Daten
Kommune
Leipzig
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1368952.pdf
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804 kB
Erstellt
13.02.18, 12:00
Aktualisiert
14.03.18, 20:52
Stichworte
Inhalt der Datei
Ratsversammlung
Verwaltungsstandpunkt Nr. VI-A-05301-VSP-01
Status: öffentlich
Eingereicht von
Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport
Betreff:
Maßnahmen zum Bienenschutz in der Stadt Leipzig
Beratungsfolge (Änderungen vorbehalten):
Gremium
voraussichtlicher
Sitzungstermin
Zuständigkeit
Dienstberatung des Oberbürgermeisters
FA Umwelt und Ordnung
Ratsversammlung
03.04.2018
18.04.2018
Bestätigung
Vorberatung
Beschlussfassung
Rechtliche Konsequenzen
Der gemäß Ursprungsantrag gefasste Beschluss wäre
☐
Rechtswidrig und/oder
☐ Nachteilig für die Stadt Leipzig.
☐
Zustimmung
☐ Ablehnung
☒
Zustimmung mit Ergänzung
☐ Ablehnung, da bereits Verwaltungshandeln
☒
Alternativvorschlag
☐ Sachstandsbericht
Alternativvorschlag zu Beschlusspunkt 1:
Die Stadt Leipzig wird beauftragt, unter Beteiligung relevanter Umweltvereine und –
verbände, einen „Maßnahmenkatalog zum Schutz von Wild- und Honigbienen in Leipzig“ zu
erarbeiten und dem Stadtrat vorzulegen.
Zustimmung zu Beschlusspunkt 2:
Der Maßnahmenkatalog ist anschließend in geeigneter Weise öffentlich bekannt zu machen,
bei allen Planungen und Vorhaben der Stadtverwaltung zu berücksichtigen und Dritten zur
Anwendung zu empfehlen.
Alternativvorschlag zu Beschlusspunkt 3:
Der „Maßnahmenkatalog zum Schutz von Wild- und Honigbienen in Leipzig“ ist regelmäßig
weiter zu qualifizieren und fortzuschreiben.
1/6
Übereinstimmung mit strategischen Zielen:
X
Finanzielle Auswirkungen
nein
wenn ja,
Kostengünstigere Alternativen geprüft
nein
ja, Ergebnis siehe Anlage zur Begründung
Folgen bei Ablehnung
nein
ja, Erläuterung siehe Anlage zur
Begründung
Handelt es sich um eine Investition (damit aktivierungspflichtig)?
nein
ja, Erläuterung siehe Anlage zur
Begründung
Im Haushalt wirksam
von
Ergebnishaushalt
bis
Höhe in EUR
wo veranschlagt
Erträge
Aufwendungen
Finanzhaushalt
Einzahlungen
Auszahlungen
Entstehen Folgekosten oder Einsparungen?
Folgekosten Einsparungen wirksam
Zu Lasten anderer OE
nein
von
wenn ja,
bis
Höhe in EUR
(jährlich)
wo veranschlagt
Ergeb. HH Erträge
Ergeb. HH Aufwand
Nach Durchführung der
Ergeb. HH Erträge
Maßnahme zu erwarten
Ergeb. HH Aufwand (ohne
Abschreibungen)
Ergeb. HH Aufwand aus
jährl. Abschreibungen
Auswirkungen auf den Stellenplan
Beantragte Stellenerweiterung:
nein
wenn ja,
nein
ja,
Vorgesehener Stellenabbau:
Beteiligung Personalrat
2/6
Sachverhalt:
Der Antrag Nr. VI-A-05301 greift die Thematik des Insektensterbens auf, welche nach
neueren Berichten im Sommer 2017 auf ein breites öffentliches Interesse gestoßen ist.
„Laut der Europäischen Roten Liste der bedrohten Arten steht eine von zehn Bienen- und
Schmetterlingsarten vor dem Aussterben. Bei Hummeln ist es eine von vier Spezies.
Da vier von fünf Pflanzen auf eine Bestäubung durch Tiere angewiesen sind, die im
Wesentlichen durch bestäubende Insekten, wie die gemeine Honigbiene, vorgenommen
werden, ist der Verlust an Artenvielfalt in diesem Bereich auch wirtschaftlich ein
alarmierendes Signal.“ [Brüssel aktuell 2/2018]
Vor diesem Hintergrund forderte das Europäische Parlament die Kommission auf, eine
Strategie zum Schutz bestäubender Insekten vorzulegen, die daraufhin im Dezember einen
Fahrplan zu einer EU-Initiative für Bestäuber veröffentlicht hat. Bis zum 5. April 2018 besteht
die Möglichkeit, an einer öffentlichen Konsultation zu dieser Initiative teilzunehmen. [vgl.
Brüssel aktuell 2/2018]
Die negative Entwicklung des Insektenbestandes in Deutschland sowie deren Auswirkungen
und mögliche Gegenmaßnahmen werden auch in einem aktuellen Sachstandsbericht des
Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages thematisiert.
„Für den Rückgang von Insekten macht die Bundesregierung einen Komplex
unterschiedlicher Faktoren als mögliche Verursacher aus. Zu diesen Faktoren zählten das
Vorhandensein von Habitaten, das Nahrungsangebot, die Veränderung und das
Vorhandensein von landschaftlichen Strukturen wie Säume, Hecken oder gestufte
Waldränder. Daneben hätten die Nutzungsweise und Bewirtschaftung der Landschaft, das
Vorliegen von Schadstoffen, zu denen auch Pflanzenschutzmittel zählten, sowie die
Fragmentierung der Landschaft, Jahreswitterung und Klimaänderungen einen wesentlichen
Einfluss auf Insektenpopulationen. Auch Naturschutzgebiete als Bestandteile der
Gesamtlandschaft seien vor negativen Einflüssen nicht sicher.“
[Anlage 1: „Zum Insektenbestand in Deutschland“, Aktenzeichen WD 8 - 3000 - 045/17;
05.12.2017]
Darüber hinaus wurde der Bienenschutz in den vergangen Jahren auch im Sächsischen
Landtag diskutiert [Anlage 2: Drucksache 6/6482, Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, mit Stellungnahme der Staatsregierung; 09.11.2016].
Der allgemein erkennbare Rückgang in der Biodiversität der Bienenfauna ist auch im
Stadtgebiet von Leipzig nachweisbar. Für den Bienitz, am westlichen Stadtrand von Leipzig
gelegen, liegen langjährige Untersuchungen zur Insektenfauna, insbesondere zum
Vorkommen von Wildbienen im Zeitraum von 1887 bis 2012 vor. Von den vor 1955
ursprünglich nachgewiesenen 207 Bienenarten konnten hier aktuell nur noch 141 Arten
belegt werden. [Hausotte, M. & S. Schaffer 2017: Die Bienen (Hymenoptera, Anthophila) des
Bienitz bei Leipzig – Versuch einer Literaturauswertung. – Mitteilungen Sächsischer
Entomologen 36 (120): 34–49]
In § 37 (1) Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) ist der „Schutz der Tiere und
Pflanzen wild lebender Arten und ihrer Lebensgemeinschaften vor Beeinträchtigungen durch
den Menschen und die Gewährleistung ihrer sonstigen Lebensbedingungen“ verankert. Alle
Wildbienen und Hummeln zählen gemäß Anlage 1 (zu § 1) der
Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) zu den besonders geschützten Arten.
Was die Stadtverwaltung Leipzig für den Bienenschutz unternimmt, wurde im Jahr 2017
bereits in einer Anfrage der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen thematisiert. [Anfrage Nr. VI-F04056-AW-01]
3/6
Darüber hinaus werden durch die Stadt Leipzig folgende Maßnahmen ergriffen, um die
Biodiversität, insbesondere auch im Hinblick auf bestäubende Insekten, zu fördern.
Ein Beitrag ist die Umsetzung des Ratsbeschlusses III-831/01 – Verpachtung städtischer
Flächen für ökologische Landwirtschaft.
Im Rahmen der Informationenveranstaltung Landwirtschaft (Landpächter der Stadt Leipzig,
Behörden, Verbände und interessierte Landwirte) wird regelmäßig auch über die Belange
des Naturschutzes informiert. Beispielsweise wurden den Landwirten bereits am 24.03.2011
mit dem Vortrag „Leipzig soll blühen für insektenfreundliche Blühstreifen“ des Ökolöwen
Leipzig e.V. Angebote zur Gestaltung von Gewässerrandstreifen und Feldrainen unterbreitet.
Zudem wird bei Verlängerung oder Neuabschlüssen von langfristigen Pachtverträgen im
Rahmen der Ämterbeteiligung darauf Einfluss genommen, dass zu besonders
schützenswerten Naturräumen und Biotopen zusätzliche Regelungen zu deren Schutz und
Pflege in die Landpachtverträge aufgenommen werden. Beispielsweise wurden bisher
Regelungen zum Schutz von Vogelbrutstätten und Gewässerschutzstreifen sowie
Maßnahmen zur Umsetzung des Feldheckenkonzeptes der Stadt Leipzig vertraglich
vereinbart.
Nach einem Beschluss der Ratsversammlung vom 25.03.2015 verzichtet die Stadt Leipzig
bereits schrittweise auf allen kommunalen Flächen, auf Kultur- sowie Nicht-Kulturland, auf
den Einsatz von Pestiziden und geht damit den Weg zur pestizidfreien Kommune, was
insbesondere auch Wild- und Honigbienen zu Gute kommt. [Leipzig - auf dem Weg zur
Pestizid freien Kommune (V/A 575), Beschluss vom 25.03.2015]
In einem Flyer vom August 2016 informiert das Amt für Umweltschutz die Öffentlichkeit über
diesen Beschluss der Ratsversammlung sowie zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im
Haus- und Kleingartenbereich. [Infoblatt zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln]
Zur Förderung der Biodiversität im Stadtgebiet können auch gestalterische Maßnahmen wie
beispielsweise Gründächer einen Beitrag leisten. Blütenreiche Gründächer können Wild- und
Honigbienen sowie weiteren Insekten zusätzliche Habitat- und Nahrungsflächen innerhalb
bebauter Innenstadtbereiche bieten.
Um Gründächer in Zeiten von Nachverdichtung als Anpassungsmaßnahme an den
Klimawandel und zur Stärkung der Biodiversität in das allgemeine Bewusstsein zu rücken,
wurde von Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am 8. Februar 2018 erstmals der
„Leipziger Gründachpreis“ vergeben.
(https://www.leipzig.de/news/news/umweltbuergermeister-vergibt-leipziger-gruendachpreis2017/)
Die vom Amt für Umweltschutz (AfU) federführend organisierte 62. Leipziger
Naturschutzwoche (24.05.2018 - 31.05.2018) steht dieses Jahr mit dem Thema „Bunte
Wiesen“ ebenfalls im Zeichen artenreicher Grünländer, nicht zuletzt auch als Lebens- und
Rückzugsraum seltener und bedrohter Insektenarten.
Aktuell wird vom Amt für Stadtgrün und Gewässer (ASG) zum Schutz von Bienen bereits die
Grundlage für deren Überleben, nämlich der Bestand von örtlich und zeitlich erreichbaren
Trachtpflanzen (Pollen- und Nektartracht) wie blühfähigen Bäumen im Straßenraum
gewährleistet und ergänzt (Linden, vermehrt Obstbäume).
Hier werden auch keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt (Leipzig-pestizidfreie Kommune).
Weiterhin sind in Abstimmung mit der Naturschutzbehörde in den öffentlichen Grünanlagen
Langgraswiesen festgelegt, welche durch die eingeschränkte Mahd ebenfalls für Bienen als
Nahrungsquelle zur Verfügung stehen. Auch hier ist ein Bestandsschwerpunkt an
Blütenpflanzen im Stadtgebiet von Leipzig.
Das Interesse von Imkern an der Nutzung dieser Ressourcen im öffentlichen Grün ist
gegeben.
4/6
Es sind ca. zehn Verträge zur Einordnung von Bienenvölkern in den Leipziger Parkanlagen
mit dem ASG geschlossen. Sicher werden auch Bienenvölker von Grundstücken Dritter das
Angebot im öffentlichen Raum nutzen.
Im Rahmen der Regelungen der Baumschutzsatzung ist der Erhalt von Trachtpflanzen auch
auf privaten Grundstücken Dritter realisierbar.
Mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Landesumweltrechtes von 2010 und der
Weiterführung durch das Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege im Freistaat
Sachsen (Sächsisches Naturschutzgesetz - SächsNatSchG) von 2013 wurden allerdings
einzelne Baumarten und Arten- bzw. Größengruppen auf mit Gebäuden bebauten
Grundstücken vom Geltungsbereich der Baumschutzsatzung ausgenommen. Nadelgehölze,
Pappeln, Birken, Baumweiden und Obstbäume sind auf mit Gebäuden bebauten
Grundstücken unabhängig vom Stammumfang nicht mehr durch Baumschutzsatzungen
geschützt. Ebenso nicht mehr geschützt sind auf mit Gebäuden bebauten Grundstücken alle
anderen Bäume mit einem Stammumfang unter 100 cm, gemessen in 1 m Höhe.
Pappeln, Birken, Weiden und Obstgehölze sind z. T. wichtige Trachten für Bienen.
Die landesrechtlichen Einschränkungen kommunaler Gehölzschutzsatzungen leisten somit
dem Verlust von Trachtpflanzen Vorschub, wirken Bemühungen um den Erhalt der
biologischen Vielfalt entgegen und tragen hierdurch mit zur Populationsminderung von auf
den Gehölzbestand angewiesene Arten bei. Ein Schutz der ausgeschlossenen Gehölzarten
und damit deren Habitatfunktion ist mit den Regelungen der Baumschutzsatzung nicht mehr
möglich, ein sukzessiver Bestandsverlust zu erwarten.
Zu 1:
Die Erarbeitung eines Maßnahmenkatalogs zum Schutz von Wild- und Honigbienen in
Leipzig wird von der unteren Naturschutzbehörde als Beitrag zum Erhalt der Biodiversität,
der Förderung besonders geschützter Arten sowie zur Aufrechterhaltung der
Ökosytemdienstleistungen bestäubender Insekten grundsätzlich befürwortet.
Gemäß der Zuständigkeit der Stadtverwaltung kann dieser Maßnahmenkatalog jedoch
ausschließlich für das Stadtgebiet von Leipzig erstellt werden.
Die Stadt Dresden wendet ihren „Maßnahmenkatalog zum Schutz von Wild- und
Honigbienen in Dresden und Umgebung“ seit zwei Jahren an. Dieser kann bei der
Erarbeitung des Maßnahmenkatalogs der Stadt Leipzig als Vorlage dienen.
Zur Anpassung der aufgeführten Maßnahmen an die naturräumlichen und
nutzungsspezifischen Gegebenheiten im Stadtgebiet von Leipzig sowie deren Optimierung,
kommt der Beteiligung von relevanten Umweltvereinen und -verbänden eine wichtige
Bedeutung zu.
Neben den 7 anerkannten Naturschutzvereinigungen und dem Imkerverein Leipzig e.V.
sollen auch der Stadtverband Leipzig der Kleingärtner e.V. und der Kreisverband Leipzig der
Kleingärtner Westsachsen e.V. sowie der Ökolöwe - Umweltbund Leipzig e.V. beteiligt
werden.
Darüber hinaus sollten die Ressourcen der Stadt Leipzig als bedeutendes Zentrum der
Biodiversitäts- und Umweltforschung genutzt und auch hiesige relevante
Forschungseinrichtungen in den Erarbeitungsprozess eingebunden werden.
Aus Sicht des AfU ist die Erarbeitung eines „Maßnahmenkatalogs“ unter Beteiligung der
Öffentlichkeit jedoch nicht bis zum III. Quartal 2018 zum Abschluss zu bringen. Neben
verwaltungsinternen Vorgaben zu Beteiligungsverfahren ist es zudem erforderlich, den
Vereinigungen, Verbänden und Einrichtungen ausreichend Zeit einzuräumen, sich mit
konkreten Vorschlägen einzubringen und mit den zuständigen Stellen der Verwaltung
abzustimmen.
5/6
Zu 2:
Eine Möglichkeit der öffentlichen Bekanntgabe besteht in der Einbindung des
Maßnahmenkatalogs innerhalb des Internetauftritts der Stadt Leipzig, wie es auch in der
Landeshauptstadt Dresden praktiziert wird.
(www.dresden.de/de/stadtraum/umwelt/umwelt/naturschutz/artenschutz.php)
Zur Berücksichtigung im Wirkbereich der Stadtverwaltung Leipzig sind in Anlehnung an die
Verfahrensweise der Landeshauptstadt Dresden folgende Festlegungen denkbar.
Die städtischen Betriebe und die Öffentlichkeit (z. B. Gartennutzer, Grund- und
Wohneigentümer, Privatwirtschaft) werden in vielfältiger Weise durch die Stadtverwaltung
bezüglich des Maßnahmenkatalogs zum Bienenschutz informiert.
Alle Flächen verwaltenden Ämter der Stadt Leipzig werden durch Anschreiben auf die
Berücksichtigung des Maßnahmenkatalogs im Rahmen des Verwaltungshandelns
hingewiesen.
Bei Planung und Neubau bzw. Umgestaltung von öffentlichen Grünflächen werden die in der
Vorlage benannten Grundsätze von der Abteilung "Planung und Bau" des Amtes für
Stadtgrün und Gewässer bereits berücksichtigt.
Zu 3:
Eine weitere Qualifizierung und Fortschreibung des Konzeptes wird seitens des AfU als
sinnvoll erachtet, um die entwickelten Maßnahmen zu evaluieren, zu optimieren und an neue
Erkenntnisse sowie zukünftige Entwicklungen anpassen zu können.
Gemäß der Zuständigkeit der Stadtverwaltung kann dieser Maßnahmenkatalog jedoch
ausschließlich für das Stadtgebiet von Leipzig erstellt werden.
Anlagen:
Anlage 1
6/6
Wissenschaftliche Dienste
Sachstand
Zum Insektenbestand in Deutschland
© 2017 Deutscher Bundestag
WD 8 - 3000 - 045/17
Wissenschaftliche Dienste
Sachstand
WD 8 - 3000 - 045/17
Seite 2
Zum Insektenbestand in Deutschland
Aktenzeichen:
Abschluss der Arbeit:
Fachbereich:
WD 8 - 3000 - 045/17
05.12.2017
WD 8: Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bildung und
Forschung
Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages
bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder
Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen.
Wissenschaftliche Dienste
Sachstand
WD 8 - 3000 - 045/17
Seite 3
Inhaltsverzeichnis
1.
Fragestellung
4
2.
Aktuelle Studie
4
3.
Rezeption durch das Fachpublikum, vermutete Ursachen
und Handlungsempfehlungen
8
4.
4.1.
4.2.
Die Haltung von Verbänden
Deutscher Bauernverband (DBV)
NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V.
16
16
18
5.
Rückgang des Insektenbestands als Thema im Deutschen
Bundestag
19
Zu den Auswirkungen des stark rückläufigen
Insektenbestands in Deutschland
21
Mögliche Gegenmaßnahmen
24
6.
7.
Wissenschaftliche Dienste
1.
Sachstand
WD 8 - 3000 - 045/17
Seite 4
Fragestellung
Am 18. Oktober 2017 wurde in der US-amerikanischen naturwissenschaftlichen Online-Fachzeitschrift PLoS ONE eine Studie1 veröffentlicht, in deren Rahmen ermittelt wurde, dass innerhalb
der letzten 27 Jahre die Biomasse flugaktiver Insekten in 63 ausgewählten deutschen Naturschutzgebieten um mehr als 75 Prozent abgenommen habe. Die Veröffentlichung fand großes öffentliches Interesse.
Die Ergebnisse der Studie sind insoweit beunruhigend, da Insekten für das Funktionieren unseres Ökosystems unverzichtbar sind bei der Bestäubung von Pflanzen, für die biologische Schädlingskontrolle, für den Abbau organischer Massen, für den Nährstoffkreislauf und als Nahrungsquelle für Vögel, kleine Säugetiere oder Amphibien.2
Im Folgenden werden die Studie und ihre Rezeption durch das Fachpublikum und die einschlägigen Verbände sowie die vermuteten Ursachen für den rückläufigen Insektenbestand vorgestellt,
gefolgt von einer kurzen Übersicht über die Behandlung des Themas im Deutschen Bundestag.
Schließlich werden die möglichen Auswirkungen des schwindenden Insektenbestands in
Deutschland und mögliche Gegenmaßnahmen in den Blick genommen.
2.
Aktuelle Studie
Die aktuelle Studie, die an der niederländischen Radboud Universität Nijmegen in Zusammenarbeit mit dem Entomologischen Verein Krefeld e. V. sowie einem Co-Autoren der britischen University of Sussex in Brighton entstanden ist, wurde unter dem Titel „More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas“ in der Fachzeitschrift PLoS
ONE veröffentlicht.
Die Datengrundlage der Studie bilden die Erhebungen des Entomologischen Vereins Krefeld e.
V., der über viele Jahre die Biomassen flugaktiver Insekten in seiner Region ermittelt hat.
Bereits 2013 hatte der Verein im nordrhein-westfälischen Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch
einen Rückgang von über 75 Prozent der Biomasse gegenüber 1989 festgestellt und dieses Ergebnis in Eigenregie in seinen Vereinsmitteilungen veröffentlicht.3
1
Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline
over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, in: PLoS ONE 12(10): e0185809. Im Internet abrufbar unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 01.12.2017]. Die in PLoS ONE
veröffentlichten Beiträge unterliegen einem Peer-Review-Verfahren.
2
Artikel „Dramatischer Insektenschwund in Deutschland“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar
unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-dramatischer-insektenschwund-in-deutschland1.3713567 [zuletzt abgerufen am 29.11.2017].
3
Sorg, M.; Schwan, H.; Stenmans, W. & A. Muller: Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise Fallen in den Jahren 1989 und 2013. In: Mitteilungen aus dem Entomologischen Verein Krefeld Vol. 1 (2013), pp. 1-5. Im Internet abrufbar unter http://80.153.81.79/~publ/mittevk-2013-1.pdf [zuletzt abgerufen am 30.11.2017]
Wissenschaftliche Dienste
Sachstand
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Für die aktuelle Studie wurden Daten aus den Jahren 1989 bis 2016 erhoben und ausgewertet.
Dazu wurden sogenannte „Malaise-Fallen“ an 63 verschiedenen Standorten in geschützten Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg aufgestellt. Die gesamte Biomasse der nach einem standardisierten Protokoll gefangenen und gewogenen flugaktiven Insekten wurde ermittelt und berücksichtigt.
S1 Fig. Map of study area. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809.s006
Insect trap locations (yellow points) in Nordrhein-Westfalen (n = 57), Rheinland-Pfalz (n = 1) and Brandenburg (n = 5),
as well as weather stations (crosses) used in the present analysis.4
Von den 63 Fallen-Standorten wurden 37, das entspricht 59 Prozent, in nur einem Jahr beprobt,
20 Standorte in zwei Jahren, fünf Standorte in drei Jahren und ein Standort in vier Jahren. Daraus
ergeben sich 96 einmalige Standort-Jahr-Kombinationen von Messungen der saisonalen Biomasse
flugaktiver Insekten.
Die Autoren weisen darauf hin, dass ihre Daten keine Längsschnittaufzeichnungen an einzelnen
Standorten darstellten und zur Ableitung ortsspezifischer Trends ungeeignet seien. Ein längerer,
4
Aus: Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, in: PLoS ONE 12(10): e0185809. Im Internet
abrufbar unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 30.11.2017]
Wissenschaftliche Dienste
Sachstand
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Seite 6
über mehrere Jahre hinweg gehender Fang sei innerhalb der Schutzgebiete unerwünscht, da der
Probenahmeprozess selbst einen negativen Einfluss auf die lokalen Insektenbestände haben
könnte. Jedoch erlaubten die Daten durch die Behandlung saisonaler Profile von Insektenbiomasse als Stichproben des Zustands der Entomofauna in Schutzgebieten in Westdeutschland
eine Analyse auf einer höheren räumlichen Ebene.
Mithilfe statistischer Modellanalysen untersucht die Studie, ob sich klimatische Faktoren, Landnutzung und Lebensraumbeschaffenheit auf den Rückgang der Insekten ausgewirkt haben.
Hinsichtlich der klimatischen Faktoren wurden unter anderem Tagesdurchschnitte von Lufttemperatur, Niederschlag, Sonnenscheindauer, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit einbezogen. Die wechselnde Landnutzung in der Umgebung der Fallen wurde anhand von Luftbildern
aus den Zeitperioden 1989 bis 1994 und 2012 bis 2015 ausgewertet. Anhand der Zahlen von
Kräutern, Büschen und Bäumen wurde die Pflanzenvielfalt des Lebensraums im Umkreis von 50
Metern um die Fallen dokumentiert und nach wissenschaftlichen Methoden analysiertErgebnis der Biomassenauswertung ist, dass der Schwund von Fluginsekten im Hochsommer,
wenn die Biomasse die höchsten Werte im Jahr erreicht, bis zu 81,6 Prozent gegenüber 1989 beträgt. Auf den gesamten Auswertungszeitraum eines Jahres (1. April bis 30. Oktober) gerechnet,
beträgt der Schwund über 27 Jahre hinweg 76,7 Prozent.
Während das Wetter im Untersuchungszeitraum die Menge der Insekten-Biomasse kaum beeinflusst hat – lediglich für die im Mittel um 0,5 Grad Celsius gestiegene Temperatur werden positive Auswirkungen angenommen – , spielt die Bodenbeschaffenheit der Umgebung der Fallen
eine große Rolle für die Menge der Insekten-Biomasse. Da die jährliche Abnahmerate aber jeweils
vergleichbar war, ist der Schwund offenbar nicht an spezifischen Lebensräumen wie Wald, Grasland, Ackerland, Wasser usw. festzumachen.
Die Dokumentation der Pflanzenarten, die in unmittelbarer Nähe der Fallen und in der gleichen
Fangsaison durchgeführt wurde, zeigt eine deutliche Abnahme des Artenreichtums von Bäumen,
Sträuchern und Kräutern im Verlauf des Untersuchungszeitraums. Wider Erwarten beeinflusste
aber auch dieser Umstand die Menge der Biomasse nur schwach negativ.
Mithilfe der statistischen Modellanalysen wurden folgende Faktoren ermittelt, die sich in der
zeitlichen Entwicklung geringfügig positiv auf die Menge der Insekten-Biomasse auswirkten: eine
höhere Temperatur, eine große Artenvielfalt von Kräutern, das Stickstoffangebot im Boden und
Ackerland. Der Faktor Ackerland mit seinen für die Insekten-Biomasse negativen Auswirkungen
kehrte sich im finalen Modell durch eine Abnahme von Ackerland gegenüber anderen Lebensräumen ins Positive. Der Artenreichtum von Bäumen und die Waldausdehnung wirkten sich gemäß der statistischen Modellanalyse geringfügig negativ auf die Insekten-Biomasse aus.
Wissenschaftliche Dienste
Sachstand
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Fig 5. Marginal effects of temporal changes in considered covariates on insect biomass.
Each bar represents the rate of change in total insect biomass, as the combined effect of the relevant coefficient (Table
4) and the temporal development of each covariate independently (S2 and S3 Figs).5
doi: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809.g005
Die entscheidenden Faktoren, die die starke Abnahme der Biomasse flugaktiver Insekten von
knapp 76 Prozent in deutschen Naturschutzgebieten seit 1989 erklären würden, konnten in der
Studie nicht ermittelt werden.
Da der Biomasse-Rückgang während der gesamten Vegetationsperiode und unabhängig von der
Art des Lebensraums und der Landschaft zu beobachten ist, müsse es sich nach Auffassung der
Autoren um großräumige Faktoren handeln, beispielsweise nicht untersuchte Klimavariablen wie
längere Dürreperioden oder fehlender Sonnenschein.
Auch die Intensivierung der Landwirtschaft mit erhöhtem Pestizidverbrauch und dem Einsatz
neuartiger Pflanzenschutzmethoden, ganzjähriger Bodenbearbeitung, verstärktem Einsatz von
Düngemitteln, dem Verschwinden von Feldrändern und der Häufigkeit agronomischer Maßnahmen war nicht Gegenstand der Untersuchung und kann eine plausible Ursache sein. Mit 94 Prozent sind fast alle Standorte der Fallen, die für die Studie verwendet wurden, von landwirtschaftlichen Feldern umgeben.
5
Aus: Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, in: PLoS ONE 12(10): e0185809. Im Internet
abrufbar unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809 [zuletzt abgerufen am 30.11.2017]
Wissenschaftliche Dienste
Sachstand
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Seite 8
Der nachgewiesene Rückgang der Insektenbiomasse ist umso gravierender, als alle für die Untersuchung aufgestellten Fallen in geschützten Gebieten lagen, die gerade Ökosystemfunktionen
und Biodiversität erhalten sollen. Auch die Tatsache, dass nicht nur einzelne Arten wie bestimmte Schmetterlinge oder Bienenarten, sondern die Gesamtmenge der fliegenden Insekten betroffen ist, bedeutet eine neue Dimension des Problems.
Die Autoren fordern dringend weitere Forschungen zu den Ursachen des Rückgangs und zu seiner geografischen Ausdehnung sowie zu den Auswirkungen des Insektenschwunds auf Ökosysteme und Ökosystemdienstleistungen.6
3.
Rezeption durch das Fachpublikum, vermutete Ursachen und Handlungsempfehlungen
Die in der Zeitschrift PLoS veröffentlichte Studie ist Gegenstand der „Unstatistik des Monats“ im
Oktober 2017. In der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen Prof. Gerd Gigerenzer, Direktor des
Harding-Zentrums für Risikokompetenz am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, der Statistiker Prof. Dr. Walter Krämer von der Technischen Universität Dortmund und Prof.
Dr. Thomas K. Bauer, Vizepräsident des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V., monatlich aktuell publizierte Zahlen sowie deren Interpretationen.7
In der Unstatistik „Insektensterben die zweite“ vom 27.10.2017 wird zunächst auf die erste „Unstatistik“ zum Thema mit dem Titel „80 Prozent der Insekten sind verschwunden“ vom 31. August 20178 hingewiesen, die sich auf die öffentlichen Reaktionen zur eingangs erwähnten Publikation des Entomologischen Vereins Krefeld über ihre Messungen an zwei Standorten im Orbroicher Bruch 1989 und 2013 bezieht.
Im Anschluss wird die in der Zeitschrift PLoS veröffentlichte Studie thematisiert. Ein Kritikpunkt ist, dass keine der 63 Fallen über den gesamten Zeitraum der Erhebung an einem Ort aufgestellt gewesen sei, sondern dass viele Standorte von Jahr zu Jahr gewechselt hätten, wie die Autoren der Studie selbstkritisch angemerkt hatten. An den meisten Standorten sei keine einzige
Wiederholungsmessung durchgeführt worden.
Weiterhin wird in der „Unstatistik“ die Wahl des Anfangszeitpunkts kritisiert:
„Genauso wichtig für die Bewertung der „76 Prozent“ ist aber auch ein allgemeines Prinzip des
kritischen Denkens: Jede berichtete Abnahme zwischen zwei Zeitpunkten hängt davon ab, welchen Anfangszeitpunkt man wählt. Dies gilt besonders bei drastisch schwankenden Werten, wie
6
Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline
over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809
7
Weiterführende Informationen zur „Unstatistik des Monats“ unter http://www.rwi-essen.de/unstatistik/ [zuletzt
abgerufen am 28.11.2017]
8
Giegerenzer, Gerd: „Unstatistik des Monats: 80 Prozent der Insekten sind verschwunden“ vom 31.08.2017. Im
Internet abrufbar unter http://www.rwi-essen.de/unstatistik/70/ [zuletzt abgerufen am 28.11.2017]
Wissenschaftliche Dienste
Sachstand
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Seite 9
bei Börsenkursen und Biomassen von Insekten. Hätte man das Jahr 1991 statt 1989 als Anfangspunkt gewählt, dann wären es statt 76 Prozent weniger Insekten nur etwa 30 Prozent weniger gewesen.“
Ungeachtet dessen solle man über die Ursachen des Rückgangs nachdenken, für die die Studie
keine Erklärung liefere, sich aber gleichzeitig fragen, warum mit möglichst erschreckenden Zahlen Panik gemacht werde.9
Der Geschäftsführer und Leiter Naturbildung Berlin der Deutschen Wildtierstiftung, Michael
Miersch, verweist auf methodische Schwächen der zugrunde liegenden Krefelder Zählungen für
die in der Zeitschrift PLoS veröffentlichte Studie. Wie die Autoren der „Unstatistik“ hebt auch
Miersch die recht willkürlich erscheinende Auswahl der Referenzjahre hervor.
Dennoch änderten diese Schwächen nichts an der Tatsache des Abnehmens der Insekten insgesamt wie auch der Artenvielfalt.
Miersch kritisiert, dass Aktivisten und Lobbies die ernsthafte Suche nach den Ursachen übertönten und nennt beispielhaft die Anti-Glyphosat-Kampagne. Diese verschweige, dass auch Biolandwirte unter anderem mit dem als bienengefährdend eingestuften Gift Spinosad gegen Insekten
spritzten. Zudem verbrauche Biolandbau in Relation zu seinen Erträgen doppelt so viel Fläche
wie konventioneller Landbau.
Die Ursache für den Insektenrückgang sei vielmehr in der Landschaftsveränderung zu suchen, da
das Offenland sowohl für Insekten als auch für Vögel in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend unwirtlicher geworden sei. Dies sei vor allem auf die Überdüngung des Grünlandes, speziell mit Gülle, und auf den rasanten Anstieg des Maisanbaus für Biogas zurückzuführen.
Als Gegenmaßnahme nennt Miersch die Schaffung von mehr Brachen als Standorte für Wildpflanzen. Die von 1988 bis 2007 durchgeführten Flächenstilllegungen sollten, diesmal aus ökologischen statt aus ökonomischen Gründen, wieder eingeführt werden.10
Fachleute aus den Bereichen Ökologie, Biologie und Zoologie messen der Studie eine große Bedeutung bei, wobei die Landschaftsökologin Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg gleichzeitig Kritik am Erhebungsverfahren der Studie äußert.
Prof. Dr. Teja Tscharnke, Agrarökologe an der Georg-August-Universität Göttingen, hält die Studie aufgrund ihres Umfangs und aufgrund von zeitlich weit auseinanderliegenden Messungen am
selben Ort für bedeutend, da nun statistische Belege für das Insektensterben vorlägen.
Tscharnke hält den Klimawandel als Verursacher des Insektenschwunds für unwahrscheinlich,
da Insekten von höheren Temperaturen profitierten. Wie die Autoren der Studie sieht er den
9
Krämer, Walter: „Unstatistik des Monats: Insektensterben die zweite“ vom 27.10.2017. Im Internet abrufbar unter http://www.rwi-essen.de/unstatistik/72/ [zuletzt abgerufen am 28.11.2017]
10
„Michael Miersch zum Insektensterben“, in: Newsletter 44/2017 / DLG. Auf den Internetseiten der DLG – Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft abrufbar unter http://www.dlg.org/insektensterben.html [zuletzt abgerufen am
07.11.2017]
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landwirtschaftlichen Strukturwandel als wahrscheinlichen Hauptverursacher des Problems, speziell die zunehmende Vorherrschaft von Monokulturen, die sogenannte „ausgeräumte“ Landschaften ohne Brachen, Hecken oder breite Feldränder als Habitate für Insekten erzeuge. Einzelne
Schutzgebiete inmitten „ausgeräumter“ Landschaften reichten nicht aus, um die Erholung von
Populationen bei größeren Schwankungen, beispielsweise nach extremen Wetterereignissen, zu
gewährleisten.
Auch die Artenarmut der Ackerflächen, die durch eine Verringerung der Pflanzenvielfalt aufgrund von Überdüngung mit Stickstoff hervorgerufen werde, sei problematisch. Hinzu komme
die großflächige Verwendung von Herbiziden, speziell Glyphosat, das zu einem starken Rückgang von Pflanzenarten führe und ebenfalls zu einem Rückgang der Insekten beitrage. Daneben
töteten eingesetzte Neonikotinoide Insekten sehr effektiv und veränderten deren Verhalten nachteilig, beispielsweise werde ihre Navigation und Kommunikation untereinander beeinträchtigt.11
Sinnvoll wäre es nach Ansicht Tscharnkes, wenn die landwirtschaftlichen Interessenverbände
eine Politik einforderten, die Landwirte sehr viel besser dafür entlohne, dass sie eine nachhaltige
Landwirtschaft mit weniger Düngung und Pestizideinsatz betrieben und damit eine Landschaft
gestalteten, die Lebensräume für viele Arten biete.
Zudem solle beispielsweise das Bundesministerium für Bildung und Forschung Langzeitprogramme zur Erforschung des dramatischen Insektenrückgangs auflegen.12
Die Finanzierung von Langzeitstudien fordert auch Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Landschaftsökologin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Daneben hält sie die Forschung
nach den Ursachen, die für das Artensterben verantwortlich sind, für ein wichtiges kurzfristigeres Ziel. Sie warnt davor, auf das Vorliegen von Langzeitdaten zu warten, bevor man die Landnutzung ändere, da dies für einige Insektenarten zu spät sein könne.
Klein appelliert an die Verbraucher, Lebensmittel zu kaufen, die in für Insekten günstigen Landschaften produziert werden, und regt die Einführung eines Labels für insektenfreundliche Produkte durch die Politik an.
Obwohl Klein Kritik am Erhebungsverfahren der Studie äußert – etwa die nur ein- oder zweimalige Beprobung der meisten Fallen-Standorte –, misst sie der Studie aufgrund des ihrer Ansicht
nach statistisch klaren Befunds große Bedeutung zu. Ihr Wert liege vor allem darin, dass sie den
11
Interview von Jan Grossarth mit Prof. Dr. Teja Tscharnke: „Das Problem sind die Monokulturen“, in: FAZ online, im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/agraroekologe-teja-tscharntke-ueber-insektensterben-15256207.html?printPagedArticle=true#void [zuletzt abgerufen am 07.11.2017]
12
Interview von Geraldine Oetken mit Prof. Dr. Teja Tscharnke: „Apokalypse ist schon, dass wir Arten verlieren“,
in: Braunschweiger Zeitung vom 24.10.2017. Im Internet abrufbar unter https://www.uni-goettingen.de/de/document/download/a1978fde643b01391515516a608b86e1.pdf/Braunschweiger%20Zeitung,%20Interview,%2025.10.2017.pdf [zuletzt abgerufen am 07.11.2017]
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Rückgang der Insekten über Jahre hinweg zeige.13 Die Studie sei nicht auf andere Ökosysteme wie
Äcker oder Forste übertragbar, da es möglich sei, dass in anthropogen genutzten Ökosystemen
die Gesamtbiomasse durch große Schädlingspopulationen hochgehalten werde. Auch sei die Studie nur begrenzt für die Ursachenforschung geeignet.14
Auch Prof. Dr. Johann Wolfgang Wägele, Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig in Bonn, hebt den großen Wert der Studie aufgrund der ausgewerteten Langzeitdaten
hervor. Zum ersten Mal sei ein Datensatz in der vorliegenden Qualität erhoben worden.
Wägele ist der Auffassung, dass weder der Klimawandel noch eine Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen für die drastischen Rückgänge des Insektenbestands verantwortlich sind.15 Hinsichtlich der Ursachen gebe es lediglich Hypothesen. Wägele hält die Faktoren Überdüngung,
Gülleausbringung und die Anwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft für wahrscheinliche
Verursacher.
Er plädiert für einen Dialog mit den Akteuren, die diese Stoffe einsetzten, und der chemischen
Industrie. Darüber hinaus müsse der ökologische Landbau stärker gefördert werden.16
Der Biologe Prof. Dr. Josef Settele, Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
in Halle, sieht in der Studie einen Beleg dafür, dass der Schwund bei fliegenden Insekten ein größerflächiges Phänomen sei. Anders als Wägele will Settele das Klima nicht als Faktor ausschließen, da in der Studie nicht alle klimatisch relevanten Faktoren hätten untersucht werden können.17 Er hält die Aussage, dass Wetterveränderungen oder Änderungen der Landnutzung den
Gesamt-Rückgang der Insekten nicht erklären könnten, für irreführend. Die Aufschlüsselung von
Phänomenen des globalen Wandels nach ihren Ursachen sei grundsätzlich schwierig.
13
Interview mit Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein „Freiburger Forscherin über die Studie zum Insektensterben“, in:
Badische Zeitung online, im Internet abrufbar unter http://www.badische-zeitung.de/ratgeber/zischup/freiburger-forscherin-ueber-die-studie-zum-insektensterben [zuletzt abgerufen am 07.11.2017]; Artikel „Ein ökologisches Armageddon", in: Die Zeit Online. Im Internet abrufbar unter http://www.zeit.de/wissen/umwelt/201710/insektensterben-fluginsekten-gesamtmasse-rueckgang-studie [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
14
Schmitt, Stefan: „Lebt wohl“, in: Zeit Online. Im Internet abrufbar unter http://www.zeit.de/2017/44/insektendaten-forschung-massnahmen [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]; Müller-Jung, Joachim „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/insektensterben-75-prozent-weniger-insekten-in-deutschland-15250672.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
15
Baier, Tina: „Dramatischer Insektenschwund in Deutschland“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-dramatischer-insektenschwund-in-deutschland-1.3713567 [zuletzt abgerufen am 07.11.2017]
16
Videobeitrag mit Prof. Dr. Johann Wolfgang Wägele „Zahl der Insekten um 75 Prozent gesunken“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/zahl-der-insekten-um-75prozent-gesunken-15255037.html [zuletzt abgerufen am 07.11.2017]
17
Baier, Tina: „Dramatischer Insektenschwund in Deutschland“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-dramatischer-insektenschwund-in-deutschland-1.3713567 [zuletzt abgerufen am 07.11.2017]
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Für die Erzielung klarerer Ergebnisse zu den Ursachen des Aussterbens jenseits der Schutzgebiete ist laut Settele die Aufschlüsselung nach Arten der gefangenen Insekten ein Ansatz. An diesem Punkt stoße das Ehrenamt, das bisher enorme Leistungen erbracht habe, an seine Grenzen.
Settele fordert den systematischen Aufbau entsprechenden Monitorings als öffentliche Aufgabe
mit öffentlichen Geldern.18
Der Zoologe Prof. Dr. Johannes Steidle von der Universität Hohenheim beurteilt die Studie als
methodisch sauber und ihre Ergebnisse als schockierend. Die Arbeit zeige flächendeckend für
eine große geografische Region Mitteleuropas einen massiven Biomasserückgang für Insekten, so
Steidle, was aufgrund der zentralen Rolle von Insekten für das Funktionieren unserer Ökosysteme einem Albtraum gleichkomme.19 Steidle vermutet aufgrund des drastischen Rückgangs bereits an geschützten Standorten eine noch gravierendere Entwicklung in nicht geschützten Ökosystemen.20
Bereits im Oktober 2016 hatten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der 12. Hymenopterologen-Tagung Stuttgart aufgrund der extremen Rückgänge bei Insekten, insbesondere bei Wildbienen, in einer Resolution mit dem Titel „Resolution zum Schutz der mitteleuropäischen Insektenfauna, insbesondere der Wildbienen“ an die Bundesumweltministerin gewandt.21
Die Forderungen der 77 Forscher sind ein vollständiges Verbot von Insektengiften der Gruppe
der Neonikotinoide bis zum wissenschaftlich sauberen Nachweis ihrer Umweltverträglichkeit.
Darüber hinaus werden Maßnahmen zur Erhöhung der Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft
und ein Langzeit-Monitoring von Insekten gefordert mit dem Ziel, gefährdete Bestände zukünftig
besser lokalisieren und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten zu können.22
18
Müller-Jung, Joachim „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/insektensterben-75-prozent-weniger-insekten-in-deutschland-15250672.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
19
Müller-Jung, Joachim „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/insektensterben-75-prozent-weniger-insekten-in-deutschland-15250672.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
20
Baier, Tina: „Dramatischer Insektenschwund in Deutschland“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-dramatischer-insektenschwund-in-deutschland-1.3713567 [zuletzt abgerufen am 07.11.2017]
21
„Resolution zum Schutz der mitteleuropäischen Insektenfauna, insbesondere der Wildbienen“, verfasst von den
Teilnehmer/innen der 12. Hymenopterologen-Tagung Stuttgart im Oktober 2016. Im Internet abrufbar unter
https://www.uni-hohenheim.de/uploads/media/Resolution_Insektenschutz_Oktober_2016.pdf [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
22
Gemeinsame Pressemitteilung der Universität Hohenheim und des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart vom 28.10.2016 „Alarmstufe Rot – Insektensterben statt Bienentanz: Wissenschaftler fordern Sofortmaßnahmen gegen Artenschwund“. Im Internet abrufbar unter https://www.uni-hohenheim.de/pressemitteilung?tx_ttnews%5Btt_news%5D=33773&cHash=677ea018c0768c49b0c8d8a79feca8c9 [zuletzt abgerufen am
08.11.2017]
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Die in der Zeitschrift PLoS ONE publizierte Studie hat auch im Ausland Beachtung gefunden.
Ein Artikel in der führenden naturwissenschaftlichen US-amerikanischen Fachzeitschrift „Science“ berichtet über die Erhebung der Daten durch den Entomologischen Verein Krefeld und
seine bis dato gewonnenen Erkenntnisse. Der Artikel in „Science“ wurde einige Monate vor der
Studie veröffentlicht.23
Die Ergebnisse der Studie selbst werden in einem weiteren kurzen Artikel vom 18. Oktober 2017
in der Zeitschrift „Science“ zusammengefasst, jedoch nicht bewertet.24
Gleiches gilt für einen entsprechenden Artikel in der namhaften US-amerikanischen naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature“.25 Auch die New York Times berichtet über die Studie.26
In einem Kommentar vom 14. November 2017 zu ihrer Studie in PLoS ONE nehmen fünf der Autoren der Insektenstudie Stellung zu deren Rezeption in den Medien27 und äußern sich wie folgt:
„Im Folgenden erklären wir:
Man kann den Rückgang aufgrund der Komplexität des Datensatzes nicht durch eine
simple Regression zu den Rohdaten ermitteln.
Der ermittelte Trend ist aus allen verfügbaren Daten berechnet worden und ist nicht abhängig von einem bestimmten Startjahr oder Endjahr.
Weitere Analysen der Daten bestätigen den Rückgang von mehr als 75% als robuste Berechnung.“28
Zur Herkunft der Daten erläutern die Autoren:
„Der Zweck der umfangreichen Probennahme des Entomologischen Vereins Krefeld über fast 30
23
Vogel, Gretchen „Where have all the insects gone?“, in: Science, Vol. 356, Issue 6338 vom 12.05.2017, S. 576 ff.
Im Internet abrufbar unter: http://www.sciencemag.org/news/2017/05/where-have-all-insects-gone [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]. doi:10.1126/science.aal1160
24
Vogel, Gretchen „Germany’s insects are disappearing“, in: Science online. Im Internet abrufbar unter
http://www.sciencemag.org/news/2017/10/germany-s-insects-are-disappearing [zuletzt abgerufen am
08.11.2017]. doi:10.1126/science.aar2526
25
Artikel “Flying insects are disappearing from German skies”, in: Nature online. Im Internet abrufbar unter
https://www.nature.com/articles/d41586-017-04774-7 [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
26
Artikel „Insect Armageddon“, in: The New York Times online. Im Internet abrufbar unter https://www.nytimes.com/2017/10/29/opinion/insect-armageddon-ecosystem-.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
27
Vgl. Artikel „Insektensterben von 76,6 Prozent hält Prüfung stand“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 266
vom 16.11.2017, S. 9.
28
Caspar A. Hallmann, Martin Sorg, Eelke Jongejans, Henk Siepel, Hans de Kroon “From the authors: drawing a
line through the raw data gives a wrong estimate of insect decline”, Kommentar der Autoren vom 14.11.2017 zu
ihrer Studie “More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas” vom
18.10.2017 in PLoS ONE 12(10). Im Internet abrufbar unter http://journals.plos.org/plosone/article/comment?id=10.1371/annotation/50f95392-7b52-4d84-b08c-f94c65745bdd [zuletzt abgerufen am 27.11.2017].
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Jahre bestand darin, einen qualitativen und quantitativen Überblick über die Diversität fliegender
Insekten in deutschen Schutzgebieten zu erhalten. Infolgedessen wurde eine große Vielfalt an
Standorten beprobt. Begrenzte Fördermittel und Genehmigungen schränkten die Intensität der
Probennahme ein. Folglich wurden nicht alle Lebensraumtypen in allen Jahren beprobt, und in
manchen Jahren war es zudem nicht möglich, Proben zu nehmen. Als im Laufe der Jahre Rückgänge auffielen, wurden Standorte zunehmend neu beprobt. Insgesamt wurde ein einzigartiger
Datensatz über die Insektenbiomasse mit 1.503 Datenpunkten über eine gesamte Betriebszeit der
Insektenfallen von 16.908 Tagen ermittelt. Der Umfang der Daten in Raum und Zeit, basierend
auf einer strengen Standardisierung von Probenahme- und Wiegeprotokollen, ermöglicht eine
gründliche wissenschaftliche Analyse des Insektenrückgangs. Dies wiederum erlaubt es, eine Gesamtrate des Rückgangs zu berechnen.“29
Über die Zuverlässigkeit der Methodik gibt es unter den Forschern unterschiedliche Auffassungen. Für Johannes Steidle von der Universität Hohenheim spielt die Tatsache, dass an vielen Probestellen nur einmalig Proben genommen wurden, hinsichtlich der Validität der Daten keine
Rolle, denn auch eine Teilanalyse der mehrfach beprobten Standorte käme zu demselben Ergebnis wie die Hauptanalyse mit allen Probestellen.
Alexandra-Maria Klein von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hält das Versuchsdesign für
nicht optimal, denn man habe Datenlücken mit statistischen Modellen ausgleichen müssen. Dies
führe zu Unsicherheiten. Ebenfalls nicht optimal sei, dass das Gewicht der Proben nicht als Trockengewicht bestimmt worden sei. Zudem sei ungeklärt, ob die Zahl einzelner Arten möglicherweise sogar gewachsen sei.30
Die statistische Analyse in der Studie wird von den Autoren folgendermaßen beschrieben:
„Angesichts der Komplexität der Daten kann man nicht einfach zwischen den Jahresdurchschnittswerten der Rohdaten eine Linie ziehen und so den Rückgang berechnen. Ein Grund dafür
ist, dass Habitatcluster nicht in allen Jahren in den gleichen Proportionen vertreten sind. Verschiedene Habitatcluster unterscheiden sich in der Insektenmenge pro Raumeinheit, wobei natürlicherweise feuchtere Grünlandgesellschaften mehr Biomasse enthalten als trockene Sandheiden. Ein weiterer Grund ist die große Variation der Insektenmenge innerhalb jeder Saison (siehe
Abb. 2b in der Veröffentlichung). Obwohl die Fallen mindestens einige Monate im Freiland blieben, war die Zeitspanne nicht in allen Jahren für alle Standorte exakt identisch. Dies beeinflusst
auch die Jahresmittelwerte der gesammelten Proben.
Es existieren solide statistische Techniken, um solche komplexen Daten zu analysieren. Wir haben einen hierarchischen Ansatz gewählt, beginnend mit einem einfachen (Null-)Modell, haben
dann zunehmend Faktoren hinzufügt, die die Variation erklären, um mit einem finalen Modell
mit Faktoren zu enden, welche die vorliegenden Muster am besten erklären.
29
Ebd.
30
Vgl. Artikel „Zahl der Insekten in Deutschland sinkt deutlich“, in: Spiegel online. Im Internet abrufbar unter
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/insekten-in-deutschland-forscher-bestaetigen-insektensterben-a1173525.html [zuletzt abgerufen am 04.12.2017]
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Das Nullmodell enthält die saisonale Variation (Tageszahlen) und Habitatcluster. Der vollständige Datensatz erlaubt zuverlässige Berechnungen für diese Effekte, die zusammen bereits 39%
der gesamten Variation der Insektenbiomasse erklären. Als nächstes wurde das Jahr als Faktor
(und die Interaktion von Jahr zu Tageszahl; Basismodell) hinzugefügt, was zu einer wesentlichen
Verbesserung des Modells führte. Dieses Basismodell erklärt 61% der gesamten Variation.
Schließlich wurden weitere Faktoren berücksichtigt, wie Wetter, Waldfläche, Ackerfläche (beide
in einer Entfernung von 200 m um die Fallen) und die Artenzusammensetzung der Vegetation in
unmittelbarer Nähe der Fallen. Wichtig ist auch, dass auch Wechselwirkungen zwischen diesen
Faktoren und dem Jahr integriert wurden. Diese Interaktionen erklären einen Teil des Rückgangs
über die Jahre hinweg (Abb. 5 in der Veröffentlichung), jedoch in sehr begrenztem Maße. Das finale Modell erklärt 67% der gesamten Variation der Insektenbiomasse (über alle Jahre, Jahreszeiten und Lebensräume). In diesem Modell beträgt der Rückgang 76% über die Zeitspanne von 27
Jahren.
Es ist wichtig zu beachten, dass es in dieser Analyse kein Referenzjahr gibt. Das Ziehen einer Linie aus einem Referenzjahr würde die Daten eines einzelnen Jahres überbewerten. Im Gegensatz
dazu hat jeder unserer 1503 Datenpunkte gleiches Gewicht bei unserer Analyse der Auswirkungen der im Modell enthaltenen Faktoren. Die Berechnung des jährlichen Rückgangs hängt daher
nur in begrenztem Maße vom ersten oder letzten Jahr (oder irgendeinem anderen Jahr) der Messreihen ab.“31
Zur Robustheit der Ergebnisse ihrer Studie erklären die Autoren in ihrem Kommentar:
„Es sollte angemerkt werden, dass es keine grundsätzlichen Gründe gibt, Daten aus einem der
Jahre wegzulassen, und dies zu tun wäre wissenschaftliches Fehlverhalten. Aus welchem wissenschaftlichen Grund wäre man daran interessiert, die ersten Jahre zu ignorieren? Warum nicht die
letzten Jahre ignorieren?
Um jedoch alle Zweifel auszuräumen und um die Robustheit der Analyse zu überprüfen, führen
wir unsere statistischen Modelle erneut aus, und die Trendberechnungen sind im Ergebnis wie
folgt:
Jahre 1989 - 2016:
Rückgang insgesamt 76,7% - Rückgang in der Mitte des Sommers 81,6% (n = 1503 Datenpunkte,
wie in der Publikation)
Jahre 1991 - 2016:
Rückgang insgesamt 76,8% - Rückgang in der Mitte des Sommers 82,0% (n = 1279 Datenpunkte)
Es mag kontraintuitiv erscheinen, dass sich der Trend kaum ändert, wenn die ersten zwei Jahre
mit sehr hohen Biomassen nicht berücksichtigt werden. Diese hohen Biomassen sind jedoch
keine Ausreißer, sie passen in den Trend, der mit den Folgejahren auf Basis der Daten berechnet
31
Caspar A. Hallmann, Martin Sorg, Eelke Jongejans, Henk Siepel, Hans de Kroon “From the authors: drawing a
line through the raw data gives a wrong estimate of insect decline”, Kommentar der Autoren vom 14.11.2017 zu
ihrer Studie “More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas” vom
18.10.2017 in PLoS ONE 12(10). Im Internet abrufbar unter http://journals.plos.org/plosone/article/comment?id=10.1371/annotation/50f95392-7b52-4d84-b08c-f94c65745bdd [zuletzt abgerufen am 27.11.2017].
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werden kann. Deshalb ändert sich die Trendberechnung kaum, wenn diese Jahre herausgenommen werden.
Wenn die ersten Jahre der Messungen in den allgemeinen Trend passen, könnten wir die Frage
stellen, wie der Trend aussehen würde, wenn zusätzlich Daten ab 1980 verfügbar gewesen wären.
Die Trendberechnung von 76% könnte durchaus höher ausgefallen sein, wenn ältere Daten hätten einbezogen werden können.
Insgesamt zeigen diese zusätzlichen Analysen, dass der starke Gesamtrückgang nicht von den
ersten Jahren der Probenahme abhängt. Die Schlussfolgerungen in unserer Publikation sind daher
robust. […]32
4.
Die Haltung von Verbänden
Vonseiten der Forschung wird überwiegend vermutet, dass der landwirtschaftliche Kulturwandel, speziell Monokulturen ohne Habitate für Insekten, Überdüngung und Pestizidausbringung
Hauptverursacher des Insektenrückgangs ist. Bewiesen werden konnte dies bislang nicht.
4.1. Deutscher Bauernverband (DBV)
Bereits am 17. Juli 2017 hatte der Deutsche Bauernverband eine Pressemeldung herausgegeben,
in der er zu der aufkommenden Diskussion zum Insektensterben Stellung nimmt und sich unter
anderem auf einen Zeitungsbericht über die Untersuchungen des Entomologischen Vereins Krefeld33 bezieht. Die in der Zeitschrift „PLoS“ veröffentlichte Studie lag zu diesem Zeitpunkt noch
nicht vor.
In dieser Pressemeldung werden die Aussagen des Entomologischen Vereins Krefeld zum Rückgang der Insekten mit der Begründung zurückgewiesen, dass es keine repräsentativen Untersuchungen oder belastbaren Studien über Umfang und Ausmaß von Veränderungen des Insektenbestands gäbe. Es bestehe großer Klärungsbedarf, da flächendeckende Bestandszahlen und systematische Forschungsreihen sowie ein Langzeitmonitoring fehlten.
Die Bundesumweltministerin habe zum wiederholten Male die Landwirtschaft für das Insektensterben verantwortlich gemacht, was in dieser Form nicht zu begründen sei. In der Pressemeldung wird kritisiert, dass unter anderem bürokratische Hindernisse den Landwirten die Schaffung insektenfreundlicher Blühstreifen und artenreicher Feldränder erschwerten. Darüber hinaus
32
Ebd.
33
Frey, Andreas „Hat es sich bald ausgekrabbelt?“, in: Frankfurter Allgemeine online vom 23.07.2017. Im Internet
abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/insektensterben-hat-es-sich-bald-ausgekrabbelt15111642.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
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werde – auch vom BMUB – zu wenig gegen den Flächenverbrauch durch Bebauung unternommen.34
Nach Erscheinen der Studie zum Insektensterben in der Zeitschrift PLoS im Oktober 2017 hat der
Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes mitgeteilt, dass sich voreilige Schlüsse in Richtung Landwirtschaft verbäten, da die Erfassung der Insekten ausschließlich in Schutzgebieten
stattgefunden habe. Die Studie selbst betone ausdrücklich, dass es weiteren dringenden Forschungsbedarf zum Umfang und zu den Ursachen des dargestellten Insektenrückgangs gäbe.35
Im März 2017 hatte der DBV ein Positionspapier mit dem Titel „Veränderung gestalten!“ vorgelegt, in dem unter anderem der Schutz von Kulturlandschaft, Boden, Luft und Wasser sowie von
Tieren und Pflanzen als Bestandteile des Leitbilds des Deutschen Bauernverbandes genannt werden. In diesem Positionspapier sieht der DBV Handlungsbedarf in verschiedenen Bereichen, die
er in Abstimmung mit seinen Mitgliedern und im Austausch und Dialog mit Politik und Gesellschaft angehen werde.
Im Positionspapier bekennt sich der Deutsche Bauernverband dazu, den kooperativen Umweltund Naturschutz weiter auszubauen und zu fördern sowie über Demonstrationsbetriebe und Biodiversitätsprojekte praxistaugliche und wirtschaftlich tragfähige Maßnahmen zu entwickeln und
zu erproben. Mit diesen Maßnahmen sollten die Betriebe auf kooperativem Wege einen Beitrag
zum Natur- und Artenschutz leisten.
Weiterhin bekennt sich der DBV dazu, im Rahmen des „Greening“ streifenförmige ökologische
Vorrangflächen verstärkt als Pufferstreifen an Gewässern oder Blühstreifen zu nutzen. Für das
Greening fordert der DBV eine Reduzierung der Kontroll- und Sanktionsrisiken für die Betriebe
und eine Reduzierung der Verwaltung. Darüber hinaus ist der DBV laut seinem Positionspapier
bestrebt, bedarfsgerechte Düngung weiter zu verbessern und damit eine optimale Pflanzenernährung zu ermöglichen, sodass eine umweltgerechte und standortangepasste Nährstoffbilanz sichergestellt werde.
Auch ein effizienter und verantwortlicher Einsatz von Pflanzenschutzmitteln solle nach Aussage
des Positionspapiers bei Minimierung möglicher Risiken durch die Ausbringung gewährleistet
werden, wobei der pauschale Einsatz von Glyphosat zur Sikkation nach dem Verständnis des
DBV nicht der guten fachlichen Praxis entspreche. Zur Begrenzung von nachteiligen Umweltwirkungen, aus Gründen der Ökonomie und nicht zuletzt des Resistenzmanagements sei eine zu-
34
Pressemeldung des Deutschen Bauernverbandes vom 17.07.2017 „Diskussion zum Insektensterben in einer
„Wolke der Unwissenheit““. Im Internet abrufbar unter http://www.bauernverband.de/diskussion-zum-insektensterben-in-einer-wolke-der-unwissenheit [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
35
Artikel „Ein ökologisches Armageddon", in: Die Zeit Online. Im Internet abrufbar unter http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2017-10/insektensterben-fluginsekten-gesamtmasse-rueckgang-studie [zuletzt abgerufen am
08.11.2017]
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rückhaltende Nutzung von Pflanzenschutzmitteln nach dem Motto „so viel wie nötig und so wenig wie möglich“ geboten. Dabei diene entsprechend der Vorgabe des Nationalen Aktionsplans
Pflanzenschutz36 das „notwendige Maß“ als Orientierung.37
4.2. NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V.
Der NABU berichtet ausführlich über die Studie und bewertet ihre Ergebnisse dahingehend, dass
sich nun nicht mehr die Frage stelle, ob die Insektenwelt in Schwierigkeiten stecke, sondern wie
das Insektensterben zu stoppen sei.
Laut NABU unterlägen Naturschutzgebiete, die in Deutschland überwiegend eine Fläche von weniger als 60 Hektar haben, durch ihre Insellage und langen Außengrenzen einer starken Beeinflussung durch ihre Umgebung. Dies beträfe auch den Eintrag von Pestiziden oder Nährstoffen.
Es läge nahe, dass durch diese Praktiken der intensiven Landwirtschaft eine massive Beeinträchtigung des Erhaltungszustands vieler Schutzgebiete – und damit auch der Insekten – stattfände.
Die Studienergebnisse werden vom NABU als repräsentativ für alle Offenlandbiotope des deutschen Tieflands und somit als überregional bedeutsam eingeschätzt. Es handele sich deshalb
beim Insektenrückgang wahrscheinlich um ein flächendeckendes Problem.
Als Schlussfolgerung aus der Studie ergeben sich für den NABU die folgenden Forderungen:
Schutzgebietsmanagement muss Landwirtschaft mit einbeziehen
Pestizidverbot in Schutzgebieten
Risiken des Pestizideinsatzes müssen drastisch minimiert werden
Etablierung eines bundesweiten Insekten- und Biodiversitätsmonitorings.38
Bekannte Ursachen seien laut NABU Stickstoffeintrag, Grünlandumbruch, Wegfall von Brachen,
großflächige Mahd, Überweidung/Wegfall der Beweidung und Lichtverschmutzung. Hinzu kämen ein verbreiteter Einsatz von hochwirksamen und langlebigen Insektiziden und Herbiziden,
wodurch auch Schutzgebiete und ihre nähere Umgebung betroffen würden. Zusammenfassend
wird vom NABU die intensive Landwirtschaft als mutmaßlicher Hauptverursacher für den drastischen Rückgang des Insektenbestands verantwortlich gemacht.
36
„Nationaler Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ der Bundesregierung vom
15. Mai 2013, im Internet abrufbar unter http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/NationalerAktionsplanPflanzenschutz.pdf?__blob=publicationFile [zuletzt abgerufen am 09.11.2017]
37
Deutscher Bauernverband: Positionspapier "Veränderung gestalten", März 2017. Im Internet abrufbar unter
http://www.bauernverband.de/mediaarchiv/grab_pic_chris.php?id=669388 [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
38
NABU: „Wissenschaftler bestätigen dramatisches Insektensterben“. Im Internet abrufbar unter
https://www.nabu.de/news/2017/10/23291.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
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Die NABU-Bundesvertreterversammlung fordert die neue Bundesregierung in ihrer Resolution
vom 5. November 2017 auf, eine Reihe konkreter Maßnahmen gegen den weiteren Insektenrückgang zu ergreifen.39
5.
Rückgang des Insektenbestands als Thema im Deutschen Bundestag
Am 13. Januar 2016 hat der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit des
Deutschen Bundestages ein öffentliches Fachgespräch zum Thema "Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes bei Insekten" durchgeführt.
Eingeladene Sachverständige waren Prof. Dr. Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts, Josef Tumbrinck, Vorsitzender des NABU Nordrhein-Westfalen,
Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Halle – UFZ, Department
Biozönoseforschung sowie Prof. Dr. Teja Tscharntke von der Georg-August-Universität Göttingen,
Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Agrarökologie. Alle Sachverständigen haben in ihren Beiträgen Forderungen an die Politik formuliert.40
In folgenden Bundestagsdrucksachen neueren Datums geht es um die Themen Rückgang des Insektenbestands und Erhaltung von Biodiversität41:
Drucksache 18/13568 vom 13.09.201742
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Peter Meiwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN – Drucksache 18/13418 –
Verlust von Artenreichtum in der Agrarlandschaft
Drucksache 18/13560 vom 12.09.201743
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN – Drucksache 18/13289 –
39
NABU: „Dramatischen Insektenrückgang umkehren – wichtige Weichenstellungen vornehmen: Resolution der
NABU-Bundesvertreterversammlung 2017“. Im Internet abrufbar unter https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/insekten-und-spinnen/insektensterben/23400.html [zuletzt abgerufen am 08.11.2017]
40
Weiterführende Informationen zum öffentlichen Fachgespräch zum Thema "Ursachen und Auswirkungen des
Biodiversitätsverlustes bei Insekten" unter http://www.bundestag.de/ausschuesse/ausschuesse18/a16/Oeffentliche_Anhoerungen/oeffentliches-fachgespraech-73-sitzung-insekten [zuletzt abgerufen am 27.11.2017]
41
Zu den Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlusts bei Insekten siehe auch die Ausarbeitung des
Fachbereichs WD 8: WD 8-088/15 vom 6. Januar 2015
42
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/135/1813568.pdf [zuletzt abgerufen am
09.11.2017]
43
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/135/1813560.pdf [zuletzt abgerufen am
09.11.2017]
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Klimawandel und Biodiversität
Drucksache 18/13142 vom 18.07.201744
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/12859 –
Insekten in Deutschland und Auswirkungen ihres Rückgangs
Drucksache 18/11700 vom 28.03.201745
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
– Drucksache 18/10971 –
Biodiversität schützen ‒ Taxonomische Forschung ausbauen
Drucksache 18/9710 vom 16.09.201646
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Strategie der Bundesregierung zur vorbildlichen Berücksichtigung von Biodiversitätsbelangen für alle Flächen des Bundes
Drucksache 18/7705 vom 25.02.201647
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN – Drucksache 18/7492 –
Rückgang von Bestäuber-Insekten, insbesondere Wildbienen48
44
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/128/1812859.pdf [zuletzt abgerufen am
09.11.2017]
45
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/117/1811700.pdf [zuletzt abgerufen am
09.11.2017]
46
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/097/1809710.pdf [zuletzt abgerufen am
09.11.2017]
47
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/077/1807705.pdf [zuletzt abgerufen am
09.11.2017]
48
Zu Bienen, ihrer Gefährdung und ihrem Schutz siehe auch die Ausarbeitung des Fachbereichs WD 5: WD 5031/16 vom 21. April 2016. Im Internet abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/424128/4769a9eae533c00dcaad1ab8479e9f82/wd-5-031-16-pdf-data.pdf [zuletzt abgerufen am
09.11.2017]
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6.
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Drucksache 18/3764 vom 16.01.201549
Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung, Technikfolgenabschätzung (TA)
Inwertsetzung von Biodiversität
Zu den Auswirkungen des stark rückläufigen Insektenbestands in Deutschland
Insekten sind für das Funktionieren unseres Ökosystems unverzichtbar. Dies gilt vor allem für
die Bestäubung von Pflanzen, aber auch für die biologische Schädlingskontrolle in Forst- und
Landwirtschaft sowie für den Abbau organischer Massen.50
Eine erfolgreiche natürliche Schädlingsbekämpfung durch Insekten wie Schlupfwespen kann
nach Ansicht der Bundesregierung zu einer Reduktion der Verwendung von Insektiziden führen,
wobei daraus gegebenenfalls finanzielle Vorteile für die Landwirtschaft resultieren könnten, und
sich zudem positiv auf die Bodenfauna auswirken. Auch die Rolle der Insekten und anderer Gliederfüßler bei der Humusbildung und dem Erhalt der Bodenfruchtbarkeit sei von zentraler Bedeutung. Zudem werde die Fruchtentwicklung der angebauten Kulturpflanzen und Obstbestände bei
einem hohen Vorkommen bestäubender Insekten aufgrund einer besseren Bestäubung gefördert.
Neben dem hohen Verlust an Biodiversität sieht die Bundesregierung im Rückgang der Insekten
große ökonomische Risiken durch eine deutliche Abnahme der von Insekten erbrachten Ökosystemdienstleistungen. Das gelte vor allem für den Rückgang der Erträge aus dem Obst- und Gemüseanbau sowie dem Ackerbau, wenn die Bestäubungsleistung von Insekten ausfalle.51
Als Futterlieferant stehen Insekten am untersten Ende der Nahrungskette, sodass ihr signifikanter
Rückgang direkte Auswirkungen nicht nur auf Vögel, sondern auf weitere Tierklassen wie Amphibien, Reptilien und Säugetiere hat.52
49
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/037/1803764.pdf [zuletzt abgerufen am
09.11.2017]
50
Vgl. Internetseiten des NABU „Auf der Kippe - Warum Insekten gefährdet sind – und mit ihnen das ganze Ökosystem“ unter https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/naturschutzim-garten/insekten/22696.html [zuletzt abgerufen am 30.11.2017]
51
Vgl. Bundestagsdrucksache 18/13142 vom 18.07.2017: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/12859 – Insekten in Deutschland und Auswirkungen ihres Rückgangs, S. 6 f.
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/128/1812859.pdf [zuletzt abgerufen am
29.11.2017]
52
Vgl. Internetseiten des NABU „Auf der Kippe - Warum Insekten gefährdet sind – und mit ihnen das ganze Ökosystem“ unter https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/naturschutzim-garten/insekten/22696.html und Baier, Tina „Das Insektensterben bedroht unsere Lebensgrundlagen“, in:
Süddeutsche Zeitung online. Im Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/biologie-das-insektensterben-bedroht-unsere-lebensgrundlagen-1.3734633 [jeweils zuletzt abgerufen am 29.11.2017]
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Bei zahlreichen Vogelarten, für die Insekten die Hauptnahrungsquelle sind, wurden bereits signifikante Rückgänge verzeichnet. So hat der NABU errechnet, dass in Deutschland innerhalb von
zwölf Jahren 12,7 Millionen Brutpaare verloren gegangen seien, was einem Rückgang von 15 Prozent entspräche. Ausgewertet wurden die von der Bundesregierung im Jahr 2013 an die EU gemeldeten Bestandsdaten der Jahre 1998 bis 2009. Mit neueren Zahlen sei erst 2019 zu rechnen.
Der NABU sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Vogelrückgang und dem signifikanten Rückgang der Insekten, den die Studie in der Zeitschrift PLoS ONE belegt habe, da nahezu alle betroffenen Arten zumindest ihre Jungen mit Insekten fütterten.53 Auch die Bundesregierung sieht – neben beeinträchtigenden Lebensraumverschlechterungen – im Insektenrückgang
eine Ursache für die Verringerung von Vogelpopulationen und -arten. Sie bezieht sich dabei
ebenfalls auf Auswertungen des nationalen EU-Vogelschutzberichts 2013.
Für den Rückgang von Insekten macht die Bundesregierung einen Komplex unterschiedlicher
Faktoren als mögliche Verursacher aus. Zu diesen Faktoren zählten das Vorhandensein von Habitaten, das Nahrungsangebot, die Veränderung und das Vorhandensein von landschaftlichen
Strukturen wie Säume, Hecken oder gestufte Waldränder. Daneben hätten die Nutzungsweise
und Bewirtschaftung der Landschaft, das Vorliegen von Schadstoffen, zu denen auch Pflanzenschutzmittel zählten, sowie die Fragmentierung der Landschaft, Jahreswitterung und Klimaänderungen einen wesentlichen Einfluss auf Insektenpopulationen. Auch Naturschutzgebiete als Bestandteile der Gesamtlandschaft seien vor negativen Einflüssen nicht sicher.54
Als die bedeutendste Schlüsselfunktion in allen terrestrischen Ökosystemen gilt die Blütenbestäubung, da sie durch das Zusammenspiel von Pflanzen und Tieren bei Fortpflanzung und Ernährung die biologische Vielfalt erhält. So werden weltweit über 85 Prozent aller Pflanzen durch
Tiere bestäubt. Diese Pflanzen und die Tiere, die sich von ihnen ernähren, sind direkt von der
Blütenbestäubung abhängig.
Als Ökosystemdienstleistung ist Blütenbestäubung von ebenso großer Wichtigkeit für die weltweite Kulturpflanzenproduktion und die Ernährungssicherung des Menschen. Sie beeinflusst
etwa 35 Prozent der weltweiten Kulturpflanzenproduktion.
Vor allem die Wildbienen mit 30.000 bekannten Arten, andere Hautflügler sowie die über
150.000 Fliegenarten sorgen für die Bestäubung vieler Blütenpflanzen, aber auch Schmetterlinge
53
Artikel „Nabu: Zahl der Vögel geht stark zurück“, in: Frankfurter Allgemeine online. Im Internet abrufbar unter
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/nabu-zahl-der-voegel-geht-stark-zurueck-15253587.html [zuletzt
abgerufen am 08.11.2017]
54
Vgl. Bundestagsdrucksache 18/13142 vom 18.07.2017: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Steffi Lemke, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/12859 – Insekten in Deutschland und Auswirkungen ihres Rückgangs, S. 6 ff.
Im Internet abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/128/1812859.pdf [zuletzt abgerufen am
29.11.2017]
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und Käfer sowie einige Vogel- und Säugetierarten. Einige bestäubende Tierarten sind spezialisiert
auf eine Pflanzenart oder Gattung, andere nutzen verschiedenste Blütenpflanzenarten.55
Um reibungslos funktionieren zu können, benötigt das Ökosystem viele verschiedene Bestäuber.
Die in Deutschland vorkommenden über 560 Wildbienenarten haben eine hohe Bedeutung, da
beispielsweise Honigbienen nicht in der Lage sind, alle Pflanzenarten zu bestäuben. Ein Hinderungsgrund kann die Größe sein, da manche Blüten so klein sind, dass eine Honigbiene dort
nicht landen kann. Für andere Blütenarten ist beispielsweise der Rüssel der Honigbiene zu kurz.
Im Gegensatz zu den Wildbienen fliegen Honigbienen zudem bei Regen und Wind nicht aus – es
findet dann keine Bestäubung statt.
Ein Sterben der für die Bestäubung passenden Wildbienen, Fliegen oder Falter hätte zur Folge,
dass auch diese Pflanzen sterben. Deshalb ist jede einzelne Art wichtig. 56
Die biologische Vielfalt kann nur dann erhalten werden, wenn auch das Überleben der Blütenbestäuber – in möglichst vielen Arten – gesichert ist.
Laut dem Bundesamt für Naturschutz beläuft sich nach Schätzungen der gesamte ökonomische
Wert durch die Ökosystemdienstleistung Blütenbestäubung auf 153 Milliarden Euro pro Jahr.57
Ersetzbar wäre diese Ökosystemdienstleistung nach Einschätzung des Biologen Prof. Dr. Josef
Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle nur bis zu einem gewissen Grad,
beispielsweise durch die Einbringung aktiv vermehrter Bestäuber wie Honigbienen. Blütenbestäubung werde beispielsweise in China zum Teil auch durch Menschen vorgenommen. Der Arbeitsaufwand, die benötigte Manpower und damit auch die Kosten für eine Bestäubung durch
den Menschen wären immens hoch und hätten dennoch eklatante Ausfälle zur Folge. Eine
55
Vgl. Internetseiten des Bundesamts für Naturschutz: „Blütenbestäuber und Biodiversität“ unter
https://www.bfn.de/0326_bestaeuber.html; „Bestäubung als Ökosystemdienstleistung“ unter
https://www.bfn.de/themen/bluetenbestaeuber-und-biodiversitaet/oekosystemdienstleistung.html und „Artenvielfalt der Blütenbestäuber“ unter https://www.bfn.de/themen/bluetenbestaeuber-und-biodiversitaet/artenvielfalt.html [jeweils zuletzt abgerufen am 28.11.2017]
56
Vgl. Baier, Tina „Das Insektensterben bedroht unsere Lebensgrundlagen“, in: Süddeutsche Zeitung online. Im
Internet abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wissen/biologie-das-insektensterben-bedroht-unsere-lebensgrundlagen-1.3734633 [zuletzt abgerufen am 28.11.2017].
57
Vgl. Internetseiten des Bundesamts für Naturschutz: „Blütenbestäuber und Biodiversität“ unter
https://www.bfn.de/0326_bestaeuber.html und „Bestäubung als Ökosystemdienstleistung“ unter
https://www.bfn.de/themen/bluetenbestaeuber-und-biodiversitaet/oekosystemdienstleistung.html [jeweils zuletzt abgerufen am 28.11.2017]
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Grundnahrungsmittelsicherheit wäre in diesem Fall laut Settele wahrscheinlich nicht mehr gegeben, ein Zusammenbruch des Systems wäre letztlich nicht in irgendeiner vorstellbaren Weise reversibel.58
Der NABU nennt Schätzungen, nach denen ein Totalverlust an Bestäubern zu Ernteeinbrüchen
um bis zu 90 Prozent führen könne. Er beziffert den jährlichen Marktwert der Produktion bestäuber-abhängiger Kulturpflanzen noch weitaus höher als das Bundesamt für Naturschutz, nämlich
auf bis zu 500 Milliarden Euro, mit steigender Tendenz. Daran könne die Wichtigkeit bestäubender Insekten für die menschliche Ernährung abgelesen werden.59
Das Bundesamt für Naturschutz äußert sich hinsichtlich der Ökosystemdienstleitung Blütenbestäubung eindeutig: „Kein Mensch wäre in der Lage, diese Dienstleistung zu ersetzen – auch
nicht mit modernster Technik!“60
7.
Mögliche Gegenmaßnahmen
Sowohl das Bundesamt für Naturschutz als auch das Umweltbundesamt fordern einen tiefgreifenden Wandel in der Landwirtschaft. So verlangt das Umweltbundesamt eine Minimierung des
Pestizideinsatzes, dessen extensiver Einsatz ökologisch nicht nachhaltig sei und die Tier- und
Pflanzenwelt gefährde.
Die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz fordert eine Kehrtwende in der Agrarpolitik. Sie
plädiert dafür, Subventionen an „gesellschaftliche Leistungen“ zu knüpfen und Landwirte stärker für ein naturverträgliches Wirtschaften zu fördern.61
Der im Juni 2017 vom Bundesamt für Naturschutz vorgelegte Agrar-Report 2017 mit dem Titel
„Biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft“62 zeige nach eigenen Angaben, dass die Situation in
allen Bereichen der Agrarlandschaft alarmierend sei, was sich besonders deutlich bei Vögeln und
Insekten zeige. Der Agrar-Report 2017 belege ein Versagen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP)
der Europäischen Union und deren nationaler Umsetzung im Hinblick auf den Erhalt der Biodiversität.
58
Vgl. Settele, Josef, Wortprotokoll der 73. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Öffentliches Fachgespräch zu dem Thema "Ursachen und Auswirkungen des Biodiversitätsverlustes
bei Insekten" vom 13. Januar 2016, S. 7 f. Im Internet abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/416200/27ef1e1f3f6a34d1a9374f8702249dbf/protokoll-18-73-data.pdf [zuletzt abgerufen am
28.11.2017]
59
Vgl. Internetseiten des NABU „Kleine Tierchen mit großer Leistung – Warum Insektenbestäubung lebenswichtig
ist“ unter https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/naturschutz-imgarten/insekten/22683.html [zuletzt abgerufen am 29.11.2017]
60
Internetseiten des Bundesamts für Naturschutz: „Blütenbestäuber und Biodiversität“ unter
https://www.bfn.de/0326_bestaeuber.html [zuletzt abgerufen am 28.11.2017]
61
Vgl. Bethge, Philip „Sommer der Stille“, in: Der Spiegel, Nr. 36 vom 2.9.2017, S. 102
62
Im Internet abrufbar unter https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/landwirtschaft/Dokumente/BfN-Agrar-Report_2017.pdf [zuletzt abgerufen 30.11.2017]
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Die Anforderungen des Bundesamts für Naturschutz an eine zukunftsfähige GAP sind eine konsequente Ausrichtung von Zahlungen an die Landwirtschaft am Gemeinwohlprinzip nach dem
Grundsatz "Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen" sowie die Schaffung von Anreizen für
eine naturverträgliche, standortangepasste und damit nachhaltige Bewirtschaftung, die Sicherung
von ökologischen Leistungen eingeschlossen. Dazu müssten der administrative Aufwand drastisch reduziert und die Kontrollregelungen vereinfacht werden. Außerdem fordert das Bundesamt für Naturschutz die Sicherstellung eines Mindestmaßes an Biodiversität auch in Intensivregionen, wozu unter anderem die konsequente Einhaltung eines zu optimierenden ordnungsrechtlichen Rahmens führen solle.63
Auch der Weltbiodiversitätsrat IPBES nennt eine Reihe von Gegenmaßnahmen, um dem weltweiten Verlust von Biodiversität zu begegnen. IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on
Biodiversity and Ecosystem Services) wurde 2012 von der Staatengemeinschaft gegründet, um
die politischen Entscheidungsträger zuverlässig mit unabhängigen und glaubwürdigen Informationen über den Zustand und die Entwicklung der Biodiversität zu versorgen. Es handelt sich um
ein zwischenstaatliches Gremium zur wissenschaftlichen Politikberatung hinsichtlich biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen.
Die Kernaufgabe von IPBES ist die Erstellung von Berichten durch internationale Wissenschaftler
und Experten über den aktuellen Zustand und den Wissensstand von Biodiversität und Ökosystemleistungen weltweit. Darüber hinaus soll IPBES Handlungsoptionen zum Schutz der biologischen Vielfalt aufzeigen. Die Berichte des IPBES bilden insbesondere eine Wissens- und Entscheidungsgrundlage für das „Übereinkommen zur Biologischen Vielfalt – CBD (Convention on
Biological Diversity)“ der Vereinten Nationen.64
2016 hat IPBES den Bericht „The assessment report on pollinators, pollination and food production“ vorgelegt. In der Zusammenfassung für Entscheidungsträger bestätigt IPBES sowohl den
Rückgang von Bestäubern als auch deren Wichtigkeit nicht nur für das menschliche Leben.65
Die vorgenannten Ursachen für den Rückgang der Bestäuber sieht auch IPBES und nennt darüber
hinaus Umweltverschmutzung, invasive gebietsfremde Arten und Krankheitserreger als Risiko-
63
Vgl. Pressemitteilung des Bundesamtes für Naturschutz vom 20.07.2017 „BfN-Präsidentin fordert Kehrtwende
in der Agrarpolitik“. Im Internet abrufbar unter https://www.bfn.de/presse/pressemitteilung.html?no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=6101&cHash=5e8894acf6f963b681df1920de8d3bd7 [zuletzt
abgerufen am 30.11.2017]
64
Vgl. Internetseiten des BMUB „Weltbiodiversitätsrat IPBES“ unter https://www.bmub.bund.de/themen/naturbiologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/internationales-eu/weltbiodiversitaetsrat-ipbes/ [zuletzt abgerufen am 30.11.2017]
65
Vgl. Summary for policymakers of the assessment report of the Intergovernmental Science-policy Platform on
Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) on pollinators, pollination and food. Intergovernmental SciencePolicy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), 2016. ISBN: 978-92-807-3568-0, Job number:
DEW/1990/NA. Im Internet abrufbar unter https://www.ipbes.net/sites/default/files/downloads/pdf/spm_deliverable_3a_pollination_20170222.pdf [zuletzt abgerufen am 30.11.2017]
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faktoren. Explizite Zusammenhänge zwischen einzelnen Faktoren und der Abnahme der Bestäuber herzustellen sei aufgrund der Komplexität und der Verfügbarkeit von Daten nur begrenzt
möglich, jedoch deute eine Fülle weltweiter individueller Fallstudien auf einen häufigen negativen Einfluss dieser Faktoren auf die Bestäuber hin.
Der Bericht gibt eine Reihe von Handlungsempfehlungen als Gegenmaßnahmen an. Als eine
Schlüsselstrategie benennt IPBES eine nachhaltigere Landwirtschaft, die Wiederherstellung von
Habitaten und eine Rückgängigmachung bereinigter Landschaften, beispielsweise durch Herstellung unbewirtschafteter Blühstreifen an Feldrändern mit ausgedehnten Blütezeiten. Landwirte
sollten für einen bestäuber-freundlichen Landbau belohnt werden.66
Diese Maßnahme findet in der EU bereits Anwendung in Form des „Greening“. Die Umsetzung
des Konzepts unterliegt jedoch starker Kritik aus unterschiedlichen Richtungen, etwa vonseiten
des Bundesamts für Naturschutz, des NABU oder des Deutschen Bauernverbands. Der Effekt der
– allein für Deutschland – 1,5 Milliarden Euro teuren Maßnahme für den Naturschutz sei fast
gleich null.67
Der IPBES-Bericht nennt als weitere Maßnahmen gegen den Rückgang der Bestäuber die Förderung ökologischen Landbaus und die Reduzierung des Pestizideinsatzes.68
***
66
Vgl. ebd., S. 12
67
Vgl. Bethge, Philip „Sommer der Stille“, in: Der Spiegel, Nr. 36 vom 2.9.2017, S. 101; Internetseiten des NABUBaden-Württemberg „NABU-Studie zur Agrarpolitik – warum? Förderungspolitik muss sich ändern“ unter
https://baden-wuerttemberg.nabu.de/natur-und-landschaft/landwirtschaft/aktuelles/21517.html; Pressemeldung
des Deutschen Bauernverbandes vom 17.07.2017 „Diskussion zum Insektensterben in einer „Wolke der Unwissenheit“. Im Internet abrufbar unter http://www.bauernverband.de/diskussion-zum-insektensterben-in-einerwolke-der-unwissenheit [jeweils zuletzt abgerufen am 30.11.2017]
68
Vgl. Summary for policymakers of the assessment report of the Intergovernmental Science-policy Platform on
Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) on pollinators, pollination and food. Intergovernmental SciencePolicy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), 2016. ISBN: 978-92-807-3568-0, Job number:
DEW/1990/NA, S. 29 ff, Tabelle SPM 1. Im Internet abrufbar unter https://www.ipbes.net/sites/default/files/downloads/pdf/spm_deliverable_3a_pollination_20170222.pdf [zuletzt abgerufen am 30.11.2017]. Zu weiteren Maßnahmen gegen den Rückgang der Bestäuber siehe auch ebd., S. 24 ff.