Daten
Kommune
Pulheim
Größe
167 kB
Datum
12.06.2012
Erstellt
04.06.12, 19:10
Aktualisiert
04.06.12, 19:10
Stichworte
Inhalt der Datei
Vorlage Nr.:
174/2012
Erstellt am:
18.05.2012
Aktenzeichen:
Verfasser/in:
Mitteilungsvorlage
Gremium
Ausschuss für Bildung, Kultur, Sport und Freizeit
TOP
ö. Sitzung
X
nö. Sitzung
Termin
12.06.2012
Betreff
Synagogenprojekte - Vorschau
Veranlasser/in / Antragsteller/in: Angelika Schallenberg
Mitteilung
16. Mai: 7. Berlin Biennale, KW Institute for Contemporary Art
Beim Betreten des Innenhofs Berliner Kunstwerke fällt der erste Blick auf zwei junge Birken in Pflanzkübeln. Die Ausschilderung weist sie als Kunstprojekt aus: „Im November 2011 brachte der Künstler Lukasz Surowiec 320 Birken aus
dem Gebiet um die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau nach Berlin um gegen das Vergessen zu arbeiten. Die Bäume
sind über den Stadtraum Berlin verteilt. Das Projekt wird fortgesetzt und weitere Orte folgen demnächst.“ Im obersten
Stock der Kunstwerke kann man sich seinen eigenen Birkensämling aus Hunderten aussuchen, die Pflegeanleitung wird
mitgereicht.
Im Treppenhaus der Kunstwerke die Begegnung mit einem Kunsthistoriker. Er hat das Projekt über lange Jahre als
Journalist begleitet. Der Gesprächsauftakt ist unvermeidlich: „Was macht Stommeln?“ Die Antwort, es werde nach
zwanzig Jahren nicht einfacher, ruft Verwunderung hervor: Man solle doch annehmen, dass es nach so vielen Jahren
leichter werde oder zumindest doch beiläufiger.
Beiläufigkeit und die Leichtigkeit von Routine widersprechen dem Selbstverständnis eines Projektes, das sich von Anfang an über das Spannungsverhältnis zu Kunstbetrieb und Gedächtniskultur definiert; das sich gegen die Mechanismen
des Kunstmarkts abgrenzt und die Veränderlichkeit des kollektiven Bewusstseins als grundlegend voraussetzt.
„Abseits des laufenden Kulturbetriebs mit seinen monumentalen Bauten und Ausstellungssuperlativen will der Kunstraum Synagoge Stommeln einen anderen Weg einschlagen, den Weg der Reduktion: ein Ort – ein Raum – eine Arbeit“
(Konzept 1990/91)
„Das Projekt ist der Idee verpflichtet, einen Mosaikstein zu einer Ethik der Erinnerung beizutragen. Der Umgang mit
Geschichte darf nicht in resignativer Erstarrung zu münden. Stellen wir uns der Herausforderung, Spuren zu suchen, sie
wiederholt und wiederholt zu markieren, erneut zu lesen, zu befragen, dann sind Verdrängen und Vergessen obsolet.
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Die Inszenierungen der Kunst in der Synagoge können Aufschluss geben über die Prozessualität des Erinnerns und die
Einsicht stärken, dass ein kollektives Gedächtnis sich beständig zu verändern hat. An diesem Prozess mitzuwirken ist
die Herausforderung an die Gegenwartskunst.“ (G. Dornseifer in: Art Projects Synagoge Stommeln, Ostfildern-Ruit
2000, S. 17)
Nach einer insgesamt zwanzigjährigen Projektdauer ist es an der Zeit, das Wechselverhältnis aller drei Mitspieler einer
kritischen Revision zu unterziehen.
Anders als die Bestandsanalyse in 2011, die mittels Fotoausstellung und Symposium unternommen wurde und sich auf
das Synagogenprojekt beschränkte, soll an dieser Stelle versucht werden, einige Entwicklungen und Veränderungen der
Faktoren Kunstbetrieb und Gedächtniskultur zu beschreiben und deren Auswirkungen auf das Synagogenprojekt.
1)
Was 1990/91 als Konzept der Abgrenzung gegen den Kunstmarkt formuliert wurde, lässt sich rückblickend nur als Anfängernaivität oder prophetisch bezeichnen. Von heute aus rückblickend lässt sich das, was 1991 als „Ausstellungssuperlative“ bezeichnet wurde, nur als doch recht überschaubarer Spielplatz bezeichnen. Zahl und Umfang der Kunstgroßprojekte hat sich seit 1991 vervielfacht. Damals beschränkte sich eine Aufzählung der Großereignisse auf eine Handvoll,
darunter die Biennalen Venedig, Sydney, Sao Paulo, die documenta, das Skulpturenprojekt Münster. Heute gibt es alleine rund 200 Biennalen weltweit. Um nur einige Beispiele zu nennen: Nach 1991 entstanden unter anderem die Biennalen von Melbourne (1995), Shanghai (1996), Berlin (1998), Liverpool (1999), London (2000), Beijing (2003).
Kunstmarkt und -betrieb sind hektischer denn je, die Akteure immer geschäftig, immer unterwegs auf einer nicht enden
wollenden Reise: zum nächsten Großereignis, zur nächsten Vernissage.
2)
Auch die Erinnerungskultur hat sich verändert. In Kurzfassung: Der Sozialpsychologe Harald Welzer (Direktor des „Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen) fordert, die Erinnerungskultur
brauche „eine Modernisierung, um nicht in Musealität und leeren Ritualen zu erstarren.“ (Vortrag vom 15. Mai, Ankündigung der Zentralbibliothek) Die Gedächtnisstätten an sich hätten erfolgreiche Arbeit geleistet, die Erinnerung an den
Holocaust sei fest in der Gesellschaft verankert, aber die Verwendung von „immer denselben Sprachformeln und Betroffenheitsbekundungen“ (KSTA, 15. Mai) konterkariere die Erfolge der Erinnerungskultur und schade der politischen Bildung eher.
Auch die Zahl der Kunstprojekte, die sich mit Nationalsozialismus und Holocaust auseinandersetzen, hat sich vervielfacht. Die Synagoge ist nicht mehr eines von wenigen Projekten, dafür eines der ältesten geworden.
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Alleine in Berlin wimmelt es nur so von künstlerischen Gestaltungen: Das größte ist Peter Eisenmanns Stelenfeld „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ (2003-2005, der ursprüngliche Entwurf stammte aus der Zusammenarbeit mit Richard Serra). Daniel Libeskinds jüdische Museum (2001) behauptet schon nur durch seine
Architektur inklusive eines weiteren Stelenfeldes „Garten des Exils“, durchaus einen künstlerischen Anspruch,
enthält aber auch im Inneren zahlreiche kleinere künstlerische Gestaltungen (z.B. von Menashe Kadishman
„Shalechet – Gefallenes Laub“).
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Hinzu kommen weitere Mahnmale für andere Opfer-Gruppen, z. B. „Denkmal für die im Nationalsozialismus
verfolgten Homosexuellen von Elmgreen und Dragset im Berliner Tiergarten (2008).
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In Saarbrücken entstand bereits 1993 Jochen Gerz’ „Mahnmal gegen Rassismus, Günther Demnigs verfolgt
sein Stolpersteinprojekt seit 1992.
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Wien realisierte 2000 das Holocaust-Mahnmal „Die versunkene Bibliothek“ von Rachel Whiteread auf dem Judenplatz.
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Seit Jüngstem wird der Säulensaal der Abtei Brauweiler als Raum für ortsbezogene Kunstprojekte genutzt –
und auch hier wird explizit auf die Nutzung der Abtei als KZ hingewiesen.
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Des weiteren basieren zahlreiche Werke oder Ausstellungen auf der Holocaust-Thematik ohne als Auftragsarbeit oder aus einem unmittelbaren Ortsbezug heraus entstanden zu sein. Zu den interessantesten gehören Michaela Melians Hörspiel „Föhrenwald“ (2005, über die Umnutzungen des ehemaligen Lagers in der Nachkriegszeit), mehrere Video-Arbeiten von Arthur Zmijewski (u.a. „Berek“) oder die Ausstellung „After Images“
2004 in Bremen, die feststellt, dass unser Bezug auf den Nationalsozialismus mittlerweile aus „zweiter“ Hand
stammt, über die Medien vermittelt ist.
3)
Mit Burens Arbeit „Multiplikationen. Arbeit in situ für eine Synagoge“ ist ein Niveau der Selbstreflexion erreicht, hinter das
zukünftige Arbeiten nicht mehr zurückfallen dürfen.
Burens Arbeit thematisiert das Verhältnis des historischen Raumes Synagoge zur Ausstellungsinstitution auf eine Weise,
die nahezu einen Endpunkt des Denkbaren darstellt. Was kann noch auf Selbstreflexion (Selbsterkenntnis) folgen als
das Verschwinden (eines Problems, Problemfeldes?)
Burens Arbeiten selbst thematisieren das Verschwinden des Werks hinter dem Ort, auf den seine Eingriffe alle Aufmerksamkeit lenken. (Die Kurzbeschreibung von Burens Werk entstammt einem Symposium zu Yvonne Rainer im Museum
Ludwig. 5. Mai, Frage aus dem Publikum in Anschluss an einen Vortrag von Heimo Zobernig). Welche künstlerische
Haltung ist nach dieser radikalen Lösung überhaupt noch vorstellbar, - die nicht hinter Buren zurück fällt, naiv wirkt im
Vergleich zu dessen Radikalität?
Mehrere Künstler wurden in den letzten Monaten angefragt; ohne dass sich daraus eine Zusammenarbeit ergeben hat.
Einige Anfragen wurden mit Hinweis auf Krankheit oder Zeitmangel zurück gestellt, andere wegen unvereinbarer Vorstellungen oder Interessen.
Unglücklicherweise kommt die Generation in die Jahre, aus der sich die meisten Synagogenkünstler rekrutiert haben;
die Generation der in den 60er Jahren aktiven Künstler, die Kunstgeschichte geschrieben haben und gleichzeitig noch
Zeitzeugen des Holocaust bzw. dessen unmittelbare Nachfahren sind.
Das Synagogenprojekt hat immer auf Qualität statt Quantität gesetzt. Die Form, die dem Synagogenprojekt vor 20 Jahren gegeben wurde, muss auf die Veränderung der äußeren Gegebenheiten reagieren, um weiterhin die künstlerische
Qualität und die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung zu gewähren. Wenn die Marktmechanismen übermächtig werden, muss sich das Synagogenprojekt ihnen entziehen und Festgefahrenes aufbrechen.
Gerade angesichts der Allgegenwart künstlerischer Auseinandersetzungen mit dem Thema Holocaust – siehe Lukasz
Surowiec Birken/Birkenau-Projekt – muss zunächst die Frage gestellt werden, ob es nicht Aufgabe des Synagogenprojekts sein muss, aus der Leichtig- und Beiläufigkeit des Gedenkens auszusteigen, eine Zäsur zu wagen und einen anderen Weg zu suchen, - um den eigenen Anspruch und die Glaubwürdigkeit in der Auseinandersetzung zu bewahren.
Burens Arbeit – die Spiegel, die Bewegung im Raum nicht nur wiedergeben, sondern provozieren und damit vom statischen Kunstwerk wegführen – legte von Anfang an den Gedanken nahe, ob es jetzt nicht in einer anderen Gattung – wie
Performance – weiter gehen müsse.
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Für 2012 wurde deshalb mit Christoph Keller ein Gastkurator in die Entscheidungsfindung einbezogen. Keller hat in der
Tat einen breit gefächerten und gattungsübergreifenden Hintergrund. Er hat sich als Verleger, Buchgestalter und Ausstellungsmacher einen Namen gemacht. 1998 gründete er den Verlag „Revolver – Archiv für aktuelle Kunst“, den er bis
2005 leitete und der zu den renommiertesten deutschen Kunstverlagen zählte. Seit 2006 gibt Keller die Künstlerbücher
in der Reihe der Christoph Keller Editions für den Schweizer Kunstverlag JRP/Ringier heraus (u. a. Roman Ondak, Jonathan Monk, Korpys/Löffler, Aglaia Konrad, Jonathan Meese, Rodney Graham, Johannes Wohnseifer, Christian
Jankowski, Mischa Kuball und Hinrich Sachs). Er wurde als erster Nicht-Schweizer vom Schweizer Bundesamt für Kultur
mit dem renommierten Jan-Tschichold-Preis für Buchgestaltung ausgezeichnet.
Als Kurator war Keller am Zentrum für Kunst- und Medientechnologie Karlsruhe tätig, hatte Lehrtätigkeiten u. a. an der
Städelschule Frankfurt a. M. inne sowie eine Professur für Typografie und künstlerisches Publizieren an der Hochschule
für bildende Künste Hamburg.
Keller lebt heute als Verleger, Designer, Kurator und Schnapsbrenner am Bodensee.
Es wurden erste Gespräche mit Mischa Kuball geführt, der die Sitzung am 12. Juni begleiten wird. Gegebenenfalls kann
bei dieser Gelegenheit bereits ein erstes Konzept zum weiteren Vorgehen vorgestellt werden.
Florian Herpel
(Dezernent)
Angelika Schallenberg
(Abteilungsleiterin)
Ilona Bunk
(Amtsleiterin)