Daten
Kommune
Erftstadt
Größe
21 kB
Datum
28.02.2007
Erstellt
01.01.70, 00:00
Aktualisiert
01.01.70, 00:00
Stichworte
Inhalt der Datei
Dienstanweisung
zum
Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
gem. § 8 a SGB VIII
1. Einleitung
Die Dienstanweisung gilt für die MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes des
Jugendamtes. Sie soll sicherstellen, dass alle MitarbeiterInnen nach den gleichen fachlichen
Standards
und
verbindlichen
Handlungsanweisungen
arbeiten
und
konkreten
Gefährdungshinweisen nachgehen, um somit dem gesetzlichen Schutzauftrag gerecht zu
werden. Es soll damit gewährleistet werden, dass bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine
Kindeswohlgefährdung immer eine adäquate und ausreichende Prüfung erfolgt, um nach
erfolgter Risikoeinschätzung die notwendigen erforderlichen Schritte zum Schutz des Kindes
bzw. des Jugendlichen einzuleiten. Hierbei ist das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte und
ggf. weiterer Institutionen erforderlich.
2. Gesetzliche Verankerung und Definition
Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl gehört zu dem
grundsätzlichen Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe in öffentlicher und freier Trägerschaft (§
1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII). Durch die Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
zum 01.10.2005 und die Aufnahme konkretisierender Regelungen verleiht der Gesetzgeber
diesem Schutzauftrag und der herausgehobenen Verantwortung des Jugendamtes eine
erweiterte, stärkere Bedeutung. Die MitarbeiterInnen des Jugendamtes sind verpflichtet, im
Rahmen ihrer Garantenstellung an der Umsetzung des Schutzauftrages gem. § 8 a SGB VIII
verantwortlich mitzuwirken und konkreten Gefährdungshinweisen im Sinne des § 1666 BGB
nachzugehen.
Werden den MitarbeiterInnen gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines
Kindes oder Jugendlichen bekannt, so ist das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer
Fachkräfte abzuschätzen. Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der
Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des
Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Halten die MitarbeiterInnen zur Abwendung der
Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so sind diese den
Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten.
Halten die MitarbeiterInnen das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so ist das
Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Erziehungs- oder Personensorgeberechtigten nicht
bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht
eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so
sind die MitarbeiterInnen verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen.
Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der
Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, haben die MitarbeiterInnen
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auf die Inanspruchnahme durch die Personensorgeberechtigten hinzuwirken. Ist ein sofortiges
Tätigwerden erforderlich und wirken die Personensorgeberechtigten nicht mit, so schalten die
MitarbeiterInnen die anderen zur Abwendung der Gefährdung zuständigen Stellen selbst ein.
3. Definition Kindeswohlgefährdung
Der Begriff der Kindeswohlgefährdung gem. § 1666 BGB ist ein unbestimmter Rechtsbegriff.
Folgende Konkretisierungen sind in der Rechts- und Fachpraxis vorgenommen worden:
Vernachlässigung
Vernachlässigung ist die andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns
sorgeverantwortlicher Personen (Eltern/ Betreuungspersonen), das zur Sicherstellung der
physischen und psychischen Versorgung des Kindes/ Jugendlichen notwendig wäre. Die
Vernachlässigung kann sich neben der mangelnden Befriedigung körperlicher Bedürfnisse
(Nahrung, Bekleidung, Unterkunft, Sicherheit) auf den emotionalen Austausch, die allgemeine
Anregung (z.B. Sprache und Bewegung) oder auf die mangelnde Beaufsichtigung und
Gesundheitsfürsorge des Kindes/ Jugendlichen beziehen. Diese Unterlassung kann bewusst
oder unbewusst aufgrund unzureichender Einsicht oder unzureichenden Wissens erfolgen. Die
durch die Vernachlässigung bewirkte chronische Unterversorgung beeinträchtigt und schädigt
die körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes/ Jugendlichen und kann zu gravierenden
bleibenden Schäden führen.
Seelische und körperliche Misshandlung
Körperliche Misshandlung umfasst alle Handlungen, vom einzelnen Schlag mit der Hand über
Prügeln, Festhalten und Würgen bis hin zum gewaltsamen Angriff mit Riemen, Stöcken,
anderen Gegenständen und Waffen, die zu einer nicht zufälligen Verletzung eines Kindes bzw.
Jugendlichen führen; insbesondere zu Blutergüssen, Prellungen, Schädelverletzungen und
Knochenbrüchen, aber auch zu inneren Verletzungen, zu Verbrennungen, Verbrühungen oder
Vergiftungen. Seelische bzw. psychische Gewalt bezeichnet Handlungen und Aktionen, die zu
einer schweren Beeinträchtigung einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Bezugsperson
und Kind/ Jugendlichem führen und die geistige/ seelische Entwicklung erheblich behindern.
Seelische Gewalt ist u.a. die deutliche Ablehnung, das ständige Überfordern, das Herabsetzen
und Geringschätzen, Ängstigen und Terrorisieren, Isolieren und die gezielte Verweigerung von
emotionaler Unterstützung eines Kindes/ Jugendlichen.
Sexuelle Misshandlung
Sexueller Missbrauch ist jede sexuelle Handlung eines Erwachsenen, die an oder vor einem
Kind vorgenommen wird und aufgrund körperlicher, psychischer, oder sprachlicher
Überlegenheit zur Befriedigung eigener Bedürfnisse dient. Missbrauchshandlungen reichen
von aufgezwungenen Küssen, Streicheln, Berühren der Genitalien, Anschauen von
pornographischen Filmen bis hin zu Anal-, Oral- und Vaginalverkehr. Die Kinder werden mit
Belohnungen, Bestechungen, Lügen, Drohungen, seelischen und/oder körperlichen
Misshandlungen zur Geheimhaltung gezwungen. Weitere Formen sind Kinderprostitution und
Kinderpornographie.
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4. Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung
Die
nachfolgende
Auflistung
beinhaltet
Anhaltspunkte
für
eine
konkrete
Kindeswohlgefährdung. Sie ist als nicht abschließend anzusehen und erfasst nicht alle
denkbaren Gefährdungsmöglichkeiten.
Anhaltspunkte beim Kind/ Jugendlichen
Massive oder wiederholte Zeichen von Verletzungen (z.B. Hämatome, Striemen, Narben,
Knochenbrüche, Verbrennungen, Infektionen im Intimbereich) ohne erklärbar
nachvollziehbare Ursache
Unterernährung
fehlende Körperhygiene (z.B. Schmutz- und Kotreste auf der Haut, verfaulte Zähne)
fehlende notwendige ärztliche Versorgung und Behandlung
wiederholt witterungsunangemessene oder völlig verschmutze Kleidung
apathisches, stark verängstigtes Verhalten oder massive psychosomatische Beschwerden
ohne erklärbar nachvollziehbare Ursache
deutliche Entwicklungsverzögerung (z.B. Sprache oder Motorik)
glaubhafte Äußerungen des Kindes/ Jugendlichen, die auf Vernachlässigung oder seelische,
körperliche oder sexuelle Misshandlung hinweisen
wiederholtes Aufhalten zu altersunangemessenen Zeiten ohne Erziehungsperson in der
Öffentlichkeit bzw. an jugendgefährdenden Orten
wiederholt unentschuldigtes bzw. längerandauerndes Fernbleiben aus dem Kindergarten
oder der Schule ohne erklärbar nachvollziehbare Ursache
Anhaltspunkte im familiären Kontext
Massive oder häufige körperliche Gewalt gegenüber dem Kind/ Jugendlichen (z.B.
Schütteln, Schlagen, Isolierung)
häufiges massives Beschimpfen, Ängstigen oder Erniedrigen des Kindes/ Jugendlichen
Kleinkind wird häufig oder über einen längeren Zeitraum unbeaufsichtigt oder in der Obhut
ungeeigneter Personen gelassen
massive psychische Erkrankungen, die sich unmittelbar auf das Kind/ den Jugendlichen
auswirken und miteinbeziehen
deutliche Gewalt zwischen den Erwachsenen, vor den Augen des Kindes/ Jugendlichen
Alkoholismus oder Drogen- und Medikamentenmissbrauch mit stark eingeschränkter
Steuerungsfähigkeit
desolate Wohnsituation (z.B. stark vermüllte oder verdreckte Wohnung)
glaubhafte Schilderungen von konkreten Gefährdungssituationen aus dem familiären
Umfeld
Grundsätzlicher Hinweis: Fehlende Problemakzeptanz und Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, um
den vorhandenen Auffälligkeiten und Symptomen zu begegnen.
5. Standardisierter Handlungsablauf bei Gefährdungshinweisen
Grundsätzlich ist jedem konkreten Gefährdungshinweis, auch wenn er anonym erfolgt,
unverzüglich bzw. zeitnah nachzugehen. Der Vorgang ist im Zusammenwirken mehrerer
Fachkräfte nach umgehend erfolgter Zuständigkeitsklärung zu bearbeiten und zu
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dokumentieren (Anlage A1 Dokumentationsbogen). Eine Risikoeinschätzung ist vorzunehmen.
Weitere Handlungsschritte sind abzuwägen und ggf. einzuleiten. Konkret unterteilt sich das
weitere Vorgehen in 4 Abschnitte, die im Leitfaden zum Dokumentationsbogen (Anlage A2)
ausführlich beschrieben sind:
A. Erfassung der Meldung
B. Ersteinschätzung
C. Weitere Prüfung
D. Verbindliche Absprachen/ Abschluss
Eine Evaluation und fachliche Überprüfung der Standards ist fortlaufend vorzunehmen. Der
Dokumentationsbogen sowie der Leitfaden zum Dokumentationsbogen gilt in der jeweils
aktualisierten Fassung.
6. Datenschutz
Die MitarbeiterInnen sind im Zuge des Verfahrens zur Einhaltung der datenschutzrechtlichen
Bestimmungen, die sich aus den §§ 61–65 SGB VIII ergeben, verpflichtet.
7. Inkrafttreten
Die Dienstanweisung tritt zum 15.02.2007 in Kraft. Die Dokumentation von
Gefährdungshinweisen ist rückwirkend zum 01.01.2007 vorzunehmen. Die Kenntnisnahme der
Dienstanweisung ist mit persönlicher Unterschrift zu bestätigen.
Erftstadt, den 08.02.2007
(Brost)
Anlagen
A1 Dokumentationsbogen KWG
A2 Leitfaden zum Dokumentationsbogen