Daten
Kommune
Erftstadt
Größe
256 kB
Datum
15.06.2011
Erstellt
13.05.11, 06:21
Aktualisiert
13.05.11, 06:21
Stichworte
Inhalt der Datei
Behinderte Kinder in Kindertageseinrichtungen
Anlage V 190/2011
Der Bürgerantrag zur Integration behinderter Kinder in Regelschulen (245/2010) wurde am
23.06.2010 vom JHA wie folgt beschieden:
Die Verwaltung wird beauftragt, ein Konzept zur Integration behinderter Kinder in Kindertagesstätten und Regelschulen zu erstellen.
Der JHA ist für die Kindertageseinrichtungen zuständig. Insofern wird in dieser Vorlage auch
nur dieser Bereich beschrieben.
Zum Begriff der Behinderung
Es gibt keinen allgemein anerkannten Behinderungsbegriff. Die Schwierigkeit einer Begriffsdefinition hängt damit zusammen, dass es sich um einen sehr komplexen Prozess von Ursachen und Folgen handelt. Eine umgreifende Definition versucht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihrer internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und
Gesundheit. Bei ihrer Definition unterscheidet die WHO verschiedene Begrifflichkeiten:
1.
2.
3.
4.
Körperfunktionen
Körperstrukturen
Aktivität und Partizipation
Umweltfaktoren
Diese Faktoren und deren Klassifikation werden bei der Beurteilung herangezogen, ob und
in welchem Ausmaß eine Person behindert bzw. beeinträchtigt ist. Bei diesem Modell wird
versucht, der Komplexität des Problems gerecht zu werden.
Im deutschen Recht ist der Behindertenbegriff in § 2 Abs. 1 SGB IX verankert:
„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische
Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten
ist.“
Gesetzliche Situation
Der Anspruch auf eine adäquate Förderung im Bereich der Tagesbetreuung für Kinder mit
Behinderung ist aus unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zu beurteilen.
Nach § 24 Abs. 1 SGB VIII hat ein Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung.
Nach § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer
Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe.
Nach § 35 a SGB VIII leistet die Jugendhilfe die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte
Kinder und Jugendliche.
Nach § 10 Abs. 1 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen durch das SBG VIII nicht berührt. Aber nach Abs. 4 gehen ausdrücklich
Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch für junge Menschen, die körper1
lich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen
nach dem SBG VIII vor.
Landesgesetzlich ist darüber hinaus in § 27 AG-KJHG geregelt, dass Maßnahmen der
Frühförderung für Kinder, die noch nicht eingeschult sind, unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von den Trägern der Sozialhilfe nach den Bestimmungen des SGB XII zu
gewähren sind.
Demnach ist für alle behinderten Kinder bis zum Schuleintritt der Sozialhilfeträger der Leistungserbringer. Da behinderte Kinder aber in erster Linie Kinder sind, kann sich der Jugendhilfeträger nicht aus der Verantwortung stehlen. Ein Kindergartenplatz in einer sogenannten
Regeleinrichtung mit 20 bzw. 25 Plätzen wird dem Förderanspruch der behinderten Kinder
nicht gerecht. Die Förderung in einer reinen heilpädagogischen Sondereinrichtung über den
Sozialhilfeträger wird aber dem Inklusionsanspruch nach § 24 der Behindertenrechtskonvention nicht gerecht.
§ 24 besagt, dass die Bundesrepublik das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung anerkennt. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleistet die Bundesrepublik ein integratives [inklusives]
Bildungssystem auf allen Ebenen.
Inzwischen gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, dass Inklusion auf allen Ebenen des
menschlichen Miteinanders verfolgt werden muss. Um den Inklusionsgedanken umzusetzen,
bedarf es aber unterschiedlichster Maßnahmen im baulichen, technischen und pädagogischen Bereich. Da dies in der Regel mit erheblichen Kosten verbunden ist, stellt sich
zwangsläufig die Frage der Zuständigkeit und damit der Kostentragungspflicht.
Das ist im Bereich der Kindertageseinrichtungen nicht anders als im Schulbereich. Denn die
Umsetzung baulicher Maßnahmen zur Schaffung weiterer integrativer Gruppen im Bereich
der Kindertageseinrichtungen ist kommunale Aufgabe. Zurzeit gibt es dafür aber weder Landes- noch Bundesmittel.
Bisheriger Stand in Erftstadt
Drei integrative Einrichtungen mit 30 Plätzen verteilen sich geografisch auf den Süden
(Friesheim), den Westen (Lechenich) und den Osten (Liblar) von Erftstadt. Im Norden (Gymnich) ist bisher kein Angebot vorhanden. Zusätzlich sind 2 Plätze im Rahmen von Einzelintegration bei den Sonnenkindern in Liblar vorhanden. Bisher werden in Erftstadt nur über 3jährige behinderte Kinder betreut.
Die folgende Tabelle zeigt auf, wie viel Kinder in Erftstadt zum 01.08.2011 im Rahmen integrativer Kindergartenarbeit gefördert werden.
Tabelle 1
Plätze für behinderte Kinder in Kindertageseinrichtungen
KindertagesNicht behinderte Kinder
einrichtungen
mit integrativen
Angeboten
Friesheim
Lechenich-Süd
Sonnenkinder
Th.-Heuß-Str.
Gesamt
Ib
U3 Ü3
5
15
5
10
15
30
Ic
II b
U3 Ü3 U3
5
15
10
5
15
10
III a
Ü3
25
25
Quelle: V 660/2010, Anlage 2; JHA vom 28.02.2011
2
III b
Ü3
25
20
25
70
Ki. in integr. Gr
n. beh.
beh.
III c
III c
III c
Ü3
Ü3
Ü3
20
10
20
20
10
2
20
20
10
40
60
32
Ges.
75
105
22
95
297
Was sind integrative Gruppen?
-
Gruppengröße
Integrative Gruppen werden als Tagesgruppen (45-Stundenbuchung) geführt. Sie
nehmen fünf behinderte und 10 nichtbehinderte Kinder auf.
-
personelle Voraussetzungen
Integrative Gruppen sind mit einer sozialpädagogischen Fachkraft, die eine heilpädagogische Zusatzausbildung haben sollte, und einer Zweitkraft besetzt. Es ist wünschens- und empfehlenswert, dass auch die Leiterin der Einrichtung eine heilpädagogische Zusatzausbildung besitzt.
Die behinderten Kinder haben einen Anspruch auf Therapie z.B. durch eine Logopädin bzw. einen Logopäden und eine Krankengymnastin bzw. einen Krankengymnasten. Dieses Fachpersonal soll in integrativen Gruppen beschäftigt sein. Darüber hinaus ist häufig zusätzliches Personal im Rahmen der Einzelfallhilfe zur Unterstützung
behinderter Kinder erforderlich.
-
räumliche Voraussetzungen
Das Neubau-Raumprogramm für integrative Gruppen sollte nach den Empfehlungen
des Landesjugendamtes neben den Standardvorgaben für Kita-Gruppen bei einer
Buchungszeit von 45 Stunden einen zusätzlichen Raum in der Größe von 18 bis 24
qm zur Differenzierung der Arbeit enthalten. Ebenso ist pro Gruppe ein zusätzlicher
Therapieraum erforderlich.
-
Finanzierung
Für Kinder mit Behinderung oder Kinder, die von einer wesentlichen Behinderung bedroht sind, und bei denen dies vom Träger der Eingliederungshilfe festgestellt wurde,
erhält die Einrichtung laut KiBiz-Änderungsgesetz grundsätzlich den 3,5fachen Satz
der Kindpauschale III b. In den Fällen, in denen diese Kinder in der Gruppenform II
(also unter 3 Jahre) mit 45 Stunden wöchentlicher Betreuungszeit gefördert werden,
wird die Kindpauschale II c um 1.000 EUR erhöht. Die behinderten Kinder haben einen Anspruch auf einen Fahrtendienst und die Übernahme der Elternbeiträge.
Die therapeutischen Fachkräfte und die zusätzlich erforderliche Kräfte im Rahmen
der Einzelfallhilfe werden zu 100% vom Träger der Eingliederungshilfe refinanziert.
Was ist Einzelintegration?
Im Bereich des Landschaftsverbandes Rheinland überwiegt die Förderung der Kinder mit
Behinderungen in integrativen Einrichtungen, im Bereich des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe erfolgt die Förderung mehr im Wege der Einzelintegration.
Die modellhafte Förderung der Einzelintegration wird ab dem 01.08.2008 durch das KiBiz
ermöglicht.
-
notwendige Gruppenreduzierung
In einer Gruppe für Kinder im Alter von drei Jahren bis zur Einschulung können bis zu
zwei Kinder mit Behinderung im Rahmen der Einzelintegration aufgenommen werden. Aus pädagogischen Gründen sollten zwei behinderte Kinder zusammen gefördert werden. In der Regel reduziert sich die Gruppenstärke dann je nach dem Grad
der Behinderung um 5 Kinder.
-
personelle Voraussetzungen
Eine Fachkraft und eine Ergänzungskraft müssen pro Gruppe eingesetzt werden.
Zwingend ist Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte zum Erwerb von heilpädagogischen Kenntnissen. Zusätzlich werden vom Landesjugendamt weitere pädagogi-
3
sche Fachkraftstunden für das jeweilige behinderte Kind angeordnet. Daneben muss
die Zusammenarbeit mit den Therapeuten außerhalb der Kita sichergestellt sein.
-
räumliche Voraussetzungen
Die Kita muss über das Regelprogramm verfügen sowie einen Pflegebereich für die
besonderen Aufgaben vorweisen.
-
Finanzierung
Es werden die gleichen Fördersätze nach Kibiz wie bei der Aufnahme behinderter
Kinder in integrativen Gruppen gezahlt. Die geförderten Einzelintegrationsplätze unterliegen aber einer Kontingentierung. Eine Antragsstellung ist jeweils bis zum 01.08.
d. Jahres erforderlich.
Sonderkindergärten
Im Rhein-Erft-Kreis gibt es drei heilpädagogische Kindertagesstätten. In Trägerschaft der
Lebenshilfe befindet sich je eine in Hürth-Gleuel und in Frechen-Buschbell. In Elsdorf wird
eine Einrichtung des Caritas-Verbandes betrieben. Die Gruppengröße einer heilpädagogischen Gruppe beträgt 8 bis 9 Kinder. Nur in Hürth-Gleuel werden jährlich 2 Kinder aus Erftstadt betreut.
Bezugszahl als Planungsgröße
Um errechnen zu können, wie viele Kita-Plätze in Erftstadt für behinderte Kinder benötigt
werden, müsste die Zahl der behinderten Kinder vorliegen. Harte Daten sind aber nicht bekannt. Der Landschaftsverband Rheinland geht im Bereich der 3- bis 6-jährigen Kinder von 4
bis 5 Prozent aus. Noch erheblich schwieriger ist es, die Zahl der behinderten Kinder unter 3
Jahre zu ermitteln. Häufig sind in diesem Alter Behinderungen noch gar nicht als solche zu
erkennen. Die folgende Tabelle stellt dar, wie viel Kinder in Erftstadt behindert sein könnten
(unter der Annahme, dass 4,5 Prozent aller Kinder betroffen sind).
Tabelle 2
Anzahl der Kinder je Jahrgang - Anzahl der behinderten Kinder bis 6 J. (statistischer Wert)
Gesamt
Beh. Kinder (4,5 %)
Altersgruppen 2011
5-6 4-5 3-4 2-3 1-2 0-1
0-<3
3-<6
0-<3
3-<6
Ges.
a
b
c
d
e
f
g
h
i
j
k
l
Ahrem
10
7
9
5
7
7
19
26
0
1
1
Blessem/Fr.
15
16
8
16
16
16
48
39
1
2
3
Bliesheim
31
29
24
27
26
26
79
84
1
4
5
Borr/Sch.
2
1
2
2
1
1
4
5
0
0
0
Dirmerzheim
26
12
19
16
13
13
42
57
1
3
4
Erp
24
16
10
29
16
16
61
50
1
2
3
Friesheim
27
24
24
16
24
24
64
75
1
3
4
Gymnich/M.
34
45
39
38
37
37
112
118
2
5
7
Herrig
5
6
4
5
5
5
15
15
0
1
1
Kierdorf
23
27
31
28
29
29
86
81
1
4
5
Köttingen
28
35
26
33
21
21
75
89
1
4
5
Lechenich/K.
89
90
82
75
60
60
195
261
3
12
15
Liblar
97
96 100
98
82
82
262
293
4
13
17
Niederberg
3
3
6
2
5
5
12
12
0
1
1
Gesamt 414 407 384 390 342 342 1.074 1.205
17
54
71
Quelle: KDVZ 10/2010; Prognose Umwelt- und Planungsamt 2008
Anmerkungen:
4
a
b-g
h
i
j
l
Stadtteile
Anzahl Kinder je Jahrgang
Anzahl der Kinder unter 3 Jahren im Kita-Jahr 2011/12
Anzahl der Kinder von 3- bis < 6 Jahren im Kita-Jahr 2011/12
Anzahl der behinderten Kinder unter 3 Jahren. Grundannahmen: Behinderungsquote = 4,5 %; Nachfragequote = 35 %; einschl. Kindertagespflege = 1/3
Summe j und k = Anzahl der Plätze, die für behinderte Kinder in Tageseinrichtungen benötigt würden.
Nach dieser Aufstellung müssten 39 weitere Plätze für behinderte Kinder von 0 bis 6 Jahren
geschaffen werden. Dies ist im Rahmen der vorhandenen Platzkapazitäten unmöglich. Es
müsste also gebaut werden. Die folgende Tabelle macht den Handlungsdruck unter o. g.
Prämisse deutlich.
Tabelle 3
Planungsraster behinderte Kinder in Kindertageseinrichtungen 2010 - 2013
Planungsgrößen
Inanspr. beh. Kinder
davon Ü3
davon U3
davon in KTP
Soll
Ist
(ca.)
Plätze
71
32
54
32
17
0
6
0
Diff.
-39
-22
-17
-6
Quote
in %
45,1
59,3
0,0
0,0
Zusätzl.
Gruppen
4
2-3
Quelle: JHP 03.2011
Bisherige Erfahrungen bei Anmeldungen
Bisher regelt die Platzkapazität die Nachfrage nach integrativer Betreuung. Es handelt sich
jährlich um eine Mangelverwaltung. Sobald neue Plätze für behinderte Kinder geschaffen
wurden, stieg die Nachfrage entsprechend an.
Bei den derzeit betreuten und angemeldeten behinderten Kindern kann nicht wie früher üblich und auch klar erkennbar von den klassischen Behinderungen (wie z.B. Down-Syndrom)
ausgegangen werden. In der Regel handelt es sich heute um kombinierte, komplexe und
umfassende Entwicklungsstörungen, ausgeprägte Sprachentwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite, hyperkinetische Symptomatiken einhergehend mit motorischen Beeinträchtigungen. Entwicklungsneurologische Befunde, Anamnesen oder Entwicklungsdiagnostiken
mit entsprechenden Therapievorschlägen liegen in der Regel bei der Anmeldung noch nicht
vor.
Im Jahre 2010 standen 14 freie Plätze 21 Anmeldungen gegenüber. In 2011 sind ca.18 freie
Plätze zu erwarten. Es liegen derzeit 24 Anmeldungen von behinderten Kindern vor.
Darüber hinaus wechseln erfahrungsgemäß in jedem Jahr mindestens 5 Kinder, die ursprünglich einen Regelplatz besuchten, auf einen integrativen Förderplatz. Dabei handelt es
sich um Kinder, deren Defizite erst in der Regelgruppe deutlich werden. Im Rahmen der intensiven Elternarbeit können dann auch häufig die Eltern akzeptieren, dass es sich bei ihrem
Kind nicht nur um eine leichte Entwicklungsverzögerung handelt und dass eine spezielle
Förderung in einer kleineren Gruppe gut für ihr Kind ist.
Die Erfahrungen der Verwaltung besagen auch, dass jährlich ca. 3 bis 4 Kinder in anderen
heilpädagogischen Einrichtungen im Rhein-Erft-Kreis oder auch in Euskirchen bzw. Köln
betreut werden.
Mit steigender Tendenz zeigt die Erfahrung aber auch, dass einzelne behinderte Kinder im
Rahmen der integrativen Gruppe nicht gefördert werden können, weil die Standards der
Gruppe die Kinder überfordern. Sie benötigen neben einer vorgeschalteten stationären klinischen Aufnahme/Behandlung einen wesentlich kleineren Rahmen der individuellen Förderung.
Kinder im Grenzbereich einer Behinderung, die aus fachlicher Sicht in einer integrativen
Gruppe gefördert werden sollten, bleiben in Ermangelung ausreichender Plätze in Einzelfäl5
len auch in ihren Regelgruppen. Dort wird ihnen dann aber leider nicht die Förderung zuteil,
die notwendig wäre.
Inklusion auch bei Kindern unter 3 Jahren
Bisher werden nur 3 bis 6-jährige behinderte Kinder - und das wie aufgezeigt auch nur unzureichend - versorgt. Zukünftig sind selbstverständlich auch die unter 3-jährigen behinderten
Kinder zu betreuen und das nach heutigem Verständnis inklusiv.
Seit dem Sommer 2008 wird im Rahmen des Projekts "Modelle zur Bildung, Betreuung und
Förderung von Kindern mit Behinderung unter drei Jahren" des Landschaftsverbandes
Rheinland, das vom Sozialpädagogischen Institut NRW (SPI) begleitet wird, erprobt, welche
Gruppenformen und welche pädagogischen Konzepte den besonderen Bedürfnissen von
Kindern unter drei Jahren mit Behinderung gerecht werden können.
Der verlässliche Rahmen, der in erster Linie durch konstante Bezugspersonen gewährleistet
wird, ist gerade bei Kindern unter drei Jahren bei Kindern mit Behinderung besonders wichtig, nicht nur für das Wohlbefinden des Kindes, sondern auch als Grundlage für einen gelingenden Bildungsprozess. Dies ist, wenn es um Gruppenformen für Kinder unter drei Jahren
mit Behinderung geht, ein entscheidendes Argument für die integrative Gruppe mit erweiterter Altersmischung, die einen Gruppen- und Bezugspersonenwechsel vermeidet. Es ist
ebenso ein zentrales Argument für eine intensive Beteiligung der therapeutischen Kräfte am
Gruppengeschehen.
Alle beteiligten Einrichtungen berichteten übereinstimmend, dass auch bei langjähriger Erfahrung mit integrativen Gruppen die Aufnahme zweijähriger Kinder eine große Herausforderung darstellt. Die Eingewöhnungsphase muss sorgfältig und in ständiger Abstimmung mit
den Eltern gestaltet werden. Der Tagesablauf in der gesamten Gruppe wird ein anderer und
muss flexibler werden (Schlaf- und Essenzeiten), pflegerische Tätigkeiten nehmen deutlich
zu. Das bedeutet, dass mehr Personal benötigt wird, zumal die älteren Kinder nicht zu kurz
kommen dürfen.
Zum Bindungsverhalten von Kindern mit Behinderung liegen bisher nur wenige Untersuchungen vor, die sich zudem ausschließlich mit der Bindung zwischen Kind und Eltern
befassen. Eine Untersuchung von Rauh kam zu dem Ergebnis, dass Kinder mit Trisomie 21
eher dann eine sichere Bindung zu ihrer Mutter entwickeln, wenn diese "sensitiv", also in der
Lage ist, ein einfühlendes und feinfühliges Verhalten gegenüber dem Kind zu entwickeln und
dieses Verhalten dem jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes präzise anzupassen. Dies
beschreibt, wenn es auf das Geschehen in der Tageseinrichtung übertragen wird, eine Anforderung an Erzieherinnen, die auch die notwendige Qualität der differenzierten und individualisierten Beobachtung und Interpretation des kindlichen Verhaltens einschließt. Die Signale eines jungen Kindes mit Behinderung sind sehr individuell, und bei Kindern mit einer
besonders schweren Behinderung kann es sein, dass Erzieherinnen ihr Gespür als wichtigstes, zwar oft vernachlässigtes, methodisches Instrument wiederentdecken müssen. Zudem
kann die oft geforderte professionelle "Balance zwischen Nähe und Distanz" bei Kindern unter drei Jahren mit Behinderung besonders schwerfallen.
Bei Kindern unter drei Jahren mit Behinderung wird die Aufnahme in eine Tageseinrichtung
zunehmend an die Stelle der Angebote der Frühförderung treten. Nach wie vor ist die
Frühförderung jedoch in der Regel die erste und damit weithin entscheidende Anlaufstelle für
die betroffenen Eltern und Kinder.
Gerade kleine Kinder unterscheiden nicht zwischen sozialpädagogischen und therapeutischen Kräften, sondern nach "bekannt" und "unbekannt". Deshalb ist der regelmäßige
bzw. ständige Aufenthalt der therapeutischen Kräfte in den Gruppen noch wichtiger.
6
Fazit
Erftstadt hat in den vergangenen Jahren bereits viel in der integrativen Versorgung behinderter Kinder in Kindertageseinrichtung getan. 30 integrative Plätze sind eine vorzeigbare Zahl.
Inklusion ist aber gesellschaftlicher Konsens geworden. Deshalb werden Sondereinrichtungen für behinderte Kinder mehr und mehr auslaufen.
Dies stellt die Stadt vor eine weitere große Herausforderung. Es müssen neue Plätze für
behinderte Kinder im integrativen Kontext geschaffen werden. Und dies nicht nur für 3- bis 6Jährige, sondern auch für unter 3-Jährige.
Dazu sind bauliche Maßnahmen mit finanzieller Förderung durch das Land oder den Bund
erforderlich. Ohne finanziellen Ausgleich kann Erftstadt diese Aufgabe nicht angehen.
7