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Mitteilungsvorlage (Rückblick Synagoge Stommeln 2014)

Daten

Kommune
Pulheim
Größe
103 kB
Datum
03.03.2015
Erstellt
23.02.15, 18:34
Aktualisiert
23.02.15, 18:34
Mitteilungsvorlage (Rückblick Synagoge Stommeln 2014) Mitteilungsvorlage (Rückblick Synagoge Stommeln 2014)

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Inhalt der Datei

Vorlage Nr.: 61/2015 Erstellt am: 10.02.2015 Aktenzeichen: II/410 Mitteilungsvorlage Gremium Ausschuss für Bildung, Kultur, Sport und Freizeit TOP ö. Sitzung X nö. Sitzung Termin 03.03.2015 Betreff Rückblick Synagoge Stommeln 2014 Veranlasser/in / Antragsteller/in Verwaltung Mitteilung Rückblick Synagoge Stommeln 2014 Gregor Schneider, „Hauptstraße 85 a“ Mit seiner Verkleidung der Synagoge in ein biederes Einfamilienhaus ist Schneider ein Aufsehen erregender Coup gelungen, der verblüfft, vielleicht sogar verstört, aber gerade dadurch, dass er sich einem schnellen Verständnis entzieht, einen intensiven Prozess der Auseinandersetzung auslöst. Schneider setzt vor das ursprüngliche Feldbrandsteinmauerwerk eine durchschnittliche Einfamilienhausfassade. Mit zahlreichen dem Baumarkt entstammenden Elementen wie Briefkasten, Außenleuchten, Schiebegardinen und hellgelber Farbgebung entspricht das Gebäude nun einem bestimmten Bautyp der Jetztzeit, der in zahllosen Städten mit niedriger Einzelbauweise zu finden ist. Gleichzeitig demontiert Schneider jeden Hinweis auf die Existenz der Synagoge im Stadtbild; er entfernt das mit jüdischen Symbolen befrachtete Eingangstor, das Hinweisschild „Synagoge“ auf dem Dorfanger, selbst das Plakatdisplay im Eingangsbereich. Schneider sorgte dafür, dass das Haus in einem realen Verwaltungsakt eine eigenständige Hausnummer erhielt: Die bisher mühselig als „hinter Haus Nr. 85“ zusammenbuchstabierte Anschrift verschwindet zugunsten einer dem lokalen Standard entsprechenden Nummerierung. Die dialektische Kraft von Schneiders Eingriff zeigt sich alleine in diesem Detail: Zwar bekommt der Ort erstmals eine postalisch korrekte Anschrift wie alle anderen Häuser der Umgebung, aber ob das – so Ulrich Loock, Redner bei der Eröffnung und Autor des Katalogtextes – einfach nur ein Versäumnis der Verwaltung gut macht, sei dahin gestellt. Zwar ist dieses Gebäude damit erstmals als durchgezählter, und damit allen anderen Häusern gleichgestellter Bau vollwertiger Teil der Ortsgemeinschaft, zugleich wird damit auch seine Sonderstellung aufgegeben, die selbst im Postvertrieb durchgehalten wurde, und einem Bedürfnis nach ordnungsgemäßer Durchnummerierung geopfert. Positives wie Negatives sind in Schneiders Arbeit nur die zwei Seiten einer Medaille – untrennbar verbunden: Schneider bringt die Synagoge zum Verschwinden und macht damit eben jenen Verlust bewusst, der sich – jenseits der Erhaltung des Gebäudes längst ereignet hat – den Verlust seiner religiösen Funktion und damit der Auslöschung der jüdischen Einwohner von Stommeln. Mit dem Akt des Verbergens wird das, was verborgen wird, umso sichtbarer; die Leerstelle umso deutlicher. Vorlage Nr.: 61/2015 . Seite 2 / 2 Schneiders Eingriff in Stommeln sei „verstörend und brüskierend“, schreibt Georg Imdahl in der Süddeutschen Zeitung – die Verhüllung der Synagoge hinter „einer architektonischen Maske der Normalität“ greife die reale Geschichte zahlreicher, in der Nachkriegszeit u. a. als Wohn- oder Geschäftshaus zweckentfremdeter Synagogen auf. Mit seiner Überfremdung der Synagoge in all ihrer „ätzenden Durchschnittlichkeit“ bringe Schneider Hannah Ahrendts Diktum der „Banalität des Bösen“ in Erinnerung und verweise auf das grundlegende Verhältnis von Erinnerung und Verdrängung in der deutschen Gesellschaft. Am 3. Juli wurde „Hauptstraße 85 a“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht; der sehr gut besuchten Eröffnung folgte eine große Anzahl an Besprechungen online, in Printmedien und Hörfunk. Unter anderem berichteten: - spiegel online (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/gregor-schneider-ausstellung-hauptstrasse-85-a-synagogestommeln-a-978381.html) - wdr 3 mosaik (www.wdr3.de/kunst/gregorschneider120.html) - wdr 5, scala, (www.wdr5.de/sendungen/scala/synagogestommeln100.html) - Deutsche Welle, (www.dw.de/disappearing-synagogue-takes-suburbia-to-task/a-17815615; www.dw.de/synagoge-imversteck/a-17793402) - Deutschlandradio Kultur, (www.deutschlandradiokultur.de/erinnerungskultur-hinter-der-fassade-desgewoehnlichen.1013.de.html?dram:article_id=290882) - focus online, (www.focus.de/kultur/kunst/kunst-gregor-schneider-baut-synagoge-zu-einfamilienhausum_id_3965618.html) - art (August 2014, S. 84-89)) Und: http://www.art-magazin.de/blog/2014/07/04/gregor-schneider-hauptstrasse-85-a50259-pulheim-stommeln-oder-als-synagoge/ - Süddeutsche Zeitung (15. Juli) - FAZ 19.7. - Monopol (August 2014). Selbst jetzt, 7 Monate nach der Eröffnung, treffen noch regelmäßig Anfragen ein, in denen internationale Kunstmagazine Pressematerial anfordern. (Im Februar: „frieze d/e“ und „dezeen, architecture and design magazine“.) Ende 2014 erreichte die Kulturabteilung die Nachricht, dass das Projekt vom Kunstkritikerverband AICA mit dem Preis „Besondere Ausstellung des Jahres 2014“ ausgezeichnet wurde. Die AICA, der in Deutschland über 200 Kritikerinnen und Kritiker angehören, wurde 1948/49 gegründet und 1951 von der UNESCO als nicht-staatliche Organisation anerkannt. Die AICA Deutschland ist Teil der AICA International, einem Verband von 61 nationalen Sektionen mit insgesamt etwa 5000 Mitgliedern. Der Verband hat es sich nicht nur zur Aufgabe gemacht, die Kunstkritik und den Austausch über Kunst und Kritik zu fördern, sie setzt sich auch weltweit für die Menschenrechte, die Freiheit der Kunst und die Pressefreiheit ein. Die Auszeichnungen „Museum bzw. Ausstellung des Jahres“ und „Besondere Ausstellung“ werden seit Mitte der 90er Jahre verliehen. Die diesjährige Preisverleihung fand am Sonntag, den 1. Februar 2015 im MARTa in Herford statt, gleichzeitig mit dem Synagogenprojekt wurden das MARTa Herford als Museum des Jahres und die Ausstellung von Pierre Huyghe im Kölner Museum Ludwig ausgezeichnet. Schneiders Projekt in Stommeln steht damit in einer Reihe mit den in den Vorjahren ausgezeichneten Ausstellungen im Kupferstichkabinett Dresden, Frankfurter Schirn oder der Kunsthalle Baden-Baden.