Daten
Kommune
Pulheim
Größe
359 kB
Datum
22.03.2011
Erstellt
14.03.11, 18:37
Aktualisiert
18.03.11, 11:58
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Inklusion statt Integration Bildungspolitik
■ Inklusion statt Integration – eine
Verpflichtung zum Systemwechsel
Deutsche Schulverhältnisse auf dem Prüfstand des Völkerrechts
In der deutschen Öffentlichkeit ist der Begriff Inklusion noch
weitgehend unbekannt und selbst in pädagogischen Kreisen
herrscht erstaunlich viel Unsicherheit über seine Bedeutung.
Der Beitrag macht die Differenz zwischen dem älteren Begriff
der Integration und dem neueren Begriff der Inklusion deutlich, verweist auf internationale Vereinbarungen und zeigt die
Unvereinbarkeit des gegliederten Systems mit dem Anspruch
von Inklusion.
Brigitte Schumann
Von Inklusion ist meistens im Zusammenhang mit der Integration von Behinderten die Rede. Die
»Schrägstrich-Bezeichnung«
Integration/Inklusion ist so verbreitet,
dass der falsche Rückschluss gezogen
werden könnte und tatsächlich auch
gezogen wird, Inklusion sei mehr
oder weniger dasselbe wie Integration und bezöge sich ausschließlich
auf die Belange von Menschen mit
Behinderungen.
Integration = Inklusion?
Die Integration unterscheidet zwischen Kindern mit und ohne »sonderpädagogischem Förderbedarf«. Die
Inklusion geht von der Besonderheit
und den individuellen Bedürfnissen
eines jeden Kindes aus. Während die
integrative Pädagogik die Eingliederung der »aussortierten« Kinder mit
Behinderungen anstrebt, erhebt die
inklusive Pädagogik den Anspruch,
eine Antwort auf die komplette Vielfalt aller Kinder zu sein.
Sie tritt ein für das Recht aller
Schüler und Schülerinnen, unabhängig von ihren Fähigkeiten oder
Beeinträchtigungen sowie von ihrer
ethnischen, kulturellen oder sozialen Herkunft miteinander und von-
einander in »einer Schule für alle« zu
lernen. Kein Kind soll ausgesondert
werden, weil es den Anforderungen
der Schule nicht entsprechen kann.
Im Gegensatz zur Integration will
die Inklusion nicht die Kinder den
Bedingungen der Schule anpassen,
sondern die Rahmenbedingungen
an den Bedürfnissen und Besonderheiten der Schülerinnen und Schüler
ausrichten.
Während in anderen Ländern
die Inklusion längst auf der Agenda staatlicher Bildungspolitik steht
und inklusive Bildung international
als pädagogischer Auftrag von Schulen verstanden wird (siehe UNESCOWeltministerkonferenz in Genf), hat
die deutsche Bildungspolitik maßgeblich für Unwissenheit gesorgt
und sich selbst unwissend gestellt.
Inklusion – Auftrag der UNESCO
Spätestens nach der Erklärung von
Salamanca, die auf der UNESCOWeltkonferenz »Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und
Qualität« 1994 unter Beteiligung der
Bundesregierung abgegeben wurde,
hätte die deutsche Politik zumindest
den Forderungsgehalt der Erklärung
verbreiten und eine Debatte über die
pädagogischen, bildungs- und gesellschaftspolitischen Implikationen des
Inklusionskonzeptes initiieren müssen. In dem von der Bundesrepublik
mit unterzeichneten UNESCO-Dokument wurden alle Regierungen
aufgefordert, ihre Schulsysteme so
zu verbessern, dass Bildung für alle
in inklusiven Schulen verwirklicht
wird, die niemanden ausschließen,
sondern alle einbeziehen, und mit
einer Pädagogik für besondere Bedürfnisse sowohl Kindern mit Behinderungen als auch allen anderen
in Anerkennung ihrer Verschiedenheit gerecht werden.
In dem ebenfalls beschlossenen
»Aktionsrahmen« wurden der menschenrechtsbasierte Ansatz und die
gesellschaftspolitische Zielsetzung
der »Pädagogik für besondere Bedürfnisse« eindeutig benannt. Sie
»geht davon aus, dass menschliche
Unterschiede normal sind, dass das
Lernen daher an das Kind angepasst
werden muss und sich nicht umgekehrt das Kind nach vorbestimmten
Annahmen über das Tempo und die
Art des Lernprozesses richten soll.
Eine kindzentrierte Pädagogik ist
für alle Kinder und in der Folge für
die gesamte Gesellschaft von Nutzen. Erfahrungen haben gezeigt,
dass sie Drop-Out- und Wiederholungsraten, die ein wesentlicher Bestandteil vieler Schulsysteme sind,
deutlich reduzieren kann und dass
Sonderdruck PÄDAGOGIK, Heft 2/2009 51
Bildungspolitik
Inklusion statt Integration
gleichzeitig ein höherer Leistungsdurchschnitt gesichert wird (…).
Darüber hinaus sind kindgerechte
Schulen der Übungsbereich für
eine Gesellschaft, die sich am Menschen orientiert und sowohl die Unterschiede als auch die Würde aller
Menschen respektiert.«
In der deutschen Übersetzung
des Dokuments durch die österreichische UNESCO-Kommission wurde der für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne
Behinderungen im deutschsprachigen Raum gebräuchliche Begriff
»Integration« als Entsprechung für
den englischen Begriff »inclusion«
verwendet. Diese problematische
Übersetzung ist allerdings keine
hinreichende Erklärung dafür, dass
bis heute die Philosophie der Inklusion in Deutschland bildungspolitisch ignoriert wird. Schließlich ließ
nachfolgend die UNESCO in zahl
reichen Zusatzveröffentlichungen
nichts unversucht, um deutlich zu
machen, dass mit dem Inklusionskonzept die Überwindung der in
alten Strukturen und Mentalitäten
verhafteten Integrationspraxis gemeint ist. Am besten wird dies auf
den Punkt gebracht in der Feststellung: »Looking at education through
an inclusive lens implies a shift from
seeing the child as a problem to seeing the education system as a prob
lem« (UNESCO 2006).
Mit dem Inklusionskonzept ist die
Überwindung der in alten Strukturen
und Mentalitäten verhafteten
Integrationspraxis gemeint.
Konnte die UNESCO-Erklärung
noch als ein unverbindliches Dokument angesehen werden, verpflichteten sich Bund und Länder mit der
Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention im gleichen Jahr völkerrechtlich darauf, die Würde des
Kindes und seine Subjektstellung
in das Zentrum ihrer Politik zu rücken. Doch im Widerspruch dazu
geht das Schulsystem bis heute mit
seinen tiefgreifenden Selektionsmechanismen von den Interessen der
Institutionen aus und verstößt damit fortgesetzt gegen den völkerrechtlichen Anspruch, vom Kind
aus zu denken.
Deutsche Schulverhältnisse
Im angeblich begabungs- und leistungsgerechten System müssen sich
Kinder und Jugendliche den bestehenden Schularten anpassen und
dort jeweils ihre rechtmäßige Zugehörigkeit durch Erfüllung normativer Leistungsanforderungen unter
Beweis stellen. Kinder mit Lernschwierigkeiten und Behinderungen
werden durch ein Feststellungsverfahren zu Kindern mit »sonderpädagogischem Förderbedarf« deklariert
und nach Förderschwerpunkten kategorisiert. Ihre Integration in das
Regelschulsystem ist im Schulrecht
der Bundesländer unterschiedlich
verankert. In einigen Bundesländern
hat die Integration in die Regelschule sogar Vorrang vor der Sonderschule. In der Umsetzung ist Integration
jedoch immer noch die Ausnahme,
um die Eltern vor Ort meistens noch
kämpfen müssen.
Die in diesem Feld engagierten
Schulen und Pädagogen werden wenig unterstützt und eher entmutigt.
Betroffenen Eltern und Kindern
werden ständig fast unüberwindbare Barrieren in den Weg gestellt.
Integration hängt ab von der Bereitschaft der Länder, die finanziellen
und personellen Ressourcen bereitzustellen. Sie ist in der Regel angewiesen auf die Zustimmung der
Schulaufsicht, der Schulträger und
der Schulen. Lernzieldifferente Integration stößt nach der Grundschule
auf die Grenzen des selektiven weiterführenden Schulsystems. Wegen
der zumeist kümmerlichen Ausstattung orientieren sich zunehmend
auch Grundschulen an dem Grad der
Behinderung und nehmen nur die
»leichteren Fälle« auf. Die getrennte
Ausbildung der Lehrer(innen) und
fehlende Fortbildungsangebote zementieren die defizitäre Situation.
Gegen den internationalen Trend
werden in Deutschland laut KMKStatistik 84,3 Prozent der Schü
ler(innen) mit sonderpädagogischem
Förderbedarf im Erhebungsjahr
2006 getrennt unterrichtet. Während andere Länder Schülerinnen
und Schüler mit Lernproblemen gemeinsam unterrichten, ist der Ausschluss aus dem Regelschulsystem
für diese Gruppe in Deutschland
so gut wie sicher. Fast 90 Prozent
dieser Schüler(innen) gehören zur
Sonderdruck PÄDAGOGIK, Heft 2/2009 52
untersten sozialen Schicht. Unsere
Schulstrukturen sorgen also perfekt
dafür, dass die sozial randständigen
Milieus von vornherein ausgegrenzt
werden. Deutschland ist Spitzenreiter in der sozialen Exklusion von
Kindern mit Behinderungen und sozialer Benachteiligung.
Im Übrigen belegt die KMK-Statistik, dass die Gesamtzahl der integrierten Schüler(innen) mit Behinderungen bundesweit nur langsam
angestiegen ist. Zudem ist problematisch, dass mit Ausnahme von Schleswig-Holstein trotz der sinkenden
Schülerzahl im Regelschulsystem die
Zahl der Schüler und Schülerinnen
an Sonderschulen nicht gesunken,
sondern angestiegen ist. Außerdem
sorgt das föderale System dafür, dass
die Segregations- bzw. Integrationsquoten höchst unterschiedlich sind.
Das Sonderschulrisiko für Kinder
mit Förderbedarf ist in Bremen, Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein ungleich geringer als z. B. in
den gelobten deutschen »PISA-Ländern« Sachsen, Thüringen, Bayern
und Baden-Württemberg.
NRW: Stagnation und Rückschritt
NRW gehört zu den Bundesländern,
in denen die Integration trotz der
schulrechtlichen Verankerung des
Gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne Behinderungen
stagniert. Aus Stillstand droht Rückschritt zu werden. Im ganzen Land
werden lediglich elf Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulen integriert unterrichtet. Aber auch im Bundesland
selbst gibt es erhebliche Unterschiede.
Im Münsterland gibt es »weiße Flecken«, während Köln vergleichsweise
eine Integrations-Hochburg darstellt.
Aber überall werden Integrationskinder spätestens nach der Grundschule ausgebremst. Eltern müssen vor
Ort um die Fortsetzung des gemeinsamen Lernens bangen und »Klinken putzen«. Der Zwangscharakter
der Sonderbeschulung wird dadurch
verstärkt, dass unter der neuen Landesregierung den Eltern kein Beschwerderecht mehr gewährt wird.
Sie müssen gleich gerichtlich klagen,
wenn sie mit der Sonderschulüberweisung nicht einverstanden sind.
Als Modellversuch sollen jetzt
»Sonderpädagogische
Kompetenz-
zentren« an den Start gehen. In ihnen werden die in Sonderschulen
und im Gemeinsamen Unterricht an
Regelschulen tätigen Sonderpädagogen zusammengefasst. In der Zusammenarbeit mit den allgemeinen Schulen sollen Kompetenzzentren darüber
entscheiden, welches Kind mit welchem Förderbedarf an welchem Ort
gefördert wird. Offenbar möchte die
Landesregierung die bestehenden
sonderpädagogischen Systeme, Sonderschule und Gemeinsamer Unterricht, in der Hand der Sonderschulen
kostensparend zusammenführen. Es
ist nicht daran gedacht, dass die Sonderschulen zu Schulen ohne Schüler
werden könnten – so ist also für den
Erhalt der Sonderschule gesorgt.
Prävention soll angeblich durch
die Einrichtung von Kompetenzzentren großgeschrieben werden. Bei
den spärlich veranschlagten zusätzlichen Mitteln wirkt die Absicht wenig überzeugend. Und wäre sie wirklich ernst gemeint, dann würde es
darum gehen, als Erstes die Schulen
für besonders benachteiligte Kinder,
nämlich die Sonderschulen mit den
Förderschwerpunkten Lernen, soziale und emotionale Entwicklung und
Sprache, auslaufen zu lassen und die
Personalressourcen bedarfsgerecht
auf die Grundschulen zu verteilen.
So geschehen in Hamburg und ebenfalls geplant in Bremen und SachsenAnhalt.
Neue Perspektiven mit der
UN-Behindertenrechtskonvention
In der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
die am 13. Dezember 2006 von der
UN-Vollversammlung beschlossen
wurde, ist das Recht auf Bildung für
Menschen mit Behinderungen in Artikel 24 im englischen Original eindeutig definiert. Danach sind die
Vertragsstaaten völkerrechtlich verpflichtet, das Recht auf Bildung für
Menschen mit Behinderungen ohne
Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit in einem
inklusiven Bildungssystem zu gewährleisten.
Das Ratifizierungsdilemma für die
Bundesregierung lag darin, die Zu-
stimmung der KMK und der Bundesländer zu Artikel 24 zu bekommen.
Dass die »eine Schule für alle« trotz
nachgewiesener Bildungsungerechtigkeit und miserabler Leistungsergebnisse des selektiven Schulsystems
nicht das gemeinsame Ziel der 16 Kultusminister in der KMK ist, ist hinlänglich bekannt. Das federführende
Bundesministerium für Arbeit und
Soziales musste also zu einem Übersetzungstrick greifen, um den Forderungsgehalt der Konvention zu verwässern. So wurde aus »inclusion«
im englischen Original in der deutschen Übersetzung einfach »Integration«. Der Integrationsbegriff sollte die Konvention anschlussfähig
erscheinen lassen an die deutschen
Schulverhältnisse.
In dem Vertragsgesetz der Bundesregierung zur Ratifizierung der UNKonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das zum 1.
Januar 2009 in Kraft tritt, werden die
bildungspolitischen Zielkonflikte mit
Artikel 24 völlig verwischt durch die
Behauptung, es gäbe schon »vielfältige Übereinstimmungen« zwischen
den deutschen Schulverhältnissen
und dem Menschenrecht auf Bildung
der Vereinten Nationen. Politisch
wird der irreführende Eindruck erweckt, als ginge es lediglich darum,
die Integration von Behinderten in
das bestehende Regelschulsystem zu
optimieren. Die grundsätzliche Unvereinbarkeit unseres ausgrenzenden
und aussondernden Regel- und Sonderschulsystems mit dem Anspruch
der Konvention auf vollständige Inklusion oder Einbeziehung und wirksame Teilhabe von Menschen mit
Behinderungen wird schlichtweg geleugnet.
Trotz aller Tricks der Politik: Völkerrechtlich gilt uneingeschränkt der
englische Wortlaut der UN-Konvention. Behindertenverbände wie die Lebenshilfe und Elterninitiativen in der
BAG Gemeinsam Leben – Gemeinsam
Lernen fordern jetzt die vollständige
Umsetzung der UN-Konvention ein.
Sie können sich der Unterstützung
all derer sicher sein, die »eine Schule
für alle« wollen. 2009 ist die Chance,
ein wirksames zivilgesellschaftliches
Bündnis pro Inklusion zu schließen.
Dr. Brigitte Schumann, Jg. 1946, ist Lehrerin und Autorin der Dissertation »Ich schäme mich ja so!« Die Sonderschule für Lernbehinderte
als »Schonraumfalle«, Mitarbeit im NRW-Bündnis Eine Schule für alle.
Adresse: Rüttenscheider Straße 18, 45128 Essen
E-Mail: ifenici@aol.com
Sonderdruck PÄDAGOGIK, Heft 2/2009 53
Inklusive Bildung – Jetzt!
Wir nehmen die Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen
zum Anlass, eine grundlegende Neuorientierung der Bildungspolitik in Deutschland zu
fordern. Wir beziehen uns auf das Menschenrecht auf Bildung, wie es von den Vereinten
Nationen in mehreren, von der Bundesrepublik ratifizierten Menschenrechtsverträgen
kodifiziert wurde:
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Das Abkommen über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte schreibt
vor, dass allgemeine Bildung ohne Diskriminierung zugänglich, allen verfügbar, von
Eltern und Kindern akzeptiert und dem Stand der Wissenschaft und
gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst werden muss.
Die Konvention über die Rechte des Kindes verpflichtet die Vertragspartner, alle
verfügbaren Mittel einzusetzen, damit Bildung möglichst vollständige soziale Integration
und Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden Kindes befördert.
Die Konvention über die Rechte behinderter Menschen schließlich fordert die
Vertragspartner unmissverständlich auf, für „inclusive education“ Sorge zu tragen. Das
bedeutet: Alle Kinder werden in allgemeinen Schulen in heterogenen Lerngruppen der
Vielfalt der Begabung entsprechend unterrichtet. Die nötige individuelle Unterstützung
wird zum Kind gebracht.
Bildung ist ein Recht, das zur Wahrnehmung anderer Rechte erst befähigt.
Wenn es vorenthalten wird, bedeutet das den Ausschluss von Selbstbestimmung, politischer und
gesellschaftlicher Teilhabe, Arbeit und Gesundheit.
Wie bei der UN-Kinderrechtskonvention sind auch für die Umsetzung der UN-Konvention über die
Rechte behinderter Menschen Bund, Länder und Gemeinden zuständig. Sie alle sind an die
völkerrechtlichen Vereinbarungen gebunden; der Bund hat die Einhaltung der Konventionen vor
der Völkerrechtsgemeinschaft zu vertreten. Der übliche Verweis auf die Zuständigkeit des jeweils
anderen ist unzulässig, denn an deutschen Schulen bestehen Zustände fort, die den Konventionen
eklatant widersprechen und deshalb vom Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für das Recht
auf Bildung, Vernor Munoz, angeprangert wurden:
Viel zu früh werden die Bildungswege der Kinder getrennt.
Fast einer halben Million Kinder und Jugendlicher wird sonderpädagogischer Förderbedarf
bescheinigt und 85% dieser Kinder werden in der Folge in Sonderschulen eingewiesen –
viele gegen ihren und gegen den Willen der Eltern. Nur 15% von ihnen werden an
allgemeinen Schulen unterrichtet.
Unter den Sonderschülerinnen und –schülern finden sich überproportional viele Kinder mit
Migrations- und/oder Armutshintergrund.
Interessenvertretung
“Selbstbestimmt
leben“ Deutschland
e.V. - ISL
Auf diese Weise produziert und reproduziert unser Bildungssystem gesellschaftliche Ungleichheit
und Armut. Immer größere Teile der Bevölkerung werden durch Bildungsarmut von
Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen.
Für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und Benachteiligungen bedeutet die Ausgrenzung in
Sonderschulen den Einstieg in lebenslange Sonderwege an den Rändern der Gesellschaft.
Gleichzeitig wird allen Kindern die Vielfalt der Gesellschaft in der Schule vorenthalten. Sie können
so nicht im Alltag lernen, respektvoll und konstruktiv mit Andersartigkeit umzugehen. Das ist der
Ausgangspunkt von gesellschaftlicher Ausgrenzung und gibt für die demokratische Kultur in diesem
Land Anlass zur Besorgnis.
Es ist höchste Zeit für die inklusive Schule.
Wir fordern daher:
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Jedes Kind hat Anspruch auf Aufnahme in die zuständige allgemeine Schule.
Die nötige individuelle Unterstützung muss jedem Kind an seiner Schule zur Verfügung
gestellt werden.
Für Schulen und Lehrkräfte müssen Fortbildung, Begleitung und Unterstützung zur
Umsetzung des inklusiven Bildungsanspruchs zur Verfügung stehen.
Alle Lehramtsstudiengänge müssen an die Anforderungen inklusiver Bildung angepasst
werden.
Vor diesem Hintergrund dürfen Schulstrukturfragen kein Tabuthema mehr sein.
Prof. Lothar Krappmann,
UN-Ausschuss für die
Rechte des Kindes