Daten
Kommune
Leipzig
Dateiname
1442320.pdf
Größe
483 kB
Erstellt
01.10.18, 12:00
Aktualisiert
09.11.18, 14:01
Stichworte
Inhalt der Datei
Antrag Nr. VI-A-06461
Status: öffentlich
Eingereicht von
Bereit für Gleichstellung
Betreff:
Opfer der Hexenverfolgung rehabilitieren
Beratungsfolge (Änderungen vorbehalten):
Gremium
voraussichtlicher
Sitzungstermin
Zuständigkeit
Ratsversammlung
Beschlussvorschlag:
Der Oberbürgermeiser wird beauftragt, in geeigneter Form durch einen Akt im Geiste der
Erinnerung und Versöhnung, die in Leipzig der Hexerei angeklagten und ermordeten
Menschen symbolisch zu rehabilitieren und einen Ort des Gedenkens im öffentlichen Raum
zu schaffen. Die Stadt Leipzig verurteilt die Gewalt, die an diesen Frauen, Männern und
Kindern begangen wurde. Sie gedenkt der Opfer, rehabilitiert sie öffentlich und gibt ihnen
damit heute im Namen der Menschenrechte ihre Würde zurück.
Sachverhalt:
1479 wurde eine Frau, genannt die Slezieryn, durch das Stadtgericht Leipzig verurteilt zu
Staupe-Schlägen, Brennen durch die Wangen und anschließend der Stadt verwiesen. Die ihr
vorgeworfene strafbare Handlung lautete: Zauberei. Ihr Prozess war der erste z.Z. bekannte
Prozess zu Hexerei/Zauberei in Leipzig.
Im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 erarbeitete der "Arbeitskreis zur Aufarbeitung
der
Hexenverfolgung
in
Leipzig/Sachsen"
eine
Ausstellung
zum
Thema
www.hexenprozesse-leipzig.de, denn zur Geschichte Leipzigs und der Region gehört auch
die Geschichte des Unrechts jahrhundertelanger Hexenverfolgung (1450 bis 1750). Doch
gibt es um diesen Teil der Stadtgeschichte bis heute nur wenig öffentliche Reflektion und
wenig öffentliches Bewusstsein. Auch in der 2015/2016 veröffentlichten Leipziger
Stadtgeschichte (Band 1 und 2) findet sich kein Kapitel zur Hexenverfolgung, als hätte es in
Leipzig keinen Schöppenstuhl oder keine Juristische Fakultät der Universität Leipzig
gegeben, die in zahlreichen Prozessen – auch überregional – Urteile in Hexerei-Prozessen
sprachen.
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In der Stadt Leipzig wurden in der Zeit von 1479 bis 1730 nach momentanem Wissensstand
35 Prozesse zu Hexerei durchgeführt. Dass sehr wahrscheinlich weit mehr Urteile
gesprochen und vollstreckt wurden, begründet sich in dem Zustand der Quellenlage. Allein
zum Leipziger Schöffenstuhl (Obergericht des Kurfürstentums und Königreichs Sachsen;
1574 - 1835) existierten ursprünglich 700-800 "Spruchkonzept-Bände". Diese in Buchform
zusammengefassten Gerichtsurteile dokumentieren auch die für Zauberei- und HexereiProzesse relevanten Urteile – doch es existieren nur noch 14 dieser Bände. Im Vergleich:
Vom Wittenberger Schöffenstuhl sind für den Zeitraum von 1530-1700 noch 211
Spruchkonzept-Bände nutzbar. (Manfred Wilde, Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen, 2003)
Aus heutiger Sicht sind die wegen Hexerei verurteilten Frauen und Männer im Sinne der
Anklage für unschuldig zu erklären. Doch die Opfer der Hexerei-Prozesse sind nie
rehabilitiert worden, sie gelten bis heute als "schuldig im Sinne der Anklage" - nach Lage des
damals gültigen Rechtssystems. Auch wenn die Stadt Leipzig nicht Rechtsnachfolgerin der
damals politisch und kirchlich Verantwortlichen ist, so besteht dennoch eine ethische
Verpflichtung gegenüber den unschuldig verfolgten und hingerichteten Opfern der
Hexenverfolgung während des 15. bis 18. Jahrhunderts.
Die Gründe der Hexenverfolgung waren vielfältig. Beteiligt an der Verfolgung waren
kirchliche und weltliche Kräfte. Es traf jüngere und ältere, reiche und arme Menschen;
Frauen, Männer und Kinder. Die Hexenverfolgung ermöglichte es, sich „unliebsamer
Menschen zu entledigen“ bzw. diese durch Verfolgung und Machtausübung zu disziplinieren.
80% der Opfer waren Frauen – und die Folgen der Hexenverfolgung reichen bis ins heute.
Das „Bild der Frau“ nach Beendigung der Hexenverfolgung war ein anderes als zuvor; ihre
gesellschaftlichen, familiären, reproduktiven und beruflichen Rechte waren weitestgehend
eingeschränkt bis verlorengegangen. Hier traten Veränderungen zum positiven erst seit
Beginn der Frauenbewegung(en) ein.
Es ist wichtig, eine öffentliche Erklärung zu diesen Tatsachen abzugeben, da auch in der
Gegenwart Feindseligkeiten und Vorurteile gegen Menschen zu ihrer gesellschaftlichen
Ächtung und Ausgrenzung führen bzw. offene Diskriminierung und Diffamierung von
Einzelnen oder Gruppen noch heute zu Gewalt und Verfolgung führen.
Die Stadt Leipzig hat mit solch einer Erklärung die Möglichkeit, ein symbolisches Zeichen
gegen menschenverachtende Gewalt zu setzen.
In über 50 Kommunen Deutschlands hat sich der jeweilige (Stadt)Rat entschieden, die Opfer
der Hexerei-prozesse zu rehabilitieren. Da dies juristisch nicht möglich ist, in moralischethischer Form. Zu diesen Städten gehören u.a. Köln, Lutherstadt Wittenberg und Dortmund.
Ebenso gibt es Stellungnahmen der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) –u.a. 2016
durch Dr. Heinrich Bedford-Strohm. Und auch Papst Franziskus benannte im April 2016
erstmals dies jahrhundertelang begangene Unrecht.
Der Beirat für Gleichstellung fordert deshalb, eine moralische Rehabilitierung der Opfer der
Hexenprozesse, um den durch die Hexenprozesse in Leipzig verfolgten und hingerichteten
Frauen, Männern und Kindern ihre Würde zurückzugeben – und einen Ort des Gedenkens
im öffentlichen Raum zu schaffen.
Anlagen:
Orte des Gedenkens, Beispiele
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ANLAGE
IN ÜBER 50 KOMMUNEN Deutschlands hat sich der jeweilige (Stadt)Rat entschieden, die Opfer der
Hexereiprozesse zu rehabilitieren. Da dies juristisch nicht möglich ist, in moralisch-ethischer Form – so u.a.
in:
2007 Eschwege/ Hessen, Stadt und evangelische Kirche
2011 Düsseldorf/ NRW
2011 Suhl/ Thüringen
2012 Köln / NRW
2017 Bernau in Brandenburg:
ORTE DES GEDENKENS | BEISPIELE
Für Wernigerode sind 59 Hexenprozesse belegt.
An die unschuldigen Opfer wird mit einer Gedenktafel erinnert. Einweihung Januar 2017 mit der Inschrift:
„Die Stadt Wernigerode gedenkt aller Frauen und Männer, die im Zuge der Hexenverfolgung unschuldig
gefoltert und/oder verbrannt wurden“. …in einer Nische der Stadtmauer in der Burgstraße gegenüber dem
Alten Amtshaus. Dort mussten die Angeklagten bei der „peinlichen Befragung“ Folter über sich ergehen
lassen.
23843 Bad Oldesloe Schleswig-Holstein
Die Kathrine-Faust-Straße erinnert an die Hexenverfolgung, der diese Oldesloerin ausgesetzt war. 1640
wurde sie in Oldesloe der Zauberei angeklagt und unter Folter verhört.
14712 Rathenow Semlin Brandenburg
Denkmal "Die Butterhexe" für die in Rathenow verurteilte Anna Ropiens. Das am 27.07.2002
enthüllte Hexendenkmal auf dem oberen Dorfplatz schuf der Grützer Künstler Volker Roth.
16321 Bernau Brandenburg: Hexendenkmal mit den Namen der Frauen,
die nach der Chronik von Tobias Seiler der Hexerei bezichtigt wurden,
geschaffen von der Künstlerin Annelie Grund aus Wandlitz.
Dortmund_Hexendenkmal
32657 Lemgo | Rampendahl-Denkmal
Stellvertretend für alle Opfer der Lemgoer Hexenprozesse ist das Denkmal ("Stein des Anstoßes"), das 1994
in Lemgo auf dem Kirchplatz von St. Nicolai neben dem Rathaus eingeweiht wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Rampendahl
Beispiel einer Berichterstattung der Schweriner Volkszeitung:
svz.de | 15. Dezember 2015 | https://www.svz.de/lokales/gadebusch-rehnaer-zeitung/spaete-gnade-fuerverbrannte-hexen-id12219846.html
Die Stadt Gadebusch will als erste Stadt in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit der Kirche die
Verurteilten rehabilitieren. Dazu hat sich die Stadtvertretung am Montagabend durchgerungen.
Die Linke hatte das Thema auf die Tagesordnung gesetzt und damit eine turbulente Diskussion losgetreten.
Von „habt ihr nichts Besseres zu tun“ bis „was hat das mit heute zu tun“, musste Thomas Konieczny nach
eigener Aussage Fragen beantworten. Der Stadtvertreter hatte recherchiert und den Antrag formuliert. Die
Namen von 40 Verurteilten hat er gefunden. Wird das Gebiet auf Paetrow, Passow, Veelböken erweitert,
sind rund 100 vermeintliche Hexen dem Grauen der Zeit zum Opfer gefallen. „Die Vorwürfe waren
erfunden. Sie entstanden aus Missgunst und Denunziation“, erklärte Konieczny. Diese historische Schuld
will die Fraktion wieder gerade rücken und die Verurteilten zumindest moralisch wieder rehabilitieren.
Unterstützer des Anliegens ist die Kirche. Gadebuschs Pastorin Ariane Baier bekannte zuerst einmal, „ich
habe mich sehr gefreut, als ich von dem Antrag gehört habe“. Die Kirche hatte im 15.und 16. Jahrhundert
– der Hochzeit der Hexenverbrennung – kräftig mitgemischt. „In dieser Zeit ist alles weggebrochen“, sagt
sie. Amerika wurde entdeckt, Kriege brachen über Europa herein, der Mensch entdeckte, nicht allein vom
Willen Gottes abhängig zu sein, sondern sein Schicksal selbst bestimmen zu können. Martin Luther schlug
seine Thesen an und löste die Reformation aus. Das stellte die damalige Welt auf den Kopf. In diesem Klima
gedieh die Hexenverbrennung. „Das war etwas Selbstverständliches“, erklärte die Pastorin. „Dieses dunkle
Stück unserer Geschichte sollten wir nicht verschweigen.“
Gadebusch schließt sich mit seinem Votum einer deutschlandweiten Bewegung an. In Bamberg, Trier,
Schleswig sind schon ähnliche Entscheidungen gefallen. In der Münzstadt sollen die Hexen und ihr
dramatisches Schicksal Eingang in das Lutherjahr 2017 finden. „Die Form der Ehrung muss noch geklärt
werden“, sagt Konieczny. Zum einen will die Linke, dass ein Gedenkstein oder eine Stele mit den Namen
aufgestellt wird. Zum anderen soll der Kulturausschuss die Zusammenarbeit mit der Kirche koordinieren.
Die Historikerin Katrin Moeller hat sich mit der Hexenverfolgung in Mecklenburg-Vorpommern intensiv
beschäftigt und sieht die Bestrebungen in Sachen Rehabilitierung durchaus kritisch. „Damit unterstellt man,
dass die Menschen damals absichtlich Unrecht begangen hätten.“ Dem sei aber nicht so. Die Prozesse in
dieser Zeit seien rechtlich in Ordnung gewesen.
Aufhorchen lässt, das es besonders im Bereich Rehna-Gadebusch nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648 viele
Hexenprozesse gegeben hat. „Die Rechtsmaßstäbe wurde heruntergefahren.“ Das heißt, selbst
zweifelhafte Zeugenaussagen reichten schon, um als Hexe vor Gericht zu landen. Diese Aussagen wurden
zum großen Teil von bereits Verurteilten unter Folter erpresst. Kettenprozesse nennt das die
Wissenschaftlerin. Katrin Moeller empfiehlt, in der Auseinandersetzung mit dem Thema „ eine Form des
Erinners und Gedenken“ zu finden. Aber keine Rehabilitierung.
– Quelle: https://www.svz.de/12219846 ©2018
Denkmäler für die Opfer der Hexenprozesse in Deutschland u.a.
Bayern
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Mühldorf a. Inn (Gedenktafel)
Neumarkt-Sankt Veit (Straße)
Vohburg (Skulptur und Denkmal für Agner Bernauer)
Augsburg (Hexenbrunnen am Lueg ins Land)
Wemding (Gedenkkreuz)
Schongau (Hinweistafel, Plastik und Gedenktafel)
Kempten (Maria-Anna-Schwegelin-Brunnen)
Obergünzburg (Gedenkstein)
Dillingen / Donau (Gedenktafel)
Gerolzhofen (Marktplatzbrunnen)
Dienstedt (Hexenstein)
Mülverstedt Thüringen (Hexenstein)
Mihla Thüringen (Gedenktafel)
Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein Niedersachsen
o Rathenow Semlin Brandenburg (Denkmal „Die Butterhexe“)
o Bad Freienwald (Gedenkstein)
o Bernau Brandenburg (Hexendenkmal)
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Penzlin Mecklenburg-Vorpommern (Museum Alte Burg Penzlin (Museum für Alltagsmagie
und Hexenverfolgung)
Bad Oldesloe Schleswig-Holstein (Straßen)
Hitzacker (Elbe) Niedersachsen (Grabstein)
Peine Niedersachsen (Installation „Hexenbaum“ und Gedenktafel)
Wolfenbüttel (Denkmal „Altes Gericht“)
Hornburg Niedersachsen (Straßen)
Osnabrück Niedersachsen (Bürgerbrunnen)
Baden-Württemberg
o Veringenstadt (Bronzenplastik)
o Ellwangen an der Jagst (Denkmal)
o Mosbach (Hinweistafel)
o Offenburg (Hexenbrunnen)
o Bühl (Hexenbrunnen)
o Freiburg (Gedenktafel)
o Wyhl am Kaiserstuhl (Gedenktafel)
o Löffingen (Hexenbrunnen)
o Bad Waldsee (Gedenktafel)
Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz
o Eckartsberga (Gedenktafel)
o Schönebeck (Elbe) (Gedenktafel)
o Trier (Gedenktafel)
o Kasel (Hexenkreuz)
o Esch (Gedenkkreuz)
o Sulzbach (Gedenkstein)
o Winningen (Gedenkstein)
Westfalen und Lippe
o Bad Fredeburg
o Balve
o Blomberg
o Davensberg
o Geseke
o Hallenberg
o Hamm
o Hilchenbach
o Hirschberg
o Langenstraße
o Lemgo
o Lüdinghausen
o Menden
o Münster
o Oberkirchen
o Olpe
o Paderborn
o Recklinghausen
o Rüthen
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Schmallenberg- Holthausen
Tecklenburg
Wewelsburg
Wildenburger Land (Friesenhagen)
Winterberg
Hessen
o Bad Homburg
o Bad Wildungen
o Birstein
o Eschwege
o Flörsheim am Main
o Frauen-Gedenk-Labyrinth
o Friedberg
o Fritzlar
o Fulda
o Gelnhausen
o Großkrotzenburg
o Hofheim am Taunus
o Idstein
o Lindheim
Rheinland
o Bad Münstereifel
o Bedburg
o Bergisch-Gladbach (Bensberg)
o Brühl
o Dinslaken
o Düsseldorfer Universitätsklinik: Gedenktafel für Johann Weyer
o Düsseldorf Gerresheim
o Düsseldorf Kaiserswerth
o Erpel/ Bruchhausen
o Essen Rellinghausen
o Geldern
o Köln
o Neuss
o Odenthal
o Ratingen
o Rheinbach
o Siegburg
o Wankun
Franken
o Sugenheim (Hexen- Gedenktafel)
o Schwabach (Hexen- Gedenktafel)
o Barthelmesaurach (Hexen- Gedenktafel)
o Kronach (Hexen- Gedenktafel)
o Zeil am Main (Hexen- Gedenktafel)
o Nürnberg (Hexen- Gedenktafel)
o Hörstein (Alzenau) (Hexen- Gedenktafel)