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Mitteilungsvorlage (Anlage zur Mitteilungsvorlage 387/2011)

Daten

Kommune
Pulheim
Größe
62 kB
Datum
11.10.2011
Erstellt
04.10.11, 09:30
Aktualisiert
04.10.11, 09:30
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Inhalt der Datei

Wie man lernt, ein Klavier zu fahren. Als ich das erste Mal nach Pulheim kam, hat mich die Struktur der Stadt fasziniert, am meisten vielleicht sogar die „Zwischen-Räume“ – die vielen kleinen Stadtteile zusammen gehörig und dennoch mit vielen Feldern dazwischen. Die Struktur – nicht allzu viele öffentliche Verkehrsmittel – lässt es fast einer amerikanischen Stadt ähneln, in der die Menschen wirklich auf ihre Autos angewiesen sind. Laut Statistik verfügt der Durchschnittshaushalt in Pulheim über rund 2,7 Autos. Die meisten Menschen, die in Pulheim leben, pendeln zum Arbeiten, auch Kunst- und Kulturangebote werden überwiegend in den größeren Städten der Umgebung wahrgenommen. Allmählich begann ich, mich für die Autos zu interessieren – für die Beutung, die sie für die Menschen haben, die Zeit, die diese täglich darin verbringen – und für die „Zwischen-Räume“ dieser „konstruierten“ Stadt. So entstand die Idee, sehr direkt mit beidem zu arbeiten – und eine Autoschlange auf einem der landwirtschaftlichen Wege zwischen den Stadtteilen zu schaffen. Ein Stau ist etwas außerordentlich Unangenehmes und Zeitverschwendung; man würde sich nicht freiwillig hineinstellen. Es war eine Herausforderung zu überlegen, wie etwas ganz Anderes daraus werden könnte, etwas geradezu Entgegengesetztes: Etwa ein Umzug oder ein ruhiges und unerwartetes Volksfest mit einer ähnlichen Organisationsstruktur wie ein Musikfestival: einschließlich einer Rote-Kreuz-Ambulanz, Toilettenhäuschen und Helfern in gelben Sicherheitswesten – aber ohne irgendeine andere Aktivität oder ein anderes „line up“, nur die Autos selbst. Mit Zeitungsaufrufen, E-Mails, Flugblättern – auch unter Autoscheibenwischer geklemmt – konnten wir 60 Autobesitzer überzeugen, ihren Samstagnachmittag mit uns auf den windigen Feldern zu verbringen. Kinder, Hunde, ältere Paare, Freunde und Familien waren mit von der Partie: Die Menschen stellten ihre Autos für einige Stunden ab, um zu lesen, zu spielen, ihren Hunden durch die Felder nachzulaufen, und sie begannen spontan, über ihre Autodächer hinweg miteinander zu reden, und sie halfen sich am Ende gegenseitig: Denn als sich die Schlange auflösen sollte, hatte bei drei Autos die Batterie schlapp gemacht; die Fahrer hatten zuviel Radio gehört. Parallel zu den Recherchen über Autos und den Reisen nach Pulheim und Köln war mir im Jahr zuvor eine Schallplatte aus meiner alten Vinylsammlung in die Hände gefallen, an die ich lange nicht mehr gedacht hatte. Es war Köln Concert von Keith Jarrett. Die heute berühmten Solo-Piano-Improvisationen waren am 24. Januar 1975 im Kölner Opernhaus live aufgeführt worden. Es war ein erstaunlicher Zufall, dass ich gerade gelesen hatte, wie das heutige Pulheim entstanden war: Durch die kommunale Neugliederung, die ebenfalls im Jahr 1975 stattfand, hatten sich ehemals selbständige Orte zur Gemeinde Pulheim zusammengeschlossen, die 1981 das Stadtrecht erhielt. Entscheidend aber war für mich, dass ich schon vorher daran gedacht hatte, Klavier für den Soundtrack zu verwenden – und zu untersuchen, wie ich Improvisation einbeziehen könnte (was immer ein bedeutender Teil meiner Arbeit ist, sowohl im Film wie in der Musik). Es war in sich stimmig, etwas zu machen, das fast ein Tribut an das historische Klavierkonzert in Köln war – und es in Beziehung zu setzen zu der Autoschlange in Pulheim. Das wurde zum Ausgangspunkt für das Projekt, das nun Pulheim Jam Session heißt. Wobei ‚Jam’ sich sowohl auf den Moment des Improvisierens im Verkehrsstau bezieht als auch im eigentlichen, musikalischen Sinn auf eine intime Probesituation, in der die schwedische Künstlerin und Musikerin Edda Magnason auf einem Flügel in einer Scheune in Stommeln improvisiert. Während ich dies schreibe, kurz nach Ende der Dreharbeiten, bin ich mit Gedanken noch mitten im Geschehen und habe noch nicht damit begonnen, den späteren Film zu schneiden. All die Begegnungen mit den Menschen in ihren Autos habe ich noch in lebhafter Erinnerung. Die Geräuschkulisse aus Vogelgesang und vorbeifahrenden Autos, während Edda in der Scheune Klavier spielt, klingt noch in mir nach. Während der Improvisationen wurde auch der Flügel für uns mehr und mehr zu einem Fahrzeug, das zusammen mit den Autos zahlreiche Rollen in dem Film spielen wird. Als eines der stärksten Bilder hat sich mir eingeprägt, wie die Klaviertransporteure kamen, um den Flügel abzuholen: Das große Instrument wurde vorsichtig in mehrere Teile zerlegt und auf einen hölzernen Transport-Trolley mit vier Rädern gestellt – bevor es ebenfalls fort fuhr. Johanna Billing, Stockholm, 22. Juni 2011