Daten
Kommune
Leipzig
Dateiname
1422076.pdf
Größe
275 kB
Erstellt
16.08.18, 12:00
Aktualisiert
12.11.18, 23:17
Stichworte
Inhalt der Datei
Antrag Nr. VI-A-06212
Status: öffentlich
Eingereicht von
Fraktion DIE LINKE
Betreff:
Aufnahme von aus dem Mittelmeer geretteten Geflüchteten in Leipzig
Beratungsfolge (Änderungen vorbehalten):
Gremium
voraussichtlicher
Sitzungstermin
Zuständigkeit
FA Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule
Ratsversammlung
22.08.2018
Vorberatung
1. Lesung
Beschlussvorschlag:
Die Stadt Leipzig erklärt sich gegenüber dem Bundesministerium des Innern, für Bau und
Heimat bereit, Geflüchtete, die durch private oder staatliche Hilfe aus dem Mittelmeer
gerettet werden konnten, in Leipzig aufzunehmen.
Sachverhalt:
Seit Juni/Juli diesen Jahres spitzt sich die Situation im Mittelmeer zu. Das von einer rechten
Koalition regierte Italien lehnte die Aufnahme von etwa 600 Geflüchteten ab, die mit dem
Schiff „Aquarius“, das von NGOs, „Ärzte ohne Grenzen“ und SOS MEDITERRANEE
Deutschland e. V. gechartert wurde, aus dem Mittelmeer gerettet werden konnten. Dem
folgte die Odyssee des Dresdner Rettungsschiffes „Lifeline“, das weder in Italien, Spanien
noch zunächst in Malta anlegen durfte. Mehrere von gemeinnützigen Organisationen
betriebene Seenotrettungsschiffe wurden mittlerweile beschlagnahmt. Währenddessen
ertrinken weiter Menschen im Mittelmeer, die von Afrika aus Schutz in Europa suchen. Im
Juni 2018 stieg die Zahl von registrierten Ertrunkenen auf 629. Mittlerweile stirbt dem
UNHCR zufolge jeder siebte Mensch, der die Überfahrt wagt. Weit mehr als noch in den
Vorjahren, Anfang 2017 war es noch einer von 38. Inzwischen hat Italien, das aufgrund
seiner Lage bisher ein Hauptziel für Seenotrettungsschiffe ist, bekundet, selbst Schiffe, die
im Rahmen der EUNAVFOR MED Operation („Sophia“) Geflüchtete an Bord haben, nicht
mehr in italienischen Häfen anlegen zu lassen.
Bundesländer wie Berlin und Schleswig-Holstein, Städte wie Bonn und Düsseldorf haben
sich Ende Juni angesichts des Schicksals der „Lifeline“ bereiterklärt, aus dem Mittelmeer
gerettete Geflüchtete aufzunehmen – auch als Gegengewicht zu der restriktiven politischen
Linie, die vom Bundesinnenminister Seehofer gefahren wurde und wird.
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Die Stadt Leipzig ist Teil des Solidariy-cities-network (https://solidaritycities.eu), das sich
dazu bekennt, Geflüchtete aus anderen EU-Staaten aufzunehmen. Genau dieses Anliegen
ist in Zeiten, in denen Seenotrettungsschiffe nur noch in Mittelmeerhäfen anlegen können,
wenn sich andere Staaten zu deren Aufnahme bereit erklären, essentiell.
Im Interview mit der Leipziger Volkszeitung vom 23. Juli 2018 bekundete
Sozialbürgermeister Thomas Fabian, dass in Leipzig derzeit 1.400 freie Plätze als Reserve
in Asyl-Unterkünften bereitstehen. Die Mitarbeiter*innen vieler Unterkünfte stehen vor dem
Hintergrund der sinkenden Zahlen zugewiesener Geflüchteter vor der Entlassung.
Nicht allein aus humanitären Gründen, sondern auch aufgrund der existierenden Infrastruktur
sollte sich Leipzig darum bereiterklären, aus dem Mittelmeer gerettete Geflüchtete
aufzunehmen und damit auch eine klare politische Haltung für ein gemeinsames,
solidarisches Europa zeigen.
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Petition „WIR FORDERN DIE STADT LEIPZIG AUF: AGIEREN SIE ALS SOLIDARISCHE
STADT!“
An die Leipziger Regierung,
Wir fordern den Stadtrat der Stadt Leipzig auf: Erklären Sie sich dazu bereit, Geflüchtete
direkt von Seenotrettungsschiffen und aus Notunterkünften in anderen Staaten
aufzunehmen! Bürgen Sie für eine freiwillige Initiativaufnahme! Setzen Sie damit die 2016
unterschriebene Erklärung, Teil des Solidarity City Netzwerkes zu sein, in die Tat um!
Stimmen Sie der Beschlussvorlage VI- A-06212 zu!
2016 erklärte Sozialbürgermeister Thomas Fabian die Stadt Leipzig zu einer Solidarity City.
Solidarity Cities - als Teil der Eurocities - teilen die Bereitschaft, in kooperativer und
solidarischer Weise die Herausforderungen der menschenwürdigen Aufnahme und
Integration bzw. Inklusion Geflüchteter zu meistern.
Unter dem Dach des europäischen Städteverbundes Eurocities haben sich bislang 14 Städte
vereint: neben Leipzig auch Athen, Barcelona, Zürich und Mailand. Laut den Grundsätzen
des Forums setzen sich dessen Mitglieder für eine größere Mitsprache bei der Aufnahme
und Integration von Flüchtlingen ein und helfen sich untereinander beim
Erfahrungsaustausch und geben sich gleichwohl technische und finanzielle Unterstützung.
Wichtig ist aber vor allem der vierte und letzte Punkt der Grundsatzerklärung: Die
Zusicherung der Städte, Asylsuchende aufzunehmen, die in ihren europäischen
Ankunftsländern festsitzen.
Gerade jetzt gibt es dringenden Handlungsbedarf: Schiffe, die im Mittelmeer ihrer Pflicht zur
Seenotrettung nachkommen, wird die Einfahrt in europäische Häfen versagt. Städte wie z.B.
Berlin, Bonn, Düsseldorf und Köln haben bereits angeboten diese in Not geratenen
Menschen aufzunehmen.
Die Stadt Leipzig soll von ihrer Möglichkeit Gebrauch machen, laut § 22 des
Aufenthaltsgesetzes selbst Aufnahmeentscheidungen in dringenden humanitären Gründen
zu treffen und Geflüchtete, die aus dem Mittelmeer gerettet wurden, aufzunehmen. Für die
Unterbringung dieser Menschen stehen z.B. die derzeit 1400 freien Plätze in AsylUnterkünften zur Verfügung.
ICH FORDERE DIE STADT LEIPZIG IN DIESEM SINNE DAZU AUF, DASKONZEPT DER
SOLIDARITY-CITY IN DIE TAT UMZUSETZEN UND ALS EINEN ERSTEN SCHRITT DEM
BESCHLUSSVORSCHLAG „VORLAGE - VI-A-06212“
(https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1010430ZUZUSTIMMEN!
HINTERGRUND:
Trotz der positiven Grundhaltung die 2016 durch die Erklärung demonstriert wurde, hat die
Stadt Leipzig bisher viele Versäumnisse bezüglich einer progressiven Asylpolitik zu
verantworten! Die Stadt sieht sich gerne als avantgardistische In-Stadt. Alles, was eine
alternative, lebenswerte Stadt ausmacht muss dann aber doch von den hiesigen
Einwohner_innen erkämpft oder erarbeitet werden. Diese können sich dann glücklich
schätzen, wenn ihnen wenigstens keine Steine in den Weg gelegt werden(Clubszene,
Freiräume). So werden auch Bemühungen zur aktiven Gestaltung einer humanitären
Aufnahme Geflüchteter von zivilen Gruppierungen übernommen: Der gemeinnützige Verein
Medinetz e.V. engagiert sich für einen gleichberechtigten Zugang zur
Gesundheitsversorgung - unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Dieser beklagt, dass die Stadt
Leipzig bislang keine Bemühungen hin zu einem anonymisierten Krankenschein auf
städtischer Ebene unternommen hat oder sich zumindest auf wiederholte Anfrage noch nicht
dazu geäußert hat! Ähnlich sieht es beim Stichpunkt dezentrale Unterbringung von
Geflüchteten aus. Erst seit Gründung der Kontaktstelle Wohnen des freien Trägers
Zusammen e.V. existiert in Leipzig eine Stelle, die geflüchtete Menschen dabei unterstützt,
sich auf dem Leipziger Wohnungsmarkt zurecht zu finden und aus der
Gemeinschaftsunterkunft in eigenen Wohnraum zu ziehen. Seit Mai 2016 konnten so bereits
über 730 Personen in eigene Wohnungen ziehen. Der Umzug scheitert hier meist nicht an
der Stadtverwaltung, sondern schlicht daran, dass zu wenig günstiger Wohnraum zu
Verfügung steht. Ein Mangel, der verhindert hätte werden können, hätte die Stadt Leipzig vor
einigen Jahren Weitsicht bewiesen und günstigen Wohnraum geschaffen und erhalten, statt
dem privaten Ausverkauf von Immobilien tatenlos zuzusehen.
Das Konzept der solidarischen Stadt beansprucht eine Politik der Anerkennung, die über den
faktischen Lebensmittelpunkt läuft und nicht über Reisepass und Nationalität. Dieser
grundlegendsten Anforderung widerspricht jedoch die Zulassung Leipzigs, geflüchtete
Menschen aus der Stadt abschieben zu lassen. So werden Betroffene von der Polizei an
ihren Lebensorten gesucht, gegen ihren Willen verhaftet, ins Abschiebegefängnis oder zum
Flughafen gebracht – neben der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage oft unter verheerenden
Folgen für ihre Gesundheit und Psyche. Viele Geflüchtete in Leipzig müssen täglich mit der
Angst vor dieser Gewalt leben.
Der Flughafen Leipzig, Aushängeschild der Stadt und Anreisepunkt tausender
gewinnbringender Touristen jährlich, wird gleichzeitig durch diese Gewährung von der Stadt
Leipzig als einer der wichtigsten Abschiebeflughäfen Deutschlands mit verantwortet.
Diese Tatsache stellt das selbst behauptete Image einer weltoffenen Stadt Leipzig
vollkommen in Frage. Nicht nur die Abschiebezulassung muss beendet werden, auch die
vorangehende Ausgrenzung von Geflüchteten mit ,,geringer Bleibeperspektive'' und
,,Duldung'' von Bildung und Arbeit. So verbietet die Leipziger Ausländerbehörde in vielen
Fällen Geflüchteten die Aufnahme einer Ausbildung und Arbeitsbeschäftigung. Zudem waren
zum 31.März mehr als hundert Kinder und Jugendliche in Leipziger
Erstaufnahmeeinrichtungen vom Schulbesuch ausgeschlossen, obwohl es keinen großen
Aufwand darstellt, diese geringe Zahl direkt am regulären Schulunterricht teilhaben zu
lassen. Hier muss Leipzig dringend Schranken abbauen um das Menschenrecht aller auf
gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten. Im Detail erstreckt sich die fehlende Politik einer
solidarischen Stadt auf alle Lebenslagen: Von der Gesundheitsversorgung, über öffentliche
Teilhabe zu gleichberechtigten Wohnformen hin zum Zugang zu Bildung und Arbeit, sowie
dem nicht vorhandenen Schutz vor Abschiebung.
Der umfassende Begriff Solidarity City ist keine romantische Utopie: Gelingende und
ermutigende Beispiele lassen sich weltweit finden.
New York ordnete bereits in den 1980er Jahren an, dass Verwaltungen und die Polizei
Menschen nicht nach ihrem Aufenthaltsstatus fragen dürfen.
Seit 2014 haben dort zudem alle Einwohner, auch Menschen ohne Papiere, das Recht auf
eine New-York- ID, einen Stadtausweis, der es ermöglicht, ein Bankkonto zu eröffnen, einen
Mietvertrag zu unterschreiben oder Bücher auszuleihen. Die Nachfrage auch von Menschen
mit Papieren ist riesig. Zürich will diesem Beispiel im nächsten Jahr folgen. Die
Stadtregierung Barcelonas öffnete Anfang Juli ihren Hafen für ein privates Seerettungsschiff
und erklärte sich zur Aufnahme der sich darauf befindenen Geflüchteten bereit.
Auch die Stadt Leipzig sollte nicht die Augen davor verschließen, dass wir in einer
Migrationsgesellschaft leben und ihre Möglichkeiten des Umgangs damit als Stadt auf
kommunaler Ebene im Sinne des Art. 28 Abs.2 GG, bestmöglich ausüben!