Daten
Kommune
Leipzig
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24.05.18, 08:24
Aktualisiert
01.10.18, 16:07
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RATSVERSAMMLUNG VOM 31. MAI 2018
1
Eröffnung und Begrüßung
Oberbürgermeister Jung: Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Sitzung der Ratsversammlung ist eröffnet. Ich begrüße alle Stadträtinnen und Stadträte, die Vertreterinnen und Vertreter der Medien sowie die Gäste auf der Tribüne
sehr herzlich.
Ich bitte Stadtrat Keller und Stadträtin Gabelmann, die Niederschrift der heutigen Sitzung zu
unterschreiben. - Einwände sehe ich nicht.
Die Tagesordnung wurde am 19.05.2018 im
Amtsblatt bekannt gemacht.
Als Erstes zur Versorgung an diesem heißen Tag:
Die Kantine hat von 16 bis 19 Uhr geöffnet und
bietet kalte Getränke an.
Entschuldigt haben sich Herr Haas, Herr Habicht,
Herr Kuthe, Herr Zeitler, Herr Tornau, Herr Heinrich, Frau Niermann, Herr Grosser, Frau Nagel,
Frau Gehrt, Frau Dr. Lauter, Herr Pellmann, Frau
Glöckner, Frau Dr. Künstler, Herr Volger sowie
Kollege Albrecht, und Kollege Bonew muss die
Sitzung um 18.30 Uhr aus dienstlichen Gründen
verlassen.
Ich verweise auf § 20 der Sächsischen Gemeindeordnung im Falle von möglichen Befangenheiten.
Wenn Sie die Sitzung vorzeitig verlassen müssen,
bitte ich Sie, mir das wie üblich mitzuteilen.
Auch heute wird die Sitzung im Livestream übertragen. Sie kennen die entsprechenden Regelungen.
2
Feststellung der Beschlussfähigkeit
Um 15.00 Uhr waren 40 Stadträtinnen und Stadträte anwesend. Das entspricht 56 Prozent. Das
heißt: Wir sind beschlussfähig.
3
Feststellung der Tagesordnung
Wir haben neu die Bildungspolitische Stunde auf
die Tagesordnung gesetzt. Deshalb wollen wir
heute wie folgt verfahren: Am Anfang werden die
Vorlagen aufgerufen, die in der letzten Ratsversammlung nicht mehr behandelt werden konnten.
Gegen 16 Uhr folgt die Bildungspolitische Stunde,
die bis circa 18 Uhr geplant ist. Anschließend werden wir TOP 5.5, INSEK, erörtern. Ob wir TOP 5.6
heute noch schaffen, werden wir sehen.
So weit meine Hinweise zur Tagesordnung. Haben Sie noch Hinweise? - Das ist nicht der Fall.
Dann stelle ich die ordnungsgemäße Ladung sowie die Tagesordnung einschließlich der genannten Änderungen fest.
5
Vorlagen I
5.1
Straßenbenennung 1/2019 (VI-DS-05361NF-05)
Einreicher: Dezernat Allgemeine Verwaltung
5.1.1 dazu ÄA (VI-DS-05361-ÄA-01-NF-01)
Einreicher: Fraktion Freibeuter
5.1.2 dazu ÄA (VI-DS-05361-ÄA-03)
Einreicher: Mitglieder des FA Umwelt und
Ordnung
5.1.3 dazu ÄA (VI-DS-05361-ÄA-04)
Einreicher: Ortschaftsrat Rückmarsdorf
Frau Gabelmann zum Änderungsantrag der Freibeuter.
Stadträtin Gabelmann (Freibeuter): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Straßenbenennung, das ist
normalerweise nichts, worüber wir hier ernsthaft
diskutieren; das wird sonst immer abgenickt. Aber
diesmal möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die
Seite 7 der Vorlage lenken. Wie Sie unserem Änderungsantrag entnehmen können, geht es um
die Benennung der sozusagen im 90-Grad-Winkel zwischen Witzgall- und Eichlerstraße verlaufende Verlängerung der Eichlerstraße. Ich weiß
nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie sich in einer
fremden Stadt befinden; aber Sie werden sicherlich nicht um die Ecke nach demselben Straßennamen suchen. Normalerweise verlaufen Straßen
relativ geradlinig, vielleicht auch mal in einer sanften Kurve, in seltensten Fällen ist es anders. - Ich
freue mich über Ihre Wortbeiträge nach meinem.
In jedem Fall ist es so: Wir haben einen Straßennamenpool, der überläuft; wir könnten noch 500
Jahre daraus schöpfen. Insofern ist uns nicht verständlich, wieso eine neu zu schaffende Straße
die Verlängerung einer schon bestehenden
Straße sein soll, noch dazu, wenn sie, wie gesagt,
eigentlich im rechten Winkel, T-förmig auf diese
abbiegt. Das sieht eher nicht so logisch aus. Wir
beantragen deshalb, aus dem Namenspool, den
wir ja ständig auffüllen und der wahrscheinlich nie
geleert sein wird, einen Namen auszuwählen und
eine entsprechende Benennung vorzunehmen. Vielen Dank.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Oberbürgermeister Jung: Zur Information: Die
ursprünglichen Änderungsanträge der Mitglieder
des Fachausschusses Umwelt und Ordnung sowie des Ortschaftsrats Rückmarsdorf haben wir
bereits in der Neufassung der Vorlage berücksichtigt. Ich gehe davon aus, dass damit die Änderungsanträge entfallen. - Von Rückmarsdorf höre
ich Zustimmung. Auch Herr Riedel vom Fachausschuss Umwelt und Ordnung nickt. - Danke.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Freibeuter. Ich bitte um
Ihr Handzeichen, wenn Sie dafür sind. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Vier Enthaltungen, einige ProStimmen. Mit Mehrheit abgelehnt.
Nun zur Abstimmung über die Vorlage. Ich werde
jeden Punkt einzeln aufrufen.
Zunächst zur Abstimmung über die Neubenennungen:
Nr. 1.1, Mitte/Zentrum-Ost: Krystallpalaststraße.
Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Eine Gegenstimme. Mit Mehrheit
so beschlossen.
Nr. 1.2, Ost/Engelsdorf: Zucholdweg. Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Einstimmig so beschlossen.
Nr. 1.3, Südost/Reudnitz-Thonberg: Eichlerstraße. Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Drei Gegenstimmen, eine Enthaltung. Mit Mehrheit so beschlossen.
Nr. 1.4, Südost/Probstheida: Margarete-vonWrangell-Straße. Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Eine Enthaltung. So beschlossen.
Nun zur Abstimmung über Umbenennungen:
Nr. 2.1, Nord/Gohlis-Mitte: Stoyestraße. Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Einstimmig so beschlossen.
Nr. 2.2, Alt-West/Rückmarsdorf: Helmertstraße.
Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Einstimmig so beschlossen.
Nr. 2.3: Alt-West/Rückmarsdorf: Nienborgstraße.
Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Einstimmig so beschlossen.
Schließlich zur Aufhebung von Straßennamen:
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Nr. 3.1, Alt-West/Rückmarsdorf: Drei-LindenHöhe. Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Einstimmig.
Nr. 3.2, Alt-West/Rückmarsdorf: Grünauer Blick.
Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Einstimmig.
Nr. 3.3, Alt-West/Rückmarsdorf: Möwenweg. Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Es ist einstimmig so beschlossen.
5.2
Fortschreibung der Eigentümerziele der
Stadt Leipzig für die Leipziger Entwicklungs- und Vermarktungsgesellschaft
mbH & CO2. Grundstücks-KG (LEVG)
(VI-DS-05407)
Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und
Bau
5.2.1 dazu ÄA (VI-DS-05407-ÄA-01-NF-01)
Einreicher: CDU-Fraktion
5.2.2 dazu ÄA (VI-DS-05407-ÄA-02-NF-01)
Einreicher: Fraktion DIE LINKE
Klare Vorvoten. - Frau Dr. Heymann.
Stadträtin Dr. Heymann (CDU): Entsprechend
den Zielstellungen, die wir schon vor einigen Jahren verabschiedet haben - wir hatten gesagt: die
Entwicklung der Alten Messe ist ein endliches
Verfahren, vor allem auch mit Blick darauf, dass
die Umsätze, die dort getätigt werden, zügig eingesetzt werden für die Fertigstellung der Infrastruktur -, sollte man recht bald zu einer Ablösung
des Gesellschaftervertrages bzw. der Beauftragung eines Dritten kommen, um dieses auf den
Weg zu bringen. Deshalb haben wir den Antrag
gestellt, dass die Gesellschafterversammlung darauf hinwirken soll, Schritte einzuleiten, dass dieses Verfahren kein unendliches Verfahren ist, weil
eine Geschäftsbetrauung auf diese Art und Weise
letztendlich auch zusätzliche Kosten verursacht.
Oberbürgermeister Jung: Herr Schlegel.
Stadtrat Schlegel (DIE LINKE): Sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Damen
und Herren Stadträte! Verehrte Zuhörer! Die Fraktion kann mit den in unserem Ergänzungsantrag
gemachten Ergänzungen der Vorlage zur Fortschreibung der LEVG-Eigentümerziele zustimmen. Im Gegensatz zum Ursprungsantrag des
Fachausschusses Wirtschaft und Arbeit zur Entwicklung auf der Alten Messe sind die Ziele jetzt
klar formuliert, sie bremsen die Entwicklung der
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Alten Messe nicht aus und bergen nicht die Gefahr eines finanziellen Desasters für die Gesellschaft und damit für die Stadt in sich.
Die zu beschließende Aufhebung der Entwicklungszeitbegrenzung und der damit zusammenhängenden Termine kann mitgetragen werden,
wenn bei daraus entstehendem Bedarf durch die
Stadt Leipzig der LEVG zumindest für notwendige
vorgezogene bauvorbereitende Maßnahmen sowie zur rechtzeitigen Erstellung stadttechnischer
und Verkehrsinfrastruktur Bürgschaften bereitgestellt werden.
In dem Zusammenhang muss unser Ergänzungsantrag in einem Punkt ergänzt werden. Da Stadtrat, Verwaltung und LEVG im rechtlichen Rahmen
handeln, haben wir klarstellend in Punkt 1 des Änderungsantrags den Satz 2 wie folgt ersetzt:
Im Zusammenhang mit etwaigen notwendigen vorgezogenen Erschließungsund bauvorbereitenden Maßnahmen ist
auch die Notwendigkeit/Möglichkeit einer Bürgschaft zur Absicherung der damit verbundenen Finanzierung zu prüfen.
Wir unterstützen die Erhöhung der zur Beförderung des Life Sciences Cluster bereitzustellenden
Grundstücksflächen um 10.000 Quadratmeter mit
der Klarstellung, dass damit ab 2018 noch 88.000
Quadratmeter Grundstücksfläche auf den im Lageplan ausgewiesenen Arealen zu reservieren
sind. Der Lageplan ist der Beschlussvorlage beigefügt.
1999 wurde nach Erstellung des im Ergebnis eines städtebaulichen Workshopverfahrens erarbeiteten Rahmenplans die Entwicklung des alten
Messestandortes beidseits der Straße des
18. Oktober begonnen. Von Anbeginn stand fest,
dass ein innerstädtischer Stadtteil mit ergänzenden Funktionen zum Stadtzentrum, mit öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen sowie einer
teilweisen Vermarktung an private Investoren zur
Bebauung in überschaubaren Zeiträumen entstehen soll. Mit Blick auf die stadträumliche Nähe von
HTWK und Universitätsfakultäten wie Tiermedizin
oder Naturwissenschaft waren solche Funktionen
ebenso gewünscht.
Die „Rahmenplanung Alte Messe“, die 1993 unter
dem Titel „Neue Ideen für die Alte Messe“ veröffentlicht wurde, hat sich bewährt und soll weiterhin
Grundlage der Entwicklung des Gesamtareals
bleiben - mit der Erinnerung an die ehemalige
Technische Messe, die vor allem durch kompakten Hallenbauten geprägt war.
In Anpassung an die städtebaulichen Strukturen
der Alten Messe sowie zur besseren Grundstücksausnutzung soll auch weiterhin eine mehrgeschossige Bebauung angestrebt werden. Die
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Bauareale auf der Alten Messe sind aber so geplant, dass Grundstücke flexibel, je nach Größe
und Nutzung, an den jeweiligen Bedarf angepasst
werden können.
Es sollten auch Funktionsüberlagerungen in Erdgeschossen angestrebt werden. Die immer wieder umstrittenen großflächigen Handelseinrichtungen haben dazu geführt, dass neben den festgeschriebenen Denkmalsbauten und Bauwerken,
wie die Halle 13, Hit-Markt, weitere erhalten und
nachgenutzt werden, so die Hallen 2, 15 und 17
durch Porta, Fahrrad Stadler und Hornbach Baumarkt. Somit wird eine Belebung auch an den Wochenenden und am Abend möglich.
Die Erinnerung wird ebenso durch den Erhalt der
Halle 14 sowie den außerdem festgeschriebenen
Baudenkmalen Halle 16, dem Doppel-MM an der
Prager Straße und dem sogenannten „Messebalkon“ mit einer künftigen attraktiven Fußgängerbrücke über die Eisenbahnstrecke im Zuge der
Straße des 18. Oktober befördert.
Auch aus diesen Gründen ist eine Bebauung der
als Eventachse festgeschriebenen Straße des
18. Oktober auch nicht zeitweilig vorstellbar. Anders als ein Gewerbegebiet oder ein zu entwickelnder Wohnungsstandort ist die Alte Messe vor
allem Thema der Stadt- und stadträumlichen Planung, weshalb wir uns eine Geschäftsbesorgung
durch das Liegenschaftsamt, wie im CDU-Antrag
gefordert, nicht vorstellen können - wir werden
den Antrag deshalb ablehnen -, zumal die meisten
Bauareale durch Dritte entwickelt werden.
Zeitnah erwarten wir eine Präzisierung der Bauflächengrößen beidseits der Straße des 18. Oktober zwischen Perlickstraße und Deutschem Platz,
um die wichtige städtebauliche Freiraumachse
durchgängig zwischen Neuem Rathaus und Völkerschlachtdenkmal auch in diesem Bereich zu sichern.
Trotz der angestrebten Nutzungsspezialisierung
auf Forschung soll nach der Vollendung ein lebendiger Stadtteil mit innerstädtischen Funktionen
entstehen, der mit vorhandener optimaler ÖPNVAnbindung nicht in Konkurrenz steht, sondern
eine Ergänzung zum Stadtzentrum bildet.
Da das Leben manchmal anders ist als auch noch
so kluge Verwaltungen und Stadträte erahnen
können, ist mindestens alle zwei Jahre dem Stadtrat ein Evaluierungsbericht vorzulegen und gegebenenfalls eine Anpassung der Vorbehaltsflächen
für das Life Sciences Cluster vorzuschlagen.
Herr Oberbürgermeister, ich übergebe Ihnen abschließend die schriftliche Ergänzung zu unserem
Änderungsantrag.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Oberbürgermeister Jung: Zu Protokoll: Herr
Schlegel übergibt den Änderungsantrag: Satz 2 in
Punkt 1 als Klarstellung.
Es gibt zahlreiche Wortmeldungen. Zunächst Herr
Bär.
Stadtrat Bär (SPD): Herr Oberbürgermeister!
Meine Damen und Herren! Frau Dubrau, lange
hat es gedauert, lange haben wir darauf gewartet.
Jetzt sind sie endlich da: die neuen Eigentümerziele. Sie haben auch fast alle Aufträge, die der
Stadtrat Ihnen aufgegeben hatte, erfüllt - bis auf
einen: das Parkraumkonzept. Sie hatten uns zwar
erläutert, warum das nicht möglich war. Nichtsdestotrotz ist unser Wunsch, dass Sie das, was
Sie im Fachausschuss mitgeteilt haben, nämlich
dass Sie weiterhin an einer Stellplatzsatzung arbeiten, noch einmal hier zu Protokoll geben. Es
war ja ursprünglich ein Auftrag des Stadtrats an
Sie, das miteinzuarbeiten. Wenn das nicht geht,
sollte bitte zu Protokoll genommen werden, warum nicht, damit wir die Entwicklung einer Stellplatzsatzung weiter verfolgen können.
Zum Änderungsantrag der CDU-Fraktion. Ihre
persönlichen Animositäten, die Sie mit dem Geschäftsbesorger pflegen, in allen Ehren - ich habe
da noch einige denkwürdige Wutausbrüche Ihres
Finanzbürgermeisters vor Augen inklusive Herumbrüllen und Türenknallen -: Aber dass Sie das
jetzt auf eine so hohe Stufe, nämlich zum Stadtratsbeschluss erheben wollen - ursprünglich wollten Sie das sogar zu einem Eigentümerziel machen, wer geschäftsbesorgend übernimmt oder
nicht -, dazu muss ich sagen: Frau Dr. Heymann,
Sie haben dies gerade mit zusätzlichen Kosten
begründet. In Ihrem Antrag schlagen Sie vor, dass
die Stadt oder die LGH die Geschäftsbesorgung
übernehmen soll, ohne dass wir einmal über die
Kosten, die das verursachen würde, gesprochen
haben.
Lassen Sie eine solche Aufstellung doch bitte den
Aufsichtsrat machen! Er kann sich damit beschäftigen und die Kosten gegenüberstellen. Legen Sie
das nicht einfach dem Stadtrat zum Beschluss
vor, ohne dass wir vorher abschätzen können,
welche Folgen das haben könnte! Die Verträge
sind einmal jährlich kündbar. Das heißt: Uns läuft
die Zeit nicht davon. Es bleibt also genug Zeit, das
im Aufsichtsrat zu beraten.
Dem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE
können wir als SPD-Fraktion folgen und werden
dem auch zustimmen. - Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Herr Morlok.
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Stadtrat Morlok (Freibeuter): Herr Oberbürgermeister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch
wir als Freibeuter begrüßen, dass nun endlich die
Fortschreibung der Eigentümerziele vorliegt. Wir
haben uns in der Fraktion intensiv mit der Frage
beschäftigt, ob wir 88.000 Quadratmeter Fläche
für Life Sciences benötigen werden oder nicht.
Der Blick in die Zukunft ist immer schwierig, weil
er mit großen Unsicherheiten behaftet ist.
Insofern begrüßen wir den Antrag der LINKEN,
weil er die Flächenthematik dahin gehend präzisiert, dass nun von Grundstücksflächen und angestrebter Mehrgeschossigkeit die Rede ist. Bei
88.000 Quadratmetern Grundstücksfläche und einer Mehrgeschossigkeit kann es zu deutlich mehr
Quadratmetern Bruttogeschossfläche kommen.
Ob wir diese dann tatsächlich für Life Sciences
benötigen werden, dahinter steht noch ein Fragezeichen.
Angesichts der Tatsache, dass dem Stadtrat,
wenn er dem Änderungsantrag der LINKEN folgt wir wollen das tun in den Punkten 2 ff. -, spätestens in zwei Jahren eine Evaluierung vorgelegt
werden soll, können wir auch mit dieser hohen
Flächengröße momentan leben. Finden wir allerdings in zwei Jahren dort eine andere Situation
vor, müssen wir dann aber auch den Mut haben,
die Flächengröße, die momentan im Konzept
steht, noch einmal zu ändern.
Punkt 1 des Antrags der LINKEN werden wir nicht
zustimmen. Ich denke, Finanzierungsfragen, die
eine Gesellschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit zu
klären hat, sind anders zu klären. Wenn die Frage
einer Bürgschaft im Raum steht, ist es sicherlich
sinnvoll, im Zweifel eher eine Bürgschaft der Stadt
auszureichen als eine Bankbürgschaft in Anspruch zu nehmen. Das muss man aber nicht hier
im Stadtrat als Prüfauftrag, quasi als Vorratsbeschluss, heute beschließen. Vielmehr gehört das
zu den ureigenen Aufgaben der Gesellschaft. Sie
wird zu gegebener Zeit auf die Stadt zukommen.
Je nachdem, welche Beträge genannt werden,
sind entsprechende Beschlüsse hier im Stadtrat
zu fassen. Das müssten wir im Übrigen auch
dann, wenn wir an dem Prüfauftrag festhalten.
Insofern beantragen wir, Punkt 1 des Antrags der
LINKEN getrennt von den anderen Beschlusspunkten abzustimmen.
Den Änderungsantrag der CDU-Fraktion werden
wir ablehnen. Es ist bereits angesprochen worden, dass es Aufgabe des Aufsichtsrats ist, darüber zu entscheiden. Stellen Sie sich einmal vor,
wir würden hier im Stadtrat über alle Geschäftsbesorgungsverträge, die die Unternehmen der
Stadt haben - ich denke an die Vielzahl in der
L-Gruppe, in der LVV, aber auch ihrer Töchter -,
per Auftrag an den Aufsichtsrat entscheiden und
damit in die Geschäftspolitik hineinregieren. Ich
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
glaube, damit wären wir überfordert und würden
auch der Arbeit der Gremien in diesen Unternehmen nicht gerecht werden.
Auch inhaltlich spricht wenig für diesen Änderungsantrag. Wenn man an einer schnellen Vermarktung interessiert ist, wechselt man nicht die
Pferde. Personal mit entsprechendem Know-how
ist im Liegenschaftsamt nicht vorhanden und
müsste zusätzlich beschafft werden. Es ist fraglich, ob wir die Leute vom Geschäftsbesorger
übernehmen könnten und, wenn ja, zu welchen
Konditionen. Wer also an einer schnellen Vermarktung interessiert ist, sollte es so lassen, wie
es ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte lehnen Sie den CDU-Antrag ab! - Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Frau Dr. Märtens.
Stadträtin Dr. Märtens (Bündnis 90/Die Grünen):
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Werte
Beigeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das wird ja spannend. Was können wir sagen?
Wir stimmen den Eigentümerzielen zu.
Wir stimmen dem Änderungsantrag der CDU
nicht zu. Viele Gründe wurden schon genannt.
Hauptsächlich haben wir Zweifel, dass das Liegenschaftsamt in seiner jetzigen Verfassung
diese Aufgabe übernehmen kann. Wir sollten im
Aufsichtsrat gut beschließen, wie die Arbeit weitergeführt werden soll.
Zum Änderungsantrag der LINKEN bitten wir
grundsätzlich um punktweise Abstimmung, also
aller Punkte. Wir wiederum halten Punkt 1 für zustimmungsfähig, Punkt 2 aber nicht, weil wir die
Notwendigkeit für so viel Life Sciences nicht mehr
sehen. Punkt 3 halten wir für zustimmungsfähig,
Punkt 4 jedoch nicht, weil wir glauben, dass die
Berichterstattung im Aufsichtsrat völlig ausreicht.
Alles, was darüber hinaus geschehen soll, werden
wir dann besprechen, wenn wir Informationsbedarf haben. - Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Frau Dubrau.
Bürgermeisterin Dubrau: Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Sehr geehrte Beigeordnete,
Stadträte und Gäste! Gestatten Sie mir, noch einige zusammenfassende Worte zu sagen, obwohl
jetzt schon vieles gesagt wurde! Es geht hier um
die Eigentümerziele. Der Charakter von Eigentümerzielen ist die strategische Steuerung. Sie setzt
den Rahmen und gibt Ziele vor. Sie mischt sich
aber nicht ins operative Geschäft. - Das ist von einigen Rednern auch klar dargelegt worden.
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Letztmalig beschlossen in 2014 ist die Fortschreibung unter Beachtung des Stadtratsbeschlusses
2016 erfolgt. Das war kein einfaches Verfahren;
es hat lange gedauert; es ist viel diskutiert worden. Am Ende ist es ein relativ kurzer Text geworden, der aber letztlich ausdrückt, dass es sich um
strategische Steuerung handelt. Mehr gehört in
diese Vorlage eigentlich auch nicht rein.
Nach dem Stadtratsbeschluss war die Flächengröße für das Cluster Life Sciences auf mehr als
100.000 Quadratmeter zu erhöhen. Außerdem
sollte kein Endtermin gesetzt werden. Das ist jetzt
Teil der Vorlage. Einer der Gründe dafür ist die
Wirtschaftsförderung, also der Versuch, noch
mehr Life Sciences auf diesem Areal anzusiedeln.
Wir legen Ihnen heute die neuen, flexiblen Eigentümerziele vor. Darüber können Sie heute entscheiden. Die Fläche für das Cluster Life Sciences wurde gegenüber 2014 um 10.000 Quadratmeter erhöht. Herr Morlok, hat es eben schon
gesagt: Es hat sich allgemein durchgesetzt, dass
wir inzwischen höhergeschossiger bauen, als es
noch vor einigen Jahren der Fall war. Die Wirtschaftskraft der Stadt hat sich erhöht. Es ist schon
ein Unterschied, ob man auf dem Quadratmeter
ein oder zwei Geschosse oder vier, fünf oder vielleicht sechs Geschosse unterbringt. Das heißt:
Die eigentliche Erhöhung der Fläche, die für Life
Sciences zur Verfügung gestellt werden kann, ist
dadurch um einiges höher.
Im Fachausschuss Wirtschaft und Arbeit sowie im
Ausschuss Allgemeine Verwaltung wurde das
Stellplatzproblem angesprochen. Ich hatte zum
einen erklärt, dass wir aufgrund der jetzt geltenden Stellplatzverordnung nicht davon abgehen
können, eine bestimmte Forderung an die Eigentümer zu stellen. Sie müssen also, oder sie müssen ablösen. Eine andere Möglichkeit gibt es derzeit nicht. Wir sind dabei, eine neue Stellplatzverordnung zu erarbeiten, allerdings in zwei Schritten. Der erste Schritt wird das Thema „Kommunale Infrastruktur und Wohnungsbau“ betreffen.
Darüber werden wir nach der Sommerpause gemeinsam diskutieren. Der zweite Schritt wird das
Thema „Dienstleistungen, Gewerbe und Ähnliches“ betreffen, wobei dies von der Diskussion
des ersten Schritts abhängt.
Das zweite Problem, das zumindest im Wirtschaftsausschuss diskutiert wurde, war die Doppelnutzung von Flächen. Eine Doppelnutzung auf
den Flächen, die öffentliches Straßenland sind, ist
normal. Auch heute schon ist es so, dass tagsüber diejenigen, die in den Bereichen arbeiten,
parken und abends die Bewohner aus den anliegenden Gebieten. Wegen der Möglichkeit, die privaten Flächen für Bewohner zu erschließen, werden wir Kontakt zu allen Eigentümern aufnehmen.
Allerdings handelt es sich hier um Privatgrund.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
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Natürlich kann jeder Eigentümer auch privat entscheiden, ob er dieser Forderung nachgibt oder
nicht. Ich hoffe, dass sich einige Eigentümer dennoch damit anfreunden können.
auch die Notwendigkeit/Möglichkeit einer Bürgschaft zur Absicherung der damit verbundenen Finanzierung zu prüfen.
Zu den Änderungsanträgen. Der Änderungsantrag der CDU ist aus unserer Sicht formell rechtswidrig; denn es ist einfach kein Eigentümerziel;
das ist heute schon gesagt worden. Wir hatten zu
diesem Anliegen ein vierseitiges Schreiben direkt
an die Fraktion gerichtet und hatten es auch den
anderen Fraktionen zur Kenntnis gegeben. Ich
denke, Sie alle werden es gelesen haben; einige
Redner sind ja bereits darauf eingegangen.
Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Zum Änderungsantrag der LINKEN. Zu Beschlusspunkt 1 ist die Formulierung noch einmal
geändert worden. Insofern können wir dem jetzt
zustimmen. Mit dieser Änderung können wir das
übernehmen.
Nach der langen Diskussion wünsche ich mir,
dass wir heute zu einer positiven Beschlussfassung kommen und die Gesellschaft wieder richtig
arbeitsfähig machen; denn im Moment ist sie in
einer schwierigen Situation, weil nach den alten
Eigentümerzielen im Prinzip keine Miet- oder
Kaufverträge mehr geschlossen werden können.
Der Aufsichtsrat braucht für seine weitere Arbeit
ganz dringend die neuen Eigentümerziele. - Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Vielen Dank, Frau
Dubrau. - Ich denke, wir können jetzt zur Abstimmung kommen.
Zunächst steht der Änderungsantrag der CDUFraktion zur Abstimmung. Ich bitte um Ihr Handzeichen, wenn Sie dem folgen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Eine Enthaltung, einige Pro-Stimmen. Mit Mehrheit abgelehnt.
Nun zur Abstimmung über den Änderungsantrag
der Fraktion DIE LINKE. Es ist punktweise Abstimmung gewünscht.
Beschlusspunkt 1 des Antrags ist neu gefasst
worden. Gemäß des Schriftstücks, das Herr
Schlegel mir übergeben hat, lautet Punkt 1 jetzt
wie folgt:
Die Entwicklungszeitbegrenzung und die
damit zusammenhängenden Termine
werden aufgehoben.
Abstimmung: Eine Enthaltung, eine Reihe von
Gegenstimmen. Mit Mehrheit so beschlossen.
Abstimmung über Beschlusspunkt 2. Wer dem zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Ich sehe, hier müssen wir das Abstimmgerät einsetzen. Ihre Stimme
bitte jetzt! - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 21 - 26 - 3. Damit abgelehnt.
Abstimmung über Beschlusspunkt 3. Ich bitte um
Stimmabgabe. - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 37 - 13 - 1.
Den Beschlusspunkt 4 übernehmen wir. Darüber
muss nicht abgestimmt werden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Vorlage. Ich bitte um Ihre Voten. - Ich schließe die
Abstimmung.
Abstimmung: 34 - 11 - 5. So beschlossen.
Vor Aufruf des nächsten Tagesordnungspunkts
will ich die Gelegenheit nutzen und einige liebe
Gäste begrüßen. A warm welcome to our guests
from America! Great to see you! And a special
welcome to our friends from Houston! - This applause is only for you, for Houston. - Die Gäste auf
der Tribüne kommen vom American Council of
Chairmen. Wir waren auch schon dort zu Besuch.
Es findet ein reger Austausch statt. Es sind alles
Kommunalpolitiker; die gibt es in Amerika auch. I have just explained that usually you have politicians involved in municipal matters in America,
too.
5.3 Überplanmäßige Aufwendungen nach
§ 78 SächsGemO in Anlehnung an § 79 (1)
SächsGemO für das Jahr 2018 für die konsumtive Ausstattung von schulischen Objekten im Rahmen der Verschiebung der
Fertigstellung von Baumaßnahmen (VIDS-05455)
Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und
Bau
Wortwünsche? - Frau Hollick.
- Ergänzt wurde folgender Satz: Im Zusammenhang mit etwaigen notwendigen vorgezogenen Erschließungsund bauvorbereitenden Maßnahmen ist
Stadträtin Hollick (DIE LINKE): Herr Jung, nur
ganz kurz: Wir werden dieser Vorlage zustimmen,
weil das ja notwendig ist. Trotzdem möchte ich an
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
dieser Stelle noch einmal betonen: Wir wollen unsere Schüler für die MINT-Fächer interessieren,
und dazu gehört auch Chemie. Wenn wir jetzt - -
5.6
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Stellungnahme der Stadt Leipzig zum
Beteiligungsentwurf des Regionalplans
Leipzig-Westsachsen 2017 (VI-DS-05532)
Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und
Bau
Oberbürgermeister Jung: Wir sind bei Tagesordnungspunkt 5.3, Frau Hollick.
Stadträtin Hollick (DIE LINKE): Ja, das weiß ich.
Das, was ich sagen will, gehört zur konsumtiven
Ausstattung dazu. Zur konsumtiven Ausstattung
zähle ich zum Beispiel auch einen Abzug im Chemieraum. Den sparen wir in Neubauschulen. Den
sparen wir in der Sportoberschule, den sparen wir
in der Schule am Weißeplatz, die hier genannt ist.
Auch im Gymnasium in der Telemannstraße gibt
es zu wenige. Wenn wir wollen, dass sich Schüler
für die Naturwissenschaften interessieren, müssen wir sie auch interessant gestalten. Die Lehrer,
die jetzt trocken Chemie machen müssen, tun mir,
ehrlich gesagt, leid. Das Geld für die konsumtive
Ausstattung müssen wir aufbringen, auch wenn
das Landesamt meint, dass für Oberschulen nicht
mehr notwendig und für Gymnasien weniger notwendig ist. Auch Abzüge gehören zu den konsumtiven Ausstattungen. - Irgendwo muss ich das
ja mal anbringen. Ich habe eine solche Wut. Da
will man die Schüler für die MINT-Fächer interessieren, und es werden einem immer wieder Steine
in den Weg gelegt.
Oberbürgermeister Jung: Frau Hollick, ich verstehe Ihre Empörung. - Dann werden wir das
demnächst ändern. Aber mit dieser Vorlage hat
das nichts zu tun. - Also zu Protokoll: Ich werde
dafür sorgen, dass in die Chemielabors von Schulen wieder Abzüge eingebaut werden. Das gehört
sich so.
Wir kommen zur Abstimmung über die Vorlage.
Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Es ist einstimmig so votiert.
5.4 Kommunales Programm zur Förderung
von MINT-Aktivitäten und Vorbereitung
von Jugendlichen auf die Arbeitswelt 4.0
(VI-DS-05519-NF-01)
Einreicher: Dezernat Wirtschaft und Arbeit
Klare Vorvoten. - Wird das Wort gewünscht? - Gibt
es Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Abstimmung: Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, können wir es wagen,
vor der Bildungspolitischen Stunde noch Tagesordnungspunkt 5.6 aufzurufen? - Ich sehe, Sie
sind einverstanden.
5.6.1 dazu ÄA (VI-DS-05532-ÄA-01)
Einreicher: SPD-Fraktion
5.6.2 dazu ÄA (VI-DS-05532-ÄA-02)
Einreicher: Ortschaftsrat Lindenthal
5.6.3 dazu ÄA (VI-DS-05532-ÄA-03)
Einreicher: Ortschaftsrat LützschenaStahmeln
5.6.4 dazu ÄA (VI-DS-05532-ÄA-04)
Einreicher: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
5.6.5 dazu ÄA (VI-DS-05532-ÄA-05)
Einreicher: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
5.6.6 dazu ÄA (VI-DS-05532-ÄA-06)
Einreicher: Fraktion DIE LINKE
5.6.7 dazu ÄA (VI-DS-05532-ÄA-07)
Einreicher: Ortschaftsrat Seehausen
5.6.8 dazu ÄA (VI-DS-05532-ÄA-08)
Einreicher: Ortschaftsrat Mölkau
Frau Dubrau, bitte schön.
Bürgermeisterin Dubrau: Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Meine Damen und Herren!
Zum Beteiligungsentwurf des Regionalplans
nimmt die Stadt als Träger öffentlicher Belange
Stellung. Der Regionalplan wird alle zehn Jahre
fortgeschrieben. Die Stadt hatte bereits zum Rohentwurf Stellung genommen - wir haben das auch
im Ausschuss berichtet - und die Stellungnahme
mit Ratsbeschluss vom 28.10.2015 übergeben.
Der überwiegende Teil der städtischen Hinweise
ist berücksichtigt worden. Insofern werden sie in
dieser Stellungnahme nicht noch einmal aufgeführt.
Die wichtigsten Neuerungen im Vergleich des
Rohentwurfs zum jetzigen Entwurf sind das regionale Wohnbauflächen-Entwicklungskonzept in
Punkt 2.2.2.2, die Tieferlegung der B 2 am agraPark in Punkt 3.2.6, die grundzentralen Verbünde
Großpösna/Nauenhof und Brandis/Borsdorf in
Punkt 1.3.7, der erweiterte Siedlungsbeschränkungsbereich um den Flughafen in Punkt 2.2.1.13
sowie die räumliche Ausweisung von Versorgungsstandorten Gewerbe in Punkt 2.3.1.5.
Der jetzigen Stellungnahme sind umfangreiche
Prüfungen des Planwerks durch die Verwaltung
vorausgegangen. Die Stellungnahme ist fristgemäß am 29.03.2018 versendet worden - natürlich
mit Gremienvorbehalt; denn wir behandeln sie ja
heute erst.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Zur Durchführung der Gremienbeteiligung. Im April und im Mai sind erstmalig die Ortschaftsräte beteiligt worden. Das war beim Rohentwurf nicht der
Fall, weil dieser noch zu unkonkret war und keine
Details enthielt.
Es ist notwendig, dass die Ratsversammlung
heute über die Stellungnahme beschließt, da der
Planungsverband sie sonst gegebenenfalls nicht
mehr in seine Abwägung miteinbeziehen kann.
Wir sind hier schon relativ spät.
Wichtige Inhalte der Stellungnahme sind:
Erstens wird die Ausweisung zusätzlicher grundzentraler Verbünde mit Blick auf die SPNVAnbindequalität kritisch gesehen. - Also: Wir stimmen immer dann zu, wenn es tatsächlich eine Anbindung an den schienengebundenen Nahverkehr gibt. Wir sind dafür, dass dort tatsächlich Entwicklung und Erweiterung stattfindet. Das ist notwendig; denn wir platzen aus allen Nähten. Aber
wenn es sich um Standorte handelt, die keinen
Anschluss an den SPNV haben und die Leute mit
dem Auto in die Stadt fahren müssen, wäre das
für uns sicher nicht hilfreich.
Zum Zweiten bitten wir, die Aufnahme eines Hinweises zum Ost-West-Tunnel für den spurgeführten Verkehr zu prüfen.
Drittens machen wir auf mögliche Widersprüche
zwischen Regionalplanzielen und potenziellen
Stadterweiterungsflächen aufmerksam.
Schließlich fordern wir, für die Berechnung des
Siedlungsbeschränkungsbereichs auch ein Szenario mit überproportionaler Belegung der nördlichen Landebahn zu prüfen und im Ergebnis den
SBB auch nach Norden auszudehnen.
Es liegen komplexe Änderungsanträge vor, die
sich überwiegend mit dem Themenkomplex „Luftverkehr, Lärmschutz und Siedlungsbeschränkungsbereich“ beschäftigen. Wir haben Verständnis dafür, dass die Belastungen für die Bewohner
im Nordraum wirklich enorm sind. Aber der Regionalplan ist für eine Diskussion dieser Themen
die falsche Plattform. Der Regionale Planungsverband entscheidet nicht über den Flugbetrieb,
über die Nutzung von Landebahnen oder über einen passenden Lärmschutz. Aber er ist grundsätzlich verpflichtet, den Siedlungsbeschränkungsbereich umfassend zu berechnen und unter
Berücksichtigung des realen und des voraussichtlichen Flugbetriebs festzulegen.
Daher und aus Gründen der Konfliktminimierung
mit künftigen Baugebieten kann allen Forderungen zur Nichterweiterung des SBB und zur ausschließlichen Verwendung des Szenarios einer
gleichmäßigen Bahnverteilung bei den SBBBerechnungen nicht gefolgt werden. Das heißt: In
den gewachsenen Bereichen, wo bereits B-Pläne
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bestehen oder wo nach § 34 genehmigt werden
kann, ist das Bauen auch weiterhin möglich.
Im Übrigen verweise ich auf den Ratsbeschluss
650/11, der unter anderem besagt, dass tage- oder wochenweise versetzte Nutzungen der Landebahnen ohne Erweiterung des SBB nicht umsetzbar sind, da auch hier wochenweise eine
überproportionale Nutzung der Südlandebahn
vorgesehen wäre. Das ist zwar nicht immer der
Fall; aber wenn, dann muss der Bereich erweitert
werden.
Forderungen zur Beachtung des Fluglärmberichts
des UBA können ebenfalls nicht berücksichtigt
werden, da dort ein generelles Nachtflugverbot
empfohlen wird. Dadurch entstünde für den Flughafen ein gravierender Standortnachteil für den
Frachtverkehr. Das kann sicher nicht im Interesse
der Stadt sein.
Zur Bekräftigung der Positionen der Stadt Leipzig
zum Fluglärmschutz kann Teilen des Änderungsantrags des Ortschaftsrats Lindenthal gefolgt werden. Es geht konkret um folgende Sätze:
Damit würde § 29 des Luftverkehrsgesetzes „Auf die Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maße Rücksicht
zu nehmen“ entsprochen …
Der zweite Satz, der bestätigt werden kann, lautet:
Insbesondere muss es eine Abwägung
zwischen den Interessen der Luftfrachtwirtschaft und dem gesundheitlichen
Schutz der betroffen Bevölkerung geben.
Schließlich kann noch ein dritter Satz bestätigt
werden:
Die vorhandenen Beschlusslagen der
Ratsversammlung, insbesondere zur
Abschaffung der kurzen Südabkurvung
bei Ostwind-Wetterlage … und zur Verbesserung des aktiven Lärmschutzes
am Flughafen Leipzig-Halle … sowie alle
von der Stadt Leipzig in die Fluglärmkommission zu diesem Thema eingebrachten Anträge, sind von den für den
Flugbetrieb verantwortlichen Behörden
umzusetzen.
Diese Formulierung würde darüber hinaus die
Punkte des Änderungsantrags 01 der SPDFraktion und des Änderungsantrag 05 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufgreifen, die es
ähnlich formuliert haben.
Allerdings ist der Änderungsantrag 05 aufgrund
der gewählten Formulierung: „Die Beschlüsse der
Ratsversammlung … werden in den Regionalplan
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
eingearbeitet“ offensichtlich rechtswidrig, da der
Regionalplan vom Regionalen Planungsverband
aufgestellt wird und die Stadt lediglich eine Stellungnahme dazu schreiben kann. Das heißt: Wir
können den Plan nicht ändern.
Hinsichtlich der Aufgaben und des Regelungsgehalts des Regionalplans bestehen anscheinend
Missverständnisse. Das trifft zum einen auf die
Maßstäblichkeit des Regionalplans zu, welche
bewusst klein gehalten worden ist, um nicht in die
kommunale Planungshoheit einzugreifen. Zum
anderen betrifft dies die fachliche Zuständigkeit
des Regionalplans, der allgemeine Ziele, nicht
aber Fachplanungsinhalte, die dem Fachplanungsträger vorbehalten sind, enthält. Man muss
sehr stark unterscheiden: Was ist dieser mit einer
großen Klammer dargestellte Plan, und was wird
im Detail durch den Fachplanungsträger dargestellt?
Die Forderungen aus dem Änderungsantrag 03
des Ortschaftsrats Lützschena-Stahmeln zur
Waldmehrung und zum Bodenschutz sowie aus
dem Änderungsantrag 07 des Ortschaftsrats Seehausen zur Waldmehrung im Ortsteil Hohenheida
sowie zur Fahrradverbindung betreffen die Maßstäblichkeit und sind auf kommunaler Ebene zu
klären. - Also: Das, was maßstäblich wirklich sehr
klein ist, ist Aufgabe der Stadt, nicht aber des Regionalplans. Wenn die Ortschaftsräte hierzu konkrete Wünsche haben, müssen sie Anträge in den
Stadtrat einbringen. Dann kann auf Grundlage eines qualifizierten Verwaltungsstandpunkts darüber entschieden werden.
Die Forderungen aus dem Änderungsantrag 08
des Ortschaftsrats Mölkau zur Erhöhung der Taktzeiten und der Prüfung von Lärmschutzmaßnahmen betreffend die Bahnstrecke Leipzig-Geithain
fallen nicht in die fachliche Zuständigkeit des Regionalplans und sind gegenüber dem Fachplanungsträger zu vertreten.
Die Forderung aus dem Änderungsantrag 07 des
Ortschaftsrats Seehausen zur B 87n, eine Trassenführung durch die Ortschaft abzulehnen, ist in
späteren Fachplanungsphasen bzw. im Planfeststellungsverfahren vorzubringen. Der Regionalplan enthält zur B 87n keine räumlichen Festlegungen, da die Fachplanungen hier noch ganz am
Anfang sind und derzeit noch völlig unklar ist, wo
die Neubautrasse entlangführen wird.
Im Änderungsantrag 06 der Fraktion DIE LINKE
wird vorgeschlagen, die Forderung nach einem
zusätzlichen Ziel im Kapitel „Fahrradverkehr“ aufzunehmen, nämlich dass eine überregional abgestimmte Radnetzplanung angestrebt wird. Das
kann so übernommen werden.
So weit meine Informationen. - Vielen Dank.
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Oberbürgermeister Jung: Es gibt zahlreiche
Wortmeldungen. Zunächst hat Herr Geisler das
Wort.
Stadtrat Geisler (SPD): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich war schon leicht verärgert, als ich hörte, dass die Stellungnahme abgeschickt wurde, bevor sie in den Ausschüssen beraten wurde. Ich erinnere hier auch an die Diskussion in Zusammenhang mit der Einwohneranfrage
in der Ratsversammlung im März. Mittlerweile ist
die Stellungnahme in den Ausschüssen beraten
worden mit dem Ergebnis, dass es so wahrscheinlich nicht gehen wird. Auch heute liegen
acht Änderungsanträge dazu vor. Man muss also
davon ausgehen, dass die Stellungnahme so
schlecht ist, dass sie noch einmal überarbeitet
werden muss.
Die SPD-Fraktion beantragt mit ihrem Änderungsantrag, dass alle Beschlüsse des Stadtrats und
alle von der Fluglärmkommission eingebrachten
Anträge, die auf Debatten im Rat oder in den Ausschüssen zurückgehen, in der Stellungnahme
aufgegriffen und so eingefügt werden, dass es
verständlich ist.
Da sich der Ortschaftsrat Lindenthal die Mühe gemacht hat, genau das länger auszuformulieren,
werde ich meiner Fraktion empfehlen, dem weitergehenden Antrag des Ortschaftsrats Lindenthal zuzustimmen, beschreibt er doch mit ganz klaren Worten, was wir weicher formuliert hatten und
was wir eigentlich von der Verwaltung erwartet
hatten; denn aus Sicht der Ortschaftsräte bedeutet die Erweiterung des Siedlungsbeschränkungsgebiets, dass die Stadt und die Region die Missachtung aller Auflagen aus dem Planfeststellungsbeschluss akzeptiert und damit den Missstand mit dem Mantel des Legalen versieht und
dauerhaft macht. Es muss doch klar sein, dass alles, was der Rat beschlossen hat, sich dort wiederfinden muss.
Ich möchte einmal den Blick nach vorn wagen.
Was ist, wenn die Südabkurvung permanent, unrechtmäßig, weil entgegen dem Planfeststellungsbeschluss, mit großem Gerät, mittlerweile
zum Teil bis in die Nacht hinein, deutlich außerhalb von 6 bis 22 Uhr beflogen wird? Ist dann die
Maßgabe des nächsten Plans, dass wir eine fette
Schleife von Lindenthal über Lützschena-Stahmeln bis Böhlitz-Ehrenberg als Siedlungsbeschränkungsbereich ausweisen müssen, weil nur
das, was wirklich ist, auch betrachtet wird? Das
möchte ich mir nicht vorstellen. Ich möchte auch
nicht in fünf, sechs Jahren hier stehen und dagegen argumentieren müssen.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Wenn wir schon bei sinnlosen Abkurvungen sind:
Die kurze Nordabkurvung ist eine Gewinnmaximierungsmethode sondergleichen, bedeutet aber
eine extreme Belastung für den Leipziger Norden.
Im Grunde muss konstatiert werden, dass die
Lärmbelastung der Menschen im Nordwesten viel
größer ist als angenommen. Da hilft auch keine
Erweiterung von Siedlungsbeschränkungen. Vielmehr müssen ehrliche Maßnahmen her, die den
Lärm begrenzen, ihn gleichmäßig verteilen oder
die Einführung von Lärmpausen vorsehen - solange die Stadt auf diese Lärmquelle nicht verzichten kann oder nicht verzichten möchte.
Jetzt zu den Änderungsanträgen. Niemand wird
es wundern, dass wir unserem eigenen Antrag zustimmen werden. Dem Änderungsantrag 02 des
Ortschaftsrats Lindenthal können wir auch komplett zustimmen. Beim Änderungsantrag 03 des
Ortschaftsrats Lützschena-Stahmeln verstehen
wir Beschlusspunkt 2 nicht, können aber dem
Rest zustimmen. Dem Änderungsantrag 04 der
Grünen können wir komplett zustimmen.
Beim Änderungsantrag 05 der Grünen finden wir
die Formulierung schwierig. Deswegen können
wir nicht zustimmen, auch wenn er belegt, dass
die genannten Ratsbeschlüsse ursprünglich auf
Anträge der Grünen zurückgehen.
Dem Änderungsantrag 06 der LINKEN können wir
komplett zustimmen.
Den Änderungsantrag 07 des Ortschaftsrats Seehausen finden wir nicht sachgerecht, weil er keine
Formulierung enthält, wie diese Wünsche eingefügt werden sollen. Wir würden sie aber ungern
wegwischen, weil es eigentlich sinnvolle Vorschläge sind. Frau Dubrau hatte ja gerade erwähnt, dass sie später in den Feinplanungen der
Stadt berücksichtigt werden sollen. Auch hatte sie
zur B 87n ausgeführt, dass die Trassenführung
noch unklar ist.
Den Änderungsantrag 08 des Ortschaftsrats
Mölkau lehnen wir ab, weil er nicht sachgerecht
ist.
Eine letzte Bemerkung. Wir würden uns wünschen, wenn im Text nicht immer nur von einem
Frachtflughafen die Rede ist, sondern auch von
einem Passagierflughafen. Die Leipziger Wirtschaft braucht nicht nur Frachtverkehr, sondern
auch Personenverkehr. Die Leipziger Bürger
brauchen die Chance, von Leipzig abfliegen oder
in Leipzig ankommen zu können. Man sollte nicht
nur den Frachtflughafen pushen, sondern den
Flughafen als Ganzes. - Danke.
Oberbürgermeister Jung: Herr Schlegel.
S e i t e | 10
Stadtrat Schlegel (DIE LINKE): Sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Damen
und Herren Stadträte! Verehrte Zuhörer! Die Region Leipzig-Westsachsen steht vor zwei großen
Herausforderungen: Zum einen ist die aktuelle
Entwicklung in der Region geprägt durch Bevölkerungswachstum im Oberzentrum Leipzig und in
einigen Städten im Umland, während in zahlreichen Dörfern und kleineren Städten im ländlichen
Raum in Westsachsen die Bevölkerung fortwährend schrumpft. Zum anderen ist auch der Regionalplan auf einen Braunkohlenausstieg bis 2040
ausgerichtet.
Damit die Landkreise Nordsachsen und Leipziger
Land sowie die Stadt Leipzig vorankommen, bedarf es eines abgestimmten und gemeinsamen
Handelns aller Kommunen. Eine regionale Kooperation funktioniert aber nur durch Geben und
Nehmen aller Kommunen. Die Stadt-UmlandKonferenz im vergangenen Jahr war dafür ein
hoffnungsvoller Auftakt.
Die zeitliche Parallelität durch die inzwischen abgeschlossenen Fortschreibungen des Flächennutzungsplans und des Integrierten Stadtentwicklungskonzepts der Stadt Leipzig sowie die derzeitigen Fortschreibungen der Braunkohlenpläne für
die ehemaligen Tagebaue Goitzsche und Delitzsch-Südwest waren auch für die Fortschreibung
des Regionalplanes vorteilhaft, da viele Inhalte
abgestimmt werden konnten.
Nicht nur in Leipzig bedarf es bei der Entwicklung
neuer Wohnungsstandorte einer Konzentration
auf urbane und Siedlungskerne, um eine Zersiedlung zu vermeiden, Landwirtschaftsflächen zu erhalten und eine noch stärkere Vernetzung der
Grünzüge zu erreichen.
Als Leipziger Verbandsrat habe ich wie auch der
Leiter der Regionalen Planungsstelle, Professor
Andreas Berkner, im Regionalen Planungsverband wiederholt darauf hingewiesen, dass Eigenheimbau für Familien allein nicht ausreichend ist.
Auch der Ausbau der Verkehrs- und technischen
Infrastruktur sowie die Erneuerung von Grundschulen, Kindertagesstätten, Kultureinrichtungen,
von Einrichtungen der Gesundheitsbetreuung und
wohnortnaher Handelseinrichtungen des täglichen Bedarfs als weiche Standortfaktoren sind
unverzichtbar.
Ein zentraler Ort ist nicht nur ein Werbetitel, sondern vor allem Herausforderung. Das betrifft natürlich auch das Oberzentrum Leipzig.
Da auch zunehmend ältere Menschen wegen entsprechender Wohnungs- und Betreuungsangebote in eine vitale Stadt ziehen - und das nicht nur
nach Leipzig -, stellt sich die Frage, ob es genügend altersgemäße Wohnungs- und Versor-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
gungsangebote in der angestammten Wohnumgebung gibt. Möglicherweise werden so auch vorhandene Eigenheime für jüngere Familien frei.
Auch dem Problem der Wohnungslosigkeit kann
man sich nicht dadurch entledigen, indem man in
den Kommunen keine Angebote für Wohnungslose unterhält.
Bereits bei der Fortschreibung des Regionalplanes vor 15 Jahren wurde gefordert, dass Wohnungsbau, vorzugsweise mehrgeschossiger, im
Umkreis von 500 Metern von Haltestellen des
schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs
stattfinden soll. Unterstützend können dabei Park&-Ride-Plätze sowie Fahrradabstellanlagen sein.
Durchgehend kann der S-Bahn-, Straßenbahnund Busverkehr in Leipzig genutzt werden.
Aktuell verweisen Leipziger Politiker darauf, dass
es keine autogerechte Stadt für die derzeit rund
97.000 zur Arbeit nach Leipzig einpendelnden
und die 61.000 auspendelnden Menschen - diese
Zahlen wurden ja gestern in der Zeitung genannt geben kann. Das bedarf auch einer Vernetzung
und dem Bau überörtlicher Radwege, was mit unserem Änderungsantrag erreicht werden soll.
IHK und Handwerkskammer sollen sich für neue
Arbeitsplätze im Umland von Leipzig einsetzen,
um Arbeitswege zu minimieren. Neben zahlreichen behördlichen Arbeitsplätzen sorgen auch
die vielen Arbeitsplätze, die durch gezielte Ansiedlungen - ich nenne hier nur Porsche, BMW
und DHL sowie Forschungsinstitute - neu geschaffen wurden, für Zuzug nach Leipzig.
Nicht zuletzt die sogenannten weichen Standortfaktoren bewirken, dass sich Investoren für
Leipzig entscheiden und Wissenschaftler der Universität, der Hochschulen und Forschungseinrichtungen sich für weitere Institutsansiedlungen und
Forschungsprojekte engagieren. Das schafft Arbeitsplätze und macht Leipzig auch für Studierende attraktiv.
Bis 2040 sind die beiden mitteldeutschen Braunkohlenkraftwerke Lippendorf und Schkopau mit
den Tagebauen Vereinigtes Schleenhain und
Profen abgeschrieben. Darauf ist auch die künftige Renaturierung und Umgestaltung der Tagebaue in der Region ausgerichtet, weil keine weiteren Landschaftsräume in Anspruch genommen
werden sollen. Zu ersetzen ist damit ebenso die
in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugte Fernwärme in
Lippendorf, mit der zahlreiche Stadtteile im Osten
und Westen Leipzigs über die zentrale Netzverteilung im Süden versorgt werden. Auch wenn die
Zielstellung des Braunkohlenausstiegs bis 2040
vielen zu lang erscheint, muss konstatiert werden,
dass Forderungen das eine sind, die Bewältigung
des Ausstiegs aber auch erreicht werden muss;
S e i t e | 11
die Heizkosten sollen ja auch in Zukunft bezahlbar
bleiben.
Auch wenn Flugverkehr vor allem übergeordnetes
Recht ist, unterstützen wir die fortwährenden Forderungen der Stadt zur Begrenzung des Flugverkehrs im Nordraum und einer gleichmäßigen Nutzung von Nord- und Südlandebahn und somit
auch den SPD-Antrag. - Danke.
Oberbürgermeister Jung: Herr von der Heide.
Stadtrat von der Heide (Bündnis 90/Die Grünen): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Sehr geehrte Damen und Herren! Der Plan, den
Siedlungsbeschränkungsbereich zu erweitern,
zeigt vor allem eines: dass der Fluglärm ein reales
Problem ist. Wenn man sich den Umgang mit dieser Thematik hier im Stadtrat vergegenwärtigt und
auf die Landes- und Bundesebene schaut - ein
Blick in den Koalitionsvertrag genügt -, scheint es
eigentlich kein Problem zu geben. Aber wenn dem
tatsächlich so wäre, gäbe es wohl nicht den Plan,
den Siedlungsbeschränkungsbereich zu erweitern.
Was passiert jetzt? Es gibt einen Planfeststellungsbeschluss, in dem die gleichmäßige Bahnnutzung festgehalten ist, und es gibt eine reale
Bahnnutzung, nach der nachts fast ausschließlich
die südliche Landebahn genutzt wird. Deshalb will
man jetzt einen Siedlungsbeschränkungsbereich
ausweisen, der aus unserer Sicht die reale Bahnnutzung im Nachhinein legitimiert - und das mit einem Gutachten, was den Zeitraum bis 2020 beschreibt.
Der Regionalplan wird 2018/2019 beschlossen,
danach geht es erst richtig los. Schauen Sie in
den Koalitionsvertrag! Darin ist von einem Ausbau
des Frachtverkehrs an diesem Flughafen die
Rede. Wenn man die Gerüchte hört von Investoren aus China, die weiteren Frachtverkehr an diesen Flughafen bringen wollen, ist doch absehbar,
was passieren wird: Es wird erneut eine reale
Bahnnutzung geben. Wie sie genau aussehen
wird, kann man sich heute noch nicht vorstellen.
Aber: Es wird eine deutlich stärkere Belastung geben. Und was haben wir? Wir haben einen Siedlungsbeschränkungsbereich und ein Gutachten,
das bis 2020 reicht und dann Makulatur ist.
Deswegen: Wenn man das schon macht, dann
mit einem Gutachten, das den Zeitraum bis 2030
betrachtet. Dann kann man den Bürgern reinen
Wein einschenken, was der weitere Ausbau des
Frachtflugverkehrs an diesem Flughafen bedeuten wird. Dann können wir uns auch politisch darüber unterhalten, statt nur zu sagen: Na ja, es gibt
da diesen Ausbau; der ist notwendig.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
In diesem Sinne ist unser Änderungsantrag zu
verstehen. Wir denken, aus Gründen der Transparenz sollte erst einmal vorgelegt werden: Was
sind die Ausbaupläne, und wie sieht es aus bis
2030? Dann können wir weitersehen. - Vielen
Dank.
Oberbürgermeister Jung: Frau Krefft.
Stadträtin Krefft (Bündnis 90/Die Grünen): Ich
gehe auf unseren zweiten Änderungsantrag, den
ÄA-05, ein. Dazu wurde ausgeführt, dieser Antrag
sei rechtswidrig. Nun lautet der Beschlussvorschlag in der Vorlage:
Die Ratsversammlung beschließt die
Stellungnahme der Stadt Leipzig zum
Beteiligungsentwurf des Regionalplans
Leipzig-Westsachsen 2017.
Das heißt: Wenn wir diese Stellungnahme beschließen, können wir dort auch unsere Ratsbeschlüsse einpflegen.
Zu Recht haben Sie, Herr Geisler, darauf hingewiesen, dass die Beschlüsse, die Sie im SPDÄnderungsantrag zitieren, auf Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zurückgehen, die hier
im Rat beschlossen wurden. Auch wir zitieren
diese Beschlüsse in unserem Antrag hinsichtlich
eines aktiven Lärmschutzes die Alternative Südabkurvung betreffend.
Das ist die Stellungnahme der Stadt Leipzig. Also
kann das hier auch eingepflegt werden. Es ist
nicht verständlich, warum es rechtswidrig sein
soll, dass wir die Beschlüsse, die wir hier in der
Ratsversammlung gefasst haben, ernst nehmen,
sie vertreten und an entsprechender Stelle auf sie
verweisen. Das ist auch eine Bestärkung für den
Oberbürgermeister, an verschiedenen Stellen auf
Ratsbeschlüsse hinzuweisen und auch über die
jeweiligen Umsetzungsstände zu berichten.
Sie wissen, wie müßig das ist. Sie wissen, wie
lange wir hier schon für die Umsetzung der Beschlüsse kämpfen; sie sind ja von 2010 und 2011.
Seitdem beschäftigt uns der Lärm am Flughafen.
Die Menschen müssen seither unablässig mit diesem Lärm leben. Wenn wir darüber sprechen, wie
Leben und Wirtschaft in dieser Stadt vereinbart
werden können und wie aktiver Gesundheitsschutz für die Bürgerinnen und Bürger im Nordraum Leipzigs und anliegend gesichert werden
kann, müssen wir noch stärker darauf dringen,
dass diese Beschlüsse umgesetzt werden.
Oberbürgermeister Jung: Herr Böhlau.
S e i t e | 12
Ortsvorsteher Böhlau: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Damen und Herren!
Folgende Situation: Wir wollen zumindest noch
ein weiteres Anliegen berücksichtigt wissen, nämlich die Gewerbevorbehaltsfläche an der B 2 Richtung Nordwest. Auf der einen Seite ist Seehausen, Sachsenpark, dahinter Wiederitzsch, auf der
anderen Seite Neue Messe, BMW, Gewerbepark 7 Richtung Merkwitz. Dort soll es weitergehen. Ich würde darum bitten, das hier abzustimmen.
Noch ein zweiter Punkt. Ich denke, der Stadtrat
kennt die Problematik der Erweiterung des Siedlungsbeschränkungsbereichs. Wir denken, die
Stadt hat die Möglichkeit, darauf einzuwirken,
dass eine gleichmäßige Verteilung herbeigeführt
wird. Vielleicht wäre es gut, hier mehr Druck auszuüben; ich weiß es nicht.
Ein dritter Punkt betrifft die Waldmehrung. Es ist
richtig: Waldmehrung und Radwege sind städtische Aufgaben. Aber mittlerweile sind manche
Vorschläge schon zehn Jahre alt. Wir hatten sie
auch schon mehrfach in die Haushaltsberatungen
eingebracht. Der Radweg Krostitz kann vielleicht
innerhalb der nächsten zwei Jahre realisiert werden. Wir werden diesen Vorschlag noch einmal
separat einbringen; er könnte also hier gestrichen
werden.
Ein vierter Punkt betrifft die Waldmehrung im Gewerbegebiet 7. Auch das ist Aufgabe der Stadt;
richtig. Wir als Ortschaftsrat haben gedacht, dass,
wenn Taucha die Planung macht, Leipzig sagt:
Okay, wir machen in Richtung Hohenheida/Merkwitz Waldmehrung. - Damit würde die Bevölkerung sehen, dass - die Pläne wurden ja schon in
der LVZ veröffentlicht - die Stadt tatsächlich mitzieht, insbesondere weil sie, wie ich weiß, auch
das Gewerbegebiet als solches finanziert.
Ein letztes Punkt: die B 87n. Ich meine, das läuft
nun schon seit zehn Jahren. Es gab Unterschriftensammlungen in allen nördlichen Gemeinden;
es sind Zigtausende Unterschriften zusammengekommen. Die Trassenführung ist immer noch
nicht klar; das ist richtig. Aber es wäre wichtig,
wenn sich die Stadt Leipzig dazu durchringen
kann, zu sagen: Seehausen bleibt da außen vor.
Wenn ich Leipzig als Bestandteil des Gebiets
Westsachsen betrachte, sollte das auch in den
Regionalplan miteinfließen. Wenn man allerdings
der Meinung ist, dass das stadteigene Aufgaben
sind, die mit diesem Plan nichts zu tun haben,
dann ist es so. Dann müssen wir unsere Anträge
in den Stadtrat einbringen, der zumindest die
Waldmehrung der genannten Punkte 3 und 4 beschließen kann. Diese beiden Punkte würden wir
jetzt streichen, später aber separate Anträge diesbezüglich stellen, sei es in den Haushaltsberatungen oder im regulären Verfahren.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Oberbürgermeister Jung: Frau Ziegler hat das
Wort.
Ortsvorsteherin Ziegler: Ich möchte mich kurz
fassen. - Wie ich der Diskussion entnommen
habe, wird der Antrag von Lindenthal bezüglich
der Siedlungsbeschränkung überwiegend bejaht,
sodass wir unseren Antrag in diesem Punkt als
von Lindenthal vertreten ansehen. Hinsichtlich
der Waldmehrung geht es uns darum, dass in diesen überregionalen Plan aufgenommen werden
muss, dass dieser Grünzug durchgängig gestaltet
wird. Das steckt eigentlich hinter unserem Änderungsantrag. Ansonsten werden wir natürlich die
Umsetzung unserer Anträge weiter verfolgen. Danke.
S e i t e | 13
Abstimmung über den Änderungsantrag 03 des
Ortschaftsrats Lützschena-Stahmeln, zu dem
Frau Dubrau empfohlen hatte, die Waldmehrung
als eigenständigen Antrag ins Verfahren zu bringen. Ich bitte um Ihre Stimme zum ÄA-03. - Ich
schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 51 - 4 - 0. Damit positiv votiert.
Abstimmung über den Änderungsantrag 04 der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich bitte um
Stimmabgabe. - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 44 - 10 - 0.
Abstimmung über den Änderungsantrag 05 der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich bitte um Ihr
Votum. - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 39 - 15 - 0. Positiv votiert.
Oberbürgermeister Jung: Wir kommen jetzt zur
Abstimmung.
Vorab noch eine Frage an Sie, Herr Geisler. Habe
ich Sie richtig verstanden, dass Sie Ihren Ursprungsantrag und nicht den Änderungsvorschlag
von Frau Dubrau zur Abstimmung stellen wollen?
Stadtrat Geisler (SPD): Wir stellen unseren Ursprungsantrag zur Abstimmung.
Oberbürgermeister Jung: Okay. Dann machen
wir das und gehen ganz stringent der Reihe nach
vor. Bitte schalten Sie Ihr Abstimmgerät ein!
Abstimmung über den Änderungsantrag 01 der
SPD-Fraktion. Ich bitte um Ihr Votum. - Ich
schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 54 - 0 - 0.
Abstimmung über den Änderungsantrag 02 des
Ortschaftsrats Lindenthal. Dazu gab es eben den
Hinweis, dass der eine oder andere Gedanke bekräftigt werden sollte und dass das Thema Waldmehrung als eigenständiger Antrag ins Verfahren
eingebracht wird.
Ortsvorsteher Böhlau: Das ist ein Missverständnis. Im Antrag von Lindenthal geht es nicht um
Waldmehrung.
Oberbürgermeister Jung: Entschuldigung, die
Waldmehrung wird im Änderungsantrag 03 des
Ortschaftsrats Lützschena-Stahmeln thematisiert.
Im Änderungsantrag des Ortschaftsrats Lindenthal geht es um die reale Bahnnutzung. Ich bitte
um Ihre Stimme. - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 52 - 1 - 1.
Abstimmung über den Änderungsantrag 06 der
Fraktion DIE LINKE. Bitte geben Sie Ihre Stimme
ab! - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 51 - 4 - 0.
Abstimmung über den Änderungsantrag 07 des
Ortschaftsrats Seehausen. Es geht jetzt nur noch
um die Ausweisung einer Gewerbevorbehaltsfläche; alles andere wurde, wie eben mitgeteilt, gestrichen. Ich bitte um Ihr Votum. - Ich schließe die
Abstimmung.
Abstimmung: 44 - 8 - 2.
Abstimmung über den Änderungsantrag 08 des
Ortschaftsrats Mölkau, der höhere Taktzeiten für
den S-Bahn-Verkehr vorschlägt. - Ihre Stimme
bitte jetzt. - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 19 - 25 - 9. Damit abgelehnt.
Wir haben jetzt über vieles abgestimmt, was gar
nicht in den Regionalplan gehört. Derjenige, der
die jetzt gefassten Beschlüsse in der Stellungnahme zusammenbringen und ausformulieren
muss, ist nicht zu beneiden.
Abschließend kommen wir zur Abstimmung über
die Stellungnahme. Ich bitte um Ihr Votum. - Ich
schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 54 - 0 - 0.
Jetzt noch einmal im Ernst: Frau Krefft, ich interpretiere die Annahme zum Beispiel des Antrags
von Bündnis 90/Die Grünen so, dass wir diesen
Wunsch in die Stellungnahme mit aufnehmen;
aber selbstverständlich liegt es nicht in unserer
Entscheidungskompetenz, ob dieses Anliegen
dann auch in den Regionalplan einfließen wird.
Noch einmal: Das ist die Stellungnahme der Stadt
Leipzig. Diese ist so zu interpretieren, man möge
bitte die vom Rat der Stadt Leipzig beschlossenen
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Maßnahmen in den Regionalplan mit aufnehmen.
Ich sage es nur, damit das klar ist. - Die Stellungnahme ist jetzt so abzufassen, Frau Dubrau, dass
der politische Wille des Rats deutlich wird - in der
Hoffnung, dass das eine oder andere in den Regionalplan mit aufgenommen wird.
Wir fahren jetzt fort mit Tagesordnungspunkt 4:
4
Bildungspolitische Stunde zum Thema
„Schulsozialarbeit - Möglichkeiten und
Grenzen“
4.1 Statement der Verwaltung
4.2 Redebeitrag 1: Schulsozialarbeit aus wissenschaftlicher Sicht
4.3 Redebeitrag 2: Präsentation von Schüler/-innen
4.4 Statements der Fraktionen
4.5 Diskussion
4.6 Zusammenfassung und Schlusswort
Sie haben sicher schon gemerkt, dass inzwischen
weitere Personen im Saal und auf dem Podium
Platz genommen haben, so zum Beispiel links von
mir Herr Professor Speck. Herzlich willkommen!
Ich sehe auch mit Freude, dass sich die Tribüne
mehr und mehr füllt. Ich tippe auf Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, deren Arbeit
in unserer Bildungspolitischen Stunde heute thematisiert wird.
Wir hatten uns vor einiger Zeit auf ein neues Format verständigt, das wir heute zum ersten Mal
testen wollen. Statt wie bisher eine Stunde sind
für themenbezogene Stunden künftig zwei Stunden vorgesehen. Auch soll es nicht mehr einzelne
kurze Statements geben und danach zur regulären Tagesordnung übergegangen werden. Vielmehr hatten Sie beschlossen, dass wir möglichst
an einem gesonderten Termin uns Zeit nehmen,
die Themen Bildung, Wirtschaft oder Migration im
Stadtrat zu diskutieren.
Insofern wird es eine Ausnahme bleiben, dass die
Bildungspolitische Stunde auf einen Tag gelegt
wurde, an dem wir die Tagesordnung der letzten
Ratsversammlung zu Ende führen. Das wird so
nicht mehr geschehen. In Zukunft wird ein eigenständiger Termin festgesetzt, um die Bildungspolitische oder eine andere themenbezogene
Stunde mit der gebotenen Sorgfalt zu behandeln.
In der etwa zweistündigen Bildungspolitischen
Stunde heute geht es um das Thema „Schulsozialarbeit - Möglichkeiten und Grenzen“. Wie Sie
der Tagesordnung entnehmen können, wird es
zuerst ein Statement der Verwaltung, in Person
des Bürgermeisters für Jugend, Soziales, Ge-
S e i t e | 14
sundheit und Schule, Herrn Professor Fabian, geben. Danach folgt ein Vortrag zum Thema
Schulsozialarbeit von Herrn Professor Dr. Karsten
Speck, Dekan der Fakultät Bildungs- und Sozialwissenschaften an der Universität Oldenburg. Im
Anschluss daran werden Schülerinnen und Schüler ihre Sicht zum Thema Schulsozialarbeit darlegen, eingeführt von Christoph Noth. - Herzlich willkommen! - Eingeladen haben wir auch Petra
Elias, die Vorsitzende des StadtElternRats. Herzlich willkommen! - Danach haben die Vertreter der Fraktionen Gelegenheit, eine hoffentlich
lebhafte Diskussion zu führen, die von Herrn Jonas Asendorpf - herzlich willkommen! - moderiert
wird. Er wird versuchen, die Bälle in der Luft zu
halten, die ihm von Ihnen aus dem Stadtrat hoffentlich zugespielt werden. Abschließend wird es
eine Zusammenfassung und ein kurzes Schlusswort geben. - So ist der Plan, so ist die Idee.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, einleitend einige Sätze zum Thema zu sagen!
Manchmal wird mir himmelangst, was wir Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern alles aufbürden. All das, was gesellschaftlich nicht mehr
klappt, all das, was die Familien nicht mehr leisten, all das, was im Erziehungsprozess oder auch
im Straf- oder Sozialisationsprozess misslingt,
sollen die Kolleginnen und Kollegen leisten.
Manchmal ist man da auch ein wenig ungerecht.
Da wird abgerechnet, da wird gewertet, da wird
gepunktet, addiert und wirtschaftlich aufgerechnet. Aber die Erziehung und Begleitung eines
Menschen ist eben kein einfacher Prozess, der
sich wirtschaftlich errechnen lässt. Insofern kann
diese Bildungspolitische Stunde heute vielleicht
dazu dienen, dass wir ein Mehr an Verständnis
entwickeln für die schwierige Arbeit der Begleitung vor Ort insbesondere von jungen, aber auch
von älteren Menschen bei der Bewältigung ihres
Lebens.
Zum Thema „Schulsozialarbeit - Möglichkeiten
und Grenzen“ spricht jetzt Kollege Fabian.
Bürgermeister Prof. Dr. Fabian: Sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte! Sehr geehrter Herr Professor
Speck! Sehr geehrter Herr Noth! Liebe Frau Elias!
Sehr geehrte Gäste! Der Oberbürgermeister hat
eben schon angedeutet: Schulsozialarbeit ist eine
schwierige Aufgabe. Sie ist in Leipzig seit vielen
Jahren fester Bestandteil an den Schulen. Dies ist
auch deshalb der Fall, weil die Stadt Leipzig seit
Jahren kommunale Eigenmittel in erheblichem
Umfang für diesen Leistungsbereich bereitstellt,
mit großer Rückendeckung, ja, mit großer Unterstützung des Stadtrats.
Im laufenden Schuljahr sind auch dank zusätzlicher Mittel des Freistaats 76 Schulen mit Schulsozialarbeit in unterschiedlichen Stellenumfängen
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
ausgestattet. Die Umsetzung erfolgt durch zwölf
freie Träger der Jugendhilfe und nunmehr auch
durch die Stadt Leipzig selbst.
Meine Damen und Herren, im Schuljahr
2000/2010 - das ist noch nicht so lange her - gab
es Schulsozialarbeit an 18 Schulen; wie gesagt,
mittlerweile sind es 76. In den folgenden Jahren
wurde Schulsozialarbeit in Leipzig mehrfach ausgebaut. Mit dieser Entwicklung ist Leipzig nicht allein; auch bundesweit ist die Zahl der Schulsozialarbeiter in den vergangenen Jahren gestiegen.
Diese Entwicklung ist auch deshalb bemerkenswert, weil der Einsatz von Schulsozialarbeit vor
nicht allzu langer Zeit noch als Makel galt, quasi
als Beleg für die Häufung sozialer Problemlagen
an der jeweiligen Schule. Mittlerweile wird sie
auch von Eltern und Schulleitungen an Gymnasien als eine wichtige Unterstützung im schulischen Alltag eingefordert.
Die Herausforderungen im Bereich Schule sind
gestiegen. Dazu gehören in Leipzig steigende
Schülerzahlen, eine weiterhin hohe Zahl von
Schülerinnen und Schülern ohne Schulabschluss,
Suchtproblematiken, die Integration von Kindern
mit Migrationshintergrund, die Inklusion von Kindern mit Förderbedarf sowie sich verschärfende
oder als verschärft wahrgenommene Konflikte im
schulischen Miteinander. Gleichzeitig wird der Lebens- und Lernort Schule mit gestiegenen Erwartungen konfrontiert. Schule soll nicht nur Bildungserfolg sichern, sondern zunehmend auch
die Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten
übernehmen sowie soziale Benachteiligungen
und Konflikte ausgleichen.
Vor diesem Hintergrund soll nun Schulsozialarbeit
als Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Schule
erkennbare Wirkung bei der Bewältigung all dieser Herausforderungen zeigen. Sozialpädagogische Arbeitsmethoden und Zielstellungen bilden
die Grundlage dieser Arbeit. Schulsozialarbeit
ist - im Gegensatz zum verpflichtenden Schulbesuch - ein freiwilliges Angebot. Sie setzt daher auf
Niedrigschwelligkeit und an der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen an. Schulsozialarbeit kann den Blick auf den individuellen
Schüler und die individuelle Schülerin und ihre
subjektiven Anliegen legen, wo Schule notwendigerweise genormte Leistungserwartungen zum
Maßstab nimmt. Schulsozialarbeit kann vertraulich wirken und präventiv Anliegen bearbeiten, bevor diese sich in anhaltenden Problemen wie
Schulabsentismus manifestieren.
Grenzen ergeben sich überall dort, wo Zuständigkeiten und Kompetenzen enden. Meine Damen
und Herren, Schulsozialarbeit kann und soll nicht
die pädagogische Arbeit von Lehrerinnen und
Lehrern ersetzen. Deren erfolgreiche Arbeit bleibt
der entscheidende Faktor für gelingende Bildung
an Schulen. Schulsozialarbeit kann auch nicht alle
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Probleme, die im Kontext des schulischen Alltags
auftreten, selbst lösen. Sie kann jedoch durch vernetztes Arbeiten zielgerichtet und frühzeitig in
passende Hilfeangebote der Jugendhilfe oder außerschulischer Partner vermitteln. Diese Grenzen
sind Begrenzung und Schutz zugleich und fördern
ein partnerschaftliches Miteinander aller Berufsgruppen im Kontext Schule. Wo dies gelingt und
vor Ort alle Akteure an einem Strang ziehen, kann
Schulsozialarbeit einen wichtigen Beitrag dazu
leisten, Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe aller
Schülerinnen und Schüler zu fördern. Schulsozialarbeit soll junge Menschen in ihrer persönlichen
Entwicklung unterstützen.
Um all diese Ziele zu erreichen, muss sich
Schulsozialarbeit auch in Leipzig kontinuierlich
weiterentwickeln. Es gibt viele Fachpublikationen.
Die Fachempfehlungen zur Schulsozialarbeit im
Freistaat Sachsen sind eine wichtige Grundlage
und dienen der Orientierung für Träger der Jugendhilfe und sozialer Leistungserbringer. Auf ihrer Grundlage wollen wir gemeinsam Schulsozialarbeit in Leipzig in Zusammenarbeit mit freien Trägern zukünftig weiter stärken.
Oberbürgermeister Jung: Vielen Dank, Herr
Professor Fabian. - Herr Professor Speck, bitte
schön, Sie haben das Wort.
Prof. Dr. Speck (Universität Oldenburg): Als Hallenser freue ich mich, mal wieder nach Leipzig zu
kommen. - Ich werde im Folgenden einige Aussagen aus, wie es in der Tagesordnung heißt, wissenschaftlicher Sicht zur Schulsozialarbeit treffen.
(Präsentation)
Schulsozialarbeit, das ist ein in den letzten 10, 15
Jahren in der Stadt Leipzig viel diskutiertes
Thema. Ich will in meinem Vortrag auf vier Punkte
eingehen: Erstens. Was verstehe ich unter
Schulsozialarbeit? Zweitens. Warum braucht man
eigentlich Schulsozialarbeit? Welche guten oder
schlechten Gründe gibt es dafür? Ich werde drittens auf die Frage eingehen: Bringt das überhaupt
was? Lohnt sich das überhaupt? Dazu werde ich
durchaus auch ein paar harte Befunde nennen.
Viertens und abschließend werde ich sagen, was
Schulsozialarbeit nicht leisten kann.
Erster Punkt: Was ist Schulsozialarbeit? Sie ist ein
Angebot der Jugendhilfe, das heißt von sozialpädagogischen Fachkräften. Das Fachkräftegebot
ist dementsprechend zu berücksichtigen, was am
Ort Schule stattfindet. Das unterscheidet das Angebot von anderen Maßnahmen der Jugendhilfe,
die außerhalb von Schule stattfinden. Das heißt:
Es gibt eine gewisse Präsenzpflicht der sozialpädagogischen Fachkräfte. Wichtig ist, dass das
Ganze nur funktioniert, wenn Sozialpädagogen
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
S e i t e | 16
und Lehrkräfte tatsächlich miteinander arbeiten.
Die Hoffnung, dass eine Sozialpädagogin bzw. ein
Sozialpädagoge Schule verändern kann, wird
sich nicht erfüllen. Das zeigen alle empirischen
Untersuchungen.
Schulabsentismus! Da muss man mit den Eltern
zusammenarbeiten. Auch Lehrkräfte sind für ein
erfolgreiches Angebot von Schulsozialarbeit dringend notwendig, zumindest als Sekundärzielgruppe.
Es geht auch nicht allein darum, Schülerinnen und
Schüler passgerecht für die Schule zu machen,
sondern es geht deutlich darüber hinaus. Zunächst einmal geht es um individuelle soziale
Problemlagen, aber natürlich auch um schulische
und berufliche Entwicklung.
Ich habe mir mal gewagt - das ist nicht empirisch
abgesichert -, von außen auf Leipzig zu gucken.
Was ist mir aufgefallen? Deutlich erkennbarer politischer Wille, in die Schulsozialarbeit finanziell zu
investieren, trotz des Landesprogramms, was
auch Gelder dafür zur Verfügung stellt. Auffällig ist
die prekäre Finanzierung - das ist immer mit Risiken verbunden -, wenn man Maßnahmen wie das
Bildungs- und Teilhabepaket oder die Landesrichtlinie einbezieht, ohne zu wissen, wie lange
das gilt bzw. wann es der Fördermittelgeber wieder einstellt. Auffällig im Vergleich zu anderen
Kommunen ist auch eine sehr starke Strukturdebatte, also: Ausbau der Stellen, wie viele Stellen,
wer ist zuständig oder an wen wollen wir die Gelder ausreichen. Auffällig ist auch ein hohes Maß
an Unsicherheit und Finanzdiskussion - wobei ich
sagen muss: Meine Datenbasis sind einzelne Gespräche und eine entsprechende Internetrecherche, in denen es vor allem darum ging: Wie war
es in den letzten zehn Jahren, und wie wird es
weitergehen?
Es geht auch darum, zu diskutieren: Was leistet
das Bildungssystem? Wo muss man möglicherweise darauf achten, dass bestimmte Kinder und
Jugendliche, die ungleiche Lebenschancen haben, besser mit dem Schulsystem klarkommen?
Es geht auch darum, Lehrkräfte und Eltern mitzuberaten und auch da in Schule reinzugehen, wo
gegebenenfalls ein Bedarf ist, Schule etwas kindoder jugendgerechter zu machen.
Im Unterschied zu den USA zum Beispiel ist die
Schulsozialarbeit in Deutschland deutlich stärker
präventiv ausgerichtet. Das passt auch zum sehr
klassischen Angebot der Schulsozialarbeit in den
skandinavischen Ländern, in denen sie deutlich
breiter und auch multiprofessioneller aufgestellt
ist, als es zum Beispiel in Deutschland der Fall ist.
Die Frage ist: An wen wendet sich Schulsozialarbeit? Die erste Antwort, die man in der Praxis hört,
ist: an die Problemjugendlichen, die auffällig sind,
die den Unterricht stören und Ähnliches. Wir wissen aus Untersuchungen genau: Das funktioniert
nicht. Welcher Jugendliche geht schon freiwillig
zum Sozialarbeiter oder zur Sozialarbeiterin? Er
geht dort nur hin, wenn dort hinmuss. Dann holt er
sich eine Unterschrift, haut ab und wird nicht wiederkommen. Das heißt: Wir können mit dem Angebot der Schulsozialarbeit nur arbeiten, wenn wir
tatsächlich niedrigschwellig agieren, also auf
Problemlagen, auf Sorgen von Kindern und Jugendlichen eingehen und sie auch entsprechend
ernst nehmen.
Wir müssen auch reagieren, wenn wir Auffälligkeiten oder anderes feststellen, die nicht adäquat
sind. Es geht aber letztendlich auch um alle Kinder und Jugendlichen. Bei Schule konzentrieren
wir uns ja auch nicht nur auf eine bestimmte Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen, sondern
wir sagen: Schule ist für alle da. Es ist auch ein
modernes Verständnis von Jugendhilfe, sich nicht
nur auf Problemgruppen zu fokussieren. Das allein würde auch nicht funktionieren.
Eine zweite Zielgruppe - sie wird in Leipzig „Partner“ genannt - sind Eltern und Lehrkräfte. Aus einer systemischen Sichtweise kommt man an den
Eltern nicht vorbei, wenn man irgendetwas verändern möchte. Nehmen wir einmal das Thema
Es gibt eine konzeptionelle Grundlage, nämlich
dieses Basiskonzept. Ich habe wenig darüber gefunden. Aber das ist tatsächlich ein Außeneindruck; der muss nicht hundertprozentig stimmen.
Es gab aber nur wenige fachliche Debatten, tatsächliche Auseinandersetzungen und Diskussionen auf der Ebene zur der Frage: Wo soll
Schulsozialarbeit hinführen, und wie können wir
sie entsprechend weiterentwickeln?
Ich komme zum zweiten Punkt, der Begründung
von Schulsozialarbeit. Man könnte Schulsozialarbeit relativ einfach begründen, indem man sagt:
Wir konzentrieren uns auf die Problemgruppen.
Allerdings zeigen alle Untersuchungen: Das wird
nicht funktionieren. Das nehmen die Jugendlichen
nicht wahr. Man könnte sagen: Wir machen nur
Freizeitangebote. Es zeigt sich: Das wird schwierig, weil man auch Ansätze haben muss, wie man
an Kinder und Jugendliche herankommen will.
Eine Ausgangsgrundlage ist generell die soziale
Arbeit. Der Auftrag von sozialer Arbeit ist letztendlich eine Reaktion des Staates auf Risiken, Problemlagen und Ähnliches, die nicht unbedingt nur
individuell, sondern auch strukturell verursacht
sind infolge der gesellschaftlichen Modernisierung. Das bedeutet aber auch: Wir haben ungleiche Bildungschancen. Wir haben Kinder und Jugendliche, die in unterschiedlichen Lebenslagen
aufwachsen und sehr unterschiedliche Lebenswelten kennenlernen. Insofern stellt sich die
Frage: Wie können wir da mit sozialer Arbeit unterstützend tätig werden?
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Wir haben insofern Bedarfslagen aus der fachlichen Diskussion heraus, die sich nicht nur und zuallererst auf auffällige Kinder und Jugendliche und
auf Brennpunktschulen konzentrieren, sondern eher im Blick haben: Wie können wir Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen erhöhen, auch
vor dem Hintergrund, dass wir, wenn wir das
rechtzeitig machen, im weiteren Verlauf deutliche
Kosten sparen? Mein Totschlagargument ist immer: Wenn es uns mit Schulsozialarbeit gelingt,
eine Heimeinweisung zu vermeiden, haben wir
die Kosten des Sozialarbeiters oder der Sozialarbeiterin bereits drin.
Es geht auch um andere Sachen wie Mobbing,
Ausgrenzung und Ähnliches. Es geht um Lebenskrisen von Kindern und Jugendlichen; das geht
nicht erst im Alter von 14 Jahren los. Aus sozialpädagogischer Sicht geht es um Lebensbewältigung und der Ausbildung von sozialen Kompetenzen. Das kann sehr wohl im modernen Schulsystem erfolgen. Dafür müsste man aber multiprofessionell zusammenarbeiten.
Ich komme nun zu den Möglichkeiten der
Schulsozialarbeit und habe mich aus pragmatischen Gründen auf einige Zahlen und Aussagen
konzentriert, die wir aus einer aktuellen Untersuchung in Berlin, die ich leite, gewonnen haben. In
Berlin gibt es seit 2006 ein Landesprogramm, das
jetzt erstmalig umfangreich evaluiert worden ist.
Ich habe mal ein paar Zahlen und Eindrücke mitgebracht. Ich beginne mit den Eindrücken.
Das sind Aussagen, die wir von Jugendämtern,
Schulaufsicht und Koordinatoren bekommen haben. Das sind keine Selbsteinschätzungen von
Sozialarbeitern, die natürlich immer sagen, dass
das, was sie machen, erfolgreich ist; das würde
ich ja auch so sagen. Das ist keine repräsentative
Darstellung, sondern ein Eindruck quer durch unterschiedliche Akteursgruppen, was sie zur
Schulsozialarbeit sagen. Vor allem das Letzte ist
ein ganz interessanter Befund. Wir können tatsächlich feststellen: Wenn es gelingt, Schulsozialarbeit länger am Ort Schule zu halten, wird
Schulsozialarbeit vom Makel zum Aushängeschild. Das heißt: Dann wird tatsächlich geguckt:
Was tut die Schule für mein Kind? Dann wird
Schulsozialarbeit eher positiv wahrgenommen.
Diese Entwicklung konnten wir in unterschiedlichen Landesprogrammen feststellen.
Hier ist aufgeschlüsselt, auch nur auszugsweise,
was wir an Rückmeldungen von den unterschiedlichen Akteursgruppen, Schulbereich und Jugendhilfebereich, bekommen haben, was
Schulsozialarbeit - in dem Fall in Berlin - tatsächlich geleistet hat. Man merkt: Das ist nicht nur auf
Kinder und Jugendliche fokussiert; das ist durchaus auch auf Eltern und Lehrkräfte ausgerichtet.
Das geht von der schulischen Entwicklung bis hin
zur Jugendhilfe, der Kooperation von Jugendhilfe
S e i t e | 17
und Schule und in den Sozialraum hinein. Das
heißt: Man sollte sehr genau aufpassen, dass
man Schulsozialarbeit nicht nur auf Problemjugendliche fokussiert. Wir haben deutlich mehr Erträge im Bereich der Schulsozialarbeit, und die
gehen über Einzelschüler hinaus.
Jetzt ein paar harte Fakten. Wir haben die Möglichkeit bekommen, die Bildungsstatistik in Berlin
zu nutzen und die Daten abzurufen. Es hat über
ein halbes Jahr gedauert, bis wir die Genehmigung dafür hatten. Aber dann hatten wir die Zahlen. Was wir nachweisen können, ist: Die obere
hellblaue Linie kennzeichnet die Schulen mit
Schulsozialarbeit. Dort haben wir geguckt: Wie
entwickelt sich die Fehlquote bei den Schülerinnen und Schülern über drei Messzeitpunkte:
2011, 2013 und 2015? Sie erkennen eine Abnahme der Fehlquote. Das heißt: Offensichtlich ist
es mit dem Programm gelungen, die Fehlquote zu
reduzieren. Das spricht für Schulsozialarbeit.
Jetzt war für uns als Forscherinnen und Forscher
die Frage interessant: Wie sieht es an anderen
Schulen aus, die keine Schulsozialarbeit haben?
Könnte es ein allgemeiner gesellschaftlicher
Trend sein? Nein, ist es nicht. Wir haben bei den
Schulen ohne Schulsozialarbeit tendenziell einen
Anstieg der Fehlquote festgestellt, während es an
den Programmschulen mit Schulsozialarbeit eine
Abnahme gab. Vereinfacht formuliert: Die Schüler
kommen häufiger zur Schule, wenn Schulsozialarbeiter da sind. Das ist statistisch entsprechend
abgesichert.
Hier kann man optisch einen Unterschied feststellen. Die hellblaue Linie oben kennzeichnet die Abbruchquote, also: Wer bricht die Schule ab? An
der hellblauen Linie ist erkennbar, dass zumindest
von 2013 bis 2015 eine geringere Abbruchquote
bei den Schulen mit Schulsozialarbeit festzustellen ist, während bei den Schulen ohne Schulsozialarbeit tendenziell eine Zunahme festzustellen
ist. Das können wir aber statistisch nicht sichern.
Wir würden sagen: Da gibt es keinen Unterschied
in der Abbruchquote, bzw. zumindest können wir
es statistisch nicht sichern. Es gibt zwar einen Unterschied in den Beobachtungen, aber dieser Unterschied ist nicht groß genug, um ihn statistisch
sichern zu können.
Dritter und letzter harter Befund. Wir haben uns
die Abschlussquote angeguckt. Hier ist der Befund sehr eindeutig. Die hellblaue Linie verläuft
von unten nach oben. Die Abschlussquote - damit
sind bestimmte höhere Abschlüsse gemeint steigt an den Programmschulen tatsächlich deutlich an, während sie bei den Schulen ohne
Schulsozialarbeit stagniert. Anders formuliert: Wir
können nachweisen: Wenn Schulsozialarbeit an
den Schulen vorhanden ist, führt das dazu, dass
mehr Schüler höhere Abschlüsse erlangen. Das
sind keine Zahlen, die wir uns ausgedacht haben,
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
sondern Zahlen der Berliner Senatsverwaltung,
die über Jahre und Jahrzehnte gesammelt wurden.
Ich komme abschließend zu den Grenzen von
Schulsozialarbeit. Wenn man die Fachdiskussion
verfolgt - hier nehme ich auch mal die politische
Ebene in Mithaftung -, kann man, egal welche Zeitung man aufschlägt oder welche politische Äußerung man hört, feststellen: Immer sollen Sozialarbeiter das Problem lösen. Die Feuerwehr wird im
Regelfall auch nicht für die Feuer, die entstehen,
verantwortlich gemacht. Die Sozialarbeiter aber
sollen im Regelfall alle Probleme lösen. Wenn die
Ganztagsschule in Rede steht, müssen sie dort
die Probleme beheben. Wenn gerade Inklusion
ansteht, sollen sie Probleme mit der Inklusion beheben. Wenn ein Schulabbruch ansteht, müssen
sie sich darum kümmern. Dann macht man das
nächste Programm und wieder das nächste Programm. Das ist nicht das, wie Sozialarbeit erfolgreich wirken kann.
Wir brauchen ein Verständnis von Schulsozialarbeit, das breiter aufgestellt ist. Wir müssen auch
sagen: Was soll Schulsozialarbeit tatsächlich leisten? Empirisch ist nachgewiesen, dass Schulsozialarbeit sehr viel leisten kann. Aber sie kann es
nur dann leisten, wenn wirklich eine Begrenzung
stattfindet und nicht Schulsozialarbeiter für alle
gesellschaftlichen Problemlagen verantwortlich
gemacht werden. Dann besteht eher die Gefahr,
dass es zu Burn-out-Effekten kommt. Wir können
empirisch nachweisen, dass es eine hohe Fluktuation in diesem Bereich gibt. Ich spreche jetzt
nicht für Sachsen. Aber ich habe Untersuchungen
in unterschiedlichen Bundesländern gemacht.
Das heißt: Wir müssen dafür sorgen, dass die
Leute in den Schulen nicht verbrennen.
Letzte Folie: Was sind Schulsozialarbeiter nicht?
Sie sind nicht Feuerwehrfrauen oder Feuerwehrmänner. Das funktioniert nicht. Wenn man einen
Schulsozialarbeiter oder eine Schulsozialarbeiterin an eine Schule schickt in der Erwartung, dass
sich dann Schule ändert, das funktioniert nicht.
Lehrkräfte müssen mitmachen. Lehrkräfte müssen das Ganze auch wollen. Das Ganze muss
auch längerfristig angelegt sein. Die Untersuchungen zeigen, dass wir dafür Zeit brauchen.
Wenn die Zeit zur Verfügung steht, funktioniert es.
Wird es nach einem oder zwei Jahren abgebrochen, funktioniert es nicht. Gehen wir in einen
Projektitismodus - jährliche Projektförderung -, so
ist das wenig erfolgreich.
Schulsozialarbeiter sollen auch nicht für die Unterrichtsergänzung, Mittagessenbetreuung oder -versorgung, Freizeitbespaßung oder Ähnliches eingesetzt werden. Dafür sind sie einfach zu
teuer und, ehrlich gesagt, auch zu gut. Das heißt:
Wenn wir diese Fachkräfte brauchen, müssen sie
S e i t e | 18
adäquat eingesetzt werden und sollten nicht Lückenbüßerfunktionen übernehmen.
Was hat es mit dem Bild von PolizistInnen und
RichterInnen auf sich? Es gibt sogenannte Trainingsraumkonzepte. Dass Schüler, die sich daneben benehmen, zum Schulsozialarbeiter gehen,
mit ihm einen Kontrakt machen und danach geläutert in die Klasse zurückgehen, das funktioniert
nicht. Die Schüler gehen dann nicht sehr gern zu
diesem Sozialarbeiter oder zu der Sozialarbeiterin, weil sie den Eindruck haben, dass diese nur
der verlängerte Hebel der Lehrkräfte sind. Das
heißt: Wir brauchen eine Vertrauensbasis. Wir
brauchen eine freiwillige Inanspruchnahme. Das
zeigen die Studien, die es dazu gibt.
Was auch nicht funktioniert - das ist der sozialpädagogischen Professionalität manchmal inne -,
ist, wenn Sozialpädagogen oder Sozialpädagoginnen die Annahme haben, sie müssten Schule
ändern und sie wären die besseren Lehrkräfte.
Die Untersuchungen zeigen: Das funktioniert
nicht. Wenn man so herangeht und meint, man
könne alles besser, ist das nicht unbedingt die
beste Kooperationsvoraussetzung. Spätestens
dann machen Lehrkräfte zu Recht zu. Insofern
müssen wir gucken, wie man die Kooperation auf
eine gute Basis stellt. Was Schulsozialarbeiter
nicht sind: Sie sind keine billigen Arbeitskräfte, die
das machen, was möglicherweise Lehrkräfte weniger gern machen wollen.
Ich glaube, damit bin ich in der vorgegebenen Zeit
geblieben, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Oberbürgermeister Jung: Herzlichen Dank,
Herr Professor Speck. - Christoph Noth, bitte
schön.
Noth: Schönen guten Tag, werte Damen und Herren! Vielen Dank für die Einladung. Mein Name ist
Christoph Noth. Zusammen mit anderen Schulsozialarbeitern, die sich dort oben auf der Empore
versammelt haben, vertrete ich heute die
Schulsozialarbeiter der Stadt Leipzig. Wir freuen
uns sehr, dass das Thema Schulsozialarbeit
heute auf Ihrer Agenda steht. Aus diesem Grund
haben wir uns gedacht, es wäre gut, wenn auch
wir einen Beitrag zu dieser Bildungspolitischen
Stunde leisten.
Was leistet Schulsozialarbeit für die Schüler an
unseren Schulen? Wieso ist sie so wichtig für Kinder und Jugendliche? Diese Fragen könnten wir
Schulsozialarbeiter Ihnen natürlich beantworten
und erläutern. Aber wir haben uns gedacht, am
besten und anschaulichsten ist, wenn die Schüler
sie beantworten. Also hören Sie selbst!
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Klangcollage:
Schulsozialarbeit ist wichtig, weil wir die
Pausenengel-Ausbildung machen und
weil es auf dem Schulhof dann weniger
Streit gibt.
Schulsozialarbeiter reden mit Kindern
anders und ruhiger, als Lehrer es tun.
Man kann auch zu ihnen gehen, wenn
man Sorgen hat.
Schulsozialarbeit hat mir geholfen, weil
man dort seine Sorgen aussprechen
kann. Wenn man zu Hause Stress hat,
kann man das dort sagen und sich Tipps
holen.
Ich finde Schulsozialarbeit schön, weil
wir Probleme lösen und immer mehr zusammenkommen.
Schulsozialarbeiter sind für mich wichtig,
wenn wir einen Ausflug machen. Auch
wenn es mal Ärger gibt, können sie alles
schlichten.
Ich finde Schulsozialarbeiter gut, weil
man mit denen auch Regeln festlegen
kann.
Meine Schulsozialarbeiter haben mir geholfen, mit dem Mobbing meiner Mitschüler umzugehen. Dadurch bin ich
selbstbewusster geworden. Ich bin froh,
dass sie an unserer Schule sind.
Ich finde meine Schulsozialarbeiter toll,
weil ich mit ihnen nicht nur über meine
Probleme reden kann, sondern auch mit
ihnen meine Erfolge feiern kann.
Schulsozialarbeit ist cool, weil man dann
Klassenfahrten machen kann.
Ohne Schulsozialarbeit wäre unsere
Schule sehr traurig.
Ich finde es cool, dass wir einen Schulsozialarbeiter haben, weil man mit ihm über
alles reden und Streitigkeiten lösen
kann.
Ich finde Schulsozialarbeit gut, weil wir
dem anderen erklären können, was uns
stört.
Ohne Schulsozialarbeit wäre unsere
Schule ein Chaos.
Für mich als Lehrerin ist die Schulsozialarbeit sehr wichtig, weil ich im Schulalltag viel Unterstützung und Beratung bekomme, zum Beispiel bei Problemen im
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Umgang mit Kindern in schwierigen Lebensphasen oder bei der Durchführung
von thematischen Elternabenden.
Schulsozialarbeiter sind ein unverzichtbares Bindeglied zwischen Schülern und
Lehrern und helfen uns vor allem im außerschulischen Bereich. Sie nehmen
uns viel Arbeit ab.
Letztendlich ist die Schulsozialarbeit für
Lehrer und Eltern, aber vor allem für die
Kinder nur von Vorteil; denn diese haben
hier jemanden gefunden, mit dem sie reden können und wo sie Hilfe finden.
Oberbürgermeister Jung: Das verschlägt einem
doch die Sprache, nicht wahr? - Frau Elias, Sie
haben das Wort.
Elias (StadtElternRat): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Beigeordnete! Sehr
geehrte Damen und Herren Stadträte! Sehr geehrter Herr Professor Speck! Sehr geehrter Herr
Noth! Sehr geehrte Eltern, Schüler und Schulsozialarbeiter! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne!
Danke, dass ich heute hier sprechen darf. Danke
auch dafür, dass Sie für die Bildungspolitische
Stunde dieses Thema gewählt haben. Der StadtElternRat arbeitet aufgrund des Schulgesetzes
des Freistaats Sachsen. Wir sind in Beiräten und
Koordinierungskreisen der Kommune vertreten
und bilden die Verbindung zwischen Elternschaft,
Schule, LaSuB und Kommune.
Unserer Wahrnehmung nach hat das Thema
Schulsozialarbeit in den letzten Jahren an Wichtigkeit und an Nachhaltigkeit gewonnen. Schüler
beschreiben sie oft so wie mein Sohn: Bestimmte
Dinge will ich nicht mit dem Lehrer besprechen,
obwohl es Schule betrifft. - Wir nehmen Schulsozialarbeiter als Mediatoren zwischen Schülern,
Lehrern und Eltern wahr. Für uns ist der Schulsozialarbeiter der Spezialist an der Schule, an den
sich der Lehrer wenden kann, wenn es um Mobbing geht, oder an den wir Eltern uns wenden können, wenn wir bei Schulproblemen unserer Kinder
an unsere Grenzen oder an die der Lehrer stoßen.
Aus unserer Sicht täte ein zweiter oder dritter
Schulsozialarbeiter an einzelnen Schulen gut, am
besten männliche; sorry, Mädels. Doch auch wir
sehen, dass nicht jede Schule einen solchen Spezialisten braucht. Ein Indikator ist hilfreich. Jedoch
kann auch der nicht alles erfassen, was zum Beispiel statistisch nicht erhoben wird. Viele Kinder
und Jugendliche sind in psychologischer Behandlung, aber auch Delikte wie Drogenmissbrauch oder Gewalt an der Schule können nicht erfasst
werden.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Ja, Schulsozialarbeit an Oberschulen wird jetzt
vom Land finanziert; sehr gut. Aber: Die Problemlagen an Grund- und Förderschulen und an Gymnasien sind vielleicht etwas anders gelagert, aber
nicht weniger gravierend.
Wir sind sehr froh, dass es Schulsozialarbeit gibt.
Die Auswirkungen einer wachsenden Stadt gehen
auch an uns Eltern nicht vorbei. Stabile soziale
Netzwerke wie Familie und Nachbarschaft sind
nicht mehr so belastbar.
Hinzu kommen die vollen Schulen. Eltern haben
uns berichtet, dass ihr Kind nicht die Schule wechseln kann, weil selbst im weiten Umkreis alle voll
sind. Neuzuzügler müssen sich bis zum Schuljahresbeginn gedulden, bis sie erfahren, an welcher
Schule es im neuen Schuljahr für sie losgeht. Stillbeschäftigung ist wegen fehlender Lehrer an der
Tagesordnung. Das LaSuB berichtet: Klassenwiederholer müssen jetzt die Schule wechseln, weil
die nachfolgenden Klassen voll sind, und das sind
keine Einzelfälle. Das ist ein kalter Schulverweis,
meine Damen und Herren. Dass da Schüler dem
Unterricht fernbleiben, wundert das hier wirklich
jemanden?
Sie wissen, dass es noch Jahre dauern wird, bis
die neuen Schulgebäude stehen und tatsächlich
zu Entlastung führen werden. Gewiss stimmen
Sie mir hier zu: In solch einer schwierigen Situation packt man nicht noch was drauf, sondern.
sucht nach Entlastung für die Beteiligten.
Schulsozialarbeit ist Ihre Möglichkeit, Schule
kurzfristig zu entlasten. Sie wollen mehr wissen?
Sprechen Sie uns an! - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Oberbürgermeister Jung: Herzlichen Dank. Jetzt haben die Fraktionen das Wort. Die CDUFraktion beginnt. Herr Albrecht, bitte schön.
Stadtrat Albrecht (CDU): Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Sehr geehrte Bürgermeister
und Bürgermeisterinnen, Stadträte und Stadträtinnen! Liebe Gäste! Liebe Schulsozialarbeiter!
Lieber Herr Professor Dr. Speck, Herr Noth und
liebe Frau Elias! Schönen Dank für Ihre Beiträge.
Mir fehlte ein wenig der kritische Blick auf das
Thema Schulsozialarbeit; denn wertvoll wird eine
Sache auch dann, wenn man kritisch auf sie
schaut.
Die CDU steht sehr für Schulsozialarbeit; denn
was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Je früher wir beginnen, soziale Probleme zu
erkennen, desto besser für alle Beteiligten. Wir
haben das jetzt aufgeteilt in Sozialräume, wir haben Schwerpunkte gesetzt, und das ist wichtig so.
Herr Professor Speck, Sie haben darauf hingewiesen: Die Arbeit von Schulsozialarbeitern ist
S e i t e | 20
sehr vielfältig. An der Stelle wird es wichtig,
Schwerpunkte zu setzen.
Der Schwerpunkt unsererseits ist an der Stelle
ganz klar: Die Schulabbrecherquoten müssen gesenkt werden. Warum? Leipzig hat fast doppelt so
viele Abbrecher wie Dresden. In Leipzig liegt die
Abbrecherquote bei 10,1 Prozent, in Dresden bei
6,8 Prozent. In Chemnitz liegt sie nach einer Caritas-Studie von 2017 bei 9,4 Prozent. In Sachsen
liegt sie bei 7,6 Prozent, in Sachsen-Anhalt bei
9,8 Prozent. Deutschlandweit liegt sie bei 5,9 Prozent. Noch einmal: Leipzig ist Spitzenreiter mit
10,1 Prozent.
Was passiert mit den Kindern, die keine Bildung
bekommen, aus welchen Gründen auch immer?
Sie sind für ihr gesamtes Leben gehandicapt.
Schlimmstenfalls landen sie ihr Leben lang im Hilfesystem. Das ist entwürdigend für die Menschen.
Dagegen sollten wir alle zusammen etwas tun,
nicht nur die Schulsozialarbeiter, sondern vor allem die Eltern, die Lehrer, wir Stadträte. Das ist
unsere Aufgabe. Persönlichkeit wächst mit den
Aufgaben. Geben wir den Kindern die Chance,
zur Persönlichkeit zu reifen!
Warum sagen wir, dass das Thema Schulabbrecherquote Priorität haben sollte? Das Sozialministerium des Landes Sachsen sagt in den projektbezogenen Zielen ganz klar und eindeutig: Die
Schulabbrecherquote muss als Erstes betrachtet
werden.
Herr Professor Dr. Speck, Sie sprachen davon,
dass in Berlin die Schulabbrecherzahlen sinken,
wenn es Schulsozialarbeit an der Schule gibt. Wir
in Leipzig haben leider noch keine Aussagen
dazu. Die brauchen wir. Herr Professor Fabian,
das ist Ihre Aufgabe. Nehmen Sie die bitte wahr,
damit wir wissen, wo die Zahlen sinken!
Zusammenfassend noch einmal das, was wir wollen: Jeder Leipziger soll wissen, jeder Schüler soll
wissen, jedem Elternteil soll klar sein, der
Schulsozialarbeiter soll es immer vor Augen haben: Senken wir die Abbrecherquote!
Oberbürgermeister Jung: Das Wort hat Frau
Hollick von der Linksfraktion.
Stadträtin Hollick (DIE LINKE): Dieser letzte
Satz ist für mich einfach zu kurz gedacht. - Sehr
geehrter Herr Oberbürgermeister! Herr Professor
Speck, Frau Elias, Herr Noth! Sehr geehrte Bürgermeister*innen, Stadträtinnen und Stadträte!
Liebe Schulsozialarbeiter*innen, Eltern und Zuschauer am Livestream! Schulsozialarbeit, ein
wichtiges Thema. Warum? Einige Gründe haben
wir eben schon gehört; die will ich jetzt nicht wie-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
derholen. Die Gesellschaft und mit ihr die Familien haben sich verändert. Die Widersprüche haben sich verschärft. All das strömt auf die Kinder
und Jugendlichen ein. Fragen des Zusammenlebens, Religion, Drogen, Trennung der Eltern,
Streit mit Freunden, auch Mobbing, all das muss
täglich von ihnen bewältigt werden und beeinflusst Schule. Zum Lösen dieser Widersprüche
brauchen die Eltern und Lehrer*innen Hilfe, und
da ist Schulsozialarbeit eine wichtige Hilfe, ein Kooperationspartner, ein neutrales Korrektiv.
Schulsozialarbeit ist eine klare sozialpädagogische Aufgabe, eine sozialpädagogische Verortung, die Schule braucht. Was mich als Stadträtin
freut, ist, dass unsere Schulen in Leipzig nach
Schulsozialarbeit geradezu lechzen, dass sie sie
wollen. Neben den sieben Berufsschulzentren mit
BVJ, die schon seit Jahren vom Freistaat finanziell gefördert werden, auch aufgrund der beruflichen Veränderungen und der Abbrecherquote,
werden wir ab 2018 nun auch an den Oberschulen vom Freistaat finanziell geförderte Schulsozialarbeit einsetzen können.
Aber auch vonseiten der Stadt wird Schulsozialarbeit finanziell gefördert, nämlich an allen Förderschulen, an 32, ab August an 40 Grundschulen
sowie an zwei Gymnasien. Ich betone: Wir brauchen - das ist ein Ziel der Fraktion DIE LINKE - an
jeder Schule mindestens einen Schulsozialarbeiter bzw. eine Schulsozialarbeiterin. Übrigens haben wir aufgrund der gesellschaftlichen Probleme
an acht Schulen bereits zwei. Ich möchte noch
einmal hervorheben, was die Stadt Leipzig hier
freiwillig leistet: 2,4 Millionen Euro jährlich! Wir sagen: Diese freiwillige Leistung ist notwendig.
Ich möchte darauf hinweisen, warum es wichtig
ist, dass wir Schulsozialarbeit von Anfang an fördern. Durch Schulsozialarbeit konnte an mehreren Grundschulen in den vergangenen Jahren
Kindeswohlgefährdung erkannt und verhindert
werden. Die Presse hat die Fälle bekannt gemacht; Sie werden sich erinnern.
Immer wieder wird auch über Schulverweigerung
gesprochen. Das, was wir sehen, ist die aktive
Schulverweigerung. Aber wo hat die ihre Ursache? Schon in der passiven Schulverweigerung,
befördert von Eltern, die ihre Kinder laufend entschuldigen, sodass Kinder nicht lernen, dass man
im Leben auch Widersprüche aushalten muss.
Das fängt theoretisch schon im Kindergarten an.
Wenn wir es in der Grundschule schaffen würden,
Schulverweigerung zu minimieren, wären wir gut.
Die Problemlage ist an jeder Schule anders, ja.
Aber ich erinnere daran, dass eine der Aufgaben
von Schulsozialarbeit ist, eine Streitkultur zu entwickeln, die hilft, dass die Anzahl der Gewaltdelikte an Schulen sinkt; denn diese haben wir nach
wie vor genug an unseren Schulen.
S e i t e | 21
Lassen Sie mich noch etwas zur Qualität von
Schulsozialarbeit sagen. Wir finden es richtig,
dass die Verwaltung auf eigene Förderrichtlinien
verzichtet und die Fachempfehlungen des Freistaats übernommen hat. Ein offener Arbeitskreis
ermöglicht den Austausch zwischen den Schulsozialarbeitern. Richtig ist, dass mit jedem Schulsozialarbeiter und jeder Schulsozialarbeiterin eine
Zielvereinbarung abgeschlossen wurde. Diese
sollte aber für zwei Jahre gültig und noch genauer
auf die schulische Situation ausgerichtet sein und
dann evaluiert werden. Daran sehen wir, wie wichtig Kontinuität ist.
Schulsozialarbeiter sind dem Berichtswesen unterworfen. Sie haben Statistiken zu erarbeiten und
Kosten abzurechnen. Hier sollte nach Erleichterungen gesucht und darüber nachgedacht werden, ob für diese Arbeit die zur Verfügung stehenden Mittel ausreichen. Der Freistaat hat mit seiner
Förderung verbunden - das wissen die wenigsten
von uns -, dass die finanzielle Quote von 15 Prozent auf 10 Prozent gesenkt wird. Wenn die 10Prozent-Quote nicht eingehalten wird, entfällt die
Förderung. Ich hoffe, dass wir uns darüber Gedanken machen, ob wir diese Mittel trotzdem wieder erhöhen.
Schulsozialarbeit ist eine notwendige zusätzliche
Ressource für die Bildungs- und Aktionsarbeit in
der Schule. Zu Barrieren, an die Schulsozialarbeit
immer noch stößt, sollten wir vielleicht in der anschließenden Diskussion sprechen. Einige sind
von Herrn Professor Speck schon genannt worden. Gerne wäre ich jetzt noch darauf eingegangen, aber meine Redezeit ist limitiert.
Zum Schluss möchte ich mich bei allen Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern für ihre
engagierte Arbeit bedanken. Dass Sie die Kommunikation an den Schulen aufrechterhalten und
wie wichtig Sie sind, das haben die Schülerinnen
und Schüler sehr gut zum Ausdruck gebracht.
Oberbürgermeister Jung: Frau Köhler-Siegel
von der SPD-Fraktion.
Stadträtin Köhler-Siegel (SPD): Sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister! Verehrte Stadträte!
Werte Gäste, die heute schon hier gesprochen
haben! Liebe Schulsozialarbeiter! Herzlich willkommen hier im Haus! Leipzig ist spitze, vor allem
im Bereich Schulsozialarbeit. Das zeigen die
Übersichten im Förderkonzept zur Richtlinie des
Sächsischen Staatsministeriums für Soziales zur
Förderung von Jugendsozialarbeit an Schulen im
Freistaat Sachsen. Leipzig ist aber auch spitze bei
der Zahl der Jugendlichen, die die Schule ohne
Abschluss verlassen, und bei der Zahl der Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Schulschwän-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
S e i t e | 22
zens. Wir können leider noch nicht solche Auswirkungen betrachten, wie Sie zu Berlin ausgeführt
haben. Aber Schulsozialarbeit braucht Zeit; zaubern kann sie nicht. Wir haben uns in langen Diskussionen mit Steuerungskonzepten befasst und
werten die Aussagen des Schulsozialreports immer wieder gründlich aus. Dennoch haben wir
weiterhin diese Probleme.
Feuerwehr, als Polizisten, als Richter und als Harmoniebeauftragte an Schulen, danke, dass es Sie
gibt und dass Sie heute hier sind.
Schulsozialarbeiter an Oberschulen und Förderschulen können keine Wunder vollbringen. Sie
sollen alle Unzulänglichkeiten des sächsischen
Bildungssystems ausgleichen. Es sind die Stellung dieser Schularten bei der Besetzung mit ausgebildeten Lehrkräften, die veränderten Regelungen zum Übertritt an das Gymnasium und nicht
zuletzt auch die sozialen Problemlagen, die sich
an diesen Schularten häufen und potenzieren, die
die Grenzen von Schulsozialarbeit aufzeigen. Im
Förderkonzept des Freistaats wird das als „Zielkonflikt“ beschrieben.
Stadträtin Krefft (Bündnis 90/Die Grünen): Sehr
geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrter
Herr Professor Fabian! Sehr geehrter Herr Professor Speck! Sehr geehrter Herr Noth und sehr geehrte Frau Elias! Sehr geehrte Herren und Damen
Stadträte! Liebe Gäste und Medienvertreter*innen! Guten Tag! Schon seit Ende 2009 beschäftigt
uns das Thema Schulsozialarbeit, das damals
mithilfe von Bundesmitteln an ausgewählten Mittelschulen, wie sie früher hießen, realisiert wurde.
„Leipzigs Schulsozialarbeit braucht Zukunft“, so
der Titel einer Podiumsdiskussion am 25.06.2013,
von mir und meiner Fraktion Bündnis 90/Die Grünen initiiert, begleitend zu einem Antrag meiner
Fraktion, das damals noch zarte Pflänzchen der
Schulsozialarbeit in Leipzig zu sichern und weiter
auszubauen - trotz des Auslaufens der Bundesförderung über das Bildungs- und Teilhabepaket
und trotz der anhaltenden Verweigerungshaltung
des Freistaats an einer Übernahme der Verantwortung für dieses Aufgabenfeld. Schulsozialarbeit wurde so durch anhaltende Initiativen der
Fraktionen zu einem rein kommunal finanzierten
präventiven Angebot in Leipzig ausgebaut.
Mit ihren begrenzten zeitlichen Ressourcen können Schulsozialarbeiter nicht alle sozialen Problemlagen lösen, die Schulabbrecherquote senken, die Zusammenarbeit mit Eltern, Lehrern und
Kooperationspartnern organisieren und nebenbei
auch noch Konzepte schreiben und sie evaluieren.
Wir haben im Rat das Steuerungskonzept für den
Leistungsbereich Schulsozialarbeit beschlossen.
Für uns heißt „steuern“ aber nicht: gängeln, bedrängen. Vielmehr ist es Aufgabe der Verwaltung
und der Politik, genau hinzuhören und zu analysieren, welche Problemlagen die Schulsozialarbeiter vor Ort haben. Nicht nur zuhören, nein,
auch schnelles Handeln sowohl vom ASD als
auch vom Ordnungsamt und anderen Ämtern und
Kooperationspartnern ist notwendig. So heißt es
in der Präambel zum Leitbild der Landesarbeitsgemeinschaft für Schulsozialarbeit:
Die Basis unseres gemeinsamen Handelns sind Fachlichkeit, Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung. … Gemeinsames Handeln erzeugt eine größere
Wirkung.
Das gilt nicht nur für Sie, das gilt auch für die Ämter hier im Haus und für uns Stadträte.
Um die Schulabbrecherquote wirksam zu senken,
braucht es vieler Akteure. Vor allem muss deutlich
früher gefördert, aber auch gefordert werden. Das
heißt für meine Fraktion: Schulsozialarbeit gehört
schnellstmöglich an die Grundschulen. Aber auch
das wird nicht ausreichen. Wir müssen auch das
System der Kinder- und Familienzentren deutlich
ausbauen.
Schulsozialarbeit braucht Wertschätzung. Liebe
Schulsozialarbeiter, ich habe großen Respekt vor
Ihrer Arbeit. Sie als eierlegende Wollmilchsau, als
Oberbürgermeister Jung: Frau Krefft von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Der Stadtrat von Leipzig hat sich damals wie
heute eindeutig zur Schulsozialarbeit bekannt.
Die Vorreiterschaft in Sachsen und in Deutschland wurde politisch durchgesetzt. Aber: Die Stadt
musste stark in Vorleistung gehen. Mit den folgenden Haushalten wurde die Schulsozialarbeit in
Leipzig mit städtischen Mitteln ausgebaut und
fachplanerisch untersetzt. Das Blatt hat sich - Sie
haben es schon gehört - mittlerweile gewendet.
Sogar das Land hat seine Position geändert und
beteiligt sich nunmehr aktiv an der Finanzierung
dieses aus unserer Sicht wichtigsten sozialpräventiven Angebots überhaupt.
Bildung ist der Schlüssel zur Zukunft eines Kindes, einer Gesellschaft. Was aber soll ein Heranwachsender allein mit dem Schlüssel? Das Tor
auch aufzuschließen, wird vielen durch Schulsozialarbeit ermöglicht. Während Lehrerinnen und
Lehrer mit ihren pädagogischen Fähigkeiten die
Kinder inhaltlich auf ihrem Bildungsweg begleiten,
sind es die Eltern, die den Kindern den Weg ebnen. Wie oft aber können sie diese Unterstützung
nicht leisten? Wie viele Eltern sind mit dem Auskommen im Beruf und im Leben ausreichend gefordert? Auf die Ungleichheiten sind Sie eingegangen, Herr Professor Speck.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Bei der Schulsozialarbeit geht es ganz stark um
die Unterstützung sozial benachteiligter Kinder,
um Chancengleichheit, aber längst nicht nur.
Schulsozialarbeit macht alle Kinder stark, solche,
die wir als bildungsbenachteiligt kategorisieren,
solche, die sozial enorm belastet sind und wo
Schulsozialarbeit eng an der Seite des ASD mit
den erzieherischen Hilfen arbeitet. Aber Schulabstinenz ist keine Frage des sozialen Status.
Mobbing ist Alltag im Leben jedes Schülers und
jeder Schülerin. Klar benennen möchte ich hier
darum auch das Arbeitsfeld der Kindheit und Jugend allgemein. Schulsozialarbeit wirkt bis hin zu
dem breiten Feld der Höhen und Tiefen, die alle
Kinder beim Aufwachsen durchleben, ein höchst
vulnerabler Lebensabschnitt.
Schulsozialarbeit leistet damit einen wesentlichen
Beitrag zum Gemeinwesen. Sie arbeitet niedrigschwellig, verbindet das System Schule mit der
Elternarbeit, entlastet Pädagogen und ist das Bindeglied zwischen Jugendhilfe und Familien. Sie
arbeitet anwaltschaftlich für die Kinder und ist
freundschaftlich konnotiert. Ihr Auftrag ist nicht
das Erreichen von Bildungszielen. Das ist ganz
klar Aufgabe der Lehrerschaft. Aber: Schulsozialarbeit verschafft den Kindern den Freiraum, ihre
Bildungsziele zu erreichen, weil sie dort Unterstützung finden, um ihre Probleme im Elternhaus, in
der Peergroup oder im System Schule zu klären
oder gar zu lösen. Und damit trägt sie zu einem
akzeptierenden Klima in der Schule bei, einem
Klima, das nötig ist, um Schule tatsächlich zu einem Bildungsort zu machen und noch mehr zu einem Lebensort, wo Kinder gerne den Großteil ihrer Zeit verbringen. - Danke schön.
Oberbürgermeister Jung: Das Wort hat Herr
Kriegel von der AfD-Fraktion.
Stadtrat Kriegel (AfD): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Beigeordnete! Sehr
geehrte Damen und Herren Stadträte! Liebe
Schulsozialarbeiter! Liebe Gäste und Medienvertreter! Schulsozialarbeit soll als Regelaufgabe
etabliert werden. Im Klartext heißt das: Ziel ist, an
jeder Schule einen Schulsozialarbeiter zu installieren. Schulsozialarbeit wird zum pädagogischen
Grundbedürfnis hochstilisiert. Wenn dem so ist,
dann frage ich mich, warum das Schulsystem in
vergangenen Jahrzehnten auch ohne Schulsozialarbeit so gut funktioniert hat.
Die derzeitigen Probleme an den Schulen haben
sicher vielfältige Ursachen. Eine davon ist in einer
verfehlten Bildungspolitik, spätestens seit der
Wiedervereinigung, zu finden. Eine andere Ursache besteht darin, dass viele Familien aufgrund
des hohen Erwerbsdrucks so viel Zeit mit Arbeit
S e i t e | 23
verbringen müssen, dass sie sich nicht mehr hinreichend um ihre Kinder kümmern können. Die
Kinder bleiben sich teilweise selbst überlassen,
verwahrlosen oftmals und geraten leider in nicht
wenigen Fällen auf die schiefe Bahn.
Hier kann Schulsozialarbeit nicht mehr als eine
Symptombehandlung sein. Wollen wir das Problem an der Wurzel kurieren, brauchen wir eine
umfangreiche Familienförderung von Eltern und
Alleinerziehenden statt den ständigen Ruf nach
immer mehr Schulsozialarbeitern. In dem vom
Stadtrat zuletzt beschlossenen Steuerungskonzept für den Leistungsbereich Schulsozialarbeit
heißt es in Punkt 1:
Schulsozialarbeit kommt auch im Hinblick auf Bildungserfolg eine große Bedeutung zu.
Verwunderlich ist nur, dass immer mehr Schulsozialarbeit in Leipzig auch nicht zur Lösung der
Probleme an unseren Schulen beiträgt. Trotz einer kontinuierlichen Zunahme der Anzahl von
Schulsozialarbeitern haben sich die Probleme in
unserer Stadt in den letzten Jahren verschärft. Ein
trauriger Beleg ist, dass die Schulabbrecherquote
seit 2011 - Frau Krefft, hören Sie bitte genau zu konstant über 10 Prozent liegt. Das heißt im Klartext: Mehr als jeder zehnte Schüler in Leipzig geht
ohne Schulabschluss ins Leben. Was für ein trauriger Rekord für Leipzig seit Bismarcks Zeiten!
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich die
Probleme in den Schulbezirken mit einem überdurchschnittlichen Migrantenanteil in den letzten
Jahren zusätzlich verschärft haben. Schlussendlich ein Ergebnis einer verfehlten Zuwanderungsund Migrationspolitik, welche auch unsere Kommune leider kritiklos mitträgt. Ich erinnere daran,
dass Oberbürgermeister Burkhard Jung neulich
berichtete: 40 Prozent der Migranten in Sachsen
leben in Leipzig.
Es muss wieder möglich sein, dass Pflichtverletzungen und Respektlosigkeiten konsequent von
jedem Lehrer, welcher normalerweise aufgrund
seiner sozialpädagogischen Grundausbildung die
Kompetenz dafür hat, sanktioniert werden können.
Die Sozialarbeiter mühen sich sicherlich nach
Kräften. Aber Schulsozialarbeit kann keine gesellschaftlichen Defizite heilen. Sie muss jedoch zunehmend als Reparaturinstrument für die Schäden herhalten, welche unsere Gesellschafts- und
Staatspolitik verursacht haben.
Die Diskriminierung bürgerlicher Lebensideale,
gerade durch die linksideologischen libertären
Gesellschaftsvorstellungen, entbehrt allen sogenannten Sekundärtugenden, die aber für einen
sozialverträglichen Umgang miteinander unabdingbar sind.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Die antiautoritäre Ideologie der letzten 30 Jahre
untergräbt die Autorität sämtlicher Amtspersonen
und raubt damit auch den Lehrern und Erziehern
ein unverzichtbares Instrument der Menschenführung und der emotionalen Fürsorge. Wir müssen
zu einer Kultur der verbindlichen sozialpädagogischen Regeln zurückfinden. Das setzt voraus,
dass dem Lehrer wieder der Rang einer Respektperson, auch mit Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet, zukommt.
Selbiges muss natürlich politisch gewollt sein. Ich merke gerade an Ihren Reaktionen, dass bei
Ihnen immer noch kein Umdenken stattgefunden
hat. - Dass dieses Ziel erreicht wird, dafür gibt es
allerdings unter der gegenwärtigen links-grünschwarz dominierten Bildungspolitik wenig Hoffnung. - Sie können darüber nur lachen. Ich finde,
es ist traurig, dass Sie darüber lachen.
Oberbürgermeister Jung: Ich bitte um Ruhe.
Stadtrat Kriegel (AfD): Dass dieses Ziel erreicht
wird, dafür gibt es allerdings unter der gegenwärtigen links-grün-schwarz dominierten Bildungspolitik wenig Hoffnung. Und so werden wir leider im
sächsischen wie im bundesdeutschen Bildungssystem auch weiterhin Schulsozialarbeiter brauchen, um die gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten zu reparieren.
Wir werden sicher nicht von heute auf morgen die
Schulsozialarbeit an den Schulen überflüssig machen können. Wir sollten jedoch an den Ursachen
arbeiten, um mittelfristig den Lehrerberuf wie in
anderen erfolgreichen Bildungsländern - zum Beispiel Finnland, Japan, China - wieder mit den ursprünglichen sozialpädagogischen Kompetenzen
auszustatten und somit ein notwendiges Umdenken einleiten zu können. Nur so ist der derzeitigen
Erkenntnisblockade - das beweisen Ihre Reaktionen hier - im Bildungsbereich zu begegnen. - Ich
danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Sehr nett von Ihnen!
Oberbürgermeister Jung: Das Wort hat Frau
Witte von den Freibeutern.
Stadträtin Witte (Freibeuter): Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Liebe Stadträtinnen und
Stadträte! Liebe Gäste auf der Tribüne! Vor allem
begrüße ich die Schulsozialarbeiter, die heute hier
anwesend sind. Sehr geehrte Vorredner und Referenten! Ich will jetzt einen neuen Aspekt in die
Diskussion einbringen. Die Diskussion über
Schulsozialarbeit erweckt manchmal den Eindruck, man müsse nur genügend Schulsozialarbeiter in den Schulen installieren und alles wird
S e i t e | 24
gut. So ist auch die Annahme weit verbreitet, die
Schulsozialarbeiter wären allein in der Lage, die
enorm hohe Quote der Schulabbrecher und Jugendlichen, die die Schule ohne Schulabschluss
verlassen, zu senken.
Die Ziele von Schulsozialarbeit in der Broschüre
der Stadt Leipzig erwecken den Anschein, ein
Schulsozialarbeiter sei eine Art Superman, der in
den Schulen im Handumdrehen alle Probleme lösen kann. Um ein paar dieser Probleme zu benennen, will ich einige aus der Liste zitieren: Abbau
bzw. Ausgleich individueller Bildungsbenachteiligungen im Einzelfall, Verringerung von Verhaltensauffälligkeiten, Verringerung von Versagensund Schulängsten, Verringerung von körperlichen
und verbalen Angriffen auf Lehrer, Abnahme von
Delinquenz, Verringerung der Anzahl von Gewalt-, Drogen- und Ehrdelikten sowie Sachbeschädigungen. - Das ist eine Menge Holz und
starker Tobak.
Diese kurze Aufzählung zeigt schon, welch hohe
Erwartungen an die Arbeit von Schulsozialarbeitern geknüpft werden. Dabei habe ich in dieser
Aufzählung noch nicht einmal die Problematik der
Arbeit mit den Eltern erwähnt. Aus Gesprächen
weiß ich, wie schnell die Schulsozialarbeiter bei
den bestehenden Problemlagen in ihrer täglichen
Arbeit an Grenzen stoßen können und wie frustrierend das für manche ist.
An dieser Stelle will ich auf einen Aspekt zu sprechen kommen, den ich in meiner Rede besonders
herausstellen möchte. Schulsozialarbeit kann
nicht im luftleeren Raum stattfinden. Schulsozialarbeit muss immer Teil des Systems Jugendhilfe
sein. Man kann Schulsozialarbeit nicht denken
ohne die Einbindung in die Jugendhilfe; denn der
Schulsozialarbeiter allein ist, wie gesagt, nicht in
der Lage, die vorhandenen vielfältigen Problemlagen an den Schulen zu lösen. Er braucht als Hinterland ein funktionierendes System der Jugendhilfe, auf das er einen schnellen und direkten Zugriff haben muss. Er befindet sich - bildlich gesprochen - an vorderster Front der Jugendhilfe,
wodurch sich durch einen flächendeckenden Einsatz von Schulsozialarbeitern die große Chance
bietet, einen engen Kontakt zwischen den Jugendlichen und der Jugendhilfe herzustellen.
Das heißt für uns als Stadtrat und als Verwaltung:
Nur wenn wir den Schulsozialarbeitern ein funktionierendes Jugendhilfesystem bereitstellen, kann
er die von uns erwarteten Leistungen auch erbringen. Ich nenne hier nur als Beispiel die Hilfen zur
Erziehung, wo wir dringend unsere Hausaufgaben zu machen haben. Stellen wir den Schulsozialarbeitern ein funktionierendes Jugendhilfesystem nicht zur Verfügung, können wir auch nicht erwarten, dass sie unsere hohen Erwartungen an
ihre Arbeit erfüllen können. Also packen wir es an!
Lösen wir die Probleme, die zu lösen sind! Geben
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
wir den Schulsozialarbeitern das an die Hand,
was für ihre Arbeit dringend notwendig ist: ein gut
funktionierendes System der Jugendhilfe! Danke.
Oberbürgermeister Jung: Vielen Dank für die
zeitlich disziplinierte Aussprache.
Ich übergebe nunmehr die Leitung an Jonas
Asendorpf - Premiere: ich räume meinen Platz -,
der die Diskussion moderieren wird. - Behalten
Sie das Heft des Handelns in der Hand! Alles
Gute! Sie haben das Wort.
(Übergabe der Sitzungsleitung an
Jonas Asendorpf)
Asendorpf (Moderator): Herzlich willkommen
auch noch mal von meiner Seite! Ich wurde von
Frau Klöter telefonisch gebeten, die Moderation
zu tätigen. Sie fand, das sei eine ganz interessante Aufgabe. Es ist etwas ungewohnt für mich,
hier so beengt auf dem Platz zu stehen, wo sonst
die Beigeordneten sitzen.
(Präsentation)
Ich möchte nur ganz kurz anreißen, was wir uns
überlegt haben, wenn Sie jetzt Schulsozialarbeit
diskutieren. Es gab nach der letzten Bildungspolitischen Stunde vom Ältestenbeirat wohl die Weisung, die Diskussion etwas produktiver zu gestalten und klare Ableitungen für die Verwaltung zu
generieren.
Ich habe mir von Herrn Professor Fabian den Auftrag geholt, was damit später passieren soll. Die
klare Aussage war: Da Sie als Stadtrat fraktionsübergreifend Schulsozialarbeit ermöglicht, gefördert und gefordert haben und auch einen hohen
finanziellen Betrag dafür bereitstellen konnten
und damit dafür gesorgt haben, dass das fliegt in
Leipzig wie in kaum einer anderen Stadt, ist es
jetzt, in der Mitte des Fluges, an der Zeit, sich mit
der Frage zu beschäftigen: Wo stehen wir denn?,
und sich anzugucken wie in jeder vernünftigen Organisation: Was läuft aus Ihrer Perspektive gut?
Was müsste man beibehalten und bewahren, und
wo wäre es vielleicht an der Zeit, etwas neu anzupacken und zu erneuern?
Dynamik zwischen Bewahren und Erneuerung,
das ist immer gut. Ich würde auch gern die Frage
zur Diskussion stellen: Wo gibt es noch Bedarf?
Ich habe hier ein Vier-Felder-Schema aufgelegt.
Das ist ein Klassiker, der sich, aus dem englischsprachigen Sprachraum kommend, SWOTAnalyse nennt: Stärken, Schwächen, Chancen
und Risiken. Genau das würde ich versuchen, aus
Ihren Beiträgen herauszuhören und zu notieren.
S e i t e | 25
Sie sehen an dem Chart schon die Ergebnisse
aus Ihren Fraktionsbeiträgen. Und so würde ich
es gern auch weiter halten und weitere hinzufügen. Wenn Sie sie nicht sehen: Das dient vor allem der Ergebnissicherung. Daraus kann die Verwaltung später Ableitungen entnehmen, und Sie
haben ein verbindliches Ergebnis für den heutigen
Tag.
Ich eröffne die Diskussion. Es geht zunächst darum, zu schauen: Wo ist Schulsozialarbeit schon
richtig gut? Dazu haben wir schon einiges gehört.
Es bestand dazu relativ große Einigkeit, wie man
hier ablesen kann: zum Beispiel in den Bereichen
Verbesserung des Schulklimas, Senkung von Gewalt, Senkung der Abbrecherquote. Ich habe auch
schon gehört: Schulsozialarbeit ist kein Allheilmittel. Man darf sie nicht hochstilisieren. Aber was
könnte man denn noch tun? Was sollte man aus
Ihrer Perspektive definitiv beibehalten, und wo
gibt es aus Ihrer Sicht tatsächlich Nachbesserungsbedarf?
Bitte.
Stadtrat Geisler (SPD): Ich spreche als ehemaliger StadtElternRatsvorsitzender. Schon damals
war das eines meiner Herzensanliegen. Es ist vorhin schon angesprochen worden: Wir brauchen
an Problemschulen, aber nicht nur dort Unterstützung durch Schulsozialarbeit. Im Zweifelsfall
müssten wir uns einig sein, dass einige Schulen
sie vielleicht nicht so dringend brauchen, andere
Schulen sie aber besonders dringend brauchen
und dass sie dort auch doppelt, also männlich und
weiblich, vorhanden sein sollte, um alle an dieser
Schule zu erreichen.
Die Stadt muss schneller reagieren. Wir machen
Zielvereinbarungen. Wir erhalten Protokolle von
den Schulsozialarbeitern, in denen sie die Problemlagen beschreiben. Eine halbe Stelle in dieser
Stadt wird nicht ausreichen, um die eingehenden
Berichte von allen Schulsozialarbeitern zu bearbeiten. Wir müssen das ernst nehmen. Wir müssen schnell reagieren. Die Hilferufe aus einigen
Schulen sind sehr laut und deutlich. Einige
Schulsozialarbeiter sind inzwischen schon verbrannt. Dem müssen wir entgegenwirken. Da
müssen wir deutlich besser werden.
Wertschätzung war vorhin schon ein Thema.
Herzlichen Dank für die Arbeit, die Sie an den
Schulen machen. Ich glaube, das sollten wir im
Arbeitskreis viel häufiger sagen und gerade auch
in diesem Raum artikulieren.
Schulsozialarbeit braucht Zeit. Wir müssen das
Ganze entkoppeln von Förderprogrammen, von
Haushaltsplänen oder Ähnlichem. Wir müssen die
Stellen auf lange Zeit sichern, auch über Legislaturperioden hinaus. Schulsozialarbeit braucht
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Vertrauen, braucht Zeit, muss wachsen. Sie muss
auch schulartübergreifend sein. Wir müssen dafür
sorgen, dass Schulsozialarbeit auch die Übergänge zwischen den verschiedenen Schularten
begleitet.
Im Hinblick auf Zugezogene würde ich mir schon
wünschen, dass Schulsozialarbeiter etwas kultursensibler ausgebildet werden und dass wir als
Stadt mehr Dolmetscher zur Verfügung stellen;
denn Schulsozialarbeit braucht immer auch die
Sprache als Instrument. Die Sprache als Instrument einzusetzen, nützt nur dann, wenn man den
anderen versteht und von ihm verstanden wird.
Wir brauchen ein breiteres Angebot an Dolmetschen, die verbal zwischen Schule und Eltern,
aber auch zwischen Elternrat und Eltern von Kindern vermitteln. Aus dieser Aufgabe hat sich der
Freistaat leider Gottes massiv herausgezogen.
Zum Thema Aufsuchen. Früher gab es die aufsuchende Elternarbeit für Lehrer. Diese ist vom Freistaat massiv gekürzt worden. Aber nur wer das
Umfeld der Kinder und ihrer Familien kennt, kann
auf Problemlagen eingehen. So gesehen ist die
Frage, ob wir aufsuchende Schulsozialarbeit thematisieren sollten.
Ein wichtiges Thema ist auch das Einbinden von
Schulsozialarbeit in schulische Demokratie. Welchen Platz hat der Schulsozialarbeiter in der
Schulkonferenz? Wie wird er gehört von der Lehrerkonferenz, vom Elternrat?
Die Schulabbrecherquote wird von der CDUFraktion immer wieder gern thematisiert - und das
obwohl sie im Zweifelsfall an Ihrer verfehlten Bildungspolitik im Freistaat liegt. Hierzu muss man
klar sagen: In einer Stadt, wo etwa 8 Prozent aller
Schüler Förderschulen besuchen, die keinen adäquaten Abschluss ermöglichen, ist diese Quote
doch schon per se gesetzt. 8 Prozent aller Schüler
verlassen die Schule ohne Abschluss, weil sie an
einer Förderschule gar keinen Abschluss erreichen können. Wenn dann noch ein paar von anderen Schulen dazukommen, steigt die Quote
schnell auf die von Ihnen genannten 10,1 Prozent.
Wir müssen künftig stärker zwischen Schulabbrechern und Schülern, die ohne Abschlusszeugnis
die Schule verlassen müssen, differenzieren. Es
gibt in Leipzig extrem viele Förderschulen, die
noch dazu relativ voll sind. Zwischenzeitlich haben bis zu 8,6 Prozent aller Schüler in Leipzig an
Förderschulen gelernt, und kaum einer hatte den
Anspruch auf einen Schulabschluss innerhalb des
sächsischen Bildungssystems.
So gesehen bin ich bei Ihnen, aber in der Konsequenz heißt das: Das Problem Schulabbrecher ist
zu benennen, aber nicht mit dem Problem Schulabstinenz zu vermischen, und es ist konsequent
und stringent, zwischen Schule und Ordnungsamt
abgestimmt, zu reagieren, und zwar schnell.
S e i t e | 26
Asendorpf (Moderator): Danke. - Weitere Wortmeldungen? - Bitte.
Stadträtin Hollick (DIE LINKE): Wir haben nicht
erreicht, auch nicht durch eine Massenpetition
des StadtElternRats 2014, dass Schulsozialarbeit
verbindlich im Schulgesetz als sozialpädagogische Arbeit und als Bindeglied - das hat Frau
Witte gut herausgearbeitet - zwischen Jugendhilfe
und Schule verortet wird. Solange es uns nicht gelingt, das zu verorten, wird es immer wieder so
sein, dass wir als Stadt in Vorleistung gehen müssen, weil wir die Notwendigkeit erkannt haben.
Bei den Gesprächen, die ich geführt habe, hatte
ich den Eindruck, dass Schulsozialarbeit zu einem
positiven Klima an den Schulen geführt hat und
die Barriere, dass Schulsozialarbeit von der Mehrzahl der Lehrer abgelehnt wird, nicht mehr existiert. Im Gegenteil: Umso mehr sich unsere Lehrerschaft verjüngt, desto mehr wird Schulsozialarbeit als ergänzendes Moment anerkannt.
Noch ein Drittes, was mir wirklich am Herzen liegt,
nämlich die Frage der finanziellen Wertschätzung
eines Schulsozialarbeiters. Was er alles machen
soll und wie er bezahlt wird, steht meiner Ansicht
nach in einem starken Widerspruch, den wir sicherlich nicht lösen können; das sehe ich auch so.
Aber wenn wir diesen nicht ebenso wie seine
Pflichten benennen, wird sich daran nichts ändern. Ich halte auch das für dringend notwendig.
Asendorpf (Moderator): Danke. - Weitere Wortmeldungen? - Bitte.
Stadträtin Köhler-Siegel (SPD): Ich schließe
mich dem Beitrag von Andreas Geisler an. Nicht
jede Schule, die laut nach Schulsozialarbeit ruft,
ist dann auch die, die extrem gut damit ausgestattet werden sollte. Wir müssen wirklich schauen,
dass Schulsozialarbeit an den Schulen auf eine
Willkommenssituation treffen, dass sie also auch
von der Lehrerschaft angenommen wird. Es kann
durchaus sein, dass wir an manchen Schulen
mehr als einen Schulsozialarbeiter brauchen und
dort zwei oder sogar drei eingesetzt werden müssen. Es gibt aber auch Schulen, die sagen: Das
brauchen wir nicht. Wir bekommen das auch so
hin. - Das muss auch in Ordnung sein. Ich finde
es sehr gut, dass wir hier in Sachsen auch die Eigenständigkeit von Schule stärken wollen. Das ist
ein sehr guter Ansatz.
Asendorpf (Moderator): Okay. - Bitte.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
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Stadträtin Hollick (DIE LINKE): Es wäre natürlich
gut, wenn man eine Diskussion mit den Schulsozialarbeitern, die jetzt auf der Tribüne sitzen, führen könnte. Sonst schmoren wir hier wieder nur im
eigenen Saft.
sie brauchen genauso Schulsozialarbeit wie alle
anderen Schüler auch.
Asendorpf (Moderator): Es obliegt nicht mir, jemanden zu Ihren Diskussionen einzuladen. Deshalb stehe ich dem jetzt eher neutral gegenüber.
Stadtrat Kriegel (AfD): Schulsozialarbeit soll laut
Sozialgesetz und laut Bildungsgesetz an den
Brennpunkten stattfinden. Schade ist, dass in
Leipzig inzwischen jede Schule ein Brennpunkt zu
sein scheint. Das liegt nicht nur an der verfehlten
Bildungspolitik in Sachsen, die zu wenige ausgebildete Lehrer und stattdessen zu viele Seiteneinsteiger einsetzt, die kaum angelernt werden und
keine pädagogischen Fähigkeiten haben, sondern das liegt auch am fehlenden Schulbau. Da
ist Leipzig jetzt auf einem guten Weg. Aber wenn
es zu wenige Schulen gibt, sind die Klassen überfüllt. Dann werden natürlich auch die Brennpunkte
größer.
Gibt es weitere Wortmeldungen hier aus Ihrem
Plenum? Gibt es Dinge, von denen Sie sagen:
Das läuft richtig gut, das wollen wir weiter so beibehalten, oder wo sehen Sie noch Optimierungspotenzial seitens der Verwaltung, was über das
Wohl und Wehe von Schulsozialarbeit hinausgehen? - Bitte.
Stadträtin Dr. Märtens (Bündnis 90/Die Grünen):
Noch ein paar Details zu der Frage: Was kann
Verwaltung noch verbessern? Die materielle Ausstattung und die Ausstattung mit Sachkosten.
Es ist wirklich wichtig, dass Schulsozialarbeit einen geeigneten Raum in der Schule hat, also
nicht im Keller oder in der Abstellkammer. Es ist
besonders wichtig, dies bei den neu zu bauenden
und zu sanierenden Schulen zu beachten.
Schulsozialarbeit braucht nicht nur irgendeinen
Raum, sondern einen guten Raum, der sich auch
für Gruppenarbeit eignet.
Es ist wichtig, dass Schulsozialarbeit über genügend Fahrkostenmittel verfügt, um selbst mit
Schülerinnen und Schülern Exkursionen machen
zu können.
Es ist wichtig, dass genügend Sachkosten für die
Materialien zur Verfügung gestellt werden. Materialien für Schulsozialarbeit kann man nicht mit
Lehrmittelfreiheit gleichsetzen. Die Materialkosten für Schulsozialarbeit müssen bezahlt werden.
Es ist notwendig, dass so viel Schulsozialarbeiter*innen eingestellt werden, dass es eine Vertretungsregelung unter den Schulen gibt; denn auch
Schulsozialarbeiter*innen werden mal länger
krank. Dann darf Schulsozialarbeit nicht ausfallen.
Asendorpf (Moderator): Danke. - Bitte.
Stadtrat Götze (DIE LINKE): Wir wissen alle: Die
Mittel sind begrenzt. Es muss Schwerpunktsetzungen geben. Als Lehrer an einem Gymnasium
möchte ich anfügen: Auch Schüler an einem
Gymnasium durchleben die Pubertät, erleben Lebenskrisen, haben unter Mobbing zu leiden, und
Asendorpf (Moderator): Bitte.
Das heißt: Zu viele Schüler auf engstem Raum,
zu viele Schüler, die sich auch mal streiten, und
zu wenige, die pädagogische Fähigkeiten haben
und wissen, wie man mit solchen Streitigkeiten
umgeht. Deshalb brauchen wir immer mehr Sozialarbeiter. Wo soll das hinführen? Ich bin dafür,
das Problem bei der Wurzel packen, und zwar
mehr Schulen zu bauen, kleinere Klassen einzurichten und vor allem an den Schulen weniger Seiteneinsteiger, sondern wieder mehr gut ausgebildete Lehrer einzusetzen.
Asendorpf (Moderator): Das, was sich auf
Schulsozialarbeiter bezog, habe ich so zusammengefasst: Es entstehen deshalb sogenannte
Brennpunktschulen, weil sie sich selbst so benennen oder stigmatisieren, um Schulsozialarbeit zu
bekommen.
Bitte.
Stadtrat Zenker (SPD): Ich muss jetzt doch mal
widersprechen; denn die Entwicklung von
Schulsozialarbeit hier in der Stadt verlief besser
als hier geschildert. Als die ersten Schulsozialarbeiter an Leipziger Schulen gekommen sind,
wurde das noch als Manko einer Schule wahrgenommen. Inzwischen - es ist für mich schön, dass
ich die Entwicklung hier im Stadtrat mitbekommen
habe - ist Schulsozialarbeit für viele Schulen ein
Bonus. Viele Schulen sind froh, die Eltern sind
froh, die Schüler sind froh. Es ist kein Negativmerkmal einer Schule mehr, wenn sie Schulsozialarbeit anbietet. Ich muss an der Stelle ganz
deutlich widersprechen, damit das nicht als Stadtratsmeinung an dieser Pinwand steht.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Asendorpf (Moderator): Es steht ja die Meinung
des gesamten Stadtrats dran. Aber als Stärken
habe ich jetzt von Ihnen „Entstigmatisierung“ gehört.
Weitere Wortmeldungen? - Bitte.
Stadtrat Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen): Das
geht in dieselbe Richtung. Herr Professor Speck
hatte am Anfang betont: Wenn Schulsozialarbeit
ein paar Jahre an den Schulen wirkt, ist das ein
Qualitätsmerkmal. - Genau da müssen wir hin.
Das heißt: flächendeckende Implementierung.
Die Verwaltung steht, zumindest laut Fachplan,
auch dahinter. Begrenzte finanzielle Ressourcen
machen es natürlich notwendig, dass wir, so lange
wir eine flächendeckende Implementierung nicht
hinbekommen, bestimmte Schulen prioritär besetzen. Aber Brennpunktschulen zu bestimmen, das
ist, glaube ich, der falsche Weg. Das muss dauerhaft in den Blick genommen werden.
Auch die regelmäßigen Evaluationen, bei denen
insbesondere die Sozialkriterien in den Blick genommen werden, sollten nicht dazu führen, dass
Schulsozialarbeit an bestimmten Schulen eben
wegen unserer begrenzten Ressourcen wieder
gestrichen wird. Dann kann sich ein solches Qualitätskriterium an Schulen nicht verfestigen.
Wir müssen - ich knüpfe daran an, was Frau Hollick gesagt hat - auch auf eine gute Bezahlung
achten. Diese sichert eben auch eine Kontinuität
beim Personal an den Schulen. Uns wäre sicherlich nicht geholfen - im Sozialbereich gibt es ja
große Konkurrenz zwischen den vielen Angeboten, für die aber nur begrenztes Personal zur Verfügung steht -, wenn jedes Jahr andere Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter an den
Schulen tätig werden. Insofern müssen wir ein
Stück weit auch die personelle Kontinuität sicherstellen, eben weil Schulsozialarbeiter direkte Ansprechpartner für die Schülerinnen und Schüler
sind.
Asendorpf (Moderator): Ich notiere: hohe Fluktuation. - Bitte.
Stadtrat Schlegel (DIE LINKE): Es ist grandios,
zu hören, welche Leistungen die Stadt Leipzig als
Schulträger für diesen Bereich zur Verfügung
stellt. Aber mir stellt sich die Frage: Ist nicht für die
Schulorganisation gemäß Verfassung ursächlich
der Freistaat verantwortlich? Die Forderungen
von dieser Stelle müssen auch an den Freistaat
gehen, dass er seiner selbst übernommenen Verfassungsaufgabe auch in diesem Fall nachkommen muss. Ansonsten stelle ich mir die Frage:
Wozu brauchen wir überhaupt noch Bundesländer?
S e i t e | 28
Asendorpf (Moderator): Okay. - Herr Albrecht.
Stadtrat Albrecht (CDU): Meine Damen und Herren! Wir haben von Frau Elias gehört, dass wir im
Schulbau in dieser Stadt ein massives Problem
haben und dass wir in den nächsten Jahren eine
Menge Geld dafür ausgeben müssen. Da gibt es
Versäumnisse; das diskutieren wir an einer anderen Stelle. An dieser Tafel dort vorn, die leider keiner lesen kann, stehen eine ganze Menge Dinge,
die ich eher als Wünsche bezeichnen würde. Wir
als Stadträte haben aber die Verantwortung, zwischen dem, was wir uns wünschen, und dem, was
wir bezahlen können, abzuwägen. Auch das müssen wir uns immer wieder vor Augen halten. Das
kommt hier zu kurz. - Das ist Punkt eins.
Punkt zwei. Wir haben davon gesprochen, dass
die Schulsozialarbeiter eine ganze Menge Aufgaben haben und wir eine ganze Menge Aufgaben
an sie delegiert haben - in Form von Schriftsätzen,
in denen wir diese Aufgaben formuliert haben. Ich
möchte noch einmal ganz klar sagen: Die Problematik entsteht in der kleinsten Zelle der Gesellschaft, und das ist die Familie. Deswegen sagen
wir als CDU an dieser Stelle ganz klar: Wir müssen die Familienhilfen stärken; denn wenn wir die
Familienhilfen stärken, haben die Schulsozialarbeiter weniger zu tun. Bitte unterstützen Sie das,
wenn es im Jugendhilfeausschuss das nächste
Mal darum geht, Prioritätenlisten aufzustellen. Der
Offene Freizeittreff ist viel später im Hilfesystem
zu verorten. Wir müssen eher anfangen, und zwar
in der Familienhilfe.
Dritter Punkt: Ihre Moderation. Wir können das,
was Sie an die Wand werfen, nicht lesen. Das hilft
uns nicht. Moderation heißt: Führen Sie uns! Wir
haben jetzt noch 23 Minuten. Entweder wir werden jetzt geführt, oder wir können die Diskussion
abbrechen.
Asendorpf (Moderator): Okay, das nehme ich an.
Danke. - Frau Krefft, bitte.
Stadträtin Krefft (Bündnis 90/Die Grünen): Ich
würde gern bei der inhaltlichen Diskussion bleiben. Die Ausgestaltung dieser Stunde besprechen wir bitte im Ältestenrat. Dies jetzt hier zu kritisieren, finde ich nicht fair.
Für mich ist Schulsozialarbeit eine Leistung der
Jugendhilfe. Jugendhilfe ist eine kommunale Aufgabe. Wenn wir das zu Ende denken, dann ist es
auch eine kommunale Aufgabe, diese zu finanzieren. Wir nehmen den Freistaat in die Pflicht, dass
er das Bildungssystem so gestaltet - da gibt es
große Kritik in Sachsen; die teile ich auch -, das
es auf Ausgrenzung ausgerichtet ist, was zu gro-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
ßen Problemen führt. Wir haben große Erwartungen, dass Sachsen sich bildungspolitisch modernisiert.
Wir haben auch große Erwartungen an den Freistaat, was die Lehrerausstattung angeht. Der Lehreraufwuchs muss gelingen. Wir brauchen mehr
Lehrer. An dieser Stelle muss richtig Geld in die
Hand genommen und müssen Stellen geschaffen
werden.
Die Schulsozialarbeit hingegen ist aus meiner
Sicht eine Leistung, die zur Jugendhilfe gehört
und damit von der Stadt bezahlt werden muss.
Aber wir nehmen den Freistaat insoweit in die
Pflicht, dass wir sagen: Die Jugendpauschale, die
abgesenkt wurde, muss wieder angehoben werden. Dann können wir diese Aufgabe auch finanzieren und uns darüber streiten, ob wir die Mittel
in die Schulsozialarbeit und damit in den Lebensort Schule geben oder in den Bereich der Jugendhilfe.
An dieser Stelle will ich die Herren von der AfD
auch mal erinnern: Wie viel wurde im Bereich der
Jugendhilfe gekürzt? Das betraf gerade auch die
Offenen Jugendtreffs. Dort wurden viele Angebote heruntergefahren. Wir haben sie jetzt an den
Schulen wieder hochgefahren. Im Grunde müssen wir das auch bei den Offenen Freizeittreffs
tun. Wir müssen auch neue Offene Freizeittreffs
eröffnen. Wir müssen auch außerhalb des Bildungs- und Lebensorts Schule in den Bezirken, in
den Planungsräumen, wie wir heute sagen, entsprechende Angebote schaffen. Dafür müssen wir
aber auch als Stadt das Geld haben. Und das
hängt an der Jugendpauschale, die der Freistaat
uns über den Kommunalen Finanzausgleich zuteilt. - Danke schön.
Asendorpf (Moderator): Danke. - Ich sehe noch
eine Wortmeldung. Bitte.
Stadtrat Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen): Ich
möchte mich zunächst bei Herrn Albrecht bedanken, weil er hier tatsächlich eine Kontroverse aufmacht, die mir bisher in der Diskussion, aber
schon beim Titel des Themas gefehlt hat. Wir haben in den vergangenen Jahren zu einem Konsens gefunden, wobei ich die AfD davon ausklammere; Ihren Diskussionsbeitrag will ich hier nicht
aufwerten. Zurück zur Kontroverse: Das ist ein
ganz spannendes Thema, das wir im Jugendhilfeausschuss schon seit Jahren diskutieren. Natürlich ist es ein Problem, dass wir zu wenig Geld haben, das wir verteilen können. Deshalb müssen
wir an der Stelle auch Prioritäten setzen.
Sie wissen, ich bin prinzipiell ein großer Unterstützer von Angeboten für Familien. Aber Familienhilfe gegen Schulsozialarbeit auszuspielen, halte
S e i t e | 29
ich für falsch. Das Klientel, mit dem sich Schulsozialarbeiter beschäftigen, sind diejenigen, die in
Zukunft Familien gründen werden. Und welcher
Ort ist besser dafür geeignet als Schule, um direkt
an die Jugendlichen, aber auch an ihre Familien
heranzutreten und Problemlagen zu besprechen,
die gegebenenfalls mit dem Umfeld verbunden
sind? Diese Jugendlichen, die in Zukunft Familien
gründen werden, sind dann schon im Hilfesystem,
so sie dort hineingehören, weil nämlich die
Schulsozialarbeiter ein Bindeglied zur Jugendhilfe
sind.
Natürlich gibt es auch viele Jugendliche oder
junge Erwachsene, die Familien gründen, die sich
nicht im Hilfesystem befinden, wo wir aber sagen:
Es wäre gut, wenn dem so wäre. Bis sie das Hilfesystem erreichen, ist es oft schon zu spät. Insofern könnte man sich jetzt trefflich streiten: Wo ist
der Anfang: die Familie, die Jugendlichen selbst?
Ja, das ist ein Kreislauf. Insofern müssen wir darauf achten, dass wir an allen Stellen genügend
Ressourcen zur Verfügung stellen, um Probleme
anzugehen und zu einer funktionierenden Gesellschaft beizutragen.
Asendorpf (Moderator): Okay, danke. - Hier gab
es noch eine Wortmeldung. Bitte.
Stadträtin Köhler-Siegel (SPD): Ich möchte
auch gern Herrn Albrecht erwidern. Manchmal bin
ich ein bisschen erstaunt darüber, was in diesem
Stadtrat von sich gegeben wird. Wenn Sie sagen:
Wir wollen Familien stärken, dann erwarte ich,
dass Sie bei der nächsten Haushaltsdebatte nicht
wieder anfangen, über die angeblich übermäßig
hohen Sozialausgaben zu klagen; denn die gehen
dorthin, wo es brennt. Diese Mittel kommen nicht
nur Schülern oder Arbeitslosen zugute, sondern
letztlich auch Familien. Dort brauchen wir das
Geld; denn die Probleme können eben nicht nur
mit Schulsozialarbeit gelöst werden. Natürlich
müssen wir auf einen ausgeglichenen Haushalt
achten, der Spielräume für solche städtischen
Boni ermöglicht. Aber dann dürfen wir alle miteinander uns auch nicht die städtischen Einnahmemöglichkeiten entgehen lassen und beispielsweise die Straßenausbaubeitragssatzung abschaffen. Da müssen wir uns bitte auch alle mal
an die eigene Nase fassen. Das Geld fällt nicht
vom Himmel.
Ich bin der felsenfesten Überzeugung: Je eher wir
anfangen, auch in Grundschulen mit Schulsozialarbeitern zu arbeiten, desto mehr Schulabschlüsse wird es perspektivisch geben, weil die
Grundschüler dann nicht mehr wegen vermeintlich zu schlechter Leistungen aussortiert werden,
obwohl oft eher ein sozial-emotionales Defizit da-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
hinter steckt. Sie sind das Hauptklientel der meisten Förderschulen, die sich nicht über eine körperliche oder geistige Behinderung definieren. Die
meisten Schüler haben sozial-emotionale Defizite, und die können nicht allein mit Schulsozialarbeit, aber auch nicht allein mit Förderung behoben
werden. Wenn wir dort eher ansetzen, rutschen
die Schüler gar nicht erst auf die Förderschulen,
wo sie keine Chance haben, weil es vom Landesgesetzgeber seit 1990 nicht gewollt ist, dass Förderschüler einen Schulabschluss machen können. Das können Sie bitte mal Ihren Landtagsabgeordneten mitgeben, um dort einen Denkprozess anzuregen.
Asendorpf (Moderator): Okay, danke. - Bitte.
Stadträtin Witte (Freibeuter): Ich will noch mal
zurück zum Begriff „flächendeckender Einsatz
von Schulsozialarbeitern“; den Begriff habe ich ja
auch in meiner Rede verwendet. Ich verstehe darunter nicht, dass wir an jeder Schule routinemäßig einen Schulsozialarbeiter einsetzen. Vielmehr
verstehe ich unter flächendeckend, dass die
Schulen damit ausgestattet werden, die problembehaftet sind. Die Matrix, die wir dazu haben, um
festzustellen, welche Schulen das sind, überzeugt
mich nicht so richtig. Das könnte man intelligenter
machen. Dabei kann auch herauskommen, dass
die Schule A vielleicht zwei oder drei Schulsozialarbeiter benötigt, während die Schule B nur einen
und die Schule C gar keinen benötigt. So verstehe
ich den flächendeckenden Einsatz.
Asendorpf (Moderator): Okay, danke. - Herr Albrecht hatte sich noch einmal gemeldet.
Stadtrat Albrecht (CDU): Ich möchte kurz erwidern. Herr Schmidt, mir geht es nicht darum, das
eine gegen das andere auszuspielen, sondern mir
geht es darum, in dem Hilfesystem mit dem jetzigen Topf, der uns zur Verfügung steht, eher anzusetzen, Jüngere zu erreichen. Je eher wir die Hilfebedürftigen erreichen, desto besser ist es für die
langfristige Entwicklung des einzelnen Kindes.
Wir müssen eher anfangen. Deswegen: Familienhilfen stärken und vielleicht mal darüber nachdenken, ob der Offene Freizeittreff zu spät in das Hilfesystem eingreift. Darum geht es. - Das ist Punkt
eins.
Punkt zwei. Die SPD hat jetzt schon mehrfach gesagt: Sollen sie doch im Land jetzt mal Dinge anders machen. - Sie sitzen mit in der Regierung.
Helfen Sie dabei!
S e i t e | 30
Asendorpf (Moderator): Okay. - Kleiner Wunsch
meinerseits: Da wir nur noch 15 Minuten zur Verfügung haben, sollte jetzt noch etwas konkreter
auf die Schulsozialarbeit eingegangen werden.
Ich habe gerade von Frau Klöter gehört, dass ein
Schulsozialarbeiter von der Tribüne in den Saal
gekommen ist. Vielleicht übernehmen Sie ganz
kurz das Wort, bevor wir hier im Plenum weitermachen. Was ist denn aus Ihrer Sicht nötig, zu bewahren oder zu erneuern?
Hufmann: Schönen guten Abend! Hufmann,
mein Name. Ich bin Schulsozialarbeiter bzw., wie
es bei uns heißt, sozialpädagogischer Betreuer
mit BVJ. Ich komme vom Beruflichen Schulzentrum 7. Ich habe jetzt kein Statement vorbereitet,
aber vorhin kam der Ruf, Sie möchten nicht im eigenen Saft schmoren. Deswegen bin ich dem
Wunsch meiner Abteilungsleiterin gefolgt und
stelle mich für Ihre Fragen kurzfristig zur Verfügung.
Asendorpf (Moderator): Gerne. - Die ganz konkrete Frage ist: Was läuft bei Schulsozialarbeit gut
aus Ihrer Perspektive?
Hufmann: Aus meiner persönlichen Perspektive
läuft die Zusammenarbeit mit dem Lehrerkollegium meiner Schule gut. Man muss immer sehen:
Wenn man anfängt - ich mache das seit zehn Jahren; ich war der Erste vor Ort -, muss man natürlich erst mal einen Fuß in die Tür kriegen: bei den
Lehrern, bei den Eltern. Bei mir ist es so: Ich muss
jedes Jahr wieder bei den Eltern von Schülern des
BVJ den Fuß in die Tür kriegen; denn wir bekommen jährlich ein vollkommen neues Klientel. Bei
mir ist jeder Schüler ein Klient. Ich weiß nicht, ob
das BVJ hier allgemein bekannt ist; ich denke
schon.
Ich arbeite mit allen Schülern, um in diesem einen
Jahr den Hauptschulausschluss - da sind wir wieder beim Thema Schulerfolg - zu sichern, damit
im besten Fall anschließend eine Berufsausbildung begonnen werden kann. Was ich im zweiten
Schulhalbjahr forciert betreibe, ist: mit den Jugendlichen Bewerbungen schreiben, sie wenn nötig korrigieren, die Schüler zu Vorstellungsgesprächen begleiten. Das ist momentan mein Hauptarbeitsgebiet. Sie fragen: Was läuft gut? Die Arbeit
mit den Schülern läuft gut.
Asendorpf (Moderator): Okay. - Gibt es aus Ihrer
Perspektive Dinge im Bereich Schulsozialarbeit,
die man verwaltungsseitig anders gestalten
kann?
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Hufmann: Da möchte ich definitiv die Sachkosten
nennen. Wir arbeiten seit zehn Jahren ohne Sachkosten. Wir bekommen unser Gehalt. Wenn wir
Glück haben, macht der Schulleiter ein Budget
auf, aus dem wir ein paar Euro für eine Fahrt bekommen. Aber meist müssen wir auf kostenfreie
Angebote zurückgreifen. Das BSZ 7 ist in der
glücklichen Lage, dass es von der Oetker-Stiftung
unterstützt wird. Aber wir sind da eine Ausnahme.
Wie ich weiß, ist die Frage der Sachkosten jetzt in
Arbeit. Wir haben die Abteilung zu diesem Kalenderjahr gewechselt. Ich hoffe, das geht im Haushalt durch. Aber das ist eine Sache, die mir unter
den Nägeln brennt.
Asendorpf (Moderator): Gibt es ganz konkrete
Nachfragen vonseiten des Stadtrats an einen
Schulsozialarbeiter? - Bitte.
Stadtrat Morlok (Freibeuter): Keine Nachfrage,
sondern eher eine Widerrede. - Ich erinnere an
das Chart von Herrn Professor Speck, das aufgezeigt hat, was Schulsozialarbeit nicht leisten kann.
Jetzt haben Sie gerade gesagt, Sie machen mit
ihren Schülern im Berufsvorbereitenden Jahr Bewerbungsschreiben. Das ist vielleicht in der Situation ganz wichtig und notwendig für den weiteren
Erfolg der Menschen, die bei Ihnen sind. Aber angesichts dieses Charts stelle ich mir die Frage, ob
die Hilfe beim Schreiben von Bewerbungen Aufgabe von Schulsozialarbeit ist? Könnte das nicht
schon wieder ein Überfrachten von Schulsozialarbeit sein?
Hufmann: Nein. Deswegen sagte ich ja: Laut § 8
Absatz 4 Sächsischem Schulgesetz heißt es: sozialpädagogische Begleitung in BVJ-Klassen.
Das ist etwas ganz Spezielles. Wir haben beispielsweise an meiner Schule drei Klassen à 45
Schüler. Jeder dieser Schüler ist ein Klient. Unsere Einzelfallarbeitsquote liegt wesentlich höher
als in der allgemeinen Schulsozialarbeit. Ich habe
quasi jeden Tag mit jedem Schüler Kontakt, so er
denn da ist. Ob das nun meine Aufgabe ist oder
nicht, darüber denke ich nicht weiter nach. Ich mache es einfach.
Die Schüler lernen zwar im Deutschunterricht, wie
Bewerbungen zu schreiben sind. Aber wer tritt
den Schülern auf die Füße, dass sie das auch
wirklich machen? Wir haben hier mit Schülern zu
tun, die zehn, elf, zwölf Jahre in die Schule gegangen sind, die kurz vor ihrem 18. Geburtstag stehen, die das erste Mal in ihrem Leben ein bisschen Schulerfolg haben, die kurz vor dem Hauptschulabschluss stehen. Na klar, ich helfe den
Schülern eine Bewerbung zu schreiben und ich
begleite sie zum Teil auch zu Vorstellungsgesprächen.
S e i t e | 31
Asendorpf (Moderator): Gut. Aber die Frage war
ja: Ist das Ihre Aufgabe?
Hufmann: Das ist meine Aufgabe. Ich nehme das
für mich als Aufgabe wahr, als sozialpädagogische Begleitung. Ein Schulsozialarbeiter an einer
vierzügigen Oberschule kann wahrscheinlich
nicht mit über 100 Schülern Bewerbungen schreiben. Ich kann es schon mit 45 nicht. Aber ich mache es bei den 20, 30 Schülern, die Aussicht auf
eine Ausbildung haben. Denen helfe ich. Ich sage
ja nicht, dass ich die Bewerbungen für sie
schreibe. Das müssen sie schon selber tun. Sie
schicken sie mir per E-Mail, ich korrigiere sie
wenn nötig und schicke sie ihnen per WhatsApp
zurück. Wir sind zwar multimedial nicht so gut aufgestellt, aber ich kümmere mich darum.
Asendorpf (Moderator): Gibt es weitere konkrete
Nachfragen an Herrn Hufmann? - Ich sehe, das
ist nicht der Fall. - Dann erst einmal vielen Dank.
Ich bitte um weitere Wortmeldungen. - Bitte.
Stadträtin Köhler-Siegel (SPD): Ich möchte in
der Diskussion noch einmal kurz zurückgehen. Es
wurde ja jetzt darüber berichtet, wie unterschiedlich die Bedürfnisse der einzelnen Schulen bezüglich Schulsozialarbeit sind. Ich denke, Schulsozialarbeit gehört an jede Schule; denn an jeder
Schule gibt es Probleme, mal größere, mal kleinere. Auch Kinder in eigentlich gut situierten Gegenden haben Probleme, wenn auch sicher andere. Auch Schüler am Gymnasium haben Probleme, was sich auf Gymnasien niederschlägt. Daher muss die Frage diskutiert werden: Wie viel
Schulsozialarbeit muss an jede Schule? Ich
möchte hier feststellen: Schulsozialarbeit gehört
an jede Schule. Schulsozialarbeit gehört meiner
Meinung nach dann auch in das Ressort des Kultusministeriums und nicht nur in das Ressort des
Sozialministeriums, eben weil Schulsozialarbeit
innerhalb von Schule auch ganz viel ausgleichen
muss, was eigentlich das Kultusministerium verschuldet hat.
Asendorpf (Moderator): Danke. - Bitte.
N.N. (StadtElternRat): Schönen guten Tag! Ich bin
Mitglied des StadtElternRats. Ich möchte dem Rat
danken für das, was er bis jetzt für Schulsozialarbeit geleistet hat. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass ein Stadtrat zusätzliche Schulsozialarbeiterstellen - Anfang des Jahres waren es
gleich acht Stellen - beschließt. Wir sind froh,
dass wir immer mit Ihnen ins Gespräch kommen
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
und etwas zusammen mit Ihnen auf den Weg bringen können. Aber - da gebe ich Frau Köhler-Siegel recht -: Wir brauchen natürlich an jeder Schule
Schulsozialarbeit. Auch im Schulgesetz heißt es:
an jeder Schule, in jeder Schulart.
Natürlich sehen wir Eltern den Bedarf für mehr
Schulsozialarbeiter. Wir sind auch der Auffassung, dass sich die Kriterien für den Einsatz von
Schulsozialarbeit ändern sollten. Besonders wichtig ist uns, dass ein Schulsozialarbeiter an der
Schule einen eigenen Raum haben muss. An
mehreren Schulen in Leipzig - ich kann es von
zehn Schulen explizit sagen - haben Schulsozialarbeiter keinen eigenen Raum. Sie sind mit im
Lehrerzimmer verortet. Ein Kind, das zum
Schulsozialarbeiter geht, öffnet sich ihm nicht im
Lehrerzimmer, wenn zehn Lehrer um ihn herum
sitzen. Es gehört dazu, dass es einen solchen
Rückzugsort gibt.
Wir Eltern sind dankbar für Schulsozialarbeit. Das
sind die kleinen Problemlöser in der Schule. Wem
offenbart man sich? Nicht dem Lehrer oder den
Eltern, sondern dem Schulsozialarbeiter. Deswegen sage ich Danke an die Schulsozialarbeiter,
die heute hier auf der Tribüne sitzen. Sie sind immer für unsere Kinder da. Sie haben die Kinder
immer im Blick und geben auch uns Eltern Rückmeldung. Ich weiß, wir Eltern sind schwierig. Wir
Eltern meckern immer mal. Aber wir sind trotzdem
sehr dankbar für Ihre Arbeit.
Asendorpf (Moderator): Danke. - Herr Professor
Speck, Sie hatten sich noch mal gemeldet. Bitte.
Prof. Dr. Speck (Universität Oldenburg): Ich
würde gern noch einmal auf zwei, drei Punkte eingehen und als Erziehungswissenschaftler ein
paar pädagogische Hinweise geben. Aus meiner
Sicht müsste man tatsächlich stärker klären, was
Schulsozialarbeit ist und was Schulsozialarbeiter
machen sollen. Das könnte man als Verwaltung
gemeinsam mit den Beteiligten definieren.
Zweitens bräuchte man meines Erachtens etwas
wie einen Ausbauplan, einen strategischen Plan,
der aufzeigt: Bis wann wollen wir was erreicht haben? Zumindest sollten Mindestzahlen festgehalten werden.
Zur Finanzierung: In der Tat wäre das zunächst
eine kommunale Aufgabe, wenn man das SGB
XIII zu Rate zieht. Als erfolgreich haben sich in der
Stabilisierung von Schulsozialarbeit allerdings
Mischfinanzierungen erwiesen, die dann auch mit
kommunalen Spitzenverbänden zwischen Landes- und Kommunalebene entsprechend abgesichert werden müssen. Da gibt es unterschiedliche
Modelle: ein Drittel, hälftig, je nachdem, wer da
mit ins Boot kommt. Darauf zu hoffen, davon
S e i t e | 32
würde ich abraten. Ich würde empfehlen, erst mal
eine eigene Planung zu machen und dann mit
dem Land ins Gespräch zu kommen.
Standards festlegen: Es gibt Bundesländer, die
das überhaupt nicht machen. Es gibt Kommunen,
die gar nicht erst anfangen, Schulsozialarbeiter an
Schulen zu schicken, wo die Standards nicht gegeben sind. Dazu gehören Räume - damit meine
ich nicht nur ein Büro, sondern einen Gruppenraum -, ein Sachmitteletat, aber zum Beispiel
auch verpflichtende Fortbildung für Lehrkräfte
bzw. Sozialpädagogen.
Ich würde bei zwei Punkten aufpassen, nämlich
bei der Definition von Schulsozialarbeit einerseits
nicht zu breit zu werden und ihr die Lösung aller
gesellschaftlichen Probleme aufzuerlegen und
gleichzeitig nicht zu eng zu werden und den einen
für das Thema Gewalt, den nächsten für das
Thema Schulverweigerung usw. zuständig zu machen. Schulsozialarbeit ist tatsächlich ein richtig
kostengünstiges Angebot. So viele Schüler, so
viele Kinder und Jugendliche erreicht man sonst
mit einer Person nicht. Das schafft noch nicht mal
eine Lehrkraft. Insofern müsste man gucken: Was
ist das Aufgabenprofil?
Letzter Punkt. Die Gefahr besteht - Sie haben es
angesprochen, dass Sie das nicht wollen -, Leistungen der Jugendhilfe gegeneinander aufzurechnen. Das ist ein Problem. Was ist wichtiger:
Jugendarbeit, Familienbildung, Schulsozialarbeit? Normalerweise gibt es eine Jugendhilfeplanung, wo das gemeinsam diskutiert werden
müsste. Da gehört es, glaube ich, auch hin. - Vielen Dank.
Asendorpf (Moderator): Danke schön. - Noch
einmal der Hinweis von Herrn Professor Speck,
sich Gedanken darüber zu machen: Was ist
Schulsozialarbeit konkret, und wie bauen wir sie
in die Strategie unserer Gesamtstadt mit ein?
Gibt es weitere Wortmeldungen aus dem Plenum? - Bitte.
Stadträtin Hollick (DIE LINKE): Ich möchte noch
mal daran erinnern, dass wir diese aktive Diskussion dem Projekt „Lernen vor Ort“ zu verdanken
haben. Mithilfe des Projekts „Lernen vor Ort“
konnten viele Dinge verbessert und ein starker
Zuwachs erreicht werden. Viele Leute, die hier tätig sind - ich nenne hier nur Frau Klöter und Frau
Dr. Voigt -, haben mit dafür gesorgt, dass wir in
der Schulsozialarbeit so weit vorangekommen
sind, auch wenn wir immer noch einiges vor uns
haben.
Ich finde es gut, dass wir dieses Thema nach dieser Bildungspolitischen Stunde - übrigens, das
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
war damals eine Auflage - in der Bildungskonferenz weiterdiskutieren. Ich habe es immer als
Manko unserer Bildungspolitischen Stunden empfunden, dass wir ein Thema eine Stunde lang besprochen haben, es aber danach erledigt, abgehakt war. Ich denke, wir sollten manche Themen
in bestimmten Abständen immer wieder hier aufrufen, damit wir in dem, was wir erreichen wollen,
eine neue Qualität erzielen. In diesem Sinne sollten Sie an die nächsten Bildungspolitischen Stunden herangehen und auch noch mehr zu den Bildungskonferenzen kommen; denn diese halte ich
für ebenso wichtig.
Asendorpf (Moderator): Herr Albrecht, bitte.
Stadtrat Albrecht (CDU): Frau Hollick, da
möchte ich Ihnen recht geben. Die Bildungskonferenzen sollten wir auf jeden Fall fortführen. Da
gehört dieses Thema auch hin. Genauso gehört
es in die Fachausschüsse wie den Jugendhilfeausschuss. Wir haben an dieser Tafel dort vorn
nicht einen einzigen Beschluss stehen. Ich weiß
nicht, ob das Thema wirklich in eine Ratsversammlung gehört.
Asendorpf (Moderator): Okay. - Einen Beschluss
sollte es heute auch nicht geben, sondern es ging
darum, herauszufinden, welche Ideen die Ratsversammlung zu einem Thema hat, das von ihr
fraktionsübergreifend unterstützt wird, was sich
verwaltungsseitig noch optimieren lässt.
Ich würde jetzt den Deckel draufmachen wollen der Schlusspunkt war für 18.10 Uhr vorgesehen und zu einer kurzen Zusammenfassung übergehen. Danach werde ich das Wort wieder an den
Herrn Oberbürgermeister abgeben, so wie es sich
eigentlich gehört.
Was ich aus Ihrer Diskussion herausgehört habe,
ist: Es gibt unisono die Meinung, quer durch alle
Fraktionen, dass Schulsozialarbeit wirksam ist
und dass sie eine vernünftige Arbeit ermöglicht.
Es gibt durchaus Diskrepanzen entlang politischer Linien, ob man sie weiter fördern sollte oder
ob es sinnvoller wäre, anderswo anzusetzen.
Dass sie wirksam ist, darüber besteht, glaube ich,
Einigkeit.
Ich habe nicht sehr viele konkrete Optimierungsideen gehört. Was ich immer wieder gehört habe,
ist: Sachmittel bereitstellen, Räume bereitstellen
und sich noch mal genau verständigen: Was ist
eigentlich ein Schulsozialarbeiter? Konkret: Was
sind seine Aufgaben? Was ist sein sinnstiftender
Ursprung? Was ist seine genaue Definition?
S e i t e | 33
Das heißt: Wenn ich jetzt Verwaltung wäre, würde
ich als Hausaufgabe mitnehmen, genau zu beschreiben: Was sind die Grenzen von Schulsozialarbeit? Welche Aufgaben haben Schulsozialarbeiter?
Und ich würde mir überlegen: Was machen wir
denn jetzt? Im Stadtrat gibt es Uneinigkeit dahingehend, ob dafür noch mehr Geld ausgegeben
werden soll im Sinne von in die Breite gehen oder
ob dafür noch mehr Geld ausgegeben werden soll
im Sinne von in die Tiefe gehen, Räumlichkeiten
und Materialien zur Verfügung stellen. Da gibt es
definitiv keine Einigkeit unter Ihnen, wie ich es
verstanden habe. Einigkeit gibt es aber, dass das
insgesamt eine ganz gute Geschichte ist.
Wenn es darum geht, das in die Tiefe zu optimieren, geht es auch um Fragen wie Entlohnung erhöhen, Mittel für Sachkosten zur Verfügung stellen, obwohl es seit zehn Jahren auch ohne ging.
Also: Geht es darum, das in die Tiefe qualitativ zu
optimieren, oder geht es eher darum, das mehr in
die Breite auszurollen? Das wäre wahrscheinlich
auch ein Auftrag der Reflexion an die Verwaltung.
Das sind die Hauptergebnisse, die ich hier wahrgenommen habe, auch viel politischen Streit, ob
das der richtige Ansatz oder ob es noch einen
besseren gibt. Aber definitiv besteht Einigkeit,
dass der Ansatz gut ist. Damit würde ich die Diskussion gern beschließen und wünsche Ihnen
weiterhin einen erfolgreichen und angenehmen
Abend - dann wieder vom Original moderiert. Danke.
(Übergabe der Sitzungsleitung an
Oberbürgermeister Jung)
Oberbürgermeister Jung: Ich bedanke mich
ganz herzlich bei Ihnen, Herr Asendorpf, für die
Moderation. Sie sehen, es ist gar nicht so einfach,
70 Stadträtinnen und Stadträte im Auge zu behalten.
Ich danke Ihnen, den Stadträtinnen und Stadträten, für die lebhafte Diskussion. Ich danke für Ihre
Inputs unterschiedlichster Art, Herr Professor
Speck. Ich danke auch den Eltern und den Schülern, die in der Klangcollage eingeblendet waren.
Ich glaube, dass die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sehr wohl gehört haben, dass ihre Arbeit geschätzt wird. - Ich hoffe, dass Sie auch mit
diesem Feedback und diesem Echo aus dem
Stadtrat nach Hause gehen und wissen, dass Ihre
Arbeit geschätzt, geachtet und respektiert wird.
Vielen Dank für Ihre Arbeit!
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch
zwei, drei Sätze! Ich bin ein wenig stolz darauf,
dass ich der erste Schulleiter im Osten Deutschlands war, der einen Schulsozialarbeiter eingestellt hat, und zwar im Jahr 1991. Ich habe
Schulsozialarbeit nie als Ausfallbürgschaft für das
Versagen von Familien verstanden. Nie! Das können Sozialarbeiter nicht leisten. Sozialarbeiter
können begleiten. Sie können in schwierigen Lebensphasen stützen. Sie können soziale Bindungen in einer Gemeinschaft, in einer Klasse befruchten. Sie können mit Gruppen arbeiten. Aber
sie sind nicht der letzte Strohhalm, nach dem man
greift, wenn familiale Systeme versagen. Deshalb
dürfen wir Sozialarbeiter nicht überfordern mit
dem, was wir ihnen zumuten. Ich habe das auch
von Ihnen nicht gehört. Aber ich denke, wir sollten
das noch einmal deutlich sagen, damit die Damen
und Herren nicht das Gefühl haben, sie sind, wie
Frau Köhler-Siegel sagte, die eierlegende Wollmilchsau.
Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für die
Diskussion. Ich denke, die Verwaltung hat jetzt die
Aufgabe, das noch weiter zu schärfen, die Aufträge zu formulieren und an den entsprechenden
Konzeptionen weiterzuarbeiten.
Ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten, damit wir alle mal kurz Luft schnappen können.
(Unterbrechung)
Oberbürgermeister Jung: Meine Damen und
Herren, die Sitzung der Ratsversammlung wird
jetzt fortgesetzt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5.5 auf:
5.5
Integriertes Stadtentwicklungskonzept
Leipzig 2030 (INSEK) (VI-DS-04159-NF01)
Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und
Bau
5.5.1 dazu ÄA (VI-DS-04159-ÄA-02)
Einreicher: Beirat für Gleichstellung von Frau
und Mann
5.5.1 dazu ÄA (VI-DS-04159-NF-01-ÄA-01)
Einreicher: Ortschaftsrat Engelsdorf
5.5.2 dazu ÄA (VI-DS-04159-ÄA-03)
Einreicher: CDU-Fraktion
5.5.3 dazu ÄA (VI-DS-04159-NF-01-ÄA-02)
Einreicher: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
5.5.4 dazu ÄA (VI-DS-04159-NF-01-ÄA-03)
Einreicher: Ortschaftsrat Mölkau
5.5.5 dazu ÄA (VI-DS-04159-NF-01-ÄA-04)
Einreicher: Stadträtin J. Heller
S e i t e | 34
Von der Strategie und von der Konzeption gibt es
für die nächsten fünf, sechs, zehn Jahre keine
wichtigere Vorlage. Insofern ist es gut, dass wir
uns jetzt ausreichend Zeit dafür nehmen können.
Frau Kollegin Dubrau wird die Vorlage einbringen.
Danach können die Fraktionen der Reihe nach
Stellung dazu beziehen und auch ihre Änderungsanträge einbringen, wobei wir hier nach der Größe
der Fraktionen vorgehen, gefolgt vom Ortschaftsrat Mölkau.
Frau Dubrau, bitte schön. Sie haben das Wort.
Bürgermeisterin Dubrau: Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Meine Damen und Herren!
Wir haben es mit einem der wichtigsten und im
wahrsten Sinne des Wortes gewichtigsten Papiere zu tun, das Grundlage ist für die weitere Entwicklung der Stadt Leipzig. Leipzig hatte in den
letzten 25 Jahren - das wissen Sie alle - einen
enormen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und
baulichen Wandel zu bewältigen. Kaum eine
Stadt in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten den Wandel in einer solchen Dimension erlebt
wie Leipzig. Wir haben ihn bis jetzt gut gemeistert
und werden ihn auch in Zukunft, so hoffe ich, gut
meistern. Aktuell stehen wir vor der Herausforderung des starken Bevölkerungswachstums und
des Wirtschaftswachstums. Das ist die Ausgangssituation in vielen Bereichen, eine grundlegende
Veränderung im Vergleich zu dem, was noch vor
einigen Jahren auf der Tagesordnung stand.
Heute lege ich Ihnen das Integrierte Stadtentwicklungskonzept 2030, das sogenannte INSEK, zur
Beschlussfassung vor, eine erste fachübergreifende Auseinandersetzung mit dem Wachstum.
Die Beschäftigung mit einer integrierten Stadtentwicklungspolitik hat in der Stadt eine lange Tradition. Als das erste STEP Wohnungsbau und
Stadterneuerung in den 2000er-Jahren vorgestellt
wurde, waren die Verhältnisse noch ganz anders
als heute. Damals ging es um den kreativen Umgang mit Schrumpfung. Viele Bewohner hatten
die Stadt verlassen, aus unterschiedlichen Gründen, häufig deshalb, weil Arbeitsplätze fehlten.
Nun kann man über ein Schrumpfen barmen, wie
es viele andere Städte tun. Leipzig jedoch hat versucht, das Beste daraus zu machen und der Stadt
einen neuen Entwicklungsschub zu geben. Die
„Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen
Stadt“, 2007 entwickelt und in Leipzig beschlossen, bildete die Basis für das erste integrierte
Stadtentwicklungskonzept 2009, das damals
noch SEKo hieß.
Die heutige Fortschreibung des Stadtentwicklungskonzepts „INSEK - Leipzig 2030“ formuliert
die Ziele einer wieder wachsenden Stadt. Es stellt
sowohl inhaltliche Schwerpunkte mit dem Zielbild
2030 als auch stadträumliche Schwerpunkte dar.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Der Leitsatz lautet: „Leipzig wächst nachhaltig.“
Das klingt so einfach: wachsen. Ja, aber wie? So,
dass alle Menschen in dieser Stadt mitgenommen
werden. Der Leitsatz ist untersetzt mit 24 Handlungsschwerpunkten, zugeordnet den vier strategischen Zielen: Lebensqualität, Wettbewerbsfähigkeit, Internationalität und soziale Stabilität. Nur
wenn wir diese vier Ziele erreichen, wird die Entwicklung tatsächlich auch nachhaltig sein.
Das Wachstum nicht nur quantitativ, sondern auch
qualitativ auszugestalten im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, das ist eine unserer größten
Herausforderungen. Abwägungsentscheidungen
zu ökologischen, ökonomischen und sozialen Erfordernissen sind zu treffen. Wie schwierig es ist,
zwischen ökonomisch und ökologisch abzuwägen, stellen wir auch bei unserer tagtäglichen Arbeit immer wieder fest.
Aber nicht nur die stadtweiten Konzepte sind Teil
des INSEK, sondern auch das kommunale Handeln in vielen Bereichen, untersetzt mit der Raumstrategie, um das prognostizierte Wachstum der
Stadt in einer nachhaltigen Entwicklung Leipzigs
zu bewältigen und eine möglichst breite Verteilung
von Nutzen und Lasten des Wachstums auf alle
Ortsteile zu erreichen, damit nicht die einen nur
Nachteile und die anderen nur Vorteile haben.
Gleichzeitig gilt es, mehr Lebensqualität zu erreichen. Auch hier spüren wir täglich, wie schwierig
das in einer wachsenden, sich verdichtenden
Stadt ist. Auch die Diskussionen in diesem Raum,
beispielsweise zur Abwägung zwischen mehr
Baumasse oder mehr Freiraum, zeigen, dass dies
immer auch sehr schwierige Entscheidungen
sind.
Die Raumstrategie zeigt die Herausforderungen
und Potenziale der einzelnen Ortsteile für die Lösung der gesamtstädtischen Aufgaben auf und
benennt stadträumliche Schwerpunkte aufgrund
von besonderen Problemlagen oder von besonderen Potenzialen für das Wachstum. Auch dies
ist kein grundsätzlich neues Thema, aber die Gebiete ändern sich. Einige Ortsteile, die vor 10, 15,
20 Jahren hauptsächlich einer baulichen Entwicklung bedurften, sind inzwischen fertig oder in ihrer
baulichen Entwicklung so weit, dass sie kein
Schwerpunktgebiet mehr bilden. Nun stehen andere Ortsteile auf der Tagesordnung, darunter
auch solche, an die man vor zehn Jahren noch
gar nicht gedacht hat. Um die müssen wir uns jetzt
besonders kümmern.
Ein Stadtentwicklungskonzept ist aber auch ein
Labor für integriertes Arbeiten. Das INSEK nennt
sich nicht nur so; es wurde auch integriert erarbeitet. Sie wissen, dass viele Städte sich solche Konzepte von einem externen Gutachter schreiben
lassen, der durch die Gegend geht und sich verschiedene Meinungen einholt. Wir haben uns
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ganz bewusst dafür entschieden, dass wir es
selbst machen, dass die Truppe von Herrn Heinig
im Stadtplanungsamt im gemeinsamen Gespräch
mit allen Ämtern der Stadt, mit Bewohnern, mit
Politik in einem sehr intensiven fach- und akteursübergreifenden Arbeitsprozess dieses Papier erarbeitet. Mit sehr hohem Engagement und Kooperationswillen aller Mitwirkenden ist dies gelungen.
Alle - Akteure, Bürgerinnen und Bürger - konnten
sich in verschiedenen Formaten daran beteiligen,
sei es durch Teilnahme an großen oder kleinen
Gesprächsrunden, im Rahmen von Ausstellungen
oder Informationen über das Internet.
Entscheidend für den Erfolg wird jetzt die Umsetzung sein. Der INSEK-Prozess endet ja nicht mit
der Beschlussfassung. Entscheidend für den Erfolg des Stadtentwicklungskonzepts, aber auch
Herausforderung für die Umsetzung, bei der wir
auf Ihre Unterstützung hoffen, werden vier Punkte
sein, die ich besonders hervorheben will:
Punkt eins: die Fortführung der Kultur der Zusammenarbeit, im Verwaltungsinternen die dezernatsübergreifenden Arbeitsstrukturen, wenn auch in
reduzierter Form. Es ist beispielsweise relativ einfach, in einem übergeordneten Konzept sich auf
bestimmte Punkte zu einigen. Aber diese im Detail von der Haushaltsplanung bis zur letzten Bauoder Fördermaßnahme umzusetzen, ist ein sehr
viel schwierigerer Prozess.
Punkt zwei: die Umsetzung der genannten
Grundsätze und Ziele in den kommunalen Alltag
und die Entwicklung neuer fachübergreifender, innovativer Lösungsansätze. Wie wichtig das ist,
sehen wir jeden Tag in unserer Arbeit, in der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Abteilungen,
aber auch der Diskussion in diesem Haus.
Punkt drei: die Beteiligung zur Weiterentwicklung
des INSEK unter dem Dach „Leipzig weiter denken“. Ich glaube, das brauche ich nicht weiter erläutern. Sie alle haben inzwischen mitbekommen,
wie wichtig dieses Thema ist und wie intensiv wir
daran arbeiten, es weiter auszubauen.
Punkt vier: die regelmäßige Weiterentwicklung
und Fortschreibung, aufbauend auf einem Monitoring zur nachhaltigen Stadtentwicklung. Wenn
eine Stadt so rasant wächst wie Leipzig, muss
man sich in kurzen Zeiträumen immer wieder mit
diesem Thema beschäftigen und prüfen, was sich
geändert hat und wo gegebenenfalls an Stellschrauben gedreht werden muss, um die Entwicklung weiter voranbringen zu können.
Zum Schluss möchte ich all jenen danken, die am
Integrierten Stadtentwicklungskonzept intensiv
und engagiert mitgearbeitet haben. Ich danke
dem INSEK-Team aus der Abteilung Stadtentwicklung im Stadtplanungsamt, allen Mitwirkenden aus den Dezernaten und den Ämtern der
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Stadt und ihren Mitarbeitern, aber auch allen Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt. Nur so konnte
es gelingen, dieses zukunftsträchtige und gewichtige Papier zu erarbeiten, das uns in den nächsten
Jahren begleiten wird. - Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist Frau Dr. Heymann.
Stadträtin Dr. Heymann (CDU): Sehr geehrte
Damen und Herren! Sehr geehrte Stadtratskolleginnen und -kollegen! Sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister! Herr Oberbürgermeister! Nun liegt es vor, das Integrierte Stadtentwicklungskonzept. Frei nach Goethe: Habe nun,
ach! Arbeitsgruppen, Workshops, Strategieforen,
Werkstattgespräche, Stadtgebietsforen und Zukunftsforum durchgeführt, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als
wie zuvor.
Ich höre schon Ihr Fragen: Warum stellt sie dieses
Zitat an den Anfang ihrer Rede zu einem Konzept,
welches eigentlich doch als großer Wurf wirkt?
Warum will sie nicht einfach in das allgemeine Lob
der wirklich umfänglichen Arbeit einfallen? Nach
einem Prozess von drei Jahren intensiver Diskussion mit der interessierten und zu interessierenden Bürgerschaft haben wir doch ein Konzept,
welches die wesentlichen Handlungsfelder und
Herausforderungen einer nachhaltig wachsenden
Stadt umreißt?
Wir haben mit dem INSEK und dem Verfahren
eine Erwartungshaltung von Beteiligung und Mitwirkung bei der Bürgerschaft und auch bei uns
Stadträten erzeugt, mit der die Umsetzung und
Projekte wie „Leipziger weiter denken“ nun werden mithalten müssen. Schaffen wir es diese mit
zusätzlichem Aufwand betriebene Beteiligung in
die laufende Verwaltungs- und Ratsarbeit wirklich
zu integrieren? Frau Dubrau hat dies schon als einen Baustein benannt. Wie belastbar ist die Bürgerschaft, sich immer wieder an Konzepten und
Studien zu beteiligen und lange ihrer Umsetzung
zu harren?
Ist die Antwort darauf tatsächlich wieder ein einzelner Beauftragter für Nachhaltigkeit, der - wenn
er denn kommt - in einem Fachdezernat angesiedelt wird? Oder hätte es nicht vielmehr gelingen
müssen, den Schwung des integrativen, dezernatsübergreifenden Denkens zum Verwaltungshandeln werden zu lassen? Vielleicht gelingt das
ja noch. Das INSEK geht auf die Voraussetzungen einer modernen Verwaltung zwar ein und gibt
dabei der Digitalisierung sehr viel Raum; doch der
Wurf ist nicht gelungen. Auch künftig kann wohl
nicht vermieden werden, dass nur mithilfe sogenannten Taskforces die dezernatsübergreifende
Zusammenarbeit erzwungen wird. Hier liegt noch
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ein mächtiger Brocken im Fluss auf dem Weg zur
modernen nachhaltigen Stadtverwaltung.
Die Fachkonzepte spiegeln doch die bestehenden Konzepte und Strategien wider - so höre ich
manche von Ihnen raunen. Mehr noch, sie gehen
erfreulicherweise teilweise darüber hinaus, wie
beim Thema Wohnen. Hier werden auch den
neuen Ortsteilen Entwicklungen zugestanden,
was bislang nicht unbedingt geübte Praxis der
Bauverwaltung war. Die Stadtteile und Ortsteile
konnten wesentliche Handlungsansätze für die
nächsten zwölf Jahre benennen, ein Aspekt der
im früheren SEKo nicht Bestandteil war. Dies ist
wirklich äußerst positiv zu bewerten. Doch gerade
hier wird wieder in sehr hohem Maß eine Umsetzungserwartung erzeugt. Darum finden auch die
Anträge, die sich mit Ergänzungen dieser Handlungsansätze befassen, unsere Unterstützung.
Ich höre manche von Ihnen förmlich fragen: Das
INSEK wurde doch in das Zielraster der internationalen Nachhaltigkeitsziele, der SDGs, gestellt?
Gerade an dieser Stelle lassen Sie mich kurz einlenken und eines der Ziele herausnehmen, nämlich das Ziel 9: Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen. Was für Entwicklungsländer essenziell ist, ist
auch für uns von elementarer Bedeutung. Genau
an diesem Ziel kann man sehen, dass die Einordnung des INSEK in dieses Zielraster erst nachträglich erfolgte und nicht immanenter Bestandteil
der Erarbeitung war.
Auch und besonders eine wachsende Stadt benötigt eine widerstandsfähige Wirtschaft, die auch
bei künftig sinkenden europäischen Fördermitteln
Wohlstand und Wohlfahrt ermöglicht. Zwar haben
wir die Fachkonzepte „Wirtschaft und Arbeit“ sowie „Hochschulen und Forschungseinrichtungen“;
doch es ist noch nicht gelungen, konzeptionell sicherzustellen, dass die Infrastruktur künftig genau
diesem Ziel dient. Diese Querverbindung zwischen den Fachkonzepten herzustellen und mit
Leben zu erfüllen, muss ein wesentliches Element
der mit dem heutigen Beschluss des INSEK anlaufenden Umsetzung und Evaluierung sein, von
der Frau Dubrau eben sprach.
In diesem Sinne werden wir trotz der kritischen
Betrachtung dem INSEK und einigen Änderungsanträgen zustimmen und zugleich ansagen, dass
wir aktiv die Umsetzung und die damit erforderliche Änderung des Verwaltungshandelns begleiten werden, für eine moderne und im umfänglichen Sinne nachhaltige Stadt in einer attraktiven
Region. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Oberbürgermeister Jung: Das Wort hat Stadträtin Riekewald.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Stadträtin Riekewald (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Werte Stadträtinnen
und Stadträte! Liebe Gäste auf der Tribüne und
am Livestream! Lange hat es gedauert, aber nun
ist es da: das INSEK, das Integrierte Stadtentwicklungskonzept 2030, und liegt uns heute zur
Beschlussfassung vor. Das erste Mal liegt uns ein
Stadtentwicklungskonzept als ein integriertes
Konzept vor. Es ist der Stadtverwaltung gelungen,
über den Tellerrand der normalen Stadtentwicklung hinauszuschauen und ein Konzept mit ganzheitlichem Ansatz vorzulegen. Das begrüßen wir
als LINKE sehr.
Jedoch haben wir als Fraktion an den einzelnen
Schwerpunkthemen auch Kritik, welche ich hiermit formulieren will in der Hoffnung, dass sich die
Kritikpunkte in den nächsten Jahren bei der Umsetzung des INSEK 2030 in der Diskussion verbessern bzw. auflösen lassen.
Wir finden, dass es sehr berechtigt ist, das Thema
Wohnen an den Beginn der Fachkonzepte zu stellen; denn das Thema Wohnen ist in unserer wachsenden Stadt zunehmend ein riesiges Problem.
Wenn im INSEK steht: „Der Wohnungsleerstand
hat sich ... reduziert“, dann mag das im Jahr 2016
richtig gewesen sein. Im Jahr 2018 ist diese Aussage zu verharmlosend. Wir haben in Leipzig,
Stand heute, de facto nur noch spekulativen Leerstand, welcher dem Mietmarkt nicht zur Verfügung
steht.
Auch die Behauptung im INSEK, die Mieten seien
vergleichsweise gering, mag im direkten Vergleich
mit München richtig sein, geht aber am eigentlichen Problem komplett vorbei. Die für die Mieter*innen wichtige Mietbelastungsquote liegt in
Leipzig nämlich inzwischen genauso hoch wie
beispielsweise in München. Viele Bürgerinnen
und Bürger aus Leipzig werden im Umzugsfall
Probleme haben, adäquaten Wohnraum anzumieten. Für das Fachkonzept „Wohnen“ können
wir als LINKE nur sagen, dass dieses den Ernst
der Lage nicht begreift. Leipzig marschiert
schnurstracks auf Berliner Verhältnisse zu. Wir
hoffen sehr, dass hier im konkreten Handeln der
Stadtverwaltung der reellen Entwicklung seit dem
Jahr 2016 Rechnung getragen wird.
In den Entwicklungsgebieten Plagwitz-Neulindenau kann man die Entwicklung beobachten.
Hier wurde ein Großteil der alten Plagwitzer Fabrikgebäude saniert und als Luxuswohnungen vermarktet. Die sehen zwar schön aus, vor allem
vom Wasser aus, sind aber als Lokalisation für
Kreative und für Start-ups verloren. Damit bin ich
beim Thema Wirtschaft. Auch wenn es im INSEK
nicht explizit erwähnt wird, gehen wir davon aus,
dass eine derartige Interessenkollision zukünftig
vermieden wird. Wirtschaft entwickelt sich dann,
wenn es einen Markt, Produktentwicklungsfinanzierung, Fertigungsörtlichkeiten und Menschen
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gibt, die mit Ideen und Elan agieren können. Eins
fällt derzeit beim Thema Wirtschaft und Arbeit ins
Auge: Forschung und Entwicklung in den Unternehmen findet in Leipzig kaum statt. Dabei kann
kreativen Menschen geholfen werden, wenn wir
es schaffen, Investoren für Risikokapital zu generieren. Dafür muss aber der Rahmen stimmen.
Die Stadt hat hierbei eine gewaltige Aufgabe.
Zum Fachkonzept „Kommunale Bildungslandschaft“. Hier sind die Themen, zum Beispiel
Schulsozialarbeit, Freiflächengestaltung und Inklusion, richtig gesetzt. Jedoch vermissen wir das
Thema Sport, und zwar nicht den Freizeitsport,
sondern die Bildungsaufgabe Sport. Zu jeder der
zu bauenden Schulen gehört eine Sporthalle;
denn Schulsporthallen gehören zur Bildungslandschaft. Wir gehen davon aus, dass trotz Fehlen
dieses Punktes im INSEK von diesem Grundsatz
nicht abgerückt wird.
In Sachen Bildungs- und Jugendhilfeinfrastruktur
nimmt das INSEK eine vollkommen richtige Position ein. Über Jahre wurde der adäquate Ausbau
vor allem im Kitabereich verschleppt, bis sich ein
enormes Defizit angehäuft hatte. Inzwischen
wächst der Platzmangel von den Kitas in die
Schulen. Aber auch die Orte der informellen Bildung, offene Treffs, Jugendkulturzentren und alle
weiteren Angebote der Jugendarbeit dürfen nicht
herunterfallen. Wir lesen im INSEK mit großem Interesse, dass auch die Jugendhilfeinfrastruktur
dem wachsenden Bedarf angepasst werden
muss.
Kommen wir zum Thema Mobilität. Hier könnte
ich persönlich natürlich viel sagen, will es aber
auch mit Blick auf die Zeit bei einer Kernaussage
belassen. Wir teilen explizit die Schwerpunktsetzung der Stadtverwaltung: Stärkung des Umweltverbundes. Den CDU-Änderungsantrag dazu
können wir nicht verstehen und werden diesen
konsequent ablehnen. Gerade die Aussage, dass
das Bevölkerungswachstum für den Verkehr in
Leipzig Chance und Herausforderung zugleich ist,
teilen wir ausdrücklich. Nur mit einer Stärkung des
Umweltverbundes können wir die gesteckten Umweltziele und damit eine Reduzierung von Lärm
und Luftverschmutzung erreichen.
Im INSEK werden nicht nur im Fachkonzept „Mobilität“, sondern auch in allen anderen Fachkonzepten und Querschnittsthemen viele Konfliktfelder korrekt beschrieben, aber auch die vielen Herausforderungen, die sich aufgrund der wachsenden Stadt ergeben. Um diese zu lösen, bedarf es
vor allem guten und ausreichenden Personals
und genügend finanzieller Mittel. Im INSEK jedoch fehlt die finanzielle Bestandsaufnahme bzw.
die Nennung der ungefähren Größenordnung,
beispielsweise für die notwendigen Investitionen
bis 2030. So wird uns zumindest das Gefühl ver-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
mittelt, dass das Dezernat Finanzen keine konkreten Vorstellungen hat, wie die vielen genannten
Herausforderungen für die Stadt Leipzig umgesetzt werden sollen bzw. können.
Auch bei den finanziellen Rahmenbedingungen
werden im INSEK als Grundlage die Haushaltsjahre 2015 und 2016 mit Erträgen von jeweils
circa 1,48 Milliarden Euro herangezogen. Wir hatten erwartet, dass zumindest in die Neufassung
auch die Haushaltsjahre 2017 und 2018 Eingang
finden. Wir können daher nur das Fazit ziehen: Mit
allzu viel Ernsthaftigkeit hat man sich im Finanzdezernat der Aufgabe nicht gestellt. Das zeigt
auch die Quantität der Ausführungen: Gerade einmal auf sieben Seiten zuzüglich zwei Absätzen
bei über 500 Seiten insgesamt wird das Thema
Finanzen gestreift und angerissen. DIE LINKE jedenfalls wird in den kommenden Haushaltsverhandlungen sehr genau darauf achten, ob die Erwartungen, die das INSEK weckt, sich auch im
nächsten Haushalt wiederfinden.
Als vorletzten Punkt noch eine wichtige Sache. Zu
den Querschnittsthemen wie Inklusion und Chancengerechtigkeit gehört auch die Kategorie „Geschlecht“. Leider finden sich in den sechs Fachkonzepten dazu kaum Aussagen. Vielleicht liegt
das daran, dass das dazu existierende Datenmaterial nicht oder nicht genügend in die Analyse
eingeflossen ist. Wir möchten, dass künftig Genderkompetenz frühzeitig einbezogen wird, also
sowohl bei der Auswertung der Ist-Situation und
erst recht bei der Erarbeitung der Schlussfolgerungen. In den Fachkonzepten müssen sich Fragen von Geschlechtergerechtigkeit widerspiegeln; denn wo es Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, müssen entsprechende städtische Planungen greifen.
Zum Schluss bleibt mir noch ein Lob auszusprechen. Der Entstehungsprozess des INSEK war
wirklich gut. Eine so umfangreiche Bürgerbeteiligung würden wir uns bei manch anderen Vorlagen
auch wünschen. Nun bleibt die Hoffnung, dass
das INSEK als Arbeitspapier in der Verwaltung
ernst genommen wird. Wie schon erwähnt, es bedarf nach unserer Meinung mehr Personals und
besserer finanzieller Ausstattung der Dezernate,
um die strategischen Ziele bis zum Jahr 2030
auch wirklich zu erreichen. - Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Das Wort hat Herr
Zenker von der SPD-Fraktion.
Stadtrat Zenker (SPD): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste auf der Tribüne! Das vorliegende
INSEK-Papier ist abstrakt und für viele sicher
nicht richtig greifbar, da es trotz seiner 520 Seiten
wenig detaillierte Projekte enthält, wie es sich
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viele Bürger in den Stadtteilen gewünscht haben,
sondern eher Zielvorgaben macht bzw. Richtungen vorgibt. Dennoch oder gerade weil es Richtungen vorgibt, ist es von großer Bedeutung für
die Entwicklung unserer Stadt. Das INSEK bildet
den strategischen Rahmen für die Entwicklung
unserer Stadt mindestens für die nächsten zwölf
Jahre. Von daher war es gut, dass ein ausführlicher Prozess stattgefunden hat, der von einer
breiten Öffentlichkeitsbeteiligung begleitet wurde.
Aus unserer Sicht kann das Gesamtergebnis sich
sehen lassen. Es zeigt auf, dass die Stadtverwaltung dezernats- und ressortübergreifend arbeitet.
Von grundsätzlichen Werten wie gesellschaftlicher Zusammenhalt und Demokratie über Themen wie Wirtschaft und Arbeit, Stadtentwicklung,
Umwelt, Klimaschutz, Bildung, Sport und Kultur
bis hin zu Ordnung und Sicherheit greift das Konzept alle Lebens- bzw. Handlungsbereiche unserer Stadt auf.
Ich möchte daher allen beteiligten Dezernaten
und Ämtern sowie ihren Mitarbeitern danken, allen voran dem federführenden Dezernat von Frau
Dubrau und insbesondere dem Team von Herrn
Heinig im Stadtplanungsamt, das dieses Konzept
maßgeblich erarbeitet hat.
Das starke Bevölkerungswachstum und die positive wirtschaftliche Entwicklung unserer Stadt in
den letzten Jahren haben uns vor neue Herausforderungen gestellt. Mussten wir vor einigen Jahren noch darüber nachdenken, wie wir den
Schrumpfungsprozess unserer Stadt organisieren, müssen wir heute auf das Gegenteil Antworten finden. Diese Antworten lassen sich allerdings
nicht in den Teilbereichen der Verwaltungsarbeit
finden. Vielmehr ist hier ein ganzheitlicher Ansatz
gefragt; denn mit der Stadtentwicklung hängt
noch vieles andere zusammen. Das wird bei der
Betrachtung der einzelnen Fachkonzepte, die in
ihrer Gesamtheit das Integrierte Stadtentwicklungskonzept bilden, sehr deutlich.
Ich möchte einen Blick auf die Arbeit richten, die
in Zukunft vor uns, dem Rat, liegt und auf die Herausforderungen eingehen.
Wir haben Konzepte zum Schulbau, und wir haben Konzepte zum Kitabau. Diese müssen immer
wieder fortgeschrieben werden. Wir haben es in
den letzten Jahren leider nicht geschafft, sie im
notwendigen Tempo umzusetzen, sodass momentan Eltern einen Kitaplatz einklagen müssen,
sodass es auch an den Schulen immer enger
wird. Die aktuelle Vorlage dazu zeigt auf, dass wir
jetzt sehr schnell handeln müssen, um überhaupt
noch ausreichend Plätze zur Verfügung stellen zu
können. Das heißt: Wir müssen schneller werden.
Die Priorität lautet ganz klar: schnell Schulplätze
und schnell Kinderbetreuungsplätze schaffen.
Das muss allen Bereichen der Verwaltung klar
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
sein. Frau Dubrau hat es angesprochen. Aus meiner Sicht können sich die anderen Ämter, auch
wenn federführend das AGM und das Sozialdezernat für Schulen und Kitas zuständig sind, hier
nicht wegducken, sondern müssen mit nach Lösungen suchen.
Zwei andere Bereiche, wo es zunehmend klemmt,
sind die Bereiche Verkehr und Wohnen, die aus
meiner Sicht neben Schule und Kita Schlüsselthemen sind. Auch hier müssen wir vorankommen.
Hier fehlt es leider noch an Konzepten. Uns liegen
zwar Mobilitätsszenarien vor. Wir werden hierfür
im Rat mit Mehrheit sicher eine gute Lösung finden. Ich glaube auch: Der Schwerpunkt wird und
muss auf dem Umweltverbund liegen.
Dennoch fehlt nach wie vor die Fortschreibung
des Nahverkehrsentwicklungsplans. Das führt
jetzt erneut dazu, dass LINKE und Grüne wie
schon vor zwei Jahren einen Antrag eingebracht
haben und wir ohne die entsprechende Grundlage
darüber diskutieren müssen. Das müssen wir in
der Tat machen, einfach weil uns die Zeit davonläuft. Vor zwei Jahren hatten wir gesagt: Wir wollen, dass der Nahverkehrsentwicklungsplan vorliegt. Wir wollen, dass der Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag uns zumindest in Ansätzen vorliegt. Es gelingt wahrscheinlich wieder nicht, dass
dies noch vor den Haushaltsberatungen vorliegt,
damit wir darauf entsprechend reagieren können.
Auch wir werden da noch unsere Hausaufgaben
machen müssen.
Und gerade weil wir auf den Umweltverbund setzen, werden auch wir den Änderungsantrag der
CDU ablehnen. Ich glaube, die Stadt verkraftet
keine weiteren 45.000 Pkw in den nächsten zehn
Jahren. Wir brauchen eine deutlich geringere
Pkw-Quote pro Person. Sonst gibt es für alle in
dieser Stadt Stau. Dann kommen weder PkwFahrer noch der ÖPNV voran. Daher werden wir
diesen Antrag ablehnen.
Zu einem weiteren Konzept liegt jetzt eine Fortschreibung vor, die allerdings aus meiner Sicht
noch relativ unkonkret ist. Ich hoffe, dass wir da
wirklich sehr schnell vorankommen. Der Änderungsantrag der Grünen widerspricht dem, was
Sie, Frau Dubrau, in der Pressekonferenz zu den
Milieuschutzsatzungen im Leipziger Osten gesagt
und die Sie dort versprochen haben. - Sie haben
gesagt: sicher auch im Leipziger Osten eine Milieuschutzsatzung. - Ich gehe davon aus, dass die
Stadtverwaltung daran arbeitet. Von daher hoffe
ich, dass der Antrag der Grünen im Kern überflüssig wird und die Stadtverwaltung das schneller
vorlegt, als der Antrag bearbeitet werden kann.
Wir können nicht länger damit warten. Ich glaube,
in drei, vier Jahren brauchen wir über manche Instrumente gar nicht mehr sprechen. Dann ist die
zweite Sanierungswelle in manchen Gebieten
durch. Dann greifen Milieuschutzsatzungen nicht
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mehr. Wir müssen hier mehr Tempo machen, bevor der Immobilienmarkt für uns die Frage geklärt
hat, dann allerdings zu unserem Leidwesen, mit
massiv steigenden Mieten.
Die SPD wird darauf achten, dass das INSEK tatsächlich die Grundlage des Handelns der Stadtverwaltung abbildet. Wir werden auch selbst versuchen - das gehört zur Ehrlichkeit dazu -, unsere
Anträge danach auszurichten; denn auch wir wollen die Entwicklung unserer Stadt aktiv und im guten Sinne nachhaltig vorantreiben. Wir werden der
Vorlage zustimmen, ebenso dem Änderungsantrag des Gleichstellungsbeirats. Wir bitten die
Grünen, noch einmal zu überlegen, ihren Antrag
ins reguläre Verfahren zu geben. Das würden wir
als deutlich sinnvoller erachten, als ihn jetzt im
Rahmen des INSEK zur Abstimmung zu stellen. Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Das Wort geht an
Frau Krefft.
Stadträtin Krefft (Bündnis 90/Die Grünen): Sehr
geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte
Herren und Damen Stadträte, Gäste und Vertreter*innen der Medien! Wie wollen wir leben? Die
Stadt Leipzig ist ein urbaner Raum mit 1000-jähriger Geschichte, gewachsen in den historischen
Linien, von innen heraus, die anliegenden Dörfer
einnehmend, bis zu den jüngsten Eingemeindungen. Die Landschaften dazwischen wurden überbaut, die gewachsenen Strukturen mehrfach
überformt. Die Stadtväter und -mütter haben sich
stets neuen Entwicklungen gestellt, haben sich
klug aufgestellt und mit ihrem Weitblick die Entwicklung Leipzigs zur bedeutenden Messe- und
Handelsstadt, später zur Industriestadt entscheidend geprägt. Immer wurde die Stadt von Kultur
und Bildung geprägt. Bürgerstolz, Innovation, Entscheidungsfreude und die Achtung sozialer Fragen haben die Stadt geformt und zu dem gemacht, woraus wir heute schöpfen.
Leipzig erwartet eine weiterhin anwachsende Bevölkerung. Dabei ist für uns heute nicht entscheidend, welche Zahl in Zukunft tatsächlich erreicht
wird, sondern wie wir die Aufgaben meistern, um
die Stadt immer wieder und bestmöglich als Lebensort zu bilden.
Leben. Wir sprechen von urbanem Leben, von
Verdichtung, von vielen Aufgaben auf engem
Raum: Wohnen, soziale Angebote, Bildungsorte,
Versorgung für den täglichen Bedarf, Mobilität,
Natur und Klima. Wir sind stolz auf die Anmerkungen aus den Ortsteilen und Stadtbezirken; denn
sie zeigen, wie einig sich die Beteiligten bei unserem Gemeinwesen sind. Immer wieder wird nach
den Schulen gefragt, und hier pressiert es tatsächlich.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Immer wieder lese ich von Fragen zum sozialen
Frieden: Förderung von Vereinen, Zentren für soziale Begegnung, altersgerechte und barrierefreie
Einbindung, saubere Verkehrsträger, Naherholung und Grün in der Stadt, Arbeit und Gewerbe.
Die Bürger*innen dieser Stadt haben eine hohe
Orientierung am Gemeinwesen. Die Gesundheit
der Bewohner*innen, der praktische Blick auf den
Alltag und die integrierende Funktion des Organismus Stadt sind erkennbar verinnerlicht.
Denn wie auch sonst sollen wir in der wachsenden Stadt leben, wenn wir nicht den Naturraum
mitbetrachten, von Kälteschneisen bis Ökosystem Auwald, von Ressourcenschutz, umweltfreundlicher Mobilität bis zu alltägliche Zeitmanagementfragen? Wie organisiert die Stadt Arbeit
und Wohnen? Wie minimiert sie Wegezeiten und
erhöht Durchlässigkeit im Verkehr? Wie können
wir wachsen und dabei soziale Ausgeglichenheit,
Zugängigkeit und die Sicherheit bezahlbaren
Wohnens und finanzierbaren Lebens bewahren?
Wie können die Bewohner*innen den alltäglichen
Stress von Fluglärm bis Rushhour für sich regulieren? Wie können sie entspannt vorankommen,
Work-Life-Balance finden, sich erholen? Wie erhalten wir Freiräume? Wie garantieren wir Freiheit? Denn darum geht es doch, wenn wir über
Leben sprechen: Entfaltung, Vielfalt, Möglichkeit!
Das INSEK ist grob, wo es die großen Linien
zeichnet, und klar, wo es die entscheidenden Fragen beschreibt. Die Feinheiten bekommt es in den
nachgelagerten Planungen. Ob die Politik, also
wir, klug entscheiden wird, kann das INSEK nicht
vorgeben.
Dem Dezernat Stadtentwicklung und Bau mit seiner Mitarbeiterschaft, Frau Dubrau und hervorgehoben Herrn Heinig möchte ich an dieser Stelle
ausdrücklich danken, für die gelungene Vorbereitung und Durchführung der Bürgerbeteiligung.
Aufmerksam wurde protokolliert und wurden die
Hinweise und Einwände abgewogen und - so haben wir es erkannt - vielfach eingearbeitet.
Leipzig ist Bürgerstadt, und die Bürger*innen
zeichnen sich durch die Sachkunde für ihren Lebensort und den Weitblick für ihre lebensfrohe
Stadt aus. Ich hoffe, diesen Geist der Zuversicht
in den zukünftigen Entscheidungen hier im Rat
immer wieder zu spüren.
Oberbürgermeister Jung: Herr Keller.
Stadtrat Keller (AfD): Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Damen und Herren!
Weniger wäre mehr gewesen. Die Stadtverwaltung hat mit diesem Konzept aufgezeigt, was die
jeweiligen Abteilungen umtreibt, wie aus deren
Sicht die Entwicklung weitergehen soll, und hat
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auch nicht darauf verzichtet, eine Bestandsanalyse beizufügen. Doch wo soll denn der wenig Zeit
zur Verfügung habende, arbeitende Normalbürger
die für ihn interessante Stadtentwicklung finden?
Diese würde man doch unter dem Punkt „Strategisches Zielbild“ suchen. Dort sind aber vor allem
Analyse und Selbstverständlichkeiten zu finden.
Sucht man nun in der Stadtentwicklungsstrategie,
so wird man weitere Selbstverständlichkeiten finden und den Hinweis im Punkt „Umsetzung“, dass
diese genauso wie im SEKo 2009 gestaltet werden sollen. Einziger Unterschied ist die Feststellung: „Leipzig wächst nachhaltig.“ Doch diese
Feststellung hat man in den vorangegangenen
Absätzen bereits mehrfach lesen können. Negativ
fehlt hier auch die Verwendung des englischen
Schlagworts „Smart City“ auf. Weshalb man hier
nicht „intelligente Vernetzung“ schreibt, scheint
nur der Verwaltung bekannt zu sein. Uns ist es ein
Rätsel. Erst im Punkt B.2.1. Handlungsansätze in
den Schwerpunktgebieten, kann man erste Hinweise darauf entdecken, was für den Bürger interessant ist, weil es ihn konkret betrifft.
Die Fachkonzepte im Abschnitt C haben es in
sich. Das Fachkonzept „Nachhaltige Mobilität“
sieht vor, dass trotz wachsender Stadt und damit
verbundenen wachsenden Verkehrserfordernissen ein Modal Split von 70 Prozent und für den
motorisierten Verkehr von nur 30 Prozent angestrebt wird. Dass auch die Wirtschaft wachsen
muss und der Wirtschaftsverkehr nicht mit dem
Fahrrad oder mit der Straßenbahn bewältigt werden kann, wird nicht zum Ausdruck gebracht.
Stattdessen wird phrasenhaft in Worthülsen darauf verwiesen, dass man nachhaltig vernetzen
und intelligent steuern will. Wie und wo dies genau passieren soll, wird ausgespart. Ein Parkraumkonzept fehlt völlig. Konzepte, die übergreifend Verkehr ableiten, wie das Ringtangentensystem oder andere Lösungen, sind nicht einmal ansatzweise zu finden.
Auch im Fachkonzept „Klimaschutz“: keine verbindliche Aussage. Wo ist das Konzept für Elektromobilität? Wo ist das Konzept für den Schutz
unseres Auenwaldes vor Umbau und Abholzung?
Wo sind die Konzepte der Mitwirkung am Leipziger Flughafen, was den Lärmschutz und die erhöhten Abgasbelastungen des Auenwaldes betreffen?
So könnte man noch weitere fehlende fachliche
Aussagen anmahnen, was wir mir hier jetzt zu
aufwendig scheint. Mit diesen Beispielen wollte
ich nur mein Votum gegen diesen viel zu dicken
Wälzer von Bürgerfernheit begründen. - Ich danke
für Ihre Aufmerksamkeit.
Oberbürgermeister Jung: Herr Morlok.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Stadtrat Morlok (Freibeuter): Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Sehr geehrte Frau Dubrau! In
der Tat: Das, was wir heute beschließen, wird die
Stadt für die nächsten 10, 15, 20 Jahre nachhaltig
prägen. Das ist auch dringend überfällig, beschreibt es doch den Paradigmenwechsel von der
schrumpfenden zur wachsenden Stadt. Dieser ist
in vielen Lebensbereichen für die Bürgerinnen
und Bürger tagtäglich spürbar. Deswegen ist es
wichtig, dass wir die verschiedenen Themen miteinander verzahnen, statt nur ein Thema isoliert
zu betrachten, und versuchen, integriert die Entwicklung unserer Stadt zu beschreiben.
Ja, Leipzig wächst. Ich denke, es ist wichtig, sich
einmal Gedanken darüber zu machen, was die
Ursachen für das Wachstum sind. Wenn wir auf
die letzten zwei, drei, vier Jahre zurückschauen,
könnte man sagen: Wachstum wird induziert
durch Migration, Migration von außerhalb Europas. Wenn wir das aber in die Zukunft fortschreiben, meine ich sehr wohl, dass das nicht die
Quelle des Wachstums für die nächsten Jahrzehnte sein wird. Die Quelle des Wachstums für
die nächsten Jahrzehnte werden die Arbeitsplätze
sein, die hier in Leipzig entstehen oder auch nicht
entstehen.
Wir haben in Deutschland, insbesondere wenn
man in die Alt-Bundesländer schaut, Vollbeschäftigung. Niemand verlässt seinen Arbeitsplatz in
Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Baden-Württemberg, München, um als Arbeitsloser nach Leipzig
zu kommen und sich hier einen neuen Job zu suchen. Nein, die Menschen kommen nach Leipzig,
wenn ihnen attraktive Arbeitsplätze in Leipzig angeboten werden. Deswegen muss die Wirtschaft
ganz klar im Fokus der integrierten Stadtentwicklung stehen, so es weiterhin unser Ziel ist, dass
die Stadt auf 750.000 Einwohner anwachsen soll.
Wenn man sich die einzelnen Probleme anschaut,
mit denen wir uns tagtäglich im Stadtrat beschäftigen, und sie dem INSEK gegenüberstellt, muss
man sagen: Eigentlich kommen wir damit viel zu
spät. Das, was wir in jeder Stadtratssitzung und in
vielen Ausschusssitzungen insbesondere im Bereich Schulen und Kitas diskutieren, hat mehr etwas von einer Operation am offenen Herzen als
von einer strategischen Planung. Wir kommen zu
spät. Eigentlich sind wir Getriebene, Getriebene
der Entwicklung. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
muss uns eine Lehre sein für zukünftige INSEK:
Wir müssen schneller werden. Wenn wir wirklich
den Anspruch haben, mit einer strategischen Planung die Stadt zu gestalten, muss dieser strategische Ansatz deutlich früher kommen, als er jetzt
gekommen ist.
Das Ergebnis einer wachsenden Stadt ist Konkurrenz, Konkurrenz um Flächen für Wohnungen, für
S e i t e | 41
Grünflächen, für Schulen, für Kitas, für Verkehrsprojekte, für viele Dinge. Es ist im Rahmen
der Diskussion des INSEK deutlich geworden,
dass wir uns diesem Konkurrenzverhältnis verantwortungsvoll stellen müssen.
Ich möchte mich ausdrücklich bedanken bei
Ihnen, Frau Dubrau, bei Herrn Heinig und all jenen, die an dieser Arbeit mitgewirkt haben. Ich
glaube, das Papier ist gelungen. Ich kann für
meine Person sprechen: Ich finde mich auch in
den Änderungen wieder, von der Nullfassung bis
zu der Fassung, die wir heute im Stadtrat beraten.
Das zeigt, dass die Kollegen in den Diskussionen
aufmerksam zugehört, Probleme erkannt und Hinweise mit aufgenommen haben.
Weil ich mich intensiv mit Verkehrspolitik befasse,
möchte ich gerade auf diesen Bereich näher eingehen. In der ersten Version gab es zum Beispiel
noch keine Trassenfreihaltungen für den Mittleren
Ring Ost. Momentan diskutieren wir wieder darüber, ob wir ihn unter Umständen doch brauchen.
Ich sage nicht, dass wir ihn brauchen; aber er ist
zumindest wieder auf der Agenda. Die Nordtangente zur Entlastung der Innenstadt findet sich
jetzt endlich explizit im INSEK wieder. Das war
vorher nicht der Fall. Auch in den Medien ist bereits darüber berichtet worden, dass es die größten Veränderungen innerhalb INSEK im Bereich
des Teilkonzepts Verkehr gibt.
Das führt mich, sehr geehrte Damen und Herren,
am Schluss meiner Ausführungen zum Änderungsantrag der CDU. Wenn wir ein Wachstum
der Stadt auf mehr als 700.000 Einwohner wollen - das heißt: über 10 Prozent mehr Einwohner
als heute - und dies bei gleich verteilter Mobilität
innerhalb der Stadt Leipzig passiert, würde das
bedeuten: Der Individualverkehr wird auf unseren
Straßen im Stau stehen. Wir werden im Verkehr
ertrinken. Auch der Wirtschaftsverkehr wird keine
Chance mehr haben, durchzukommen.
Die Frage ist: Wie geht man mit dem Problem um?
Verbietet man Autos? Stellt man Schilder auf und
sperrt Straßen für Autos? Führt man autofreie Zonen ein? Agiert man dirigistisch, ordnungspolitisch? Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wäre nicht unser Ansatz. Aber es ist sehr
wohl unser Ansatz, Anreize dafür zu schaffen,
dass Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt bei
ihren tagtäglichen Wegen auf ihren Pkw verzichten können. Das nennt man eine angebotsorientierte Verkehrspolitik. Angebotsorientierte Verkehrspolitik heißt auch, dass der ÖPNV so attraktiv ausgebaut werden muss, dass möglichst viele
Menschen vom Motorisierten Individualverkehr
auf den ÖPNV umsteigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und
auch von der AfD, ich möchte nicht in einer Stadt
leben, in der im Vergleich zu heute 15 Prozent
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
mehr Motorisierter Individualverkehr auf unseren
Straßen unterwegs ist. Das würde die Stadt dramatisch verändern. Das kann nicht unser Ziel
sein. Gute Angebote zum Umsteigen auf den
ÖPNV zu schaffen, das ist das Ziel. Wenn man
mit einem Änderungsantrag, wie Sie von der CDU
es tun, diese Zielsetzung infrage stellt oder sie negiert, dann hat man vieles von der integrierten
Stadtentwicklung in Leipzig noch nicht begriffen. Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Es gibt weitere Wortmeldungen. Herr Elschner, bitte.
Stadtrat Elschner (Bündnis 90/Die Grünen):
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Beigeordnete! Kolleginnen und Kollegen
Stadträte! Sehr geehrte Gäste und Zuseher am Livestream! Das städtische Wachstum stellt die
Verwaltung, die Politik, aber auch die Stadtgesellschaft vor große Herausforderungen, die wir alle
tagtäglich erleben und wahrnehmen können.
Diese Herausforderungen können allerdings nicht
einfach mal so angegangen und bewältigt werden. Vielmehr braucht es einer vorausschauenden und nachhaltigen Stadtentwicklung und dementsprechend auch eines nachhaltigen und vorausschauenden kommunalen Handelns, damit
die Menschen jetzt und in Zukunft gut in unserer
Stadt leben können. Deshalb muss das Thema
Nachhaltigkeit in unserer Stadt unbedingt zur
Chefsache gemacht werden.
Wir Grüne sind der Auffassung, dass insbesondere in Bezug auf eine nachhaltige Umsetzung
des INSEK sowie dessen Evaluierung, Fortschreibung und Untersetzung, aber auch Steuerung ein
Nachhaltigkeitsmanagement als Querschnittsaufgabe in die Verwaltung integriert werden muss.
Dazu braucht es aus unserer Sicht eines oder einer Nachhaltigkeitsbeauftragten, durchaus auch
mit Blick von außen.
Kollege Zenker hatte den Hinweis gegeben, dass
die SPD momentan noch ein Problem mit unserem Änderungsantrag hat. DIE LINKE hat auch
noch keine zustimmenden Signale gesendet.
Auch vor dem Hintergrund, dass mittlerweile die
Vorlage zur Neuausrichtung und Namensänderung der Leipziger Agenda ins Verfahren gebracht
wurde, schlage ich vor, unseren Änderungsantrag
heute nicht abzustimmen, sondern ins Verfahren
zu geben. Uns ist diese Frage zu wichtig, als dass
wir sie heute einfach ablehnen lassen. - Danke
schön.
Oberbürgermeister Jung: Frau Dr. Märtens.
S e i t e | 42
Stadträtin Dr. Märtens (Bündnis 90/Die Grünen):
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
stehe hier, um den Änderungsantrag des Gleichstellungsbeirats einzubringen. Dieser Änderungsantrag zum INSEK greift für die Zukunft. Er wird
die Planungen in den nächsten Jahren nicht verändern. Dieser Antrag zielt auf eine Qualifizierung
der Fortschreibung des INSEK in den nächsten
Jahren. Der Gleichstellungsbeirat hat sich in einer
eigenen Sitzung ausführlich mit dem Konzept
auseinandergesetzt und daraus Forderungen für
die Zukunft abgeleitet.
Das jetzt vorliegende Integrierte Stadtentwicklungskonzept benennt Chancengleichheit als
Querschnittsaufgabe, ja. Aber: Wenn Sie das
INSEK querlesen, kommt der Gleichstellungsgedanke nur sehr selten zum Tragen. Die einzelnen
Kapitel sind diesbezüglich unterschiedlich aufgestellt, aber keines ist gut. Dem INSEK 2030 fehlen
grundlegend Analysen über die unterschiedlichen
Lebenslagen von Frauen und Männern in Leipzig
und über mögliche geschlechtsspezifische Benachteiligungen.
Wir machen - das will ich allen Schreihälsen entgegnen - dem INSEK nicht den Vorwurf, dass es
der Geschlechtergerechtigkeit entgegenwirkt. Wir
konstatieren, dass es ungenügend nach Geschlechtergerechtigkeit fragt. Das zugegeben begrenzte Datenmaterial der Stadt zu diesem
Thema wurde nur äußerst selten berücksichtigt.
Expertinnen und Experten mit Genderkompetenz
wurden nicht einbezogen.
Das lässt sich für dieses INSEK nicht mehr heilen.
Aber die Geschichte dieser Stadt geht weiter, das
INSEK wird fortgeschrieben werden. Niemand
wiederholt gern seine Fehler von gestern. Das
nächste INSEK muss schon in der Problemanalyse die unterschiedlichen Lebenslagen aller Geschlechter berücksichtigen, und es muss in der
Konzeptionsphase in jedem Bereich unseres
Handelns Chancengleichheit zum Maßstab machen.
Sie alle wollen eine großartige und wunderbare
Stadt für alle Leipzigerinnen und Leipziger. Ich
auch. Aber „alle“ heißt: Wir müssen alle in unseren Planungen berücksichtigen. Bitte unterstützen
Sie den Antrag des Gleichstellungsbeirats, damit
dies in Zukunft besser gelingt!
Oberbürgermeister Jung: Frau Heller.
Stadträtin Heller (CDU): Ich möchte, dass mein
Antrag heute nicht abgestimmt wird und ins reguläre Verfahren verwiesen wird.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Oberbürgermeister Jung: Gut, dann verfahren
wir so. - Herr Schlegel.
Stadtrat Schlegel (DIE LINKE): Sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Damen
und Herren Stadträte! Verehrte Zuhörer! Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept „Leipzig 2030“
soll Fachpolitikbereiche in Verwaltung, Stadtrat
und Gesellschaft inhaltlich und stadträumlich nunmehr unter den Bedingungen einer kompakten
und bevölkerungsmäßig wachsenden Stadt integrieren, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Das INSEK ist keine eierlegende Wollmilchsau,
die andere notwendige Konzepte und Planungen,
wie beispielsweise für Kita- und Schulhausbau oder Wohnungsbau, ersetzen kann. Deshalb kann
das INSEK stadträumlich auch nur ausgewählte
Stadtteile und Quartiere in den Fokus nehmen, in
denen mittelfristig dezernats- und ämterübergreifend komplexer Handlungsbedarf besteht, und
nur ausnahmsweise ins Detail gehen.
Hervorzuheben und stellvertretend zu würdigen
ist das große Engagement der Baubürgermeisterin Frau Dubrau sowie des Abteilungsleiters
Stadtentwicklungsplanung im Stadtplanungsamt
Herrn Heinig und seinem Team, Frau Pannicke,
Frau Komm und Herrn Richard, die mit den Dezernaten und Ämtern sowohl inhaltlich als auch
stadträumlich an diesem komplexen Kompendium gearbeitet haben und im vergangenen Jahr
im wahrsten Sinne des Wortes durch Stadtteile
sowie Stadtbezirksbeiräte und Ortschaftsräte getingelt sind. Die Beiräte hätten sie - ich weiß, der
Senioren-Beirat hat es gemacht - selbstverständlich auch selbst zu sich einladen können.
Regelmäßig gibt es Kritik, dass die Bürgerinnen
und Bürger nicht rechtzeitig genug informiert und
in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Beim INSEK ist dies erfolgt, sogar mehrjährig
mit vorbereitenden Informationsveranstaltungen
wie „Leipzig weiter denken“, organisiert unter anderem durch Herrn Keppler. Es wurde auch immer
über den aktuellen Bearbeitungsstand informiert
und dieser in Ausstellungen dargestellt, zum Beispiel im Hauptbahnhof, in der Stadtbibliothek oder
kürzlich in der Baumwollspinnerei.
Erlebbar war, dass auch der Oberbürgermeister,
die Bürgermeisterinnen und die Bürgermeister sowie Amtsleiterinnen und Amtsleiter das INSEK zur
Chefsache gemacht haben und in Workshops mit
Stadträten oder in Bürgerforen selbst aufgetreten
sind.
Nun kommt es darauf an, das als Strategie zu verstehende Papier in die Tat umzusetzen. Ich halte
an der Vision fest, dass aus Leipzig eine menschliche Stadt wird. Hoffnungsvoll ist für mich bei-
S e i t e | 43
spielweise die Bürgerbeteiligung bei der Entwicklung des Stadtquartiers Freiladebahnhof, wo gestern bereits der sechste Workshop erfolgreich
stattgefunden hat. - Danke.
Oberbürgermeister Jung: Meine Damen und
Herren, ich denke, wir können jetzt zur Abstimmung schreiten. Nutzen Sie bitte dafür Ihr Abstimmgerät!
Zuerst steht der Änderungsantrag des Beirats für
Gleichstellung von Frau und Mann zur Abstimmung. Frau Dr. Märtens Worte im Ohr, bitte ich um
Ihr Votum. - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 27 - 20 - 2. So beschlossen.
Abstimmung über den Änderungsantrag der
CDU-Fraktion zum Thema Mobilität. Ihre Stimme
bitte jetzt! - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 11 Ja-Stimmen, 35 Nein-Stimmen,
2 Enthaltungen. Damit abgelehnt.
Abstimmung über den Änderungsantrag des Ortschaftsrats Mölkau. Ich bitte um Ihr Votum. - Ich
schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 24 - 12 - 13. Damit positiv abgestimmt.
Der Änderungsantrag der Stadträtin Heller wird
heute nicht abgestimmt und geht ins reguläre Verfahren.
Vor der Abstimmung über die Gesamtvorlage
gebe ich ausdrücklich zu Protokoll, dass Protokollnotizen, die in den Ortschaftsräten gemacht
wurden, selbstverständlich im Verfahren zu Protokoll erfasst worden sind, und zwar alle, auch diejenigen, mit denen sie nicht einverstanden waren.
Ich bitte nun um Ihr Votum zum INSEK. - Ich
schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 36 - 6 - 7. So beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gestatte mir, allen
zu danken, die daran mitgewirkt haben. Ich nenne
in besonderer Weise Herrn Heinig und seine
Mannschaft. Aber ich will auch alle anderen Fachebenen nennen. Die elf Fachkonzepte sind in den
Ämtern nach allen Seiten gewendet worden. Die
Beigeordneten haben mitgewirkt. Es ist in der Tat
ein Papier der gesamten Verwaltung geworden.
Insofern herzlichen Dank allen Fachebenen, allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern! Herzlichen
Dank auch für Ihre Zuarbeit und Mitarbeit in diesem Prozess! Ich denke, wir haben heute ein sehr
wichtiges Papier verabschiedet.
Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung
dazu! Ich war heute Morgen in der Schwedischen
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Botschaft in Berlin. Dort waren die Oberbürgermeister von Oslo, Kopenhagen, Stockholm,
Espoo und eben auch meine Person. Ich durfte
das INSEK im Gebäude der Nordischen Botschaften kurz vorstellen. Es gibt europaweit ein ungeheures Interesse an diesem Papier, was - so unbescheiden bin ich - Maßstäbe setzt für die integrierten Stadtentwicklungskonzepte, die in Europa auf dem Tisch liegen. Herzlichen Dank für
diese Arbeit!
Wir fahren jetzt fort mit Tagesordnungspunkt 6:
6
Informationen I
6.1 Sportprogramm 2024 für die Stadt
Leipzig Umsetzungsbericht,
Stand:
31.12.2017 (VI-Ifo-02503)
Einreicher: Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport
Gibt es Wortmeldungen? - Dann bitte ich um
Kenntnisnahme.
6.2 EFRE-Fördergebiet Leipziger Westen
2014-2020, 1. Änderung zum Beschluss
VI-DS-03124, Förderung von Baumaßnahmen - Philippus Leipzig, Aurelienstraße 54
Energetische und bauliche Sanierung des
Kirchenbaus inkl. Nebenräume zu einem
öffentlichen Veranstaltungsort, 1. BA (VIIfo-03124)
Einreicher: Dezernat Stadtentwicklung und
Bau
Es ist Kenntnisnahme gewünscht. - So zur Kenntnis genommen.
6.3 Umsetzung des Beschlusses der Ratsversammlung VI-A-03534 zur Einführung eines Internen Kontrollsystems (IKS) (VI-Ifo05080)
Einreicher: Dezernat Allgemeine Verwaltung
Herr Wehmann.
Stadtrat Wehmann (DIE LINKE): Sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister! Ich habe nur eine kurze
Anmerkung. Der Informationsvorlage fehlt noch so wurde es im Ausschuss diskutiert - die Konzeptvorlage. Es wurde zugesichert, sie bis zum
30.09. mit Zeitplan dem Stadtrat vorzulegen. Wir
bitten, das zu Protokoll zu nehmen.
Oberbürgermeister Jung: So soll es sein. - Herr
Georgi.
Stadtrat Georgi (CDU): Ich mache es vom Platz
aus. - Ich bin schon ein bisschen entsetzt über
den Zeitplan, den Sie mit dieser Informationsvorlage vorlegen. In Punkt 1 führen Sie sogar an,
dass wir am 12. April 2017 - 2017! - die Einführung
S e i t e | 44
eines Internen Kontrollsystems in der Stadtverwaltung beschlossen haben. Ich weiß aus langer
Erfahrung, dass Zeit relativ ist. Aber die für die
Vorlage vorgesehenen sechs Monate waren bereits im Oktober 2017 abgelaufen. Heute haben
wir den 31. Mai 2018, und sie liegt uns immer
noch nicht vor.
Wir hatten ursprünglich beschlossen, dass das Interne Kontrollsystem, das, wie Sie in der Informationsvorlage schreiben, noch einmal beschnitten
wurde, ab dem 30.06.2018 verbindlich angewendet wird. Auch dies wird nicht erfolgen können. Ich
bedaure das sehr, vor allem weil das bei mir, aber
auch bei vielen anderen Stadträten, die sich damit
beschäftigt haben, den faden Beigeschmack hinterlässt, dass die Verwaltung sich aus irgendeinem Grund der Kontrolle entziehen möchte, dass
also dieses Interne Kontrollsystem wahrscheinlich
erst zur nächsten Legislaturperiode, eventuell in
abgespeckter Form, vielleicht, gegebenenfalls zur
Verfügung steht.
Wie gesagt, ich kann das hier nur ausgesprochen
stark bedauern. Ich werde es wahrscheinlich nicht
mehr beeinflussen können. Aber das zeigt mir
doch, welchen Wert die Verwaltungsspitze der
Kontrolle der Stadtverwaltung beimisst. - Vielen
Dank.
Oberbürgermeister Jung: Herr Hörning, ich bitte
Sie, unsererseits dazu Stellung zu nehmen, damit
das nicht unkommentiert im Protokoll steht.
Bürgermeister Hörning: Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Sehr geehrte Damen und
Herren! Herr Georgi, ich möchte diese Polemik in
aller Form zurückweisen. Die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Verwaltung haben sich mit aller Ernsthaftigkeit mit diesem Auftrag beschäftigt
und haben nicht nur Neues, sondern auch Bestehendes zusammengetragen. Zur Umsetzung des
Projekts wurde eine Arbeitsgruppe gebildet. Wir
berichten Ihnen jetzt, welche Maßnahmen bereits
durchgeführt wurden.
Ja, dieser Bericht kommt später als von Ihnen beauftragt; das ist richtig. Aber er kommt nicht deshalb später, weil hier irgendetwas vertuscht oder
verheimlicht werden soll, sondern weil wir diesen
Auftrag, den Sie uns gegeben haben, vor allem
auch dafür genutzt haben, uns noch einmal zu
vergewissern und auch nach innen zu schärfen,
wo in der Verwaltung wir bereits Momente von
Selbstkontrolle haben, zum Beispiel das Vieraugenprinzip, Zeichnungsrollen, verschiedene verteilte Kontrollverfahren, die integriert in ITSystemen schon jetzt funktionieren.
Dies bewusster, klarer und auch geordneter zu
tun, ist Teil des Projekts, was insbesondere durch
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Ihre Initiative hier im Stadtrat beauftragt wurde.
Das verfolgen wir mit aller Ernsthaftigkeit. Entsprechend der Planung wurden hierfür auch
schon Stellen eingerichtet, die explizit mit diesem
Thema befasst sind und insbesondere mit dem
Rechnungsprüfungsamt eng zusammenarbeiten.
Es ist auch Auftrag des Rechnungsprüfungsamtes, die Verwaltung vorausschauend beratend zu
begleiten. Wir sind mit ihm sozusagen intern im
Dialog, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
im laufenden Handeln die Erfüllung ihrer Fachaufgaben zu ermöglichen.
Die Aufgabe der Verwaltung ist die Erfüllung von
Fachaufgaben, natürlich unter Wahrung von Kontrolle, Sicherheit usw. Bei der Erfüllung von Fachaufgaben ist nicht nur Ihr korrekter Ablauf sicherzuzustellen, sondern auch, dass Kontrolle stattfindet. Das ist Ziel des Projekts. Das haben wir Ihnen
in der Vorlage dargelegt. Wir informieren Sie gern
auch noch einmal zu den weiteren Arbeitsständen. Aber ich möchte hier in aller Form zurückweisen, dass irgendwas verzögert werden soll. Wie
sich die Dinge in der nächsten Legislaturperiode
verhalten, ich denke, das werden Kreisdelegiertenkonferenzen und der Wähler entscheiden. Wir
arbeiten mit aller Ernsthaftigkeit an Ihrem Auftrag
weiter. Das kann ich Ihnen versichern. - Vielen
Dank.
Oberbürgermeister Jung: Herr Georgi noch mal.
Stadtrat Georgi (CDU): Den Vorwurf der Polemik
weise ich ausdrücklich zurück. Ich habe einfach
nur den Fakt benannt, dass Sie das IKS nicht zum
30.06.2018 einführen werden, wie es vom Rat
ausdrücklich gewünscht war, und das liegt ganz
bestimmt nicht am Stadtrat, sondern das liegt an
Ihnen, an Ihrer Verwaltung und an der Arbeit an
diesem Projekt. - Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Wir nehmen das zur
Kenntnis.
6.4
Jobcenter Leipzig: Zielabrechnung 2017
und Zielvereinbarung 2018, Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm 2018
(VI-Ifo-05417)
Einreicher: Dezernat Wirtschaft und Arbeit
6.4.1 dazu ÄA (VI-Ifo-05417-ÄA-02)
Einreicher: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Frau Krefft.
Stadträtin Krefft (Bündnis 90/Die Grünen): Wir
haben unseren Änderungsantrag relativ kurzfristig eingebracht. Dafür möchte ich mich zunächst
entschuldigen.
S e i t e | 45
Wir haben im Fachausschuss das Thema Sanktionen schon andiskutiert. Leipzig ist lange Zeit
Sanktionshauptstadt in Sachsen gewesen. Jetzt
teilt sich diesen „noblen“ Rang mit dem Vogtlandkreis. Es gibt auch andere Städte, die ähnlich
hohe Sanktionsraten haben. Wir finden sie aber
nicht gut. Wir wissen, dass der kommunale Einfluss gering ist. Aber wir wollen das politische Signal senden: Wir als Stadt Leipzig wollen nicht länger die Sanktionshauptstadt in Sachsen sein. Wir
wollen, dass sich das ändert.
Wir haben das in unserem Antrag mit vier Worten
formuliert, nämlich: „Die Sanktionsquote wird gesenkt.“ Um wie viel und wie und was man dafür
tut, haben wir offen gelassen. Das ist dem Jobcenter bzw. den weiteren Zielvereinbarungen im
Prozess überlassen. Wir freuen uns auf Vorschläge, wie das geschehen kann. Darüber wollen wir unterrichtet werden. Aber dass wir von dieser roten Laterne wegkommen, halten wir für einen ganz wichtigen politischen Auftrag.
Oberbürgermeister Jung: Herr Albrecht.
Stadtrat Albrecht (CDU): Sehr geehrte Frau
Krefft, Sie haben jetzt zitiert aus dem Fachausschuss. Ja, Sie haben es dort angesprochen.
Aber: Es gab dort keine Einigkeit darüber. Das
möchte ich hier klarstellen. Wir und wahrscheinlich auch andere Fraktionen sind nicht dafür nicht, dass das hier falsch ankommt.
Oberbürgermeister Jung: Frau Witte.
Stadträtin Witte (Freibeuter): Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe verbliebene Gäste auf der Tribüne!
Liebe Grünen-Fraktion, SGB II ist Bundesgesetzgebung. Das ist so. Das Jobcenter hat bei der Anwendung von Bundesgesetzen keinerlei Ermessensspielraum. Das heißt: Wenn der Sanktionstatbestand erfüllt ist, muss es sanktionieren. Es
kann gar nicht anders. Das können wir nicht ändern, so gerne ich das wollte, weil auch ich gegen
diesen offenen Strafvollzug namens Hartz IV bin.
Aber dann muss man das ganze Gesetz in den
Mülleimer werfen und ein vernünftiges Gesetz für
die Grundsicherung bei Erwerbslosigkeit auf den
Weg bringen. An der Stelle erinnere ich immer
wieder gern daran, wer das damals beschlossen
hat; aber gut. Fakt ist: Wir können das nicht ändern. Wir können da gar nichts machen.
Allerdings: Wir haben ein massives Problem in
Leipzig - dieses Problem hat keine andere Großstadt in Deutschland -, nämlich dass die Jugend-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
lichen unter 25 der Meldeaufforderung nicht nachkommen. Die überwiegende Anzahl der Sanktionstatbestände geht auf Meldeversäumnisse von
unter 25-Jährigen zurück. Wie gesagt, das Jobcenter hat da keinen Ermessensspielraum. Es
versendet inzwischen an unter 25-Jährige Meldeaufforderungen, um mit ihnen über ihre berufliche
Zukunft zu reden, per Zustellungsurkunde. Das
kostet ein Schweinegeld. Wir müssen uns fragen:
Warum tritt dieses Problem, dass die Jugendlichen nicht kommen, wenn sie vom Jobcenter eingeladen werden, nur in Leipzig auf?
Wir hatten vorhin die Bildungspolitische Stunde.
Wenn jemand schon im System Schule nicht zurechtkommt, wie soll er dann im System Jobcenter zurechtkommen? - Na also! Da müssen wir an
den Wurzeln ansetzen. Ich wäre, wie gesagt, von
Herzen sofort mit dabei, die Sanktionen abzuschaffen, weil ich für ein Belohnungssystem bin,
wie es zum Beispiel in Holland gehandhabt wird.
Dort werden Leute, die intensiv nach einem Job
suchen, belohnt und die anderen, die die Jobsuche nicht ganz so intensiv betreiben, aber nicht
bestraft. Das wäre der richtige Weg - und die
Leute in Arbeit zu bringen.
Man muss aber auch sehen, dass jemand, der
von dem Geld lebt, das die Gesellschaft erarbeitet, auch gewisse Pflichten hat und nicht einfach
sagen kann: Das interessiert mich überhaupt
nicht, sondern auch von sich aus daran mitwirken
muss, wieder oder überhaupt mal in Arbeit zu
kommen, auch wenn ihm ein schwieriger Weg bevorsteht.
Lange Rede, kurzer Sinn. Wir können das nicht
ändern. Das Jobcenter hat keinerlei Ermessensspielraum. Nur aus diesem Grund werden zumindest Teile meiner Fraktion diesen Antrag ablehnen.
Oberbürgermeister Jung: Herr Geisler.
Stadtrat Geisler (SPD): Jetzt habe ich die undankbare Aufgabe, am Ende reden zu müssen.
Auch wir sind dafür, das nicht in der Ratsversammlung, sondern im Fachausschuss zu diskutieren. Im Fachausschuss Wirtschaft und Arbeit ist
noch nie darüber gesprochen worden, zumindest
nicht in diese Richtung gehend. Dort gehört das
Thema hin. Herr Bär ist bestimmt der Letzte, der
eine Diskussion dazu abwürgen oder das Jobcenter nicht dazu einladen würde.
Zu den Arbeitslosen U-25. Die werden inzwischen
einen Tag vor ihrem Termin per SMS daran erinnert, sie werden angeschrieben per Einschreiben
Rückschein oder Zustellungsurkunde, und trotzdem reagieren sie einfach nicht. Sorry! Mir fehlt es
wirklich schwer, mich dafür einzusetzen, die
S e i t e | 46
Sanktionen zu reduzieren, wenn Menschen ihren
Verpflichtungen in keinster Weise nachkommen
und jedweden Beitrag verweigern, ihre eigene berufliche Zukunft voranzubringen.
Bei den Big 20 lagen wir in der Sanktionsquote vor
zwei Jahren auf Platz fünf, im letzten Jahr auf
Platz sechs. Aktuell sind wir auf Platz vier „vorgerückt“, zumindest in der, die nur eine Sanktion umfasst. Die Quoten bei mehreren Sanktionen sind
in Leipzig noch einmal ein Thema für sich. Aber
das können wir nicht hier im Rat diskutieren, sondern das müssen wir in den Ausschüssen tun, wo
das Thema hingehört. - Übrigens: Liebe Freunde
von den Grünen, heute um 15.10 Uhr, also schon
mitten in der Sitzung, noch einen Änderungsantrag einzubringen, ich weiß nicht, ob das so zielführend ist.
Oberbürgermeister Jung: Herr Hörning, ich
würde Sie als Mitglied der Trägerversammlung
Jobcenter Leipzig bitten, dazu noch etwas zu sagen; denn das ist ja nur eine Seite der Medaille.
Bürgermeister Hörning: Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Sehr geehrte Damen und
Herren! Ich finde es schön, dass wir hier zu später
Stunde das Thema „Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik“ so prominent in den Blick nehmen.
Ich möchte als Vertreter des Trägers Stadt Leipzig
in der Trägerversammlung Jobcenter - es handelt
sich ja hier um eine Informationsvorlage zu den
Zielen des Jobcenters - die Gelegenheit nutzen,
allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jobcenters für ihre exzellente Arbeit zu danken.
Das Jobcenter ist eine unserer größten Behörden.
Wir selbst haben 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jobcenter, der Mitträger Bundesagentur
für Arbeit stellt weitere 600. Es sind also insgesamt fast 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die
sich um das Thema „Integrierte Grundsicherung
und Arbeitsmarktdienstleistungen“ kümmern.
Dieses System hat seine Tücken; das haben Sie
benannt. Es bedarf noch vieler Verbesserungen.
Es ist wichtig, dass dazu eine Debatte in der Gesellschaft geführt wird.
Frau Witte, ich möchte mich an dieser Stelle auch
im Namen der Trägerversammlung für Ihre engagierte Arbeit im Beirat des Jobcenters, gekennzeichnet durch Fachkompetenz, die Sie dort mit
Ihren Kolleginnen und Kollegen leisten, bedanken.
Die exzellente Arbeit des Jobcenters wird nicht in
der Sanktionsquote abgebildet - Sanktionen sind
ein notwendiges Mittel; sie sind auch gesetzlich
festgelegt -, sondern in der Integrationsquote;
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
S e i t e | 47
denn das ist das eigentliche Ziel: Integration in Arbeit, Vermeidung von Leistungsbezug. Das sind
die politischen Ziele, die wir dem Jobcenter gegeben haben, sowohl bundesweit als auch hier in
Leipzig. Und dort steht das Leipziger Jobcenter innerhalb der Vergleichsgruppen - das hat die Bundesagentur sehr gut organisiert: wir werden nicht
mit Gebieten rund um den Starnberger See verglichen, sondern mit den Städten in der Bundesrepublik, die uns sehr ähnlich sind - auf dem ersten oder zweiten Platz. Das ist eine exzellente
Leistung, die wir auch hier im Stadtrat ins Wort
heben und uns bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür bedanken sollten.
Oberbürgermeister Jung: Ich stelle jetzt den Änderungsantrag zur Abstimmung. Wer stimmt für
den Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
Ansonsten ist alles sozialpolitisch Grundsätzliche
gesagt. Diese Debatten müssen geführt werden.
Ich denke, wir können das als Träger mit der Geschäftsführung des Jobcenters tun, gerne auch in
den Fachausschüssen und an anderer Stelle.
Aber hier in der Ratsversammlung besteht kein
Grund, sich nur auf einen Indikator, nämlich die
Sanktionen, zu fokussieren. - Vielen Dank.
6.5.1 dazu ÄA (VI-Ifo-09471-ÄA-02)
Oberbürgermeister Jung: Frau Krefft.
Stadträtin Krefft (Bündnis 90/Die Grünen): Es
geht nicht darum, sich hier nur auf einen Indikator
zu fokussieren, sondern darum, die Indikatoren,
die festgelegt sind - Integrationsquote und weitere -, um einen weiteren Indikator zu ergänzen.
Es wurde mit Hartz IV für die unter 25-Jährigen
ein besonderer Betreuungsschlüssel beschlossen, also wie viele Kunden durch einen Sachbearbeiter betreut werden. Dieser Schlüssel ist bis
heute nicht erfüllt, übrigens nirgendwo in der Bundesrepublik. Das ist überall schwierig.
Aber der Anspruch sollte doch sein, dass man die
Betreuung so gewährleistet und mit Maßnahmen,
die zwar schon ergriffen wurden, aber noch weiter
ausgebaut werden müssen, zu erreichen, dass es
gar nicht erst dazu kommt, dass Sanktionen verhängt werden müssen. Wenn die Zusammenarbeit besser gelingt, müssen auch weniger Sanktionen ausgesprochen werden.
Das bedeutet in vier Worten zusammengefasst:
Die Sanktionsquote wird gesenkt. An anderer
Stelle sagen wir ja auch: Die Integrationsquote
soll steigen. Ich kann nicht verstehen und auch
nicht nachvollziehen, warum es ein Problem sein
soll, das zu beschließen. Wir wollen doch alle
nicht, dass die Jugendlichen so sanktioniert werden, dass sie ihren Wohnraum verlieren, weil sie
die Miete nicht mehr bezahlen können, und dass
wir in der Strategiekonferenz Wohnungslosigkeit
wieder darüber sprechen müssen, wie wir diesen
jungen Menschen zu Wohnungen verhelfen können.
Abstimmung: Einige Enthaltungen, wenige ProStimmen. Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich bitte Sie, die Vorlage zur Kenntnis zu nehmen.
6.5
Kosten der Unterkunft und Heizung: Anpassung der Richtwerte für Leistungsberechtigte nach dem SGB II und SGB XII
(Vi-Ifo-05471)
Einreicher: Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule
Einreicher: Fraktion DIE LINKE
Herr Weber.
Stadtrat Weber (DIE LINKE): Ich bin immer noch
ein bisschen verwundert, dass nur ein Teil Ihrer
Fraktion, sicher weniger als 50 Prozent, dem eigenen Antrag eben zugestimmt hat. - Aber gut.
Nun zum Thema KdU. Dazu wurde schon relativ
viel gesagt. Es ist auch viel darüber geschrieben
worden. Deswegen will ich meine Rede jetzt etwas anders strukturieren, um zum wesentlichen
Anliegen unseres Antrags zu kommen, und werde
versuchen, die Betroffenheitsperspektive herauszuarbeiten.
Die Wohnungsfrage birgt aus meiner Sicht in Zukunft enorme soziale Sprengkraft. Wir haben
heute schon über Schulsozialarbeit gesprochen,
die ein wesentlicher Baustein ist. Wenn wir wollen, dass es weiterhin keine segregierten Gebiete
in Leipzig gibt, was unmittelbar mit der Wohnungsfrage zusammenhängt, müssen wir dieses
Problem lösen. Die grundsätzliche Frage, die sich
hier stellt, ist: Wie gehen wir in dieser Stadtgesellschaft mit ökonomisch schwächeren Gesellschaftsmitgliedern um?
Fakt ist, dass es in Leipzig zu wenig preiswerten
Wohnraum gibt. Das Problem verschärft sich immer mehr. Besonders hart trifft es Leute, die aktuell in Ein-, Vier- oder Fünfraumwohnungen wohnen, die mit einer Mieterhöhung rechnen müssen,
weil diese Wohnungsgrößen gerade im Trend
sind, aber auch diejenigen, die aktuell Wohnungen in dieser Größe suchen.
Aus meiner Sicht skandalös ist, dass die Stadt
Leipzig 2016 keine Anpassung der Richtwerte für
KdU vorgenommen hat. Das geht zulasten derer,
die wir als Politiker - dafür wurden wir gewählt eigentlich unterstützen sollten.
Damit komme ich zur Betroffenheitsperspektive.
Ich möchte Sie ein Stück weit dafür sensibilisieren.
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
In den 1990er-Jahren, Anfang der 2000er-Jahre
herrschte in Leipzig relativ hohe Arbeitslosigkeit.
Die Leute konnten deshalb nur sehr wenige Rentenpunkte sammeln. Die Leute, die jetzt in Rente
gehen, erhalten oft nur eine Minimalrente. Wie
sollen sie damit eine Wohnung anmieten bzw.
sich die gestiegene Miete für ihre Wohnung leisten? Wenn sie allein leben, weil der Partner vielleicht verstorben ist, müssen sie weiter in ihrer
dann viel zu großen und zu teuren Wohnung leben und die Miete von ihrer kleinen Rente bezahlen oder aber Grundsicherung beantragen und
vom Jobcenter über KdU-Mittel unterstützt werden. Die Fälle werden sich häufen, dass ältere
Herrschaften nicht mehr in der Lage sein werden,
die Miete selbst zu bezahlen.
Es gibt aber auch junge Familien, wo nur ein Partner arbeitet und der andere zum Beispiel aus familiären Gründen zu Hause bleibt. Darunter dürften viele Aufstocker sein - ich weiß es nicht genau -, die aufgrund von Familienzuwachs nach
größeren bezahlbaren Wohnungen suchen. Was
sagen wir denen: Es gibt keine Wohnungen für
euch, wohl wissend, dass das Jobcenter darauf
drängt?
Ich möchte noch einmal auf das Kuriosum hinweisen, die aus der Vorlage ersichtlich wird, nämlich
dass der prozentuale Aufwuchs für Zwei- und
Dreiraumwohnungen, von denen es momentan
sowieso am meisten gibt, am höchsten ausfällt,
aber für Wohnungen, für die es den höchsten Bedarf gibt, ein geringerer Aufwuchs feststellbar ist.
Deswegen fordern wir in Beschlusspunkt 1 unseres Änderungsantrags eine Überarbeitung des Algorithmus, sprich: der Berechnungsgrundlage der
Richtwerte für die Kosten der Unterkunft.
In Beschlusspunkt 2 bringen wir unsere Erwartung zum Ausdruck, dass die Stadtverwaltung die
veraltete Datenbasis von 2016 an die aktuelle Datenbasis von 2018 anpasst bzw. spätestens dann,
wenn Ende des Jahres die neuen KdU-Richtwerte
festgelegt werden.
In Beschlusspunkt 3 haben wir formuliert, dass für
den Zeitraum ab heute bis zur Neuberechnung
der KdU-Richtwerte den Ein-, Vier- und Fünf-Personen-Haushalten Unterstützung gewährt werden
soll, und zwar in Form einer Anhebung der Richtwerte für die Bruttokaltmiete auf Höhe der Tabellenwerte gemäß Wohngeldgesetz plus 10 Prozent.
Ich bitte Sie ganz herzlich um Unterstützung unseres Antrags. - Vielen Dank.
Oberbürgermeister Jung: Frau Witte.
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Stadträtin Witte (Freibeuter): Sehr geehrter Herr
Oberbürgermeister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Dauerthema Jobcenter-Sanktionen nun zum Dauerthema KdU. - Um es klar zu
sagen: Auch ich war ein bisschen enttäuscht über
die letzte Anhebung. Insoweit können wir den Beschlusspunkten 1 und 2 des Antrags der LINKEN
folgen.
Dem Beschlusspunkt 3 können wir jedoch nicht
folgen. Die Richtwerttabelle nach Wohngeldgesetz um 10 Prozent aufzustocken, das haben die
Sozialgerichte zwar eine Zeitlang mitgetragen,
zumindest solange das schlüssige Konzept noch
nicht vorlag, allerdings nur dann, wenn die Leute
geklagt haben und nicht per se für alle. Würden
wir das, wie von Ihnen vorgeschlagen, per se für
alle machen, würde das enorm viel Geld kosten.
Das können wir uns als Stadt, glaube ich, nicht
leisten.
Deshalb müssen wir Punkt 3 ablehnen, während
wir den Punkten 1 und 2 durchaus positiv gegenüberstehen. Es wäre gut, wenn die Richtlinie noch
einmal überarbeitet wird, insbesondere auch deshalb, weil, wie jetzt festgestellt wurde, in bestimmten Segmenten die Wohnungen knapp werden.
Anders ausgedrückt: Es werden nicht generell
Ein- und Fünf- oder Sechszimmerwohnungen
knapp, sondern nur die in ganz bestimmten Segmenten.
Oberbürgermeister Jung: Herr Danckwardt.
Stadtrat Danckwardt (fraktionslos): Ich habe mir
etwas verwundert die Augen gerieben, als ich las,
dass die Nichtprüfungsgrenze für die Heizkosten
gesenkt wird und dies damit begründet wird, dass
die Gaspreise gesunken sind. Aktuell steigen sie
wieder. Also was soll das? Das verursacht nur Bürokratie, Stress, Ärger, Anwaltskosten und macht
überhaupt keinen Sinn. Ich würde Sie bitten, das
noch einmal zu prüfen und darauf hinzuwirken,
dass das so nicht realisiert wird.
Oberbürgermeister Jung: Herr Kollege Fabian,
ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen.
Bürgermeister Prof. Dr. Fabian: Sehr geehrter
Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrte Damen
und Herren Stadträte! Zu Letzterem: Das ist geprüft worden und beruht auf einer empirischen Basis.
Den Antrag der Linksfraktion bitte ich abzulehnen.
Ich möchte dazu Folgendes sagen: Die Eckwerte
beruhen mittlerweile auf einem bis jetzt gerichts-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
festen schlüssigen Konzept, das vor Gericht akzeptiert wird. Dieses hat Vorrang vor allen anderen Festlegungen. Insofern müsste man prüfen,
Herr Oberbürgermeister, ob die Annahme dieses
Antrags in Teilen sogar rechtswidrig wäre.
Herr Weber, Sie haben eben gesagt, dass die
Eckwerte bei den Wohnungen, die besonders
nachgefragt werden, weniger ansteigen. Es ist ja
so: Hier wurden die Mietspiegel-Daten zugrunde
gelegt. Im Mietspiegel selbst spiegelt sich wider,
dass die Wohnungen, die Sie angesprochen haben, eine höhere Miete haben. Das heißt: Wenn
ich eine methodisch saubere Herleitung der Eckwerte habe, dann ist der Effekt, den Sie beschrieben haben, im Mietspiegel selbst schon enthalten.
Damit berücksichtigen die Eckwerte, wie sie hier
jetzt festgelegt sind, auch die tatsächlich höhere
Nachfrage nach Wohnungen für vier, fünf und
noch mehr Personen in Bedarfsgemeinschaften.
Sie wissen - das hatte ich schon in der letzten oder vorletzten Ratsversammlung gesagt -, dass
wir den Mietspiegel gerade neu erarbeiten. Sobald er vorliegt, werden wir die Eckwerte kurzfristig entsprechend anpassen. Insofern sehe ich
heute keine Veranlassung, an diesen Eckwerten
etwas zu verändern. Hier wurde ja sehr leidenschaftlich vorgetragen, dass ein bestimmtes Segment des Wohnungsmarktes zu wenig berücksichtigt wurde. Dazu noch einmal: Das wurde bereits im Mietspiegel berücksichtigt.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Ich
hoffe, dass Sie mir abnehmen, dass ich mich sehr
engagiere für Menschen, die in Armut leben, die
angewiesen sind auf Transferleistungen. Aber es
gibt auch viele Menschen, die keine Transferleistungen erhalten und auch sehr wenig Geld haben.
Eine Anhebung der Eckwerte führt immer auch zu
einer Beeinflussung der Mietpreise. Damit wird
eine Spirale in Gang gesetzt, wo am Ende genau
die Menschen, die über wenig Geld verfügen, wieder benachteiligt sind.
Oberbürgermeister Jung: Herr Weber noch einmal.
Stadtrat Weber (DIE LINKE): Zwei Anmerkungen
zu den Ausführungen, die Sie gerade gemacht
haben. Ich will zunächst auf die Anhebung der
Eckwerte eingehen. Wir sagen, dass zumindest
das Maß, was der Gesetzgeber uns vorgibt, erfüllt
werden muss. Natürlich beeinflusst eine Anhebung der Eckwerte auch den Markt. Deswegen
sage ich: Hartz IV funktioniert nicht in angespannten Wohnungsmärkten, wie wir ihn momentan in
Leipzig haben. Also: Das Mindeste müssen wir
machen. Deswegen auch unser Antrag und die
Kritik an der Stadtverwaltung.
S e i t e | 49
Sie hatten auf den Mietspiegel verwiesen. Diesen
kann man hinzuziehen, muss man aber nicht. Die
Gerichte verlangen, dass es ein schlüssiges Konzept gibt. Das heißt: Es muss nachvollziehbar
sein. Ob das am Mietspiegel ausgerichtet ist oder
nicht, das steht nicht in § 22c SGB II.
Oberbürgermeister Jung: Herr Weber, jetzt haben wir ein schlüssiges Konzept, was endlich gerichtsfest ist. Punkt.
Ich möchte noch einmal zuspitzen, was Kollege
Fabian versucht hat, zu sagen. Unweigerlich
würde dieser Beschluss in der Perspektive zur Erhöhung der Mietpreise in Leipzig führen. Unweigerlich! Deshalb muss man das sehr sorgsam bedenken und die Eckwerte Schritt für Schritt anpassen - entsprechend der Entwicklung des Mietspiegels, aber nicht selbstgestaltend, perspektivisch
eingreifend mit einer 10-Prozent-Pauschalregelung. - Herr Weber, ich sage Ihnen: Unweigerlich
treffen Sie damit die, die es eigentlich nötig haben. - Das stimmt, Frau Hollick. Aber bitte.
Stadträtin Hollick (DIE LINKE): Das stimmt
schon deshalb nicht, weil der Vermieter die Miete
nicht beliebig erhöhen kann. Er darf die Kaltmiete
alle drei Jahre um 10 Prozent erhöhen, mehr darf
er nicht. Viele Vermieter, nicht alle, nutzen das
aus. Anders können sie es nicht ausnutzen.
Aber hier geht es auch um diejenigen, die wieder
KdU-Leistungen bekommen wollen und die auch
ein Recht darauf haben, was wir ja hier auch beschlossen haben. Das schlüssige Konzept wird
durch die Anhebung der Eckwerte nicht beeinflusst. Wir passen die Werte lediglich an.
Oberbürgermeister Jung: Nein, das ist einfach
nicht richtig. - Herr Hobusch.
Stadtrat Hobusch (Freibeuter): Frau Hollick, ich
stehe hier oben ungern als Lobbyist, aber ich tue
es jetzt trotzdem an dieser Stelle. Punkt eins: Vermieter nutzen nichts aus. Punkt zwei: Um es richtigzustellen: Vermieter haben die Möglichkeit, die
Miete innerhalb von drei Jahren um maximal
20 Prozent zu erhöhen, in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt um 15 Prozent, was in
Leipzig im Moment der Fall ist.
Wenn wir Ihrem Antrag folgend das Signal senden, und zwar nicht an die große Zahl von Vermietern im privaten Bereich, sondern an Institutionelle, an Anleger etc., dass wir bereit sind, auch
eine höhere Miete im Rahmen der Kosten der Unterkunft zu übernehmen, dann werden die sich na-
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
türlich darauf einstellen. Dann wird sich der gesamte Markt verändern, und es wird teurer werden, und zwar für alle.
Nichts anderes hat der Oberbürgermeister versucht, auszudrücken, auch wenn er es vielleicht
nicht ganz so klar rübergebracht hat. Aber im
Grunde hat er recht.
Oberbürgermeister Jung: Herr Hobusch, ich
werde es beim nächsten Mal pädagogisch besser
aufbereiten und mich nicht mehr erkühnen, zwei
Sätze aus dem Stegreif zu sagen.
Frau Witte.
Stadträtin Witte (Freibeuter): Natürlich steigen
die Mieten, wenn wir die Regelsätze anheben.
Das ist doch vollkommen logisch. Da macht auch
unsere stadteigene Wohnungsbaugesellschaft
keine Ausnahme. Im Gegenteil: Die macht das als
Allererste; das ist doch vollkommen klar. Aber
man muss auch keine Krokodilstränen vergießen
wegen der Leute, die knapp über der Grenze liegen. Für die wird die Miete zwar teurer, aber sie
haben die Möglichkeit, Wohngeld zu bekommen.
Ganz ins Nichts fallen sie also auch nicht.
Im Übrigen habe ich vorhin vergessen, zu sagen:
Wir bitten um getrennte Abstimmung der einzelnen Punkte.
Oberbürgermeister Jung: Frau Riekewald.
Stadträtin Riekewald (DIE LINKE): Nur noch ein
Hinweis, weil jetzt auch um getrennte Abstimmung gebeten wurde. Die Punkte 1 und 2 unseres
Antrags beeinflussen das schlüssige Konzept
nicht. Es geht vielmehr darum, bis Ende des zweiten Quartals 2018 ein neues Konzept zu erstellen.
Das will ich dem Stadtrat vor der Abstimmung
noch einmal mitgeben. Das ist leider untergegangen in der Diskussion, in der es vor allem um Beschlusspunkt 3 ging. In den Punkten 1 und 2 unseres Antrags sagen wir nichts dazu, wie mit den
jetzigen Eckwerten umgegangen werden soll.
Oberbürgermeister Jung: Herr Zenker.
Stadtrat Zenker (SPD): Ich habe jetzt doch noch
eine Nachfrage. Heißt das, Sie wollen ein komplett neues Konzept und nicht nur eine Weiterentwicklung des bestehenden?
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Stadträtin Riekewald (DIE LINKE): Das Konzept
muss überarbeitet werden. So haben wir es auch
in unserem Antrag formuliert. Dabei entsteht eine
Neufassung. Ob Neufassung oder neues Konzept, das kann man so oder so auslegen.
Oberbürgermeister Jung: Ich will es nur noch
einmal richtigstellen: Wir erarbeiten gerade auf
Basis des derzeit gültigen Mietspiegels und der
aktuellen Entwicklung in den unterschiedlichen
Segmenten, und zwar im Hinblick auf das Baujahr, die Wohnungsgrößen und den Ausstattungsgrad, einen neuen Mietspiegel, der vor Gericht gerichtsfest ist. Dieser Mietspiegel enthält selbstverständlich auch eine Betrachtung der Wohnungen,
die Sie im Blick haben. Wenn Sie aber das beschließen, was DIE LINKE wünscht, dann werden
wir den Mietspiegel, den wir gerade erarbeiten, an
diesen Stellen verändern und neue Prämissen
einführen. Das muss sehr gut überlegt werden.
Ich kann nicht mit Handauflegen heute schon
übersehen, welche Folgen das haben wird.
Herr Morlok.
Stadtrat Morlok (Freibeuter): Ich habe noch eine
Frage an den Änderungsantragsteller. Erachten
Sie es für realistisch, dass die Überarbeitung des
Konzepts bis zum Ende des zweiten Quartals
2018, mithin innerhalb von 30 Tagen, gelingt?
Könnten Sie, auch um Mehrheiten dafür zu bekommen, vielleicht noch einmal über das Datum
nachdenken?
Oberbürgermeister Jung: Herr Morlok, ich
bleibe dabei: Durch das, was in diesem Antrag gefordert wird, käme es zu einer doppelten Berechnung der Wohnungen, die angeblich stärker nachgefragt werden.
Herr Weber.
Stadtrat Weber (DIE LINKE): Ich bin schon ein
bisschen verwundert über die Debatte. Der Aufhänger muss doch sein: Dort, wo der größte Mangel besteht, haben wir den kleinsten Aufwuchs.
Da haut doch unterm Strich etwas nicht hin. Deshalb haben wir den Wunsch, dass dort nachjustiert und noch einmal geprüft wird: Wie kommt das
zustande, und wie können wir das heilen? Nichts
anderes sagt dieser Antrag in dem Punkt aus.
Wenn wir mehr Geld dort reinschieben, werden
natürlich auch mehr Wohnungen zur Verfügung
stehen. Natürlich wird es Vermieter geben, die
dann nachjustieren und ihre Mieten anpassen,
aber doch nicht alle. Einige haben vielleicht gerade die Miete erhöht und können sie nicht schon
Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
wieder erhöhen. Also: Gewisse Effekte bringt es.
Die Hartz-IV-Gesetzgebung bringt es leider mit
sich, dass das nicht einfach ist und es zu Mitnahmeeffekten kommt.
Das ist nichts anderes als die Subjektförderung,
die Herr Hobusch kürzlich gefordert hat. Uns obliegt es, hier darüber entscheiden, wie wir diese
Personengruppen unterstützen. Mehr kann die
Kommune momentan nicht tun. Deswegen müssen wir es machen. Aus meiner Sicht ist das richtig.
Zum Termin. Wenn die Überarbeitung des Konzepts ein bisschen länger dauert, das ist es halt
so. Aber Ziel sollte sein, dass es am Ende stimmig
ist.
Oberbürgermeister Jung: Noch einmal Herr Fabian.
Bürgermeister Fabian: Herr Weber, noch einmal: Die Wohnungen, die in besonderer Weise
nachgefragt sind, sind schon im Mietspiegel, der
die Grundlage für die Berechnung dieser Eckwerte ist, berücksichtigt. Wenn ich dort schon eine
Erhöhung habe und jetzt noch einmal eine mache,
dann breche ich das System.
Mein Vorschlag ist: Wir können gern im Fachausschuss sowie im Ausschuss Stadtentwicklung und
Bau noch einmal minutiös darstellen, wie diese
Eckwerte berechnet worden sind.
Oberbürgermeister Jung: Ich denke, der Worte
sind genug gewechselt. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE
LINKE. Es war um getrennte Abstimmung gebeten worden.
Abstimmung über die Beschlusspunkte 1 und 2.
Ich bitte um Ihr elektronisches Votum. - Ich
schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 14 Ja-Stimmen, 30 Nein-Stimmen,
2 Enthaltungen. Abgelehnt.
Abstimmung über Beschlusspunkt 3. Ich bitte um
Stimmabgabe. - Ich schließe die Abstimmung.
Abstimmung: 14 - 30 - 2. So abgelehnt.
Ich bitte die Vorlage zur Kenntnis zu nehmen.
Wir sind damit am Ende der Tagesordnung. Ich
schließe die Sitzung.
Meine Damen und Herren, herzlichen Dank und
schönen Feierabend!
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Verlaufsprotokoll vom 31.05.2018
Oberbürgermeister:
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Schriftführer:
Stadtrat Keller:
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Stadträtin Gabelmann: ___________________________________
Protokollant:
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