Daten
Kommune
Pulheim
Größe
22 kB
Datum
22.09.2009
Erstellt
21.09.09, 12:44
Aktualisiert
21.09.09, 12:44
Stichworte
Inhalt der Datei
Stadt Pulheim
Der Bürgermeister
V o r l a g e Nr:
Zur Beratung/Beschlussfassung an:
Gremium
Rat
IV
(Amt/Aktenzeichen)
Termin
ö. S.
22.09.2009
X
EB Senk
(Verfasser/in)
282/2009
nö. S. TOP
01.09.2009
(Datum)
BETREFF:
Umbenennung Carl-Diem-Straße
VERANLASSER/IN
ANTRAGSTELLER/IN:
SPD-Fraktion mit Schreiben v. 03.03.2005 und weiteren Schreiben;
Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN mit verschiedenen Schreiben
HAUSHALTS- / PERSONALWIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN:
Die Vorlage hat haushaltswirtschaftliche Auswirkungen:
ja
X
nein
Die Vorlage hat personalwirtschaftliche Auswirkungen:
ja
X
nein
wenn ja:
Finanzierungsbedarf (ggf. inkl. zusätzlicher Personalkosten) gesamt:
€
davon:
- im Haushalt des laufenden Jahres:
€
- in den Haushalten der folgenden Jahre:
Jahr:
Jahr:
Jahr:
€
€
€
Die Mittel stehen haushaltswirtschaftlich zur Verfügung:
ja
nein
wenn nein:
Finanzierungsvorschlag:
BESCHLUSSVORSCHLAG:
1. Der Rat zieht die Zuständigkeit gem. Ziffer 4.3 der Zuständigkeitsordnung in dieser Angelegenheit an sich.
2. Der Rat beschließt, die Carl-Diem-Straße im Ortsteil Pulheim umzubenennen.
3. Der Rat beschließt, die Carl-Diem-Straße wie folgt umzubenennen:
a. Coubertinstraße
b. Olympiastraße
c. …………
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ERLÄUTERUNGEN:
Zunächst verweist die Verwaltung auf die ausführliche Vorlage zur Sitzung des Tiefbauund Verkehrsausschusses vom 28.09.2005 bzw. des Rates vom 08.11.2005, Vorlagen Nr.
485, Top 8 (s. Anlage). Auf diese Vorlage wird voll inhaltlich Bezug genommen.
Nachdem der Ausschuss für Tiefbau und Verkehr beschlossen hatte, die Frage der Umbenennung der Carl-Diem-Straße zu vertagen, bis das Gutachten der Universität Münster
vorliege, hat sich die Stadtverwaltung in regelmäßigen Abständen bei der Universität
Münster und später bei der Deutschen Sporthochschule in Köln nach dem Stand der Recherchen erkundigt. In der letzten hier vorliegenden Information vom Januar 2009 teilte die
Sporthochschule mit, dass eine Ende 2008 geplante Veranstaltung zum Thema verschoben werden musste. Man befinde sich in einem Abstimmungsprozess, um einen neuen
Termin zur Präsentation der Ergebnisse des Forschungsprojektes zu finden. Man werde
die Stadt Pulheim zeitnah informieren, sobald sich die Planungen konkretisiert hätten.
Die Sporthochschule ist mit Schreiben vom 14.05.2009 erneut angefragt worden. Bis zum
Zeitpunkt des Erstellens dieser Vorlage lag noch keine Antwort vor.
Im April 2009 teilte die Fraktion des Bürgervereins dem Bürgermeister mit, das Gutachten
„Carl Diem“ sei als Buch erschienen mit dem Titel „Den Sport gestalten, Carl Diems Leben
(1882 – 1962)“, Band 3: NS-Zeit.
Aufgrund dieses Hinweises hat die Stadtverwaltung ein Exemplar des Buches beschafft.
Bündnis 90/DIE GRÜNEN hatte im Januar und im April angeregt, das Thema zunächst im
Ältestenrat zu behandeln. Im April 2009 hat die SPD-Fraktion ihren Antrag vom
03.05.2009 wiederholt.
Das erwähnte Buch stammt von Herrn Prof. Dr. Frank Becker, Prof. für neuere und neueste Geschichte an der Universität Münster. Im Band III zum Leben Carl Diems wird die Person Carl Diem in der nationalsozialistischen Zeit anhand eines umfangreichen Quellenund Literaturmaterials biografisch dargestellt. Das Buch endet mit einer „Stellungnahme
zur öffentlichen Debatte um Carl Diem und Empfehlung für den Umgang mit der Erinnerung an seine Person“, wo der Autor anhand von 12 Abschnitten eine Zusammenfassung
der biografischen Daten zwischen 1933 und 1945 erstellt. Aus dem 12. Abschnitt, „Abschließender Kommentar“ soll folgendes zitiert werden:
„Diem gehörte zu jenen Vertretern der nationalkonservativen Funktionselite in Deutschland, die zur Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten bereit waren – teils aufgrund von
partiellen Interessenkongruenzen, teils aufgrund von persönlichen Karrierekalkülen, teils
aufgrund der Auffassung, der eigene Tätigkeitsbereich sei im wesentlichen ‚Unpolitisch’.
Bei einigen Vertretern dieser Gruppe kam es im Zeitverlauf zunehmend zu Zweifeln und
innerem Groll. Dies war auch bei Diem der Fall. Zu den wenigen Nationalkonservativen,
die sich vor diesem Hintergrund zu einer Verweigerungshaltung oder gar zu widerständigem Handeln entschließen konnten, gehörte Diem nicht. Er blieb bis zuletzt auf der Ebene
des Handels und öffentlichen Äußerungen weitestgehend angepasst. Durch diese grundsätzliche Maxime, als deren Hauptursache man den beruflichen Ehrgeiz ansehen muss,
wurde Diem in Schuldzusammenhänge verstrickt – am deutlichsten sicherlich durch seine
Rede am 18.03.1945 -. Inwiefern diese Verstrickung auch mit persönlicher Schuld gleichgesetzt werden muss und kann, ist mit den Mitteln historischer Analyse nicht eindeutig zu
klären. . . . Geschichtspolitisch muss entschieden werden, ob sich das öffentliche Gedenken einzig und allein auf Personen beschränken soll, die in jeder Hinsicht als vorbildlich
gelten können, oder ob es auch solche Personen umfassen darf, in deren Leben sich die
Brüche und Verwerfungen der Deutschen Geschichte spiegeln – die also eher zur kritischen Auseinandersetzung einladen. Zur letztgenannten Gruppe gehörte auch Diem, der,
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ohne dass ihm zweifelsfrei persönliche Schuld zugeschrieben werden könnte, in der NSZeit in Schuldzusammenhänge verstrickt wurde.“
Abschließend empfiehlt der Autor in Bezug auf die Frage einer Beibehaltung oder Änderung einer Namensgebung, die hierfür zuständigen politischen Gremien sollten in „demokratischer Willensbildung“ das Für und Wider abwägen, „da die Entscheidung, wie mit dem
Gedanken an Diem zu verfahren ist, letztlich durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht
zwingend in der einen oder anderen Richtung präjudiziert wird, . . . .“
In der Vorlage vom September 2005 hatte die Verwaltung empfohlen, die Carl-DiemStraße im Ortsteil Pulheim umzubenennen. Auf Seite 3 der Vorlage war darauf hingewiesen worden, welche Schritte im Rahmen einer Umbenennung gegangen werden müssen
und welche Rechtsvorschriften hierbei zu beachten sind. Es sei hier noch einmal besonders betont, dass die Carl-Diem-Straße im Ortsteil Pulheim 1979 – nach einer anderen
Quelle 1977 – aus „Jahnstraße“ in „Carl-Diem-Straße“ umbenannt wurde. In der Rechtsprechung wird bejaht, „dass jeder Anwohner mit einer Änderung des Straßennamens
rechnen muss, wenn die letzte Änderung sehr lange zurückliegt.“ Möglicherweise kann
darüber gestritten werden, ob der unbestimmt Rechtsbegriff „sehr lange“ auf die Zeit seit
1977/1979 angewandt werden kann. Für die vermutlich betroffenen 40-45 Haushalte muss
mit einigem Änderungsaufwand gerechnet werden, der von ihnen selbst zu tragen ist.
Dieser Aufwand sowie der Aufwand weiterer Dritter (Rhein-Erft-Kreis, Ver- und Entsorger,
PSC bezüglich der Erreichbarkeit der Sportanlagen mit Hilfe von Navigationssystemen)
muss abgewogen werden gegen die Lösung der Frage, ob eine Straße nach einem in der
nationalsozialistischen Zeit aktiv tätigen Sportfunktionär benannt bleiben kann, der Kritik
am Nationalsozialismus „nur heimlich im Tagebuch“ stattfinden ließ. Historisch strittig ist
allerdings die Frage, ob seine Rede vom 18. März 1945 Mitauslöser dafür war, Kinder und
Jugendliche in die „Schlacht um Berlin“ zu schicken. Die eigentlichen Kämpfe um das
Reichssportfeld begannen erst Ende April 1945. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass nach der Rede nach dem 18.03.1945 Abteilungen der Hitlerjugend in Richtung
Oder in Marsch gesetzt wurden, um gegen die Rote Armee anzutreten, sich also diese
Jugendlichen – wie sich der ZDF-Journalist Reinhard Appel erinnern will – in die Schlacht
warfen.
Quelle: Becker, Frank
Den Sport gestalten
Carl Diems Leben (1882 – 1962)
Band III, NS-Zeit
Universitätsverlag Rhein-Ruhr OHG
Paschacker 77
47228 Duisburg
2009
Ergänzend wird mitgeteilt, dass die Bezirksvertretung Lindenthal in der Stadt Köln die Umbenennung des Carl-Diem-Weges in „Am Sportpark Müngersdorf“ (Adresse der Deutschen Sporthochschule Köln) beschlossen hatte. Eine Klage der Deutschen Sporthochschule blieb erfolglos.
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