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16.07.18, 14:02
Aktualisiert
25.01.19, 04:01
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Hausvogteiplatz 1
10117 Berlin
Deutscher Städtetag x Hausvogteiplatz 1, 10117 Berlin
Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
Frau Dr. Heike Schmid-Obkirchner
11018 Berlin
29.06.2015/rei
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Durchwahl 37711-410
Telefax +49 30 37711-409
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Aktenzeichen
51.12.30 D
Gesetzentwurf zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher
Sehr geehrte Frau Dr. Schmid-Obkirchner,
haben Sie vielen Dank für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf eines
Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher. Grundsätzlich begrüßen wir das Anliegen des Gesetzentwurfes, eine
gleichmäßige Verteilung der unbegleiteten ausländischen Minderjährigen auf die Bundesländer
vorzunehmen und somit die besonders starke Belastung einiger Jugendämter abzumildern und
damit der Überlastung der Systeme vorzubeugen. Dies ist auch im Interesse der Kinder und
Jugendlichen, die eine Unterbringung und Versorgung entsprechend ihrer besonderen, altersgemäßen Bedürfnisse benötigen. Wir weisen auf den Beschluss des Hauptausschusses des
Deutschen Städtetages vom 09.06.2015 hin (Anlage).
Wir möchten jedoch auch die Gelegenheit nutzen, einige konkrete Anregungen zum vorliegenden Gesetzentwurf einzubringen:
1. Mit den neuen Regelungen zur Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer
Jugendlicher wird eine erhebliche Ausweitung des Personenkreises vorgenommen, die
nunmehr Zugang zu den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe bekommen. Bislang erhielten nur die Kinder und Jugendlichen diese Leistungen, die rechtmäßig oder mit einer
ausländerrechtlichen Duldung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (§ 6 Abs. 2
SGB VIII). Nunmehr wird in § 42a Abs. 1 darauf abgestellt, dass die unbegleitete Einreise
eines ausländischen Kindes oder Jugendlichen erstmals festgestellt wird. Daraus folgt auch
eine erhebliche Steigerung der Zahl junger Erwachsener, die Leistungen der Kinder- und
Jugendhilfe erhalten. Diese rechtlichen Änderungen, bzw. Klarstellungen werden in der
Praxis zu erheblichen Fallzahlen- und Kostensteigerungen für die Kommunen führen, eine
generelle und vollständige Kostenerstattung ist daher dringend ebenfalls rechtlich zu normieren.
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-22. Das Gesetz sieht keine Kostenerstattungsmöglichkeiten für Personalkosten vor, die der
Verwaltung durch das sog. Erstscreening entstehen, also die Verwaltungskosten bei der Inobhutnahme, der Alterseinschätzung und der Weitervermittlung sowie für die Dolmetscherdienste, die Kosten durch die Fahrten/Transporte und Begleitung bei der Zuweisung an andere Jugendämter, die Führung von Vormundschaften und die bei anderen Verwaltungsaufgaben entstehen. Nach § 198 SGB X werden bisher nur Sachkosten im Rahmen der Inobhutnahme erstattet. Verwaltungskosten (eigene Personalkosten, Dolmetscherkosten etc.)
sind bislang nicht erstattungsfähig. Da diese Personalkosten in den besonders stark frequentierten Kommunen jedoch dementsprechend hoch sind, werden diese Kommunen auch weiterhin besonders belastet sein. In Anbetracht des Umfangs der diesbezüglichen Aufgaben
und der noch zu erwartenden Steigerungen aufgrund der neuen Verfahren und steigender
Fallzahlen wären klare Regelungen bzgl. der Kostenerstattung dringend erforderlich.
Hinzu kommt, dass in einigen Fällen eine Weitervermittlung der Kinder und Jugendlichen
aus Gründen des Kindeswohls ausgeschlossen ist. Es wird daher zu einer besonders starken
Konzentration von Kindern und Jugendlichen z.B. mit gesundheitlichen Belastungen in diesen stark frequentierten Kommunen kommen.
Grundsätzlich halten wir es für notwendig, dass Bund und Länder die Kommunen beim
Aufbau der notwendigen Strukturen finanziell unterstützen und auch die eingangs erwähnten Verwaltungskosten hierbei berücksichtigen. Des Weiteren müssen die von § 89d Abs. 3
SGB VIII nicht erfassten, aber teilweise notwendigen Kosten, z.B. für die Behandlung
durch Traumapsychologen und für die besonderen Anforderungen bei der Beschulung (zum
Spracherwerb und zur Nachholung von Schulabschlüssen) der unbegleiteten ausländischen
Minderjährigen beim Kostenerstattungsverfahren ebenfalls Berücksichtigung finden.
Die Regelung in § 42e Abs. 1 SGB VIII-GE zum Belastungsausgleich wird vermutlich in
der Praxis sehr große Schwierigkeiten bereiten, da die Geltendmachung und Abrechnung
der entstehenden Kosten nicht innerhalb von 6 Monaten durchführbar ist. Da bei einer
Fristüberschreitung die Geltendmachung des Anspruchs auf Kostenerstattung ausgeschlossen ist, führt dies zu erheblichen Verwerfungen und einem teilweisen Leerlaufen der Regelungen des Belastungsausgleichs. Eine Verlängerung dieser Frist auf mindestens 12 bis 18
Monate ist daher zwingend erforderlich.
3. Im Gesetz ist keinerlei Klarstellung und Regelung zur Gesundheitsversorgung und zur gesundheitlichen Erstuntersuchung der Kinder und Jugendlichen, insbesondere im Rahmen
der vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42a SGB VIII erfolgt. Es wäre notwendig, dass bereits im Bundesgesetz z.B. auf das Infektionsschutzgesetz Bezug genommen wird und die
entstehenden Kosten auch im Erstattungsverfahren berücksichtigt werden. Aktuell sind die
örtlich zuständigen Jugendämter in der Verpflichtung, die Krankenkosten zu tragen. Es wäre daher sehr wünschenswert, eine gesetzliche Regelung zu treffen, mit der die Krankenversicherung der unbegleiteten ausländischen Kinder und Jugendlichen zukünftig durch die gesetzlichen Krankenkassen ermöglicht würde und damit eine einheitliche Versicherungsmöglichkeit bei den gesetzlichen Krankenkassen geschaffen würde.
Die Regelung des § 42a Abs. 4 SGB VIII-GE erscheint generell zu unbestimmt, da unklar
ist, in welchen Fällen eine Verteilung ausgeschlossen sein soll. Möglicherweise wird diese
Regelung in großem Umfang dazu genutzt, die Verteilungsregelungen zu umgehen. Generell ist auch die 14 Werktage-Frist nach § 42a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII-GE zu kurz, um wirklich verteilungsrelevante Erkrankungen zu diagnostizieren, bzw. die Heilung vorübergehender Krankheiten abzuwarten. Die generelle Einholung ärztlicher Stellungnahmen
-3scheint hier auch kein probates Mittel, da viele Fälle entweder offensichtlich sind (sodass
keine ärztliche Stellungnahme nötig ist), oder ein Abheilen der Erkrankung innerhalb weniger Wochen zu erwarten ist.
4. Problematisch ist die Regelung in § 42b Abs. 3 SGB VIII des Gesetzentwurfes, die vorgibt,
dass die für die Verteilung von unbegleiteten Kindern oder Jugendlichen zuständige Stelle
des Landes die Minderjährigen nur einem geeigneten Jugendamt zuweisen darf. Hier stellt
sich die Frage nach der Definition der Eignung eines Jugendamtes und wer dieses feststellt.
Wir gehen davon aus, dass grundsätzlich jedes Jugendamt die fachliche Eignung hat zur
Aufnahme von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen. Beim Aufbau der notwendigen
Angebote und Strukturen müssen die Jugendämter unterstützt werden. Auch die Bildung
von Kompetenzzentren ist eine Möglichkeit, die im Einvernehmen zwischen Ländern und
Kommunen vereinbart werden kann, wenn eine volle Kostenerstattung zugesagt wird.
5. In § 42a Abs. 5 Ziff. 1 SGB VIII-GE wird ein Fachkräftegebot normiert, das in der Praxis
große Schwierigkeiten bereiten könnte. In der Gesetzesbegründung werden als geeignete
Fachkräfte nur „Fachkräfte des Jugendamts oder eines freien Trägers der Jugendhilfe“ benannt. Fachkräfte laut § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind jedoch Personen, die sich „für die
jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende
Ausbildung erhalten haben (Fachkräfte) oder aufgrund besonderer Erfahrungen in der sozialen Arbeit in der Lage sind die Aufgaben zu erfüllen“.
Dieses besondere Fachkräftegebot in § 42a Abs. 5 Ziff. 1 SGB VIII-GE wird durch die
Aufnahmejugendämter, die besonders stark frequentiert sind, nicht realisierbar sein. Es
wird allgemein erwartet, dass die Zahl der Neuankommenden noch steigen wird und die
Fluchtwege sich nicht stark verändern werden. Schon heute ist es in den besonders stark
frequentierten Kommunen kaum noch möglich, die notwendigen Fachkräfte zu gewinnen.
Es sollte daher in Betracht gezogen werden, dass nicht in allen Fällen Fachkräfte als Begleitpersonen notwendig sind, wenn die unbegleiteten Minderjährigen verlegt werden.
Stattdessen sind auch Personen mit Erfahrungen in der sozialen Arbeit ausreichend. Wesentlicher als die Qualifikation der Begleitperson ist nach den Erfahrungen aus der Praxis
(z.B. in München) die qualifizierte Vorbereitung und persönliche Motivierung des Minderjährigen auf seine Verlegung hin (z.B. Informationen über den Ort, die Einrichtung, das
Verfahren etc.). Grundsätzlich sollte auch die Option eröffnet werden, dass auch ein übernehmendes Jugendamt in die Pflicht genommen werden kann, eine Begleitperson anzubieten. Generell sollte überlegt werden, eine Qualifizierungsoffensive mit Unterstützung des
Bundes zu starten, um den steigenden Fachkräftebedarf für diese Aufgaben der Kinder- und
Jugendhilfe abzudecken.
6. Die im Referentenentwurf definierten zeitlichen Fristen für die Berechnung der Verteilungsquote und Zuweisung an ein Aufnahmejugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme sind im Vergleich mit bisherigen Erfahrungswerten im Inobhutnahmesystem der
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sehr kurzfristig terminiert und angesichts der besonderen Belastungssituation der Jugendlichen und der gegenwärtigen Rahmenbedingungen (Personalschlüssel, Platzzahlen, steigende Zahl der unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlinge) nicht realistisch. Besonders die Überprüfung der Kindeswohlgefährdung, z.B.
die Ermittlung verwandtschaftlicher Bezüge vor Ort und die Klärung des Gesundheitsstatus, nimmt bisher deutlich mehr Zeit in Anspruch. Eine fachlich adäquate Einschätzung dieser Faktoren erscheinen in dieser kurzen Frist nicht möglich. Für eine qualitativ hochwertige Umsetzung sind dringend zusätzliche zeitliche und räumliche Kapazitäten notwendig.
Bisher ist jedoch noch vollkommen unklar, mit welchen strukturellen Rahmenbedingungen
-4und Verteilungslogiken in den Bundesländern die Gesetzesänderungen umgesetzt werden
sollen.
Wir halten es für zwingend erforderlich, die Ausschlussfrist einer Verteilung auf mindestens zwei Monate zu verlängern und darüber hinaus dem Jugendamt, das die Kinder und
Jugendlichen vorläufig in Obhut nimmt, statt der vorgesehen 7 Tage eine maximale Frist
von 21 Tagen einzuräumen, um das Erstscreening durchzuführen und die Meldung der Verteilungsabsicht an das Land weiterzugeben. Gleichzeitig sollten die Kommunen nachrichtlich auch das Bundesverwaltungsamt hierüber informieren. Es fehlt zudem eine verbindliche Frist, innerhalb der das Land die Weitergabe der Informationen zur Umverteilung an
das Bundesverwaltungsamt abgegeben haben muss.
7. Problematisch sehen wir auch die Regelungen zur Vormundschaft. Soweit die vorläufige
Inobhutnahme nach § 42a Abs. 3 SGB VIII-GE länger als sieben Tage andauert, muss die
Bestellung eines Vormunds veranlasst werden. Zu diesem Zeitpunkt muss aber auch die
Meldung zur Verteilung gemäß § 42a Abs. 4 SGB VIII-GE spätestens erfolgen.
Das zuständige Familiengericht wird zu diesem Zeitpunkt regelmäßig aber noch nicht bekannt sein. Bei der vorläufigen Inobhutnahme begründet der unbegleitete Minderjährige
noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt, sodass davon auszugehen ist, dass sich die Familiengerichte nach § 152 Abs. 2 FamFG nicht für örtlich zuständig erklären werden. Somit
wird vermutlich erst nach der endgültigen Inobhutnahme durch das Aufnahmejugendamt
ein familiengerichtliches Verfahren und damit letztendlich die Bestellung eines Vormunds
möglich sein. Darüber hinaus dauern die familiengerichtlichen Verfahren erfahrungsgemäß
länger als 14 Tage, sodass eine gerichtliche Entscheidung ggf. schon daran scheitert, dass
der unbegleitete Minderjährige bereits verteilt ist.
Aus diesen praktischen Erwägungen heraus wäre zu überlegen, dass ein Antrag auf Einrichtung einer Vormundschaft grundsätzlich erst durch das Aufnahmejugendamt erfolgt, wenn
feststeht, ob der Jugendliche verteilt wird oder nicht. Außerdem regen wir an, die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft in den Fällen zu ermöglichen, in denen besonderer ausländerrechtlicher Sachverstand und genaue Kenntnisse der Verhältnisse im Herkunftsland
erforderlich sind, um die aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu führen. Des Weiteren regen
wir an, in der Überschrift zu § 88a SGB VIII-GE nur von Vormundschaft zu sprechen, statt
von Amtsvormundschaft (entsprechend dem eigentlichen Gesetzestext).
Wir sehen zwar auch die Probleme der Rechtssicherheit, da die gesetzliche Vertretung
durch das Jugendamt Interessenkollisionen nicht gänzlich ausschließt. Allerdings wäre es
auch nicht im Interesse der Minderjährigen, sich unter Umständen auf wechselnde Vormünder einzustellen, die einerseits vom Jugendamt der vorläufigen Inobhutnahme und andererseits vom Zuweisungsjugendamt bestellt werden. Es ist eine Regelung erforderlich, die
auch bei länger andauernden Verteilungsverfahren die kontinuierliche Bestellung eines
Vormunds ermöglicht.
8. Die in § 42a Abs. 5 SGB VIII-GE vorgesehene angemessene Beteiligung der Kinder und
Jugendlichen ist ein unsystematische Doppelung zum allgemein geltenden Beteiligungsgebot nach § 8 Abs. 1 SGB VIII. Diese Doppelung enthält keine zusätzlichen Rechte der Kinder und Jugendlichen und könnte falsche Erwartungen wecken. Ein generelles Wunsch- und
Wahlrecht hinsichtlich der Aufnahmekommune gibt es nicht für die Kinder und Jugendlichen, dies wäre in der Praxis auch nicht umsetzbar.
-59. Wir regen zudem an, Regelungen hinsichtlich der Jugendlichen zu treffen, die mehrfach
aufgegriffen werden. Ein erheblicher Teil der Jugendlichen reist nach der erstmaligen Inobhutnahme eigenmächtig weiter und wird Tage oder Wochen später wieder aufgegriffen.
Dringend klärungsbedürftig ist, ob diese Jugendlichen ebenfalls der Verteilungsregelung
unterliegen und wie in diesen Fällen das Kostenerstattungsverfahren läuft. Es wird erwartet,
dass diese Fälle in der Praxis ein sehr großes Problem darstellen.
10. Die Kostenschätzung des BMFSFJ können wir nicht nachvollziehen. Aus den vorgenannten
Gründen, z.B. dem Aufwand beim Aufbau der notwendigen Verwaltungsstrukturen und der
Durchführung der Verteilungsverfahren schätzen wir die Kosten um ein Vielfaches höher
als die angenommen 4 Mio. € jährlich (die lediglich einer Summe von 6.670 € pro Jugendamt entsprechen würden).
Mit freundlichen Grüße
In Vertretung
Verena Göppert
Anlage