Daten
Kommune
Pulheim
Größe
681 kB
Datum
03.12.2013
Erstellt
05.11.13, 18:50
Aktualisiert
05.11.13, 18:50
Stichworte
Inhalt der Datei
Anlage 4
Forschung Radverkehr
Unfallrisiken beim Rad fahren
Unfälle mit Radfahrerbeteiligung
Unfallrisiken sind ein dominantes Hindernis der Fahrradnutzung; wer sich auf dem Fahrrad besonders unsicher fühlt, fährt weniger Fahrrad.
Die amtliche Unfallstatistik beschreibt den Umfang und
Trend des Unfallgeschehens mit Radfahrerbeteiligung
und gibt einige Informationen über den Kontext der polizeilich gemeldeten Unfälle. Unfallforschung, die genauer den Ursachen und Vermeidungsmöglichkeiten von
Unfällen nachgeht, muss oft jedoch in die einzelnen
Unfallakten hineinschauen, um den Unfallhergang besser zu verstehen. Im Folgenden sollen einige Erfahrungen hieraus knapp zusammengefasst werden.
Im Jahr 2010 verunglückten in Deutschland 65.573 Radfahrer im Straßenverkehr. 381 Radfahrer wurden dabei
getötet und 12.143 schwer verletzt. Vor allem Senioren sind auf dem Rad besonders gefährdet. Mehr als die
Hälfte (52%) der getöteten Radfahrer war 65 Jahre und
älter. Trotz des bundesweit stark gestiegenen Fahrradverkehrs blieben die Unfallzahlen mit Fahrradbeteiligung in
den letzten Jahren relativ stabil.
Dies spiegeln auch internationale Erfahrungen wider: In
Ländern/Städten mit viel Radverkehr ist das Risiko des
Einzelnen, Unfallopfer zu werden, geringer als in Ländern/Städten mit geringer Radfahrerdichte. Bei mehr
Radverkehr achten Kfz-Lenker offensichtlich stärker auf
den Radverkehr.
Die Langfristentwicklung des Radverkehrs und die Zahl
der tödlich verunglückten Radfahrer in den Niederlanden zeigt deutlich die Zunahme des Risikos für Radfahrer mit der Zunahme des Autoverkehrs – und schließlich die höhere Verkehrssicherheit des Radverkehr durch
konsequenten Ausbau der Radverkehrsnetze seit den
1970er-Jahren, der den Radverkehr deutlich sicherer
machte und zugleich eine Zunahme des Radverkehrs
bewirkte.
Der Radverkehr konnte in den letzten Jahren deutschlandweit vom erreichten Sicherheitsgewinn im StraßenTitelbild: Sicherheit durch Sichtbarkeit bei der klaren Führung des
Radverkehrs (Hannover)
Inhalt
Unfälle mit Radfahrerbeteiligung 1
Unfallursachen 2
Alleinunfälle 2
Rechts abbiegende Lkw 3
Sicherheitsrisiken aus Infrastruktur und
Verhalten 3
Technologie für Radverkehrssicherheit 4
Fazit 4
verkehr nur unterdurchschnittlich profitieren. Radfahrerunfälle bleiben ein kritischer Teil des Verkehrssystems.
Unfallursachen
Eine Studie zur deutschen „Fahrradhauptstadt“ Münster
hat dies genauer betrachtet. Etwa 60 Prozent der Radverkehrsunfälle in der Stadt Münster sind beim Abbiegen, Kreuzen oder Einbiegen geschehen. Auch bei den
Unfallfolgen dominieren diese Unfalltypen: 44% der
Unfälle mit schweren Verletzungen und 42% mit leichten Verletzungen ereigneten sich beim Einbiegen und
Kreuzen, beim Abbiegen entstehen 19% der Unfälle mit
schwerem und 23% der Unfälle mit leichtem Personenschaden. Radverkehrsunfälle werden gleichermaßen von
den Radfahrern selbst wie auch von anderen Verkehrsteilnehmern verursacht. 51% der Radverkehrsunfälle
in Münster wurden durch Kfz-Lenker verursacht, 46%
durch Radfahrer und 3% durch Fußgänger.
Hauptunfallursachen bei den durch Autofahrer verursachten Unfällen in Münster sind die Nichtbeachtung
der Vorfahrt (34%), Fehler beim Abbiegen (28%) und
beim Einfahren in den fließenden Verkehr (10%). Die
Hauptunfallursachen der Radfahrer sind hingegen Fahrfehler (19%), Nichtbeachten der Vorfahrt (18%), ungenügender Abstand (15%) und Alkoholeinfluss (12%).
Wesentliche Faktoren sind insgesamt das Verhalten der
Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, die
Infrastruktur und die Fahrzeugtechnik (sowohl beim
Fahrrad als auch beim Kraftfahrzeug). Wieweit auch die
unterschiedliche Erfahrung von Radfahrern unterschiedlichen Alters eine Rolle spielt, ist noch nicht so genau
erforscht.
Auch der Nationale Radverkehrsplan 2020 der Bundesregierung benennt allgemeine unfallfördernde Faktoren:
„Andere vermeintliche ,Kavaliersdelikte‘, wie zum Beispiel Geschwindigkeitsübertretungen oder das Parken
auf Radwegen, können erhebliche Gefahren im Verkehr
darstellen.“ (NRVP 2020, S. 30)
Bei fast allen Unfällen spielt in irgendeiner Weise die
nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit eine Rolle. Bei
geringer Geschwindigkeit hätte oft noch rechtzeitig gebremst oder ausgewichen werden können, um die Kollision zu vermeiden. Und je höher die Geschwindigkeit
(v.a. der Kfz) ist, desto schwerwiegender sind die Verletzungsfolgen. Das Überraschungsmoment durch zu hohe
Geschwindigkeit wird begünstigt durch Sichthindernisse, v.a. durch abgestellte Kfz. Das gilt besonders an den
Einmündungen. Das nötige Sichtdreieck wird oft nicht
konsequent von parkenden Fahrzeugen frei gehalten,
wenn es darum geht den Konfliktpunkt von rechtsabbiegenden Kfz-Lenkern und geradeaus fahrenden Radfahrern zu vermeiden. „Ruhender Pkw-Verkehr“ ist als
Sichthindernis ein Unsicherheitsfaktor, beim Überqueren der Fahrbahn zu Fuß ebenso wie beim Rad fahren
hinter parkenden Kfz. Sicherheit bedeutet Sichtbarkeit.
Alleinunfälle
Die polizeiliche Unfallstatistik stößt gerade beim Fahrradverkehr an ihre Grenzen, weil vermutlich sehr viele Fahrradunfälle gar nicht polizeilich gemeldet werden, da es außer dem Unfallopfer keine weiteren Beteiligten gibt. Deshalb erfasste u.a. die Fahrradunfallstudie
zu Münster alle verletzten Fahrradfahrer, die sich in der
Notaufnahme eines Münsteraner Krankenhauses behandeln ließen und verglich diese Zahl mit den polizeilich
gemeldeten Unfallzahlen.
Fast 70% der Unfälle wurden demnach nicht polizeilich
erfasst. Unfallpatienten, die nicht im Krankenhaus, sondern in Arztpraxen kamen, wurden dabei noch nicht berücksichtigt – die reale Unfallzahl könnte deshalb noch
höher sein. Eine ähnliche Studie aus der Schweiz kommt
zu dem Ergebnis, dass sogar nur etwa jeder achte Unfall
der eidgenössischen Polizei gemeldet wird.
Gesicherte Querung eines links liegenden Zweirichtungsradwegs
(Arnheim, Niederlande)
Zum Weiterlesen
Aktuelle Informationen der Unfallforschung der Versicherer (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft):
www.udv.de/verkehrsinfrastruktur/schwache-verkehrsteilnehmer/
radfahrer
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Besonders kritisch sind Absperrpfosten auf dem Radweg,
die das Befahren oder Beparken durch Kfz verhindern
sollen, von Radfahrern – gerade in Gruppen fahrend –
häufig aber nicht gesehen werden. Die niederländische
Städte Zwolle und Amersfoort hat daher Websites zur
FGSV (2010): ERA – Empfehlungen für Radverkehrsanlagen,
Köln
BMVBS (2012): Nationaler Radverkehrsplan (NRVP) 2020,
Berlin
Forschung Radverkehr – Analysen A-6/2012
Meldung überflüssiger Pfosten eingerichtet (z.B. www.
zwolle.nl/fietspalen). 3500 Vorschläge bezogen sich auf
das Entfernen und 500 auf das Versetzen von Pfosten.
Als Sofortmaßnahme wurden in Amersfoort 90 Poller
nach dem Ende der Winterdienstperiode auf den Radwegen nicht wieder eingesetzt.
heute in Deutschland ein Konsens über die Grundzüge
sicherer Radverkehrsanlagen. Dieser ist in der deutschen
Straßenverkehrsordnung (StVO) sowie in den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) der Forschungsgesellschaft Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) dokumentiert und findet immer breitere Umsetzung.
In einer umfangreichen Studie der Bundesanstalt für
Straßenwesen (BASt) wurden auf ca. 100 repräsentativen
Straßenabschnitten fast 39.000 Radfahrer beobachtet
und verschiedene Typen im Hinblick auf die Sicherheit
der Radverkehrsanlagen untersucht. Etwa 1.000 Verfolgungsfahrten sollten Regelübertretungen und Gefahrensituationen feststellen. Vor-Ort- und Telefoninterviews
lieferten weitere Erkenntnisse über Regelkunde und
-akzeptanz sowie die Einstellungen von Fahrradfahrern.
Kontrastreich gestaltete Poller (Amsterdam)
Rechts abbiegende Lkw
All dies gibt einen guten Überblick über die Effekte
sicherer und unsicherer Infrastruktur im Wechselspiel
mit dem Verhalten (Regelakzeptanz). Die erhobenen
Daten ermöglichen einen genaueren Vergleich der Verkehrssicherheit von verschiedenen Führungsformen, als
es bisher möglich war.
Besonders tragisch enden Unfälle zwischen rechtsabbiegenden Lkw und geradeaus fahrenden Radfahrern.
Grundproblem ist der sogenannte Tote Winkel der Lkw.
Seitlich am Fahrzeug vorbei fahrende Radfahrer werden
oft nicht gesehen. Diese Unfälle sind relativ selten und
nicht an besonderen Punkten konzentriert, sie machen
jedoch einen hohen Anteil bei den tödlich verunglückten Radfahrern aus.
Über zusätzliche Spiegel, elektronische Warngeräte und
Unterfahrschutz wird viel diskutiert, unklar ist jedoch,
inwieweit Warngeräte und Spiegel angesichts der Reizüberflutung für die Lkw-Lenker beim Abbiegen wirksam
sind. Um bis zu drei Meter vorgezogene Haltelinien für
den Radverkehr könnten eventuell diesen Konflikt entschärfen helfen, indem sie eine Aufstellfläche im Sichtfeld der Kfz-Lenker schaffen. Auf jeden Fall gehört die
Sensibilisierung der Radfahrer, besonders der Kinder, für
dieses Unfallrisiko zum Grundbestandteil der Verkehrssicherheitsaufklärung.
Sicherheitsrisiken aus Infrastruktur und
Verhalten
Eine der Grundvoraussetzungen für sicheren Radverkehr ist eine sichere Infrastruktur. Vor dem Hintergrund
jahrzehntelanger Unfall- und Verkehrsforschung besteht
Alrutz, D., Bohle, W. u.a., (2009): Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern. BASt-Berichte Nr. V 184, Bergisch
Gladbach
UDV – Unfallforschung der Versicherer (Hrsg.) (2008): Verbesserung der Verkehrssicherheit in Münster. Studie des Planerbüros Südstadt / P3 Agentur, Berlin
Forschung Radverkehr – Analysen A-6/2012
Vorfahrspur und Aufstellfläche zum sicheren Linksabbiegen und
Geradeausfahren (Offenburg)
Die Unfallraten auf Straßen mit Radwegen streuen sehr
stark, d.h. die Sicherheit oder Unsicherheit liegt jeweils
im Detail, das über die Qualität der Radverkehrsanlage entscheidet. Das bedeutet für die Planung der meisten Straßen: lieber keinen Radweg als einen in schlechter Qualität.
Entgegen vielfacher Vermutung weisen Straßen mit
Schutzstreifen recht geringe Unfallraten auf, vermutlich
aufgrund der guten Sichtbarkeit des Radverkehrs für KfzLenker. Unterschätzt werden dagegen die Risiken der
Benutzung links liegender Radwege bzw. der Nutzung
von Radwegen in die falsche Richtung. Hier besteht ein
Statistisches Bundesamt: Zweiradunfälle im Straßenverkehr,
Wiesbaden 2011
Pucher, J., Buehler, R. (Hrsg.) (2012): City Cycling. Cambridge,
MA, MIT Press (internationaler Überblick, in Englisch)
Bildrechte: Jörg Thiemann-Linden
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vier- bis sechsfach höheres Risiko als auf der richtigen Seite; planerisch besteht also ein besonderer Bedarf der Sicherung der Zweirichtungsradwege an den Einmündungen, z.B. durch Aufpflasterungen.
Grundsätzlich sollten diese Radwege innerorts vermieden werden. Auch Fahren auf dem Gehweg ist
gefährlicher als angenommen, insbesondere an
Grundstücksausfahrten durch die eingeschränkter Sicht. Eine übersichtliche und klar erkennbare Radverkehrsführung, vorzugsweise auf der Fahrbahn, kann also die Sicherheit verbessern.
Die neue technische Entwicklung elektrounterstützten Fahrräder (Pedelecs) könnte mit zusätzlichen Unfallrisiken verbunden sein. Auch wenn die große Gruppe der Senioren nach niederländischen Erfahrungen mit den Pedelecs kaum schneller fährt als 20
km/h, stellt sich doch die Frage nach der Erhöhung der
Durchschnittgeschwindigkeit mit zusätzlichen Überholvorgängen und dem Bedarf Pedelec-tauglicher Infrastruktur. Auch die Fahrradkonstruktion muss stabiler
werden. Herkömmliche Fahrräder vertragen meist keine Nachrüstung zur Elektrounterstützung. Andere Verkehrsteilnehmer sind oft (noch) nicht auf höhere Fahrgeschwindigkeiten von Pedelec-Nutzern eingestellt.
Planerische Schlussfolgerungen
Als Maßnahmen zur Verringerung von Radfahrerunfällen
empfiehlt die Unfallforschung der Versicherer (UDV):
• sachgerechter Aus- und Umbau der Verkehrsanlagen,
• Modifizierung der Ampelsteuerungen (geschützte
Phasen für Fußgänger und Radfahrer),
• max. 50 km/h auf innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen mit auffälligem Unfallgeschehen bei
gleichzeitiger stationärer Überwachung,
• mehr Kontrollen an Ampeln von Rotlichtverstößen von Radfahrern und Kraftfahrern,
• mehr Alkoholkontrollen auch bei Radfahrern.
Fahrradnutzung und tödlich verunfallte Radfahrer in den Niederlanden (Quelle: Pucher, J., Buehler, R. (2008): Making Cycling
Irresistible. Lessons from the Netherlands, Denmark, and Germany.
Transport Reviews, Bd. 28, Nr. 4, 2008, S. 495-528.)
Technologie für Radverkehrssicherheit
Sicherheitstechnik für den Radverkehr ist zunehmend
Gegenstand der Forschung und Entwicklung in Europa. Dies betrifft Außenairbags an Kfz, Warnsysteme (z.B.
für sich öffnende Türen) und Abbiegeassistenz für Lkw.
Für Radfahrer wurde neben dem eingeführten Fahrradhelm ein sich blitzschnell aufblasender Kopf-Airbag entwickelt. Ein neues EU-Projekt SAFECYCLE systematisiert
über 100 technische Ansätze und gibt Empfehlungen für
die Standardisierung und benennt Forschungsbedarf.
Fazit
Radfahrer werden v.a. durch abbiegende und einbiegende Kfz gefährdet bzw. gefährden sich selbst durch
Nutzung von Radwegen in der falschen Richtung,
durch Nichtbeachtung von Verkehrsegeln und durch
Alkoholeinfluss beim Radfahren. Unzureichende Infrastruktur, abgestellte Kfz und hohe Fahrgeschwindigkeiten der Kfz-Lenker spielen eine zusätzliche Rolle. Alleinunfallrisiken wie z.B. an Pfosten auf dem Radweg
und anderen Mängeln der Infrastruktur werden allgemein unterschätzt. Langfristig muss zudem durch eine
Kombination aus Kommunikation, Verkehrserziehung
und Kontrolle das Verkehrsklima zwischen Fußgängern, Radfahrern und Kraftfahrern verbessert werden.
Gefördert durch:
Mehr zum Thema finden Sie in den Ausgaben
I-8 Sicher Rad fahren auf Außerortsstraßen
S-5 Mobilität der Kinder, Verkehrserziehung
S-6 Verkehrssicherheitskampagnen
Forschung Radverkehr steht Ihnen auch online zur Verfügung:
www.nrvp.de/for
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Impressum
Herausgeber: Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) gGmbH
Zimmerstraße 13–15, 10969 Berlin
Arbeitsbereich Mobilität und Infrastruktur
Redaktion: Sebastian Korn, Jörg Thiemann-Linden
Auflage: 500
forschung-radverkehr@difu.de
Forschung Radverkehr – Analysen A-6/2012