Daten
Kommune
Brühl
Größe
211 kB
Datum
22.11.2012
Erstellt
13.11.12, 19:10
Aktualisiert
13.11.12, 19:10
Stichworte
Inhalt der Datei
Stadt Brühl
öffentliche
Vorlage
Der Bürgermeister
Dienststelle
Aktenzeichen
Datum
Vorlagen-Nr.
40/1
51.35.05
30.10.2012
152/2012
()
Betreff
Hilfen zur Erziehung
hier: Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a SGB
VIII
Beratungsfolge
Jugendhilfeausschuss
Finanzielle Auswirkungen
x
x Ja
Nein
Mittel stehen zur Verfügung bei SK / KST 533201/36030300
Mittel stehen nicht zur Verfügung
Über-/außerplanmäßige Aufwendungen/Auszahlungen
Sachkonto / Kostenstelle
Beschlussentwurf:
Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Bericht des Bürgermeisters zur Kenntnis.
Erläuterungen:
1. Gesetzliche Grundlage der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
In § 35a SGB VIII werden die Anspruchsberechtigung, Bewilligungskriterien und Gestaltung der
Eingliederungshilfe wie folgt beschrieben:
„(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn
1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem
für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieses Buches sind Kinder oder Jugendliche,
bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.
(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat
der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme
1. eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2. eines Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder
3. eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung KrankBgm.
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heitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst
oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.
(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall
1. in ambulanter Form,
2. in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3. durch geeignete Pflegepersonen und
4. in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet…“
2. Prüfungsverfahren
Kinder, Jugendliche und junge Volljährige haben demnach einen Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn durch einen entsprechenden Facharzt eine psychische Erkrankung oder Entwicklungsstörung auf Grundlage der „Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10)“ diagnostiziert
wurde und diese Erkrankung so schwerwiegend ist, dass seitens des Jugendamtes Auswirkungen
auf die soziale Teilhabe des jungen Menschen festgestellt werden. Zwischen der diagnostizierten
psychischen Erkrankung bzw. Entwicklungsstörung und den sozialen Auswirkungen muss im
Rahmen des Prüfungsverfahrens seitens des Jugendamtes ein Ursache- Wirkungs- Verhältnis
festgestellt werden. Wird dieses bestätigt, kann sozialrechtlich eine seelische Behinderung festgestellt werden.
In jedem Prüfungsverfahren werden folgende Kriterien hinsichtlich einer Zuständigkeit der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII überprüft:
2.1 Personenkreis
Eine Zuständigkeit der öffentlichen Jugendhilfe für Leistungen für seelisch behinderte Kinder, Jugendliche und junge Volljährige besteht ab dem 6. Lebensjahr bis zum 21. Lebensjahr. Bei Fortsetzungshilfen besteht die Zuständigkeit weiterhin bis zur Vollendigung des 27. Lebensjahres.
Anspruchsberechtigter der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII ist der junge Mensch selbst.
2.1.1 Psychische Erkrankungen/ Entwicklungsstörungen
Die Formen psychischer Erkrankungen und Entwicklungsstörungen, die ursächlich für eine soziale
Teilhabestörung sein können, sind vielfältig. Beispielhaft an dieser Stelle sind zu nennen:
Autismusspektrumsstörungen (Asperger- Autismus), Essstörungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen („Borderline“), Legasthenie, Dyskalkulie, psychosoziale Probleme aufgrund von
Drogen- oder Alkoholmissbrauch, Schizophrenie, wahnhafte Störungen, Angst- oder Zwangsstörungen, posttraumatische Belastungs- und Anpassungsstörungen, Hyperkinetische Störungen
(Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom), Störungen des Sozialverhaltens u.v.m.
2.2 Vorrangigkeit anderer Leistungsträger
Die fachärztliche Diagnose bedarf einer genauen inhaltlichen Überprüfung. Mehrfachdiagnosen,
d.h. ein gleichzeitiges Vorliegen mehrerer psychischer Erkrankungen und/ oder Entwicklungsstörungen, werden oftmals gestellt. Nach § 10 SGB VIII besteht bei Kindern und Jugendlichen mit
einer geistigen oder körperlichen Behinderung eine Nachrangigkeit der Jugendhilfe gegenüber
dem Sozialhilfeträger. Dementsprechend muss im Rahmen des Prüfungsverfahrens Hinweisen auf
das Vorliegen einer solchen Behinderung besondere Beachtung geschenkt werden. Die Schilderung einer „leichten Intelligenzminderung“ kann hier schon auf ein Vorliegen einer umfassenden
geistigen Behinderung hindeuten und somit auf eine Vorrangigkeit des Sozialhilfeträgers.
Ebenfalls entsprechend den Regelungen des § 10 SGB VIII sind Leistungen der medizinischen
Rehabilitation (z.B. der Krankenkasse) sowie der schulische Förderauftrag vorrangig gegenüber
der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII.
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2.3 Soziale Teilhabe
Die Überprüfung der sozialen Teilhabe des betroffenen jungen Menschen erfolgt in Gesprächen
der zuständigen Fachkraft des Jugendamtes mit den sorgeberechtigten Eltern, dem jeweiligen
Kind, Jugendlichen oder jungen Volljährigen sowie anderen beteiligten Fachkräften (z.B. Lehrkräften) oder Bezugspersonen. Auf der Grundlage des in der Anlage beigefügte Diagnosebogen zur
Feststellung der Teilhabebeeinträchtigung wird in den jeweiligen Gesprächen eruiert, in wie fern
die diagnostizierte psychische Erkrankung oder Entwicklungsstörung als Ursache möglicher sozialer Teilhabestörungen des jungen Menschen anzusehen ist und in welchen Bereichen sich diese
manifestieren.
Erfahrungsgemäß muss für entsprechende Elterngespräche ein zeitlicher Aufwand von 2 bis 3,5
Stunden berücksichtigt werden, um die oftmals komplexen Zusammenhänge sowie Hintergründe
der psychischen Erkrankung beleuchten zu können. Des Weiteren ist es Aufgabe dieser Gespräche herauszustellen, ob nicht vielmehr familiäre Probleme als Ursache für soziale Teilhabeschwierigkeiten des jungen Menschen angesehen werden können. Hier können dann Hilfen zur Erziehung beispielsweise im Rahmen einer Erziehungsberatung vorrangig angezeigt sein.
3. Auswahl geeigneter ambulanter oder stationärer Hilfen
Geeignete ambulante oder stationäre Hilfeanbieter im Bereich der Eingliederungshilfe nach § 35a
SGB VIII zu beauftragen, ist aufgrund der komplexen Problemlage der betroffenen jungen Menschen im Allgemeinen besonders schwierig. Zwar ist meistens eine im Rahmen der Krankenhilfe
abrechenbare Psychotherapie vorrangig zuständig, um eine psychische Stabilisierung der Klienten
zu erreichen, dennoch müssen die seitens des Jugendamtes in Rahmen der Eingliederungshilfe
beauftragten Hilfeträger zur Förderung der sozialen Teilhabe in einem besonderen Maß fachlich
ausgebildet sein, um die soziale Teilhabe der betroffenen jungen Menschen zielgerichtet fördern
zu können.
Sollte nach intensiver Prüfung eine stationäre Wohngruppe als einzige Hilfeform für einen betroffenen jungen betroffenen Menschen angezeigt sein, ist im Regelfall aufgrund des komplexen
Erkrankungsbildes eine Aufnahme meist ausschließlich in einer „Intensivgruppe“ mit einer entsprechend engmaschigen Betreuung möglich. Viele psychische Erkrankungen, wie beispielsweise
Essstörungen oder Asperger- Autismus haben umfassenden Einfluss auf die Alltagsgestaltung der
jungen Menschen. Hier ist oftmals ausschließlich eine Belegung entsprechend spezialisierter Einrichtungen möglich.
Die benötigte Betreuungsintensität der betroffenen jungen Menschen sowie die notwendige Spezialisierung der Einrichtungen, wirken sich selbstverständlich deutlich auf die Höhe der monatlich
entstehenden Kosten aus. Darüber hinaus sind die meisten Hilfen aufgrund des Schweregrades
der Erkrankung sowie oftmals einer lagen Erkrankungsgeschichte vor Hilfebeginn, als langfristige
Hilfen anzusehen, bis eine gesellschaftliche Wiedereingliederung erreicht werden kann.
Auch notwendige ambulante Hilfen, wie beispielsweise die Schulintegrationshilfe für Kinder mit
Asperger- Autismus, gestaltet sich aufgrund der benötigten Spezialisierung des Hilfeanbieters, der
Betreuungsintensität sowie der notwenigen Dauer der Hilfe kostenintensiv. Eine Belegung dieser
Hilfen durch „Nichtfachkräfte“ ist hierbei nur selten eine angemessene Alternative, da diese „Nichtfachkräfte“ die pädagogischen Techniken und Methoden nicht erlernt haben, ein Kind in die Selbständigkeit zu führen und darüber hinaus grundlegendes Wissen zur Förderung eines seelisch
behinderten Menschen fehlt.
Aufgrund des häufig tiefgreifenden Störungsbildes ist es zudem teilweise notwendig, mehrere Hilfen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII parallel zu bewilligen. Beispielsweise
benannt werden kann hier, dass ein autistisches Kind durch die Bereitstellung einer Schulintegrationshilfe wieder beschulbar wird. Um jedoch das entsprechende Kind hinsichtlich seiner Interaktionsfähigkeit weitergehend zu fördern und somit eine Verselbständigung auch im schulischen Bereich herbei zu führen, kann es sinnvoll sein, als weiter ambulante Hilfe, eine pädagogische Förderung im Autismustherapiezentrum zu bewilligen.
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4. Entwicklungen/ Ausblick
In den letzten beiden Jahren ist eine deutliche Zunahme der Fälle im Bereich der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII zu verzeichnen. Insbesondere hinsichtlich der Diagnose von Autismusspektrumsstörungen kann ein deutlicher Anstieg festgestellt werden. Die Verbesserung der
diesbezüglichen Instrumente zur Feststellung dieser Entwicklungsstörung sowie eine Verbesserung der Aufklärung der Eltern und der beteiligten Fachkräfte sind mögliche Erklärungen hierfür.
Jedoch spiegeln die zunehmenden Fallzahlen der Eingliederungshilfe auch das gesamtgesellschaftliche Bild einer zunehmenden Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, psychisch zu erkranken, wider. Dies veranschaulicht die beigefügte Grafik der Krankenhausfälle wegen psychischer und Verhaltensstörungen bei unter 15-Jährigen in Nordrhein-Westfalen.
Abbildung 1 Krankenhausfälle wegen psychischer und Verhaltensstörungen (F00-F99) bei unter 15-Jährigen in Nordrhein-Westfalen, 2000 – 2008,
IT.NRW, GBE-Stat 2008, LIGA.NRW
Eine Diskussion der gesamtgesellschaftlichen Bedingungen, die eine psychische Erkrankung von
Kindern begünstigen, erscheint im Rahmen dieser Vorstellung der Eingliederungshilfe nach § 35a
SGB VIII nicht angezeigt. Jedoch wird deutlich, dass letztlich Präventionsmaßnahmen und gesamtgesellschaftliche Veränderungen als geeignetes Mittel angesehen werden müssen, um psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen zu reduzieren und somit auch die Fälle der
Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII.
Die zuständige Sachbearbeiterin, Frau Andrea Detampel, wird in der Sitzung weitergehende Erläuterungen geben.
Anlage(n):
(1) Diagnosebogen
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