Daten
Kommune
Leipzig
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1282589.pdf
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106 kB
Erstellt
23.05.17, 12:00
Aktualisiert
25.06.17, 14:22
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Ratsversammlung
Beschlussvorlage Nr. VI-P-03599-DS-02
Status: öffentlich
Eingereicht von
Petitionsausschuss
Betreff:
Ein Soziales Zentrum in der Platostraße 1
Beratungsfolge (Änderungen vorbehalten):
Gremium
voraussichtlicher
Sitzungstermin
Zuständigkeit
Ratsversammlung
21.06.2017
Beschlussfassung
Beschlussvorschlag:
Der Oberbürgermeister wird für die Fortentwicklung des Willkommenszentrums als auch bei
der zukünftigen Nutzung des neuen Stadtbüros im jetzigen Bürgeramt Mitte prüfen, inwiefern
beide für Informations- und Begegnungsveranstaltungen von zivilgesellschaftlichen
Kooperationspartnern der Verwaltung genutzt werden könnten.
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Übereinstimmung mit strategischen Zielen:
nicht relevant
Sachverhalt:
Der in der Petition genannte Standort Platostraße 1 steht für ein „Soziales Zentrum“ nicht zur
Verfügung, weshalb das vom Petenten vorgeschlagene Konzept in Gänze zur Zeit nicht
umsetzbar ist. Das grundsätzliche Anliegen der Petition, eine offene und
diskriminierungsfreie Stadtgesellschaft, wird jedoch schon heute mit der vorgelegten
Konzeption für das „Willkommenszentrum Leipzig“ berücksichtigt (vgl. Informationsvorlage
VI-DS-03451).
Am 08.02.2017 hat die Verwaltung dem Stadtrat ihre Pläne vorgestellt, ein
Willkommenszentrum im neuen Stadthaus Otto-Schill-Straße 2 einzurichten (1.)
Aufgrund rechtlicher Gegebenheiten am vorgeschlagenen Standort bestanden für die
Verwaltung aber keine Handlungsspielräume für die mit der Petition erstrebte Einrichtung
eines sozialen Zentrums in der Platostraße 1, Alte Kfz-Zulassungsstelle (2.)
1. Die Verwaltung trägt die Intention der Petition durchaus mit und kann die konzeptionellen
Vorschläge zu Aufbau und Gestaltung selbstorganisierter, selbstgestalteter Räume – als
„Schnittstelle zwischen bürgernaher Politik und zivilgesellschaftlichem Engagement" – in
weiten Teilen nachvollziehen. Der vollständigen Umsetzung dieser Vorschläge sind
allerdings räumliche und finanzielle Grenzen gesetzt (vgl. unten Punkt 2).
Zumindest in einem Teilbereich und durchaus im Sinne der Petition kann die Verwaltung jetzt
schon etwas vorweisen: Mit Vorlage VI-DS-03451 hat sie im Februar dem Stadtrat ihren
Vorschlag zu Aufbau und Etablierung eines Willkommenszentrums Leipzig (WZL)
unterbreitet, der auch so zur Kenntnis genommen wurde. Für Neu-Leipziger mit
Migrationshintergrund - unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus - sollen bestehende
dezentrale Informations- und Beratungsangebote durch eine zentrale, niedrigschwellige
Anlaufstelle ergänzt werden. Das WZL soll ein „Türöffner“ zu Dienstleistungen und
Hilfsangeboten, wie auch in die Bürgergesellschaft sein und sowohl zur schnellen
Orientierung im städtischen Leben, als auch zur Arbeitserleichterung für die anderen
Bereiche beitragen.
Im Sinne einer guten Erreichbarkeit und einer Signalwirkung in die Stadtgesellschaft wird das
WZL zentral im neu öffnenden Stadthaus Otto-Schill-Straße 2 untergebracht, was ein offenes
Raum- konzept mit 2-3 Beratungsplätzen ermöglicht und kurze Wege zu relevanten
Ämtern/Referaten im Neuen Rathaus und im Stadthaus bietet. Die Nähe zum jetzigen
Bürgeramt Mitte lässt bei seiner zukünftigen Nutzung Synergien in Sinne der Petition
erwarten.
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2. Die Petition ging am 29.11.2016 ein und wurde am 09.12.2016 vom Petitionsausschuss
zur Behandlung in der Ratsversammlung angenommen. Am 14.12.2016 erbat die
Geschäftsstelle des Petitionsausschusses einen Verwaltungsstandpunkt. Aufgrund der
rechtlichen Verhältnisse des Grundstücks war der Vorschlag aus der Petition bereits bei
deren Eingang nicht umsetzbar.
Die alte Zulassungsstelle, Platostraße 1, steht zu etwa 1/3 auf dem Flurstück 1149/11, im
Übrigen auf dem Flurstück 1149/33 der Gemarkung Leipzig, jeweils Eigentum der Stadt. Die
Flurstücksgrenze verläuft durch das Gebäude.
Für Teile von Flurstück 1149/11 hat die Stadt mit einem privaten Wohnungsbauunternehmen
einen notariellen Kaufvertrag geschlossen. Dieses erwirbt unter anderem das nördliche
Drittel der Zulassungsstelle zur Vervollständigung (Arrondierung) seines
Nachbargrundstücks, des früheren Technischen Rathauses. Die erworbenen Flächen sind
für das dortige Projekt zwingend nötig und der Abriss des Gebäudes Platostraße 1
erforderlich.
Das Unternehmen ist seit Herbst 2014 Privateigentümer des früheren Technischen
Rathauses. Mit diesem Privateigentum sind Rechte am Grundstück Platostraße 1
verbunden, die eine Einigung mit dem Eigentümer zwingend erforderlich machten, unter
anderem um Verpflichtungen der Stadt aus einem Erbbaurechtsvertrag zu erfüllen, der
aufgrund des Stadtratsbeschlusses vom 21.01.2004, RB 1548/04, für das Max-PlanckInstitut in der Stephanstraße abgeschlossen wurde.
Bereits im April 2014 begannen Gespräche über den Erwerb von Teilflächen durch den
Nachbarn. Ab Januar 2015 wurden diese über konkrete Flächen geführt. Bis September
2016 waren sie so weit fortgeschritten, dass der Kaufvertrag ausverhandelt war. Darin sind
auch der Abriss des Gebäudes und der nötige Rangrücktritt von Rechten des Erwerbers an
städtischen Flächen geregelt. Die entstehenden unbebauten Restflächen sind selbstständig
verwertbar, weshalb die Stadt diese vorerst behält.
Den Kaufvertrag hatte die Verwaltung am 02.09.2016 unter der Bedingung der
Genehmigung beurkundet. Dies war zunächst rechtlich unverbindlich und geschah auf
Wunsch des Erwerbers. Der Grundstücksverkehrsausschuss als zuständiges Gremium des
Stadtrats hat den Vertrag in seiner Sitzung vom 28.11.2016 in erster Lesung behandelt und
am 12.12.2016 der Veräußerung zugestimmt. Aufgrund daraufhin erfolgter Genehmigung
wurde der Vertrag wirksam und rechtlich bindend. Der Petent hatte den Ausschuss über sein
Anliegen per E-Mail informiert.
Bereits seit 2010, seit Übernahme des Objekts durch das Liegenschaftsamt und Stilllegung
des benachbarten Technischen Rathauses, gab es Versuche zur Klärung der Verhältnisse
mit dem damaligen Eigentümer. Zu diesem kam aber kein Kontakt zustande.
Das Gebäude in der Platostraße 1 selbst war bereits seit Frühjahr 2014 in keinem nutzbaren
oder guten Zustand mehr. Die Versorgung mit Strom, Wasser und Gas aus dem alten
Technischen Rathaus musste schon 2010 getrennt werden. Eine erneute Inbetriebnahme
hätte die Herstellung eigener Versorgungseinrichtungen mit Kosten von etwa 90.000 €
erfordert. Zudem sind seit 2014 immense Vandalismusschäden entstanden.
Der Betrieb hätte monatlich laufende Kosten im mittleren bis oberen vierstelligen Bereich
verursacht und nach den Einbrüchen 2014 wäre eine Innensanierung für etwa 1 Mio. € nötig
gewesen. Wegen der Anschluss- und Betriebskosten war kein anfragender Interessent
bereit, tatsächlich die Nutzung aufzunehmen.
Anlagen:
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VI-P-03599
Einreicher: Herr Schuster
Ein Soziales Zentrum in der Platostraße 1
„Die Platostraße 1 wird nicht verkauft, sondern zum lange geforderten Willkommenszentrum oder
zum ´Sozialen Zentrum für Alle`, damit durch gemeinsam Verwaltung eine Schnittstelle zwischen
bürger*innennaher Politik und zivilgesellschaftlichen Engagement wird“
Gründe:
Nicht erst seit Beginn der Flüchtlingsherausforderung Ende 2014, Anfang 2015, aber seit dem
verstärkt, äußert sich die rassistische und fremdenfeindliche Gesinnung vieler Mitmenschen. Vor
dem Hintergrund der nationalen und europäischen Stimmungslage fühlen sie sich bestärkt und
begehen Straftaten gegenüber Geflüchteten. Verhältnismäßig häufig kam es in Sachsen sowie in
Leipzig und dessen Umland zu solchen Straftaten. In Teilen der Bevölkerung dominieren „Ängste“
und Ressentiments gegenüber dieser Bevölkerungsschicht. Sie rühren häufig daher, dass
zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Zugewanderten kaum Möglichkeiten des
niedrigschwelligen, gleichberechtigten und selbstbestimmten Austausches bestehen. Selbiges gilt
aber nicht nur für den Austausch zwischen Leipzigerinnen und Leipzigern und Geflüchteten,
sondern auch für den Austausch zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus und
Schichten. Monetäre und soziale Ressourcen bestimmen nicht nur den Bildungsgang, sondern im
Zuge der Stadtentwicklung, sich beschleunigender Gentrifizierung und Verdrängungslogik auch
den Wohnort. Die städtische Gemeinschaft zerfällt nicht in Interessengruppen, sondern in soziale
Klasse. Wird jene abschätzig behandelt sehen andere die Ursache für ihre Lebensumstände in der
Schuld der „Anderen“. Vergessen wird darüber, dass die oder der Gegenüber Mensch ist, der
Respekt und Anerkennung verdient.
Einige gesellschaftliche Akteur_innen machen sich die negative Stimmung zunutze, beschwören
sie gar mutwillig und versuchen den Graben zwischen den Einwohner_innen der Stadt noch zu
vertiefen. Diese Stimmungsmache bezieht sich momentan allerdings vor allem auf Geflüchtete,
also jene die unserer Unterstützung besonders bedürfen. Teilweise vertritt diese
menschenverachtende Ideologie sogar, es brauche gar keinen Austausch zwischen Geflüchteten
und anderen Menschen der Stadt Leipzig. (Beidseitige) „Integration“ sei schon gar nicht
erforderlich, da die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, nicht bleiben würden.
Dieser Logik muss die Stadt durch positives Handeln und der Unterstützung
zivilgemeinschaftlicher Akteure_innen eine gelebte Alternative entgegentreten. Eine solche
Alternative könnte als Willkommenszentrum (wie es Grüne und Linke gefordert haben) und
anderen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen bieten. Der ausschließenden, ausgrenzenden und
entwürdigenden Rhetorik der „neuen Rechten“ stellt eine solche die positive Idee eines
selbstbestimmten Miteinanders aller antirassistischen und humanistischen Menschen gegenüber.
Dieses Konzept eines gemeinsam verwalteten und genutzten „Sozialen Zentrums“ ist jenes eines
emanzipatorischen Projekts, in dem Menschen gemeinsam handeln, erschaffen, wirken und
darüber ihre Gemeinsamkeiten erkennen und ihre Unterschiede schätzen lernen. In einem
gemeinsamen, gleichberechtigten ständigen Aufbau- und Erneuerungsprozess kann eine Dynamik
entstehen, in dem sich Menschen auf Augenhöhe begegnen sowie Anonymität und Vorurteile
überwunden werden. In solchen Zusammenhängen kann sich eine Gemeinschaft herausbilden,
eine Praxis, in der nicht das als alltäglich empfundene „Jeder-gegen-Jeden“ das Zusammenleben
dominiert.
Ein solches Zentrum drängt darüber in ein politisches Vakuum, welche die Stadt und ihre
Verwaltung nicht allein zu besetzen vermag. Gemeinsam können Innovationsräume geschaffen
und gesichert werden. Ein Freiraum, wie es ein solches Soziales Zentrum sein möchte – ein Kern
sozialen, kulturellen und politischen Zusammenlebens – darf nicht „von oben“ verwaltet werden. Es
muss „von unten“ entstehen durch alle Beteiligten aus Politik, Gesellschaft, Kirche und
Nachbarschaft. Es soll ein Freiraum entstehen, begleitet durch einen Prozess, in dem niemand
aufgrund von Aussehen, Geschlecht, Sexualität, Sprache, vermeintlicher Herkunft oder eines
„Anders-Seins“ diskriminiert wird, in dem gelebt werden kann, anstatt ständig nur ums Überleben
zu kämpfen.
Es liegt in dem Konzept eines selbstorganisierten, selbstgestalteten Raumes, dass ein solches
Projekt nicht mit einem festgefahrenen Konzept beginnen kann. Neben Bestehende Ideen und
benötigtem Raum für Sprachunterricht, Beratung etc. sind die Bedingungen in der Platostraße 1
geeignet, darüber hinaus eine ganz eigene positive Dynamik entstehen zu lassen. Ein solches
Soziales Zentrum kann nur das sein, was es sein will, wenn es sich schon in seinem
Kreationsprozess an die Maxime des gemeinsamen respektvollen Entscheidens und Handelns
bindet und den Akzent damit schon zu Beginn auf den Prozess legt und nicht auf das „effektive“
Erreichen eines irgendwie gearteten, irgendwie definierten Zieles.
Trotz dieses offenen Ansatzes muss das vorstellbare Angebot nicht vage bleiben. Das Gebäude
soll offen stehen für die unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Zwecke von Räumen für
verschiedenste Veranstaltungen, politischen und zivilgesellschaftliche Gruppen, Sprachkursen,
Theatergruppen anderer Bildungsangebote und vieles mehr. Es gibt viele wunderbare Beispiele in
anderen Städten für gelungene Sozialen Zentren, die einen wesentlichen Einschlag in die
städtische Kultur gehabt haben sowie Bürger*innen und Politik an einen Tisch bringen. Zu denken
sei dabei an die Ansätze aus Halle, Augsburg, München, Göttingen, Lübeck, Prag, Wien, Krakau,
Köln, Berlin, Mainz und viele Städte mehr. All diese Projekte sind (mittlerweile) ihren Anteil gegen
Rassismus, Ausgrenzung, Vereinzelung und gesellschaftliche Apathie und nicht zuletzt für die
kulturelle Vielfalt und die Kreativität einer ganzen Stadt.
Grundvoraussetzung dafür, dass ein solcher Freiraum entstehen kann, den Menschen zur
Emanzipation nutzen können sowie den rassistischen Verhältnissen als positiven und offenen
Kreationsprozess entgegensetzen, ist die Zurverfügungstellung eines geeigneten Raumes. Einen
besseren als die alte Kfz-Zulassungsstelle in der Platostraße 1, welches vor einiger Zeit durch die
Initiative Social Center for All – Leipzig kurzzeitig in Benutzung genommen wurde, findet sich in
Leipzig in städtischer Hand nicht mehr. Das Gebäude befindet sich baulich in einem guten
Zustand, liegt zentrumsnah und zudem in einer Gegend, in welcher bereits
Geflüchtetenunterkünfte bestehen und von der Stadt zudem nun im sog. „Prager Dreieck“ der Bau
einer neuen Unterkunft geplant wird, die später umgenutzt werden könnte. Zudem entsteht ein
ganz neues Quartier. Diese sieht zwar Wohnen in einer „Vertical City“ mit Wohnen und Arbeiten
vor, es bietet jedoch keinen Raum für den sozialen Austausch dieser vielen Menschen in dieser
Gegend. Alle würden davon profitieren.
Was also spräche dagegen, wenn die Stadt dieses Vorhaben in ihr Konzept einarbeitet. Die Idee
eines Willkommenszentrums, wie es Grüne und Linke bereits seit längerem fordern und wo es
noch an der Umsetzung hapert sowie die Idee eines Social Center for All komme aus
unterschiedlicher Richtung, wollen aber ähnliches. Beide Ansätze unterstützen sich und können
gemeinsam die Bedürfnisse der unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen würdigen. Während ein
Willkommenszentrum professionelle Angebote bündelt und mehr ein Verwaltungszentrum ist,
strebt das Social Center for All danach überparteiliche Begegnungsstätte zu sein.
Rassismus und Ausgrenzung ist ein zweiseitiger Prozess: es gibt jene, denen Hass
entgegengebracht wird und jene, die hassen bzw. jenem die ausgegrenzt werden und jene, die
ausgrenzen. Die Ursachen gilt es zu bekämpfen. Dies kann weder die Verwaltung noch ein
Beschluss erreichen, da es die Menschen selber sind, die die Verletzung und das Leid, die
dadurch auf beiden Seiten entstehen, hervorrufen und daher auch die einzigen sind, die dies in
Zukunft verhindern können und verhindern müssen. Aber die Stadt kann mit einem positiven
Beschluss die Grundlagen legen für einen Ort, an dem das Menschliche dominiert und nicht das
Verwalten. Denn, wie schon Hannah Arendt ausführte: „Bürokratie schafft nur Niemande; wir leiden
unter Praxisentzug: ´Was den Menschen zu politischen (würdigen) Wesen macht, ist seine
Fähigkeit (gemeinsam mit anderen) zu handeln. […] etwas neues zu beginnen`“.