboten und Einrichtungen in den Feldern „Kultur- und Naturerlebnis“ und eines darauf ausgerichteten Tourismus gehören: • • • • • • • • • • • • • • Naturzentrum Eifel Archäologischer Landschaftspark Holzkompetenzzentrum Rheinland Haus der Fossilien Biologische Station Römerstraßen-Infozentrum Kulturbahnhof Hochseilgarten Wood Camp Literaturhaus Eifel-Steig Römerkanal-Wanderweg Kräuterpfad Erlebnispfad. 7 Abbildung 5: Literaturhaus Nettersheim (links) und Holzkompetenzzentrum Nettersheim (rechts) Fotos: Gemeinde Nettersheim Durch einen modernisierten Haltepunkt am Bahnhof Nettersheim an der Bahnlinie Köln-Trier konnte die umweltverträgliche Erreichbarkeit für alle Besuchergruppen erhöht werden und der Zugang und die Nutzung der Angebote auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen deutlich verbessert werden. Zur Verbesserung Nutzbarkeit der Anbindung der Gemeinde Nettersheim an die zentralen Verkehrswege in die umliegenden Regionen - und hier vor allem an die Region Köln-Bonn - wurde ferner eine Park-and-Ride-Anlage mit 80 Stellplätzen im Bahnhofsbereich eingerichtet. Abbildung 6: Park-and-Ride-Platz Nettersheim im Bahnhofsbereich 8 Foto: Gemeinde Nettersheim Dem verstärkten Interesse nach individuellem mobilem Auto-Reisen trägt der inzwischen ebenfalls im Zentralort Nettersheim angelegte „Wohnmobilhafen“ mit 25 Stellplätzen Rechnung, von dem aus der Zentralort Nettersheim in wenigen Gehminuten erreichbar ist, und der zugleich Startpunkt für Wander- und Radtouren in die die Umgebung ist. Abbildung 7: „Wohnmobilhafen“ Nettersheim Foto: Eifel Tourismus Gesellschaft mbH; www.eifel.info; Abruf 10.11.2017 Die Gemeinde Nettersheim verfügt im Verbund mit ihrer Anbindung an die Autobahn A1 sowohl über die Straße als auch über die Schiene über eine gute Erreichbarkeit aus dem angrenzenden Großraum Köln-Bonn und Aachen im Norden als auch nach Süden in Richtung Trier und Koblenz. Die folgende Abbildung zeigt die aktuelle verkehrstechnische Einbindung der Gemeinde Nettersheim über Straße und Schiene. Abbildung 8: Anfahrt zu Gemeinde Nettersheim über Straße und Schiene 9 Quelle: Gemeinde Nettersheim Die folgende Abbildung 9 zeigt wesentliche der in der „Generationengemeinde“ Nettersheim in den letzten Jahrzehnten realisierten städtebaulichen Maßnahmen und Projekte zur Dorfentwicklung im Überblick. Abbildung 9: „Generationengemeinde“ Nettersheim - Infrastruktur 10 Quelle: Planungsgruppe MWM 2017; Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Planungsgruppe MWM Aachen. Zur Förderung des intergenerationellen und interkulturellen Dialogs in der Eifelgemeinde Nettersheim fungiert schließlich das geplante „Forum Nettersheim“.3 Dieses im Jugendgästehaus der Gemeinde installierte Begegnungszentrum mit einem sehr breiten Spektrum an Hauptzielgruppen – dazu gehören Quartiersbewohnerinnen und -bewohner, Kinder und Jugendliche, Familien, Neubürgerinnen und -bürger, Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Handicaps, Zugeflüchtete und ehrenamtlich Aktive – mit einem Alt- und einem Neubau sowie einem neugestalteten Außenbereich organisiert ein Verbundangebot von Kooperationspartnern in den Handlungs- und Erlebnisfeldern „Quartier“, „Vereinsarbeit“, „Gesundheit“, „Kinder und Jugend“, „Alt und älter werden“, „Umwelt und nachhaltige (Dorf-)Entwicklung“, „Freizeit und Sport“, „Kunst und Kultur“ an einem zentralen Ort. Auch dieses Projekt in der Eifelgemeinde Nettersheim greift zentrale Problemlagen der kommunalen Entwicklung im ländlichen Raum auf und beantwortet sie mit dem Versuch einer Konzentration und Bündelung von Kräften von Partnern, die von diesen Problemlagen in durchaus unterschiedlicher Weise betroffen sind und die in einer neuen Kooperationsform Perspektiven für eine nachhaltige Gemeindeentwicklung in den kommenden Jahren planen und realisieren. In Anerkennung der vielfältigen Aktivitäten und Einrichtungen zur Förderung einer ressourcenschonenden nachhaltigen Lebens- und Produktionsweise, die an das kulturelle Erbe in der 3 S. dazu im Detail Eifelgemeinde Nettersheim (2017): „Forum Nettersheim“. Nettersheim. Eifelgemeinde anknüpft, wurde die Gemeinde Nettersheim 2017 für den Nachhaltigkeitspreis der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis nominiert, der im Dezember 2017 vergeben wird.4 Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis würdigt das Nachhaltigkeitsengagement der Gemeinde Nettersheim in den Bereichen  Klimaschutz und Energiewende durch die Umsetzung eines ehrgeizigen Klimaschutzkonzepts mit einem vielfältigen Portfolio an Bausteinen zur Energiewende und zum Umbau der Mobilität.  Naturschutz, Schutz der biologischen Vielfalt und Umweltpädagogik mit dem Betrieb einzigartiger Institutionen mit überregionaler Wirkung wie dem Naturzentrum Eifel,  „Liebenswertes Nettersheim“ mit infrastrukturellen Maßnahmen zur Schaffung lebendiger Ortskerne, Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, vielfältigen Kulturangeboten, erfrischenden Bewegungs- und Gesundheitsangeboten, Einrichtungen zur Integration für alle Bevölkerungsgruppen, Unterhaltung einer attraktiven Vorschul-, Schul- und Bildungslandschaft, Verfolgung baukultureller Leitlinien,  Beschäftigung und Arbeit, Wirtschaftsförderung durch die Generierung unmittelbarer und mittelbarer Wertschöpfungsketten durch gemeindliche Initiativen, durch die Profilierung als Kompetenzregion Holzbau und Bioenergie mit überregionalen Einrichtungen wie Holz-Cluster Eifel und das Holzkompetenzzentrum Rheinland,  Tourismus durch die Schaffung und Erhaltung einer attraktiven und vielfältigen Erlebnislandschaft, Angebote mit Führung oder selbstorganisiert über Erlebnispfade und Entdeckertouren, die Rekonstruktion des Römisches Leben im Archäologischen Landschaftspark, hochwertige Bildungsangebote zu Natur und Geschichte, Radwege unterschiedlicher Kategorien in inspirierender Natur, Selbsterfahrung und Teamtraining im Naturhochseilgarten und Wildnistraining abseits der Zivilisation,  Verwaltung und Lokalpolitik Durch eine seit Jahrzehnten eingeübte Lokalpolitik für eine schonende und nachhaltige Entwicklung mit breiten lokalen Bündnissen mit gemeinsamer Verpflichtung auf die Prinzipien eines nachhaltigen Lebens, Produzieren und Konsumierens. S. dazu Eifelgemeinde Nettersheim (2017): „Pressemitteilung: Deutscher Nachhaltigkeitspreis: Nettersheim nominiert“. 4 11 Parallel zu diesen „angebotsorientierten“ städtebaulichen, sozial-kulturellen und ökologischen Maßnahmen und Projekten wurden in den letzten Jahren auch weitere Neubaugebiete in der Eifelgemeinde erschlossen, die die Attraktivität des Wohnstandortes Nettersheim für junge Familien erhöht haben – so die Neubaugebiete „Zur Klosterquelle“, „Auf Graben“ und „Brotkiste“ im Zentralort Nettersheim sowie aktuell die Baugebiete „Altes Pastorat“ und „Acht Morgen“ in den Ortschaften „Zingsheim“ und „Marmagen“. Zurzeit stehen in der Gemeinde Nettersheim 120-130 kommunale Grundstücke für eine Neubebauung zur Verfügung. Die vorstehend skizzierten Maßnahmen und Projekte lassen für die Eifelgemeinde Nettersheim das Leitbild „Interkulturell, sozialintegrativ, generationenverbindend und lernortvernetzend“ entstehen, mit dem auch eine Gemeinde im ländlichen Bereich mit pro-aktiver Planung und Umsetzung einen nachhaltig ausgerichteten attraktiven Wohn- und Lebensraum für alle Generationen anbieten kann. Eine wichtige Funktion für die jüngere Generation, aber eben auch für Familien insgesamt besitzt insoweit auch das im Zentralort Nettersheim eingerichtete Familienzentrum. Das Familienzentrum richtet sein Betreuungs-, Bildungs-, Beratungs- und Bewegungsangebot an „alle im Alter von 0-103“ 5 Mit seinem Jahresprogramm, das eigene und Kooperationsangebote in den Bereichen „Sport“, „Kunst und Literatur“, „Natur“ und „Freizeit“ z.T. generationenspezifisch, aber z.T. auch generationenübergreifend ausrichtet, erreicht das Familienzentrum Nettersheim weit über den Aufgabenbereich „Frühe Bildung, Erziehung und Betreuung“ hinaus Einwohnerinnen und Einwohner aller Altersgruppen und Milieus. Abbildung 10: Familienzentrum Nettersheim und Jahresprogramm 2017 12 Foto: Gemeinde Nettersheim Quelle: Gemeinde Nettersheim 5 Vgl. Eifelgemeinde Nettersheim (2017): „Familienzentrum Nettersheim. Nettersheim, S. 1. Aktuell nimmt auch der Bedarf an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter 6 Jahren in der Gemeinde Nettersheim weiter zu: So hat die Gemeinde Nettersheim mit ihrem neuen Kindertagesstättenbedarfsplan einen Vergrößerung des Betreuungsangebotes beschlossen, da absehbar ist, dass das bisherige Angebot in den vorhandenen 5 Einrichtungen in der Gemeinde Nettersheim - Familienzentrum Nettersheim, Kindertagesstätte Zingsheim, Kindertagesstätte Tondorf, Kath. Kindergarten Marmagen, DRK Kindergarten Engelgau - in den kommenden Jahren selbst bei geringer „Überbelegung“ nicht mehr ausreichen wird, um wie bisher für alle angemeldeten Kinder unter drei Jahren und zwischen drei Jahren und der Einschulung einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen.6 Vor dem Hintergrund einer steigenden Geburtenrate sowie des zu erwartenden weiteren Zuzugs von jungen Familien in die durch Gemeinde ausgewiesene Baugebiete, aber auch als Folge der „jungen Zuwanderungsbevölkerung“ sowie einer generell steigenden Nachfrage nach Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ab dem 2. Lebensjahr geht die Gemeinde Nettersheim von einem jährlich zusätzlichen Bedarf von 35 Betreuungsplätzen aus.7 Mit Blick auf ältere Bevölkerungsgruppen gehörte dazu in den vergangenen Jahren in einem ersten Schritt am Ende des ersten Jahrzehntes des neuen Jahrtausends mit der Aufgabe des Standortes „Kloster“ und dem Neubau des Pflegezentrums St. Hermann-Josef der Marienborn GmbH am Ortseingang der Zentrumsgemeinde Nettersheim, das 79 Plätze 8 bereitstellt, eine Modernisierung des Versorgungsangebotes für pflegebedürftige ältere Menschen aus Nettersheim und Umgebung. Derzeit prüft die Gemeinde Nettersheim, ob und in welcher Form die vorhandene sozial-kulturelle Angebotsstruktur in Kombination mit einem weiteren Ausbau der Versorgungsstruktur für eine Attraktivierung des Wohnens von älteren Menschen in Nettersheim genutzt werden kann, um auf diese Weise die Gemeinde Nettersheim als Wohnstandort für Zuziehende aus den umliegenden urbanen Regionen interessant zu machen. Im Folgenden wird daher analysiert, welche Faktoren auf der Nachfrage(r)seite für eine solche Stärkung des Wohnstandortes Nettersheim für ältere Menschen sprechen, um anschließend in einem abschließenden Untersuchungsschritt das „Matching“ von Angebot und Nachfrage(r) zu beleuchten. Vgl. Gemeinde Nettersheim: „Vorlage 776/X.L.“ vom 14.9.2017, S. 2 f. Vgl. Gemeinde Nettersheim: „Vorlage 776/X.L.“ vom 14.9.2017, S. 3. 8 Vgl. INWISO Institut für empirische Wirtschafts- und Sozialforschung (2015): „Pflegeplanung für den Kreis Euskirchen“. München, S. 107. 6 7 13 2. Demografische Entwicklung, Alterskonzepte und Wohnwünsche Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts verändert sich die altersmäßige Zusammensetzung der Bevölkerung in den ökonomisch fortgeschrittenen Gesellschaften des westlichen Europas – so auch in (West-)Deutschland. In der traditionellen Alterspyramide reduziert sich der Anteil der jüngeren Bevölkerung, und gleichzeitig steigt der Anteil der älteren Bevölkerung über 65 Jahre. Im Bereich der älteren Bevölkerung wird insbesondere der deutlich wachsende Anteil der sog. Hochbetagten ab 80 Jahre in den kommenden Jahren signifikant. Wenngleich als Folge der „neuen Zuwanderung“ seit 2015 die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen deutlich angestiegen ist und durch diese Zuwanderung sich auch die Altersstruktur „verjüngt“, so sind die mittel- und langfristigen demografischen Effekte gerade auch vor dem Hintergrund der Instabilität in den Krisen- und Kriegsherkunftsländern schwierig einzuschätzen. Zu dieser Unsicherheit der Effektabschätzung tragen auch die immer wieder veränderte Asylrechtslage sowie wechselnde Zuwanderungspolitiken, die von restriktiver bis zu „gewünschter“ Zuwanderung oszillieren, maßgeblich bei. Jenseits der Zuwanderungseffekte konstatierte jüngst das Statistische Bundesamt auch, dass die Kinderlosigkeit, die lange kontinuierlich in Deutschland zugenommen hatte, offensichtlich aktuell nicht weiter zunimmt. Bei den akademisch ausgebildeten Frauen ist darüber hinaus die Kinderlosigkeit offensichtlich sogar rückläufig. 9 Auch ohne genaue Abschätzungsmöglichkeit der Entwicklung in den kommenden Jahren sind jetzt bereits nachhaltige Effekte der demografischen Veränderungen in Deutschland seit den 70er Jahren zu konstatieren: Frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung und schulische Bildung sind dadurch ebenso betroffen und in Teilen neu auszurichten wie auch die Versorgung von älteren Menschen, vor allem auch durch die bereits vorhandene und sich in den kommenden Jahren vergrößernde Anzahl von oft pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen älter als 80 Jahre. Die erwerbsfähige Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 65 Jahren wird in den kommenden Jahren auf der Grundlage der natürlichen Bevölkerungsentwicklung in Deutschland kleiner werden, so dass in zentralen Wirtschaftsbereichen der Bedarf an Mitarbeitenden aus diesem Alterssegment weiter wachsen wird. Dieser vor allem im Bereich der qualifizierten Arbeitskräfte relevante Rückgang wird weder durch eine – ohnehin eher unwahrscheinliche deutliche Zunahme des Erwerbstätigkeitsalters – vermehrte Beschäftigung von älteren Mitarbeitenden jenseits der heute mit Mitte 60 Jahren bereits relativ weit gedehnten Erwerbsaltersgrenze noch durch die aktuelle Zuwanderung komplett aufgefangen werden können, da diese zu einem starken Zuzug von auf dem aktuellen Arbeitsmarkt in Deutschland überwiegen schwer vermittelbaren Menschen geführt hat. Die Bevölkerungsentwicklung in der Gemeinde Nettersheim zeigt seit den 90er Jahren folgende Trends: ▪ Rückgang der jungen Bevölkerung unter 18 Jahren ▪ Zunahme der Bevölkerung im Alter zwischen 50 bis unter 65 Jahren ▪ Anstieg der Bevölkerung im Alter über 65 Jahre. Vgl. dazu Statistisches Bundesamt (2017): „Die Kinderlosigkeit ist in Deutschland nicht weiter gestiegen“. Pressemitteilung vom 26. Juli 2017 – 254/17. Wiesbaden, S. 1. 9 14 Tabelle 1: Entwicklung der jüngeren und älteren Bevölkerung in Nettersheim 1990/2000/2010 Bevölkerung bis unter 18 Jahre Anteil an der Gesamtbevölkerung in % Bevölkerung 50 bis unter 65 Jahre Anteil an der Gesamtbevölkerung in % Bevölkerung über 65 Jahre Anteil an der Gesamtbevölkerung in % Bevölkerung insgesamt 1990 1.382 21 1.314 19.9 874 13.3 6.593 2000 1.839 23.3 1.279 16.2 1.207 15.3 7.883 2010 1.384 18 1.698 22.1 1.518 19.7 7.687 Quelle: Landesdatenbank NRW; eigene Berechnungen Entgegen einem noch vor wenigen Jahren erwarteten allgemeinen demografischen Trend rückläufiger Bevölkerungszahlen im ländlichen Raum im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zeigt sich in der Gemeinde Nettersheim in den letzten Jahren ein Wiederanstieg der Einwohnerzahl: Tabelle 2: Entwicklung der Bevölkerung in der Gemeinde Nettersheim 2011-2017 10 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Bevölkerung insgesamt Deutsche Ausländer 7575 7495 7450 7432 7.513 7.504 7336 7264 7199 7175 7133 7138 239 231 251 257 380 366 Quelle: GKZ/Gemeinde Nettersheim Zu dieser Zunahme der Bevölkerung in der Gemeinde Nettersheim hat zum einen die „neue Zuwanderung“ seit Mitte des Jahrzehntes, aber offensichtlich auch eine Zunahme der Bewohnerinnen und Bewohner mit deutscher Staatsangehörigkeit beigetragen. In einem mittelfristigen Entwicklungszeitraum bis 2025 wird daher hier erwartet, dass entgegen einem generellen Trend im ländlichen Raum die Bevölkerungszahl in der Gemeinde Nettersheim kurzfristig auf dem 2015/2016 erreichten Niveau stabilisiert werden kann. Mittelfristig wird erwartet, dass durch die skizzierten Maßnahmen zur Gewinnung insbesondere von jungen Familien auch aus dem Umland für das Wohnen in den ausgewiesenen Baugebieten der Gemeinde – ca. 120-130 freie Bauplätze mit einer geschätzten zusätzlichen Bevölkerung von 350-400 Einwohnerinnen und Einwohnern - und durch die hohe Attraktivität von Wohnen und Leben in der „Generationengemeinde“ Nettersheim auch für andere Altersgruppen im Verbund mit der im Folgenden noch weiter spezifizierten Attraktivierung des Wohnens in Nettersheim insbesondere auch für ältere Menschen von einer wachsenden Gesamtbevölkerung 10 Mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde Nettersheim. Stichtag jeweils 31.12. 15 ausgegangen werden kann. Dazu wird auch die im Rahmen der „neuen Zuwanderung“ deutlich größer gewordenen ausländische Bevölkerung in der Gemeinde Nettersheim beitragen, deren Geburtenrate deutlich über der Geburtenrate der deutschen Bevölkerung liegt. Gleichzeitig wird sich die Zusammensetzung der Bevölkerung aber auch in der Gemeinde Nettersheim verändern, so dass hier ferner angenommen wird, dass auch die Bevölkerung in der Gemeinde Nettersheim bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts das Bild einer Gemeinde mit einer deutlich älteren Bevölkerung zeigen wird. Bereits aktuell ist mit der Zunahme der älteren Bevölkerung auch eine Pluralisierung von Lebensstilen und Alterskonzepten zu konstatieren, die zu einer - im Vergleich mit der früheren „Seniorengeneration“ - erheblich größeren sozialen und kulturellen Heterogenität mit durchaus unterschiedlichen Bedarfen und Ansprüchen in den Bereichen Leben, Arbeiten und Wohnen führt. Darüber hinaus verlagert sich der Bezug zur Planung und Realisierung von Alterskonzepten der letzten Lebensphase auch bereits auf die Generation 50, da sie angesichts der immer seltener gewordenen Orientierungsmöglichkeit des Lebensentwurfes an einer „Normalbiographie, für die die Lebenssequenz „Schule – Ausbildung - Berufstätigkeit – Rente“ charakteristisch war, gezwungen ist, in immer kürzeren Planungsphasen mit unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu agieren und auch die letzte Lebensphase absehbar anders sein wird als die durch den „Altersruhestand“ geprägte Lebensphase jenseits der 60 Jahre. Dies impliziert auch (die Anforderung an) eine höhere räumliche Mobilität und Flexibilität dieser Altersgruppe bei der Planung und Realisierung ihres letzten Lebensabschnittes. Und auch die Gruppe der 60-Jährigen und älteren Menschen, die bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, wird aufgrund veränderten Rahmenbedingungen und anderer (erwerbs-)biographischer Prägung andere Alterskonzepte verfolgen, die die mit dem Begriff „Senioren“ adressierte Homogenität dieser Altersgruppe immer weiter in Frage stellen wird. 16 Für die Kommunen und anderen Anbieter von Infrastruktur, Gütern und Dienstleistungen für die Zielgruppe der älteren Menschen bedeutet dies, sich möglichst rasch auf veränderte und heterogene Alterskonzepte mit unterschiedlichen Bedarfen und Nachfragen einzustellen. Eine wesentliche Dimension dieser bereits in Teilen veränderten und sich weiter ausdifferenzierenden Alterskonzepte betrifft das Wohnen im Alter. Aktuell leben die älteren Menschen über 65 Jahre in folgenden Wohnformen: Abbildung 11: Wohnformen älterer Menschen über 65 Jahre in Deutschland heute Quelle: Jones Lang LaSalle (2013): Wohnen im Alter. Berlin, S. 6; eigene % der Bevölkerung über 65 Jahre Darstellung. 5% 4% Alternative Wohnformen Pflegeheim "Normale Wohnung" 91% Aktuell dominiert bei den über 65-Jährigen das Wohnen in den "eigenen vier Wänden" – also sowohl als Mieter als auch als Eigentümer - mit 91%. Alternative Wohnformen sind offensichtlich nur für 5% der über 65-Jährigen eine attraktive Alternative zum "normalen" Alleinwohnen von Einzelpersonen und von Partnern. In einem Pflegeheim werden demnach ca. 4% der über 65-Jährigen versorgt. 11 Auskunft über die zukünftig von älteren Menschen gewünschten Wohnformen gibt eine repräsentative Befragung von Jones Lang LaSalle (2013) zu den Wohnwünschen von Menschen über 50 Jahre in Deutschland. 12 Dabei entschieden sich die Befragten zwischen 50 und 75 Jahre mit weitem Abstand für das Wohnen alleine oder mit einem Partner als auch im Alter favorisierten Wohnform. Mit zunehmendem Alter der Befragten sinkt die Präferenz für das Wohnen in einer Senioren-WG sowie Generationen WG. Diese alternativen Wohnformen sind hingegen bei den jüngeren Befragten (50-60) nach dem "Wohnen alleine" durchaus vorstellbare Möglichkeiten des Wohnens im Alter. Die geringste Zustimmung in allen hier differenzierten Altersgruppen findet die Vorstellung, im Alter gemeinsam mit den Kindern zu wohnen - in dieser Einstellung spiegelt sich die Veränderung vom traditionellen Versorgungskonzept durch die Kinder im Alter zum Alleinleben der Eltern in der modernen Gesellschaft. Diese wohnindividualistische Einstellung bleibt selbst dann bei den Befragten stabil, wenn sie nach der präferierten Wohnform bei Pflegebedürftigkeit befragt werden: Auch in dieser Situation bevorzugen die allermeisten Befragten quer durch alle Altersgruppen ab 50 Jahre die Pflege Zuhause mit einem täglich verfügbaren ambulanten Pflegedienst bzw. mit einem Pflegedienst im Haus. Erkennbar bleibt durch diese Wohnformwahl, dass der Wunsch nach Erhalt der "eigenen vier Wände" auch - und vielleicht gerade dann - dominiert, wenn die Möglichkeiten, sich selbst und evtl. auch Angehörige Zuhause zu versorgen und zu betreuen durch Krankheit eingeschränkt sind. Ähnlich zur Präferenz für Senioren- und Generationen-WGs schwindet die Akzeptanz dieser alternativen Wohnformen mit zunehmendem Alter auch bei angenommener Pflegebedürftigkeit. Dieses Ergebnis spiegelt sicherlich auch den Umstand, dass solche Wohnformen bislang in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch als eher exotische "Modelle" im Erprobungsstadium wahrgenommen werden, obwohl in den letzten Jahren auch der Bundesgesetzgeber gezielt auf eine stärkere Nutzung dieser Wohnformen - auch mit der Möglichkeit der Versorgung und Betreuung durch WG-Mitglieder selbst - für die kommenden Jahre setzt. Ist die Pflegeeinrichtung bei den jüngeren Befragten zwischen 50 und 64 Jahren die am wenigsten gewünschte Wohnform, so wächst ihre Akzeptanz mit zunehmendem Alter - möglicherweise erfahrungsbasiert und beeinflusst durch das eigene Erleben und Kennenlernen von solchen Einrichtungen durch die Versorgung von Familienangehörigen und im Freundeskreis. Und auch wenn bei den 50-64-Jährigen der Wunsch nach Zusammenleben mit Kindern bei Pflegebedürftigkeit deutlich ausgeprägt ist - im Alter gleichen sich der Wunsch nach dieser traditionellen Versorgungsform der gesellschaftlichen Realität immer mehr an. 11 Die Zahl der in Pflegeheimen vollstationär versorgten älteren Menschen stieg bis 2015 um 2,5% (19.000 Personen); vgl. dazu Statistisches Bundesamt (2017): Pflegestatistik 2015. Wiesbaden, S. 7. Der Anstieg war damit unterdurchschnittlich; nach wie vor wird der allergrößte Teil der pflegebedürftigen älteren Menschen zuhause gepflegt. 12 S. dazu ausführlich Jones Lang LaSalle (2013): Wohnen im Alter. Berlin. 17 Abbildung 12: Bevorzugte Wohnformen von älteren Menschen 18 Quelle: Jones Lang LaSalle (2013): Wohnen im Alter. Berlin, S. 13; eigene Darstellung. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Jones Lang Lasalle Die skizzierten Wohnwünsche der älteren Bevölkerung in Deutschland werden die Wohnraumnachfrage qualitativ verändern. Unter Berücksichtigung der dazu bislang vorliegenden Untersuchungen kann die Entwicklungsrichtung dieser Nachfrage wie folgt zusammengefasst werden: 13 13 o Im Vordergrund der Alterskonzepte steht die Möglichkeit, bis in das hohe Alter selbstständig bleiben zu können. o Selbständig sein im Alter soll auch die Möglichkeit einschließen, punktuell Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Diese Hilfe wird von Kindern, Verwandten und/oder professionellen Dienstanbietern erwartet. Siehe dazu im Einzelnen BBSR Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) (2010): "Wohnungsmärkte im Wandel. Zentrale Ergebnisse der Wohnungsmarktprognose 2025". Bonn; "Deutschland reiche Senioren finden keine Wohnung". DIE WELT (16.09.2014); Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V. (2006): Wohnen im Alter. Dortmund; TNS Emnid (2011): "Wohnwünsche im Alter". Grafikreport. o.O.; GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (2013): Wohntrends 2030. Studie - Kurzfassung. Berlin; Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr Nordrhein-Westfalen: Landeswettbewerb 2013. Generationengerechte Quartiersentwicklung in Arnsberg-Neheim. Wohnen und Leben am Müggenberg. Düsseldorf; Joussen, Wolfgang (2015): „PROJEKTBERICHT Konzept „Innenstadtnahes Wohnen“. Eschweiler. o Dominierender Wohnformwunsch ist die eigene Wohnung mit/ohne Hilfe im gleichen Haus. Jüngere Ältere sind durchaus auch offen für die Nutzung alternativer Wohnformen im Alter. Die Akzeptanz solcher Wohnformen nimmt jedoch mit zunehmendem Alter ab. o Als wesentliche Voraussetzung für ein selbständiges Älterwerden und Altsein wird eine wohnortnahe gute Versorgungsinfrastruktur, zu der vor allem Möglichkeiten zur Beschaffung von Waren des täglichen Bedarfs und eine ausgebaute medizinische und pflegerische Versorgungsinfrastruktur gehören. Kulturelle und Freizeitangebote sind ebenfalls wichtig, aber ihre Relevanz variiert in Abhängigkeit von sozialen Milieus und der kulturellen und Freizeitbezogenheit vor dem Alter. o Die notwendigen Voraussetzungen für die Verwirklichung des dominanten Wunsches nach Selbständigkeit im Alter bieten vor allem Wohnangebote in den Zentren der Städte und Gemeinde sowie zentrumsnahe Wohnlagen, da hier die Selbständigkeit erhaltende Versorgungsinfrastruktur meist am besten ausgebildet ist. Unter Berücksichtigung der aktuellen demografischen, (erwerbs-) und wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen am Ende des zweiten Jahrzehntes des 21. Jahrhunderts, die seit 2015 nochmals nachhaltig durch die Effekte der „neuen Zuwanderung“ modifiziert wurden und zukünftig werden, könnte für die Gemeinde Nettersheim in einfacher Fortschreibung der skizzierten Trends erwartet werden, dass die weitere Entwicklung einem allgemein zu beobachtenden Entwicklungsmuster von Gemeinden im ländlichen Raum folgen würde: Dabei ziehen (erwerbs-)wirtschaftlich starke Zentren aufgrund des Fachkräftemangels etc. immer mehr jüngere Menschen aus dem ländlichen Raum an – und konkurrieren dort um knappen Wohnraum. In der Folge dieser Land-Stadt-Zuwanderung verteuert sich der ohnehin im Nichtluxussegment knappe städtische Wohnraum weiter. Diese Verteuerung ist auch für ältere Menschen, die der Babyboomer-Generation angehören, mit eher bescheidenen Rentenerwartungen durch lange Schul-, Ausbildungs- und Studienzeiten kaum mehr bezahlbar. Ein Ausweichen dieser älteren Menschen auf preiswertere Wohnmöglichkeiten im ländlichen Raum ist in größerem Umfang nicht möglich, da dort das Wohnraumangebot wegen hier dominierenden typischen Einfamilienhausbebauung sehr begrenzt ist. Dies bedeutet, dass ohne einen aktiven und steuernden Eingriff, der bezahlbaren und altersgerechten barrierearmen Wohnraum im ländlichen Raum schafft, eine weitere Reduzierung der Bevölkerung in den ländlichen Gemeinden zu erwarten ist. Dem stellt die Gemeinde Nettersheim bereits seit den 80er Jahren ihr pro-aktives Gemeindeentwicklungsmanagement entgegen. Auch ein zweiter Trend könnte zu weiteren wohnungswirtschaftlichen Veränderungen im ländlichen Raum beitragen: Ein Teil der heute noch im ländlichen Raum lebenden Menschen wünscht sich zunehmend ein Wohnen „in eigenen vier Wänden“ in infrastrukturell gut versorgten Zentrumszonen, die derzeit überwiegend in größeren Städten und Gemeinden zu finden sind, so dass selbst bei Besitz einer selbstgenutzten Wohnimmobilie eine Abwanderung erfolgt. Die skizzierten Wechselwirkungen zwischen demografischen, sozialen und (erwerbs-)wirtschaftlichen Trends im ländlichem Raum und im urbanem Umfeld stellen auch für die Gemeinde Nettersheim wichtige Variablen bei der kommunalen Entwicklungsplanung dar. 19 Das vorstehend für Gemeinden auch im ländlichen Eifelraum vorgestellte Szenario beschreibt ein mögliches, aber keineswegs zwingendes Entwicklungsmuster. Seine Realisierung ist abhängig von den Konzepten, die die Gemeinden des ländlichen Raumes in Kenntnis der – unbeeinflusst – wahrscheinlichen Entwicklung zur deren Vermeidung wählen. Dass ein anderer Entwicklungsverlauf möglich ist, zeigt das Beispiel der Gemeinde Nettersheim. Doch auch schon ohne quantitative Berücksichtigung der Effekte dieses erwartbaren allgemeinen Entwicklungsmusters kommt das IW Institut der Deutschen Wirtschaft 2015 in seiner Untersuchung zum Wohnungsmarkt im Jahre 2030 für den Kreis Euskirchen insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Wohnungsmarktnachfrage durch Bewohnerinnen und Bewohner über 65 Jahre bei 38% und damit im bundesweiten Vergleich relativ hoch sein wird. Auf der Grundlage des erwarteten Bevölkerungszuwachses der Altersgruppe 65+ (Kreis Euskirchen 2030: +14.730) wird vom IW ein zusätzlich nachgefragter Wohnungsbedarf für diese Altersgruppe von 9.300 Einheiten prognostiziert. 14 20 Institut der Deutschen Wirtschaft (2015): Der Wohnungsmarkt – Wie und wo die Generation 65+ wohnen wird. In Kooperation mit BPD. Köln, S. 42. 14 3. Wohnen und Leben im Alter in Nettersheim Angesichts der skizzierten Effekte für die zukünftige Entwicklung für Städte und Gemeinden im ländlichen Raum verfolgt die Gemeinde Nettersheim bereits seit einigen Jahren eine Strategie zur Minderung des Bevölkerungsrückgangs durch Attraktivierung des Wohnens und Lebens in Nettersheim für die bereits in der Gemeinde lebenden, aber eben auch für neu hinzuziehende Menschen. Im Zentrum des Ansatzes zur Gewinnung von neuen Einwohnerinnen und Einwohner für die Gemeinde Nettersheim stehen vier Zielgruppen:  junge Menschen, die durch den Erwerb von günstigem Bauland in der Familienphase nach Nettersheim zuwandern,  Menschen mit Migrationshintergrund, die durch ein aktives und nachhaltiges Integrationsmanagement dauerhaft für Wohnen und Leben in Nettersheim gewonnen werden sollen,  ältere Menschen aus dem Umland, die nach dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit und der Verselbständigung der Kinder kleinere Wohneinheiten gegenüber dem Einfamilienhauswohnen in der Familienphase bevorzugen,  „best ager“ – die Altersgruppe 50+ bis zum – heute oft sehr viel späteren – Eintritt in das Rentenalter - und ältere Menschen, die aus dem Umland, insbesondere aus der Metropolregion Köln-Bonn für Wohnen und Leben in Nettersheim in ihrem letzten Lebensabschnitt in den kommenden Jahren verstärkt gewonnen werden sollen. Mit Blick auf eine dauerhafte Ansiedlung und gelingende Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern insbesondere im Zuge der „neuen Zuwanderung“ seit 2015 hat die Gemeinde Nettersheim jüngst das Projekt „Quartierszentrum für Flüchtlingshilfe und Integration“ im Rahmen des Sonderprogramms des Landes Nordrhein-Westfalen „Hilfen im Städtebau für Kommunen zur Integration von Flüchtlingen“ gestartet. Mit diesem Projekt erfolgt eine Umnutzung des ehemaligen Klosters Nettersheim zu einem Quartierszentrum für alle Bewohnerinnen und Bewohner, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und Ethnie. Das seit 2008 nicht mehr als Seniorenheim genutzte Kloster befindet sich inzwischen im Besitz der Gemeinde Nettersheim. Das Nutzungskonzept, das durch einen Partnerverbund zwischen der Gemeinde Nettersheim und freien Trägern und Einrichtungen in den Bereichen „Flüchtlingsarbeit und Integration“, „Familienförderung“, „Sport“, „Qualifizierung und Weiterbildung“, „Sport“, „Tourismus“, „Natur“ und „Kultur“ realisiert wird, konzentriert sich auf die Arbeitsschwerpunkte „Qualifizierte Betreuung“, „Bildung und Sprache“, „Ausbildung und Beschäftigung“, „Therapeutische Betreuung und Gesundheit“, „Kulturelle und politische Teilhabe“ sowie „Interkommunale Zusammenarbeit“.15 Die Gemeinde Nettersheim schließt mit der Realisierung dieses Zentrums an ihre Vorgehensweise der Nichtnutzung von Gemeinbedarfseinrichtungen, also z.B. die Unterbringung in Turnhallen, für Zugewanderte seit 2015 an und richtet auch diese neue Einrichtung konsequent auf die Schaffung von Synergien für das gesamte Quartier und die Gemeinde Nettersheim als Ganzes aus. Dieses Zentrum schließt auch jenseits einer „Flüchtlingsarbeit“ 15 Vgl. Eifelgemeinde Nettersheim (2016): „Quartierzentrum für Flüchtlingshilfe und Integration“, Nettersheim, S. 27. 21 im engen Sinne eine multifunktionale Nutzung des Zentrums für alle Bewohnergruppen der Gemeinde und die dort tätigen Einrichtungen und Organisationen mit ihren unterschiedlichen Arbeitsbereichen und Tätigkeitsschwerpunkten ein. Die Gemeinde Nettersheim strebt auf diese Weise die Integration der neu Zugewanderten ohne deren „Sonderung“ in das vielfältige Gemeindeleben als Ganzes an. Abbildung 13: Ehemaliges Herz-Jesu-Kloster Nettersheim 22 Foto: Gemeinde Nettersheim Mit neuen Angeboten zielt die Gemeinde Nettersheim auch auf eine weitere Attraktivierung von Wohnen und Leben in der Gemeinde für Menschen über 50 Jahre. Aufgrund der wachsenden Heterogenität dieser Zielgruppe umfasst das Konzept der Gemeinde Nettersheim Angebote für verschiedene Teile dieser Altersgruppe: So entwickelt die Gemeinde Nettersheim derzeit mit Investoren ein Projekt zum Service-Wohnen in Nettersheim sowie ein weiteres Projekt zur Ausweitung der Betreuungskapazitäten für ältere und alte Menschen mit Alltagseinschränkungen und/oder Pflegebedarf. Beide Vorhaben sollen auf kommunalen Liegenschaften und unmittelbar an das Gelände des derzeit revitalisierten ehemaligen Klosters im Zentrumsort Nettersheim liegen, errichtet werden. Die speziell auf die Bedarfe älterer Menschen abgestimmten Einrichtungen entstehen damit in einem bereits erschlossenen Baugebiet, das sowohl Wohnangebote für jüngere als auch für ältere Menschen bieten wird. Die folgende Abbildung zeigt die Lage dieses geplanten neuen „Generationen-Wohngebietes“ in der Zentrumsgemeinde Nettersheim mit hohen funktionalen Bezügen zum derzeit revitalisierten ehemaligen Klostergelände. Abbildung 14: Neues Wohngebiet „Generationenwohnen“ in der Gemeinde Nettersheim WOHNGEBIET 23 Quelle: Planungsgruppe MWM 2017; mündliche Mitteilung der Gemeinde Nettersheim; eigene Darstellung. Vorgesehen ist die Errichtung von 20 Wohneinheiten für Service-Wohnen in modularer Bauweise, die je nach der Entwicklung des Bedarfs die Möglichkeit einer späteren Ausweitung der Anzahl der Wohneinheiten bei gleichzeitiger Gewährleistung einer architektonischen und – aufgrund des funktionalen Mixes – auch städtebaulichen Vielfalt bietet. Zu diesem funktionalen Mix gehört ferner die vorgesehene Errichtung von 79 zusätzlichen Plätzen in einem neuen weiteren Pflegeheim in diesem Generationen-Wohngebiet. Der für die Realisierung beider Vorhaben vorgesehene Standort bietet folgende Vorteile:  Generationen- und Funktions-Mix der neuen Gebäude und Einrichtungen  unmittelbare Anbindung der Service-Wohneinheiten und des Pflegeheims an das revitalisierte ehemalige Kloster auf einem ca. 30.000 m² großen Naturgrundstück mit parkähnlicher Gestaltung  funktionale Einbindung der älteren Bewohnergruppen des neuen Wohngebietes in das Angebotsportfolio des parallel realisierten „Quartierszentrum“ im ehemaligen Herz-Jesu-Kloster Nettersheim mit einem breiten Aktivitätsspektrum und sozialen Diensten  auch für ältere Menschen und Mobilitäteingeschränkte fußläufige Erreichbarkeit zentraler Infrastruktureinrichtungen im Zentrumsort Nettersheim  ein auf kleinem Raum konzentriertes breites Natur- und Kulturerlebnisangebot sowie Gastronomie- und Eigenversorgungsangebot  eine ausreichende und auf kurzen Wegen erreichbare medizinische und therapeutische Versorgung sowie  die Einbindung in eine touristisch und durch ein lebendiges Vereinsleben geprägte Gemeinde, die trotzdem ein entspanntes und stressfreies Natur- und Kulturerleben auch für ältere Menschen bietet. Die geplanten neuen Wohnmöglichkeiten für ältere und alte Menschen in Nettersheim greifen auch das skizzierte typische Entwicklungsmuster ländlicher Gemeinden im urbanen Umfeld auf, dass ohne einen aktiven und steuernden Eingriff zu einer fortschreitenden Abwanderung jüngerer Bevölkerungsgruppen mit den skizzierten negativen Konsequenzen für die soziale und wirtschaftliche Struktur in der ländlichen Gemeinde Nettersheim führen könnte. Wenn eben die Abwanderung von jungen Bewohnergruppen aufgrund der aufgezeigten insbesondere erwerbswirtschaftlichen Stärkefaktoren der umliegenden urbanen Räume durch eigene Instrumente der ländlichen Gemeinden auch in Zukunft nur in begrenztem Umfang wird aufzuhalten sein, dann erscheint das Verhindern der Abwanderung auch von älteren Altersgruppen - und in einer pro-aktiven Strategie - die Gewinnung von älteren Menschen für Wohnen und Leben in einer ländlichen Gemeinde mit einem für diese passenden attraktiven Umfeld umso dringlicher. Auch für die Gemeinde Nettersheim besteht daher aktuell und in den kommenden Jahren verstärkt die Aufgabe, die bereits geschaffene Attraktivität für das Wohnen und Leben von älteren und alten Menschen zu sichern und gleichzeitig durch neue attraktive Wohnangebote den Zuzug dieser Altersgruppe aus den umliegenden Räumen zu verstärken. Zu diesen Räumen gehört einerseits die Region Euskirchen, aber eben auch der angrenzende urbane Raum der Metropolregion Köln/Bonn. In der Metropolregion Köln-Bonn leben ca. 3,5 Mio. Menschen auf einer Fläche von ca. 4.400 Quadratkilometern. Sie umfasst als Teil der Metropolregion Rhein-Ruhr entlang der Rheinschiene die Städte Köln, Bonn, Leverkusen und Neuss sowie den Rhein-Sieg-Kreis, den Oberbergischen Kreis, den Rheinisch-Bergischen Kreis, den Rhein-Erft-Kreis sowie den RheinKreis-Neuss. 24 Abbildung 15: Metropolregion Köln-Bonn Kreis Euskirchen Quelle: Region Köln/Bonn e.V.; Abruf 02.11.2017. Die Metropolregion Köln-Bonn grenzt im Süden mit dem Rhein-Sieg-Kreis an den Kreis Euskirchen. Derzeit wird für die Metropolregion Köln-Bonn vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der in einem langfristigen Planungshorizont bis 2035/2040 zu erwartenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen und Herausforderung ein Agglomerationskonzept unter Beteiligung der Bezirksregierungen Köln und Düsseldorf in einem mehrstufigen Planungs- und Beteiligungsverfahren erarbeitet. 16 Ziel dieses Agglomerationskonzeptes ist es, „… Gestaltungs- und Entwicklungsspielräume der Kommunen und Teilräume der Region aufzuzeigen und diese für die Region als Ganzes zu sichern“.17 Die bislang vorliegenden Ergebnisse dieses Anfang 2017 gestarteten Prozesses lassen bereits jetzt erkennen, dass die zukünftige Entwicklung dieser Metropolregion wichtige Effekte und Impulse auch für die angrenzenden Regionen besitzt. So wurde die Metropolregion für die weitere Qualifizierung des Agglomerationskonzeptes bereits in drei Teilräume aufgeteilt. Dazu gehören rechtsrheinisch der Großraum „Bergisches Land“, linksrheinisch die „Rheinschiene“ und der Teilraum „Börde und Ville“. Die Entwicklungen im Teilraum „Börde und Ville“ als auch im Teilraum „Rheinschiene“ werden in 16 17 S. dazu ausführlich Region Köln/Bonn e.V. (Hrsg.) (2017): „Projektinfo #01. Agglomerationskonzept. Köln. Vgl. ebd., S. 5. 25 den kommenden Jahren wesentliche Implikationen auch für Kommunen im Kreis Euskirchen entfalten, die bereits jetzt Berücksichtigung bei den Planungen in diesem Kommunen als auch im Agglomerationskonzept für die Metropolregion Köln-Bonn finden sollten. Abbildung 16: Agglomerationsraum Köln-Bonn mit Teilräumen und dem angrenzenden Kreis Euskirchen 26 Kreis Euskirchen Quelle: Region Köln/Bonn e.V.; Abruf 02.11.2017; eigene Darstellung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 skizzierten möglichen Entwicklungslinien im ländlichen Raum mit und ohne aktives Aufgreifen der in der Metropolregion KölnBonn zu erwartenden demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Besondere Bedeutung besitzt für die Gemeinde Nettersheim und den Kreis Euskirchen die zu erwartende Nachfrage nach Wohnen im Alter als auch nach Pflege- und Betreuungsmöglichkeiten in den kommenden Jahren. Das IW Institut der deutschen Wirtschaft kommt dazu in seiner Untersuchung der zukünftigen Wohnflächennachfrage für die Teilregion Köln-Bonn zu folgender Prognose für die Entwicklung bis zum Jahr 2030: Tabelle 3: Ältere Bevölkerung und Wohnungsnachfrage in der Region Köln-Bonn bis 2030 Kreis/Stadt Bonn Köln Rhein-Erft-Kreis Bevölkerungszuwachs 65+ 17.830 38.590 28.720 Wohnungsnachfrage 65+ 30% 27% 35% Wohnungsbedarf 65+ 14.300 31.100 19.800 Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft (2015): Der Wohnungsmarkt – Wie und wo die Generation 65+ wohnen wird. In Kooperation mit BPD. Köln, S. 41; eigene Darstellung. Mit der plausiblen Annahme, dass die vorstehend aufgezeigten Wohnungsbedarfe für ältere Menschen – hier erst ab 65 Jahre – aufgrund der skizzierten parallelen Tendenz eines weiteren Zuwachses der jungen Bevölkerung mit hohem Wohnungsbedarf zu erheblichen wohnungswirtschaftlichen Engpässen in den folgenden Jahren – insbesondere bei linearer Fortschreibung der aktuellen Wohnungsbautendenzen – führen wird, macht bereits deutlich, dass ein Ausweichen der Wohnungsnachfrage dieser Altersgruppe, aber eben wie aufgezeigt von Teilen der Generation 55+ auf angrenzende Räume vor allem dann zu erwarten ist, wenn in diesen angrenzenden Räumen baulich altersgerechter Wohnraum in einem für „best ager“ und ältere Menschen attraktiven Umfeld zu vergleichbar günstigen Mieten verfügbar ist. Hinzu tritt, dass wie ebenfalls in Kapitel 2 aufgezeigt, auch im Kreis Euskirchen selbst der Anteil der Wohnflächennachfrage der Bevölkerung der Generation 65+ im Jahre 2030 auf 38% geschätzt wird und ein Bedarf von mehr als 9.000 zusätzlichen Wohneinheiten für die Generation 65+ zu erwarten ist. Die geplante Schaffung von zunächst 20 Wohneinheiten für Service-Wohnen für ältere Menschen in Nettersheim greift somit die zu erwartende Nachfrage sowohl aus dem Kreis Euskirchen selbst als die in den Kreis ausstrahlende Nachfrage aus der Region Köln-Bonn auf und könnte mit einem den Wohnwünschen und den finanziellen Möglichkeiten älterer Menschen entsprechenden Angebot den Bedarf bedienen. Dies insbesondere auch deshalb, weil – wie aufgezeigt – die Gemeinde Nettersheim über ein auch für ältere Menschen attraktives Wohnumfeld und sozial-kulturelles und Naturangebot bereitstellt, das auch die Heterogenität der Lebensstile und die unterschiedlichen sozial-kulturellen Bezüge und Alterskonzepte einer sich immer mehr ausdifferenzierenden „ältere Bevölkerung“ aufgreift. 27 Mit Blick auf die parallel zur Ausweitung des Wohnungsangebotes für ältere Menschen in Nettersheim geplante Ausweitung der Pflege- und Betreuungskapazitäten in einer neuen zusätzlichen Einrichtung im Zentrumsort Nettersheim entspricht diese Ausweitung der Pflegeplanung des Kreises Euskirchen aus dem Jahre 2015 bereits unter der Annahme, dass der Wanderungssaldo der 65-Jährigen und älteren Bewohnerinnen und Bewohner in den letzten 5 Jahren vor Erstellung des Planes konstant bleiben würde 18 – eine Prämisse, die unter Berücksichtigung der in Kapitel 2 skizzierten möglichen demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Wechselwirkung zwischen dem Kreis Euskirchen und der angrenzenden Region Köln-Bonn hier eher als unwahrscheinlich eingestuft wird, da in den kommenden Jahren eher von einer stärkeren Zuwanderung aus der angrenzenden Region zumindest dann erwartet wird, wenn bedarfsgerechte und finanzierbare Wohnangebote im Kreis Euskirchen und hier insbesondere in der Gemeinde Nettersheim für die heutige Generation 50+ und die zukünftig älteren und alten Menschen vorgehalten würden. So kommt denn auch bereits diese „konservative“ Schätzung der Nachfrage nach stationären Pflegeplätzen für die Gemeinde Nettersheim bis zum Jahre 2030 zu dem Ergebnis, dass ein Mehrbedarf zwischen 47 und 67 Plätzen zu erwarten ist, die bis zum Jahre 2040 zwischen 113 bis 166 Plätze anwachsen könnte. 19 Die folgende Tabelle zeigt den auf dieser Basis bis 2030 bzw. 2040 geschätzten Gesamtbedarf an Pflegeplätzen in der Gemeinde Nettersheim a) unter der Annahme einer altersspezifisch unveränderten Pflegebedürftigkeit („Medikalisierung“) und b) unter der Annahme, dass der Beginn von Pflegebedürftigkeit in den kommenden Jahren aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung typischerweise später als heute eintritt („Kompression“). Tabelle 4: Entwicklung des Bedarfs an Pflegeplätzen in der Gemeinde Nettersheim 2030/2040 Jahr 2030 2040 Bedarf „Medikalisierung“ 146 245 Bedarf „Kompression“ 126 192 Quelle: INWISO Institut für empirische Wirtschafts- und Sozialforschung (2015): „Pflegeplanung für den Kreis Euskirchen“. München, S.108 f.; eigene Darstellung. Berücksichtigt man darüber hinaus noch, dass - wie im Pflegeplan des Kreises Euskirchen 2015 bereits festgestellt - eine Pflegeeinrichtung in der Gemeinde Nettersheim bedingt durch die gute Verkehrsanbindung einen Einzugsbereich weit über die Gemeindegrenzen hinaus besitzt, so kann hier festgestellt werden, dass sich - selbst bei „konservativer“ Schätzung - die in Nettersheim jetzt geplante zusätzliche Einrichtung mit 79 weiteren Pflegeplätzen zu den bereits derzeit vorhandenen 79 Plätzen im Bedarfskorridor bis 2030 - mit einem möglicherweise leichten Überhang bis 2035 - befindet, aber den bis 2040 zu erwartenden Bedarf in der Gemeinde Nettersheim nicht abdecken würde, so dass spätestens bis dahin eine deutliche Kapazitätserweiterung erforderlich würde. Vgl. dazu INWISO Institut für empirische Wirtschafts- und Sozialforschung (2015): „Pflegeplanung für den Kreis Euskirchen“. München, S.106 ff. Weitere Prämisse dieser Pflegeplanung ist, dass die Anzahl der Empfänger von Leistungen nach SGB II bezogen auf das Erwerbspersonenpotential ebenso konstant bleibt wie die Einwohnerdichte; vgl. ebd., S. 83. 19 Der untere Wert dieser Schätzung berücksichtigt den in den kommenden Jahren erwarteten späteren Eintritt der Pflegebedürftigkeit (Kompressionshypothese), während dem oberen Wert die Annahme einer altersspezifischen unveränderten Pflegebedürftigkeit (Medikalisierungshypothese) zugrunde liegt. 18 28 4. Fazit Entgegen einem allgemeinen Trend im ländlichen Raum weist die Eifelgemeinde Nettersheim im Kreis Euskirchen in den letzten Jahren einen Wiederanstieg der Bevölkerungszahl auf. Ursächlich dafür sind neben der „neuen Zuwanderung“ seit Mitte des Jahrzehnts die von der Gemeinde Nettersheim im Rahmen einer pro-aktiven Entwicklungsstrategie bereits seit dem Ende des letzten Jahrhunderts durchgeführten städtebaulichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Innovationen und Projekte, die die Gemeinde Nettersheim mit ihren 11 Ortsteilen zu einem Lebensund Wohnort mit hoher Attraktivität für Menschen aus allen Generationen und Milieus gemacht hat. Dazu trägt auch die gute Verkehrsanbindung über Schiene und Straße an wichtige Verkehrswege in Richtung des Städtedreiecks Aachen-KölnBonn nach Norden sowie Trier und Koblenz im Süden bei, die den Wohnstandort Nettersheim zukunftsfähig stärkt. Für die kommenden Jahre wird hier auch aufgrund der Ausweisung von zusätzlichen neuen Baugebieten mit einer weiterhin hohen Attraktivität der Gemeinde Nettersheim auch für junge Familien aus dem Umland erwartet, so dass nach der kurzfristigen Stabilisierung der Bevölkerung auf dem derzeit erreichten Niveau hier mittelfristig mit einem weiteren Wachstum der Bevölkerung bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts gerechnet wird. Derzeit reaktiviert die Gemeinde Nettersheim u.a. das ehemalige Herz-Jesu-Kloster im Zentralort Nettersheim und richtet dort mit Förderung des Landes NordrheinWestfalen ein multifunktional nutzbares Quartierszentrum für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinde - unabhängig von Staatsangehörigkeit und ethnischer Herkunft - ein. Unmittelbar angrenzend an diesen sanierten Klosterbeich mit seinem ca. 30.000 m² großen Naturgrundstück mit parkähnlicher Anlage stellt die Gemeinde Nettersheim ferner ein gemeindeeigenes erschlossenes Generationen-Wohngebiet zur Verfügung, auf dem in modularer Bauweise auch – zunächst - 20 Wohneinheiten für das „Service-Wohnen“ von älteren Menschen sowie eine zweite Betreuungs- und Pflegeeinrichtung in der Gemeinde mit zusätzlich 79 Plätzen errichtet werden sollen. Die Gemeinde Nettersheim greift damit die in der Pflegeplanung des Kreises Euskirchen prognostizierte Bedarfsentwicklung im Pflegebereich bis zum Jahre 2030 auf. Ferner bezieht die Gemeinde Nettersheim mit diesen Vorhaben auch die in den kommenden Jahren wachsende Wohnraumnachfrage auch von älteren Menschen aus 29 dem Kreis Euskirchen, aber auch aus der Metropolregion Köln-Bonn in die Entwicklungsplanung der Gemeinde ein. Die Gemeinde kann insoweit auf eine bereits lange vorhandene und aktuell weiter ausgebaute attraktive Infrastrukturausstattung in der „Generationengemeinde Nettersheim“ aufbauen. Auch mit diesen in Planung und Umsetzung befindlichen weiteren Projekten kann die Gemeinde Nettersheim ihr Leitbild einer innovativen interkulturellen, sozialintegrativen, umwelt- und naturbezogenen und generationenverbindenden Gemeinde im ländlichen Eifelraum in den kommenden Jahren erfolgreich umsetzen. 30 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS BBSR Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) (2010): "Wohnungsmärkte im Wandel. Zentrale Ergebnisse der Wohnungsmarktprognose 2025". Bonn „Deutschland reiche Senioren finden keine Wohnung". DIE WELT (16.09.2014); Eifelgemeinde Nettersheim (2016): „Quartierzentrum für Flüchtlingshilfe und Integration“, Nettersheim Eifelgemeinde Nettersheim (2017): „Forum Nettersheim“. Nettersheim Erdmann, Klaus: - http://wiki-de.genealogy.net/Bild:Karte_Gemeinde-Nettersheim.png Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V. (2006): Wohnen im Alter. Dortmund GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (2013): Wohntrends 2030. Studie - Kurzfassung. Berlin GKZ/Gemeinde Nettersheim (2017): „Einwohner nach Alter/Personengruppe/Geschlecht“ IHK Bonn/Rhein-Sieg/IHK Köln (2010): „Zukunft am Rhein. Positionen und Perspektiven für die Region Köln/Bonn“. Köln/Bonn INWISO Institut für empirische Wirtschafts- und Sozialforschung (2015): „Pflegeplanung für den Kreis Euskirchen“. München Institut der Deutschen Wirtschaft (2015): Der Wohnungsmarkt – Wie und wo die Generation 65+ wohnen wird. In Kooperation mit BPD. Köln Institut für Bauforschung e.V. (2014): Metastudie: Demografische Entwicklung und Wohnen im Alter. Auswertung ausgewählter wissenschaftlicher Studien unter besondere Berücksichtigung des selbstgenutzten Wohneigentums. Hannover IT.NRW (2015): Modellrechnung zur zukünftigen Bevölkerungsentwicklung in den kreisangehörigen Städten und Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen 2014-2040“. Düsseldorf IT.NRW (2017): „Kommunalprofil Kreis Euskirchen“ Stand: 31.05.2017. Düsseldorf IT.NRW/Landesdatenbank NRW (2017):“ Kommunalprofil Nettersheim“. Stand: 31.05.2017. Düsseldorf Jones Lang LaSalle (2013): Wohnen im Alter. Berlin Joussen, Wolfgang (2015): „PROJEKTBERICHT Konzept ´Innenstadtnahes Wohnen`“. Eschweiler Kreis Euskirchen (2017): „In Sterne investieren“. Euskirchen Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr Nordrhein-Westfalen: Landeswettbewerb 2013. Generationengerechte Quartiersentwicklung in Arnsberg-Neheim. Wohnen und Leben am Müggenberg. Düsseldorf Planungsgruppe MWM (2017): Infrastrukturkarte Gemeinde Nettersheim Region Köln/Bonn e.V. (Hrsg.) (2017): „Projektinfo #01. Agglomerationskonzept. Köln Metropolregion Köln-Bonn. Region Köln/Bonn e.V.; Abruf 02.11.2017 31 Statistisches Bundesamt (2017): „Die Kinderlosigkeit ist in Deutschland nicht weiter gestiegen“. Pressemitteilung vom 26. Juli 2017 – 254/17. Wiesbaden Statistisches Bundesamt (2017): Pflegestatistik 2015. Wiesbaden TNS Emnid (2011): "Wohnwünsche im Alter". Grafikreport. o.O. Fotos: Nettersheim, Herz-Jesu-Kloster von Südosten. By HOPflaume (Own work) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons Gemeinde Nettersheim Eifel Tourismus Gesellschaft mbH 32