Daten
Kommune
Pulheim
Größe
1,5 MB
Datum
22.06.2010
Erstellt
21.06.10, 19:23
Aktualisiert
21.06.10, 19:23
Stichworte
Inhalt der Datei
-7-
V
F R A N K F U R T E RA L L G E M E I N E
ZEITUNG
Hatjemandmeinen
OnkelMiklosgefragt?
PöterNädaskritisiert dasBerliner Holocaust-Mahnmal
Wir hausen auf Menschenknochen.
schreibt der ungarische Schriftsteller
Pöter Nädas.Wir seien Menschenfresser,
mörderischeUngeheuer,gefangenin Habgier und Mordlust. Und von all den-Inschriften und Denkmälern, mit denenwir
umAbsolution für unsereUntaten von sestern bitten,will sichder Dichternicht äarüber hinwegtäuschenlassen,dass dieselben Taten ,,heuteund morgen wieder begangen*würden.So sprichl PöterNädas,
wenn man ihn fragt, wie er fünf Jahre
nach der Einweihuns zu dem von Peter
Eisenman entworfeien Berliner Holocaust-Mahnmalsteht.
Die Polemik, ein Text von verstörender
Radikalität, konsequentnur in seinerSubjektivität und seinem zutiefst pessimistischenMenschenbild.findet sich in der aktuellen Ausgabe des Magazins ,,Cicero".
Der Erscheinungsort des Artikels ist in
diesem Fall nicht uninteressant,denn es
handeltsichum einesder erstenHefte unter der Agide Michael Naumanns.Kaum
im Amt, wurde der neue Chefredakteur
von einem ehemaligen Ressortleiter des
Blattes so scharf kritisiert, dassNaumänn
wohl sogar juristische Schritte für nötig
hielt. Den Vorwurf, er verdankeseineBerufung vor allem einer Intervention Gerhard Schrödersund werde daskonservative Blatt einem Linksruck unterwerfen,
will der ehemaliee Herausseber der
,,Zeit" ntchtauf sich-sitzenlassän.
Tatsächlichkann man den Beitras von
PdterNädas,dessenBücherNaumani uerlegte, alsbeide nochbeim RowohltVerlag
waren, durchausals Beleg dafür betrachten, dassdie Zukunft der ,offenenDebattenkultur", frir die ,,Cicero" gern stehen
möchte, keineswegsso schwarzaussieht,
wie ehemaligeMitarbeiter des Blattes es
an die virtuellen Wände ihrer Internetforen malen. Hat nicht Naumann Peter Eisenmansjetzt von Nädas so heftig kritisierten Entwurf gutgeheißen,als er noch
Staatsministerfür Kultur war? Doch, das
hat er. Allerdings hatte er zunächst entschiedengegendasMahnmal votiert. Naumanns Vorschlag, auf eine zentraie Gedenkstätte in Berlin zu verzichten und
stattdessenein zentralesInformationszentrum zu schaffen,'konnte sich damals,
1998, nicht durchsetzen. Es kam zum
Kompromiss, gebaut wurde dann beides,
Mahnmal und Informationszentrum.
Allerdings dürften P6ter Nädas die
Streitereienbei ,,Cicero"nur wenig kümmern. Und auchdie unendlichverivickelte deutsche Debatte, die etliche Jahre
lang wogte, bevor das Mahnmal endlich
zustande kam, wird den Schriftsteller
kaum in all ihren Details interessieren.
Nädas, eine der wichtigsten intellektuellen Stimmen Ungarns und ein bedeutender europiüscher Schriftsteller, geht es,
allgemein gesprochen,um die Condition
humaine. Und es geht ihm, ganz konkret,
um die Frage, wie Menschenden Grund
und Bodenbestellenkönnen,von dem sie
wissen,dasser mit Blut getränkt und mit
Knochendurchsetztist.
Vor fiinf Jahren, in jenem Frähjahr, als
das Holocaust-Mahnmaleinseweiht wurde, reiste der ungarischeSchriJtsteller
nicht nachBerlin, sondernnach Südfrankreich. Während Berlin einen Ort des Gedenkenserhielt. suchte Nädas einen Ort
desVergessens
auf. Denn in dem Örtchen
Le Vernet sind nahezu alle Spurengetilgt,
die darauf hinweisen kömten, dass hier
das,,erste KonzentrationslagerEuropas"
betriebenwurde. Urspninglichfür senegalesischeKolonialtruppen gedacht,diente
das Lrger in den,Pyrenäenzunächstder
Unterbringung deutscher und österreichischer!ftiegsgefangenerdesErstenWeltkriega,dann als Militärdepotund alsInternierugrgslagerfür republikanische Kämpfer desSpanischenBürgerkriegs.
Bevordie
deutschenBesatzerL944 das Laeer übernahmen, hatte die Vichy-Regier-unghier
politische und im Laufe des Krieges auch
immer mehr jüdische Häftlinge unter grauenhaften Umständen interniert. Obwotrl
so prominente Häftlinge wie Lion Feuchtwanger,Max Aub, Rudolf Leonhard und
Arthur Koestler in Le Vernet interniert waren, sind der Ort und seine Geschichte
weitgehendunbekanntgeblieben.
Nädas beschreibt nun, wie er damals
mit einer Dorfbewohnerin sprach, die
ihm zu verstehengab,dasssie die Vergangenheit des Ortes kenne und keineswegs
leugne. ,,Der Boden des einstigenLagers
aberist trotzdem nur Ackerboden,der gepflügt und geeggtwird, in den gesät,dessen Ernte eingebracht wird, ihr Eigentum. Unsbr Gesprächwurde zum Denkmal, härter als Ganit und Beton."
Der Dichter stellt diesepersönlicheBegegnungüber das Mahnmal, über Eisenmans,,Steinfriedhof",auf dem, so ein zentralerVorwurf von Nädas,nur eine einzige Personerkennbar sei: ,,der Mahnmalbauer selbst". Die Ermordeten hingegen
würden ,,kollektiv zum Objekt desWerks
gemacht"und seiennoch einmal so wehrlos wie am Ende ihres Lebens. Wer, so
fragt Nädas, der 1942 ih Budapestgeboren wurde, habe eigentlich seinenim serbischen Bor ermordeten Onkel Miklös
oder seinenan unbekannternOrt ums Leben gekommenenCousinGyörgy gefragt,
ob ihnen nach dem Tod noch etwas an
den Blutsbanden ihrer Abstammuns liege?Damit zielt er auf die Aporie einei Gedenkens,das kategorisiert. Seine radikal
subjektive Kritik des Mahnmals spricht
nicht allein den Deutschendie Leeitimation ab, den Opfern des Nationaliozialismus ein Mahnmal zu errichten, sondern
sie verneint die Legitimität jedes institutionalisierten Gedenkens schlechthin.
Das Wolfsrudel, so muss man P6ter Nädaswohl verstehen,vermagnicht zu trauern. Weder um Lämmer noch um seinesgleichen.
HUBERT SPIEGEL
Das Kind ßt König, aber bitte woar
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Das Elternmagazinde
Stundeist ,,Nido".
Das heißt ,,Nest"auf
Italienisch.Um