Daten
Kommune
Aachen
Dateiname
165172.pdf
Größe
1,2 MB
Erstellt
09.06.16, 12:00
Aktualisiert
12.07.17, 11:16
Stichworte
Inhalt der Datei
Der Oberbürgermeister
Vorlage
Vorlage-Nr:
Status:
AZ:
Datum:
Verfasser:
Federführende Dienststelle:
Fachbereich Soziales und Integration
Beteiligte Dienststelle/n:
FB 50/0154/WP17-1
öffentlich
09.06.2016
Integration von Flüchtlingen - Erstellung eines Integrationsplans - Ratsantragspaket der Fraktionen CDU und SPD vom 15.03.2016
Niedrigschwellige Arbeitsmöglichkeiten für Asylbewerber nach § 5
AsylbLG - Ratsantrag der Fraktion Grüne vom 11.04.2016
Beratungsfolge:
TOP: 5
Datum
Gremium
Kompetenz
23.06.2016
SGA
Entscheidung
Beschlussvorschlag:
Der Ausschuss für Soziales, Integration und Demographie stimmt der Vorgehensweise der
Verwaltung zu. Die Ratsanträge Nr. 149/17, 150/17, 151/17, 152/17, 153/17 und 158/17 werden mit
der Erstellung des Integrationsplanes aufgegriffen, abgearbeitet und die beauftragten
Themenbereiche kontinuierlich weiterentwickelt.
Prof. Dr. Sicking
(Beigeordneter)
Vorlage FB 50/0154/WP17-1 der Stadt Aachen
Ausdruck vom: 03.08.2016
Seite: 1/4
finanzielle Auswirkungen
Investive
Ansatz
Auswirkungen
20xx
Fortgeschriebener Ansatz
Fortgeschriebe-
Ansatz
ner Ansatz
20xx ff.
20xx
Gesamt-
Gesamtbedarf (alt)
20xx ff.
bedarf
(neu)
Einzahlungen
0
0
0
0
0
0
Auszahlungen
0
0
0
0
0
0
Ergebnis
0
0
0
0
0
0
+ Verbesserung /
-
0
0
Deckung ist gegeben/ keine
Deckung ist gegeben/ keine
ausreichende Deckung
ausreichende Deckung
vorhanden
vorhanden
Verschlechterun
g
konsumtive
Ansatz
Auswirkungen
20xx
Ertrag
Fortgeschriebener Ansatz
Fortgeschriebe-
Ansatz
ner Ansatz
20xx ff.
20xx
20xx ff.
Folgekos-
Folgekos-
ten (alt)
ten (neu)
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
Abschreibungen
0
0
0
0
0
0
Ergebnis
0
0
0
0
0
0
Personal-/
Sachaufwand
+ Verbesserung /
Verschlechterun
0
0
Deckung ist gegeben/ keine
Deckung ist gegeben/ keine
ausreichende Deckung
ausreichende Deckung
vorhanden
vorhanden
g
Die finanziellen Auswirkungen können noch nicht beziffert werden.
Vorlage FB 50/0154/WP17-1 der Stadt Aachen
Ausdruck vom: 03.08.2016
Seite: 2/4
Erläuterungen:
Ausgangslage
In Aachen herrscht eine starke Willkommenskultur. Politik und Verwaltung ist es im Schulterschluss
mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt ein wichtiges Anliegen, frühestmöglich die hier
ankommenden Menschen in die Gesellschaft einzugliedern.
In diesem Sinne hat es in Aachen traditionell immer wieder Aufträge und Appelle der Politik, Initiativen
der Verwaltung, Angebote der Wohlfahrtspflege und anderer Träger, zahlreiche Vereinsaktivitäten und
auch sehr breit gestreute Angebote von Bürgerinnen und Bürgern gegeben. Die große Zunahme von
Flüchtlingen insbesondere seit 2015 hat diese integrativen Strukturen wachsen lassen und gestärkt.
Die zur Beratung anstehenden Ratsanträge stehen in diesem Kontext. Sie werden von der Verwaltung
zum Anlass genommen, die bisherigen Integrationsbemühungen in Aachen weiter zu entwickeln,
Strukturen und Netzwerke zu optimieren und Themenschwerpunkte zu setzen.
Sachstand
Stand 01.06.2016 erhalten in Aachen rund 2850 Personen Leistungen nach dem AsylbLG. Davon sind
rund 2540 Flüchtlinge in den Einrichtungen und Wohnungen des Fachbereiches Soziales und
Integration untergebracht.
Derzeit werden der Stadt Aachen keine Flüchtlinge zugewiesen, weil die Aufnahmeverpflichtung
übererfüllt ist. Das liegt insbesondere an der Anrechnung von Plätzen für Landesflüchtlinge. Ab Juli
2016 wird mit weiteren Zuweisungen gerechnet. (s. dazu die Ausführungen zu TOP 8)
In den letzten 3 Jahren sind zahlreiche Angebote entstanden, um der enorm gestiegenen Zahl von
Asylbewerbern zu begegnen.
Neben der Aufstockung des Betreuungspersonals in der Verwaltung entstanden vielfältige Aktivitäten
zur Integration der schutzsuchenden Menschen. In dieser Phase wurde das Aachener Bündnis für
Flüchtlinge ins Leben gerufen. Die Akteure wurden damit unter ein Dach gestellt und nach Themenbereichen geordnet. Dennoch ist festzustellen:
Dem großen Handlungsdruck geschuldet wurde bislang im Wesentlichen auf die aktuellen
Notwendigkeiten reagiert. Nun gilt es, den angelegten Weg auszubauen, zu festigen und die
Marschrichtung nach den aktuellen Anforderungen festzulegen.
Dazu soll der Integrationsplan dienen. Er baut auf dem Konzept zur Betreuung und Unterbringung von
Flüchtlingen auf, das im letzten Jahr vom Rat verabschiedet worden ist.
Der Integrationsplan soll - im Gegensatz zum wesentlich umfassenderen Integrationskonzept- einen
konkreten Handlungsrahmen angesichts der aktuellen Herausforderungen darstellen.
Vorlage FB 50/0154/WP17-1 der Stadt Aachen
Ausdruck vom: 03.08.2016
Seite: 3/4
Vorgehensweise
In der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Integration und Demographie am 28.04.2016 sollte
zunächst die Gliederung des Integrationsplanes vorgestellt werden. Der TOP wurde in der Sitzung
nicht beraten, sondern verschoben.
Zwischenzeitlich hat der Deutsche Städtetag zum Thema „Integration von Zugewanderten –
Veränderte Herausforderungen für die Kommunen“ einen Leitfaden (Anlage 2) herausgegeben, der
am 23.06.2016 verabschiedet wird. Die Verwaltung hat sich in ihren Ausführungen diesem Leitfaden
angeschlossen und die Gliederung des Integrationsplans Aachen an der Abfolge der og. Ratsanträge
orientiert.
Ein Entwurf des Integrationsplanes Aachen ist in der Anlage 1 beigefügt und wird in der Sitzung am
23.06.2016 vorgestellt.
In einem nächsten Schritt sollen konkrete Maßnahmenpakete und die Kosten der Umsetzung zur
Beratung vorgelegt werden.
Anlagen:
Anlage 1 – Entwurf des Integrationsplanes
Anlage 2 – Leitfaden des Deutschen Städtetages
Anlage 3 – Ratsanträge der CDU- und SPD Fraktionen 1-5 vom 15.03.2016
Anlage 4 – Ratsantrag der Fraktion Grüne vom 11.04.2016
Vorlage FB 50/0154/WP17-1 der Stadt Aachen
Ausdruck vom: 03.08.2016
Seite: 4/4
Stadtverwaltung Aachen
- Dezernat VI Wohnen, Soziales und Wirtschaftsförderung
Integrationsplan Aachen
Stand: 08.06.2016
Agenda
Einleitung
Kapitel 1
Betreuung von Flüchtlingen in Aachen
1.1
1.2
1.3
1.4
Kapitel 2
Spracherwerb
2.1
2.1
Kapitel 3
Unterbringungsstrategie für Familien und Erwachsene
Unterbringungsstrategie für unbegleitete minderjährige Ausländer
Das Kommunale Integrationszentrum
Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe
Spracherwerb für Erwachsene
Spracherwerb für Kinder
Arbeit und Beschäftigung
3.1
3.2
3.3
Integration in den Arbeitsmarkt
Integration Point
Förderung jugendlicher Flüchtlinge im Alter von 15 bis 25 Jahren
Kapitel 4
Wohnraum
Kapitel 5
Gesellschaftliche Integration
5.1
5.2
5.3
5.4
Kulturelle und gesellschaftliche Integration
Kommunikation und Medien
Geschlechtsspezifische Erfordernisse der Integration
Flüchtlingsfamilien mit Kindern
Einleitung
Nachdem die Stadt Aachen vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 eine Vielzahl von Flüchtlingen
aufgenommen hat, steht sie nun vor der Herausforderung, die in Aachen lebenden Menschen adäquat zu
integrieren.
Der Rat der Stadt Aachen hat die Verwaltung daher in seiner Sitzung am 06.04.2016 aufgrund eines
gemeinsamen Antragspaketes der Fraktionen CDU und SPD beauftragt, einen Integrationsplan für Flüchtlinge
zu erstellen. Dieser soll ein konkretes Maßnahmenpaket beinhalten und die Themenbereiche
Betreuung von Flüchtlingen
Spracherwerb
Arbeit und Beschäftigung
Wohnraum
umfassen. Darüber hinaus liegt ein Ratsantrag der Fraktion die Grünen vom 11.04.2016 zu niedrigschwelligen
Arbeitsmöglichkeiten für Asylbewerber nach § 5 AsylbLG vor. Die Anträge werden durch die in diesem
Integrationsplan getätigten Ausführungen bearbeitet. Zur Situation der Flüchtlingsunterbringung und den
aktuellen Prognosen liegt dem Ausschuss für Soziales, Integration und Demografie für seine Sitzung am
23.06.2016 darüber hinaus ein aktueller Sachstand vor.
Im Aachener Integrationsplan soll sich die Brücke von der Flüchtlingsaufnahme bis zur Anerkennung der
geflüchteten Menschen als gleichberechtigte Migrantengruppe abbilden.
Integration ist - nach dem vom Rat verabschiedeten Aachener Integrationskonzept von 2005, welches sich
derzeit in der Überarbeitung befindet - ein Prozess, der „gleichermaßen Rechte und Pflichten erschließt und
die Bereitschaft von jedem zugewanderten Menschen voraussetzt, sich eigenverantwortlich in das
gesellschaftliche Leben durch Sprache, Bildung, Erwerbstätigkeit, aber auch durch soziale Kontakte und
Partizipation aktiv einzubringen. Der Erwerb der deutschen Sprache ist die entscheidende Voraussetzung für
ein Gelingen der Integration. Sie bedingt die gegenseitige Kommunikation und Partizipation in der
Gesellschaft“.
Der Deutsche Städtetag hat zum Thema „Integration von Zugewanderten - Veränderte Herausforderungen für
die Kommunen“ einen Leitfaden (s. Anlage) herausgegeben, der am 23.06.2016 verabschiedet wird. Der
Leitfaden enthält eine ausführliche Beschreibung der besonderen Herausforderungen für eine gelingende
Integration von Zugewanderten. Zu den Themenfeldern gehören Spracherwerb und Bildung, Ausbildung,
Qualifizierung und Beschäftigung, Wohnraumversorgung und sozialräumliche Integration, die besondere
Situation unbegleiteter minderjähriger Ausländer, gesellschaftliche Integration, freiwilliges und ehrenamtliches
Engagement und Kommunikation zu Flüchtlingen und Integration. Jedes einzelne Kapitel ist mit Empfehlungen
für Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen versehen.
Die mit der Erstellung des Integrationsplans beauftragten Dienststellen (Dez. VI, FB 50, FB 64, FB 23, FB 45,
E42, FB 13 sowie das Gleichstellungsbüro) haben sich in dem vorliegenden Integrationsplan diesem Leitfaden
entsprechend angeschlossen und auf die konkreten Herausforderungen für Aachen fokussiert. Jedes Kapitel
endet daher auch hier mit der Formulierung von Handlungsbedarfen.
Vorbehaltlich der noch ausstehenden politischen Zustimmung zu dem nachfolgenden Integrationsplan werden
in einem nächsten Schritt konkrete Maßnahmenpakete zur Beratung vorgelegt und zeitnah umgesetzt.
Kapitel 1 - Betreuung von Flüchtlingen in Aachen
1.1
Unterbringungsstrategie für Familien und Erwachsene
Die Betreuung der zugewiesenen Flüchtlinge erfolgt durch den städtischen Sozialdienst der Übergangsheime
und dem Team der Hausmeister. Die Betreuung vor Ort ist ein zentrales Element auf dem Weg zu einer
gelungenen Integration, da die Flüchtlinge oft Monate brauchen, um das hiesige soziale System zu verstehen
und es zunehmend selbstständig zu nutzen. Die Beratung umfasst dabei ein breites Spektrum in den
verschiedensten Bereichen; angefangen von einfachen Alltagshinweisen bis hin zur Krisenintervention in
schwierigen Konfliktfällen. Die Sozialarbeiter verweisen außerdem auf die vorhandenen Beratungsangebote
von Stadt, Trägern oder anderen Organisationen, wie z.B. die Bildungserstberatung des Kommunalen
Integrationszentrums und der Integration Point (Näheres hierzu unter Kapitel 1.3 bzw. 3.2).
Im Juni 2015 wurde dem Rat der Stadt Aachen ein Konzeptpapier zur Unterbringung von Flüchtlingen
vorgestellt. Hierin wurden die wesentlichen Qualitätsstandards bei der Unterbringung formuliert, wie etwa die
Verteilung der Menschen auf das Stadtgebiet, die ausgewogene Belegung von Einzelwohnungen/
Übergangsheimen oder anderen Immobilien oder auch die Einhaltung einer Obergrenze von maximal 50
Personen an einem Standort.
Aufgrund der Vielzahl der im Herbst 2015 nach Aachen zugewiesenen Personen konnten diese Vorgaben
nicht mehr an allen Standorten eingehalten werden. So sind mittlerweile beinahe 1.300 Menschen und damit
rund 50% der Flüchtlinge in Einzelwohnungen untergebracht. Dies ist für die Integration unbestritten förderlich,
stellt den Sozialdienst und die Hausmeister jedoch hinsichtlich der notwendigen Betreuung vor große
Herausforderungen. Zudem wurden zahlreiche Einrichtungen mit mehr als 50 Plätzen geschaffen. Die
gleichmäßige Verteilung im Stadtgebiet ist ebenfalls noch zu optimieren. Die möglichst umfangreiche
Einhaltung der konzeptionellen Vorgaben wird weiterhin Aufgabe der fachbereichsübergreifenden
Projektgruppe zur Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten (sog. „Donnerstagsrunde“) sein. Hier werden
zudem aktuelle Prognosen abgestimmt und mittelfristige Bedarfsplanungen vorgenommen.
Die Erfahrungen der letzten Monate mit der Einrichtung und Betreuung größerer Standorte insbesondere mit
Gemeinschaftseinrichtungen haben gezeigt, dass in der Regel eine 24 Std.- Betreuung notwendig ist. Dies
ergibt sich einerseits aus entsprechenden bauordnungsrechtlichen Vorgaben und andererseits aus dem
Bedürfnis der Anwohner, auch in den Abend- und Nachtstunden Ansprechpartner vor Ort zu haben. In einigen
Einrichtungen wurde ein Sicherheitsdienst eingesetzt; gute Erfahrungen wurden auch mit Mitarbeitern des
DRK gemacht, die neben der erforderlichen Bescheinigung nach §34a Gewerbeordnung zugleich
Kompetenzen in der sozialen Betreuung der Menschen haben.
Handlungsbedarfe:
Die gleichmäßige Verteilung der untergebrachten Flüchtlinge im Stadtgebiet soll optimiert werden.
Größere Standorte, die mehr als 150 Plätze umfassen, sollen für die nächsten Jahre in die
Quartiere integriert werden. Hierzu wird vorgeschlagen, die Hilfe von Verbänden, die außerhalb der
Dienstzeiten von Verwaltung, Sozialdienst und Hausmeistern als Ansprechpartner für Be- und
Anwohner zur Verfügung stehen und bei Problemen unmittelbar eingreifen können, in Anspruch zu
nehmen und gemeinsam ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Das DRK hat sich in den
vergangenen Monaten als kompetenter und verlässlicher Partner gezeigt.
1.2
Unterbringungsstrategie für unbegleitete minderjährige Ausländer
Die unbegleiteten minderjährigen Ausländer (UMA) sind diejenigen unter den Flüchtlingen, die aufgrund ihrer
unmittelbaren Schutzbedürftigkeit ein sofortiges und intensives Tätigwerden der Jugendhilfe erfordern.
Um dieser Versorgung der unbegleiteten minderjährigen Ausländer von Beginn an gerecht zu werden, haben
sich die örtlich ansässigen freien Träger und die Abteilung Jugend des Fachbereiches Kinder, Jugend und
Schule zur kontinuierlichen Entwicklung adäquater Angebote im ambulanten, teilstationären und stationären
Bereich der Hilfen zur Erziehung zusammengeschlossen. Im Rahmen einer engen Zusammenarbeit - auch mit
dem Landesjugendamt Köln - wurden innerhalb der Stadt wie auch Städteregion Aachen bisher rund 332
stationäre Plätze zur Unterbringung der jungen Menschen geschaffen.
Neue Konzepte wie z.B. das Café Welcome (Erstaufnahmeeinrichtung) des Zentrums für soziale Arbeit
Burtscheid und die tagesstrukturierenden Maßnahmen für UMA ohne Heim- und Schulplatz wurden
implementiert und bis heute genutzt. Derzeit befindet sich ein Konzept "UMA und Pflegefamilie" im Aufbau.
Auch hier wird in bewährter Weise auf die Zusammenarbeit mit den Freien Trägern der Jugendhilfe
zurückgegriffen.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung
ausländischer Kinder und Jugendlicher gehört die Stadt Aachen zu den sechs Kommunen in NRW, die
aufgegriffene minderjährige Ausländer nach einer vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42 a SGB VIII und dem
damit verbundenen Erstclearingverfahren über die Verteilstelle des Landesjugendamtes an andere
Jugendämter abgeben kann.
Dennoch erhält auch die Stadt Aachen Zuweisungen von UMA. Dies geschieht, wenn erwachsene Verwandte
(in der Regel erwachsene Geschwister, Onkel und Tanten) für Aachen eine kommunale Zuweisung erhalten
haben. Derzeit sind in diesem Zusammenhang ca. 45 Minderjährige zu verzeichnen. Da in der Regel nicht
davon ausgegangen werden kann, dass die Verwandten bereit und oder in der Lage sind, die Minderjährigen
aufzunehmen, stellt die Fachabteilung die Betreuung und Versorgung des betroffenen Minderjährigen
vollumfänglich - auch mit der Einrichtung einer Vormundschaft zur gesetzlichen Vertretung - sicher.
Handlungsbedarfe:
Stetige Anpassung der stationären pädagogischen Angebote für unbegleitete minderjährige
Ausländer entsprechend der Bedarfslage; dies gemeinsam mit den Freien Trägern der Jugendhilfe.
Stetige Anpassung der ambulanten pädagogischen Betreuungsangebote für unbegleitete
minderjährige Ausländer entsprechend der Bedarfslage; dies gemeinsam mit den Freien Trägern der
Jugendhilfe.
1.3
Das Kommunale Integrationszentrum
Ziel des Kommunalen Integrationszentrums (KI) ist die Sensibilisierung für Diversität und die Gestaltung dieser
Vielfalt im alltäglichen Leben in der Migrationsgesellschaft. Alle Angebote des KIs sind für alle Zugewanderten
offen und unabhängig von Herkunft oder Aufenthaltsstatus. Aufgrund der hohen Zuwanderungszahlen sind
einige Angebote explizit auf die Bedarfe von Flüchtlingen ausgerichtet worden:
„KOMM-AN NRW“
Stärkung und Begleitung des ehrenamtlichen Engagements in der Flüchtlingshilfe
Kita: Frühe Bildung, Brückenangebote
Eltern- Kind- Programme wie „Griffbereit“ und „Rucksack“, die die Mehrsprachigkeit fördern
Schule: Seiteneinsteigerberatung für schulpflichtige Kinder und Jugendliche
Beratung zum schulischen Bildungsverlauf sowie passgenaue Vermittlung in Deutsch- Intensivkurse
und sog. Vorbereitungsklassen bzw. Internationale Förderklassen; Begleitung des Systems zur
Interkulturellen Schulentwicklung
Erwachsene: Bildungserstberatung (BEB) für Migrantinnen und Migranten
Unterstützung in Alltagsfragen, bei der Sprachkurssuche oder Fragen der Erwachsenenbildung und
Weiterqualifizierung; Bildung einer „Beratungskette“ mit Ausländeramt, Integration Point usw.
Handlungsbedarfe:
Die Angebote im Bereich der Frühen Bildung sollen aufgrund der gestiegenen Bedarfe ausgebaut
werden, um Familien mit Kleinkindern angemessene Sprachprogramme anbieten zu können.
Gleichzeitig ist die stärkere Begleitung und Beratung der Kitas im Prozess der Interkulturellen
Öffnung für die Schaffung einer guten Ausgangsbasis der zugewanderten Kinder unabdingbar.
Alle schulischen Seiteneinsteiger in Aachen konnten bisher in sog. Vorbereitungsklassen
untergebracht werden. Zur Begleitung und Beratung des pädagogischen Fachpersonals in diesen
49 Klassen bedarf es eines Ausbaus der Qualifizierungs- und Beratungsangebote (z.B. in
DaZ/DaF, Umgang mit Vielfalt/ Vorurteilen/ Traumata, Interkulturelle Schulentwicklung usw.), um
Kinder und Jugendliche adäquat zu unterrichten und in den schulischen Alltag zu integrieren.
Die Bildungserstberatung für Erwachsene soll auch für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive geöffnet
werden. Dazu bedarf es einer verstärkten Koordination und Absprachen mit den
Kooperationspartnern der Wohlfahrtsverbände und der Sprach- und Integrationskursträger zur
passgenauen Beratung dieser Zielgruppe.
1.4
Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe
Ehrenamtliche Aktivität findet im Bereich der Flüchtlingshilfe in zahlreichen Handlungsfeldern statt und kann
daher als Querschnittsaufgabe betrachtet werden.
Ausgelöst durch die verstärkte Zuwanderung von Flüchtlingen hat sich in Aachen neben den bereits
bestehenden Strukturen auf kommunaler Ebene, den Hilfsangeboten der Wohlfahrtsverbände sowie den
bürgerschaftlichen Initiativen ein starkes ehrenamtliches Engagement entwickelt. Positive Beispiele sind hier
die Initiativen „WiR- Willkommen in Richterich“ oder „Neue Nachbarn“ in Burtscheid.
Diese zivilgesellschaftliche Bewegung wird von Stadt, Kirchen, Moscheegemeinden und Verbänden
unterstützt, damit die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Integration von Flüchtlingen gelingt.
Es hat sich gezeigt, dass ehrenamtliche Aktivitäten unterschiedlich stark in den einzelnen
Flüchtlingsunterkünften ausgeprägt sind. Die Spannbreite bewegt sich hier von bereits gut funktionierenden
Netzwerken und vielfältigen Angeboten in einzelnen Einrichtungen bzw. Stadtteilen bis hin zu fast nicht
vorhandener ehrenamtlicher Aktivität. Ein Team von städtischen Mitarbeitern, die im August 2015 zur
Unterstützung des FB 50 aus anderen Fachbereichen umgesetzt wurden, soll daher zur weiteren Einbindung
des Ehrenamtes in die Betreuung von Flüchtlingen in der neuen Organisationsstruktur des zukünftigen FB 56
verstetigt werden.
So können interessierte Ehrenamtliche beraten werden, an welchen Stellen Hilfe besonders notwendig ist.
Hierbei findet eine systematische Begleitung und Qualifizierung der Ehrenamtler statt, beispielsweise im Wege
von interkulturellen Schulungen oder Supervisionsangeboten.
Aufgrund der helfenden Beziehungen der Ehrenamtlichen zu den geflüchteten Menschen werden
erfahrungsgemäß deren Potentiale schneller und unbürokratisch sichtbar.
Handlungsbedarfe:
Die Schaffung bzw. Unterstützung von ehrenamtlichen selbstorganisierten Netzwerken in allen
Einrichtungen bzw. Sozialräumen ist anzustreben.
Die Stadt Aachen bietet sich als zentraler Koordinator an, um ein möglichst abgestimmtes und
strukturiertes Zusammenwirken mit den vorhandenen Netzwerken zu gewährleisten.
Kapitel 2 – Spracherwerb
2.1
Spracherwerb für Erwachsene
Kenntnisse der deutschen Sprache sind die grundlegende Voraussetzung für soziale und berufliche
Integration; erfolgreicher Spracherwerb und gelungene soziale Integration bedingen einander.
Im Deutschunterricht der VHS Aachen werden von Anfang an intensiv auch Kenntnisse des deutschen
Bildungs-, Gesundheits- und Wirtschaftssystems, Aspekte des Alltagslebens und der Berufswelt sowie
grundlegende Normen und Werte der Gesellschaft vermittelt. Die Berücksichtigung aller Aspekte bildet die
Voraussetzung für die spätere Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen und für die Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben in Deutschland.
Die VHS Aachen ist Gründungsmitglied des Netzwerks Integration, aktiv vertreten im Sprecherkreis dieses
Netzwerks und Koordinatorin der Arbeitsgruppe Sprachförderung. Sie ist Mitglied im Bündnis für Flüchtlinge
und beteiligt an der Bildungserstberatung. Die Koordination von Deutschkursen obliegt ihr nicht, zumal sie als
Kursträgerin auch Mitbewerberin auf dem Markt ist. Das Bildungsbüro der Städteregion Aachen hat Mittel beim
Bundesministerium für Bildung und Forschung beantragt, die unter anderem eine Koordination von
Deutschkursen für Erwachsene in Aussicht stellen.
Seit November 2015 hat die VHS Aachen ihr Sprachkurs- Angebot (bis zu diesem Zeitpunkt 18.984
Unterrichtseinheiten mit 3586 Teilnehmenden) wie folgt ausgebaut:
Vier Vollzeit- Sprachkurse finanziert durch die Bundesanstalt für Arbeit mit jeweils 320
Unterrichtseinheiten
Drei zusätzliche Vollzeit- Integrationskurse (18 Module mit jeweils 100 Unterrichtseinheiten)
Vier Basissprachkurse in Zusammenarbeit mit dem Integration Point im Jahr 2016 (je 300
Unterrichtseinheiten)
Auch das umfassende Beratungsangebot, über das die Teilnehmenden passgenau in die
jeweiligen Kurse vermittelt werden können, ist ausgebaut worden. Hier wird auch Hilfe bei der
Antragstellung zu einem Integrationskurs geleistet.
Die VHS Aachen bietet die Möglichkeit, nach einem Integrationskurs oder anderen Maßnahmen und
Angeboten bei ausreichenden Kenntnissen einen Hauptschulabschluss bzw. die Fachoberschulreife zu
erlangen. Um hierzu die besten Voraussetzungen zu schaffen und möglichst vielen Menschen den Übergang
zu ermöglichen, entwickelt die VHS derzeit ein Übergangsangebot zwischen den Integrationskursen und den
Lehrgängen zur Vorbereitung auf Schulabschlüsse. Im regulären Sprachkursangebot der VHS besteht die
Möglichkeit, weitere Kurse auf höherem Sprachniveau und auch die entsprechenden Prüfungen zu
absolvieren. Die Entgelte müssen teilweise selbst erbracht werden.
Darüber hinaus bieten mehrere nicht kommunale vom BAMF zugelassene Träger Integrationskurse an.
Von Ehrenamtlern werden in den Unterkünften vor Ort häufig niederschwellige Angebote zum Spracherwerb
vorgehalten.
Handlungsbedarfe:
Angesichts des hohen Bedarfs soll das Angebot an Sprachkursen ausgebaut werden.
Die VHS arbeitet intensiv daran, weitere Dritt-/Projektmittel zu akquirieren.
2.2
Spracherwerb für Kinder
Die Bildungs- wie auch Sprachförderung der angekommenen Kinder unter sechs Jahren ist ein wichtiger
Gelingensfaktor für die weitere Entwicklung der Kinder und daher unabdingbar. In diesem Zusammenhang ist
es erforderlich, den Kindern aus Flüchtlingsfamilien frühestmöglich entweder in Kindertagespflege,
Spielgruppen oder in den Kindertagesstätten zügig einen Platz zur Verfügung zu stellen.
Innerhalb einer Gruppe und im gemeinsamen Miteinander mit anderen Kindern gelingt bei zeitgleicher
professioneller Anleitung der Spracherwerb. Auch soziale Kontakte und ein Beziehungsaufbau der Kinder
untereinander schaffen wichtige Grundlagen, die im weiteren Bildungssystem im Sinne der Kinder ausgebaut
werden. Durch die frühe Anbindung der Familien an das System der Kindertagesstätten und der dort
arbeitenden kooperierenden Träger im Sinne der Familienbildung sind erste Schritte zur Integration gelegt.
Mit Teilnahme am Bundesprogramm zur Fortbildung von Kindertagespflegepersonen ist ein Handlungsfeld der
Bereich der Inklusion mit dem Schwerpunkt Kinder aus Flüchtlingsfamilien. Das bedeutet, dass der Verein für
familiäre Tagesbetreuung die Voraussetzungen für die Betreuung von Flüchtlingskindern in der Tagespflege
schaffen wird. Es kommt ihm dabei entgegen, dass eine ganze Reihe von Tagespflegepersonen einen
eigenen Migrationshintergrund haben. Für die Zukunft wird es dabei notwendig sein, Flüchtlingsfamilien über
das Angebot Tagespflege als eine Betreuungsform für Kinder zu informieren und die Tagespflegepersonen
entsprechend vorzubereiten.
Seit Anfang 2015 sind vermehrt Anfragen zur Betreuung von Flüchtlingskindern in Kindertageseinrichtungen
zu verzeichnen. Insbesondere Kinder über drei Jahren wurden in Kindertageseinrichtungen vermittelt.
Nachfragen nach Plätzen für Kinder unter drei Jahren gab es nur im Einzelfall. Diese Anfragen kommen in der
Regel von professionellen Kooperationspartnern, aber auch direkt von den Flüchtlingsfamilien. Bis zum
Jahresende 2015 ist es gelungen, für alle Anfragen gemeinsam mit den Freien Trägern eine Lösung zu finden.
Seit Jahresbeginn 2016 hat die Nachfrage nach Plätzen deutlich zugenommen. Es gestaltet sich zunehmend
schwieriger für die Kinder über 3 Jahre einen Kindertagesstättenplatz zur Verfügung zu stellen.
Selbst Kinder, die im Sommer schulpflichtig werden, haben noch nicht alle einen Platz vermittelt bekommen.
Diese Kinder werden vom Fachbereich mit höchster Priorität betrachtet, um die Bildungschancen dadurch zu
erhöhen, dass sie beim Eintritt in die Schule zumindest die deutsche Sprache verstehen und ein wenig
sprechen.
In Aachen werden im Rahmen des Landesprogramms zur Kinderbetreuung in besonderen Fällen zurzeit drei
Anbieter mit acht Spielgruppen gefördert. Ziel dieses Programms ist es, niedrigschwellige
Betreuungsangebote in Wohnortnähe für Kinder von Flüchtlingsfamilien einzurichten. Dabei sollen die
Familien auf den Kindergartenbesuch vorbereitet werden.
Handlungsbedarfe:
Durch die Gleichzeitigkeit von vermehrten Zuzügen nach Aachen, einer erhöhten Geburtenrate
und dem Zuzug von Flüchtlingen ist es notwendig, auch den Ausbau von Plätzen für Kinder über
drei Jahren voranzubringen. Der notwendige Umfang des Ausbaus ist zurzeit noch nicht absehbar.
Kapitel 3 - Arbeit und Beschäftigung
3.1
Integration in den Arbeitsmarkt
Die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt erfordert ein gemeinsames strategisches Herangehen
aller Partner vor Ort. Dabei gilt es, die Potenziale der zugewanderten Menschen für den Arbeitsmarkt und die
Gesellschaft stärker zu berücksichtigen und sie frühzeitig – schon während der laufenden Asylverfahren – in
Maßnahmen einzubeziehen.
Es handelt sich um einen umfassenden integrativen Prozess, der neben der eigentlichen Anpassung an die
Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt die besonderen Lebensumstände einer heterogenen Personengruppe mit
berücksichtigt. Die Arbeitsmarktchancen der zugewanderten Menschen hängen dabei nicht nur von
vorhandenen Qualifikationen, sondern auch vom Aufenthaltsstatus ab.
Zum Prozessbeginn der Arbeitsmarktintegration wird der Fokus auf Alltagsorientierung, Kompetenzfeststellung
und Sprachförderung gelegt. Dabei wird der Ansatz verfolgt, die Zeit des Asylverfahrens gezielt zur
sprachlichen Qualifizierung und beruflichen Orientierung zu nutzen.
Die Initiativen der Stadt Aachen werden sich bei der beruflichen Integration von Flüchtlingen auf drei zentrale
Ziele konzentrieren:
Feststellung der sprachlichen und beruflichen Kompetenzen
Erwerb der deutschen Sprache
Integration in Ausbildung, Studium und Beruf
Mit dem geplanten Integrationsgesetz wird die Integration der Flüchtlinge in den Ausbildungs- und
Arbeitsmarkt
u.a.
durch
die
Schaffung
von
100.000
Arbeitsgelegenheiten
in
Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM) gefördert. Die Stadt Aachen wird zusätzliche gemeinnützige
Arbeitsgelegenheiten zur Unterstützung der sozialen und beruflichen Integration von Flüchtlingen mit guter
Bleibeperspektive einrichten. Diese werden in Gemeinschaftsunterkünften, städtischen Fachbereichen und bei
gemeinnützigen Trägern geschaffen. Als zuständige Behörde wird sie maßgeblich für die Auswahl und
Zuweisung in Arbeitsgelegenheiten verantwortlich sein.
Durch Schaffung einer Koordinationsstelle „Arbeitsmarktintegration“ im zukünftigen Fachbereich Wohnen,
Soziales und Integration wird die Stadt Aachen eine aktive Rolle als Netzwerkpartner des Integration Point
übernehmen, insbesondere mit Blick auf eine frühzeitige Lotsenfunktion, um die Integration in den
Arbeitsmarkt aktiv vorzubereiten bzw. mitzugestalten.
Handlungsbedarfe:
Frühestmögliche Klärung der Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse
Kurz- und mittelfristige Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten nach §5 AsylbLG über die Stadt
Aachen
Einrichtung einer „Clearingstelle mit interkulturellem Fallmanagement“ im zukünftigen Fachbereich
Wohnen, Soziales und Integration, Abt. Soziale Leistungen zur Steuerung und passgenauen
Vermittlung der Asylbewerber und Menschen mit Vermittlungshemmnissen
3.2
Integration Point
Mit der Schaffung eines Integration Point wurde eine institutionsübergreifende Anlaufstelle in der Stadt Aachen
etabliert, die eine frühzeitige, ganzheitlich vernetzte Betreuung der Flüchtlinge unter Nutzung der
Kernkompetenzen der beteiligten Institutionen vor Ort gewährleistet. Die Agentur für Arbeit Aachen- Düren,
das Jobcenter der Städteregion, die Stadt Aachen, die Ausländerbehörde und weitere Kommunen der
Städteregion kooperieren als Bündnispartner. Verfolgt wird der Ansatz, institutionenübergreifende Lösungen
zu entwickeln und an die jeweils individuelle Situation der Flüchtlinge anzupassen.
Darüber hinaus wird eine zielgerichtete Netzwerkarbeit mit den Kammern, dem Arbeitskreis Migration der
Wohlfahrtsverbände der Städteregion, den zertifizierten Sprachkursträgern, den Bildungs- und
Beschäftigungsträgern, den Hochschulen sowie den Berufsschulen stattfinden.
Handlungsbedarfe:
Aufbau einer kommunalen Schnittstelle zum Integration Point, um der Zielgruppe Zugänge zu
Förderinstrumenten zu schaffen sowie frühzeitig Potentialträger und Bildungsniveaus zu
identifizieren
Entwicklung eines gesteuerten Zuweisungsverfahrens zum Integration Point zur systematischen
Erfassung der Vor- und Ausbildung, der Qualifikationen sowie der Fähigkeiten der Flüchtlinge
3.3
Förderung jugendlicher Flüchtlinge im Alter von 15 bis 25 Jahren
Derzeit sind rd. 1.350 junge Menschen in der Altersgruppe zwischen 15 und 25 Jahren vertreten. Für eine
gelingende Integration dieser jungen Flüchtlinge ist die Gestaltung der Übergänge in die Berufs- und
Arbeitswelt von elementarer Bedeutung.
Mit dem Schwerpunkt junger Flüchtlinge im Übergang Schule/ Beruf sind Schulsozialarbeiter und
sozialpädagogische Beratungskräfte der Jugendberufshilfe – u.a. noch am Standort Kronenberg – thematisch
befasst. Hier leisten sie zum möglichst nahtlosen und erfolgreichen Übergang individuelle Unterstützung.
Die jungen Menschen werden seitens der städt. Jugendberufshilfe ganzheitlich beraten und den Möglichkeiten
entsprechend gefördert. Speziell für ihre Berufsorientierung wurden im Zusammenspiel mit Schule (KAOAKein Abschluss ohne Anschluss) kultur- und sprachunabhängige Berufsorientierungsmodule, insbesondere im
Rahmen der Potentialanalysen entwickelt und durchgeführt.
Als weitere ad hoc-Maßnahme hat die städt. Jugendberufshilfe eine Werkstattgruppe eigens für diese
Zielgruppe eingerichtet, in der handwerkliche Fähigkeiten ausprobiert bzw. erworben werden können. Dieses
Angebot enthält auch eine tägliche Förderung im Umgang mit der deutschen Sprache. Im Rahmen eines EUProjektes führt der Freie Träger Low-tec ein berufsqualifizierendes Projekt mit dem Titel VORTEIL AACHENDÜREN durch. Dieses Projekt ermöglicht jungen Flüchtlingen einen positiven Berufseinstieg. Die Agentur für
Arbeit hat ihrerseits eine Maßnahme mit der Bezeichnung „Perspektiven für junge Flüchtlinge" (Perjuf) für
unter 25-jährige an den Freien Träger Low-tec vergeben.
Eine weitere solche Maßnahme mit einem niedrigschwelligen Angebot für junge Flüchtlinge im Vorfeld von
Berufswahl, Ausbildung und Qualifizierung, befindet sich derzeit in der Ausschreibung. Sie hat das Ziel, diesen
Personenkreis an das deutsche Ausbildungs- und Beschäftigungssystem heranzuführen.
Für den gesamten Personenkreis der Flüchtlinge führt das Unternehmen TBK- Development vor dem
Hintergrund einer entsprechenden Ausschreibung die Maßnahme „Förderzentrum für Flüchtlinge“ durch.
Handlungsbedarfe:
Bedarfsorientierte Initiierung neuer Projekte und entsprechende Abstimmung und ggf.
Koordination der vorhandenen Förderprojekte für den o. g. Personenkreis.
Kapitel 4 – Wohnraum
Der Aachener Wohnungsmarkt ist seit Jahren angespannt. Besonders betroffen ist das Segment des
bezahlbaren/öffentlich geförderten Wohnungsbaus. Verschärft hat sich diese Situation im Jahr 2015 zusätzlich
durch die vermehrte Zuwanderung von Flüchtlingen.
Auf Landes- und Bundesebene wurden daher die baurechtlichen Grundlagen geändert. Darüber hinaus traten
am 17.06.2015 neue Richtlinien zur Förderung von Wohnraum für Flüchtlinge (RL Flü) in Kraft. Diese
Richtlinie ermöglicht es erstmals, dass Mittel der sozialen Wohnraumförderung für den Bau und die
Herrichtung von Wohn-/ Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge in Anspruch genommen werden können.
Diese neue Fördermöglichkeit wurde bereits mehrfach in Anspruch genommen. Noch im Laufe des Jahres
2016 wird so das erste Bauvorhaben durch Flüchtlinge bezogen, ein weiteres Bauvorhaben ist bewilligt, drei
Bauvorhaben im Antragsverfahren und vier weitere in Planung.
Aufgrund der geänderten gesetzlichen Voraussetzungen hat die Verwaltung eine interdisziplinäre
Arbeitsgruppe gegründet, die sich mit planungs- und baurechtlichen Gegebenheiten städtischer Grundstücke
beschäftigt mit dem Ziel, diese möglichst kurzfristig für den öffentlich geförderten Wohnungsbau oder
Flüchtlingswohnungen zu veräußern. In diesem Zusammenhang wurden im Jahr 2015 bereits zehn
Einzelgrundstücke vermarktet. Dieser Prozess wird fortlaufend weitergeführt.
Als starker Partner in Sachen Wohnungsbau hat die gewoge AG im Jahr 2015 verschiedene Neubauprojekte
in Angriff genommen und ist darüber hinaus in die Prüfung von Nachverdichtungspotenzialen städtischer
Wohnbaugrundstücke eingebunden.
Der Fachbereich Stadtentwicklung und Verkehrsanlagen überprüft derzeit in Aufstellung befindliche
Bebauungspläne insb. mit Blick auf die Realisierung von Geschosswohnungsbau. So werden beispielsweise
überarbeitete Entwürfe für die Bebauungsplangebiete Karl-Kuck-Straße und Branderhof zur
Programmberatung vorgelegt.
Insgesamt zeichnet sich ab, dass es zur Deckung aller prognostizierten Bedarfe nötig sein wird, bei der
Neuaufstellung des Flächennutzungsplans zusätzliche Flächen für den Wohnungsbau auszuweisen.
Handlungsbedarfe:
Menschen, die zurzeit noch in Übergangsheimen untergebracht sind, sollen zeitnah mit
Wohnraum versorgt werden.
Die Beratungen bzgl. Fördermöglichkeiten für den öffentlich geförderten Wohnraum und für den
Wohnraum für Flüchtlinge sollen mit bisheriger Intensität fortgesetzt werden. Dabei sollen die
Belange aller Bevölkerungsgruppen und die jeweilige Sozialstruktur im Quartier berücksichtigt
werden.
Die Beratung von Wohnprojektinitiativen im Fachbereich Wohnen soll zukünftig mit besonderem
Fokus auf die Integration von Flüchtlingen durchgeführt werden. Vorstellbar sind hier Projekte
generationsübergreifenden interkulturellen Wohnens und Wohnprojekte, bei denen eine Mischung
von frei finanziertem und öffentlich gefördertem Wohnungsbau realisiert wird.
Zur Identifikation weiterer vermarktbarer städtischer Grundstücke soll die Überprüfung von
Flächenpotentialen zügig
fortgesetzt
werden. Insbesondere
Kapitel
5 – Gesellschaftliche
Integration sollen dabei Flächen des
Baulandkatasters, Nachverdichtungspotenziale bei städtischen Wohnbaugrundstücken und bisher
nicht vermarktete Flächen rechtskräftiger Bebauungsplangebiete im Fokus stehen.
Bei aktuellen Bebauungsplanverfahren soll möglichst solchen Varianten der Vorzug gegeben
werden, die einen hohen Anteil an Geschosswohnungsbau ausweisen.
Die sich zusätzlich ergebenden Flächenbedarfe sollen im Entwurf des Flächennutzungsplans
Berücksichtigung finden.
Kapitel 5 - Gesellschaftliche Integration
5.1
Kulturelle und gesellschaftliche Integration
Im Bereich der kulturellen und gesellschaftlichen Integration gibt es in Aachen vielfältige Angebote, wobei stets
angestrebt ist, dass sich unsere Gesellschaft auch im kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenleben und
–arbeiten widerspiegelt. Hierbei ist eine Exklusivität von Angeboten für Flüchtlinge nicht erstrebenswert.
Sinnvoller ist es, die geflüchteten Menschen darin zu unterstützen, Angebote zu finden und dort eingebunden
zu werden. Dies führt zu Kontakten mit allen Bevölkerungsgruppen und fördert somit die Integration,
insbesondere die Sprache und die Integration in den Arbeitsmarkt sowie in das Quartier.
Der Beitrag von religiösen und weltanschaulichen Gemeinden und Migrantenorganisationen ist in Aachen
durch den „Dialog der Religionen“, dem derzeit 21 Gemeinden aus allen Weltreligionen angehören, sehr gut
repräsentiert. Alle angeschlossenen Gemeinden engagieren sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe und sind
über die Integrationsbeauftragte auch mit dem Bündnis für Flüchtlinge vernetzt.
Positiv ist die Willkommenskultur in den Quartieren und Bezirken hervorzuheben. Viele Stadtteilkonferenzen
haben sich mit diesem Thema im Zuge der Flüchtlingsunterbringung befasst. Die Entwicklung einer
quartiersbezogenen Willkommenskultur und die damit einhergehende Integration von Flüchtlingen und ihren
Wohnstätten sollte gefördert und verstetigt werden.
Weitere Aspekte der gesellschaftlichen Integration wie Sportangebote, Zugang zu kulturellen Angeboten,
Kunst/ Musik/ Kreativität sind ebenfalls für eine gelingende Integration unverzichtbarer Bestandteil. Bewegung
und Kreativität sind anerkannte, nicht sprachliche aber dennoch therapeutisch wirksame Möglichkeiten,
traumatische Erfahrungen zu verarbeiten und Gesundheit und Lebensfreude zu fördern.
Handlungsbedarfe:
5.2
Strukturierte Einbindung von Flüchtlingen in kulturelle Angebote
Intensivierung der Förderung der Willkommenskultur auf der Ebene des Quartiers/ Stadtteils
Systematische Durchführung von Orientierungskursen
Schaffung einer stärkeren Vernetzung der Aachener Migrantenorganisationen
Kommunikation und Medien
Im Zusammenhang mit Integrationsarbeit spielt die Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle. Denn nur mit
sachlichen und glaubwürdigen Informationen können Bürgerinnen und Bürger sowie die Medien informiert und
zu einer kritischen Auseinandersetzung mit alltäglichen Erfahrungen angeregt werden. Integration braucht
zudem die Kommunikation zwischen Menschen, die schon lange hier leben und denen, die neu zu uns
kommen.
Ziel der städtischen Öffentlichkeitsarbeit ist deshalb, die Integration in der Stadt zu fördern und zu begleiten. In
den vergangenen zwei Jahren hat der Fachbereich Presse und Marketing das Flüchtlingsthema in Aachen auf
allen Ebenen offen kommuniziert, um die durch den Zuzug von Flüchtlingen ausgelösten Veränderungen
gemeinsam gestalten zu können und negative Auswirkungen auf das Zusammenleben zu verhindern. In der
Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern haben dementsprechend sowohl die Politik als auch die
Verwaltung nicht nur verdeutlicht, welche Veränderungen warum auf den Einzelnen zukommen, sondern auch,
welche Strategien es dazu in der Stadt gibt, mit welchen konkreten Zielen sie unterlegt sind und welche
Konsequenzen daraus abgeleitet werden.
Auch unpopuläre Maßnahmen müssen angesprochen, schwierige und negative Aspekte sachlich
kommuniziert werden. Transparenz schafft in diesem Zusammenhang Vertrauen und fremdenfeindlichen
Argumenten wird die Grundlage entzogen. Deshalb ist es sinnvoll, dieses in der Praxis erprobte
Kommunikationskonzept weiterhin beizubehalten.
Externe Multiplikatoren werden in die städtische Kommunikation eingebunden, Informationen ausgetauscht
und abgestimmt. Gute Beispiele sind hier die Internet-Plattform Unser AC.de und das städteregionale Bündnis
für Flüchtlinge.
Die Bürger und Bürgerinnen werden über verschiedene Mittel/ Aktionen informiert– z.B. über
Presseveröffentlichungen, Anfragen der Medien, Veröffentlichungen im Internet, Informationsveranstaltungen,
Podiumsdiskussionen, Runde Tische, Flyer und Plakate.
Die Erfahrung zeigt, dass sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Medien positiv auf diese sehr
offensive Öffentlichkeitsarbeit reagieren.
Handlungsbedarfe:
Stärkere Nutzung von Social Media- Kanälen (facebook, twitter) sowie stärkere Kommunikation
von Angeboten im Bereich der Flüchtlingsarbeit über die städtischen sozialen Medien
Entwicklung mehrsprachiger Nachrichten/ Medien für Flüchtlinge und Asylsuchende sowohl im
print- als auch im digitalen Bereich
5.3
Geschlechtsspezifische Erfordernisse der Integration
Geflüchtete Frauen und Männer kommen häufig aus patriarchalisch geprägten Ländern. Die in Deutschland
geltenden Rechte (und Pflichten), die gesetzlich verbriefte Gleichstellung der Geschlechter und die üblichen
Formen des Umgangs von Frauen und Männern sind ihnen zum Teil nicht vertraut.
Geflüchtete Frauen haben teilweise schon in ihrem Herkunftsland, häufig aber auch während der Flucht
sexualisierte Gewalt erlebt. Neben den Kriegserlebnissen und den daraus resultierenden Traumata haben
Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung noch eine andere Qualität, da sie neben den traumatypischen
Folgen Reaktionen wie Scham und Schuld nach sich ziehen. Auf dieser Basis ist die Integration in die neue
Umgebung schwierig. Dies gilt in gleichem Maß für von sexueller Gewalt betroffene Männer.
Korrespondierend sind auch Angebote für Männer aus patriarchalisch ausgerichteten Ländern zwingend
notwendig. Schon der Umgang mit Alltagssituationen wie z.B. der Kontakt mit einer Polizistin oder die
Antragstellung bei einer Sachbearbeiterin kann in der Praxis mit Hürden bis hin zur Ablehnung verbunden
sein. Zu einer gelungenen Integration ist das Verständnis der Gleichstellung von Mann und Frau unabdingbar.
Folglich besteht gerade am Anfang des Integrationsprozesses dringender Bedarf, ein entsprechendes
Beratungsangebot einzurichten und vorzuhalten.
Durch sexuelle/sexualisierte Gewalt traumatisierte Frauen benötigen Begleitung von Beratung über Therapie
bis hin zu ärztlicher/psychologischer Behandlung. Hier können schon vorhandene Institutionen wie z.B. der
Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V., Frauen helfen Frauen e.V., das Psychosoziale Zentrum des
PÄZ e.V. oder auch die Traumaambulanz eingebunden werden. Das Angebot sollte dem erhöhtem Bedarf
angepasst werden.
Für von sexueller Gewalt betroffene Männer gibt es kein spezifisches Angebot, hier wäre z.B. die Trauma Ambulanz eine mögliche Anlaufstelle.
Sowohl für Frauen wie auch für Männer ist ein verbindliches Angebot zu schaffen, das die Grundsätze des
Umgangs der Geschlechter miteinander beginnend bei den gesetzlichen Grundlagen bis hin zu
Alltagssituationen im persönlichen Lebensumfeld vermittelt.
Sinnvoll ist hier der Einsatz von entsprechend geschulten Kulturmittlern, z.B. über den SprIntPool des PÄZ
e.V. oder über noch einzurichtende AGH Maßnahmen für bereits länger integrierte Flüchtlinge.
Handlungsbedarfe:
Kulturmittler/ Coaches einsetzen und entsprechend der Thematik schulen (z.B. Arbeitsgelegenheit
(AGH) für Flüchtlinge
Bei der Aufnahme und den Bemühungen um Integration von Frauen ist deren individuelle
Situation in den Fokus zu nehmen.
5.4
Flüchtlingsfamilien mit Kindern
Unabhängig von der Gruppe der UMA sind zwischenzeitlich zahlreiche Flüchtlingsfamilien mit Kindern und
Jugendlichen sowohl in den Sammeleinrichtungen als auch dezentral im Stadtgebiet verortet. Neben der
Betreuung dieser Familien durch Fachkräfte des Fachbereichs Soziales und Integration ist die Abteilung
Jugend des Fachbereichs Kinder, Jugend und Schule da gefordert, wo Kinderschutz sicherzustellen ist.
Wegen der mit der Flucht verbundenen, teils traumatischen Eindrücke/Erlebnisse sind die Familien sensibel zu
unterstützen, z.B. durch Angebote der frühen Hilfen und den Einsatz sozialpädagogischer Familienhilfe.
Die Handlungsfelder der Abteilung Jugend sind gekennzeichnet durch (vorläufige) Schutzmaßnahmen,
Wahrnehmung der Aufgaben an Elternstatt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländer und der Gewährung
von Hilfen zur Erziehung, Unterstützung von Familiensystemen in Kindeswohl- und Erziehungsfragen,
Unterstützung in der Verselbstständigung junger Flüchtlinge sowie Hilfen im Übergang Schule, Beruf und
Arbeitswelt.
Handlungsbedarfe:
Systematischer Auf- und Ausbau niedrigschwelliger adäquater Angebote der Frühen Hilfen für
Flüchtlingsfamilien
Sensibilisierung und Schulung der in den Familien eingesetzten professionellen Helfer und
Ehrenamtler im Sinne des Kinderschutzes
Interkulturelle und flüchtlingsspezifische Schulungen der professionellen Kräfte im Sinne der
Familienarbeit
Entwurf
31. März 2016
I1TEGRATIO1 VO1 ZUGEWA1DERTE1 –
VERÄ1DERTE HERAUSFORDERU1GE1
FÜR DIE KOMMU1E1
VORWORT
von Frau Dr. Lohse und Herrn Dedy
Vorschlag:
Entwurf eines Vorworts nach Abstimmung des Gesamttextes
Der Text dieser Publikation wurde vom Hauptausschuss des Deutschen Städtetages in seiner
216. Sitzung am 23. Juni 2016 verabschiedet.
2
I1HALT
Integration von Zugewanderten – Veränderte Herausforderungen für die
Kommunen
Vorbemerkung
1.
Spracherwerb und Bildung
1.1. Schlüsselfunktion von Spracherwerb und Bildung
1.2. Feststellung von Sprachkenntnissen und Bildungsstand
1.3. Sprach- und Allgemeinbildung durch Integrationskurse
1.4. Maßnahmen zum Spracherwerb, Voraussetzungen und Defizite
1.5. Spracherwerb und Elementarbildung in der Kindertagesstätte und Kindertagespflege
1.6. Allgemeine schulische Bildung
1.7. Berufliche Bildung
2.
Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung
2.1. Feststellung von Ausbildungsständen und Qualifizierungen
2.2. Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung
2.3. Beschäftigungsförderung und Integration in Arbeit
2.4. Wirtschaftsförderung
2.5. Freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeit von Zugewanderten
3.
Wohnraumversorgung und sozialräumliche Integration
3.1. Wohnraumversorgung und sozialräumliche Integration
3.2. Prognose des Wohnungsbedarfs
3.3. Zusätzlicher Neubaubedarf in den Wachstumsregionen
3.4. Strategien für eine zügige Bereitstellung zusätzlichen Wohnraums
3.5. Planungsrechtliche Erleichterungen zugunsten des Baus von Flüchtlingsunterkünften für
Schaffung neuer Wohnquartiere nutzen
3.6. Bereitstellung von Bestandswohnungen auf entspannten Wohnungsmärkten
3.7. Strategien und Instrumente zur sozialräumlichen Integration
4.
Die besondere Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge
3
5.
Gesellschaftliche Integration
5.1. Beitrag des Sports zur Integration
5.2. Gesundheit und Pflege
5.3. Verkehr und Mobilität
5.4. Beitrag von religiösen und weltanschaulichen Gemeinden und Migrantenorganisationen
zur Integration
5.5. Kulturelle Integration
5.6. Integration in die Rechts- und Werteordnung
5.7. Akzeptanz von Flüchtlingen
6.
Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement
7.
Kommunikation zu Flüchtlingen und Integration
8.
Quellenangaben
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VORBEMERKU1G
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Integration ist ein Prozess der Annäherung, gegenseitiger Auseinandersetzung, Kommunikation und der Übernahme gemeinschaftlicher Verantwortung zwischen Zugewanderten und
heimischer Bevölkerung. Ihr Ziel ist die gleichberechtigte Teilhabe von Zugewanderten am
sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben. Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher und wechselseitiger Prozess – ein Geben und Nehmen. Eine dauerhaft
gelingende Integration entscheidet über das gedeihliche Zusammenleben in unseren Städten.
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In unseren Städten leben zu unterschiedlichen Zeiten Zugewanderte und ihre Nachkommen
aus vielen Nationen. Die Städte blicken auf eine lange Tradition erfolgreicher Integration Zugewanderter zurück. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wanderten Menschen aus dem
östlichen Mitteleuropa und aus Osteuropa in die deutschen Zentren der Industrialisierung zu.
Bis in die 1950er Jahren kamen mehrere Millionen Menschen durch Flucht und Vertreibung
nach Deutschland. Die große Zuwanderungsbewegung in den 1950er und 1960er Jahren hatte
ihren Ursprung im Wirtschaftswunder, in dessen Folge Hunderttausende Arbeitskräfte und
später deren Familienangehörige vor allem aus den südlichen Ländern Europas als sog. Gastarbeiter ins damalige Westdeutschland kamen. In den 1990er Jahren kamen in größerer Zahl
Einwanderer aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion als Spätaussiedler, als jüdische
Kontingentflüchtlinge und im Zuge der Jugoslawienkriege nach Deutschland. All diese Menschen sahen in Deutschland temporäre oder dauerhafte Zukunftsperspektiven.
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In den vergangenen Jahren hat die Zuwanderung von Menschen, die zur Arbeitsaufnahme und
Existenzgründung nach Deutschland kamen, deutlich zugenommen. Der überwiegende Teil
kam aus EU-Mitgliedsstaaten, vor allem aus Ländern, die von der Finanz- und Wirtschaftskrise besonders betroffen sind, sowie aus den ost- und südosteuropäischen Staaten, die 2004 und
2007 der EU beigetreten sind. Für die Mehrheit der Zugewanderten aus den 2007 der EU beigetretenen Ländern Bulgarien und Rumänien sind ökonomische Gründe ausschlaggebend für
den Zuzug nach Deutschland. Derzeit ist Deutschland Ziel Hunderttausender Menschen, die
vor Bürgerkrieg und politischer Verfolgung insbesondere aus dem Nahen und Mittleren Osten
und aus weiteren Ländern fliehen und hier Asyl beantragen.
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Wie viele Menschen in Zukunft – auf der Suche nach Schutz oder aus anderen Motiven –
nach Deutschland kommen werden, ist nur schwer absehbar. Es ist jedoch wahrscheinlich,
dass eine rasche Lösung der Konflikte in Syrien und in weiteren Krisengebieten der Welt
nicht zu erwarten ist. Die anhaltend hohe Bedrohung der Bevölkerung durch kriegerische
Auseinandersetzungen und Verfolgung wird dort vorerst bestehen bleiben. Auch die Zuwanderung aus anderen Regionen der Erde als Folge von Diskriminierung, dem Klimawandel und
Ausbeutung wird weiterhin stattfinden. Die Zugangszahlen in die EU und nach Deutschland
werden dementsprechend vorerst auf einem hohen Niveau bleiben.
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Seit jeher sind kulturelle Vielfalt und sprachlicher Reichtum ein Gewinn für die Stadtgesellschaften. Gerade in den Städten wird das Potenzial deutlich, das Zugewanderte in unsere
Gesellschaft einbringen und die Chancen, die daraus für die Städte erwachsen. Viele zu uns
kommende Menschen sind jung, viele bringen Qualifikationen mit und den Willen, sich vielfältig und dauerhaft einzubringen. Stadtgesellschaften nutzen neue Ideen und Impulse, um
ihre nachhaltige, soziale und wirtschaftlich erfolgreiche Entwicklung fortzusetzen. In manchen Regionen kann Zuwanderung den demografischen Wandel zwar nicht aufhalten, so doch
zumindest vorerst abbremsen.
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Gelingende Integration fordert die Städte aber auch heraus und verläuft nicht immer problemlos. Die Zuwanderung von Menschen aus unterschiedlichen Regionen, mit unterschiedlichen
kulturellen und religiösen Prägungen und Mentalitäten von innerhalb der EU und aus anderen
Teilen der Welt stellt die Städte vor die große Aufgabe, sie in unsere demokratische Gesell-
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schaft einzugliedern. Der aufnehmenden Bürgerschaft muss dabei die gleiche Aufmerksamkeit entgegen gebracht werden wie den Menschen, die neu in unsere Städte kommen.
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Die Städte stellen sich entschieden in den permanenten Dienst der Förderung und Stärkung
der Integration von Zugewanderten und messen ihr eine große kommunalpolitische Bedeutung bei. Sie bringen sich intensiv ein, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher
Herkunft und religiöser Orientierung vor Ort erfolgreich zu gestalten und voranzubringen. Sie
erarbeiten Integrationskonzepte, setzen diese vor Ort und in Kooperation mit weiteren Akteuren um und verankern Integration als Querschnittsaufgabe in der Verwaltung.
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Auch auf der Bundesebene setzen die Kommunen wichtige Impulse. Mit der Erarbeitung des
Nationalen Integrationsplans (2007), an dem neben Bund und Ländern die Städte intensiv
mitgewirkt haben, hat die lokale Integrationspolitik eine deutliche Aufwertung erfahren. Mit
dem Nationalen Aktionsplan Integration (2012) wurden die Bedingungen für eine gelingende
Integration und die Teilhabechancen für Menschen mit Migrationshintergrund vor Ort noch
weiter verbessert. Mit dem jüngst erarbeiteten Bund-Länder-Integrationskonzept (2016) wird
dieser Weg unter Einbeziehung der Anforderungen, welche die in großer Zahl als Flüchtlinge
und Asylbewerber zu uns kommenden Menschen stellen, fortgesetzt.
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Die Städte sind stolz auf ihren kontinuierlichen Beitrag zur gelebten und erfolgreichen Integration von Menschen in Deutschland. Um an der Erfolgsgeschichte Integration weiter zu
schreiben, müssen wir die Fähigkeit unserer Städte, Vielfalt zu gestalten und mit den mitunter
begleitenden Konflikten umzugehen, pflegen und entlang sich stetig verändernder Bedingungen weiterentwickeln. Und das geschieht vor Ort. Dort muss es weiter tagtäglich gelingen,
Vielfalt von Kulturen und Traditionen zu leben und Tendenzen von Fremdenfeindlichkeit und
aufkeimenden Ängsten entschieden entgegenzuwirken. Die Städte setzen ihren begonnenen
Weg unbeirrt fort. Denn Städte können Integration!
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Der Deutsche Städtetag trägt seit vielen Jahren zur breiten Verankerung des Themenfeldes
Integration sowohl in den Verwaltungen von Städten und Politik als auch in der Fachöffentlichkeit bei. Im Jahr 2007 publizierte er die Broschüre „Integration von Zuwanderern –
Erfahrungen und Anregungen aus den Städten“. Damit knüpfte der Deutsche Städtetag an die
Selbstverpflichtungen der Kommunen im Nationalen Integrationsplan an und stellte anhand
guter Beispiele erfolgreiche Ansätze zur Integration von Zugewanderten aus der kommunalen
Praxis vor. Das Thema Integration konnte befördert und der Austausch zwischen den Städten
über gelingende Integrationsprojekte intensiviert werden.
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Vorliegende Publikation ist ein weiterer Baustein dieses Anliegens. Sie richtet sich an die
Mitgliedschaft des Deutschen Städtetages sowie an Vertreter von Kommunen nahe stehenden
und mit Integration befassten Institutionen. Sie stellt das Themenfeld Integration Zugewanderter entlang seiner inhaltlichen Bandbreite dar – der Bereiche Spracherwerb und Bildung,
Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung, Wohnraumversorgung und sozialräumliche
Integration, der besonderen Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, der gesellschaftlichen Integration, des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements sowie der
Kommunikation zu Flüchtlingen und Integration. Dabei berücksichtigt sie die veränderten
Rahmenbedingungen und Erfordernisse der gegenwärtigen und kommenden Integrationsbedarfe, macht auf neue Herausforderungen aufmerksam bietet Anregungen für die
Weiterentwicklung der Integrationsarbeit in den Städten. Sie wird von einer separaten Beispielsammlung begleitet.
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Der Begriff „Zugewanderte“ beinhaltet im Folgenden Menschen, die aus dem Ausland nach
Deutschland zugewandert sind und im Ausland geboren wurden sowie ihre Nachkommen.
Das Zuwanderungsmotiv, das Herkunftsland, die Nationalität und der Zeitpunkt der Zuwanderung sind unbedeutend. „Integration“ wird als langfristiger Prozess begriffen, dessen Ziel es
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ist, alle Zugewanderten und deren Nachkommen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen und ihnen eine umfassende und gleichberechtiggleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen zu ermöglichen. Dafür stehen
sie in der Pflicht, Deutsch zu lernen sowie die Verfassung und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu kennen, zu respektieren und zu befolgen (vgl. BAMF).
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Die Publikation orientiert sich an folgenden inhaltlichen Leitvorstellungen von Integration:
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-
Die Deutschen Städte sind weltoffen und brauchen Zuwanderung. Sie bekennen sich
zur kulturellen Vielfalt und zur gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen in allen
Lebensbereichen.
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Integration trägt dazu bei, dass sich unsere Gesellschaft sukzessive heterogener und
pluralistischer gestaltet. Sie muss so früh und so breit wie möglich ansetzen. Ihr Gelingen entscheidet über das Zusammenleben in unseren Städten.
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Die Integration Zugewanderter, die länger oder dauerhaft bei uns bleiben, ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Sie muss von Bund, Ländern und Kommunen gleichermaßen
angegangen und getragen werden. Die Kommunen sind entscheidende, konstruktive
und verlässliche Partner, wenn es um die erfolgreiche und dauerhafte Integration Zugewanderter in die Gesellschaft geht.
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Integration gibt es nicht zum Nulltarif. Die finanzielle Mehrbelastung der Kommunen,
die durch die Integration von Flüchtlingen entsteht, muss beziffert und eine aufgabenbezogene Entlastung erreicht werden. Kommunen leisten ihren Beitrag.
Gleichermaßen müssen Bund und Länder die Kosten erstatten, die bei Kommunen entstehen. Integrationskosten dürfen nicht kommunalisiert werden.
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Die Integration Zugewanderter in unsere Städte orientiert sich konsequent am doppelten Ansatz des „Förderns“ und des „Forderns“. Sie besteht aus Geben und Nehmen für
die Zugewanderten und für die heimische Bevölkerung und geht von einem Fundament gemeinsamer Grundwerte aus, wie sie das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland festschreibt.
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Integration verlangt Anstrengungen von den Zugewanderten. Sie müssen sich in unsere Gesellschaft mit unseren Freiheitsrechten und unseren Werten von Demokratie,
Religionsfreiheit und Gleichberechtigung einfügen. Sie sind aufgefordert, die deutsche
Sprache und das hiesige Wertesystem kennen und schätzen zu lernen und als den für
sie geltenden Maßstab anzunehmen. Das setzt den Willen voraus, sich nicht abzugrenzen, sondern mit allen Rechten und Pflichten in Deutschland zu leben und sich zu
diesem Land zu bekennen. Ein festgefügtes Fundament allgemein verbindlicher Werte
und ein Bekenntnis zur Gesellschaft, zu Einigkeit und Recht und Freiheit ist die
Grundlage für das Gelingen von Integration und ein gedeihliches Miteinander.
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Gleichermaßen fordert Integration der aufnehmenden Gesellschaft Anstrengungen und
den anhaltenden Willen ab, Fremde aufzunehmen. Die heimische Bevölkerung muss
Zugewanderten Akzeptanz und Toleranz entgegenbringen. Gelingende Integration
fordert die Sensibilisierung der heimischen Bevölkerung dafür, dass Integration einen
Gewinn für die Gesellschaft darstellt und eine Voraussetzung dafür ist, dass unser
Wohlstand erhalten bleibt und unsere Gesellschaft zusammenhält. Bei allen Schritten
zur Integration – Wohnen, Kinderbetreuung, Schule, Berufsbildung – dürfen keine
Konkurrenzen zwischen heimischer Bevölkerung und Zugewanderten wachsen.
-
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus haben keinen Platz in unseren
Städten. Deren Prävention und Bekämpfung muss integraler Bestandteil aller Integrationsbemühungen sein.
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Veränderte Rahmenbedingungen
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In den vergangenen Jahrzehnten haben die Kommunen ihr langjähriges Engagement in der
Integrationspolitik ausgebaut und weiterentwickelt. Es ist gelungen, viele positive Entwicklungen anzustoßen. Viele Kommunen haben eigene Integrationskonzepte entwickelt und
dieses Politikfeld verbindlich und nachhaltig gestaltet.
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Die Anforderungen an kommunale Integrationspolitik entwickeln sich stetig weiter. Seit einigen Jahren unterliegen die Herausforderungen kommunaler Integrationspolitik zunehmenden
quantitativen und qualitativen Veränderungen. Das globale Wanderungsgeschehen hat sich in
den vergangenen Jahren erheblich ausdifferenziert. Die nach Deutschland Zuwandernden
kommen auf der Suche nach Schutz oder einem Leben in Wohlstand aus immer mehr Regionen der Welt – von innerhalb und außerhalb der EU – und bringen unterschiedlichste
kulturelle und religiöse Identitäten, Potenziale und Bedürfnisse mit. Das breite Spektrum der
Zugewanderten umfasst Spätaussiedler, jüdische Zuwanderer aus dem Gebiet der ehemaligen
UdSSR, Asylbewerber, Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, Arbeitsmigranten, EUBinnenmigranten, nachziehende Familienangehörige, ausländische Studierende, rückkehrende
deutsche Staatsangehörige sowie illegale Zuwanderer. Sie haben unterschiedliche Bleibeabsichten und Bleibeperspektiven in Deutschland und teilweise Rückkehrabsichten. Aktuell
steigt die Anzahl der in unsere Gesellschaft zu integrierenden Menschen durch die Flüchtlingszuwanderung stark an.
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2014 gab es die höchste Zuwanderung nach Deutschland seit 1992. Die EU-Binnenmigration
machte 55 Prozent des gesamten Zuwanderungsgeschehens nach Deutschland aus. Die Zuzüge aus Rumänien und Bulgarien steigen seit dem EU-Beitritt im Jahr 2007 kontinuierlich an.
Seit dem EU-Beitritt zum 1. Juli 2013 nehmen auch die Zuzugszahlen aus Kroatien merklich
zu. Seit dem Sommer 2015 ist Europa und insbesondere Deutschland Ziel einer sehr starken
Fluchtbewegung, die ihren Ursprung v.a. im Nahen und Mittleren Osten – in Syrien, Irak und
Afghanistan –, von wo Menschen vor Bürgerkrieg und politischer Verfolgung fliehen, aber
auch in Ländern Nord- und Zentralafrikas hat sowie der Zuwanderung von Menschen aus
Staaten den Westbalkans sowie Süd- und Südosteuropas. Insgesamt wurden 2015 rund 1,1
Millionen Flüchtlinge in Deutschland registriert. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden insgesamt rund 477.000 Asylanträge (Erst- und Folgeanträge) gestellt,
mehrheitlich von Menschen aus Syrien.
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Zwei von drei Asylbewerbern in Deutschland sind männlich. Über zwei Drittel der Asylbewerber sind unter 30 Jahre alt. Etwa ein Drittel ist minderjährig. Besonders schutzbedürftig
sind unbegleitete Kinder, für die eine besonders intensive Betreuung nötig ist. Nur ein sehr
geringer Teil der Asylbewerber ist über 65 Jahre alt. Diese Altersstruktur macht deutlich, dass
dem Bildungs- und Ausbildungssystem sowie den Bereichen Qualifizierung und Beschäftigung eine Schlüsselrolle bei der künftigen Integration dieser Menschen zukommt.
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Bis vor kurzem stand die deutlich wachsende Zuwanderung von Menschen aus Bulgarien und
Rumänien in einige deutsche Großstädte sowie die damit verknüpften z.T. großen finanziellen
und sozialen Belastungen der Städte im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Unter
Mitarbeit des Deutschen Städtetages hat sich der Staatssekretärsausschuss „Rechtsfragen und
Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedsstaaten“ in seinem Abschlussbericht (2014) mit dem Problem der
Armutszuwanderung aus Südosteuropa befasst und konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht, wovon die Kommunen bei der Bewältigung der Problemlagen, die mit der
Armutszuwanderung verbunden sind, profitieren.
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In Deutschland hatte im Jahr 2014 jeder fünfte Einwohner – rund 16,4 Millionen Menschen –
einen Migrationshintergrund. Hierunter fallen alle seit 1950 nach Deutschland Zugewander8
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ten, ihre Nachkommen sowie die ausländische Bevölkerung. Bei Kindern unter zehn Jahren
lag dieser Anteil bereits bei etwa einem Drittel. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund bei den Senioren liegt bei nur ca. acht Prozent (Mikrozensus 2014). Die größte
Gruppe der Personen mit Migrationshintergrund ist türkischer Herkunft (2,9 Millionen). Sie
machen etwa knapp vier Prozent der Gesamtbevölkerung aus. An zweiter Stelle folgen 1,6
Millionen Personen, die polnische Wurzeln haben. Ein Drittel aller Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland hat Wurzeln in einem EU-Mitgliedstaat, ein weiteres Drittel in
einem europäischen Land, das nicht Mitglied der EU ist. Das verbleibende Drittel stammt aus
den unterschiedlichsten Ländern der Erde.
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An diesen quantitativen und qualitativen Veränderungen muss sich die kommunale Integrationspolitik in Form neuer integrationspolitischer Ansätze stetig neu ausrichten. Neue
integrationspolitische Perspektiven sind erforderlich, um die zunehmende Ausdifferenzierung
zu berücksichtigen und das Handlungsfeld Flüchtlinge neu in die Integrationspolitik einzubeziehen.
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Integration als Querschnittsaufgabe
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Der Aufgabenbereich Integration erstreckt sich auf unterschiedlichste Fachbereiche, auf alle
staatlichen Ebenen – Bund, Ländern, Kommunen – und die Zivilgesellschaft. Integration kann
nur gelingen, wenn die mit ihr einhergehenden Aufgaben gesamtgesellschaftlich und in Kooperation aller Akteuren und der Stadtgesellschaft gemeinschaftlich gelöst werden und sie als
Querschnittsaufgabe in der Verwaltung verankert ist.
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Erfolgreiche Integrationsbemühungen auf kommunaler Ebene setzen die Zusammenarbeit
zahlreicher Verwaltungseinheiten voraus. Ganzheitliche Konzepte kommunaler Integrationspolitik tragen dem Rechnung. Dazu werden integrationspolitische Maßnahmen, die sich über
verschiedene Arbeitsfelder erstrecken, gebündelt und strategisch aufeinander abgestimmt. Auf
diesem Weg gelingt eine stärkere Vernetzung der Akteure vor Ort und eine effektive und
passgenaue Vermittlung von Integrationsangeboten.
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Wichtig ist gleichermaßen die interkulturelle Orientierung kommunaler Verwaltungen durch
interkulturelle Qualifizierungsangebote und Trainings der Mitarbeitenden sowie durch die
Erhöhung des Personalanteils mit Migrationshintergrund.
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Regionale Verteilung der Zugewanderten
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Die Einflussfaktoren auf die Wahl des Wohnorts von Zugewanderten in Deutschland sind
vielfältig. Der sozioökonomische Status, angebotsseitige Beschränkungen am Wohnungsmarkt, nachfrageseitige Beschränkungen, subjektive Einstellungen und Präferenzen und
rechtliche Beschränkungen können bei der Wohnortentscheidung eine Rolle spielen.
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Bestimmte Gruppen Zugewanderter, Spätaussiedler und jüdische Emigranten aus dem Gebiet
der ehemaligen UdSSR, waren in den Jahren 1989 bis 2009 bei der Wohnsitznahme für einige
Jahre gesetzlich an bestimmte Bundesländer und Verwaltungsbezirke gebunden. Ebenso sind
Asylbewerber und Flüchtlinge in der Anfangsphase ihres Aufenthalts an die Zuweisungsregelungen des Königsteiner Schlüssels auf die Bundesländer sowie bei der weiteren Verteilung
auf die Kommunen an die jeweiligen Regelungen in den Landesaufnahmegesetzen gebunden.
Für weitere Gruppen Zugewanderter sind familiäre Bindungen und ethnische Netzwerke, Studien- und Arbeitsmöglichkeiten sowie die Nähe zum Herkunftsland relevante Faktoren bei
der Wohnortwahl.
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Hinsichtlich des Wohnorts von Menschen mit Migrationshintergrund besteht ein großes WestOst-Gefälle: 96 Prozent leben in den westlichen Bundesländern einschließlich Berlin, lediglich vier Prozent in den östlichen Bundesländern (Mikrozensus 2014). In den drei Stadtstaaten
ist ihr Anteil besonders hoch. Dieses Gefälle wird von einem siedlungsstrukturellen Gefälle
überlagert. In Ost- wie in Westdeutschland ist in Ballungsräumen mit hoher Einwohnerdichte
die Konzentration Zugewanderter besonders hoch. Die Zuwanderung angeworbener Arbeitskräfte aus Südeuropa ab den 1950er-Jahren und deren Familien vollzog sich zusätzlich
überwiegend in die südwestdeutschen Industrieregionen sowie entlang der Rhein-RuhrSchiene. Dieser Prozess zog weitere Migrationsprozesse in eben diese Regionen nach sich. In
Bayern entspricht der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund mit gut 20 Prozent fast
exakt dem Bundesdurchschnitt. Die Stadt mit dem höchsten Anteil an Personen mit Migrationshintergrund ist Frankfurt am Main mit 43 Prozent.
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Die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien und hier insbesondere aus der Volksgruppe
der Roma konzentriert sich regional auf wenige große Städte im Ruhrgebiet sowie weitere
einzelne Städte.
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Die Lasten der gegenwärtigen Flüchtlingszuwanderung sind sehr ungleich über die deutschen
Kommunen verteilt. Das Überschreiten der deutschen Grenze ist für viele Flüchtlinge nicht
das Ende ihrer Reise. Menschen, die nach Registrierung und Anerkennung nicht mehr der
Residenzpflicht unterliegen, verlegen oftmals ihren Wohnort. Verwandte, Bekannte und ehemaligen Nachbarn geben oft den Ausschlag. Im Ergebnis lebt rund die Hälfte der Flüchtlinge
in Deutschland in nur 33 Kreisen. Dabei üben je nach Herkunftsland jeweils bestimmte Regionen eine besonders große Anziehungskraft aus.
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Die 215.000 bislang bei Jobcentern und Arbeitsagenturen gemeldeten erwerbsfähigen Personen aus den acht zugangsstärksten nichteuropäischen Asylzugangsländern Afghanistan,
Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien konzentrieren sich vor allem in deutschen Großstädten und Agglomerationsräumen, insbesondere im Großraum München,
Hannover, Frankfurt am Main, Saarbrücken, Hamburg und auf der Rhein-Ruhr-Schiene. Der
Osten Deutschlands spielt nur eine untergeordnete Rolle (Bundesagentur für Arbeit, 2016).
Mit Blick auf die einzelnen Herkunftsländer zeigt sich, dass auf 10.000 Personen der Wohnbevölkerung in Deutschland elf Menschen aus Syrien kommen. Die Hälfte von ihnen lebt in
49 Kreisen. Diese liegen vor allem im Westen und der Mitte Deutschlands mit regionalen
Schwerpunkten in Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Niedersachsen.
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Problematisch wird diese ungleichmäßige Verteilung dann, wenn es in den Zielregionen zu
wenige Arbeitsplätze und Perspektiven gibt, wie es beispielsweise in Teilen des Ruhrgebiets
der Fall ist, oder wenn günstiger (Miet-)Wohnraum ein knappes Gut ist. Da insbesondere die
prosperierenden Regionen mit bereits bestehenden Wohnraumengpässen Ziel des Flüchtlingszuzugs sind, nimmt auf diese Weise der Druck auf die ohnehin bereits angespannten
Wohnungsmärkte weiter zu. Für die Städte ergeben sich hieraus massive Probleme.
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Es besteht die Gefahr, dass die derzeitige Konzentration von anerkannten Flüchtlingen vor
allem in Großstädten und Agglomerationsräumen in Westdeutschland integrationshemmend
wirkt, wenn der dortige Arbeits- und Wohnungsmarkt nicht hinreichend aufnahmefähig ist. Es
besteht zudem das Risiko eines verminderten Kontakts zur heimischen Bevölkerung, wenngleich ethnische Gemeinschaften auch hilfreich sein können. Zu berücksichtigen ist außerdem
die Perspektive der Kommunen, die erhebliche Mittel in die Bereitstellung von Kapazitäten
zur Integration investieren, ohne dass sie absehen können, wie lange und in welchem Umfang
diese Angebote benötigt werden.
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Um die Voraussetzungen für eine gelingende Integration zu schaffen, hat der Deutsche Städtetag die Bundesregierung in den vergangenen Monaten mehrfach aufgefordert, die
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Zulässigkeit einer Wohnsitzauflage für Flüchtlinge zu prüfen. Der Europäische Gerichtshof
hat mit Urteil vom 1. März 2016 entschieden, dass Wohnsitzauflagen für Flüchtlinge unter
bestimmten Bedingungen zulässig sind, nämlich wenn Flüchtlinge besondere Integrationsbedarfe haben und deren diesbezügliche Situation mit der anderer Ausländer objektiv nicht
vergleichbar ist und wenn damit verhindert werden soll, dass sich Flüchtlinge ohne Erwerbseinkommen in bestimmten Gebieten konzentrieren und soziale Brennpunkte mit ihren
negativen Auswirkungen auf die Integration entstehen. Ein entsprechender Regelungsvorschlag der Bundesregierung wir erwartet.
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Finanzierung von Integration
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Die Finanzierung von Integration steht nicht im Mittelpunkt der vorliegenden Broschüre, die
einen integrationspolitischen Schwerpunkt hat. Auch wenn unstrittig ist, dass auch bei integrationspolitischen Maßnahmen auf Effizienz und Effektivität zu achten ist, gilt unstrittig
Folgendes: Integration darf nicht am Geld scheitern. Unterlassene notwendige Integrationsmaßnahmen können in mittlerer Frist zu verfestigten Integrationsdefiziten führen, deren
Folgen weitaus schwerwiegender sind als momentane Belastungen der öffentlichen Haushalte.
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Als finanzpolitische Herausforderungen der Flüchtlingszuwanderung wurden zu Beginn der
steigenden Flüchtlingszahlen häufig die Kosten angesehen, die in den Kommunen durch die
Erstunterbringung und Versorgung der Flüchtlinge entstehen. Mittelfristig ist es aber notwendig, die finanziellen Herausforderungen für die Integration der Menschen mit
Bleibeperspektive verstärkt in den Blick zu nehmen. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf
diejenigen finanziellen Belastungen, die aufgrund der notwendigen Ausgaben zur Förderung
der Integration der Flüchtlinge, der wachsenden Anforderungen an die Bildungsinfrastruktur
sowie der flüchtlingsbedingt steigenden Sozialausgaben auf die Kommunen zukommen werden. Außerdem sind Maßnahmen für eine Ausweitung des Wohnungsbaus und zur
Vermeidung von Obdachlosigkeit nach der Anerkennung von Flüchtlingen unerlässlich. Die
einzelnen Politikfelder und die jeweiligen Maßnahmen sind in der Broschüre im Detail dargestellt.
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Der Verfestigung von Integrationsdefiziten muss durch frühzeitige und abgestimmte Förderkonzepte entgegengewirkt werden. Die Städte sehen sich bei dieser gesamtgesellschaftlichen
Aufgabe mit dem Bund und den Ländern in einer Verantwortungsgemeinschaft. Zugleich ist
offensichtlich, dass sie (mindestens) die finanziellen Herausforderungen keinesfalls alleine
bewältigen können – und angesichts der Prinzipien des föderalen Staatsaufbaus mit seinen
differenzierten Verantwortungszuweisungen auch gar nicht sollten. Sollten die Finanzierungsfragen nicht gelöst werden, können die Kommunen die notwendigen
Integrationsleistungen nur unter Inkaufnahme starker Leistungseinschränkungen bei den übrigen kommunalen Leistungen oder massiver kommunaler Einnahmenerhöhung erbringen.
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Hieraus speist sich die Erwartung der Städte, dass der Bund einen erheblichen Teil der zuwanderungsbedingten Mehrbelastungen der Kommunen trägt und sie dementsprechend
entlastet. Von den Ländern erwarten die Kommunen, dass sie sowohl ihrer Pflicht zur Erbringung von Integrationsleistungen im schulischen Bereich als auch ihren
Finanzierungsverpflichtungen bei der Bereitstellung von Angeboten in der frühkindlichen
Bildung gegenüber den Kommunen nachkommen. Zudem müssen sie die Bundesentlastungen
für die Kommunen entsprechend ihrer Verantwortung für die kommunale Finanzausstattung
soweit nötig ergänzen.
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Zudem erwarten die Städte, dass die durch den plötzlichen Bevölkerungszuwachs entstehenden Investitionsbedarfe bei der ohnehin unterfinanzierten kommunalen Infrastruktur sowie im
sozialen Wohnungsbau von Bund und Ländern gemeinsam finanziert werden.
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Die genaue Ausgestaltung der Finanzierungsmechanismen ist zum Zeitpunkt der Erstellung
der Broschüre noch unklar, auch wenn seitens des Deutschen Städtetages konkrete Forderungen erarbeitet wurden. Als zentrales Ziel gilt: Es muss sichergestellt werden, dass die
zusätzlichen Finanzmittel zügig genau dort ankommen, wo sie benötigt werden.
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Als zentrale Rahmenbedingung ist zu berücksichtigen, dass bisher keine Wohnsitzauflagen
für anerkannte Flüchtlinge existieren. Auch wenn in naher Zukunft Wohnsitzauflagen eingeführt werden, werden diese voraussichtlich nicht für den großen Kreis derjenigen Personen
gelten, deren Asylverfahren vor Einführung einer Wohnsitzauflage abgeschlossen wurden.
Daher sind starke Binnenwanderungen zu erwarten. Diese können erhebliche Belastungen für
Großstädte und sogar einzelne Stadteile führen. Hierdurch erhöhen sich die Anforderungen an
die Ausgestaltung der Finanzierungswege.
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Unabhängig von der noch zu verhandelnden genauen Ausgestaltung, existiert bereits ein klarer Anforderungskatalog an die Finanzierungsregelungen. Sie müssen vier Kriterien erfüllen:
Die Finanzierungswege müssen erstens die Ungewissheit über die Anzahl der Flüchtlinge und
zweitens die Ungewissheit über die Verteilung der Flüchtlinge berücksichtigen. Unabhängig
davon müssen sie drittens in das Geflecht föderaler Finanzbeziehungen eingepasst werden
können sowie viertens die Schnittstellenproblematik zwischen dem Asylbewerberleistungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch beachten. Nur der Vollständigkeit halber soll die
Selbstverständlichkeit erwähnt werden, dass die Mittel auch zeitnah fließen müssen. Gerade
Kommunen im Haushaltssicherungsverfahren würden ansonsten völlig unnötig vor kaum lösbare haushaltsrechtliche Probleme gestellt, die sich zu Lasten der Bevölkerung auswirken
würden
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Daher gilt: Die finanziellen Fragen zwischen Bund, Ländern und Kommunen müssen schnell
und sachgerecht geklärt werden. Integration ist zu wichtig, um sie am Geld scheitern zu lassen.
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1.
SPRACHERWERB U1D BILDU1G
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1.1.
Schlüsselfunktion von Spracherwerb und Bildung
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Spracherwerb und Bildung haben für die Integration in den Arbeitsmarkt und in die deutsche
Gesellschaft eine Schlüsselfunktion. Der Spracherwerb ist hierbei sowohl grundlegende Voraussetzung für erfolgreiche Schul-, Ausbildungs- und Hochschulabschlüsse als auch für alle
weiteren Schritte auf dem Weg zu einer erfolgreichen Integration in Deutschland.
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Die Integration durch Sprache und Bildung ist eine Aufgabe der gesamten kommunalen Bildungslandschaft, von der frühkindlichen Bildung in den Kindertageseinrichtungen, über die
Grund- und weiterführenden Schulen bis hin zu zur beruflichen Ausbildung und den Hochschulen. Der Beitrag der Erwachsenenbildungseinrichtungen wie der Volkshochschulen (u. a.
mit ihren Integrationskursen) ist hierbei genauso unverzichtbar wie das Engagement der kulturpädagogischen Einrichtungen (w. z. B. Musikschulen, Bibliotheken und Jugendkunstschulen) sowie der zahlreichen ehrenamtlichen Initiativen der Zivilgesellschaft. Integration
durch Sprache und Bildung setzt eine funktionierende staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft voraus. Die Maßnahmen von Kommunen, Ländern und Bund müssen eng
aufeinander abgestimmt und bestmöglich miteinander verzahnt werden.
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Das sehr unterschiedliche Sprach- und Bildungsniveau der Zugewanderten stellt für die
kommunale Bildungslandschaft eine große Herausforderung dar. Die in der Sprachförderung
und im Bildungsbereich tätigen Mitarbeiter/innen von Kommunen, Ländern und Bund leisten
hierbei Beachtliches, häufig ohne ausreichende konzeptionelle Grundlagen und auch über ihre
dienstlichen Pflichten hinaus, da sie aus innerer Überzeugung einen persönlichen Beitrag für
das Gelingen der Integration in Deutschland erbringen wollen. Es ist jedoch darauf zu achten,
dass die Mitarbeiter/innen mit den ohnehin bestehenden Herausforderungen in der Inklusion,
im Ganztagsausbau und der digitalen Bildung nicht alleine gelassen werden. Dies setzt ausreichende Mittel für Aus- und Fortbildung sowie auskömmliche Ressourcen für die Bildung
multi-professioneller Teams aus Pädagogen, Dolmetschern und Schulpsychologen voraus.
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Ermutigend ist, dass gerade viele der aktuell neu zuwandernden Menschen nach zahlreichen
Berichten von Erzieher/innen und Lehrer/innen erkannt haben, dass Spracherwerb und Bildung eine Schlüsselstellung zukommt, um in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben führen
zu können und diese daher alle Bildungsangebote mit hoher Motivation angehen. Es wäre ein
positiver Nebeneffekt der Integrationsmaßnahmen im Bildungsbereich, wenn die deutschen
Schüler/innen von diesen hoch motivierten neuzugewanderten Schüler/innen mehr Motivation
und Dankbarkeit lernten. Gleichzeitig haben die bisherigen Anstrengungen von Ländern und
Kommunen für die schulische Bildung gezeigt, dass im Bildungsbereich noch Ressourcen
freigesetzt werden können. Diese Ressourcen müssen auch im Bildungsbereich verbleiben,
wenn die Zuwanderungszahlen wieder zurückgehen, damit diese Maßnahmen mehr und mehr
allen Schüler/innen gleichermaßen zukommen.
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1.2.
Feststellung von Sprachkenntnissen und Bildungsstand
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Die Zuwandernden kommen mit äußerst unterschiedlichen Sprach- und Bildungskompetenzen
nach Deutschland. Manche haben in ihren Heimatländern noch nie eine Schule besucht, viele
haben brüchige Bildungsbiografien, andererseits gibt es auch Zugewanderte mit Berufsabschluss oder Hochschulstudium. Selbst wenn die Zuwandernden in ihren Heimatländern
bereits Schulen besucht haben, ist das Niveau der schulischen Bildung in der Regel nicht mit
dem deutschen Bildungsniveau vergleichbar. Die Kindertageseinrichtungen und Schulen
müssen sich daher darauf einstellen, in den meisten Fällen grundlegende Kompetenzen zu
vermitteln.
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Eine wichtige Voraussetzung für ein gelingendes kommunales Bildungsmanagement für Zugewanderte ist, dass alle Bildungseinrichtungen zeitnah verlässliche und umfassende Daten zu
den Sprachkenntnissen und den Bildungskompetenzen der Zugewanderten erhalten. Nur eine
frühzeitige und zentrale Erfassung der Sprach- und Bildungskompetenzen bei der Einwanderung nach Deutschland kann dies gewährleisten. Daneben benötigen Schulen und kommunale
Schulträger auch Daten zu dem jeweiligen aufenthaltsrechtlichen Status der Zugewanderten.
Eine verlässliche Schulentwicklungsplanung ist ansonsten genauso wenig möglich wie die
Bereitstellung passgenauer Bildungsangebote für einzelne Zugewanderte. Das Datenaustauschverbesserungsgesetz des Bundes ist ein Schritt in die richtige Richtung. In der Praxis
wird sich jedoch zeigen, ob die Bildungseinrichtungen hiervon tatsächlich profitieren können.
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Empfehlung:
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Bund und Länder müssen die Sprach- und Bildungskompetenzen der Zugewanderten systematisch erfassen und den Schulen und kommunalen Schulträgern zeitnah zur Verfügung stellen.
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1.3.
Sprach- und Allgemeinbildung durch Integrationskurse
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Frühzeitiger Spracherwerb ist ein erster und zentraler Schritt zur Integration. Die Bedeutung
der Integrationskurse für eine gelingende soziale und berufliche Eingliederung von Migrantinnen und Migranten ist unbestritten. Zusätzlich zum Spracherwerb erfahren die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer erste Informationen über Deutschlands Geschichte, die Kultur
und Werte wie Religionsfreiheit, Toleranz und Gleichberechtigung sowie die Rechtsordnung.
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Die von den Kommunen getragenen Volkshochschulen führen mit fast 50 Prozent bundesweit
den größten Anteil der Integrationskurse durch. Um die Qualität der Durchführung der Integrationskurse auch nach dem zu erwartenden zahlenmäßigen Anstieg der Teilnehmenden in
den Kursen auf dem bisherigen hohen Niveau zu erhalten, ist eine angemessene Entlohnung
der Lehrkräfte unabdingbar. Die derzeitige Trägerpauschale des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) in Höhe von 3,10 € pro Unterrichtseinheit und Teilnehmendem
reicht bei Weitem nicht aus.
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Aktuelle Berechnungen des Deutschen Volkshochhochschulverbandes auf Basis der Lehrkräftevergütung im Schulbereich beziffern den notwendigen Zuschuss des Bundes auf 4,40 € pro
Unterrichtseinheit und Teilnehmendem, um die Lehrkräfte angemessen und auskömmlich zu
entlohnen.
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Sorge besteht, dass falls keine nachhaltige Erhöhung der Bundesfinanzierung erfolgt, sich die
bereits festzustellende Abwanderung von Lehrkräften in andere Bildungsbereiche fortsetzen
wird, da dort bessere Rahmenbedingungen geboten werden können. Dies könnte die flächendeckende Grundversorgung an qualitativ hochwertigen Integrationskursen durch die Volkshochschulen wegen mangelnder Ressourcen gefährden. Gleichzeitig würden die Wartezeiten
zur Teilnahme an den Integrationskursen für die integrationswilligen Zugewanderten erheblich länger werden als bereits jetzt.
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Dies kann nicht im Sinne einer gelingenden Integrationspolitik sein, so dass der Bund in seiner Zuständigkeit weiterhin aufgefordert bleibt, die Möglichkeiten für schnellen und qualitativ guten Spracherwerb zu schaffen und die Integrationskursträger finanziell angemessen
auszustatten.
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1.4.
Maßnahmen zum Spracherwerb, Voraussetzungen und Defizite
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Für das Gelingen der schulischen Bildung und zur Vermeidung von Verzögerungen des Integrationsprozesses ist es notwendig, dass der Spracherwerb bereits zum frühestmöglichen
Zeitpunkt nach der Einreise der Zugewanderten beginnt und zur Vorbereitung auf den
Sprachunterricht in den Kindertageseinrichtungen und Schulen systematisiert wird. In den
Ländern, in denen die Schulpflicht nicht direkt mit der Einreise in das betreffende Land, sondern erst mit der späteren Zuweisung an die Kommunen oder nach dem Ablauf einer
bestimmten Frist einsetzt, vergeht oft wertvolle Zeit, die bereits für erste Bildungsmaßnahmen, besonders im sprachlichen Bereich genutzt werden könnte. Die Angebote der
Zivilgesellschaft in den Landeseinrichtungen für Flüchtlinge sind als wertvolle Beiträge zur
Integration zu begrüßen. Sie müssen aber durch staatliche Maßnahmen verstärkt und, falls
nötig, langfristig auch ersetzt werden.
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Empfehlungen:
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-
Bereits in den Flüchtlingsunterkünften müssen ausreichende Ressourcen in Form von
Unterrichtsräumen, fachlich besonders qualifizierte Lehrkräfte (w. z. B. Lehrer/innen
für Deutsch als Fremdsprache oder Deutsch als Fremdsprache) und didaktisch geeignetes Lehrmaterial zur Verfügung gestellt werden.
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Es sollte geprüft werden, welchen Beitrag die kulturpädagogischen Einrichtungen wie
Musikschulen, Bibliotheken und Jugendkunstschulen zur Förderung des Spracherwerbs leisten können. Ein effektiver Beitrag ist auch hier nur dann möglich, wenn für
diese Aufgabe ausreichende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
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1.5.
Spracherwerb und Elementarbildung in der Kindertagesstätte und Kindertagespflege
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Offene Angebote der Kinder- und Jugendhilfe
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Die Integration von geflüchteten Familien mit Kindern und Jugendlichen erfordert besondere
Sensibilität. Kinder und Jugendliche sind häufig durch die Flucht traumatisiert. Eltern haben
in ihren Herkunftsländern in der Regel keine Erfahrungen mit institutionellen Angeboten der
Kindertagesbetreuung oder anderen Angeboten kommunaler und freier Träger der Kinderund Jugendhilfe. In den Herkunftsländern gibt es oft keine vergleichbaren Angebote. Gerade
Kinder und Jugendliche sind aber sehr offen für Begegnungen mit den hier lebenden Kindern
und Jugendlichen. Diese Begegnungen sind integrations- und sprachfördernd.
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Die Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit haben daher eine sehr wichtige
Funktion für die Integration der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen. Junge Geflüchtete sind regelmäßige Besucherinnen und Besucher der Kinder- und Jugendzentren geworden
und haben die Räume als wichtige Anlaufstelle entdeckt. Die Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit suchen selbst auch bewusst Kontakt zu räumlich nahegelegenen
Unterkünften in den Stadtteilen und laden Kinder und Jugendliche in die Kinder-, Jugendund Stadtteilzentren ein. Teilweise werden Spiel- und Willkommensfeste organisiert, um das
gegenseitige Kennenlernen zu erleichtern. Die Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit arbeiten zudem bei stadtteilbezogenen „Runden Tischen“ mit und bringen ihre
fachlichen Kompetenzen und ihre Ressourcen auf vielfältige Weise ein. Z. B. sind sie Ansprechpartner für engagierte Bürgerinnen und Bürger, können aber auch Räume oder Spielund Sportmaterialien zur Verfügung stellen für Gemeinschaftsaktivitäten, Deutschunterricht
etc. Des Weiteren konzipieren Kinder- und Jugendzentren vielfältige Projekte und Aktionen
zum Thema „Flucht“, „Freiheit“ und „Freundschaft und Vorurteile“.
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In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden in vielen Städten niedrigschwellige Betreuungsangebote für Kinder angeboten. Diese Angebote sind in der Regel halboffen, Betreuungsverträge wie bei Kindertagesreinrichtungen oder in der Kindertagespflege sind nicht üblich.
Die Kinder können erste Kontakte mit der deutschen Sprache, ein anregungsreiches Umfeld
und damit Abwechslung vom sonstigen Leben in den Erstaufnahmeeinrichtungen erfahren.
Neben den pädagogischen Fachkräften werden auch Personen ohne pädagogische Berufsausbildung eingesetzt, die selbst einen Migrationshintergrund haben und die Sprachen der
ankommenden Menschen sprechen. Um auch bei nur vorübergehender Unterbringung Zugang
zu Spiel-, Kontakt- und Unterstützungsmöglichkeiten zu bieten, werden bei den Erstaufnahmeeinrichtungen sog. Elterncafés eingerichtet. In der Praxis spielen auch sog.
Brückenangebote für Kinder eine große Rolle, deren Eltern noch keinen regulären Besuch
einer Kindertageseinrichtung oder einer öffentlich geförderten Tagespflege wünschen. Der
reguläre Besuch einer Kita oder Tagespflege läuft unter vertraglich vereinbarten Regeln ab,
Kontinuität spielt dabei eine große Rolle. Die Eltern sind vielfach mit diesen Betreuungsangeboten nicht vertraut. Es ist daher erforderlich, der hiesigen üblichen Kindertagesbetreuung
ein spezielles und unbürokratisches Konzept der Kinder- und Familienbegleitung vorzuschalten, ein Konzept mit besonderer Flexibilität, kurzen Wegen und Elterneinbindung. So
entstanden in vielen Städten besondere Projekte, z.B. das Dortmunder Modell der „Kinderstuben“ oder das Modell der mobilen Kinderbetreuung „MoKi“ in Gelsenkirchen. Für die
betroffenen Kinder ist eine kontinuierliche und konsequente Sprachförderung eine wichtige
Voraussetzung, um ihnen einen Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Die Fähigkeit, mit seiner
Umwelt kommunizieren zu können, ist für die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung
eines Menschen unerlässlich. Sprache ist als Schlüsselkompetenz anzusehen. Die Brückenangebote werden daher auf die speziellen Anforderungen der Zielgruppe konzipiert und stetig
von Koordinatoren der Sprachförderung begleitet.
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Das Konzept der mobilen Kita „MoKi“ sieht vor, dass ein Wohnwagen und ein Wohnmobil
mit Basis-Kita-Ausstattung wochentags in der Nachbarschaft von Flüchtlingen und Zuwandererfamilien stehen. Die Teilnahme an den Angeboten ist kostenlos. Willkommen sind Kinder
jeden Alters und jeder Nationalität. Es gibt keine festen Hol- und Bringzeiten, es werden keine Betreuungsverträge zwischen den Eltern und dem Träger geschlossen. Das Ziel der
„MoKi“ ist, dass der Besuch der Spielgruppen Kinder und Eltern an den Regelbesuch einer
Tageseinrichtung für Kinder heranführt und somit eine Brücke zwischen offenen Angeboten
und vertraglich festgelegten Strukturen einer Tageseinrichtung für Kinder bildet. Die frühe
Kontaktaufnahme und Begleitung der Eltern ist für einen erfolgreichen Start im neuen Lebensumfeld besonders wichtig. Um die Mütter und Väter möglichst gut zu erreichen, sind
zunächst niederschwellige und flexible Angebotsformen gefragt. Diese Formen sind so ansprechend gestaltet, dass Eltern sie gerne mit ihren Kindern kennenlernen und nutzen
möchten. Die kurzen Wege zwischen Wohnort und mobilen Angeboten ist außerdem sehr
wichtig für das Gelingen. Die Eltern lernen durch die „MoKi“ das deutsche Bildungssystem
kennen, machen sich mit Werten und Normen vertraut und öffnen sich und ihre Kinder für die
Bildungsangebote der Stadt. Die Beratung der Eltern führt auch dazu, das Selbstwertgefühl
der Eltern zu stärken und sie im sicheren Umgang mit ihren Kindern zu begleiten und zu fördern. Dabei sollen nicht nur die Mütter erreicht werden, sondern es gibt auch spezielle Väter –
sowie Familienangebote. Die Brückenangebote sollen zur Inanspruchnahme regulärer Angebote der Kindertagesbetreuung hinführen, sie nicht ersetzen.
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Regelangebote in Kindertagesstätten und Tagespflege mit Schwerpunkten bei der Sprachförderung und Integration
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Dieses Konzept verfolgt auch das Dortmunder Modellprojekt der Kinderstuben, das in weiteren Ruhrgebietsstätten erfolgreich implementiert wurde. Neben dem spielerischen
Bildungsangebot für die Kinder am Vormittag richtet sich das Angebot am Nachmittag in den
Kinderstuben an die gesamte Familie. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bieten ein Forum
für Fragen rund ums Kind und den Lebensalltag. Sofern dies gewünscht wird, werden auch
Hausbesuche durchgeführt. Das Augenmerk liegt auf Kindern im Alter von ein bis vier Jahren. Die Kinderstuben sind ein präventives niederschwelliges Bildungsinstrument, welches im
Sozialraum verankert wird. Es wird ein sehr guter Betreuungsschlüssel von 1:3 in der Form
der Großtagespflege umgesetzt, dadurch kann spielerisch auf den Ausbau der vorhandenen
Fähigkeiten gesetzt werden. So sollen beispielsweise die Motorik, soziale Kompetenzen sowie die Sprachkompetenz gefördert werden. Zusätzlich zu den Tagespflegepersonen arbeiten
in den Kinderstuben auch sozialpädagogische Fachkräfte, die das Projekt pädagogisch und
organisatorisch begleiten. Die Fachkraft unterstützt die Tagespflegepersonen, sie berät im
Rahmen von Falldarstellungen, zu Fördermöglichkeiten der Kinder und in Konfliktfällen. Die
Fachkraft steht auch den Eltern beratend zur Seite und leistet Netzwerkarbeit zu Kindertageseinrichtungen, Schulen und Vereinen. Die aktive Einbeziehung der Eltern in die Arbeit am
Nachmittag ist eine wichtige Besonderheit dieses Konzeptes. Die Eltern werden gemeinsam
mit ihren Kindern an Gruppenangebote herangeführt und so in ihrer Erziehungskompetenz
gestärkt. Informationsnachmittage zu erziehungsrelevanten, gesundheitlichen sowie interkulturellen Themen werden regelmäßig angeboten. Feste und Ausflüge sollen ebenfalls dazu
beitragen, dass die Eltern mit ihren Kindern Zeit verbringen und die Vielfalt der Kulturen in
den Alltag mit einfließen kann. Einzelangebote und individuelle Beratung der Familien sind
ein wichtiger Bestandteil der Elternarbeit.
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Die Integration der Kinder in das reguläre System der Kindertageseinrichtungen und der öffentlich geförderten Tagespflege ist ein wichtiger Schritt in der Bildungsbiographie der
Kinder und der Integration der Familien. Rechtsansprüche auf Kindertagesbetreuung bestehen
bereits, wenn die Familien die Erstaufnahmeeinrichtungen verlassen haben und in Wohnunterkünften, bzw. öffentlich rechtlicher Unterbringung leben. Die Städte bemühen sich um
dezentrale Integration in Kindertageseinrichtungen und Tagespflege, um soziale Integration
und Spracherwerb zu fördern. Allerdings sind die Kita-Angebotsstrukturen nicht überall ausreichend, sodass zusätzliche Plätze und Gruppen eingerichtet werden müssen, teilweise
müssen neue Kindertageseinrichtungen gebaut werden.
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Neben dem Bundesprogramm der „Sprach-Kitas“ wird die Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen auch durch Landesprogramme und kommunale Programme ergänzt. Bei diesen
Programmen geht es um die Bereitstellung zusätzlichen Personals zur Unterstützung der
Sprachförderarbeit in den Kindertageseinrichtungen. In der Regel werden Kitas gefördert, die
besonders hohe Anteile an Kindern mit nicht-deutscher Familiensprache und Kindern aus
sozialbenachteiligten Familien aufweisen. Dabei ist auch auf die Besonderheiten des Erlernens der deutschen Sprache als Zweitsprache zu achten. In vielen Städten wird insbesondere
auch auf die Sprachförderung der Eltern wertgelegt. Diese müssen den Kindern ein kompetentes Vorbild beim Sprechen der Muttersprache sein, damit die Kinder die Strukturen einer
Sprache erlernen und sicher kommunizieren können. Dies ist auch Grundlage für den kompetenten Erwerb einer Zweitsprache. Gleichzeitig können Eltern über Kindertageseinrichtungen
ebenfalls an allgemeinsprachliche Förderangebote herangeführt werden, mit denen die
Sprachförderung der Kinder unterstützt wird. Beispielsweise gibt es in vielen Städten die
„Mama lernt Deutsch“-Angebote in Kooperation mit Kindertageseinrichtungen.
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Ein gelungenes Beispiel von Integration im Elementarbereich und im Primarbereich ist z.B.
das Programm „Rucksack“ im Verbund der kommunalen Integrationszentren in Köln. „Rucksack“ ist ein Projekt zur koordinierten Sprachförderung und Elternbildung in Kindertageseinrichtungen und Grundschule. Es verfolgt zwei Ziele: Die Förderung der Sprachentwicklung von Kindern in der deutschen und in der Herkunftssprache und die Förderung der
Erziehungskompetenz ihrer Eltern. Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, bzw. Lehrkräfte werden Partnerinnen und Partner für die Sprachförderung der Kinder. „Rucksack“ zielt auf die
Förderung der Muttersprachenkompetenz durch die Eltern, auf die Förderung der deutschen
Sprache durch das pädagogische Personal und auf die Förderung der allgemeinen kindlichen
Entwicklung. Die Kindertagesstätten und Schulen übernehmen die Verantwortung für die
Sprachentwicklung der Kinder und entwickeln ein Konzept für Mehrsprachigkeit und Interkulturalität. In diesem Rahmen öffnen sie sich für die teilhabende Rolle der Eltern. Darüber
hinaus werden Frauen mit Migrationshintergrund, die in der Regel selber Mütter sind und
sowohl ihre Herkunftssprache als auch die deutsche Sprache gut beherrschen, in der Familienbildungsstätte zu Elternbegleiterinnen ausgebildet. Jede Elternbegleiterin leitet eine
Müttergruppe aus sieben bis zehn Müttern, deren Kinder die Kindertageseinrichtung bzw. die
Grundschule besuchen. Mit der kontinuierlichen Vermittlung der Bildungsinhalte in ihrer
Herkunftssprache wächst neben der Erziehungskompetenz der beteiligten Mütter (Teilnehmerinnen) auch deren eigene herkunftssprachliche Kompetenz. Dieser Zuwachs wirkt sich
unmittelbar auch auf die Sprachentwicklung ihrer Kinder aus. Indem die Mütter durch eigenes
Lernen und durch die Begleitung ihrer Kinder im Bildungsprozess als Erziehungsexpertinnen
gestärkt werden, wachsen ihr Selbstbewusstsein und ihr Selbstwertgefühl. Sie erkennen die
Bedeutung der vorschulischen und schulischen Förderung ihrer Kinder. Zunehmend sehen sie
sich zur Mitarbeit und zur Auseinandersetzung mit Erziehern/Erzieherinnen und Lehrkräften
über die Bildungsziele von Kindertagesstätte und Schule in der Lage. Darüber hinaus werden
Kontakte zu anderen Eltern sowohl in der eigenen kulturellen Gruppe als auch darüber hinaus
erleichtert. Auch dies hat mittelbar positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder.
Ab dem Jahr 2016 ist der Aufbau einer Vätergruppe im Projekt „Rucksack“ geplant.
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1.6.
Allgemeine schulische Bildung
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Die Hauptlast der Integration durch Sprache und Bildung tragen derzeit und auf absehbare
Zeit die Schulen. Die schulische Bildung setzt solide Sprachkompetenzen der Zugewanderten
voraus, trägt aber durch die sprachliche Qualifizierung für Bildung, Ausbildung und Studium
zu den Sprachkompetenzen entscheidend bei. Zudem ist das Ziel der schulischen Bildung eine
umfassende Allgemeinbildung.
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In der schulischen Bildung ist das Zusammenwirken der staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft unverzichtbar. Während die Kommunen ausreichenden Schulraum zur
Verfügung stellen und ausstatten müssen, das nicht-pädagogische Fachpersonal vorhalten und
das notwendige Lehrmaterial bereitstellen, müssen die Länder die Lehrer/innen durch Ausund Fortbildung auf die Herausforderungen der neuen Integration vorbereiten und ausreichende Personalressourcen bereitstellen. Kommunen und Länder müssen sich darüber hinaus
gemeinsam über das notwendige schulische Ergänzungspersonal verständigen.
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Die Leistungsfähigkeit der Kommunen wird derzeit auf eine harte Probe gestellt, da sie einerseits für die Unterbringung und Versorgung der Zugewanderten mit dem Lebensnotwendigen
zuständig sind, anderseits als kommunale Schulträger aber auch der jeweils landesrechtlich
geregelten Beschulungspflicht unterliegen. Die Städte stehen hierbei vor besonders großen
Herausforderungen, da die Zugewanderten häufig in die Ballungszentren ziehen. Es gelingt
daher einigen Städten nicht, ihrer Beschulungspflicht vom ersten Tag an nachzukommen.
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Dies kann sich nur verbessern, wenn die Zugewanderten besser über ganz Deutschland und in
den Regionen verteilt werden und die Länder die Kommunen finanziell stärker unterstützen.
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In einigen Städten treffen die hohen Zuwanderungszahlen auf ohnehin hohe Zuzugszahlen.
Vor allem in diesen Städten muss zusätzlicher Schulraum in beträchtlichem Umfang geplant
und gebaut werden. Auch die Städte, die nicht in Zuzugsregionen liegen, müssen durch Umbau und Erweiterung bestehender Gebäude neuen Schulraum schaffen. Da die Leistungen der
Länder für den Schulbau trotz der erhöhten Zuwanderung zumeist nicht angepasst wurden,
können die Städte ihre erhöhten Aufwendungen in diesem Bereich kaum refinanzieren.
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Empfehlungen:
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Die Länder müssen die Mittel für Bautätigkeiten der kommunalen Schulträger substantiell erhöhen und den Kommunen durch Sonderprogramme zusätzliche Mittel für
Umbau, Erweiterung und 1eubau von Schulgebäuden zur Verfügung stellen.
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Bauordnungsrechtliche Erleichterungen, die bislang nur für Flüchtlingsunterkünfte
gelten, sollten ausdrücklich auch auf schulische 1utzungen erweitert werden, damit
die Kommunen schneller neuen Schulraum errichten können.
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Die Länder müssen integrierte Gesamtkonzepte für die schulische Integration vorlegen. Diese Konzepte müssen den Ressourcenbedarf realistisch einschätzen und
aufzeigen, wie die Herausforderungen von Inklusion, Ganztagsausbau und Digitaler
Bildung parallel zu den Herausforderungen der Zuwanderung bewältigt werden können.
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Bildungsökonomisch und damit integrationspolitisch könnte es sinnvoll sein, Zuwandernde schneller als bisher in das Regelschulsystem zu überführen. Dies setzt aber
entsprechende Konzepte der Länder sowie eine deutlich bessere Ressourcenausstattung für deutlich kleinere Klassen und eine erhöhte zusätzlich pädagogische
Betreuung voraus.
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In einem nächsten Schritt müssen auch die Angebote in den Offenen Ganztagsschulen
deutlich ausgeweitet werden, da sie für die Gruppe der Zuwandernden ein besonders
erfolgreiches Integrationsmodell darstellen könnten. Auch hier können die Kommunen
nur erfolgreich sein, wenn sie von den Ländern und vom Bund, der den Ganztagsausbau bereits in der Vergangenheit gefördert hat, zusätzlich finanziell unterstützt
werden.
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Die Länder müssen die Lehrpläne für angehende Lehrer/innen noch stärker auf die
Anforderungen der Migrationsgesellschaft anpassen. Zudem müssen Länder und
Kommunen deutlich höhere Ressourcen für die Fortbildung ihres jeweiligen Personals
bereitstellen.
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Es sollte geklärt werden, welchen Beitrag die kulturelle Bildung im Rahmen der schulischen Integration leisten kann. Sie könnte bei entsprechender finanzieller
Unterstützung durch die Länder im Bereich der Offenen Ganztagsschulen eine deutliche größere Rolle spielen als derzeit.
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1.7.
Berufliche Bildung
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Die berufliche Bildung genießt mit dem dualen Ausbildungssystem weltweit zu Recht einen
sehr guten Ruf. Bildungsexperten halten die berufsbildenden Schulen zur Integration der Zugewanderten für besonders geeignet. Schon jetzt besuchen Zugewanderte mit Erfolg
berufsbildende Schulen. Im Laufe der letzten Jahre haben sich die berufsbildenden Schulen
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daher eine hohe Kompetenz in der Integration von zugewanderten Schüler/innen erwerben
können.
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Eine erfolgreiche Integration in die berufliche Ausbildung könnte auch einen wertvollen Beitrag zur Reduzierung des deutschen Fachkräftemangels leisten. Hierbei ist jedoch zu
beachten, dass für viele der aktuell Zuwandernden bereits keine Berufsschulpflicht mehr besteht. Mit Blick auf die Zukunftschancen dieser jungen Menschen und die Leistungsfähigkeit
der deutschen Sozialsysteme darf es jedoch nicht zugelassen werden, dass Zuwandernde nur
deswegen keinen berufsqualifizierenden Abschluss erwerben, weil sie nach den Schulgesetzen der Länder zu alt für den Berufsschulunterricht sind.
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Empfehlungen:
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Da sich in den berufsbildenden Schulen zunehmend ähnliche Ressourcenprobleme
zeigen werden wie im allgemeinen Schulbereich, sind die Länder auch hier aufgefordert, die Kommunen stärker als bisher beim Schulbau und der Finanzierung des
schulischen Ergänzungspersonals zu unterstützen.
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Die Länder sollten ihre Schulgesetze daraufhin überprüfen, ob sie Zugewanderten
jenseits der Berufsschulpflicht die Möglichkeit zum Erwerb berufsqualifizierender Abschlüsse ermöglichen. Gegebenenfalls sollten die rechtlichen Regelungen zur (Berufs-)
Schulpflicht angemessen modifiziert werden.
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2.
AUSBILDU1G, QUALIFIZIERU1G U1D BESCHÄFTIGU1G
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2.1.
Feststellung von Ausbildungsständen und Qualifizierungen
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Zur Fortsetzung und zum erfolgreichen Abschluss von begonnenen Ausbildungen in Deutschland und für notwendige ergänzende Qualifizierungsmaßnahmen ist es – wie auch im
allgemeinen schulischen Bereich – erforderlich, dass die Schulen und kommunalen Schulträger zeitnah verlässliche und umfassende Daten zu den Ausbildungsabschlüssen und sonstigen
beruflich relevanten Kompetenzen der Zugewanderten erhalten. Ob das Datenaustauschverbesserungsgesetz hierfür ausreichend ist, wird die Praxis zeigen.
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2.2.
Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung;
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Sprachförderung, Qualifizierung und Beschäftigung als Kernelemente der Integration in den
Arbeitsmarkt
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Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt ist für die Jobcenter, die die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) umsetzen, seit jeher ein wichtiger
Teil ihrer Aufgaben. Der nunmehr dazukommende große Personenkreis Asylberechtigter und
Flüchtlinge weist zudem die Besonderheit auf, dass die Kenntnisse der deutschen Sprache
wenn überhaupt, dann bestenfalls rudimentär vorhanden sind und vielfach auch die Kenntnis
der lateinischen Schrift fehlt. Einer berufsbezogenen Sprachförderung, die auch eine allgemeine Sprachförderung beinhalten muss, ist daher zwingende Voraussetzung für die
Aufnahme von Vermittlungsbemühungen. Neben einer breit angelegten verpflichtenden und
qualitativ hochwertigen Sprachförderung benötigt diese Personengruppe auch Unterstützung
bei der Qualifikationsfeststellung und der Anerkennung von berufsqualifizierenden Abschlüssen. Der Aufbau weiterer Qualifikationen und die Heranführung an den hiesigen
Arbeitsmarkt, z.B. durch Praktikumsplätze, Bewerbungscoaching und Qualifizierungs- und
Beschäftigungsmaßnahmen, muss als ganzheitlicher Ansatz für die Gruppe der anerkannten
Flüchtlinge und Asylberechtigten entwickelt werden. Hinweise auf Chancen und Pflichten
müssen Gegenstand des Beratungs- und Integrationsprozesses sein. Flüchtlinge sind verpflichtet, die ihnen unterbreiteten Angebote der Jobcenter anzunehmen.
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Da die Betreuung dieser Personengruppe ganz überwiegend in den Jobcentern, also im
Rechtskreis SGB II erfolgen wird, muss dies bei der Planung von Ressourcen und Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen berücksichtigt werden. Die Jobcenter müssen im
Hinblick auf die großen Aufgaben leistungsfähig sein und dauerhaft leistungsfähig gehalten
werden. Sie bedürfen daher entsprechend der steigenden Zahl von SGB II-Leistungsberechtigten einer Unterstützung durch zusätzliches Personal und eine ausreichende Mittelausstattung. Es ist zudem zu erwarten, dass die Gruppe der Asylberechtigten und Flüchtlinge
eine höhere Mobilität vorweist, die zu vermehrten Umzügen der Leistungsberechtigten führen
kann. Erforderlich ist daher der Austausch der personenbezogenen Leistungsdaten unmittelbar
zwischen den betroffenen Jobcentern. Für die einzelnen Jobcenter ist das Wanderungsverhalten der dauerhaft geschützten Flüchtlinge ein wichtiger Einflussfaktor. Die bisherigen
Erfahrungen zeigen, dass zugewanderte Menschen in die Städte ziehen, in denen sich bereits
Communities aus ihren Herkunftsländern gebildet haben. Einerseits können diese Netzwerke
von Verwandten und Bekannten hilfreich bei der Wohnungs- und Arbeitssuche und der sozialen Integration sein. Anderseits können aber durch den vermehrten Zuzug von Migranten und
Migrantinnen lokale Ressourcen am Wohnungs- und Arbeitsmarkt erschöpft werden und
dadurch eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung entstehen.
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Kooperation der arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitischen Akteure
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Die besondere Situation geflüchteter Menschen erfordert die Kooperation verschiedener regionaler Akteure, z.B. der Agentur für Arbeit, der Jobcenter, der Industrie- und
Handelskammer, der Handwerkskammer, der Berufskollegs, der Schulen, der Kommunalverwaltung (insbesondere Jugend- und Sozialdezernat, Schuldezernat, Ausländeramt), der
kommunalen Integrationsbeauftragten und -zentren, der Sprachbildungs- und Beschäftigungsträger sowie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Die enge Zusammenarbeit dieser
und weiterer Akteure wird mittlerweile in vielen Städten in „Integrationspoints“ koordiniert.
In kommunalen Fachgruppen mit allen Akteuren können idealtypische Integrationsprozesse
sowie die jeweiligen Zuständigkeiten für die einzelnen Schritte der Prozessketten erörtert und
festgelegt werden. Dadurch können Doppelstrukturen vermieden und Angebote so aufeinander abgestimmt werden, dass Förderketten entstehen und „strukturelle Angebotslücken“ vermieden werden.
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Junge Flüchtlinge sind hoch motiviert, benötigen aber Zeit zum Erwerb von sprachlichen,
schulischen und fachlichen Kompetenzen, zur beruflichen Orientierung und dem Kennenlernen von Unternehmen vor Ort. Heterogene Bildungserfahrungen, belastende biographische
Erfahrungen und Sorgen um die Sicherung ihrer Bleibeperspektiven führen häufig zu Destabilisierungen und wirken sich negativ auf die Förderprozesse aus. Unternehmen sind für die
Aufnahme von jungen Flüchtlingen sehr aufgeschlossen. Sie wünschen sich aber junge Menschen, die bereits beruflich orientiert und schulisch gebildet sind und über ein Sprachniveau
(B1) verfügen, das für das erfolgreiche Absolvieren einer Ausbildung notwendig ist. Unsichere Bleibeperspektiven der jungen Flüchtlinge verunsichern auch interessierte Unternehmen,
die ihren Ausbildungsauftrag erfüllen möchten. Das System der beruflichen Orientierung und
das deutsche Ausbildungssystem sind bislang noch nicht auf die besonderen Anforderungen
junger Menschen aus dem Ausland bzw. mit Fluchterfahrung ausgerichtet. Es müssen daher
besondere Instrumente hierfür entwickelt werden.
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Die vorrangigen Ziele für junge Flüchtlinge sind die Förderung des Spracherwerbs, der Aufbau und die Fortsetzung des Erwerbs von schulischem Basiswissen, die berufliche
Orientierung und die mittelfristige Integration in Ausbildung und Arbeit. Im besonderen Fokus steht dabei der Übergang vom Berufskolleg in Ausbildung und Arbeit.
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In einigen Städten ist bereits ein gemeinsamer strukturierter Prozess und Beratungsansatz für
die wirkungsvolle Unterstützung der Zielgruppe entwickelt worden, der ihre gesamte Lebenssituation in den Blick nimmt. Dabei können neben der schulischen Vorbildung, den
bisherigen Lernerfahrungen, Eignungen, Neigungen und den Wunschberufen der Jugendlichen auch biographische und fluchtbedingte Einflüsse, seelische Belastungen und
Unsicherheiten in Bezug auf das Asylverfahren und die Wohnperspektiven eine Rolle spielen.
Eine Förderlücke besteht für junge Flüchtlinge insbesondere noch nach Verlassen des Berufskollegs, da die Standardinstrumente des Übergangsystems für Jugendliche noch nicht für
diese Zielgruppe in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Es wurden daher von den Jobcentern Angebote entwickelt, die eine Ausbildung speziell für sie ermöglichen soll. Da nur
wenige junge Flüchtlinge dem Ausbildungsmarkt aufgrund der Sprachhemmnisse direkt zur
Verfügung stehen können, werden Unternehmen dafür gewonnen, längerfristig mit einzelnen
Bausteinen von der Berufsfelderkundung über Praktika bis zur Ausbildung in die berufliche
Orientierung von Flüchtlingen zu investieren. Die Jobcenter werben auf Veranstaltungen mit
Partnern für dieses Modell, beraten Unternehmen, die sich für junge Flüchtlinge öffnen wollen und planen gemeinsam mit den Unternehmen Tage der Berufsfelderkundung. Erste
Erfahrungen, z.B. mit einem Pilotprojekt in Bielefeld, waren so positiv, dass Praktika für junge Flüchtlinge in größerem Umfang angeschlossen werden konnten. Des Weiteren wurde vom
Jobcenter Bielefeld in Kooperation mit dem Ausbildungskonsens Ostwestfalen eine Ein22
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stiegsqualifizierung plus Sprachförderung entwickelt, welche als Modell für andere Kommunen dienen könnte. Die IHK Ostwestfalen hat die Übernahme der zusätzlichen Kosten der
Sprachförderung und ergänzender Module für IHK-Betriebe zugesagt.
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Ein besonderer Fokus ist bei Maßnahmen für junge Erwachsene auch auf die Verringerung
und Beseitigung von Vermittlungshemmnissen und die Stabilisierung nach einer Vermittlung
in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu legen. Ganzheitliche Konzepte beinhalten die Ermittlung und den Aufbau von sprachlichen, persönlichen und berufsbezogenen
Kompetenzen. Zu den Kernelementen gehören ein ermutigendes, kultursensibles Coaching
mit Gesundheitsförderung, eine migrationssensible Kompetenzerfassung und eine arbeitsweltbezogene Sprachförderung. Hilfen beim Bewerbungsmanagement und bei alltäglichen
Erledigungen, z.B. bei Ämtergängen und bei der Wohnungssuche sind ebenfalls stabilisierende Elemente. Die arbeitsweltbezogene Qualifizierung sollte sich auf Berufsfelder beziehen, in
denen Fachkräftemangel besteht, bzw. günstige Einstiegsvoraussetzungen vorliegen. Dies ist
erfahrungsgemäß im gewerblich-technischen Bereich, im Hotel- und Gaststättenbereich, bei
Tätigkeiten im Lager und in der Logistik, im Verkauf und im Handel sowie in der Pflege der
Fall. Diese integrierten Konzepte werden bereits in einigen Städten, z.B. in Nürnberg mit gemeinsamer Förderung der Agentur für Arbeit, des Jobcenters und der Stadt Nürnberg
durchgeführt.
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2.3.
Beschäftigungsförderung und Integration in Arbeit
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Integrationskonzepte für Migranten/-innen mit längerem Aufenthalt in Deutschland
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Die Förderung der Beschäftigung und Integration in Arbeit ist nicht nur hinsichtlich der neu
angekommenen Flüchtlinge und Asylbewerber, sondern auch in Bezug auf Migranten, die
sich bereits längere Zeit in Deutschland aufhalten, von besonderer Bedeutung. Arbeit ist ein
Schlüsselangebot zur gesellschaftlichen Integration. Sie bestimmt im Wesentlichen die Anzahl sozialer Kontakte außerhalb des eigenen sozialen Nahraums und verhindert
gesellschaftliche Ausgrenzung. Die Einbindung der zugewanderten Menschen in Wertschöpfungsprozesse, verbunden mit niedrigschwelligen berufspraktischen Bildungsprozessen ist für
die gesellschaftliche Integration von zentraler Bedeutung. Beispielhaft werden bereits gut mit
den lokalen Verhältnissen betraute Leistungsbeziehende als „Integrationslotsen“ mit Förderung durch die Jobcenter sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sie haben die Aufgabe, neu
ankommende Flüchtlinge bei der Orientierung in der neuen Umgebung und bei der Bewältigung ihrer Alltagsherausforderungen zu begleiten und zu unterstützen. Diese Integrationslotsen werden ihrerseits gecoacht mit dem Ziel, sie in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Daneben werden Leistungsbeziehende nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in kommunalen Arbeitsgelegenheiten bei Betreibern der Flüchtlingsunterkünfte und bei freien Trägern
beschäftigt. Dadurch entsteht tagesstrukturierende Beschäftigung und es wird Arbeitserfahrung gesammelt. Gleichzeitig können Kommunikationsprobleme mit neu angekommenen
Flüchtlingen abgemildert und die praktische Arbeit in den Flüchtlingsunterkünften unterstützt
werden. In einigen Städten werden auch besondere Anlauf- und Unterstützungsstellen für
geflüchtete Menschen gefördert, die sich insbesondere auf die Themen Sprache, Berufsorientierung, Ausbildung und Arbeit konzentriert haben. Ziel ist es, Informationen zu bündeln und
die arbeitsintegrativen Prozesse der unterschiedlichen Akteure vor Ort gut aufeinander abzustimmen.
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Ein besonderes Augenmerk ist auch auf die Integration von arbeitsmarktfernen Migrantinnen
zu legen. Die Frauen sind häufig durch Aufgaben der Kinderbetreuung zeitlich gebunden, ihre
bisherige schulische und berufliche Orientierung und Ausbildung ist sehr heterogen. In Wiesbaden wird z.B. in enger Kooperation mit lokalen Institutionen, die in der Arbeit mit
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Migrantinnen aktiv sind (unter anderem Träger der Integrationskurse, Migrantinnenorganisationen und Vereine, zudem Träger beruflicher Qualifizierungs- und Sprachförderangebote)
speziell auf diese Zielgruppe zugeschnittene Teilzeitmaßnahmen zur beruflichen Integration
angeboten. Ziel der Maßnahmen des kommunalen Jobcenters der Stadt Wiesbaden ist die Aktivierung der Migrantinnen, ihre berufliche Orientierung und die Verbesserung ihrer
qualifikatorischen Voraussetzungen. Daneben werden lebensweltbezogene Vermittlungshemmnisse bearbeitet und verringert, um den Aufbau einer beruflichen Perspektive zu
fördern.
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Die Erhöhung der gesellschaftlichen Teilhabe der Frauen soll auch durch die Stärkung ihrer
personalen und sozialräumlichen Handlungskompetenzen erhöht werden. Letztendlich wird
die Vermittlung in weiterführende Maßnahmen oder idealerweise in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angestrebt. Zur Zielgruppe gehören Migrantinnen, die überwiegend
über geringe Sprachkenntnisse trotz langjährigen Aufenthalts verfügen und keine marktverwertbaren Bildungsabschlüsse haben. Hinzu kommen eine eingeschränkte zeitliche
Arbeitsmarktverfügbarkeit aufgrund familiärer Verpflichtungen und gesundheitlicher Einschränkungen, bzw. ein höheres Lebensalter.
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Für das Jobcenter Wiesbaden ist insbesondere die Förderung sozialer Aktivitäten zur Entwicklung personenbezogener Fertigkeiten und Fähigkeiten relevant. Bezüglich dieser
Zielgruppe sind z.B. Vor-Ort-Besuche oder die Vorstellung sozialer Dienste, Behörden und
Institutionen ein wesentlicher Baustein, um zukünftig individuelle Probleme in Kooperation
mit den zuständigen Stellen aufarbeiten zu können. Im Rahmen dieser Maßnahmen besuchen
die Teilnehmerinnen – i.d.R. arbeitsmarktferne Migrantinnen – spezielle Einrichtungen für
Frauen, z.B. mit Unterstützungsangeboten bei familiären und persönlichen Problemlagen,
Kindertagesstätten, Kinder- und Jugendzentren, Familienbildungsstätten und ausländerrechtliche Beratungsstellen. Darüber hinaus werden die Prävention von Verschuldung und der
Umgang mit Verschuldung ebenso thematisiert wie die Prävention von Gewalt, insbesondere
von häuslicher Gewalt. Die Erhöhung der Mobilität ist ebenfalls Thema. Hierzu wird z.B. der
Hauptbahnhof besichtigt, das Lesen von Fahrplänen und Infotafeln sowie die Bedienung von
Fahrkartenautomaten geübt und das Nahverkehrssystem erläutert. Daneben sind ein Sprachtraining sowie ein Gesundheitstraining durch aktivierende Maßnahmen vorgesehen. Neben
konkreten Maßnahmen in den Kursen der Jobcenter wird auf weiterführende Angebote vor
Ort hingewiesen. Ein Kernstück der Maßnahme ist ein vierwöchiger beruflicher Orientierungskurs, in dem verschiedene Berufsbilder mit ihren Qualifizierungsanforderungen
vorgestellt werden, geeignete Betriebe besucht werden und Informationen zu Funktion und
Arbeitsweise der beteiligten Behörden vermittelt werden.
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2.4.
Wirtschaftsförderung
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Die schnelle Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt ist auch aus wirtschaftspolitischer Sicht von erheblicher Bedeutung. So weisen namhafte Institute darauf hin, dass
angesichts des bestehenden Fachkräftemangels in Deutschland die Integration von Flüchtlingen langfristig zu positiven wirtschaftlichen Effekten führt (DIW Berlin) und damit das
Wachstumspotential unserer Wirtschaft erhöhen. Zwar kann festgestellt werden, dass auf
Grund der Ausbildungsdefizite, Verständigungsschwierigkeiten, fehlender oder nicht anerkannter Abschlüsse oder entsprechender Nachweise und der kulturellen Unterschiede
erhebliche Herausforderungen zu bewältigen sind. Gleichzeitig hat das Institut in entsprechenden Berechnungen nachgewiesen, dass diejenigen Flüchtlinge, die Arbeit finden, zum
Erfolg und zu Erträgen der Unternehmen beitragen. Gleichzeitig erhöhen sie als Konsumenten
die Nachfrage und tragen zu mehr Investitionen und höherem Einkommen für private Haushalte bei. Selbst bei pessimistischen Voraussetzungen sollen sich diese wirtschaftlichen
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Auswirkungen bereits nach zehn Jahren einstellen, in günstigeren Fällen soll der positive Effekt sogar rascher (vier bis fünf Jahre) erfolgen.
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Diese positiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Effekte lassen sich umso eher erreichen, je schneller die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Grundvoraussetzung hierfür ist
die Zusammenarbeit zwischen den integrationsrelevanten Akteuren in den zuständigen Verwaltungen, der Agentur für Arbeit, den Unternehmen bzw. Unternehmensverbänden,
Bildungseinrichtungen sowie den freien Träger. Zwischen den Akteuren sollten die zur Integration erforderlichen Maßnahmen inhaltlich und organisatorisch abgestimmt werden.
Dabei sollten die Qualifikation und die Beschäftigungspotenziale der Zuwanderer einerseits
und andererseits auch die Erfordernisse der arbeitskräftesuchenden Unternehmen berücksichtigt werden. Letztlich lassen sich die Integrationsmaßnahmen nur erfolgreich verwirklichen,
wenn das Arbeitskräfteangebot mit der Arbeitskräftenachfrage übereinstimmt.
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Dabei kann die kommunale Wirtschaftsförderung gemeinsam mit anderen Institutionen eine
wichtige Unterstützung leisten. Sie kann als zentrale Anlaufstelle für die Belange der Unternehmen vor Ort den direkten Kontakt mit den Unternehmen herstellen und den Zugang der
Zuwanderer zu Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen erleichtern. Dadurch kann auch wesentlich zur Fachkräftesicherung beigetragen werden.
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Vor diesem Hintergrund sind bestehende Maßnahmen zur besseren Integration zu intensivieren.
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Um dem in Deutschland bestehenden Fachkräftemangel sinnvoll zu begegnen, ist es
erforderlich, den Zugewanderten sehr frühzeitig die Möglichkeit zur Einbringung ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen zu geben.
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Die für die Integration erforderliche Sprachförderung sollte intensiviert werden und
um berufliche Sprachförderung ergänzt werden.
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Insbesondere für Ungeübte bedarf es niederschwelliger beruflicher Angebote. So
könnten z. B. Unternehmen motiviert werden, Praktika für die Zugewanderte (sowohl
kurz- als auch längerfristige) anzubieten, um Anforderungen und Arbeitsweisen in Unternehmen kennenzulernen. In Ergänzung dazu könnten entsprechende
Berufsvorbereitungskurse angeboten werden oder z. B. eigene Lerngruppen an Berufskollegs eingerichtet werden, die auch zu einer Vermittlung der bestehenden
Arbeitskultur führen.
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Die bereits praktizierte berufliche Kompetenzerfassung der Zugewanderten sollte über
die reine Dokumentensichtung hinausgehen und auch die bestehenden praktischen
Kenntnisse aus dem Herkunftsland, für die keine 1achweise vorliegen, mit einbeziehen. Entsprechende Profile sollten idealerweise bei der Erstaufnahme erfasst werden.
Ggf. ist über eine erleichterte Anerkennung von Qualifikationen nachzudenken. Die
Anerkennung ausländischer Ausbildungs- und Berufsabschlüsse sollte vereinfacht
werden.
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-
Die Angebote von Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sollten soweit möglich in den Bereichen erfolgen, in denen Fachkräftemangel festzustellen ist (z. B. der
Gesundheitsbereich). Voraussetzung hierfür ist eine Informationsbasis, um möglichst
branchenorientiert einen differenzierten und zeitnahen Überblick über die Angebotsund 1achfrageverhältnisse, möglichst bezogen auf den jeweiligen Standort zu haben.
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Auch für diejenigen, die eine begonnene Ausbildung abbrechen, sollten Maßnahmen angeboten werden, in denen ggf. Teilqualifikationen erworben werden
können.
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-
Zuwanderer, die sich aufgrund ihrer Erfahrung aus den Herkunftsländern selbstständig machen möchten, sollten im Rahmen der zertifizierten
Existenzgründungsberatung (wie z. B. der STARTER-CE1TER 1RW) unterstützt
werden.
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2.5.
Freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeit von Zugewanderten
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Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement Zugewanderter trägt wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei und ist Ausdruck der Identifikation Zugewanderter mit dem
Gemeinwesen. Der interkulturelle Verständigungsprozess und ein tolerantes Miteinander
werden dadurch maßgeblich gefördert. Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement stößt
sowohl bei Zugewanderten als auch bei der Aufnahmegesellschaft interkulturelle Lern- und
Öffnungsprozesse an.
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Zwischen freiwilligem und ehrenamtlichem Engagement und sozialer Integration Zugewanderter besteht ein enger Zusammenhang. So sind Zugewanderte, die sich freiwillig
engagieren, sozial eingebunden, haben bessere Kommunikationsmöglichkeiten und größere
Chancen in vielfältigen Bereichen der Gesellschaft. Vor allem junge Menschen mit Migrationshintergrund haben ein hohes, z.T. über dem der gleichaltrigen deutschen Bevölkerung
liegendes Potenzial für freiwilliges Engagement. Von den Zugewanderten engagieren sich 23
Prozent freiwillig. Vom Rest der Bevölkerung engagieren sich 36 Prozent der Menschen
(Freiwilligensurvey 2004, 2009).
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Die Bereiche, in welchen sich Zugewanderte und ihre Nachkommen engagieren, sind breit
gefächert mit einem deutlichen Schwerpunkt im Bereich Sport sowie im religiös-kulturellen
Bereich. Auch wird davon ausgegangen, dass das Engagement von Zugewanderten in informellen sozialen Netzwerken höher liegt als bei der heimischen Bevölkerung. Dort wird
vermehrt Nachbarschaftshilfe, Hilfe in oft weitreichenden verwandtschaftlichen Netzwerken
oder im Umfeld von Initiativen und Gruppen geleistet, ohne direkt Mitglied in einer Organisation zu sein. Oftmals engagieren sich Zugewanderte v.a. in ihren eigenen Gemeinschaften
freiwillig.
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Es gibt viele Bereiche des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements, in denen keine oder
nur sehr wenige Zugewanderte und deren Nachkommen mitwirken. Dies gilt für die Jugendfreiwilligendienste als biographischem Einstieg in gesellschaftliches Engagement. Hier
wurden erfolgreich Anstrengungen unternommen wurden, den Anteil von Personen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. In anderen großen Engagementbereichen wie den
Rettungsdiensten oder im kulturellen Engagement sind vereinzelt vorbildliche Maßnahmen
ergriffen worden. Ein wichtiges Motiv hierbei ist, dass die demografische Entwicklung zu
großen Lücken in Organisationen führen kann, wenn nicht die junge Generation der Zugewanderten und deren Familien als aktiv Engagierte gewonnen werden können. Insbesondere
die Rettungsdienste, die für die Sicherheit in den Städten zuständig sind, sind auf ausreichend
ehrenamtlich Mitwirkende angewiesen.
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Die Entfaltung des Engagementpotenzials von Zugewanderten hängt von sozialen und ökonomischen Verbesserungen in den von Zuwanderung geprägten Milieus sowie von der
weiteren Öffnung der Zugänge zu zivilgesellschaftlichen Strukturen ab. Bei der Erhöhung des
freiwilligen Engagements spielen auch Migrantenorganisationen eine wichtige Rolle. Sie sind
besonders geeignet, Zugewanderte für ein freiwilliges Engagement zu gewinnen, weil sie über
eine unter der zugewanderten Bevölkerung eine große Reichweite verfügen und auch Grup26
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pen erreichen, die für öffentliche Stellen oder Wohlfahrtsverbände schwerer zugänglich sind.
Sie können die Bedarfslagen der zugewanderten Bevölkerung gut erfassen und vermitteln.
Zudem sind sie oft erster Ansprechpartner für neu Zugewanderte.
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Empfehlungen:
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Es ist notwendig, mehr Zugewanderte gezielt für Engagement in ihrem sozialen Umfeld auch außerhalb ihrer Organisationen zu gewinnen – in Schule, Kindergarten,
Verein oder 1achbarschaft. Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement von Zugewanderten ist in der Öffentlichkeit oft nicht sichtbar genug. Individuelle
Teilhabemöglichkeiten über freiwilliges und ehrenamtliches Engagement von Zugewanderten müssen gewürdigt und unterstützt werden. Es sollten Maßnahmen für eine
bessere Anerkennung des Engagements Zugewanderter ergriffen werden.
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Die Stärkung von Migrantenselbstorganisiationen kann bei der Erhöhung des Engagements von Zugewanderten hilfreich sein. Hierzu gehören Qualifizierungsangebote,
Schulungen, die Bereitstellung von Ressourcen oder professionelle Beratungsangebote.
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Tandemprojekte zwischen etablierten Trägern und Migrantenorganisationen sind sehr
leistungsfähig. Deshalb sollten sie von etablierten Trägern auch außerhalb von Modellprojekten und Förderprogrammen erwogen werden.
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3.
WOH1RAUMVERSORGU1G U1D SOZIALRÄUMLICHE I1TEGRATIO1
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3.1.
Wohnraumversorgung und sozialräumliche Integration
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Die Versorgung mit einer Wohnung als privatem Rückzugsort sowie als Lebensmittelpunkt
für die Familie ist die Basis für eine erfolgreiche Integration. Die durch die Kriegsgeschehnisse, internationalen Konfliktlagen und das unveränderte Wohlstandsgefälle deutlich gestiegene
Zuwanderung führt daher auch zu einem erhöhten wohnungspolitischen Handlungsbedarf in
den Städten.
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In den zurückliegenden Jahren mit einer geringen Zahl zugewanderter Flüchtlinge konnten
Gemeinschaftsunterkünfte abgebaut und die Flüchtlinge auch während des Asylverfahrens
weitgehend dezentral in Wohnraum untergebracht werden. Im Laufe des letzten Jahres hat
sich die Unterbringungssituation erheblich verändert: Um die große Zahl ankommender Migranten und Flüchtlinge mit einer Unterkunft zu versorgen, mussten die Städte ihren Anspruch
an eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen bzw. in kleinen Gemeinschaftseinrichtungen
zunehmend aufgeben. Insbesondere in wachsenden Regionen mit bereits bestehendem Wohnraummangel musste häufig sogar auf eine Notunterbringung in leer stehenden
Gewerbeimmobilien, Turnhallen, Kasernen, Containern oder selbst in Zelten zurückgegriffen
werden. Auch wenn nur ein Teil der Flüchtlinge nach Abschluss des Asylverfahrens einen
Aufenthaltsstatus erhält, bedarf es erheblicher Anstrengungen, um die Versorgung von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen mit Wohnraum zu gewährleisten. (Vorschlag H. v.
Lojewski: „Hier wären tabellarische oder grafische Darstellungen zu den Anteilen der unterschiedlichen Unterbringungsarten instruktiv.“)
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3.2.
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Zur Einschätzung des durch die Zuwanderung von Flüchtlingen entstehenden zusätzlichen
Neubaubedarfs sind neben Daten zur Zahl der ankommenden Flüchtlinge und Migranten und
den Anerkennungsquoten sowie zur durchschnittlichen Haushaltsgröße und dem Umfang des
Familiennachzugs auch Informationen zur räumlichen Verteilung der Flüchtlinge mit Bleibestatus erforderlich. Denn nach Abschluss des Asylverfahrens genießen Asylberechtigte
ebenso wie Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention Freizügigkeit, sie können ihren Wohnsitz also frei wählen.
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Soweit die Flüchtlinge ihren Wohnsitz bevorzugt in Regionen mit ausgeglichenen oder sogar
entspannten Wohnungsmärkten wählen, kann ihnen vorhandener Wohnraum zu in der Regel
moderaten Mieten angeboten werden, es entsteht zumeist kein zusätzlicher Baubedarf. Anders
verhält es sich, wenn die Flüchtlinge überwiegend in den wirtschaftlich prosperierenden Regionen mit entsprechend angespannten Wohnungsmärkten leben möchten.
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Bezüglich der räumlichen Verteilung kann – ausgehend von den bisherigen Erfahrungen grundsätzlich von folgenden Annahmen ausgegangen werden:
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Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (BBSR) ging noch in der ersten Hälfte
des Jahres 2015 von einem jährlichen Neubaubedarf von 272.000 WE bis zum Jahr 2020 aus.
Im Verlauf des Jahres hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bauen und Reak-
-
Prognose des Wohnungsbedarfs
Die Flüchtlinge werden ihren Wohnsitz dort nehmen, wo sie die besten Chancen auf
einen Arbeitsplatz haben, also in den wirtschaftlich prosperierenden Regionen, soweit
sie nicht gezielt auf alternative Arbeitsplatz- und Wohnangebote an anderen Standorten hingewiesen werden.
Sie werden sich dort niederlassen, wo bereits Familienangehörige, zumindest aber eine
größere Zahl von Menschen aus dem eigenen Herkunftsland leben.
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torsicherheit den Neubaubedarf unter Berücksichtigung der Flüchtlingszuwanderung auf jährlich mindestens 350.000 Wohneinheiten beziffert, davon 60.000 bis 80.000 Wohneinheiten im
öffentlich geförderten Wohnungsbau.
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In Anbetracht der Ungewissheit über die weitere Entwicklung der Flüchtlingszuwanderung,
der Anerkennungsquoten, der Entwicklung des Familiennachzugs und nicht zuletzt der räumlichen Verteilung der Flüchtlinge mit Bleibestatus empfiehlt sich mangels der erforderlichen
Prognosesicherheit die Erstellung bzw. Überprüfung örtlicher Bedarfsszenarien, die stetig
nachgeführt werden müssen. Einige Städte haben in den Gemeinschaftsunterkünften Befragungen bei den dort untergebrachten Flüchtlingen durchgeführt, ob sie auch nach Abschluss
des Asylverfahrens in der betreffenden Stadt bleiben würden und so erste Anhaltspunkte für
ihre Planungen erhalten. Als hilfreich können sich für eine zumindest Teilgruppen der Zuwanderer erfassende Steuerung der Wanderungsbewegung konkrete Wohn- und
Arbeitsplatzangebote nach gründlicher Prüfung von Qualifikationsprofilen, Sprach- und Integrationskompetenz erweisen.
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3.3.
Zusätzlicher 1eubaubedarf in den Wachstumsregionen
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Viele Groß- und Universitätsstädte haben seit einigen Jahren wachsende Bevölkerungs- und
Haushaltszahlen zu verzeichnen, mit denen die Wohnbautätigkeit nicht Schritt gehalten hat.
Der hierdurch entstandene Versorgungsengpass vor allem mit Wohnraum im preiswerten
Wohnungsmarktsegment wird durch die zusätzliche Wohnraumnachfrage weiter verschärft.
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Daher müssen die Anstrengungen, den Wohnraummangel durch den Neubau von Wohnraum
zu beheben, intensiviert werden. Während Bund und Länder durch geeignete gesetzliche
Rahmenbedingungen sowie die Bereitstellung von Fördermitteln und finanziellen Anreizen zu
guten Bedingungen für den Wohnungsneubau beitragen müssen, ist es Aufgabe der Städte,
die benötigten Grundstücke für den Wohnungsneubau zu identifizieren, das zugehörige Bauund Planungsrecht zu schaffen sowie gemeinsam mit der örtlichen Wohnungswirtschaft Ziele
und Maßnahmen zur Behebung des Wohnraummangels zu formulieren und umzusetzen.
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Ebenso wie einheimische Haushalte mit geringem bis mittlerem Einkommen haben es auch
Flüchtlingshaushalte auf angespannten Märkten besonders schwer, eine bezahlbare Mietwohnung zu finden. Daher müssen insbesondere die Bemühungen um eine Ausweitung des
geförderten Wohnungsneubaus weiter verstärkt werden. Mit der Aufstockung seiner Kompensationszahlungen für die Wohnraumförderung um jährlich 500 Mio. € in den Jahren 2016 bis
2019 hat der Bund hierzu bereits einen wesentlichen, wenngleich voraussichtlich nicht ausreichenden Beitrag geleistet. Zu beklagen ist insbesondere, dass trotz des Aufwuchses der
Fördermittel diese den Entfall von sozial gebundenem Wohnraum infolge des Auslaufens von
Bindungen nicht kompensieren können.
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Wichtig ist, dass die Länder diese Mittel ungeschmälert zu adäquaten Förderkonditionen für
die soziale Wohnraumförderung vor allem in den angespannten Wohnungsmarktregionen
bereitstellen. Durch eine wirksame Liegenschafts- und Baulandpolitik können die Städte ihren
eigenen Beitrag zur Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus leisten, indem beim Verkauf
städtischer Grundstücke auf eine Vergabe zum Höchstpreis zugunsten einer Konzeptvergabe
mit einer Quote für den sozialen Wohnungsbau verzichtet wird und auch bei der Ausweisung
neuer Baugebiete und der Schaffung zusätzlicher Baurechte durch Baulandbeschlüsse verbindliche Quoten für den geförderten Wohnungsbau vorgegeben werden.
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Eine Konkurrenz zwischen Einheimischen und Flüchtlingen um bezahlbaren Wohnraum sollte ebenso vermieden werden wie eine soziale und ethnische Segregation in den
Wohnquartieren. Aus diesem Grund sollte auf Sonderförderprogramme für den Bau von
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Wohnraum für Flüchtlinge in der Regel verzichtet und stattdessen der Bau von Wohnraum für
alle unterstützungsbedürftigen Haushalte gefördert werden.
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Dies schließt experimentellen Wohnungsbau nicht aus, der darauf abzielt, für Migranten
Quartiere des Ankommens zu schaffen, die bei stetiger sozialer Begleitung, räumlicher und
baulicher Qualifizierung in gemischte Wohnquartiere überführt werden können. Die Vorteile
der Stabilisierung und der Ausbildung migrationsspezifischer lokaler Ökonomien durch bereits angekommene Migranten, die auf ankommende Migranten mit vergleichbarem
kulturellen und ethnischen Hintergrund ausstrahlen, kann die Nachteile der ethnisch und religiös einseitigen Ausrichtung der Quartiere überwiegen. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine
vollständige Durchdringung dieser Quartiere durch frühkindliche Bildungseinrichtungen und
Schulen sowie die stete sozialräumliche Begleitung und bedarfsweise Betreuung in den Quartieren.
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Von der Ausübung von Belegungsrechten sollte im Interesse einer verbesserten Akzeptanz
des geförderten Wohnungsbaus grundsätzlich nur in Abstimmung mit den betroffenen Wohnungsunternehmen Gebrauch gemacht werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die auch
nach einem Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft erforderliche soziale Begleitung der
Flüchtlingshaushalte sichergestellt ist und finanziert wird. Im Austausch mit den wohnungswirtschaftlichen Verbänden wurde deutlich: Die Bereitschaft der Wohnungswirtschaft,
Wohnraum für Flüchtlingshaushalte zur Verfügung zu stellen, hängt entscheidend davon ab,
ob ihre Unterstützung beim Einleben in Wohnung und Nachbarschaft sowie bei ihrer weiteren
Integration durch die öffentliche Hand gewährleistet ist.
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3.4.
Strategien für eine zügige Bereitstellung zusätzlichen Wohnraums
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Damit Flüchtlingen möglichst zeitnah nach Abschluss ihres Asylverfahrens der Umzug aus
einer Gemeinschaftseinrichtung in eine normale Wohnung ermöglicht werden kann, muss auf
angespannten Wohnungsmärkten kurzfristig zusätzlicher Wohnraum bereitgestellt werden.
Dies stellt angesichts der üblicherweise sehr langen Planungs- und Bauzeiten eine erhebliche
Herausforderung dar.
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Einen möglichen Lösungsansatz hierfür bietet das serielle oder modulare Bauen mit vorgefertigten Bauteilen oder -elementen. Anders als Wohncontainer sind sie auf eine längerfristige
Nutzung angelegt. Mit Hilfe des seriellen oder modularen Bauens können Planungs- und Genehmigungszeiten verkürzt werden. Baukosten lassen in Abhängigkeit von der sorgfältigen
Vor- und Entwurfsplanung bei entsprechenden Skaleneffekten sparen. Eine intelligente Planung von Grundrissen und Gebäudeerschließung ermöglicht es, dass die Wohnmodule
zunächst als Gemeinschaftsunterkünfte errichtet werden, später aber sukzessive mit vertretbarem Aufwand in Einzelwohnungen entsprechend dem Standard für den sozialen
Wohnungsbau umgewandelt werden können. In dem durch die ARGE-SH Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen GmbH entwickelten „Kieler Modell“ wurden zudem
Möglichkeiten zur Kosteneinsparung z.B. durch geringe Höhe, kompakte Grundrisse, zentrale
Erschließung, Rasterbauweise etc. konsequent ausgenutzt. Die ARGE-SH stellt für Kommunen zu dem entwickelten Konzept eine Arbeits- und Planungshilfe zur Verfügung. Weitre
Anknüpfungspunkte zu einem breiten Angebot an Bau- und Wohnkonzepten stellt das Deutsche Institut für Urbanistik fortlaufend zusammen.
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3.5.
Planungsrechtliche Erleichterungen zugunsten des Baus von Flüchtlingsunterkünften für Schaffung neuer Wohnquartiere nutzen
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Ein zentrales Problem bei der Bewältigung bestehender Wohnraumengpässe ist der Mangel
an verfügbaren baureifen und erschlossenen Grundstücken. Die Ausweisung benötigter neuer
Baugebiete (sofern überhaupt noch freie Flächen in größerem Umfang zur Verfügung stehen)
erfordert indes einen beträchtlichen zeitlichen Vorlauf für die Schaffung der notwendigen
planungsrechtlichen Voraussetzungen, an die sich dann erst die Bebauung der Grundstücke
anschließen kann. Eine zügige Ausweitung des Wohnungsangebotes durch Wohnungsneubau
lässt sich so nur schwer erreichen.
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Um möglichst zügig neue Kapazitäten für die Unterbringung von Flüchtlingen zu schaffen
und dabei zugleich die Weichen für die Ausweisung dauerhafter Siedlungsflächen für den
Wohnungsbau zu stellen, wurde durch die Freie und Hansestadt Hamburg ein Konzept für den
Bau von Flüchtlingsunterkünften mit der „Perspektive Wohnen“ entwickelt, durch Berlin ein
Konzept „Pionierwohnungsbau für Flüchtlinge“. Auf Flächen, die sich grundsätzlich als dauerhafte Wohnstandorte eignen, werden unter Heranziehung der planungsrechtlichen
Erleichterungen nach § 246 Abs. 8 ff BauGB Gebäude errichtet, die zunächst für die öffentlich-rechtliche Unterbringung von Flüchtlingen dienen. Hierzu sollen Wohnungen nach dem
Standard für den öffentlich geförderten Wohnungsbau errichtet werden, die während der Nutzung des Gebäudes als Flüchtlingsunterkunft deutlich dichter belegt werden sollen. Innerhalb
dieser Phase soll das erforderliche Planungsrecht für den Wohnungsbau geschaffen werden,
um so die Voraussetzungen für eine anschließende reguläre Wohnnutzung mit reduzierter
Belegungsdichte zu schaffen.
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Das Hamburger und Berliner Konzept könnte sich auch in anderen Städten als beispielgebend
für die Entwicklung von Strategien zur zügigen Ausweitung von Unterbringungskapazitäten
und einer Verbesserung der Wohnraumversorgung erweisen. Eine Herausforderung stellt sich
allerdings darin, die für die Zeit nach der öffentlichen Nutzung angestrebte soziale und ethnische Mischung in den neu geschaffenen Wohnquartieren zu erreichen.
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3.6.
Bereitstellung von Bestandswohnungen auf entspannten Wohnungsmärkten
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Anders als auf den angespannten Wohnungsmärkten vieler Groß- und Universitätsstädte in
wirtschaftlich prosperierenden Regionen kann für die Unterbringung der Flüchtlinge auf entspannten Wohnungsmärkten auf den Wohnungsbestand zurückgegriffen werden.
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Wie die Erfahrungen zeigen, besteht grundsätzlich bei den Wohnungsunternehmen und privaten Vermietern große Bereitschaft, Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Viele
Wohnungsanbieter möchten allerdings die Möglichkeit haben, sich nach einer Erprobung ohne mietrechtliche Hürden wieder von dem Flüchtlingshaushalt trennen zu können, wenn sich
seine Integration in die bestehende Hausgemeinschaft und die Nachbarschaft als problematisch erweist.
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Solche Vorbehalte lassen sich mit Hilfe des in einigen Städten praktizierten zweistufigen Verfahrens überwinden: Dabei wird die Wohnung zunächst für eine Übergangszeit von der Stadt
angemietet, die Nutzung erfolgt im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Nutzungsverhältnisses. Im Rahmen einer obligatorischen sozialen Begleitung werden die Nutzer mit den hiesigen
Wohngepflogenheiten und seinen Rechten und Pflichten als Mieter vertraut gemacht. Soweit
sich der Umzug in die Wohnung als erfolgreich erweist, kommt es zum Abschluss eines unmittelbaren Mietverhältnisses zwischen Nutzer und Vermieter. Treten dagegen während der
Übergangsphase Schwierigkeiten auf, kann das Nutzungsverhältnis problemlos beendet und
der Flüchtling anderweitig untergebracht werden.
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Die Akquise von geeigneten Bestandswohnungen ist für die Städte häufig mit beträchtlichem
Arbeitsaufwand verbunden. Angebote aus verschiedenen Tageszeitungen, von Internetplattformen und vorliegende Einzelangebote von Vermietern müssen gesichtet, verglichen und auf
ihre Eignung überprüft werden. Durch die Einrichtung spezieller Onlineplattformen, auf welchen Wohnungsunternehmen und Vermieter leer stehende bzw. frei werdende Wohnungen für
die Wohnraumversorgung von Flüchtlingen anbieten können, kann das Verfahren deutlich
vereinfacht werden. Unter Schirmherrschaft des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen und des Verbandes der
Wohnungswirtschaft Rheinland Westfalen wurde eine derartige Plattform entwickelt, auf
welche beteiligte Wohnungsunternehmen sowie angemeldete Nutzerstädte Zugriff haben.
Eine Filterfunktion erleichtert die gezielte Suche nach Wohnraum z.B. in einer bestimmten
Größe, einer bestimmten Anzahl von Zimmern oder bis zu einer maximalen Miete. Um sicherzustellen, dass auf der Plattform keine überteuerten oder unzureichend instandgehaltenen
Wohnungen angeboten werden, wurden Mindeststandards entwickelt, deren Einhaltung die an
der Plattform beteiligten Anbieter garantieren müssen.
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3.7.
Strategien und Instrumente zur sozialräumlichen Integration
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Bereits die Leipzig Charta stellt fest, dass alle Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung
gleichzeitig und gleichgewichtig zu berücksichtigen sind. Hierzu zählt neben wirtschaftlicher
Prosperität und einer gesunden Umwelt insbesondere auch der soziale Ausgleich als Zielsetzung. Nutzungsmischung und soziale Vielfalt sind und bleiben somit ein zentraler Anspruch
der integrierten Stadtentwicklungspolitik. Bei näherer Untersuchung sind in der Realität aber
oftmals soziale Ungleichheiten und Entmischung, monostrukturierte Nutzungen sowie ein
Mangel an preisgünstigen und geeigneten Wohnungen festzustellen. Des Weiteren treten gegenläufige Entwicklungen deutlich kleinräumiger und zeitlich beschleunigt auf. Stark
nachgefragte Quartiere mit stabilen Sozialstrukturen liegen unmittelbar neben Quartieren mit
benachteiligten Bevölkerungsgruppen – die Quartiere driften auseinander. Folgerichtig wurde
in den letzten Jahren die Betrachtungsebene des Quartiers in den Fokus der integrierten Stadtentwicklung genommen.
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Das Quartier ist das direkte Lebensumfeld der Menschen: Hier wohnen, arbeiten und leben
sie, treten miteinander in Beziehung, beteiligen sich am Gemeinwesen – hier findet Integration statt. Integration bedingt die (ressortübergreifende) Vernetzung unterschiedlicher Themen
und Handlungsfelder und kann nur mit einer lückenlosen Präventionskette gelingen. Hierzu
müssen das Verwaltungshandeln sozialraumorientiert ausgerichtet und alle Träger und Akteure, die in den Stadtteilen verankert sind, einbezogen werden. Ebenso ist ein ressort- und
themenübergreifender Ansatz auch auf Bundes- und Landesebene erforderlich. Dies bedeutet,
dass politische Zielsetzungen, Schwerpunktthemen und Förderprogramme ressortübergreifend
abgestimmt und ausgelobt werden müssen. Erste Ansätze hierzu sind gemacht. Beispielgebend stehen der Kabinettsbeschluss des Landes NRW im Jahr 2013 zum Programm Soziale
Stadt oder der ressortübergreifenden Ansatz des BMUB mit dem Förderprogramm „Soziale
Stadt“ als Leitprogramm der Städtebauförderung. Eines von vielen Beispielen wie der quartiersbezogene Ansatz auf städtischer Ebene verfolgt werden kann, ist das
sozialraumorientierte Handlungskonzept „Starke Veedel – Starkes Köln“. Im Rahmen dieses
Konzeptes werden elf Sozialräume, in denen der Bedarf an zusätzlichen Angeboten kontinuierlich besonders hoch ist, durch konkrete Maßnahmen unterstützt.
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Aufgrund der Auswirkungen des aktuellen Zuzugs von Menschen, sind die Städte stärker
denn je gefordert, ein Auseinanderdriften in den Quartieren zu vermeiden und Nutzungsmischung und soziale Vielfalt zu ermöglichen und umzusetzen. Erfahrungen aus
vorangegangenen Phasen der Zuwanderung zeigen, dass die Auswirkungen auf die Quartiere
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in den Städten erheblich sind, unabhängig von der absoluten Anzahl an Personen. Erfahrungsgemäß leben zugewanderte Menschen in räumlicher Nähe zu sozial, ethnisch und
kulturell ähnlichen Gruppen, um sich gegenseitig besser zu vernetzen, zu unterstützen und
wirtschaftliche „Fühlungsvorteile“ entwickeln zu können. Der Ansatz einer dezentralen Unterbringung und sozialen Mischung scheint diesem Wunsch zunächst zuwiderzulaufen.
Untersuchungen haben aber aufgezeigt, dass eine „Ballung“ von Menschen gleicher ethnischer und kultureller Herkunft nur bis zu einer gewissen Größe der Gruppe Vorteile im Sinne
von gegenseitiger Unterstützung und Vernetzung mit sich bringt. Sobald eine gewisse Größe
überschritten wird und die Gruppe autonom und unabhängig von anderen den Alltag gestalten
kann, kann es zu Abschottungserscheinungen und Segregation unter umgekehrten Vorzeichen
kommen.
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Die „richtige Mischung“ hängt letztlich von vielen Faktoren ab und lässt sich weder abschließend beantworten noch künstlich herbeiführen. Die Städte sind gehalten, den Fokus weiterhin
auf sozialraumorientierte Ansätze zu legen, flexible und nachhaltige bauliche Strukturen zu
schaffen, um eine Nutzungsmischung sowie soziale Vielfalt in den Quartieren zu ermöglichen. Ziel muss es hierbei sein, die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes, wirtschaftlich
gesichertes und durch soziale und Bildungsinfrastruktur stabilisiertes und zeitlich strukturiertes Leben zu schaffen. Damit kann integrierte Stadtentwicklung zur Verminderung sozialer
und räumlicher Ungleichheiten und zu einer gelingenden Integration beitragen.
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Empfehlungen:
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Die Frage, ob und in welchem Umfang zusätzliche Wohnungen gebaut werden müssen, um die Wohnraumversorgung von Flüchtlingen mit Bleibestatus sicherzustellen,
hängt von der örtlichen Wohnungsmarktlage sowie von der räumlichen Verteilung der
Flüchtlinge ab. Insofern können überregionale oder gar bundesweite Bedarfsprognosen für die Einschätzung des örtlichen Bedarfs allenfalls Anhaltspunkte liefern.
1otwendig ist die Erstellung bzw. Fortschreibung eigener Wohnungsmarktanalysen,
aus denen die entsprechenden Handlungskonzepte abgeleitet werden können.
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Die Errichtung von Unterkünften in Modulbauweise stellt eine kostengünstigere Alternative zu einer Unterbringung in Wohncontainern dar. Flexible Grundrisse und die
Beachtung der geltenden Standards für den öffentlich geförderten Wohnungsbau ermöglichen eine sukzessive Umnutzung der Unterkünfte in regulären Wohnraum.
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Da die weit überwiegende Anzahl der Haushalte von anerkannten Flüchtligen zunächst vor allem auf preiswerten Wohnraum angewiesen sein wird, sollten sich die
Bemühungen um eine Ausweitung des Wohnungsneubaus vor allem auf den Bereich
des geförderten Wohnungsneubaus konzentrieren. Dabei gilt es, Konkurrenzsituationen mit einkommensschwachen einheimischen Haushalten zu vermeiden, weshalb auf
den Bau von gefördertem Wohnraum speziell für Flüchtlinge verzichtet werden sollte.
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Auf entspannten Wohnungsmärkten können die benötigten Wohnungen für die Flüchtlinge aus dem vorhandenen Wohnungsbestand akquiriert werden. Hilfreich für die
Akzeptanz bei den Vermietern ist es, wenn die Wohnung zunächst durch die Stadt angemietet wird und der Abschluss des Mietvertrages durch den Flüchtlingshaushalt erst
nach erfolgreichem Abschluss dieser Erprobungsphase erfolgt.
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Unabhängig von der Frage, ob die Versorgung in einer neu gebauten oder einer Bestandswohnung erfolgt, gilt: Die Bereitschaft der Wohnungswirtschaft zur
Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge hängt maßgeblich davon ab, ob eine soziale Begleitung und Betreuung des Haushaltes auch nach dem Auszug aus der
Gemeinschaftsunterkunft gewährleistet ist.
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4.
DIE BESO1DERE
FLÜCHTLI1GE
SITUATIO1
U1BEGLEITETER
MI1DERJÄHRIGER
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Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im System der Kinder- und Jugendhilfe ist im Jahr 2016 auf über 60.000 aktuelle Fälle angestiegen. Dies stellt das System der
Kinder- und Jugendhilfe vor enorme Herausforderungen. Nicht nur die bereits in der Vergangenheit stark belasteten Jugendämter sind mit der stark steigenden Fallzahl konfrontiert.
Durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und
Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher ist das von den Kommunen geforderte System der Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen bereits zum 1. November 2015 in Kraft
getreten und stellt nun flächendeckend die Jugendämter vor die Herausforderung, den speziellen Anforderungen gerecht zu werden. Es blieb daher nur wenig Zeit, um geregelte Abläufe
gewährleisten zu können. Die Jugendämter müssen nunmehr überall Clearingverfahren einführen und Fachkräfte z.B. für die professionelle Alterseinschätzung, die Einschätzung des
Gesundheitszustandes und die übrigen Punkte des Clearingverfahrens einstellen. Weitere Ressourcen, z.B. bei Dolmetscherdiensten und bei der Unterbringung von Kindern und
Jugendlichen im System der Hilfen zur Erziehung müssen aufgebaut werden. Eine besondere
Rolle spielen dabei auch die Pflege- und Gastfamilien, die in geeigneten Fällen unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge aufnehmen. Sie setzen sich oft mit großem persönlichem Einsatz
für die Integration der Jugendlichen ein.
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In vielen Städten wurden Informationsveranstaltungen für engagierte Bürger/-innen durchgeführt, um über mögliche Hilfen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu informieren und
zu werben. Mögliche Formen des Engagements sind Patenschaften, Vormundschaften und die
Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen in Gastfamilien. Das große Interesse der Bürger/-innen hat auch dazu geführt, dass z.B. Dresden nicht nur Informationsveranstaltungen
durchgeführt, sondern auch eine Internetseite mit Informationen und Bewerbungsmöglichkeiten im Internetportal der Stadtverwaltung eingerichtet hat. Zusammen mit vier freien Trägern
der Kinder- und Jugendhilfe wurden in Dresden verkürzte Verfahren zur Prüfung und Ausbildung von Gastfamilien entwickelt, um dem großen Bedarf, aber auch dem großen Interesse in
der Bevölkerung zu entsprechen zu können. Durch diese Angebote und durch spezielle betreute Jugendwohngruppen können unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die schon sehr
selbstständig sind und keinen erhöhten Hilfebedarf haben, jugendgerecht untergebracht werden. Weitere Ausdifferenzierungen entsprechend der tatsächlichen Lebenssituation und Reife
der Jugendlichen wären im Instrumentarium des SGB VIII notwendig.
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Bei vielen unbegleiteten minderjährigen Kindern und Jugendlichen zeigen sich jedoch auch
Tendenzen einer vorliegenden Traumatisierung, diesen Jugendlichen muss professionell geholfen werden. Der größte Teil der unbegleiteten Minderjährigen ist im Alter zwischen
14 und 17 Jahren und überwiegend handelt es sich um männliche Jugendliche. Daher ist auch
mit Konflikten wegen altersentsprechenden adoleszenten Verhaltensweisen zu rechnen. Die
bisherige Bildungsbiographie ist entsprechend der Herkunftsländer sehr unterschiedlich. Unbegleitete Minderjährige verfügen in der Regel nicht über deutsche oder englische
Fremdsprachenkenntnisse und können sich daher in den ersten Wochen kaum verständigen.
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Empfehlung:
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Bundesweit müssen Strukturen zur regelmäßigen Diagnostik und Behandlung verhaltensauffälliger Jugendlicher geschaffen werden. Darüber hinaus müssen ausreichende Kapazitäten
in besonderen Schulformen für ausländische Jugendliche geschaffen werden, die eine Brückenfunktion zum hiesigen Schul- und Ausbildungssystem bieten. Von besonderer Bedeutung
ist der unverzügliche Beginn eines Sprachförderangebotes in der Inobhutnahme. Auch bei
unsicherer Bleibeperspektive müssen Sprachförderangebote sofort einsetzen, um Kommunika34
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tion zu ermöglichen und eine zielgerichtete Integrationsarbeit mit den oftmals traumatisierten
Jugendlichen zu ermöglichen. Dabei bedarf es des regelmäßigen Einsatzes von Muttersprachlern und Menschen mit Migrationsgeschichte zum Abbau von Kommunikationsproblemen und
Kulturdifferenzen.
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5.
GESELLSCHAFTLICHE I1TEGRATIO1
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5.1.
Beitrag des Sports zur Integration
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Das gemeinsame Sporttreiben ist eine bewährte Form der Integration und Prävention. Im gemeinsamen sportlichen Miteinander erleben Menschen mit unterschiedlichen kulturellen
Erfahrungen und Lebensweisen, was es bedeutet, sich gegenseitig zu respektieren und individuelle Unterschiede anzuerkennen. Herkunft, Religion und sozialer Status sind nur von nachgeordneter Bedeutung. Der Sport organisiert eine barrierefreie Willkommenskultur, die auch ohne
Sprachkenntnisse betrieben werden kann. Sport baut Brücken. Flüchtlingen wird die Möglichkeit
geboten, sozialen Anschluss zu finden und sich auf unkomplizierte Weise in unsere Gesellschaft
einzugliedern.
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Unterbringung in Sporthallen behindert Integration
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Auch wenn viele Sportvereine ihre Solidarität und Hilfsbereitschaft in der Frage der Unterbringung von Asylbewerbern in Sporthallen bekunden, muss berücksichtigt werden, dass eine
Verfügbarkeit der Sportstätteninfrastruktur zwingende Voraussetzung für die Entfaltung der positiven integrativen Kraft des Sports ist. Schulen und Sportvereine sind auf die Nutzung von
öffentlichen Sporthallen angewiesen, um den Sportunterricht und ihre von Politik und Gesellschaft gewünschte Integrationsarbeit durchführen zu können. Die Unterbringung von
Flüchtlingen in Sporthallen muss stets eine zeitlich eng befristete humanitäre Notlösung bleiben.
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Bewegung und Sport Teil des Bildungs- und Integrationsprozesses
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Bei jedem gemeinsamen Sporttreiben, ob auf der Straße, auf Bolzplätzen oder auf normierten
Sportstätten werden prägende Eigenschaften wie Respekt, Toleranz, Fairness, Teamgeist, Selbstbewusstsein, Solidarität, Verantwortungsgefühl und Durchhaltevermögen vermittelt. Diese
Werte sind auch im gesellschaftlichen Zusammenleben von herausragender Bedeutung und somit wichtige Grundlagen für das Einbringen in unser demokratisches Miteinander, das gerade für
andere Kulturen nicht selbstverständlich ist. Die Werte werden spielerisch vermittelt in allen
Altersgruppen, angefangen bei Kindern und Jugendlichen über Heranwachsende bis hin zu den
Erwachsenen und das geschlechterübergreifend. Lernen beim Sport als Bewegungs- und Persönlichkeitsförderung schafft die Basis für Sozial- und Bildungskompetenz im Lebensraum der
Menschen. Bewegung und Sport sind somit Bestandteile eines gelingenden Bildungs- und Integrationsprozesses.
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Sport und Bewegung für alle zu jeder Zeit an jedem Ort
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Bewegung und Sport leisten auch einen Beitrag zur Gesundheitsförderung, können präventiv
negative Folgen von Bewegungsmangelkrankheiten vermeiden und leisten wichtige Beiträge
im Prozess der Rehabilitation. Im neuen Präventionsgesetz wird erstmals der Sport als für die
Gesundheit bedeutsame Lebenswelt bezeichnet. Derzeit wird angestrebt, die breite Bevölkerung für mehr Bewegung und Sport im öffentlichen Raum zu aktivieren. Sport und Bewegung
sollen allen zu jeder Zeit an jedem Ort möglich sein – überall, schnell und unkompliziert. Dazu müssen Gelegenheiten geschaffen werden, Bewegung quasi im Vorbeigehen
wahrzunehmen. Hierzu müssen Impulse gesetzt werden, Bewegungs- und Sportgelegenheiten
überall im Alltag – auf Plätzen, in Parks, an Bus- und Bahnhaltestellen usw. zu nutzen. Dies
käme auch Flüchtlingen und Asylbewerbern entgegen, die zumeist nicht – vor allem in der
Anfangsphase ihres Aufenthalts in Deutschland – vereinsmäßig organisiert sind.
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Programm „Integration durch Sport“
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Die Städte begrüßen die Öffnung des Programms der Bundesregierung „Integration durch
Sport“ auch für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive. Eine Unterscheidung von Menschen mit
und ohne Bleibeperspektive oder von Menschen aus sicheren und nicht sicheren Herkunfts36
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ländern ist aber in der Praxis von ehrenamtlichen Vereinsmitarbeitern/-innen oder lokalen
Sporthelfern/innen nicht zu leisten. Es sollten grundsätzlich allen Geflüchteten Sportmöglichkeiten eröffnet werden. Der erweiterten Zielstellung und dem anhaltend großen Zustrom von
Flüchtlingen und Asylbewerbern in ganz Deutschland muss durch eine Erhöhung der Mittel
Rechnung getragen werden.
Die Unterstützung von Initiativen und Sportvereinen für die Integrationsarbeit vor Ort zeigt vielfältige Ansätze: Beispiele sind Sportversicherungen für die Flüchtlinge und Asylbewerber,
Sammlung bzw. Bezuschussung von Sportbekleidung, Ausstattung mit Sachmitteln und Sportgeräten, Übernahme von Vereinsbeiträgen, Sportturniere für Flüchtlingsmannschaften, Sport in
Flüchtlingsunterkünften, Sportmobile, Sport mit Flüchtlingsfrauen, Patenschaften bei Behördengängen, Integrationslotsen, Schwimmprojekte und mehrsprachige Broschüren für die
Öffentlichkeitsarbeit. Alle Aktionen dienen dem Ziel einer integrierenden Sportstadt, die die
Integration von Flüchtlingen über den Sport fördert und Menschen unterschiedlicher Herkunft
und Kulturen zusammenführt.
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5.2.
Gesundheit und Pflege
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Gesundheit hat eine vielfältige Bedeutung für die Integration Zugewanderter. Dies betrifft
sowohl individuelle wie auch gesellschaftliche Aspekte. Die individuelle Gesundheit von
Zugewanderten unterstützt erfolgreiche wechselseitige Integrationsbemühungen, weil dadurch
Grundbedürfnisse abgedeckt und hierdurch auch eine Fokussierung auf Integrationsbestrebungen erleichtert wird. Gesamtgesellschaftlich spielt das Thema Zuwanderung einerseits bei
den zu bewältigenden zusätzlichen Behandlungsbedarfen eine Rolle. Zu rechnen ist beispielsweise bundesweit mit einem Bedarf an mehreren tausend zusätzlichen
Krankenhausbetten und dem entsprechenden Personal. Andererseits aber ergeben sich durch
die Vielzahl der neuen Mitbürger Chancen bei der Begegnung des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen und der Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme mit ihren
demographischen Problemen.
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Die gesundheitliche Situation von Zugewanderten ist häufig von Besonderheiten geprägt.
Flüchtlinge etwa sind oft jünger als der bisherige Bevölkerungsdurchschnitt. Hierdurch entstehen andere Arten und in vielen Bereichen eher weniger Behandlungsnotwendigkeiten.
Andererseits sind Flüchtlinge häufig besonderen gesundheitlichen Risiken und Belastungen
vor und während der Flucht und auch teilweise nach ihrer Ankunft ausgesetzt. Diese verursachen einen speziellen, teilweise zusätzlichen Behandlungsbedarf. Defizite bestehen häufig im
Bereich des Impfschutzes. Kulturspezifische Besonderheiten bestehen bei Zugewanderten und
Flüchtlingen etwa im Bereich der Pflege.
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Situationen von Behandlung und Pflege stellen häufig als schwierig empfundene Lebensabschnitte dar. Sowohl erfahrene als auch selbst gegebene Hilfe kann gerade hier
vertrauensbildend und integrativ wirken. Für Zugewanderte ergeben sich, je nach Situation
und Funktion, als Leistungsempfänger oder auch als Leistungserbringer Chancen einer verstärkten Integration.
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Bei Gesundheit geht es gemäß der Definition der Weltgesundheitsorganisation nicht nur um
ein Fehlen von Krankheit oder Gebrechen, sondern um einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens. Um diesem Ziel näher zu kommen,
erscheinen auch für Zugewanderte nicht nur die Einzelmaßnahmen des direkten und jeweils
sektoral begrenzten Gesundheitswesens wichtig, sondern auch das Zusammenspiel und die
Einflussnahme der gesamten vernetzten Stadtgesellschaft. Möglichst gesundheitsförderliche
Lebensumstände nach der erfolgten Zuwanderung oder Flucht spielen insgesamt eine Rolle
für den Gesundheitszustand und das Zusammenleben in der Gesellschaft. Gerade hier bietet
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es sich an, aus dem Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung bekannte Überlegungen einer integrativen, kommunalzentrierten und lebensweltnahen Herangehensweise an die
Förderung der Gesundheit zu berücksichtigen.
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Die Kommunen sind in die gesellschaftliche Integration von Zugewanderten im Bereich Gesundheit und Pflege in vielfältiger Weise eingebunden. Dies betrifft etwa die teilweise
kommunal getragenen Einrichtungen aus dem Bereich der Pflege, der Krankenhäuser, des
öffentlichen Gesundheitsdienstes und des Bereich des Sozialen insgesamt. Durch ihren Auftrag in der kommunalen Daseinsvorsorge sind die Kommunen auch unabhängig davon
angesprochen, ob einzelne Einrichtungen selber kommunal getragen werden, oder von anderen Trägern innerhalb der Kommune betrieben werden.
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Bei allen Bemühungen der kommunalen Ebene sind allerdings die durch die Gesetzgeber
festgelegten Rahmenbedingungen und teilweise limitierten Behandlungsmöglichkeiten zu
berücksichtigen. Etwa werden während der Dauer des Asylverfahrens nur eingeschränkte
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für Asylsuchende gewährt, die auf akuten
Behandlungsbedarf und Schmerzzustände abstellen. Hierbei ist es keine Aufgabe der Städte,
den gesetzgeberisch festgelegten Umfang der Leistungen zu ändern. Die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags muss aber sowohl im psychischen als auch somatischen Bereich sichergestellt
werden, um jedenfalls in diesem Rahmen in Richtung eines Gesundheitsstandes zu wirken,
der nicht nur dem individuellen dringlichen Bedarf entsprechen muss, sondern auch ein wichtiger Baustein der weiteren Integration ist.
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Gelingende Integration auf kommunaler Ebene muss den gesundheitlichen Bereich und die
gesundheitliche Situation von Zugewanderten mit berücksichtigen. Dabei bedarf es einer Sicherstellung von Rahmenbedingungen für die Kommunen, die dies auch ermöglichen.
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5.3.
Verkehr und Mobilität
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Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis, dem im Wege der Daseinsvorsorge auch für
die in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge von Bund, Ländern und Kommunen Rechnung zu tragen ist. Sie ist eine wesentliche Grundlage für Integration und Teilhabe am Leben
in Deutschland.
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Flüchtlinge und Asylsuchende müssen nach Ankunft in Deutschland verschiedene Standorte
aufsuchen, Behördengänge erledigen oder dezentral medizinisch versorgt werden. Sie kaufen
ein, erkunden ihre neue Umgebung und besuchen getrennt untergebrachte Familienangehörige. Schulpflichtige Kinder müssen zu Schulstandorten befördert werden. Aus kommunaler
Sicht sind die Flüchtlinge daher schnell und unbürokratisch in die Lage zu versetzen, ihre
Wege im Umweltverbund, also mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), mit dem
Fahrrad oder zu Fuß, eigenverantwortlich zurückzulegen.
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Bei Notaufnahmen, bundesweiten Drehkreuzen und Erstaufnahmeeinrichtungen ist die notwenige Mobilität von Bund und Ländern zu gewährleisten. Nach Zuweisung an Kommunen
greift die kommunale Daseinsvorsorge wie für alle Bürgerinnen und Bürger. Gerade bei Unterbringung in zentralen Einrichtungen sind nach Lage der Einrichtung eigene Anbindungen
des ÖPNV herzustellen oder vorhandene Bus- und Stadtbahnlinien zu verstärken. Es hat sich
gezeigt, dass dies von den Kommunen und kommunalen Verkehrsunternehmen in der Regel
kurzfristig umgesetzt werden kann. Der Einsatz größerer Fahrzeuge oder die zusätzliche Bedienung erfordert allerdings Bestellungen seitens der Kommunen als zuständige ÖPNVAufgabenträger, die zu erheblichen Mehrkosten führen. Bezüglich von Erstaufnahmeeinrichtungen werden diese in einigen Ländern pauschaliert und pro Kopf auf ein Drittel der Kosten
einer Monatskarte des örtlichen ÖPNV geschätzt.
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Zur Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln sind die Flüchtlinge rasch mit den Regeln des
ÖPNV vertraut zu machen und mit Fahrberechtigungen auszustatten. Dazu wurden zunächst
behelfsmäßig Fahrberechtigungen auf Ersatzpapiere aufgedruckt, um diese als Nachweis zu
individualisieren und eine Nutzung durch Dritte auszuschließen. Auf der Grundlage von
Flüchtlingsausweisen besteht nun die Möglichkeit, Fahrberechtigungen individuell zuzuordnen. Es besteht dabei Einvernehmen zwischen Städten und Verkehrsunternehmen, das die
Fahrscheinpflicht für Flüchtlinge nicht in Frage steht.
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Bis zur Zuweisung an Kommunen sind die Kosten für die Mobilität von Flüchtlingen von
Bund und Ländern zu tragen. Aus Sicht des Deutschen Städtetages sind landesweit einheitliche Erstattungslösungen zu begrüßen, mit der Möglichkeit individuell höhere Kosten, z.B. bei
hohem Erschließungsaufwand für außerhalb liegende Einrichtungen, auf Nachweis zu erstatten.
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Nach Zuweisung an die Kommunen erhalten die Flüchtlinge Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und müssen grundsätzlich auch ihre Mobilitätbedürfnisse aus diesen
Leistungen bestreiten. Dazu besteht auch hinsichtlich der Kosten der Mobilität die Möglichkeit, an Stelle von Zahlungen pauschalierte Sachleistungen zu gewähren. Ferner ist zu
empfehlen, den Flüchtlingen gleiche Vergünstigungen zu gewähren wie anderen Leistungsbeziehern. Besteht etwa ein durch Stadt oder Land gefördertes „Sozialticket“, dann sollte dies
auch durch Asylbewerber beantragt werden können.
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Zentrales Anliegen der Integration ist es, die Flüchtlinge mit den Regeln des täglichen Alltags
in Deutschland vertraut zu machen. Verkehrsregeln und Verhalten im ÖPNV sind dabei wichtige Inhalte, denen auch in Sprach- und Integrationskursen Rechnung getragen werden sollte.
Verschiedene Städte und Verkehrsunternehmen bieten Broschüren in unterschiedlichen Sprachen (u.a. arabisch und englisch) an, die den Flüchtlingen eine schnelle Orientierung
gestatten. Hinweise zum Auffinden der ÖPNV-Verbindungen können an zentralen Ankunftspunkten (Grenzübergang, Hauptbahnhof) bzw. an den Aufnahmeeinrichtungen angebracht
bzw. vorgehalten werden.
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Aus Sicht der Städte sollten Initiativen der Zivilgesellschaft unterstützt werden, die durch
Broschüren und Handreichungen zu den zentralen Verkehrsregeln und zum Verhalten beim
Radverkehr wichtig Beiträge leisten. Dies kann von den Städten durch gezielte Verkehrssicherheitsarbeit unterstützt werden. Asylsuchende sind häufig nicht mit den
Herausforderungen und Gefahren des Verkehrs in Ballungsräumen vertraut. Ihnen fehlen Erfahrung und Übung einer in Deutschland aufgewachsenen Person, was zu leichtsinnigem
Verhalten verleiten kann. Ziel muss es daher sein, Selbstgefährdungen zu vermeiden und für
die Bedeutung eines ordnungsgemäßen Verhaltens im Verkehr zu sensibilisieren. Die Bereitstellung von Fahrrädern und die Schulung bei Reparatur und Fahrweise sind ebenfalls geeignet, die Eigeninitiative und eigenverantwortliche Mobilität von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu verbessern und zu unterstützen.
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Mittelfristig ist im Hinblick auf Bleibeperspektive, Ausbildung und Arbeitsaufnahme der
Asylsuchenden einer Erlangung von Fahrerlaubnissen besondere Beachtung zu schenken.
Zwar verfügen erwachsene Asylsuchende häufig auch über Fahrerlaubnisse aus Ihren Heimatländern, die aber nicht dauerhaft gültig bleiben und aus Gründen der Verkehrssicherheit durch
Nachweise der deutschen Theorieprüfung zu ersetzen sind. Hier sind staatliche Regeln und
Initiativen der Wirtschaft gefordert, damit Asylsuchende entsprechend qualifiziert werden und
eine wichtige Voraussetzung für die Berufsausübung erlangen können.
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5.4.
Beitrag von religiösen und weltanschaulichen Gemeinden und Migrantenorganisationen zur Integration
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Die Bedeutung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei der Integration von
Zuwanderten ist groß. Religion und Glaube sind für viele Menschen – ganz gleich, ob zugewandert oder nicht – wegen der dortigen Vermittlung von Werten, Orientierungen und
Lebenseinstellungen sinn- und identitätsstiftend. Durch die unterschiedlichen Aktivitäten in
Kirchen, Synagogen, Moscheen oder Moscheevereinen wird ein Gefühl der Solidarität und
Zusammengehörigkeit gepflegt und gestärkt, das Halt und Stabilität vermittelt. Dies ist insbesondere für neu Zugewanderte elementar.
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Die christlichen Kirchen in Deutschland engagieren sich traditionell stark in ihrem zentralen
Feld der kirchlichen Integrationsarbeit und Seelsorge. Neben muttersprachlichen Gemeinden
bieten sie Seelsorge, kirchliche Beratung für Flüchtlinge und Zugewanderte, Flüchtlingsschutz, Integrationsprojekte und Regeldienste der sozialen Arbeit an. Die jüdische
Gemeinschaft in Deutschland hat insbesondere die Integration jüdischer Zugewanderter aus
der ehemaligen Sowjetunion im Fokus. Diese beinhaltet die Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse in jüdischen Gemeinden und die Heranführung an den jüdischen Glauben. Der
Zentralrat der Juden initiierte 2012 den jüdischen Aktionstag Mitzvah Day, der dem Konzept
eines Tages der guten Tat folgt und mit Aktionen in deutschen Städten unter Beteiligung jüdischer und nichtjüdischer Einrichtungen durchgeführt wird. Die Flüchtlingshilfe rückte hierbei
jüngst in den Vordergrund. Als einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege
in Deutschland benennt auch die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST)
die die Förderung und Integration Zugewanderter als Hauptziel ihrer Arbeit.
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In Deutschland leben rund vier Millionen Muslime (Stand 2009). Die islamische Gemeindelandschaft in Deutschland ist im Hinblick auf die vertretenen Glaubensrichtungen,
Verbandszugehörigkeiten bzw. Nicht-Zugehörigkeiten sowie Herkunftsländer der Besucher
sehr heterogen. Es dominiert die Gruppe der Türkischstämmigen gefolgt von Menschen aus
Bosnien, Bulgarien und Albanien, dem Nahen Osten und Nordafrika sowie weiteren Ländern.
Fast alle muslimischen Gemeinden bieten neben religiösen Dienstleistungen umfangreiche
Hilfen zur Orientierung in der deutschen Gesellschaft an. Grundsätzlich begrüßen die Kommunen auch das große Engagement zahlreicher Muslime und Moscheegemeinden bei der
Versorgung und Integration von vorrangig muslimischen Flüchtlingen vor Ort. Engagierte
muslimischer Ärzte und Ärztinnen, Patenschaften für Kinder und Integrationslotsen für Erwachsene, Sprachtandems, Kindspflegschaften und Praktikumsbörsen sind nur ein Ausschnitt
muslimischen Engagements in der Flüchtlingshilfe. All dies bietet in den Kommunen wertvolle Hilfe bei der Überwindung sprachlicher Barrieren, beim Bauen kultureller Brücken und
dem Vorbeugen möglicher Konflikte und Missverständnisse.
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In Deutschland hat sich eine Vielzahl von Migrantenorganisationen etabliert. Sie vertreten die
Interessen von Migranten in religiösen, kulturellen oder rechtlichen Belangen. Nach Schätzungen sind rund 20.000 dieser Zusammenschlüsse in Deutschland aktiv, die Mehrzahl davon
in den Städten und Gemeinden (Quelle: 10. Bericht der Beauftragten, S. 310). Auf Landesebene haben sich Zusammenschlüsse und Netzwerke dieser kommunalen
Migrantenorganisationen gebildet. Auf Bundesebene sind ca. 20 bis 30 Migrantendachorganisationen aktiv, die Mitgliedsvereine in mehreren Bundesländern haben. Die Teilhabe solcher
Netzwerke und Organisationen an Maßnahmen und Programmen des Bundes, der Länder und
Kommunen ist ein Schritt zu mehr Partizipation Zugewanderter. Denn über Migrantenorganisationen werden weitere Zugewanderte angesprochen und zur Teilhabe aktiviert.
Migrantenorganisationen unterstützen durch ihre gesellschaftliche Partizipation zudem die
interkulturelle Öffnung der Einrichtungen, mit denen sie kooperieren.
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Die Vielfalt der religiösen und weltanschaulichen Gemeinden in den Städten ist ein
großes Potenzial. Die Gemeinden können für eine gelingende Integration Zugewanderter einen großen Beitrag leisten. Sie müssen als aktive Partner wahrgenommen,
anerkannt und unterstützt werden.
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Insbesondere angesichts der Vielfalt muslimischen Lebens in zahlreichen Regionen
und Städten Deutschlands und des hohen Anteils an Muslimen, die im Zuge der
Flüchtlingszuwanderung zu uns kommen, ist der langfristig angelegte Dialog zwischen
Bund, Ländern, Kommunen und muslimischen Vertreterinnen und Vertretern in der
Deutschen Islam Konferenz aus kommunaler Perspektive sehr wichtig. Es bedarf einer
Ausweitung des interreligiösen Dialogs und eines 1iederschlags dessen im Zusammenleben in den Städten.
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5.5.
Kulturelle Integration
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Es ist Aufgabe der Städte, den flüchtenden Menschen aber auch der ansässigen Bevölkerung
mit und ohne Migrationshintergrund Teilhabe an Kultur und Bildung in Deutschland zu ermöglichen. Sowohl die rezeptive als auch die aktive Beschäftigung mit Kunst und Kultur
kann in schwierigen Lebenssituationen hilfreich und wertvoll sein. Dies gilt auch und gerade
für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In einer noch fremden Umgebung, in der sprachliche Verständigung schwerfällt, können künstlerische Ausdrucksformen Wege der
Auseinandersetzung mit dem Unbekannten sein, aber auch mit dem Erlebten und den eigenen
Gefühlen.
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Interkulturelle Kulturarbeit sollte sich nicht spezialisiert auf einzelne Ethnien, Nationalitäten
oder Religionen ausrichten. Vielmehr sollte die Verbindung zwischen den unterschiedlichen
ethnisch-nationalen Gruppen in dem Sinne hergestellt werden, dass Verbindendes gesucht
wird und Verschiedenheiten zugelassen werden. Die Teilhabe an Kultur als Teil der Integration ist mit der UN-Menschenrechtskonvention zu Menschenrecht erklärt worden. Dieses gilt
auch für die flüchtenden Menschen in Deutschland. Städtische Kultureinrichtungen sollten
mit Blick auf die erforderlichen Integrationsleistungen die Vernetzung zu zivilgesellschaftlichen Strukturen suchen und mittel- und langfristig tragfähige Angebote und Konzepte
entwickeln. Wenn auch kurzfristig niederschwellige Kulturangebote vorgehalten und finanziert werden, so muss es immer Ziel bleiben, Begegnungen zwischen Flüchtlingen,
Asylbewerbern und sonstigen Personen mit Migrationshintergrund mit der ortsansässigen
Bevölkerung zu organisieren. Dies ist eine zentrale Kulturaufgabe.
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Eine identifikatorische Integration kann langfristig nur gelingen, wenn sich die bereits seit
langem hier lebende Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund von den Kulturangeboten genauso angesprochen fühlt wie die Zugezogenen. Dabei sollten vorhandene Angebote
und die kulturelle Infrastruktur genutzt werden. Eine Vernetzung hilft nicht nur, vorhandene
Kompetenzen bei den Akteuren gegenseitig zu nutzen, sondern stellt ein Instrument der kulturellen Kommunikation dar.
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Derzeit sind Hilfen für geflüchtete oder schutzsuchende Menschen durch ehrenamtliche
Strukturen der Zivilgesellschaft in erheblichem Maße bestimmt. Auf Dauer wird aber eine
hauptamtliche Begleitung im öffentlichen Sektor notwendig sein. Die sich verstärkt stellenden
Aufgaben – auch im Hinblick auf Vernetzung – sind genauso wichtig, wie die Einbindung
anderer Ressorts der Stadtverwaltung, insbesondere des Bildungsbereichs mit den Schulen
oder des Sozial- und Jugendbereichs mit ihren Einrichtungen.
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Die Partizipation an Kulturangeboten im oben beschriebenen Sinne stellen für Zugezogene
und Personen mit Migrationshintergrund Chancen dar, den Selbstwert in der neuen/alten Gesellschaft zu stärken. Interkulturelle Kulturarbeit unterstützt drüber hinaus fast wie von selbst
auch den Spracherwerb.
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5.6.
Integration in die Rechts- und Werteordnung
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Integration erfordert klare Vorgaben. Die deutsche Geschichte, Kultur und unsere Werte haben eine starke Identität geformt. Solidarität und Zusammenhalt sind Grundpfeiler der
deutschen Gesellschaft. Zugewanderte sind aufgefordert, sich aktiv in diese Gesellschaft einfügen. Sie müssen bereit sein, die deutsche Sprache zu lernen und zu gebrauchen und ihren
Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten und Förderangebote anzunehmen. Sie müssen
sich uneingeschränkt zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zu unserer
Rechtsordnung bekennen. Integration bedeutet ein Miteinander, nicht ein Nebeneinander oder
gar Gegeneinander.
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Integration kann nur gelingen, wenn Zugewanderte und ansässige Bevölkerung hierzu einen
gemeinsamen Beitrag leisten. Eine gelingende Integration der großen Zahl von Menschen, die
in den letzten Monaten in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet sind, erfordert von diesen eine klare Akzeptanz und ein Eintreten für die Werte und Verfassungsnormen des
deutschen Rechtsstaates.
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Das Grundgesetz bildet den Rahmen für ein demokratisches und gesellschaftliches Miteinander. Keine Ideologie, Religion oder Tradition darf diesen Rahmen in Frage stellen. Unschätzbar bedeutsam für die Integration vor Ort sind die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und
Helfer, die mit unglaublichem Engagement dazu beitragen, dass Integration auch gelebt wird.
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Menschen, die aus anderen Kulturen und Rechtssystemen kommen, müssen aber zunächst
und vordringlich mit den in Deutschland geltenden gesellschaftlichen wie auch gesetzlichen
Regeln vertraut gemacht werden. Dieses kann vorrangig durch verpflichtende Integrationskurse erfolgen. Das BAMF erarbeitet gegenwärtig ein umfassendes Konzept zur Wertevermittlung an neu Zugewanderte. Freiwillige kulturelle und sportliche Angebote können ergänzend dazu beitragen. Voraussetzung für alle Maßnahmen sind Aufstockungen von
Lehrpersonal für die Integrationskurse und ausreichende personelle Ausstattungen im pädagogischen Bereich der Schulen. Hier sind der Bund und die Länder gefordert. Aber auch
Broschüren als erste Wegweiser können Orientierungshilfen für die grundlegenden Gepflogenheiten des Gastlandes sein. Trotz einer kultursensiblen Einstellung gegenüber den Geflüchteten sollten von Anfang an unverhandelbare Regeln vermittelt werden. Insbesondere die
Gleichberechtigung von Frauen und Männern scheint ein schwieriges Thema für viele zugewanderte Männer aus patriarchalisch geprägten Ländern zu sein.
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Eine Ablehnung von Sachbearbeiterinnen, Dolmetscherinnen, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen oder anderen weiblichen Helfenden durch männliche Flüchtlinge kann nicht toleriert
werden, indem man diesem Konflikt aus dem Weg geht und männliche Dienstleistende für
männliche Flüchtlinge bereitstellt. Dies wäre ein Rückschritt in der gelebten Gleichberechtigung von Mann und Frau und stellt außerdem einen massiven Verstoß gegen Artikel 3 des
Grundgesetzes dar.
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Auch das Thema sexualisierte Gewalt spielt nach den massiven Übergriffen männlicher,
mehrheitlich nordafrikanischer Männer gegenüber Frauen in der Silvesternacht eine große
Rolle. Sie müssen strafrechtlich konsequent verfolgt und geahndet werden. Geflüchteten
Frauen muss deutlich gemacht werden, dass sie sexualisierte, auch häusliche Gewalt nicht
klaglos erleiden müssen, sondern Möglichkeiten haben, sich professionelle Hilfe zu suchen.
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Bund, Länder und Kommunen bemühen sich seit Jahren um Gewaltschutzkonzepte für
Frauen. Das bundesweite „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ bietet rund um die Uhr ein
Angebot der Erstberatung und Weitervermittlung an Beratungsangebote vor Ort. Angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation hat das Hilfetelefon sein Angebot an mehrsprachigem Infomaterial ausgeweitet. Ab sofort stehen beispielsweise Flyer und Plakate
auch auf Arabisch zur Verfügung. Die bei vielen Kommunen angesiedelten Runden Tische zu häuslicher Gewalt tragen zu einer guten Vernetzung der örtlichen Beratungs- und
Hilfestruktur bei.
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Akzeptanz von Flüchtlingen
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Integration fordert der aufnehmenden Gesellschaft große Anstrengungen und die anhaltende
Bereitschaft ab, Fremde aufzunehmen und zu integrieren. Die heimische Bevölkerung muss
Zugewanderten Akzeptanz und Toleranz entgegenbringen. Gelingende Integration fordert die
Sensibilisierung der heimischen Bevölkerung dafür, dass Integration einen Gewinn für die
Gesellschaft darstellt und eine Voraussetzung dafür ist, dass unser Wohlstand erhalten bleibt
und unsere Gesellschaft zusammenhält. Bei allen Schritten zur Integration – Wohnen, Kinderbetreuung, Schule, Berufsbildung – dürfen keine Konkurrenzen zwischen heimischer
Bevölkerung und Zugewanderten wachsen. Gerade in den Städten kann es gelingen, durch
persönliche Begegnungen im Alltag, Miteinander in Vereinen, Sport, Schulen, Kirchen und
im Quartier Sorgen zu zerstreuen und aufkeimenden Ängsten entgegen zu wirken.
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Muslimfeindliche und islamkritische genauso wie antiziganistische Einstellungen, die im Zusammenhang mit der sog. Armutszuwanderung aus Südosteuropa nach Deutschland
einhergehen, dürfen sich nicht in den Städten festigen. Wir brauchen offene, tolerante und
vielfältige Städte, in denen Nationalität, Volks- und Religionszugehörigkeit, Herkunft, Weltanschauung und sonstige Orientierungen und Erscheinungsbilder keine Rolle spielen.
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Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Extremismus
haben keinen Platz in unseren Städten. Deren Prävention und Bekämpfung muss integraler
Bestandteil aller Integrationsbemühungen sein und ist eine dauerhafte Herausforderung für
den Staat und die Zivilgesellschaft. Sie erfordert stetige Wachsamkeit, Sensibilisierung und
Reflexion des kommunalen Handelns. Die Bereitschaft zur Aufnahme und Integration Zugewanderter in den Kommunen ist hoch. Allerdings müssen auch die Sorgen der Menschen vor
einer Überforderung der Gesellschaft ernst genommen und aufgelöst werden.
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Empfehlung:
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Zivilgesellschaftliches Engagement und ein reger Austausch Zugewanderter mit der heimischen Bevölkerung müssen in den Kommunen gepflegt und stetig intensiviert werden, um
fehlendes Wissen und Vorurteile gegenüber Fremdem auszuräumen und um Intoleranz und
Ausgrenzung vorzubeugen und entgegenzuwirken. Auch institutionalisierte Programme, die
mit der Bürgerschaft in den Kommunen entwickelt und vor Ort umgesetzt werden, sind notwendig, um die Akzeptanz Zugewanderter zu erhalten und fest in der Gesellschaft zu
verankern.
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FREIWILLIGES U1D EHRE1AMTLICHES E1GAGEME1T
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Bürgerinnen und Bürger engagieren sich in vielfältiger Weise freiwillig und ehrenamtlich –
im sozialen Bereich, im Sportverein, in der Kultur oder in der Politik. Ehrenamtliches Engagement nutzt den Menschen, für die sich ehrenamtlich Engagierte einsetzen. Und es nutzt den
Engagierten selbst, die in vielerlei Hinsicht Zufriedenheit aus ihrem Engagement gewinnen.
Und nicht zuletzt nutzt es auch den Städten: Durch den ehrenamtlichen Einsatz vieler engagierter Bürgerinnen und Bürger können die Rahmenbedingungen vieler Leistungen in den
Städten, Kreisen und Gemeinden verbessert und der Ausbau zusätzlicher Angebote und Maßnahmen gestärkt werden. Für die Städte ist ehrenamtliches Engagement unverzichtbar. Von
der Kultur über den Sport bis hin zu den sozialen Diensten könnte vieles in gewohnter Tiefe
und Umfang nicht mehr erledigt werden, wenn nicht Bürgerinnen und Bürger bereit wären,
ihre Freizeit für das Gemeinwesen zu opfern.
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Ehrenamtlich Tätige haben gerade beim Integrationsprozess in den Städten eine unersetzliche
Funktion. Für Integration ist ehrenamtliches Engagement sowohl Motor als auch Indikator. Es
fördert interkulturelle Lernprozesse und das Gemeinschaftsgefühl. Für die zugewanderte Bevölkerung ist es oft eine unersetzliche Form der Unterstützung in unterschiedlichsten
Lebensbereichen, insbesondere für neu Zugewanderte.
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Damit Zugewanderte in unseren Städten heimisch werden, haben viele Städte mit Partnern
vor Ort, z.B. den Wohlfahrtsverbänden oder bestehenden Migrationsfachdiensten, Verfahren
und Konzepte entwickelt. Ohne ehrenamtliche Unterstützung jedoch sind diese nicht umsetzbar. Städte brauchen engagierte Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, die soziale
Verantwortung übernehmen wollen und bereit sind, ihre freie Zeit zu spenden, in einer Organisation oder als Einzelperson. Initiativen und Hilfsprojekte allerorts machen Mut, dass das
ehrenamtliche Engagement einen entscheidenden Beitrag zur Versorgung und Integration von
Zugewanderten und somit zu einer gelebten Willkommenskultur in Deutschland leisten kann.
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Angesichts steigender Zahlen an Flüchtlingen weltweit und an Zugewanderten und Asylbewerbern in Deutschland, engagieren sich viele Menschen freiwillig in der Flüchtlingsarbeit.
Die steigende Zahl von Asylbewerbern hat in der Bevölkerung große Hilfsbereitschaft ausgelöst. Dabei wird ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit vor allem von einem bestimmten Teil der
Gesellschaft getragen – von vorwiegend weiblichen, gut gebildeten und wirtschaftlich abgesicherten Personen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind hier vermehrt engagiert.
Bezüglich Alter und Erwerbstätigkeit gibt es eine stärkere Differenzierung, wobei insbesondere Jüngere und Studierende überrepräsentiert sind. Das Engagement ist in vielen Fällen
spontan und selbstorganisiert. Mit diesem Profil setzt sich die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit
weitgehend von anderem freiwilligen Engagement ab (EFA-Studie, 2015).
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Ehrenamtliche übernehmen vielfältige Aufgaben, die den zu uns gekommenen Menschen das
Ankommen und die Integration erleichtern. Ein Großteil der Tätigkeiten der Ehrenamtlichen
beinhaltet ganz fundamentale Dinge wie Behördengänge, die Kommunikation mit Behörden,
Übersetzungsarbeiten und die Organisation der ehrenamtlichen Arbeit selbst. Weiter Aufgaben sind z.B. allgemeine Orientierungshilfen, Hausaufgabenhilfe, Freizeitangebote,
Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache (Sprachförderung), Unterstützung bei
Arztbesuchen, Familienbetreuung und -patenschaften, die Organisation von Spenden oder die
Unterstützung bei der Wohnungssuche. Dies sind Tätigkeiten, für die Ehrenamtliche angesichts steigender Zuwanderungszahlen und oftmals bis an die Grenzen ausgelasteter
kommunaler Kapazitäten ganz entscheidend und wichtig sind.
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Ehrenamtliches Engagement bei der Integration und Flüchtlingshilfe hat klare Grenzen. In
manchen Fällen kann das Engagement von Ehrenamtlichen zu Problemen für Flüchtlinge oder
Hauptamtliche führen. Unannehmlichkeiten für Hauptamtliche und Behörden und eine starke
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persönliche Belastung der Ehrenamtlichen selbst können die Folge sein. Auch stellt die besondere rechtliche und persönliche Situation geflüchteter Menschen Ehrenamtliche vor
besondere Herausforderungen. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen benötigen Ehrenamtliche oftmals die kompetente Unterstützung durch Hauptamtliche. Die Kommunen leisten
und organisieren diese Unterstützung selbst oder in Kooperation mit Hilfsorganisationen.
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In Kommunen werden viele Ressourcen aufgewendet, um ehrenamtliche Arbeit zu koordinieren und zu organisieren. Die Städte unterstützen die entstandenen ehrenamtlichen Strukturen
und somit eine dauerhafte Flüchtlingsarbeit über spontanes freiwilliges Engagement hinaus.
Ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit sollte staatliche Aufgaben allerdings nur im Notfall unterstützen und keinesfalls strukturell ersetzen.
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Empfehlung:
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Die Kommunen sollen ihren erfolgreichen Weg weiter gehen, Gelegenheitsstrukturen
für freiwilliges Engagement zu eröffnen und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Dies kann in der Bereitstellung von Räumlichkeiten, in der infrastrukturellen
Unterstützung oder durch die unterstützende Begleitung von Fachkräften geschehen.
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Ehrenamtlich Engagierte müssen geschult, qualifiziert und in ihrer Arbeit begleitet
und bestätigt werden. Die Vernetzung Ehrenamtlicher mit der Kommunalverwaltung,
Migrationsfachdiensten, der Freien Wohlfahrtspflege und bereits in der Integrationsarbeit und Flüchtlingsbetreuung erfahrenen Organisationen sollte ausgebaut und
vertieft werden.
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KOMMU1IKATIO1 ZU FLÜCHTLI1GE1 U1D I1TEGRATIO1
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Bei der Aufnahme, Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern in
unsere Gesellschaft spielt die Kommunikation, Information und Vernetzung der Akteure eine
entscheidende Rolle. Von den Städten wird auch beim Thema Flüchtlinge erwartet, dass sie
die Bürgerschaft und die Medien transparent, sachlich und glaubwürdig informieren. Ein wesentliches Ziel aller Anstrengungen ist es, den Zusammenhalt und den sozialen Frieden in der
Stadtgesellschaft zu wahren. Kommunikation hilft, aktuelle Informationen zu transportieren
und wichtige Fragen zu beantworten. Gelingt dies in der nötigen Offenheit und Gelassenheit,
kann Kommunikation dazu beitragen, Integration zu unterstützen, die Akzeptanz für Flüchtlinge und das gesellschaftliche Zusammenleben zu fördern.
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Für eine erfolgreiche Kommunikation nötig sind verständliche und gut nachvollziehbare
Antworten auf eine komplexe Situation.
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Wichtige Botschaften, die mit erläuternden Informationen unterfüttert werden, könnten beispielsweise sein:
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Die Integration ist eine große Aufgabe für uns alle und erfordert höchste Anstrengungen der Stadtpolitik.
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Die Stadt begrüßt und unterstützt das bürgerschaftliche Engagement der Bevölkerung.
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Stadtverwaltung und Stadtpolitik arbeiten für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt
gleichermaßen, für Einheimische und neu Zugezogene.
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Wir versuchen, Belastungen z. B. durch die Flüchtlingsunterbringung in der Stadt
möglichst gering zu halten und Standorte gerecht im Stadtgebiet zu verteilen.
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Wir tun das Bestmögliche für die Flüchtlingsaufnahme und eine erfolgreiche Integration und für ein gutes Miteinander in der Stadtgesellschaft.
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Es ist wichtig, möglichst die gesamte demokratische Stadtpolitik für die notwendigen Integrationsanstrengungen zu sensibilisieren und ehrenamtliche, gewählte Mandatsträger
einzubeziehen. Alle Verantwortlichen, in welcher Funktion sie auch tätig sind, müssen zu
ihrer Verantwortung als Demokraten stehen und dies auch öffentlich kundtun. Das persönliche Beispiel macht Schule – auch beim Thema Flüchtlinge. Aus Sicht der Kommunikation
bedeutet das beispielsweise, die Verantwortung für eine menschenwürdige Flüchtlingshilfe
und Integration öffentlich mitzutragen und dabei auch möglicherweise Unpopuläres anzusprechen und zu verteidigen. Orientierungshilfen für die Kommunikation können zwischen
Ämtern abgestimmte Begrifflichkeiten und Argumente sein sowie ein Kommunikationsfahrplan bei neuen städtischen Projekten und Planungen zur Aufnahme und Integration von
Flüchtlingen. Damit können auch ehrenamtliche Helfer, Multiplikatoren und Mandatsträger
die Haltung der Stadt besser nach außen vertreten.
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Unverzichtbar ist die interne Kommunikation in der Verwaltung zum Flüchtlingsthema, denn
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind wichtige Botschafter innerhalb der Stadtgesellschaft
und können authentisch vermitteln, was in der Stadt geleistet wird.
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Die Herausforderung der Integration sollte als Aufgabe der gesamten Stadtgesellschaft und
nicht nur der Stadt- oder der Sozialverwaltung deutlich gemacht werden. Als hilfreich erweisen sich dafür positive Beispiele von Projekten der Flüchtlingshilfe und Beispiele für
erfolgreiche bzw. Schritt für Schritt gelingende Integration (z.B. Reportagen der Medien über
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit Ausbildungsvertrag und Lehrbetrieb sowie Berichte über Erfahrungen von anerkannten Asylbewerbern mit Mietverträgen und ihren Vermietern
unterstützen). Ein guter, professioneller Kontakt zu Medienredaktionen erleichtert das.
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Sinnvoll ist es, „Mitstreiter“ zu gewinnen, Multiplikatoren in die städtische Kommunikation
einzubinden und Informationen auszutauschen und gegebenenfalls abzustimmen. So kann es
sinnvoll sein, Akteure der städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu Themen des (sozialen)
Wohnungsbaus hinzuzuziehen, um nur ein Beispiel zu nennen.
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Immer steht die Kommunikation vor der Aufgabe, möglichst alle Bürgerinnen und Bürger zu
erreichen, auch die „schweigende Mehrheit“. Einige Städte nutzen deshalb bei bestimmten
Themen Briefwurfsendungen, um die Haushalte zu informieren. Zu überlegen ist grundsätzlich immer, mit welchen kommunikativen Mitteln (z.B. Medien, eigenen kommunalen
Veröffentlichungen (Print, Web), Plakat, Anzeige, Versammlung usw.) welche Zielgruppe am
besten erreicht werden kann. Allein auf mediale Vermittlung durch Dritte zu vertrauen, genügt nicht.
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Wichtig ist die Wahrhaftigkeit und damit die Glaubwürdigkeit der Informationen. Dazu gehört auch, schwierige und negative Aspekte zu kommunizieren. Wenn zum Beispiel
Asylsuchende gegen Recht und Ordnung verstoßen, müssen die Fakten klar benannt werden.
Wie auch sonst besteht die Aufgabe kommunaler Kommunikation in erster Linie darin, sachlich zu informieren, nüchtern Dinge zu benennen und nicht zu kommentieren oder gar zu
spekulieren.
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Gerüchten, die sich verbreiten, aber den Fakten nicht standhalten, sollte sachliche Aufklärung
entgegengesetzt werden. Dafür kann es hilfreich sein, Kontakt mit den Betroffenen des Gerüchts aufzunehmen (zum Beispiel bei angeblich vermehrten Diebstählen im Supermarkt
falsche Beschuldigungen dementieren, im Verbund mit Supermarktbetreiber und Polizei).
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Integration braucht Kommunikation zwischen den Menschen, die schon lange hier leben und
denen, die neu zu uns kommen. Integration braucht einen lebendigen Dialog zwischen Stadtverwaltung, Stadtpolitik und Stadtgesellschaft – einen Dialog mit möglichst vielen
Bürgerinnen und Bürgern. Integration gelingt nur mit Kommunikation.
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QUELLE1A1GABE1
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Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2014)
(Hrsg.): 10. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und
Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Berlin.
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Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2009) (Hrsg.): Muslimisches Leben in Deutschland 2008. Nürnberg.
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Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (2015) (Hrsg.): Projektjahrbuch 2014. Potenziale
nutzen – Integration fördern. Nürnberg.
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Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2012) (Hrsg.): Islamisches Gemeindeleben in
Deutschland. Forschungsbericht 13. Nürnberg.
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empirica (2015): Familien aufs Land – Teil 2. empirica paper Nr. 230 Version 3. Berlin.
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Serhat Karakayali, J. Olaf Kleist (2015): EFA-Studie: Strukturen und Motive der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit in Deutschland, 1. Forschungsbericht: Ergebnisse einer explorativen
Umfrage vom November/Dezember 2014, Berlin. Berliner Institute für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), Humboldt-Universität zu Berlin. Berlin.
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Susanne Worbs, Annette Sinn, Karsten Roesler und Hans-Jürgen Schmidt (2005): Räumliche
Verteilung und Wohnsituation von Zuwanderern in Deutschland. Schader Stiftung. Darmstadt.
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Abschlussbericht der gemeinsamen Evaluation des Gesetzes über den Bundesfreiwilligendienst (BFDG) und des Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten (JFDG)
2015. Frankfurt am Main / Offenbach / Köln.
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Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.) (2016): Flüchtlinge regional besser verteilen.
Ausgangslage und Ansatzpunkte für einen neuen Verteilungsmechanismus. Gutachten für die
Robert Bosch Stiftung. Köln.
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Autorinnen und Autoren der Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Städtetages
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Stefan Anton, Raimund Bartella, Dr. Uda Bastians, Lutz Decker, Thomas Kiel, Gesine KortWeiher, Barbara Leutner, Dr.-Ing. Timo Munzinger, Eva Maria Niemeyer, Regina Offer,
Martin Schenkelberg, Daniela Schönwälder, Dr. Hanna Sommer, Franz Springer, Jutta Troost
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