Daten
Kommune
Kerpen
Größe
516 kB
Datum
24.04.2018
Erstellt
17.04.18, 12:33
Aktualisiert
17.04.18, 12:33
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Inhalt der Datei
Fraktion im Rat der Kolpingstadt Kerpen
Fraktion UWG / DIE LINKE im Rat der Kolpingstadt Kerpen • Jahnplatz 1 • 50171 Kerpen
Fraktion UWG / DIE LINKE im Rat der
Kolpingstadt Kerpen
Jahnplatz 1 • Raum 183 • 50171 Kerpen
Kolpingstadt Kerpen
Der Bürgermeister
Dieter Spürck
im Hause
Telefon: 02237 58-128 • Telefax: 02237 58-536
E-Mail: uwg-linksfraktion@stadt-kerpen.de
Bürozeiten: Mo – Mi 09:30 -13:30 Uhr
Annetta Ristow
Wolfgang Scharping
Barbara Siebert
Axel Dallmann
Dr. Jürgen Greggersen
Rebecca Neumann
Thomas Ristow
Hannah Scharping
Wolfgang Scholz
15.04.2018
Anfrage der Fraktion UWG / DIE LINKE zur Sitzung des Rates am 24.04.2018: Schaffung eines
öffentlich geförderten Beschäftigungssektors zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit in
Kerpen
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
die Fraktion DIE LINKE. im Kreistag Rhein-Erft hat die Initiative ergriffen, zwecks Bekämpfung der
Langzeitarbeitslosigkeit im Kreis einen kreisweiten öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu
schaffen. Dieser Initiative liegen die im Anhang vorgetragenen Überlegungen zu Grunde, siehe
Anlage.
Der Initiative schließt sich die Fraktion UWG / DIE LINKE. Kerpen an und stellt folgende Anfrage:
Welchen Bedarf und welche Möglichkeiten der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen sieht
die Verwaltung in einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, d.h. in
a) kommunalen (Aufgaben-)Bereichen,
b) gemeinnützigen (Aufgaben-)Bereichen und
c) gesellschaftlich nutzbringenden (Aufgaben-)Bereichen der Kolpingstadt Kerpen?
Wir bitten die Verwaltung, bei der Beantwortung der Anfrage die im Anhang von der
Fraktion DIE LINKE. im Kreistag Rhein-Erft vorgetragenen Überlegungen für öffentlich
geförderte Beschäftigung zugrunde zu legen und die (Aufgaben-)Bereiche und möglichen
Beschäftigungsbedarfe(-möglichkeiten) für diese Bereiche jeweils abzuschätzen.
Begründung: Aufgrund unserer Anfragen vom 30.11.2017 und 19.12.2017 zur
Langzeitarbeitslosigkeit bzw. zum Hartz-IV-Langzeitleistungsbezug in Kerpen (Drs. Nr. 673.17 und
711.17) ergibt sich folgendes Bild: 6.464 Menschen sind in Kerpen (im Juni) 2017 hilfebedürftig und
auf den Bezug von Hartz-IV angewiesen. Darunter befinden sich 4.416 potentiell erwerbsfähige
Menschen. Das ergibt bei 38.050 potentiell Erwerbsfähigen in Kerpen einen Anteil von knapp 12 %
der erwerbsfähigen Menschen in Kerpen, die hilfebedürftig sind. Davon sind seit mehr als 2 Jahren
2.873 Menschen und unter ihnen seit mehr als 4 Jahren 1.968 Menschen in Kerpen Hartz-IVLangzeitbezieher. Dauerhafte Abhängigkeit von Hartz-IV-Leistungen ist also auch in Kerpen für viele
Menschen im erwerbsfähigen Alter ein großes Problem.
Sie sind auf Hilfestellung zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt angewiesen. Dennoch befinden
sich in 2017 lediglich 1.097 Menschen der 4.416 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Kerpen in
einer sogenannten Integration in den 1. Arbeitsmarkt. Das heißt: Dreiviertel von ihnen bleiben
ohne diese Chance. Dennoch führen auch die wenigen Integrationen nicht zum Ziel der Aufnahme
einer „bedarfsdeckenden“ Beschäftigung. Von den 1.097 Integrationen sind es lediglich 393
bedarfsdeckende Arbeitsaufnahmen, die den Hartz-IV-Bezug für mindestens 3 Monate beenden
können.
Eines der Haupthemmnisse der Hartz-IV-Langzeitbezieher ist die fehlende berufliche Qualifikation.
Viele von ihnen haben keine Berufsausbildung, nur einen Hauptschulabschluss oder noch nicht
einmal diesen. In der Beantwortung unserer Anfrage vom 19.12.2017:
Welche regionalen Spielräume hat das Jobcenter, um seine Fördermaßnahmen für den
Wiedereinstieg von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu intensivieren und zu
verstetigen z.B. bei der nachholenden Qualifizierung Betroffener ohne Schul- oder
Ausbildungsabschluss?
gibt das Jobcenter Rhein-Erft an:
Dem Jobcenter Rhein-Erft stehen alle Instrumente des SGB II zur Verfügung. Regionale
Einschränkungen hierzu gibt es nicht. Jedoch muss das Jobcenter Rhein-Erft die Gesamtschau
im Rhein-Erft-Kreis in den Fokus nehmen. Aktuell müssen die Jobcenter mit einer vorläufigen
Haushaltsführung arbeiten.
Das bedeutet u.E.: Qualifizierungsmaßnahmen wären zwar sozialpolitisch erforderlich und sollten
arbeitsmarktpolitisch angegangen werden, sind aber offensichtlich vom Jobcenter nicht
durchzuführen.
Vor dem Hintergrund begrüßt die Fraktion UWG / DIE LINKE. Kerpen die von der Linksfraktion im
Kreistag Rhein-Erft gestartete Initiative, um angesichts der guten Haushaltslage im Kreis, die einer
Finanzierung Spielräume eröffnet, in Rhein-Erft bzw. auch in Kerpen das Problem der verfestigten
Langzeitarbeitslosigkeit endlich in einem ersten Schritt konstruktiv anzugehen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Annetta Ristow
i.A.
Thomas Ristow
Anlage
2
Schaffung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors zur Bekämpfung von
Langzeitarbeitslosigkeit im Rhein‐Erft‐Kreis
Die Frage der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist eine herausragende Aufgabe, um
dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes wie dem Auftrag der Landesverfassung NRW in
Artikel 24 Abs. 1:
„Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner
Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht
auf Arbeit.“
gerecht zu werden.
Die Fraktion DIE LINKE. im Kreistag hat deshalb die Initiative ergriffen, einen kreisweiten
öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu schaffen. Dieser Initiative liegen folgende
Überlegungen zu Grunde:
1. Das Bundesministerium für Wirtschaft stellte im Februar zur wirtschaftlichen Lage in
Deutschland fest:
„Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem kräftigen Aufschwung. Im Jahr 2017
nahm das Bruttoinlandsprodukt stärker zu als in den vorangegangenen Jahren. Auch
im vierten Quartal entwickelte sich das BIP ordentlich. (…).
Die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften in weiten Teilen der Wirtschaft sorgt für eine
Beschäftigung auf Rekordniveau und in manchen Regionen für Vollbeschäftigung.
Arbeitslosigkeit
und
Unterbeschäftigung
sind
weiterhin
rückläufig.
Herausforderungen beispielsweise beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit bleiben
bestehen.“
Der letzte Satz verweist auf die Schattenseite der wirtschaftlichen Entwicklung: Das nicht
gelöste Dauer‐Problem von Langzeitarbeitslosigkeit. Diese Feststellung gilt auch für den
Rhein‐Erft‐Kreis, denn die Zahlen der Langzeitarbeitslosen bleiben verfestigt auf hohem
Niveau. Im Januar dieses Jahres zählte die Statistik der Agentur für Arbeit 6.972 Menschen
als langzeitarbeitslos; das waren 42,5 % aller Arbeitslosen im Kreis. Zum Vergleich: Im Januar
2017 waren 7.560 Menschen und im Januar 2016 waren 7.916 Menschen langzeitarbeitslos.
DIE LINKE. hat seit langem und auf allen politischen Ebenen zur Bekämpfung der
Langzeitarbeitslosigkeit die Schaffung von öffentlichen bzw. öffentlich geförderten
Beschäftigungssektoren (öBS) gefordert. Ich selbst habe das Thema wiederholt in meinen
Haushaltsreden im Kreistag angesprochen. Zur Finanzierung des Beschäftigungssektors
haben wir angeregt, die Leistungen des Hartz IV‐Bezugs nebst Eingliederungshilfen ergänzt
durch Zuschüsse einzusetzen (sog. „Passiv‐Aktiv‐Transfer“).
Wir begrüßen, dass nun ebenfalls die Bundesregierung das Konzept des „Passiv‐Aktiv‐
Transfers“ aufgreifen möchte. So heißt es im Koalitionsvertrag 2018 von CDU/CSU und SPD:
„Wir wollen Vollbeschäftigung erreichen: Ziel der Vollbeschäftigung und Abbau von
Langzeitarbeitslosigkeit. 4 Milliarden Euro zusätzlich für neue Chancen in einem
sozialen Arbeitsmarkt für langzeitarbeitslose Bürgerinnen und Bürger.“ (Zeile 371 ff
des KV.)
und weiter:
„Dazu schaffen wir u. a. ein neues unbürokratisches Regelinstrument im
Sozialgesetzbuch II „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“. Wir stellen uns eine
Beteiligung von bis zu 150.000 Menschen vor. Die Finanzierung erfolgt über den
Eingliederungstitel, den wir hierfür um vier Milliarden Euro im Zeitraum 2018 bis 2021
aufstocken werden. Wir ermöglichen außer dem den Passiv‐Aktiv‐Transfer in den
Ländern. Der Bund stellt dazu die eingesparten Passiv‐Leistungen zusätzlich für die
Finanzierung der Maßnahmen zur Verfügung.“ (siehe Zeile 2252 ff. des KV)
2. Was unter dem Konzept des „Passiv‐ Aktiv‐Transfer“ zu verstehen ist, hat der
Sozialwissenschaftler und Arbeitsmarktexperte Prof. Dr. Sell (Koblenz) anschaulich grafisch
dargestellt (hier mit den Werten aus 2016):
Wir meinen als LINKE, dass es sozialstaatlich geboten und sozialpolitisch richtig und
realistisch ist, das Konzept des „Passiv‐Aktiv‐Transfer“ zu nutzen und auch im Rhein‐Erft‐
Kreis zu institutionalisieren.
Gute öffentlich geförderte Arbeit bietet die Alternative, statt der Verwaltung von
Langzeitarbeitslosigkeit in einem System, das die Betroffenen vielfach als demütigend
erleben, sozialversicherungspflichtige und anständig bezahlte Arbeit in kommunalen,
gemeinnützigen und gesellschaftlich nutzbringenden Bereichen zu schaffen.
3. Rechnet man das Konzept überschlägig durch, so ist es realistisch.
Unter den aktuellen Bedingungen im Rhein‐Erft‐Kreis ergäben sich folgende Passiv‐
Leistungen, die eingebracht werden müssten:
1.
2.
3.
4.
ALG II‐Regelleistung:
Kosten der Unterkunft (durchschnittlich)*:
Sozialversicherungsleistungen (durchschn.)*:
Gesamt:
416 EUR
414 EUR
161 EUR
991 EUR
(*Anmerkung: Durchschnittswerte gemäß Statistik der Bundesagentur für Arbeit für den Rhein‐Erft‐Kreis –
Oktober 2017)
Auf der Aktiv‐Seite ergibt sich bei einer 30 Stunden/Woche (130 Stunden/Monat) und
einem in Ansatz gebrachten Verdienst von 12 EUR/brutto in der Stunde ein
1. Brutto‐Monatsverdienst von:
(= Netto‐Verdienst: 1.140 EUR)
2. Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung:
3. Gesamt
1.560 EUR
302 EUR
1.862 EUR
Daraus errechnet sich ein Zuschussbedarf von rund:
zusammensetzen müsste aus:
1.
2.
3.
4.
5.
871
EUR,
der
sich
Eingliederungsmittel (§ 16e SGB II)
Zusatzmittel des Bundes
ESF‐ und andere Fördermittel
Eigenanteil öffentlicher und gemeinnütziger Beschäftigungsträger
Zuschuss durch den Kreis
Der Jahreszuschussbedarf für eine derartige Stelle beträgt somit 871 EUR X 12 Monate =
10.452 EUR. Geht man in einem ersten Schritt von einem öffentlich geförderten
Beschäftigungssektor mit 100 Langzeitarbeitslosen im Kreis aus, würde ein
Finanzierungsvolumen von rund 1.045.200 EUR p.a. benötigt. Rechnet man konservativ, dass
der Kreis rund 50 % des Zuschussbedarfs trägt, wäre das ein Aufwand von 500 TEUR p.a.,
d.d. ein jährlicher Betrag von ca. 5.000 EUR je Beschäftigten.
Wir sind der Meinung, dass angesichts der aktuellen positiven Entwicklung des
Kreishaushalts (u.a. Rückgang der für die Kosten der Unterkunft (KdU) benötigten Mittel um
über 10 Mio. EUR), Spielräume für eine Finanzierung des Anteils des Kreises an einem
solchen Beschäftigungssektor gegeben sind. Der Kreis könnte einen entsprechenden
Zuschussanteil tragen.
4. Ein Konzept für gute öffentliche geförderte Beschäftigung müsste aus unserer Sicht zudem
weitere Kriterien erfüllen:
1.
2.
3.
4.
5.
Strikte Freiwilligkeit der Bewerbung auf die Stellen
Keine Befristung der Stellen
Begleitung und Unterstützung
Qualifizierungsangebote
Unterstützung bei Bewerbungen auf andere Stellen.
13. April 2018
Hans Decruppe
Fraktionsvorsitzender
DIE LINKE im Kreistag Rhein‐Erft