Daten
Kommune
Pulheim
Größe
20 kB
Datum
22.06.2010
Erstellt
21.06.10, 19:23
Aktualisiert
21.06.10, 19:23
Stichworte
Inhalt der Datei
Stadt Pulheim
Der Bürgermeister
V o r l a g e Nr:
Zur Beratung/Beschlussfassung an:
Gremium
Ausschuss für Bildung, Kultur, Sport und Freizeit
Haupt- und Finanzausschuss
II / 410
(Amt/Aktenzeichen)
Termin
01.06.2010
22.06.2010
ö. S.
X
X
Frau Schallenberg
(Verfasser/in)
197/2010
nö. S. TOP
10
10.05.2010
(Datum)
BETREFF:
Antrag gem. § 24 GO NRW auf Realisierung des "Stolperstein" - Kunstprojekts
von Gunter Deming
VERANLASSER/IN
ANTRAGSTELLER/IN:
Gunter Deming
HAUSHALTS- / PERSONALWIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN:
Die Vorlage hat haushaltswirtschaftliche Auswirkungen:
ja
X
nein
Die Vorlage hat personalwirtschaftliche Auswirkungen:
ja
X
nein
wenn ja:
Finanzierungsbedarf (ggf. inkl. zusätzlicher Personalkosten) gesamt:
€
davon:
- im Haushalt des laufenden Jahres:
€
- in den Haushalten der folgenden Jahre:
Jahr:
Jahr:
Jahr:
€
€
€
Die Mittel stehen haushaltswirtschaftlich zur Verfügung:
ja
nein
wenn nein:
Finanzierungsvorschlag:
BESCHLUSSVORSCHLAG:
1. Der Ausschuss für Bildung, Kultur, Sport und Freizeit lehnt den Antrag ab, das „Stolperstein“-Kunstprojekt von Gunter Demnig auch in Stommeln zu realisieren und empfiehlt dem
Haupt- und Finanzausschuss, diesen Beschluss zu bestätigen.
2. Der Haupt- und Finanzausschuss bestätigt den Beschluss des Ausschusses für Bildung,
Kultur, Sport und Freizeit, das „Stolperstein“-Kunstprojekt von Gunter Demnig nicht in
Stommeln zu realisieren und erklärt die Angelegenheit für erledigt.
ERLÄUTERUNGEN:
-1-
Mit Schreiben vom März 2010 (Eingangsstempel vom 5. März), vom 26. und 29. April regen die
Antragsteller an, das Kunstprojekt „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig zu realisieren, um
an die Opfer der nationalsozialistischen Gräueltaten zu erinnern. Da das Projekt mittlerweile in
rund 500 Städten und Gemeinden umgesetzt sei, auch in vielen Städten der näheren Umgebung,
dürfe Pulheim – bisher „weißer Fleck auf der Landkarte“ – nicht „abseits stehen“.
Die Verwaltung unterstützt die Auffassung der Antragsteller, dass Gedenken und Erinnerung an
die Opfer des Nationalsozialismus Pflicht der heute Lebenden ist. In Ergänzung zu den Hinweisen
der Antragstellerin (März 2010) auf die Gedenkstätte Brauweiler und das Geschwister-SchollGymnasium verweist die Verwaltung auf weitere Aktivitäten und Maßnahmen, die der Erinnerung
und Mahnung gewidmet sind.
So verfasste bereits Anfang der 80er Jahre der Verein für Geschichte, damals Verein für Geschichte und Heimatkunde, im Auftrag der Stadtverwaltung die beiden Bände „Juden in Stommeln“. Die Bände dokumentieren die Schicksale der einzelnen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in großer Ausführlichkeit und lassen sie als individuelle Lebensgeschichten erfahren. In den
letzten Jahren hat Josef Wißkirchen das Leben jüdischer EinwohnerInnen erneut in „200 Jahre
Geschichte Stommelns (Bd. 2)“ beschrieben und die frühere Forschung ergänzt. Die Stadtverwaltung errichtete parallel zu den Forschungen des Geschichtsvereins Anfang der 80er Jahre auf dem
jüdischen Friedhof einen Gedenkstein, der die Namen aller im Nationalsozialismus umgekommenen jüdischen Einwohner mit Ort und Datum ihrer Ermordung festhält.
Wenn die bloße Nennung von Namen Menschen vor dem Vergessen bewahren könnte („Ein
Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, Gunter Demnig, zitiert nach den Anträgen), dann wäre damit die Grundvoraussetzung für Erinnerung erfüllt. Darüber hinausgehend
machen Josef Wißkirchen und der Geschichtsverein in zahlreichen Führungen und Vorträgen die
Schicksale jüdischer BürgerInnen bekannt und bezeugen die Ernsthaftigkeit der Erinnerungsarbeit,
die in Stommeln alljährlich geleistet und immer wieder aktualisiert wird.
Während der Geschichtsverein Anfang der 80er das Schicksal der jüdischen Einwohner erforschte, wurde gleichzeitig mit der Synagoge das einzig verbleibende bauliche Zeugnis jüdischen Gemeindelebens restauriert. Anfang der 90er Jahre entstand für diesen Ort das Kunstprojekt Synagoge Stommeln, das formal einen dem Projekt von Demnig diametral entgegen gesetzten Weg
beschreitet: Wo Demnig die Dauerhaftigkeit des in Stein Gemeißelten wählt, verschreibt sich das
Synagogenprojekt dem Prozesshaften, der Suche, selbst der Verunsicherung gegenüber allzu
bekannt Scheinendem. Um es mit den Worten des Projektgründers, Dr. Gerhard Dornseifer zu
beschreiben: „Das Projekt ist der Idee verpflichtet, einen Mosaikstein zu einer Ethik der Erinnerung
beizutragen. Der Umgang mit Geschichte darf nicht in resignativer Erstarrung münden. Stellen wir
uns der Herausforderung, Spuren zu suchen, sie wiederholt und wiederholt zu markieren, erneut
zu lesen, zu befragen, dann sind Verdrängen und Vergessen obsolet. Die Inszenierungen der
Kunst in der Synagoge können Aufschluss geben über die Prozessualität des Erinnerns und die
Einsicht stärken, dass ein kollektives Gedächtnis sich beständig zu verändern hat. An diesem Prozess mitzuwirken ist die Herausforderung an die Gegenwartskunst.“
Eine rein namentliche Erfassung der Opfer im Medium der Kunst schien bereits zu Beginn des
Projekts nicht mehr erforderlich zu sein. So wurde 1992 auch der Projektvorschlag eines sehr renommierten jüdischen Künstlers für die Synagoge abgelehnt, da dieser sich ebenfalls auf eine
namentliche Aufzählung beschränkte und damit nach Auffassung der Projektverantwortlichen
künstlerisch zu kurz zu greifen schien. Auf diesen Hintergrund traf 1994 ein Schreiben von Gunter
Demnig, der „Stolpersteine“ der Verwaltung für Stommeln vorschlug. Die Verwaltung verwies in
einem Antwortschreiben darauf, dass man zwei Kunstprojekte in so großer inhaltlicher und geographischer Nähe für eine Form von Doppelung halte; die weder dem einen noch dem anderen
gerecht werde. Doppelungen von Aussagen verstärken nicht das Gemeinte, sondern lassen vermuten, dass beide Aussagen zu schwach sind, um alleine für sich zu stehen. Demnig hat den abschlägigen Bescheid der Verwaltung damals akzeptiert. (s. Anlage: Schriftwechsel der Verwaltung
mit Gunter Demnig)
-2-
In diesem Zusammenhang sei auch nochmals auf Max Neuhaus’ Klanginstallation hingewiesen,
die als einzige Installation des Synagogenprojektes dauerhaft im Ort verbleibt und als Nachvollzug
jüdischer Zeitrechnung ein Element jüdischer Kultur in den Mittelpunkt des heutigen Gemeindelebens stellt. Neuhaus Arbeit ist einzigartig in ihrer Art, an die Kultur der Opfer zu erinnern: Täglich
mehrmals ertönt sie als Stimme der Synagoge und erinnert in ihrem eigenen Verklingen an das
heutige Fehlen jüdischer MitbürgerInnen. Im Zusammenklang der dokumentarischen Forschung
mit diesem Werk, das seinerseits weit in den öffentlichen Raum aus- und eingreift, wird deutlich,
dass Stommeln durchaus kein weißer Fleck auf der Landkarte des Erinnerns ist. In und für Stommeln sind vielfältige, vielschichtige und immer wieder neue Wege und Versuche des Erinnerns und
Gedenkens entstanden, als ortspezifische Auseinandersetzungen konnten sie auch nur hier entstehen. Insofern kann es zumindest als überflüssig erachtet werden, in Stommeln noch eine zusätzliche Form künstlerischer Auseinandersetzung zu realisieren, die zwar von immer zahlreicher
werdenden Städten übernommen wird, - aber vielleicht gerade deshalb von ihnen aufgegriffen
wird, weil sie ansonsten weniger Eigenes und Individuelles zur Erinnerungskultur beizubringen
haben oder hatten.
Bereits für die nahe Zukunft ist in Stommeln ein weiteres Projekt ortsspezifischer Auseinandersetzung angedacht: Als Gemeinschaftsprojekt von Landschaftsverband Rheinland, Stadtverwaltung,
Pulheimer Schulen und Josef Wißkirchen soll ein Audio-Geschichtspfad in Stommeln realisiert
werden, der die geschichtlichen Forschungen zu jüdischen Schicksalen einem breiten Publikum in
großer Ausführlichkeit zugänglich macht. Die Verhandlungen mit dem LVR werden in Kürze aufgenommen.
Zum Thema Erinnerungskultur vgl. auch den Bericht von Hubert Spiegel in der FAZ vom
29.04.2010 „Hat jemand meinen Onkel Miklós gefragt?“ (siehe Anlage: Artikel FAZ). Spiegel berichtet darin vom jüdisch-ungarischen Autor Péter Nádas, der auf dem heute als Ackerland genutzten Gelände des ehemaligen KZ Le Vernet / Frankreich Reflexionen über Peter Eisenmanns Berliner Stelenfeld-Mahnmal anstellt, das er als „Steinfriedhof“ bezeichnet. Für Nádas werden die Ermordeten darin „’kollektiv zum Objekt des Werks gemacht’ und seien noch einmal so wehrlos wie
am Ende ihres Lebens. Wer, so fragt Nádas, der 1942 in Budapest geboren wurde, habe eigentlich
seinen im serbischen Bor ermordeten Onkel Miklós oder seinen an unbekanntem Ort ums Leben
gekommenen Cousin György gefragt, ob ihnen nach dem Tod noch etwas an den Blutsbanden
ihrer Abstammung liege? Damit zielt er auf die Aporie eines Gedenkens, das kategorisiert. Seine
radikal subjektive Kritik des Mahnmals spricht nicht allein den Deutschen die Legitimation ab, den
Opfern des Nationalsozialismus ein Mahnmal zu errichten, sondern sie verneint die Legitimität jedes institutionalisierten Gedenkens schlechthin.“
Als legitimes Gedenken bezeichnet Nádas hingegen das Gespräch mit einer Dorfbewohnerin von
Le Vernet: „Nádas beschreibt nun, wie er damals mit einer Dorfbewohnerin sprach, die ihm zu verstehen gab, dass sie die Vergangenheit des Ortes kenne und keineswegs leugne. ‚Der Boden des
einstigen Lagers aber ist trotzdem nur Ackerboden, der gepflügt und geeggt wird, in den gesät,
dessen Ernte eingebracht wird, ihr Eigentum. Unser Gespräch wurde zum Denkmal, härter als
Granit und Beton’.“ (FAZ, 29.04.)
-3-