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Datum
13.12.2016
Erstellt
12.12.16, 11:01
Aktualisiert
12.12.16, 11:01
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Städte- und Gemeindebund NRW•Postfach 10 39 52•40030 Düsseldorf
Schnellbrief 218/2016
An die
Mitgliedsstädte und -gemeinden
Postfach 10 39 52•40030 Düsseldorf
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40474 Düsseldorf
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Telefax 0211•4587-211
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Internet: www.kommunen-in-nrw.de
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Ansprechpartner:
Hauptreferent Dr. Peter Queitsch
Durchwahl 0211•4587-237
_
26. Juli 2016
Einschaltung Dritter bei dem Betrieb des öffentlichen Kanalnetzes;
hier: Kanalnetzübernahme durch sondergesetzliche Wasserverbände (§ 52 Abs. 2
LWG NRW) und Einschaltung privater Dritter
Sehr geehrte Damen und Herren Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
Am 16.07.2016 ist das neue Landeswassergesetz NRW 2016 in Kraft getreten (Art.1 des Gesetzes zur Änderung wasser- und wasserverbandsrechtlicher Vorschiften vom 08.07.2016 - GV
NRW 2016, S. 559 ff.).
In § 52 Abs. 2 LWG NRW wird die Möglichkeit geregelt, dass eine Stadt bzw. Gemeinde, die
Mitglied eines sondergesetzlichen Wasserverbandes ist (§ 53 LWG NRW) ihre Abwasserbeseitigungspflicht bezogen auf das Sammeln und Fortleiten von Abwasser (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
LWG NRW) für das gesamte Gemeindegebiet auf den sondergesetzlichen Wasserverband (§ 53
LWG NRW) mit dessen Zustimmung übertragen kann (§ 52 Abs. 2 Satz 1 LWG NRW). Alle anderen Pflichten des § 46 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW sollen bei der Stadt bzw. Gemeinde verbleiben.
Diese sog. Kanalnetzübernahme ist keine Pflicht. Ein sondergesetzlicher Wasserverband hat
auch kein Recht eine sog. Kanalnetzübernahme einzufordern.
1. Ausgangslage
Die sog. Kanalnetzübernahme von Städten und Gemeinden durch sondergesetzliche Wasserverbände hatte der Landesgesetzgeber im Jahr 2007 durch eine Gesetzesänderung der sondergesetzlichen Wasserverbandsgesetze verboten (GV NRW 2007, S. 716 ff. – in Kraft getreten
12.12.2007). Nunmehr hat der Landtag NRW dieses Verbot in den sondergesetzlichen Wasserverbandsgesetzen wieder aufgehoben. In § 52 Abs. 2 LWG NRW 2016 wurde eine neue Rechtsgrundlage geschaffen und die sondergesetzlichen Verbandsgesetze wurden erneut entsprechend geändert (Art. 3 bis Art. 11 des Gesetzes zur Änderung wasser- und wasserverbandsrechtlicher Vorschriften vom 08.07.2016; GV NRW 2016, S. 559 ff.)
Der Landtag NRW hat die Möglichkeit der Kanalnetzübernahme durch die sondergesetzlichen
Wasserverbände (LT-Drucksache 16/12368 , S. 54, S. 290) entgegen dem Entwurf der Landesregierung (LT-Drucksache 16/10799) in das LWG NRW aufgenommen. Die Landesregierung hatte
die im ursprünglichen Referenten-Entwurf enthaltene Regelung (Stand: 23.06.2016) nicht in
Diesen Schnellbrief und weitere tagesaktuelle Informationen, Gesetzesvorlagen und -texte, Mustersatzungen und
-dienstanweisungen etc. aus dem kommunalen Bereich finden Sie im kostenlosen Intranet des StGB NRW. Die Zugangsdaten hierfür erhalten Sie im Hauptamt Ihrer Kommune .
S. 2 v. 6
die Kabinettsfassung (LT-Drucksache 16/10799) aufgenommen, weil durch ein Rechtsgutachten vom 22.09.2015 insbesondere auf die beitrags- und gebührenrechtlichen Prozessrisiken
hingewiesen worden war. Hierzu gehörte insbesondere, dass eine Gemeinde die Befugnis zur
Gebührenerhebung verliert, wenn sie die Aufgabe des Betriebes des öffentlichen Kanalnetzes
auf einen sondergesetzlichen Wasserverband abgibt, denn wer eine Aufgabe abgibt und nicht
mehr inne hat, der hat auch keine Befugnis zur Gebührenerhebung mehr (so: OVG NRW, Urteile vom 21.02.1990 – Az.: 2 A 2519/86 und 15.7.1991 – Az.: 9 A 2117/89 – Schmidt, StGRat
1992, S. 119 ff.).
Deshalb wurde durch den Landtag NRW neben dem § 52 Abs. 2 LWG NRW zusätzlich der § 54
Satz 2 Nr. 8 LWG NRW neu in das LWG NRW aufgenommen, wonach zu den ansatzfähigen Kosten bei der Erhebung der Abwassergebühren auch die Kosten für die Wahrnehmung der bei
der Gemeinde verbliebenen Pflichten in den Fällen des § 52 LWG NRW gehören.
Gleichwohl kann zurzeit aus folgenden Gründen nicht empfohlen werden, den Weg der sog.
Kanalnetzübernahme zu beschreiten:
2. Vergaberechtliches Prozessrisiko
Der Landesgesetzgeber (LT-Drucksache 16/12368, S. 290 f.) ist der Auffassung, dass die Kanalnetzübernahme durch sondergesetzliche Wasserverbände eine hoheitliche Aufgabendelegation zwischen zwei öffentlichen Stellen darstellt und deshalb EU-rechtlich keiner Ausschreibungspflicht unterliegt. Gleichwohl wird es nicht ausgeschlossen werden können, dass Privatunternehmen ein Vergabenachprüfungsverfahren anstrengen, weil sie den Rechtsstandpunkt
einnehmen, dass eine öffentliche Ausschreibung hätte durchgeführt werden müssen. Der BGH
hat jedenfalls mit Beschluss vom 18.06.2012 (– Az.: X ZB 9/11 –) klargestellt, dass der Rechtsweg zu den Vergabennachprüfungsinstanzen gegeben ist, soweit ein Anspruch auf Einhaltung
der Vergabe-Vorschriften darauf gestützt wird, dass die angekündigte Beschaffung von Entsorgungsdienstleistungen (hier: Vergabe einer Dienstleistungskonzession) gesetzeswidrig ist.
Wird demnach bezogen auf den § 52 Abs. 2 LWG NRW vorgetragen, dass das Vergaberecht umgangen wird, so kann dieses grundsätzlich vor den Vergabenachprüfungsinstanzen geltend gemacht werden. In Anknüpfung hieran kann somit auch im Grundsatz durch ein Privatunternehmen vorgetragen werden, dass mit der Inanspruchnahme der gesetzlichen Regelung in §
52 Abs. 2 LWG NRW eine Umgehung des öffentlichen Vergaberechts verbunden ist. Dieses gilt
selbst dann, wenn diese Argumentation des Privatunternehmens letzten Endes nicht tragen
sollte, weil § 52 Abs. 2 LWG NRW jedenfalls eine Aufgabendelegation regeln soll (vgl. LT-Drucksache 16/12368 , S. 54, S. 290). Zumindest besteht ein vergaberechtliches Prozessrisiko.
3. Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen unzulässig (§ 8 KAG NRW)
Die Errichtung und der Betrieb von Neuanlagen soll nach einer sog. Kanalnetzübernahme die
Aufgabe des sondergesetzlichen Wasserverbandes sein (LT-Drucksache 16/12368, S. 291). Damit ist die Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen nach einer erfolgten Kanalnetzübernahme
unzulässig (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.6.2008 – Az.: 15 B 699/06). § 8 KAG NRW setzt
voraus, dass der Gemeinde ein eigener Aufwand durch den Bau von Kanälen entsteht. Wenn
neu gebaute Kanäle nicht mehr in das Eigentum der Gemeinde übergehen und kein Aufwand
mehr entsteht, können auch keine Kanalanschlussbeiträge mehr erhoben werden.
Nach dem OVG NRW (Beschluss vom 30.06.2008 – Az.: 15 B 699/06) ist die Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen unzulässig, wenn die Gemeinde keinen eigenen Herstellungsaufwand
mehr hat, weil sie die Aufgabe der Abwasserbeseitigung komplett an einen Dritten abgegeben
hat, denn nach dem OVG NRW muss der Aufwand bei der Gemeinde entstehen und sie muss
das „Heft des Handelns in der Hand haben“, d. h. das Letztentscheidungsrecht über den Kanalneubau inne haben. In der weiteren Konsequenz hierzu, ist dann der Rechtsprechung des OVG
NRW (Urteile vom 17. 9. 1980 – Az.: 2 A 1653/79 –, GemHH 1982 S. 69 und vom 30. 5. 1989 –
Az.: 2 A 2920/84 –, NWVBl. 1990 S. 99 f.) Rechnung zu tragen, die dann eingreift, wenn die Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen abgeschafft wird. Diese Abschaffung des Kanalan-
S. 3 v. 6
schlussbeitrages darf nicht zu einer Doppelbelastung für diejenigen Grundstückseigentümer
führen, die bereits einen Kanalanschlussbeitrag in der Vergangenheit gezahlt haben. Deshalb
ist die Gemeinde nach dem OVG NRW verpflichtet, diese Doppelbelastung z. B. durch unterschiedlich hohe Abwassergebührensätze oder durch Rückerstattung der Kanalanschlussbeiträge zu beseitigen. Auch hieraus können für die Stadt bzw. Gemeinde beitrags- und gebührenrechtliche Prozessrisiken entstehen, etwa dann, wenn die unterschiedlichen Abwassergebührensätze keine Akzeptanz finden.
4. Umsatzsteuerpflicht (§ 2 b Abs. 3 UStG)
Es besteht für Städte und Gemeinden, die zukünftig ihr Kanalnetz an sondergesetzliche Wasserverbände abgeben, jedenfalls zurzeit zusätzlich das Risiko, die Umsatzsteuerfreiheit bezogen auf die hoheitliche Abwasserbeseitigung zu verlieren, weil eine Umsatzsteuerpflicht ausgelöst wird.
Nach § 2 b Abs. 3 UStG liegen größeren Wettbewerbsverzerrungen - die eine Umsatzsteuerpflicht rechtfertigen können - dann nicht vor, wenn die Leistungen nur, d. h. ausschließlich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erbracht werden dürfen.
Zwar obliegt die Abwasserbeseitigungspflicht nach § 56 Satz 1 WHG den juristischen Personen
des öffentlichen Rechts, die nach Landesrecht hierzu verpflichtet worden sind. Gemäß § 56
Satz 2 LWG NRW können die Länder aber zusätzlich bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Abwasserbeseitigungspflicht auch anderen als den juristischen Personen des öffentlichen Rechts obliegt. In diesem Zusammenhang kann die Abwasserbeseitigungspflicht auch
auf private Dritte wie z. B. private Grundstückseigentümer (§ 49 Abs. 4 LWG NRW) oder Gewerbebetriebe (§ 49 Abs. 6 LWG NRW) als private Rechtsubjekte übertragen werden.
Hieraus könnte die steuerrechtliche Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Leistung der
Abwasserbeseitigung nicht nur (ausschließlich) von juristischen Personen des öffentlichen
Rechts erbracht werden kann und damit die erste Alternative des § 2 b Abs. 3 UStG als nicht
erfüllt angesehen werden kann.
Auch bei dem zweiten Ausnahmetatbestand in § 2 b Abs. 3 UStG ist u. a. Voraussetzung, dass
die in Rede stehende Leistung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dient.
Insoweit könnte aus steuerrechtlicher Sicht darauf abgestellt werden, dass die zu erfüllende
Aufgabe bezogen auf die sondergesetzlichen Wasserverbände (hier: Abwasserreinigung) und
bezogen auf die Städte und Gemeinden (hier: Abwassersammlung) nicht die gleiche öffentliche Aufgabe ist, so dass eine Umsatzsteuerpflicht angenommen werden könnte.
Endgültige Klarheit kann hier nur durch das Bundesministerium für Finanzen geschaffen werden. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass § 52 Abs. 2 LWG NRW eine Aufgabendelegation regeln soll, so dass keine umsatzsteuerbare Drittleistung angenommen werden könnte,
weil der sondergesetzliche Verband eine eigene (ihm übertragene) Aufgabe erfüllt und keine
Leistung gegenüber der Stadt bzw. Gemeinde erbringt (vgl. LT-Drucksache 16/12368 , S. 54, S.
290 f.). Letzteres könnte aber wiederum steuerrechtlich in Frage gestellt werden, weil ein gesonderter Verbandsbeitrag gewissermaßen als „Entgelt“erhoben wird (§ 52 Abs. 2 Satz 8 LWG
NRW).
Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände hatte deshalb bereits in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Landtag NRW vom 04.04.2016 und mit Schreiben vom 13.06.2016
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese steuerrechtlichen Fragen einer abschließenden
und tragfähigen Klärung bedürfen, weil anderenfalls für die privaten Bürgerinnen und Bürger
durch die Auslösung der Umsatzsteuerpflicht eine Erhöhung der Abwassergebühren (maximal
um 19 %) die Folge wäre. Diese Erhöhung der Abwassergebühren (Schmutzwassergebühr, Regenwassergebühr) hätte dann die Stadt bzw. Gemeinde als „Gebühreneinzugszentrale“ gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern zu vertreten.
S. 4 v. 6
5. Gebührenrechtliche Risiken (§§ 6, 7 KAG NRW)
5.1 Rückbelastungsrisiko für den allgemeinen Haushalt
Entstehen durch eine Neu- und Umorganisation für den gebührenzahlenden Benutzer zusätzliche Kosten, so müssen diese Mehrkosten aus allgemeinen kommunalen Haushaltsmitteln
abgedeckt werden. Der gebührenrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit der Kosten beinhaltet jedenfalls den Anspruch des Gebührenzahlers, nicht mit überflüssigen und unnötigen Kosten belastet zu werden (so jedenfalls: OVG Lüneburg, Urteil vom 11.02.2000 – Az.: 9 L
5646/98). Dieses gilt auch für die Kosten, die in der Folge einer Neu- und Umorganisation entstehen.
Es empfiehlt sich deshalb, für die Gemeinde mindestens über einen Zeitraum von 20 Jahren zu
prüfen, ob die weitere Erfüllung der Aufgabe in Eigenregie kostengünstiger ist als die Beauftragung eines Dritten. Dieses gilt unabhängig davon, ob eine sog. Kanalnetzübernahme gemäß § 52 Abs. 2 LWG NRW erfolgt oder ein sonstiger Dritter mit der technischen Erfüllung der
Abwasserbeseitigungspflicht (z. B. eine Abwasser-GmbH mit 51 % Stadt und 49 % Privatunternehmen betraut wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.11.1998 – Az.: 8 B 173.98 – VGH Baden
Württemberg, Urt. vom 31. 5. 2010 – Az.: 2 S 2423/08 - ; OVG Lüneburg, Urteil vom 11.02.2000
– Az.: 9 L 5646/98).
5.2 Veräußerungsgewinn
Es ist die gebührenrechtliche Rechtsprechung zu dem sog. Veräußerungsgewinn zu beachten,
wonach sich eine Stadt/Gemeinde aus einer Neu- bzw. Umorganisation grundsätzlich keine
neuen Finanzquellen erschließen darf. Wird bei einer Übertragung des Anlagevermögens auf
einen Dritten (z. B. einem sondergesetzlichen Wasserverband oder einer Abwasser-GmbH) ein
sog. Veräußerungsgewinn erzielt, so steht dieser nicht dem allgemeinen Haushalt zur freien
Verfügung, sondern ist dem Gebührenhaushalt und damit dem Gebührenzahler wieder gutzuschreiben (so: OVG NRW, Urt. vom 14. 12. 2004 – Az.: 9 A 4187/01 –; grundlegend: Urt. vom
15. 12. 1994 – Az: 9 A 2251/93 –, NWVBl. 1995 S. 175 f., 176).
Dabei ist unter einem sog. Veräußerungsgewinn bislang ein solcher Gewinn zu verstehen, der
entsteht, wenn Anlagevermögen bereits vollständig abgeschrieben ist, aber noch einen Nutzungswert besitzt und der veräußernden Gemeinde dadurch Gewinne (Erlöse) - z. B. durch die
Zahlung eines Kaufpreises für das Anlagevermögen - zufließen (so: OVG NRW, Urteil vom
15.12.1994 – Az.: 9 A 2251/93 - ).
Diese Gewinne (Erlöse) stehen dann nach dem OVG NRW den Gebührenzahlern als Ersatz für
die entgangene (kostenlose) Nutzung der verkauften, aber noch weiter genutzten Anlagen
(z. B. Kanäle) zu (so: OVG NRW, Urteil vom 01.06.2007 – Az.: 9 A 372/06 - ; OVG NRW, Urteil
vom 24.06.2008 – Az.: 9 A 373/06).
Unter diesem Blickwinkel können Gebührenzahler sich angehalten fühlen, bei einer Kanalnetzübernahme oder bei einer Abgabe des öffentlichen Kanalnetzes an Dritte gegen Gebührenbescheide gerichtlich zu klagen, was wiederum ein zusätzliches Prozessrisiko beinhaltet.
5.3 Sonstige Erlöse
Schließlich müssen auch sonstige Erlöse bzw. Gewinne z. B. aus einer Beteiligungs-GmbH, den
Gebührenzahlern gutgeschrieben werden (so: VGH Baden Württemberg, Urt. vom 31. 5. 2010
– Az.: 2 S 2423/08). In dieser Richtung geht zwischenzeitlich auch die Rechtsprechung des OVG
NRW (Urteil vom 27.04.2015 – Az.: 9 A 2813/13 ) zumindest im Hinblick auf die BeteiligungsErlöse einer Stadt bezogen auf ihre Beteiligung an einer Müllverbrennungsanlagen-GmbH und
die von der GmbH erzielten Erlöse für den Verkauf von Fernwärme und Strom.
5.4 Gebührenrechtliche Risiken bei der Schmutzwasser-/Regenwassergebühr
S. 5 v. 6
Der Landesgesetzgeber geht davon aus, dass mit der Regelung in § 52 Abs. 2 Satz 8 LWG NRW
(gesonderte Verbandsbeitrag bei Durchführung einer sog. Kanalnetzübernahme) und der weiteren Regelung in § 54 Satz 2 Nr. 8 LWG NRW (Befugnis zur Erhebung der Gebühren bei Durchführung einer sog. Kanalnetzübernahme) keine gebührenrechtlichen Risiken für die Stadt bzw.
Gemeinde bei der Erhebung der Schmutzwassergebühr und der Niederschlagswassergebühr
(Regenwassergebühr) entstehen.
Gleichwohl kann der gebührenpflichtige Benutzer gegen den Abwassergebührenbescheid der
Gemeinde im Klagewege unter anderem mit der Begründung vorgehen, dass der vom sondergesetzlichen Wasserverband eingeforderte Verbandsbeitrag (§ 52 Abs. 2 Satz 8 LWG NRW)
rechtswidrig sei (vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.07.1997 – Az.: 9 A 2933/95 - ; VG Gelsenkirchen,
Urteil vom 13.05.2004 – Az.: 13 K 3478/93). Dabei erhebt nach der Rechtskonstruktion des §
52 Abs. 2 LWG NRW nur die Gemeinde (und nicht etwa der sondergesetzliche Wasserverband)
die Schmutzwasser- und Niederschlagswassergebühr, so dass die Gemeinde zu einer „Gebühreneinzugszentrale des Verbandes“ wird und in dieser Funktion auch die gebührenrechtlichen
Prozessrisiken alleine trägt.
6. Verlust von Steuerungsfunktionen
Bei der Abgabe des öffentlichen Kanalnetzes an den sondergesetzlichen Wasserverband (§ 52
Abs. 2 LWG NRW) oder an einen sonstigen Dritten (z. B. durch Gründung einer BeteiligungsGmbH) verliert die Stadt bzw. Gemeinde zumindest die bau- und finanztechnische Steuerung
der kostenbezogenen Schnittstellen im Hinblick auf den Bau öffentlicher Straßen und öffentlicher Kanalnetze. Insbesondere der Bau von öffentlichen Straßen und öffentlichen Abwasserkanälen ist eng miteinander verzahnt, weil öffentliche Kanäle in öffentlichen Straßen verlegt
werden.
Grundsätzlich ist nur bei einer Eigenerfüllung beider Aufgabenfelder durch die Stadt selbst
oder auch durch Tochterunternehmen (z. B. einer Anstalt des öffentlichen Rechts) sichergestellt, dass die bau- und finanztechnischen Schnittstellen insbesondere durch den zeitgleichen
Bau der öffentliche Straße und des öffentlichen Kanalnetzes bzw. deren zeitgleicher Erneuerung/Sanierung genutzt werden können (vgl. zu den Kosten der Straßenoberflächenentwässerung: Queitsch, KStZ 2015, S. 181 ff., ). Diese bau- und finanztechnischen Vorteile gehen bei einem Bau und Betrieb des Kanalnetzes durch Dritte (sondergesetzlicher Wasserverband oder
private Dritter) grundsätzlich verloren. Zumindest erzeugen sie einen zusätzlichen Abstimmungsbedarf, der bei einer eigenständigen Aufgabenerfüllung durch die Stadt bzw. Gemeinde
einschießlich ihrer Tochterunternehmen (z. B. einer Anstalt des öffentlichen Rechts) nicht entsteht.
Darüber hinaus müssen nach dem OVG NRW (Beschluss vom 09.06.2000 – Az.: 15 A 4756/96 –
OVG NRW, Beschluss vom 28.06.1991 – Az.: 2 A 1273/89 und Beschluss vom 05.09.1986 – Az.:
2 A 963/84 - ) Einsparungen bei einer zeitgleichen Erneuerung der öffentlichen Straße und der
öffentlichen Kanalisation jeweils zu 50 % dem jeweiligen Aufgabenbereich zugewiesen werden (vgl. Schneider/Rohde in: Hamacher/Lenz/Menzel/Queitsch u. a. KAG NRW, § 8 KAG NRW
Rz. 30; Queitsch, KStZ 2015, S. 181 ff., S. 188).
Diese Kostenzuordnung ist grundsätzlich zweifelsfrei nur dann möglich, wenn die Stadt bzw.
Gemeinde beide Aufgabenfelder eigenständig oder zusammen mit einer Anstalt des öffentlichen Rechts erbringt und der Straßenbau einerseits und die Abwasserbeseitigung andererseits
gewissermaßen aus einer Hand im „Konzern Stadt“ (einschließlich ihrer Tocherunternehmen)
einheitlich erbracht werden.
7. Angespannte kommunale Haushaltslage
Eine angespannte kommunale Haushaltslage stellt grundsätzlich keinen Grund dar, von der
Regelung in § 52 Abs. 2 LWG NRW oder alternativ durch Einschaltung eines sonstigen privaten
S. 6 v. 6
Dritten (§ 56 Satz 3 WHG) Gebrauch zu machen. Für den Bereich der Abwasserbeseitigung
kann z. B. eine eigenbetriebsähnliche Einrichtung oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts
gegründet werden, die als Sondervermögen der Gemeinde über eine eigene Wirtschafts- und
Rechnungsführung verfügt.
Diese eigene Wirtschafts- und Rechnungsführung beinhaltet auch, dass die Kredite im allgemeinen Haushalt im Hinblick auf die Abwasserbeseitigung der eigenbetriebsähnlichen Einrichtung zugeordnet werden und damit der allgemeine Haushalt von Kreditverpflichtungen
entlastet wird. Dabei darf insbesondere nicht verkannt werden, dass auf der Grundlage des
Gebührenrechts und der seit dem Jahr 1994 ständigen Rechtsprechung des OVG NRW für die
Gemeinde verlässliche Einnahmenquellen zu verzeichnen sind, die mit dem in § 6 KAG NRW
verankerten Kostendeckungsprinzip im Einklang stehen (z. B. Abschreibung des Anlagekapitals nach dem Wiederbeschaffungszeitwert, Verzinsung des Anlagekapitals bis zu 6,5 % für das
Jahr 2016 und für das Jahr 2017 auf der Grundlage des Berechnungsmodells des OVG NRW:
6,4 %; vgl. OVG NRW, Urt. vom 13.05.2005 – Az.: 9 A 3120/03 –; OVG NRW, Urt. vom
14.12.2004 – Az.: 9 A 4187/01 –).
Diese langfristigen und festen Einnahmequellen gehen der Gemeinde bei einer Fremderledigung der Aufgabe der Abwasserbeseitigung durch Dritte (sondergesetzlicher Wasserband oder
Privatunternehmen) endgültig verloren, wenn dem Dritten die Anlagegüter übertragen werden oder dieser neue Anlagegüter in sein Eigentum übernimmt, denn dann zahlt die Gemeinde im Regelfall nur noch den gesonderten Verbandsbeitrag (§ 52 Abs. 2 Satz 8 LWG NRW) oder
das vertraglich vereinbarte Entgelt an den privaten Dritten.
Die kalkulatorische Abschreibung und kalkulatorische Verzinsung gemäß § 6 Abs. 2 Satz 4
KAG NRW fällt hingegen endgültig und ersatzlos weg.
Vor diesem Hintergrund ist der Eigenerfüllung der Abwasserbeseitigung durch die Stadt bzw.
Gemeinde in den Rechtsformen des Regiebetriebs, der eigenbetriebsähnlichen Einrichtung
oder in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts der Vorzug zu geben.
Vor allem wird bei einer Eigenerfüllung durch die Stadt bzw. Gemeinde die Aufgaben- und
Kostensteuerungsfunktion nicht aus der Hand gegeben, was bezogen auf die Entwicklung der
Höhe der Schmutzwasser- und Niederschlagswassergebühren von besonderer Bedeutung ist.
Alternativ hierzu kann durch eine Stadt bzw. Gemeinde auch geprüft werden, ob eine interkommunale Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) mit (benachbarten) Gemeinden auf der
Grundlage des § 52 Abs. 1 LWG NRW, §§ 27, 28 GKG NRW) gegründet wird. Ein Beispiel hierfür
ist die interkommunale Anstalt des öffentlichen Rechts der Stadt Telgte sowie den Gemeinden
Everswinkel und Ostbevern. Hierdurch wird die Aufgaben- und Kostensteuerungsfunktion
durch die Mitwirkung in der gemeinsamen AöR gewährleistet. Ebenso wie bei der möglichen
Gründung eines Zweckverbandes kann sichergestellt werden, dass eine Abrechnung der Kosten nach den jeweiligen Gemeindegebieten erfolgt und die Gemeinde die konkrete Aufgabenerfüllung und die damit verbundenen Kosten für ihr Gemeindegebiet steuert. Gleichzeitig
wird sichergestellt, dass die Stadt bzw. Gemeinde nicht nur die Funktion einer reinen Gebühreneinzugszentrale einnimmt, d. h. den Unmut der gebührenpflichtigen Benutzer allein entgegenzunehmen hat und die Prozessrisiken bei Kostensteigerungen ganz allein auf ihren
Schultern tragen muss.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bernd Jürgen Schneider