Daten
Kommune
Pulheim
Größe
101 kB
Datum
07.03.2017
Erstellt
23.02.17, 18:37
Aktualisiert
23.02.17, 18:37
Stichworte
Inhalt der Datei
Vorlage Nr.:
44/2017
Erstellt am:
09.02.2017
Aktenzeichen:
II / 410
Mitteilungsvorlage
Gremium
Ausschuss für Bildung, Kultur, Sport und Freizeit
TOP
ö. Sitzung
X
nö. Sitzung
Termin
07.03.2017
Betreff
Projekt Synagoge Stommeln - Rückblick 2016
Mitteilung
2016 wurde das Synagogenprojekt mit einer Kooperation des libanesischen Künstlers Walid Raad mit SITU Studio
fortgesetzt: Die Arbeit „Those that are near. Those that are far.” entwickelte sich zu einer aufwändigen Rauminstallation
mit komplexen Konnotationen und vielfältigen historischen und aktuellen Bezügen. (Detaillierte Informationen zu Walid
Raad finden sich in TOP 1.4, BKSF vom 23.2.2016.)
Raad und SITU verwandelten die Synagoge in eine Art Ausgrabungsstätte: Im Zentrum einer aus 20 m³ Erde angehäuften Hügellandschaft befand sich ein in uneinsehbare Tiefen führendes Loch – der Einstieg in einen Tunnel oder eine Art
Lager. An einem Rettungsgerät hing eine Kette in das Loch herab. Unklar blieb, wozu sie diente: Menschen oder Güter
aus dem Loch hinaus- oder hineinzubefördern. Den Besuchern war eine räumliche Annäherung verwehrt, sie konnten
die Installation nur aus der Distanz, von der Frauenempore aus, betrachten. Die Fenster der Synagoge waren mit Brettern verbarrikadiert, im Halbdunkel strahlte diffuses Licht aus dem Tunnel.
Tunnel lassen ebenso an Flucht und Entkommen denken wie an Vertreibung, an Versteck und Lager wie an Schutzräume: Assoziationen an die jüdischen Katakomben in Rom stellen sich ein oder an die Fluchttunnel im geteilten Deutschland oder an die weitverzweigten palästinensischen Tunnelsysteme der heutigen Zeit.
Bereits 2014 hatten Raad und SITU mit detaillierten Recherchen zu unterschiedlichen Tunneltypen begonnen (Bergbau,
Fluchtwege), zu aktuellen und historischen Grenzsituationen sowie zum Thema „Beutekunst“ und den Lagerstätten der
von Nazis geraubten Kunstwerke wie zum Beispiel dem Salzbergwerk Altausee. Im Anschluss an die Recherchen visualisierte SITU die für die Synagoge vorgesehene Grabungsstätte und produzierte das zentrale Element des Tunneleingangs („hole“).
Raad weist ausdrücklich darauf hin, dass seine Kooperation mit SITU sich nicht darauf beschränkt, dass das New Yorker Architektur- und Designbüro seine Ideen nur räumlich umsetzte, sondern dass es sich um eine gleichberechtigte
künstlerische Partnerschaft mit Brad Samuels handelte, einem der Gründer von SITU.
In Pulheim/Stommeln wurde parallel zu den Arbeiten in New York ein umfangreiches Team heimischer Handwerker und
Hilfskräfte zusammengestellt. Sie erstellten einen Zwischenboden, beschafften die passende Erde für die Grabungsund Hügellandschaft (steriler, mergelhaltiger Unterboden aus einem Neubauviertel von Pulheim), transportierten 20 m³
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Erde zur Synagoge und brachten die Erde in die Synagoge ein. Als Bindeglied zwischen New York und Pulheim fungierte die junge Architektin Laura Genes, die die Umsetzung in New York betreute, die Verschickung des „hole“ nach Pulheim koordinierte und die Ausführung des Projektes durch die Pulheimer Hilfskräfte überwachte und anleitete. Der Aufbau in Stommeln begann mit der Positionierung des „Tunneleingangs“ im Raum durch eine Kunstaufbau-Firma am 18.
Mai und endete damit, dass Walid Raad am 6. Juni persönlich die Kistenabdrücke in der Erde realisierte.
Die Eröffnung am 8. Juni 2016 war ausgesprochen gut besucht (ca. 400 Besucher), die Ausstellung wurde von der
Presse mit größter Aufmerksamkeit begleitet. Es berichteten u.a. Kölner Stadt-Anzeiger/Kölnische Rundschau, Süddeutsche Zeitung und FAZ, Kunstforum, Kunstbulletin (Schweiz), Kunstzeitung, Deutschlandfunk, WDR sowie zahlreiche
Kölner Medien und hagalil/Jüdisches Leben online.
Insgesamt wurden 18 Gruppenführungen angefragt, Teilnehmer waren u.a. sozial engagierte, kirchliche oder lokale
Gruppen, aber auch Schulklassen und Kunststudenten wie die International School of Cologne, eine Schulklasse aus
Mayen, 60 Studierende der Hochschule der Künste, Bern und die ehemaligen Stadt- und Gemeindedirektoren im Präsidium des STGB.
Abweichend von dem sonst üblichen Verfahren, dass das Werk in der Synagoge auch nach Ende der allgemeinen Öffnungszeiten noch viele Monate später auf Anfrage für einzelne Interessenten zugänglich gemacht wird, musste die Arbeit diesmal frühzeitig, am 25. September abgebaut werden. Ursache hierfür war die hohe Luftfeuchtigkeit, die durch die
Einbringung von Erde in die Synagoge entstanden war und die bereits auf der Hälfte der Laufzeit zu (schwacher)
Schimmelbildung geführt hatte, obwohl außerhalb der Besuchszeiten ein Luftentfeuchter lief.
Ein Katalog konnte wegen der äußerst zeitaufwändigen Installation der Arbeit nicht zur Eröffnung fertiggestellt werden.
Er ist zwar sowohl von Raad wie SITU weiterhin vorgesehen, aber vorläufig wegen weiterer Verpflichtungen beider Projektpartner zurückgestellt.
„In gewisser Hinsicht versammeln sich all diese Figuren am anderen Ende des Tunnels: Verfolgte Juden, Flüchtlinge
und die Waffenschmuggler der Hamas, umgeben von geraubten und geretteten Kunstwerken. Auf der Empore blinzelt
man ins Licht, unschlüssig, was von diesem, aus der Tiefe heraussteigendem Reichtum an Assoziationen zu halten ist.
Ist es erlaubt, wenn das Gedenken an den Holocaust Wege zu anderen Katastrophen nimmt? Oder muss man das trennen? Immerhin weiß man wieder, was der Zweck der Synagoge Stommeln ist: Solche Fragen in den Raum der Kunst zu
bringen.“ (Michael Kohler, Süddeutsche Zeitung, 14. Juni 2016)