Politik bei uns wird nicht mehr aktiv betreut, eine Datenaktualisierung findet genausowenig statt wie Support.

Wir würden gerne weitermachen. Aber die Ansprüche an die Plattform passen nicht zum vollständig ehrenamtlichen Betrieb. Hintergründe und Ideen zur Rettung finden Sie in diesem Blogartikel.

Beschlussvorlage (Armutsbericht)

Daten

Kommune
Erftstadt
Größe
42 kB
Datum
22.08.2007
Erstellt
01.01.70, 00:00
Aktualisiert
01.01.70, 00:00

Inhalt der Datei

Armutsbericht Die Anträge 246/2006 „Erstellung eines Erftstädter Armutsberichtes“ der SPD-Fraktion sowie 207/2006 „Bericht zur Bekämpfung der Kinderarmut“ der CDU-Fraktion wurden in der gemeinsamen Sitzung von Jugendhilfeausschuss und Ausschuss für Soziales und Gesundheit am 18.10.2006 beraten. Die Verwaltung wurde beauftragt, einen „Erftstädter Armutsbericht“ und ein Handlungskonzept zur Bekämpfung der Armut in Erftstadt für eine der nächsten Sitzungen der beiden Ausschüsse zu erstellen. Dabei sollen die Erkenntnisse aus dem Vortrag des Gesundheitsamtes sowie Beispielkonzepte wie der Stadt Dormagen mit einfließen. Bei der Behandlung des Themas „Armut“ ist es wichtig, eine Balance zu halten zwischen dem Wachhalten des Problems auf der einen Seite und dem Vermeiden von Alarmismus auf der anderen Seite. In so fern muss das Thema aus dem „Klammergriff politischer Interessen befreit werden“ (Heitmeyer). Hier ist ein „neutraler“ Blick von Nöten. Das Thema hat für Reiche wegen seiner Angst auslösenden Wirkung u. U. eine größere Bedeutung als für Arme (Präventionsgehabe zur Beruhigung von Ängsten). Die Frage, was ist die Ursache von Armut (Defizitansatz), muss ersetzt werden durch die Frage, was zur Erhaltung des Wohlstands beiträgt (Ressourcenansatz). Arbeitslosigkeit als wesentlichster Faktor für Armut kann kaum individuell bekämpft werden, wenn sie strukturell bedingt ist. Armut korreliert stark mit Migration (A-Faktor = negativer Sozialindex = arbeitslos – arm – ausländisch). Um geeignete Hilfe planen zu können, muss definiert werden, ob einzelne Personen oder Stadtteile bzw. Strukturen im Vordergrund stehen sollen. Bisherige Berichterstattung und Fortschreibung Ständige Aufgabe der Jugendhilfe ist die Beseitigung bzw. Linderung von Armut bei Kindern, Jugendlichen und Familien. Bereits im Jahr 1996 erfolgte eine dezidierte Berichterstattung, in der die Nöte armer Menschen und entsprechende Hilfemaßnahmen aufgelistet wurden (Kinderberichte I und II). Im Jahr 2003 wurde die Teilplanung III – Familienförderung – erstellt, die eine Fortschreibung der o. a. Berichte darstellt. Die Maßnahmeplanung hinsichtlich der Beseitigung der aufgezeigten Defizite wurde in weiteren Einzelplanungen angegangen und evaluiert (vgl. Soll-IstVergleich 2005). Die Sozialraumanalyse (vgl. Allgemeine Rahmenbedingungen I.4) ist ein Instrument der Jugendhilfeplanung, um u. a. die personelle Hilfe in Stadtteilen mit erhöhtem Bedarf gezielter steuern zu können. Sie ist ein „Frühwarnsystem“ für problematische lokale Entwicklungen und kann auch dazu beitragen, kompensatorische (Infrastruktur-)angebote verstärkt in den betreffenden Stadtteilen zu platzieren (vgl. Tabellen S. 2 und 3). Die Umsetzung der Maßnahmeplanung aus der Jugendhilfeplanung ist Armutsbekämpfung im weiteren Sinne. Von einer engeren zielgruppenorientierten Planung hat das Jugendamt bisher abgesehen, da möglicherweise das Thema nur sehr kurzfristig vorgegeben wird (s.o.) und sozialräumliche Problemlagen vernachlässigt werden. Ferner besteht die Gefahr, dass einzelne Bevölkerungsgruppen durch ihre Identifikation als ,,Zielgruppen" sozialer Arbeit stigmatisiert werden. Definition der Armut Armut bezeichnet den Mangel an Chancen, ein Leben zu führen, das gewissen Mindeststandards entspricht. Es gibt die absolute Armut (Leben am Rande der Existenz) und die relative Armut (Einkommensmangel), die vorübergehende Armut (kurze Arbeitslosigkeit) und die strukturelle Armut (Leben in Elendsvierteln, Massenarbeitslosigkeit), bekämpfte Armut (Sozialhilfe, Harz IV, Grundsicherung) und verdeckte Armut (Dunkelziffer) sowie freiwillige Armut (Armutsgelübde in Orden). Ein allgemeingültiges Instrument zur Messung von Einkommensarmut gibt es nicht. Nach dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (2005) bezieht sich die relative Einkommensarmut auf die Personen in einem Haushalt, deren bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des Mittelwerts (Median) aller Personen beträgt. Der Median war im Jahr 2003 nach der Skala der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für den Haushaltsvorstand in West-Deutschland 1.624 €, für jede weitere Person über 14 1 Jahre 812 € (x 0,5) und für jedes Kind unter 14 Jahre 487 € (x 0,3). Rechenbeispiele für die Armutsrisikogrenze: - Verfügt eine Familie (allein Erziehende mit 2 Kindern <14J. und >14J.) über weniger als 1.753 € Nettoeinkommen, gilt sie im Sinne der o. a. Definition als arm. - Verfügt eine Familie (Ehepaar mit 2 Kindern <14J. und >14J.) über weniger als 2.240 € Nettoeinkommen, gilt sie im Sinne der o. a. Definition als arm. Um das Ausmaß der Menschen in Erftstadt festzustellen, welche nach der o. a. Definition als arm gelten bzw. von Armut bedroht sind, dürfen nicht nur die Menschen erfasst werden, die Leistungen zur Abwendung von Armut (Sozialhilfe, Harz IV, Asylbewerberleistungsgesetz, etc.) erhalten. Allgemein wird vermutet, dass die Zahl der Menschen, die arm sind und Hilfe nicht in Anspruch nehmen, so hoch ist, dass sie bei Inanspruchnahme der ihnen zustehenden staatlichen Leistungen einen Kollaps des Sozialsystems auslösen würden. Ob eine Person / Familie unterhalb der Armutsrisikogrenze liegt, hängt vom jeweiligen Einkommen bzw. Ersatzeinkommen ab. Rechenbeispiele für den Bezug von ARGE-Leistungen: - Insofern die o. a. Beispielfamilie (allein Erziehende mit 2 Kindern) mit einer fiktiven Warmmiete von 607 € einschließlich des Kindergeldes mit etwa 1.435 € netto alimentiert wird, gilt sie im Sinne der o. a. Definition als arm. - Insofern die andere Beispielfamilie (Ehepaar mit 2 Kindern) mit einer fiktiven Warmmiete von 729 € einschließlich des Kindergeldes mit etwa 1.833 E netto alimentiert wird, gilt sie im Sinne der o. a. Definition ebenfalls als arm. Sozialhilfebezug Sozialhilfe wird nur noch für die Personen gezahlt, die ihren Unterhalt nicht mehr durch eine Arbeitstätigkeit sichern können. Durch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe reduziert sich die Anzahl der Menschen mit Sozialhilfebezug entsprechend. Die Verteilung der Bezieher/innen von Sozialhilfe ist in der folgenden Tabelle dargestellt. Durch die extrem verminderten Zahlen pro Stadtteil (2006) können sinnvolle Analysen auf Stadtteilebene nicht mehr vorgenommen werden. Tabelle 1 HzL-Prozentanteile (Erw.) in den Stadtteilen (o. Asyl) Stadtteil Einw. ü. 18 J. a Ahrem Blessem/Fr. Bliesheim Borr/Sch. Dirmerzheim Erp Friesheim Gymnich/M. Herrig Kierdorf Köttingen Lechenich/K. Liblar Niederberg ges. b 829 1.414 2.713 286 1.689 1.974 2.179 3.342 454 2.545 2.907 8.860 10.053 459 39.704 1999 HzLFälle ü. 18 J. c 15 27 48 7 55 49 52 89 8 69 68 192 524 36 1.239 %-Anteil Einw. i. Stadt- ü. 18 J. teil d 1,8 1,9 1,8 2,5 3,3 2,5 2,4 2,7 1,8 2,7 2,3 2,2 5,2 7,8 3,1 e 850 1.441 2.745 299 1.718 2.046 2.236 3.362 443 2.615 2.957 9.020 10.201 463 40.396 2001 HzLFälle ü. 18 J. %-Anteil i. Stadtteil Einw. ü. 18 J. 2006 HzLFälle ü. 18 J. %-Anteil i. Stadtteil f g h i j 12 16 29 4 27 29 33 41 5 45 39 114 343 11 748 1,4 1,1 1,1 1,3 1,6 1,4 1,5 1,2 1,1 1,7 1,3 1,3 3,7 2,4 1,9 905 1.412 2.696 297 1.700 2.042 2.301 3.439 442 2.611 3.003 9.186 10.336 471 40.841 Quelle: Einwohnermeldeamt, Sozialamt, KDVZ jeweils Sept./Okt. 1999, 2001, 2006; eigene Berechnungen 2 3 6 10 0 13 11 14 22 2 14 16 53 134 3 301 0,3 0,4 0,4 0,0 0,8 0,5 0,6 0,6 0,5 0,5 0,5 0,6 1,3 0,6 0,7 57,8 Prozent der Empfänger/innen von Hilfen zum Lebensunterhalt sind Frauen. Die Anzahl der Kinder, die von Sozialhilfe leben, ist sehr gering (< 14 J. = 17; 14- bis < 18 J. = 7; 18 - < 25 J. = 14), da sie zahlenmäßig nur in Einzelfällen mit Empfänger/innen von Sozialhilfe zusammenleben. Asylbewerberleistungsgesetz Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wurden in Erftstadt im Oktober 2006 insgesamt 138 Personen gefördert. Während der Prozentanteil der Minderjährigen insgesamt an der Gesamtbevölkerung ca. 18 % betrug, lag dieser Wert bei den ausländischen Familien bei ca. 40 % (44 Kinder < 14 J. und 11 Kinder 14 - < 18 J.). Asylbewerber/innen erhalten in den ersten 3 Jahren nur 80 Prozent der Leistungen aus der Sozialhilfe. Insofern ist die wichtigste Forderung zur Vermeidung von Armut im Asylbereich der Zugang zum Arbeitsmarkt für alle Asylbewerber und Geduldeten, die sich legal (über 1 Jahr) im Bundesgebiet aufhalten ohne vorherige Prüfung des Arbeitsmarktes. Dies würde ihr Selbstwertgefühl steigern, ihr zur Verfügung stehendes Einkommen verbessern und auch die Staatskasse finanziell entlasten, weil die Menschen dann unabhängig von Sozialleistungen leben und Sozialbeiträge für sich und ihre Familien selbstständig entrichten können. Arbeitslosigkeit Von der ARGE wurden im Juni 2006 1.629 Bedarfsgemeinschaften mit insgesamt 3.064 Personen unterstützt. Dies sind im Schnitt 1,9 Personen pro Bedarfsgemeinschaft. Es gab 273 Bedarfsgemeinschaften mit einem Kind unter 18 Jahren, 205 mit zwei Kindern, 67 mit drei Kindern und 22 mit 4 und mehr Kindern. Die Anzahl der Hilfebedürftigen unter 15 Jahren betrug 844. Das Vermittlungsprogramm erfasst 25 15- bis 18-J. u. 163 19- bis 25-J. Eine sozialräumliche Aufteilung – wie in der Vergangenheit – kann zurzeit technisch bedingt für die Bezieher von Leistungen der ARGE noch nicht erstellt werden. Obdachlosigkeit Die Anzahl der Kinder in Obdachlosenunterkünften ist in Erftstadt ebenfalls sehr gering. Von den in Unterkünften einfacher Art untergebrachten 79 Personen sind lediglich vier Kinder unter 14 Jahren, drei Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren und 10 junge Erwachsene zwischen 19 und 25 Jahren (Stand 10.2006). Der überwiegende Teil der obdachlosen Personen lebt von Leistungen der ARGE. Allein Erziehende In der folgenden Tabelle werden die allein Erziehenden in Bedarfsgemeinschaften mit HzL-Bezug von 1998 und 2000 gegenübergestellt. In einer Bedarfsgemeinschaft lebten im Schnitt 1,8 Kinder. Es handelt sich jeweils um Stichtagszahlen, die keine Angaben über die Dauer des Bezugs enthalten. Tabelle 2 Personen in Alleinerziehenden-Bedarfsgemeinschaften Stadtteil a Ahrem Blessem/Fr. Bliesheim Borr/Sch. Dirmerzheim Erp Friesheim Gymnich/M. Herrig 1998 2000 Differenz Fälle Pers. Fälle Pers. Fälle Pers. b c d e f g 2 5 6 0 6 5 1 5 0 6 12 16 0 19 17 4 14 0 1 4 6 0 7 7 4 9 0 3 12 17 0 19 18 16 25 0 3 -1 -1 10 0 13 12 3 9 0 -3 0 1 0 0 1 12 11 0 3 8 8 Kierdorf 4 14 4 Köttingen 11 29 13 Lechenich/K. 32 82 40 Liblar 2 6 3 Niederberg ges. 82 227 106 Quelle: Sozialamt 02/1998 und 11/2000 25 9 34 107 8 293 5 10 2 8 8 24 17 -5 5 25 2 66 Nach einer Statistik der ARGE vom November 2006 bezogen 257 allein Erziehende Leistungen. Eine Verteilung der Hilfebedürftigen auf die Stadtteile kann zurzeit noch nicht realisiert werden. Es wird aber angenommen, dass sie der Verteilung der Vorjahre entspricht. Altersarmut Weniger Kinder dagegen mehr alte Menschen – wie lange reicht das Geld noch für die Renten? Viele Menschen fürchten sich vor Armut im Alter. Im Jahr 2030 wird jeder 3. Deutsche über 60 Jahre alt sein. Die Altersarmut nimmt zu. Immer mehr leben am Rande des Existenzminimums, abgeschoben, einsam. Die Alten haben zwar ein Recht auf Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherungsleistungen durch das Sozialamt, doch viele scheuen diesen „Bettelgang“ weil sie befürchten, die eigenen Kinder müssten für sie bezahlen, oder sie schämen sich ihrer Armut. Betroffen sind vor allem Frauen, denn sie waren wenig oder gar nicht im Beruf und sie verdienten weniger. Mittlerweile werden die Erziehungszeiten der Kinder sowie der Pflegezeiten von Angehörigen auf die Rente berücksichtigt. Insofern benachteiligt die Neuregelung der Hinterbliebenenrente im besonderen Maße die Frauen. Es sollten bei der Festschreibung der Einkommensfreigrenzen bei der Hinterbliebenenrente wenigstens die Freibeträge für Kinder dynamisiert werden. Rentenrechtlich sollten des weiteren Ansprüche berücksichtigt werden für Jahre lange ehrenamtliche Arbeit. Entscheidend für das Auskommen im Alter ist die Rente, eigentlich eine Versicherung. Da in den nächsten Jahrzehnten die Renten sicher niedriger werden, müssen die Menschen privat für ihr Alter sparen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in Erftstadt zurzeit etwa 3.500 Personen (ca. 7,0 % der WB, davon ca. 900 Kinder < 15 J.) leben, die arm oder von Armut bedroht sind. Diese Zahlen umfassen aber nur die beantragten und amtlicherseits festgestellten Bedürftigkeiten. Die Durchführung von Erhebungen, die zu einer genaueren Bestimmung der Anzahl der von Armut bedrohten Menschen (nach Armutsdefinition) führen würde, ist technisch machbar. Der höhere Genauigkeitsgrad ist aber nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand möglich. So fand das Statistische Bundesamt nur durch Befragungen in einer Stichprobe unter Beteiligung eines Institutes heraus, dass 13 Prozent1 der Wohnbevölkerung (WB) in Deutschland als von Armut bedroht gelten. Demnach gäbe es in Erftstadt etwa 6.500 arme Menschen. Insofern das Einkommen der WB in Erftstadt nach Erhebungen im Verhältnis zu anderen Kommunen eher überdurchschnittlich ist, liegt der Schluss nahe, dass diese Schätzzahl für Erftstadt zu hoch ist. Dies kann aber nicht darüber hinwegtrösten, dass mindestens 3.526 einzelne Personen in Erftstadt am „Limit“ leben und am allgemeinen Wohlstand nicht teilhaben können. Armut ist heute im Vergleich zu früher kein Phänomen der Älteren mehr. Hier sind die Zahlen deutlich zurückgegangen. Während in Erftstadt 10.530 Personen über 65 Jahre leben und damit einen Anteil von 21,0 % der Gesamtbevölkerung ausmachen, beziehen 156 Personen über 65 Jahre SGB XII-Leistungen. Dies entspricht einen Anteil von etwa 1,5 % im Gegensatz zu etwa 3,5 % allgemein. Armut trifft heute in erster Linie Familien mit Kindern. Und die Kinder sind es auch, die den gesellschaftlichen Schutz und die gesellschaftliche Unterstützung am dringendsten benötigen. 1 Da keine Totalerhebung durchgeführt, sondern eine Stichprobe befragt wurde, ist das Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent wahr. 4 Von Armut lebenslang betroffen sind behinderte Kinder und Jugendliche, die nie in den ersten Arbeitsmarkt eintreten können. Für betroffene Kinder bedeutet Armut eine dramatische Minderung ihrer Chancen • • • • • auf einen guten Schulabschluss, auf ein Leben in Gesundheit, auf Teilhabe an sozialen und kulturellen Aktivitäten, auf ein entwicklungsförderndes und ausgeglichenes Familienleben und eine ausreichende Einkommensabsicherung im Alter. Der Deutsche Kinderschutzbund fordert deshalb eine kindgerechte Politik, die • • • Betreuungsmöglichkeiten für alle Kinder sicherstellt, gebührenfreie Kindertagesstätten als Bildungseinrichtungen anbietet und das Angebot kindgerechter Ganztagsschulen zügig ausbaut. Arbeiterwohlfahrt und der Paritätische äußern sich ähnlich, indem sie die Situation armer Kinder kennzeichnen durch • • • • wachsende Chancenungleichheit und Perspektivlosigkeit, zunehmende kulturelle und materielle Armut, gesundheitliche Defizite und soziale Ausgrenzung. Beide großen Wohlfahrtsverbände wie auch der Kinderschutzbund fordern eine zusätzliche Grundsicherung für Kinder in Höhe von 300 € für die notwendige materielle Versorgung. Des weiteren wollen sie den Schwerpunkt der Ressourcen einer Politik für Kinder verlagert wissen von einer Krisenintervention, die in der Regel im Alter von 12 bis 17 Jahren ansetzt, hin zu einem prophylaktischen Ansatz, der insbesondere arme Kinder und ihre Eltern in den prägenden ersten Lebensjahren oder – noch besser - vor Geburt des Kindes erreicht. Weil 120.000 Kinder und Jugendliche unser Bildungssystem jährlich ohne Schulabschluss und ohne berufliche Perspektive verlassen, und Kinder aus armen Familien schon im Grundschulalter die gravierendsten Benachteiligungen erfahren, sowie eher aussortiert als adäquat integriert werden, fordern die Verbände ebenfalls, eine neunjährige Elementarstufe als Ganztagsschule für alle Schüler einzurichten. „Die vorherrschende selektive Ausrichtung der Schule ist durch eine Neugestaltung der schulischen Bildung zu überwinden. Die individuelle Förderung, die Entwicklung von Lernfähigkeit und das soziale Lernen müssen zentrale Inhalte von Schule sein. “ Zum Forderungskatalog der großen Verbände gehören ebenfalls • • • • • eine nachhaltige Sprachförderung für Kinder und Eltern mit Migrationshintergrund, eine aufsuchende Gesundheitsberatung auch für schwangere Frauen, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem finden, durch Hebammen, Kinderkrankenschwestern und Ärzte, regelmäßige ärztliche Untersuchungen für Kinder, deren Eltern die Vorsorgeuntersuchungen versäumen oder gar nicht krankenversichert sind, Reihenuntersuchungen in Kindergärten und Schulen, vor allem in benachteiligten Stadtteilen, eine flächendeckende zahnärztliche Prophylaxe in den Kindertagesstätten und Schulen. 5 Die Verbesserung der Gesundheitsfürsorge ist auch den im NRW-Landtag vertretenen Parteien ein besonderes Anliegen. So weisen sie in einen gemeinsamen politischen Antrag „Kinder schützen – Grundlagen für regelmäßige ärztliche Untersuchungen aller Kinder schaffen“ vom 19.09.2006 auf zahlreiche kommunale Beispiele hin, die zeigen, „dass frühzeitige Unterstützung der Eltern im Sinne einer aufsuchenden Gesundheitsberatung durch „Sozialschwestern“, „Lotsen“, „kommunale Familienmanager“ oder ähnlich wegweisende Angebote auch die Teilnahme an den notwendigen Früherkennungsuntersuchungen erheblich steigern kann. Diese Unterstützung muss so früh wie möglich – wie z.B. durch Familienhebammen oder Kinderkrankenschwestern am besten schon vor der Geburt – ansetzen.“ Auch die Jugendamtsleitungen des Rhein-Erft-Kreises haben auf Anfrage des Kreisgesundheitsamtes nach Unterstützungswünschen im Rahmen der Frühförderung zwei herausgehobene Punkte für zwingend erachtet. Die Jugendämter schreiben: 1. „ Zum einen muss nach den Vorstellungen der Jugendämter die pränatale wie postnatale Begleitung junger Mütter durch Hebammen erheblich ausgeweitet werden. Die durchgreifenden Veränderungen familialer Lebenswelten - hier mit Blick auf den Generationenbezug (Kinder/Eltern/Großeltern) und die zunehmende Kommunikationslosigkeit– führen gerade in sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten und bei erziehungsverunsicherten Paaren zu einer Überforderung im Umgang mit Neugeborenen. Hebammen, die in die Familien hineingehen, sind in diesen Fällen hilfreiche Unterstützung. Die Arbeit der Familienhebammen bedarf aber der Abstimmung mit den Familienzentren oder den sonstigen in das jeweilige Frühwarnsystem eingebundenen Institutionen. 2. Zum anderen ist es dringend erforderlich, die jährlichen ärztlichen und zahnärztlichen Reihenuntersuchungen in den Kindertageseinrichtungen wieder einzuführen (vgl. hierzu § 10 Abs. 3 des Referentenentwurfes zum neuen KiBiz). Dadurch besteht die Chance, Fehlentwicklungen und Hilfsmöglichkeiten im pädagogischen Kontext der vertrauten Einrichtung mit den Eltern zu erörtern.“ Es bleibt nun abzuwarten, was von Seiten des Kreises umgesetzt wird. Auf Erftstadt bezogen sind folgende Maßnahmen als Handlungskonzept erforderlich: 1. Informationsflyer, die aufklären über die unterschiedlichen Anspruchsmöglichkeiten, z.B. über Grundsicherungsleistungen Krankenhilfe Pflegeversicherung Rundfunkgebührenbefreiung Wohngeld. Die Verteilung der Flyer könnte z.B. über die Tafel, Kleiderkammern, Renten- und Pflegeberatung erfolgen. 2. Ein zentrales Möbellager für Hilfebedürftige: Dort könnten Arbeitslosengeld-II-Empfänger qualifiziert werden, ältere Möbel abzuholen, aufzuarbeiten und gegen Entgelt auszugeben. Oft werden gut erhaltene gebrauchte Möbel, Elektrogeräte und Spielzeug von Erftstädter Bürgern angeboten. Die Gegenstände können aber nicht gelagert bzw. aufgearbeitet werden und landen oft im Sperrmüll. Darüber hinaus orientieren sich die Sätze für die Ersteinrichtung oder Ersatzbeschaffungen für Hilfsbedürftige an Gebrauchtpreisen und reichen deshalb oft nicht aus, eine Wohnung vollständig einzurichten. Die Einrichtung eines solchen Möbellagers würde, neben der Tafel und den Kleiderkammern, das Hilfsangebot für Bedürftige in Erftstadt komplettieren. Ähnlich wie beim Möbellager könnten auch Fundfahrräder wieder nutzbar gemacht und gegen geringes Entgelt verkauft werden. 6 3. Ausbau von bezahlbarem, altengerechtem Wohnraum, 4. Akquirierung von mehr Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung in Erftstädter Firmen, 5. Erhalt der Schuldnerberatung. Hiermit wird „das Übel an der Wurzel“ gepackt, was bedeutet, dass dem verschuldeten Bürger von Fachleuten mögliche Wege aus der Verschuldung aufgezeigt werden mit dem Ziel, auch die Ursache für die Schuldenkatastrophe zu erkennen, so dass der Betroffene einen Überblick und Lösungsmöglichkeiten über die für ihn oft aussichtslose finanzielle Situation erhält. Die Schuldnerberatung nimmt in Erftstadt der ASB wahr. Jeder, der Schulden hat, kann sich dort beraten lassen. Leistungsbezieher nach SGB II und SGB XII erhalten von der gewährenden Behörde ( ARGE , Sozialamt ) einen Berechtigungsschein, der sie zur kostenlosen Beratung bei der Schuldnerberatungsstelle berechtigt. Die Kosten für diese Beratung rechnet der ASB mit dem örtl. Träger der Sozialhilfe (REK) individuell ab. 6. Stärkere Unterstützung der Erftstädter Tafel. Dieser gemeinnützige Verein sammelt Lebensmittel und verteilt sie an Bedürftige. Durch die Abgabe der Lebensmittel an den berechtigten Personenkreis, erfahren diese Menschen eine finanzielle Entlastung ihres ohnehin am Rande des Existenzminimums vorhandenen Einkommens. Von Seiten der Stadt werden der Tafel Räumlichkeiten für die Vorratshaltung sowie die Ausgabe der Lebensmittel zur Verfügung gestellt. Durch den entstandenen Kontakt zur Stadtverwaltung hat sich eine Zusammenarbeit dergestalt entwickelt, dass Mitarbeiter der Tafel sich in Einzelfällen an das Sozialamt wenden und Informationen über mögliche Handlungsbedarfe weitergeben. Die räumliche Unterbringung der Tafel ist noch nicht optimal. Kühlmöglichkeiten oder ein kleines Ladenlokal in Liblar, das auch der zwischenmenschlichen Begegnung dient, sowie ein zentraler Raum in Lechenich wären wünschenswert. In einigen Städten bieten die Tafeln inzwischen Kochkurse an, da sie festgestellt haben, dass viele mit frischem Gemüse kaum etwas anzufangen wissen, weil Grundkenntnisse im Kochen fehlen. 7. Ausreichende Finanzausstattung für die Erftstadt-Card. Sie ermöglicht insbesondere jungen Bedürftigen u. a. den Zugang zu kulturellen Angeboten. Eintrittsgelder für Schwimmbäder, Volkshochschulkurse, Musikschule, Elternbeiträge in der Schulbetreuung, Essen in Kindergärten und Schulen etc. werden teilweise oder ganz subventioniert. Der Erwerb der Erftstadt-Card ist an folgende Voraussetzung geknüpft: • • • • Empfänger/innen laufender Hilfe zum Lebensunterhalt, Empfänger/innen von ARGE-Leistungen, Alten- und Pflegeheimbewohner/innen, die nur den Barbetrag zur persönlichen Verfügung erhalten, sonstige Personen, deren Einkommen den sozialhilferechtlichen Bedarf um nicht mehr als 15 % übersteigt. In 2006 wurden 742 Karten ausgestellt, davon allein 302 für Kinder unter 14 Jahren. Für die Erftstadt-Card stehen im Haushalt 2007 36.000 € zur Verfügung. In 2005 wurden bereits 46.500 € und in 2006 59.000 € ausgegeben. 8. Problematisch für arme Schulkinder ist mit Einführung des SGB II, dass ihre Eltern verpflichtet sind, Lernmittel nach Entscheidung der Schule auf eigenen Kosten zu beschaffen. Nach der alten BSHG-Regelung waren die Eltern von der Zahlung befreit. Die Schulen der Stadt Erftstadt haben im Schuljahr 2006/07 dafür gesorgt, dass die generelle Ausstattung aller Kinder sichergestellt werden konnte. Entweder wurden die betreffenden Schülerinnen und Schüler mit Büchern aus dem schulischen Bestand ausgestattet oder es erfolgte 7 eine Kostenübernahme durch die Schule oder den Förderverein. Diese individuelle Lösung ist lobenswert, arme Kinder werden aber durch die verschlechterte Gesetzgebung stigmatisiert. Eine Verschlechterung für lernschwächere Kinder hat sich auch durch die Einführung des SGB II ergeben. Nach dem alten BSHG konnten Kosten für den Nachhilfeunterricht übernommen werden. Das geht nach dem SGB II nicht mehr. Auch das neue SGB XII sieht diese Unterstützung nicht mehr vor. Fehlende schulische Unterstützungsmöglichkeiten stabilisieren aber Armut auf lange Sicht. Ein Fond möglicherweise aus Stiftungszwecken ist dringend geboten. 9. Ermöglichung der Teilnahme armer Kinder an den üblichen Freizeitaktivitäten der Erftstädter Vereine wie auch an den gängigen Freizeitmöglichkeiten in der näheren Umgebung (z.B. Phantasialand, Kletterhalle, Eislaufzentren, Kartcenter, Museen, Theater, usw.). Die Begleitung der Erwachsenen muss selbstverständlich auch finanziell ermöglicht werden. Ggfls. ist die Erfstadt-Card zielführend. 8